Nachmittagssitzung.

[262] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie sich bitte auf den Text nach dem Bombenanschlag in Rom am 23. März 1944 konzentrieren. Wissen Sie, was ich meine? Den Bombenanschlag in Rom am 23. März 1944. Erinnern Sie sich? Damals war General Westphal Ihr Stabschef. Er meldete dieses Komplott direkt an General Buettler. Wie sprechen Sie den Namen aus?

KESSELRING: Winter.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Welcher General?


KESSELRING: General Winter.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hat er nicht General Buettler Meldung erstattet?


[Buchstabiert Buettler.]


KESSELRING: Von Buttlar.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: General von Buttlar?


KESSELRING: Dieser war sein Vorgänger.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: General von Buttlar informierte Ihren Stabschef, daß er dem Führer darüber Bericht zu erstatten habe. Stimmt das?


KESSELRING: Jawohl.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und er setzte sich mit dem Angeklagten Jodl in Verbindung? Und die Angeklagten Jodl und Keitel meldeten den Vorfall dem Führer?


KESSELRING: Es wird wahrscheinlich so sein.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und der Führer gab einen Befehl, daß entweder zwanzig oder zehn – Sie sind nicht ganz sicher, glauben aber eher zwanzig – Italiener getötet werden sollten?


KESSELRING: Ich glaube, das ist eine Meldung von Westphal, die ich als stimmend annehmen muß.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Können Sie sich daran erinnern, Herr Zeuge, ob es sich nun um zwanzig oder zehn handelte?


KESSELRING: Ich nehme an, zehn; ich weiß es nicht mehr genau.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie kennen die genaue Zahl nicht?


KESSELRING: Ich nehme an, zehn.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Also lassen wir es einmal bei der Zahl zehn. Die zuständige Autorität für Rom war General Mackensen. Stimmt das?


[262] KESSELRING: Generaloberst von Mackensen war Oberbefehlshaber der 14. Armee, dem der Kommandant von Rom unterstanden hat.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und der Mann, der, um Ihren Ausdruck anzuwenden, ihn in diesem Falle beriet, war ein Mann namens Kappler. Stimmt das?


KESSELRING: Kappler vom Sicherheitsdienst?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was war er, Obergruppenführer oder etwas ähnliches?


KESSELRING: Obersturmbannführer.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Erinnern Sie sich, daß Sie nach einigen Kommentaren im »Osservatore Romano« eine Untersuchung dieses Zwischenfalls einleiteten, und zwar durch Ihren Abwehroffizier Zolling? Stimmt das?


KESSELRING: Ja, das stimmt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie ließen sich ebenfalls von Kappler selbst Bericht erstatten. Stimmt das?


KESSELRING: Kappler hat mir nur telephonisch eine kurze Ermittlung zugehen lassen, daß er eine entsprechende Zahl von verurteilten Männern zur Stelle hätte.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hat Kappler Ihnen nicht erklärt, daß er 382 Personen hätte hinrichten lassen?


KESSELRING: Die Ausführung war in den Händen der 14. Armee und ich habe letzten Endes nur den Vollzug erhalten, ohne irgendwelche nähere Erläuterung, und habe keine unmittelbare Aussprache mit Kappler gehabt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sind Sie dessen sicher?


KESSELRING: Ich betone ausdrücklich nochmals: ich habe mit Kappler telephonisch kurz gesprochen, nachdem ich auf meinem Gefechtsstand eingetroffen war und mir diese Meldung, wie ich vorhin gesagt habe, gegeben worden war. Ich habe sonst keinen weiteren unmittelbaren Verkehr in Erinnerung; ich weiß nur noch, daß ich vielleicht acht oder zehn Tage später bei einem Zusammentreffen mit ihm gesagt habe, daß ich ihm bis zu einem gewissen Grade danken muß, daß diese sehr unangenehme Sache eine Erledigung finden konnte, die sowohl rechtlich wie moralisch einwandfrei war.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir wollen doch einen Augenblick nochmals nachprüfen, wofür Sie eigentlich zur Dankbarkeit Anlaß hatten. Sie sind über diesen Vorfall am 8. Januar vernommen worden. Können Sie sich erinnern, daß man Ihnen folgende Frage vorgelegt hat: »Hat Ihnen Zolling nicht gesagt, daß alle, die hingerichtet wurden, vorher wegen verschiedener anderer Verbrechen, [263] die mit dem Tode bestraft werden, abgeurteilt waren?« Und Sie antworteten: »Ja, ich habe das schon gesagt, ja, er sagte das. Sogar Kappler hat mir das erzählt.«


KESSELRING: Ja, das stimmt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Mit anderen Worten, die Erklärung, die man Ihnen Ihrer Aussage nach gab, war, daß man eine Anzahl von Leuten nahm, und zwar unterstelle ich 382, die sich anderer Verbrechen schuldig gemacht hatten, und sie als Vergeltung für den Bombenanschlag hinrichtete. Stimmt das?


KESSELRING: Das stimmt unter der Annahme, daß die Leute zum Tode verurteilt waren.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie sind schon einmal darüber befragt worden. Nach Kapplers Bericht hatten von diesen 382 Menschen 176 Verbrechen ausgeübt, die mit dem Tode bestraft werden, 22 waren Leute, deren Fall als »abgeschlossen« bezeichnet worden war, 17 waren zur Zwangsarbeit verurteilt, vier waren tatsächlich schon zum Tode verurteilt, und vier waren in der Nähe des Tatortes verhaftet worden; das macht 223.

Hat Kappler Ihnen nicht gesagt: »Später stieg die Zahl der Opfer auf 325, und ich entschied, 57 Juden dazu zu tun.«

Hat Ihnen Kappler diese Zahlen nicht gemeldet?


KESSELRING: Nein.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber Sie geben doch zu, daß eine große Anzahl von Personen hingerichtet wurde, und zwar auf Grund eines Befehls, nach welchem zehn oder vielleicht zwanzig Italiener für jeden einzelnen getöteten Deutschen hinzurichten seien.


KESSELRING: Das gebe ich zu, aber unter der Annahme, wie ich vorhin gesagt habe, daß es sich hier um bereits abgeurteilte Menschen handelte.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber es machte Ihnen nichts aus, ob die Leute wegen des Bombenanschlags verurteilt worden waren, oder wegen eines anderen Vergehens?


KESSELRING: Herr Generalstaatsanwalt, die Situation war folgende: Der Garigliano-Kampf an der Südfront hatte mit aller Heftigkeit begonnen. In dieser Zeit kommt ein Bombenangriff gegen eine Polizeikompanie von römischen Kreisen, die bis dorthin in einer unerhört milden Weise behandelt worden sind. Die Erregung auf der deutschen Seite war derartig, daß sowohl ich, wie meine nachgeordneten Vorgesetzten, einschließlich des Botschaftsrats Möllhausen, alles zu tun hatten, um diese Erregung zu dämpfen. Es mußte also etwas geschehen auf der einen Seite, und auf der anderen Seite mußte etwas geschehen, etwas, was mir überhaupt [264] als die zweckentsprechendste Maßnahme zur Verhinderung derartiger Sachen dünkt, nämlich eine Brandmarkung in der Öffentlichkeit, eine Bekanntgabe, daß gegen die deutsche Armee nicht etwas passieren kann, ohne daß nicht die Konsequenzen gezogen werden. Für mich war das das Wesentliche; ob nun der X oder der Y an diesem Attentat beteiligt war, war für mich eine Frage untergeordneter Bedeutung; von übergeordneter Bedeutung war nur das, daß die öffentliche Meinung innerhalb der kürzesten Zeit sowohl auf der römischen wie auf der deutschen Seite beruhigt werden konnte.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Vorhin haben Sie sich auf einen dritten Standpunkt gestellt, manche Leute könnten sagen, »terrorisiert« die Bevölkerung, damit sie nicht nochmals etwas gegen die deutsche Armee unternimmt.


KESSELRING: Ich weiß nicht, dieser Ausdruck stammt von dem Verhör über Rotterdam. Ich habe diesen Ausdruck meines Erachtens und Wissens nicht gebraucht. Ich habe zu wiederholen, daß ich in einem, wenn ich das sagen darf, geradezu idealem Freundschaftsverhältnis zu den Italienern gestanden habe, deswegen bin ich ja auch nach Italien berufen worden, und daß ich allergrößte Veranlassung hatte, für die Freundschaft zu werben und nicht die Feindschaft zu säen, und daß ich nur da eingegriffen habe, und zwar sicher in der entschiedenen Form, wenn es sich darum handelte, innerhalb kurzer Zeit dieses Pestgewächs zu kupieren.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe Ihnen heute Morgen verschiedene Fragen über Ihre Freundschaftstaten gegenüber Italien vorgelegt und will nicht darauf zurückkommen. Ich möchte Sie nun nur noch über einen anderen Punkt befragen, dessen Klärung mich interessieren würde: Waren Sie am 2. November 1943 der Kommandierende General in Italien, das heißt, nachdem...


KESSELRING: Darf ich zum ersten Punkt noch etwas sagen?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie müssen auf diesen Punkt antworten, und ich möchte von Ihnen wissen, ob Sie am 2. November 1943 der Kommandierende General in Italien waren. Also waren Sie es?


KESSELRING: Seit November, seit dem 2. November 1943?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Können Sie sich daran erinnern, daß Sie ein Telegramm an das OKW schickten, nach welchem drei britische Kommandos, die bei Pescara gefangengenommen worden waren, einer Sonderbehandlung unterzogen werden sollten? Sonderbehandlung heißt Mord; das heißt, sie wurden von der SS getötet?


KESSELRING: Nein, verzeihen Sie...


[265] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was verstehen Sie unter Sonderbehandlung?


KESSELRING: Daß diese Leute von Pescara nicht, wie ich heute schon einmal sagte, erschossen worden sind, sondern eher, wenn sie verwundet waren, ins Lazarett eingeliefert wurden und, soweit ich mich erinnere, in ein Kriegsgefangenenlager kamen, wenn sie unverletzt waren.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Neun andere sind noch ins Krankenhaus gebracht worden, und drei von ihnen erhielten auf Grund Ihres Telegramms die Sonderbehandlung. Neun andere wurden ins Lazarett gebracht. Ich war im Begriff, Sie über diejenigen, die ins Lazarett gebracht worden waren, noch etwas zu fragen. Was haben Sie mit den Leuten gemacht, die unter den Kommandobefehl fielen, und die in ein Lazarett geschafft wurden?


KESSELRING: Wie ich vorhin bereits gesagt habe, sind diese nach den allgemein üblichen Grundsätzen der Haager Konvention behandelt worden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich will mit Ihnen nicht darüber streiten, ob der Kommandobefehl mit dem Haager Abkommen übereinstimmt. Wir wissen, was der Kommandobefehl bedeutete, nämlich, daß Leute, die als Kommandos gefangengenommen wurden, zu erschießen waren. Angenommen, eine Kommandogruppe ist unglücklicherweise verwundet worden. Was ist ihr dann passiert?


KESSELRING: Auf Grund des Wortlautes dieses Befehls mußten sie erschossen werden. Ich habe vorhin bereits gesagt, daß dieser Befehl in diesem Fall, ich nehme an, unter Mitwirkung von Generaloberst Jodl, seine Erledigung in normaler Form gefunden hat.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir haben hier im Gerichtshof Beweise dafür gehört, daß in Wilna die SS regelmäßig neugeborene jüdische Kinder in den Hospitälern einfach umbrachte. Können Sie mir versichern, daß Kommandotruppen, die verletzt waren und in Lazarette verbracht wurden, nicht einfach ermordet wurden?


KESSELRING: Ich versichere, daß ich über eine derartige Exekution nicht unterrichtet bin und sie auch nicht geduldet hätte.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Danke.


VORSITZENDER: Wünscht die Anklagebehörde ein weiteres Kreuzverhör?

Dr. Stahmer, wollen Sie ein Rückkreuzverhör vornehmen?


DR. STAHMER: Von der Englischen Anklagebehörde sind soeben neue, bisher nicht bekanntgewordene Tatsachen vorgetragen worden, vor allem die Erschießung von Geiseln, die von der Division [266] Hermann Göring in Italien bei der Bandenbekämpfung durchgeführt wurden, und für die der Angeklagte Göring offenbar verantwortlich gemacht werden soll. Zu diesem Vorbringen sind auch neue Dokumente vorgelegt worden. Zur Zeit bin ich nicht in der Lage, zu diesen Tatsachen sowie zu den schweren Vorwürfen Stellung zu nehmen und sachlich Fragen an die Zeugen zu stellen.

Nach sorgfältiger Prüfung des Materials werde ich entsprechende Anträge stellen und bitte, mir Gelegenheit zu geben zu einer Erklärung, ob ich noch weitere Zeugen benötige und auf den Zeugen Kesselring zurückgreifen muß.

Selbstverständlich werde ich mich darauf beschränken, nur unbedingt notwendige Beweisanträge im Rahmen der erhobenen Vorwürfe zu stellen, um eine unnötige weitere Ausweitung des Prozesses zu vermeiden.


VORSITZENDER: Dr. Stahmer, der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Sie den Zeugen sogleich verhören müssen, und daß Sie, wenn Sie später eine Wiedervorladung des Zeugen beantragen wollen, wirklich schwerwiegende Gründe vorbringen müßten. Sie dürfen einen schriftlichen Antrag auf Wiedervorladung des Zeugen stellen, ich muß Sie jedoch darauf hinweisen, daß das Kreuzverhör dieses Zeugen nicht ausschließlich für den Fall Göring erheblich ist. Er gehört dem Generalstab an, und wie ihm schon bei Beginn des Kreuzverhörs mitgeteilt wurde, ist er selbst einer der Angeklagten. Das Beweismaterial mag daher für Göring, oder für den Generalstab erheblich sein. Ist Ihnen das klar?


DR. STAHMER: Ja, es ist schon klar. Aber ich kann natürlich einem Zeugen nur Fragen stellen, wenn ich vorher das Tatsachenmaterial beherrsche. Und das ist mir bei dem heutigen Vortrag nicht klar geworden, weil hier auf Urkunden Bezug genommen wurde, die mir gänzlich unbekannt sind und, soviel ich weiß, hat die Anklage mir in Aussicht gestellt, uns dieses Material zugänglich zu machen.


VORSITZENDER: Die Dokumente sind dem Zeugen vorgelegt worden, und der Gerichtshof, wie ich schon sagte, wird einen späteren Antrag zur Rückberufung des Zeugen in Betracht ziehen. Sie können aber jetzt das Wiederverhör des Zeugen zum Abschluß bringen.


DR. STAHMER: Zur Zeit habe ich keine weiteren Fragen an den Zeugen.


VORSITZENDER: Dann kann der Zeuge gehen.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


DR. LATERNSER: Herr Präsident! Sowohl heute vormittag durch einen Vertreter der Anklage als auch jetzt durch eine [267] Äußerung des Herrn Präsidenten ist mir aufgefallen, daß der Zeuge zweimal als Angeklagter bezeichnet worden ist. Ich glaube, daß diese Bezeichnung nicht richtig ist. Der Zeuge ist erstmals hier in seiner Funktion als Zeuge aufgetreten, und im übrigen ist nicht das einzelne Mitglied der Gruppe angeklagt, sondern die Gruppe selbst, so daß es nicht richtig sein kann, den Zeugen als Angeklagten zu bezeichnen.

VORSITZENDER: Dr. Laternser! Es ist vielleicht nicht ganz richtig, ihn als Angeklagten zu bezeichnen. Er ist aber ein Mitglied des Generalstabs. Ich glaube, Sir David Maxwell-Fyfe hat klargestellt, daß er ihn nur als Mitglied der Gruppe betrachtet, hinsichtlich der die Anklageschrift den Gerichtshof auffordert, sie für verbrecherisch zu erklären. Nur so sollte es aufgefaßt werden, und ich habe Dr. Stahmer nur darauf aufmerksam gemacht, daß die Fragen, die gestellt worden sind, nicht notwendigerweise für den Fall Göring erheblich waren, sondern daß sie erheblich und allein erheblich für den Fall des Generalstabs sein könnten.

DR. LATERNSER: Herr Präsident! Mir ist die Stellung der einzelnen Generale völlig klar. Ich wollte nur verhindern, daß die Generale, obwohl sie es nicht sind, nunmehr als Angeklagte bezeichnet werden. Und dazu wollte ich Beweismaterial haben.


VORSITZENDER: Gut.


DR. STAHMER: Wenn das Gericht einverstanden ist, rufe ich nun den Angeklagten, den früheren Reichsmarschall Göring als Zeugen auf.


[Der Angeklagte betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Wollen Sie bitte Ihren Namen nennen.

HERMANN WILHELM GÖRING: Hermann Göring.


VORSITZENDER: Wollen Sie mir diesen Eid nachsprechen: Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sage, nichts fortlassen und nichts hinzufügen werde.


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. STAHMER: Wann und wo sind Sie geboren?


GÖRING: Ich bin am 12. Januar 1893 in Rosenheim in Bayern geboren.


DR. STAHMER: Geben Sie dem Gerichtshof eine kurze Darstellung Ihres Lebenslaufes bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges. Aber bitte ganz kurz.


GÖRING: Normale Erziehung, zuerst Hauslehrer, später Kadettenkorps, dann aktiver Offizier geworden. Kurze Merkmale, die [268] für meine spätere Entwicklung von entscheidender Bedeutung waren: die Stellung meines Vaters als erster Gouverneur von Südwestafrika. Seine damaligen Beziehungen, insonderheit zu zwei englischen Staatsmännern, Cecil Rhodes und dem älteren Chamberlain. Dann die starke Zugehörigkeit meines Vaters zu Bismarck. Die Erlebnisse meiner Jugend, die ich zur Hälfte in Österreich verlebte- ich habe dort schon die enge Verbundenheit als Brudervolk in mir aufgenommen. Bei Ausbruch des Weltkrieges war ich Leutnant in einem Infanterieregiment.


DR. STAHMER: In welchen Stellungen haben Sie an dem ersten Weltkrieg teilgenommen?


GÖRING: Wie ich eben sagte, zuerst als Leutnant in einem Infanterieregiment, bei den sogenannten Grenzschlachten. Ab Oktober 1914 wurde ich zunächst Flugzeugbeobachter. Im Juni 1915 wurde ich Flugzeugführer, zunächst Aufklärungsflugzeug, kurze Zeit Bombenflugzeug, und im Herbst 1915 wurde ich Jäger. Wurde schwer verwundet im Luftkampf. Nach Wiederherstellung wurde ich Führer einer Jagdstaffel, und nach dem Sturz Richthofens wurde ich Kommandeur des damals bekannten Jagdgeschwaders Richthofen.


DR. STAHMER: Welche Kriegsauszeichnungen?


GÖRING: Ich bekam zuerst das Eiserne Kreuz II. Klasse, dann das Eiserne Kreuz I. Klasse, dann den Zähringer Löwen mit Schwertern, den Karl-Friedrich-Orden, III. Klasse Hohenzollern mit Schwertern, und zum Schluß erhielt ich die höchste Auszeichnung, die möglich war, den Orden Pour le Mérite.


DR. STAHMER: Erzählen Sie dem Gericht, wann und unter welchen Umständen Sie mit Hitler bekannt wurden.


GÖRING: Ich möchte hier eine Voraussetzung vorweg schicken. Nach dem Zusammenbruch im ersten Weltkrieg mußte ich mein Geschwader demobilmachen. Die Aufforderung, in die Reichswehr einzutreten, lehnte ich ab, weil ich von vornherein in jeglichem Widerspruch mit der durch Revolution zur Macht gelangten Republik war. Ich hätte das nicht mit meiner Auffassung vereinbaren können. Ich ging sehr bald darauf ins Ausland, um mir dort eine Position zu schaffen. Nach wenigen Jahren zog es mich aber doch stark in die Heimat zurück. Ich verbrachte zunächst einen längeren Aufenthalt auf einer Jagdhütte in den Bergen und trieb dort Studien. Ich wollte in irgendeiner Weise am Schicksal meines Vaterlandes teilnehmen. Da ich als Offizier das aus den vorerwähnten Gründen nicht konnte und nicht wollte, habe ich zunächst einmal die Voraussetzung schaffen wollen und besuchte die Universität in München, um Staatswissenschaft und Geschichte zu studieren. Ich siedelte mich damals in der Nähe von München an und kaufte mir dort ein Haus für meine Frau. Als nun eines Tages, an einem [269] Sonntag im November oder Oktober 1922 die Auslieferungsbegehren unserer militärischen Führer wieder von der Entente gestellt worden waren, bei einer Protestkundgebung in München... Zu dieser Protestkundgebung ging ich als Zuschauer, ohne irgendeinen Zusammenhang zu haben.

Dort sprachen verschiedene Redner von Parteien und Verbänden. Zum Schluß wurde auch nach Hitler gerufen. Ich hatte den Namen vorher einmal kurz gehört und achtete nun darauf, was er sprechen wollte. Er lehnte ab zu sprechen, und es war ein reiner Zufall, daß ich in der Nähe stand und die Gründe der Ablehnung hörte. Er wollte die Einheitlichkeit der Kundgebung nicht stören, sah sich aber nicht in der Lage, zu den, wie er sich ausdrückte, zahmen »bürgerlichen Piraten« zu sprechen. Er sah es für sinnlos an, Proteste wegzuschicken, hinter denen überhaupt kein Nachdruck stand Das machte auf mich einen tiefen Eindruck. Dieselbe Auffassung hatte ich auch.

Ich erkundigte mich dann genauer und hörte, daß ich am Montag Abend darauf Hitler hören könnte, da er jeden Montag Abend eine Versammlung abhielt. Ich begab mich dorthin, und dort sprach Hitler im Zusammenhang mit dieser Kundgebung über Versailles, das Diktat von Versailles und die Ablehnung von Versailles.

Er sprach davon, daß solche leeren Proteste wie am Sonntag gar keinen Sinn haben, weil man darüber absolut zur Tagesordnung selbstverständlich übergehen würde. Daß ein Protest nur dann von Erfolg ist, wenn hinter ihm auch diejenige Macht steht, die dem Protest Nachdruck geben würde. Bevor Deutschland nicht stark werden würde, hätte es keinen Sinn.

Diese Auffassung war Wort für Wort mir aus der Seele gesprochen. Ich habe mich daraufhin an einem der nächsten Tage in die Geschäftsstelle der NSDAP begeben. Zu diesem Zeitpunkt kannte ich gar nichts von dem Programm der NSDAP und gar nichts, als daß es eine kleine Partei war. Ich hatte mir auch die anderen Parteien angesehen. Ich hatte, als die Nationalversammlung gewählt worden war, in damalig völlig unpolitischer Auffassung sogar demokratisch gewählt. Als ich dann sah, wen ich gewählt hatte, habe ich zunächst wieder Abstand von der Politik genommen. Nun sah ich hier endlich einen Mann, der ein ganz klares und festes Ziel vor Augen hatte. Ich wollte mit ihm zunächst nur sprechen, ob ich ihm in irgendeiner Weise helfen könnte. Er empfing mich sofort, und als ich mich ihm vorgestellt hatte, begrüßte er es außerordentlich, daß es eine Schicksalsfügung sei, daß er mit mir zusammenkäme. Wir sprachen sofort über das, was uns beide bewegte, das Darniederliegen des Vaterlandes, und daß man sich mit dem nicht abfinden könnte.

[270] Das Hauptthema bildete auch bei dieser Unterredung Versailles. Ich sagte ihm, daß er über meine Person in vollem Umfange und über das, was ich bin und habe, verfügen könnte in diesen für mich entscheidendsten und wesentlichsten Punkten meines ganzen Denkens: Kampf dem Diktat von Versailles.

Das zweite, was mir dabei außerordentlich stark auffiel und ich sehr stark in mir aufgenommen habe und durchaus als Voraussetzung empfand, war die Tatsache, daß er mir in längeren Ausführungen darlegte, es sei nicht möglich, unter den derzeitigen Verhältnissen nur mit dem, was sich heute als national betrachte, also seien es nun die politischen sogenannten nationalen Parteien oder solche, die sich noch als national bezeichneten, oder auch den damals vorhandenen Verbänden, Kampfverbänden, die Freikorps und so weiter, mit diesen alleine eine Umgestaltung in der Richtung eines starken nationalen Willens des deutschen Volkes hervorzurufen, solange die Masse der deutschen Arbeiterschaft dieser Auffassung ablehnend entgegenstände.

Man könne nur Deutschland wieder aufrichten, wenn man die Masse der deutschen Arbeiterschaft hinter sich brächte, und getragen nun wirklich von den breiten Schichten des Volkes, der Wille der Freiwerdung von den unerträglichen Fesseln des Diktates, und daß nur in der Vereinigung der nationalen Auffassung und einer sozialen Zielsetzung dies erreicht werden könnte.

Er gab mir damals zum ersten Male eine wundervolle und tiefe Erklärung des Begriffes Nationalsozialismus, der Vereinigung der beiden Begriffe Nationalismus auf der einen, Sozialismus auf der anderen Seite, und daß wir unbedingt die Träger sowohl des Nationalismus, die sich als solche bisher herausstellten, wenn ich so sagen soll, der bürgerlichen Welt, und des Sozialismus und der marxistischen Welt, daß wir denen die Begriffe wieder klarstellen müßten, und durch die Zusammenfassung beider Ideen in eine einzige auch eine neue Trägerschaft für diesen Gedanken schaffen müßten.

Wir gingen dann zur praktischen Seite über, indem er mich bat, ihn vor allen Dingen in einem Punkt zu unterstützen. Er hat innerhalb der Partei, so klein sie war, eine besondere Auswahl getroffen von solchen Leuten, die überzeugte Anhänger waren und auch jederzeit bereit waren, für die Ausbreitung unserer Idee sich voll und ganz und rückhaltlos einzusetzen. Ich wisse ja selbst, wie stark zur Zeit überall sowohl der Marxismus wie der Kommunismus wären, und daß eigentlich er sich erst in der Versammlung etwas durchsetzen hätte können, seitdem er einmal der Brachialgewalt der Versammlungsstörung die Brachialgewalt zum Schutze der Versammlung entgegengesetzt hätte. Zu diesem Zwecke hätte er die SA geschaffen. Die derzeitigen Führer waren zu jung, und er habe sich [271] die ganze Zeit schon umgesehen, hierfür einen Führer zu bekommen, der nach seiner Vorstellung aber in dem letzten Krieg, der erst wenige Jahre zurücklag, sich in irgendeiner Form hervorgetan haben müsse, so daß die notwendige Autorität gegeben sei. Er habe immer daran gedacht, entweder einen Pour le Mérite-Flieger oder einen Pour le Mérite-U-Bootmann für diesen Zweck zu bekommen, und nun erschien es ihm als ein besonderes Schicksal, daß ausgerechnet ich, als der letzte Kommandeur des Richthofengeschwaders, mich ihm zur Verfügung stellte.

Ich habe ihm gesagt, daß es mir an sich nicht so sehr angenehm wäre, gleich von Anfang an eine führende Stelle zu haben, da man sonst glauben könnte, daß ich nur wegen dieser Stellung käme. Wir kamen dann so überein, daß ich ein bis zwei Monate offiziell mich noch zurückhalten würde und dann erst die Führung übernehme, daß ich aber tatsächlich sofort meinen Einfluß geltend machen sollte. Das sagte ich zu, und so bin ich mit Adolf Hitler zusammengekommen.


DR. STAHMER: Wann war das?


GÖRING: Es war Ende Oktober oder Anfang November 1922.


DR. STAHMER: Ende Oktober?

GÖRING: Ende Oktober oder Anfang November 1922.


DR. STAHMER: Und dann traten Sie der Partei offiziell bei?


GÖRING: Ja, das war auch dasselbe Datum. Wenige Tage später schrieb ich mich auch ein.


DR. STAHMER: Welche Aufgaben übertrug Ihnen dann Hitler, und zwar zunächst einmal bis zum November 1923?


GÖRING: Die Aufgaben erwuchsen für mich eben aus meiner Stellung, wie es damals hieß, »Kommandeur der SA«. Es galt zunächst, die SA in ein festes Gefüge zu bringen, sie zu disziplinieren und sie zu einer absolut zuverlässigen Einheit zu gestalten, die die Befehle, die ich ihr geben würde beziehungsweise Adolf Hitler, auszuführen hatte. Bis dahin war das mehr ein Verein gewesen, der sich wohl sehr wacker herumschlug, aber noch nicht die notwendige Formung und Disziplin hatte.

Ich trachtete von Anfang an, in die SA jene Mitglieder aus der Partei hineinzubekommen, die jung und idealistisch genug gesinnt waren, ihre Freizeit und ihre ganze Persönlichkeit einzusetzen, denn es war damals sehr schwierig für diese braven Männer. Wir waren sehr klein, die Gegner weit überlegen. Sie wurden schon damals sehr großen Unannehmlichkeiten ausgesetzt und hatten auch allerhand zu erdulden.

[272] Zweitens versuchte ich, besonders in der Arbeiterschaft zu werben, weil mir klar war, daß ich gerade aus der Arbeiterschaft viele Mitglieder in die SA hineinbekommen wollte.

Gleichzeitig hatten wir nun selbstverständlich dafür zu sorgen, daß die Versammlungen der Partei, die sich damals auf München, bayerisches Oberland und Franken im allgemeinen beschränkten, tatsächlich einwandfrei durchgeführt werden konnten und jede Störung ausgeschlossen wurde. Das gelang in den meisten Fällen. Manchmal aber waren sehr starke Zusammenziehungen der Gegner vorhanden. Die eine oder andere Seite hatte aus der Kriegszeit noch Waffen und es ging also manchmal sehr kritisch zu, und man mußte die SA unter Umständen zur Verstärkung in andere Ortschaften schicken.

Im Laufe des Jahres 1923 bildete sich nun zwischen Bayern und dem Reich immer stärker und stärker der Gegensatz heraus. Man sah, daß die damalige Bayerische Regierung einen anderen Weg gehen wollte als die Reichsregierung. Die Reichsregierung war stark vom Marxismus beeinflußt, die Bayerische Regierung war frei davon, war bürgerlich.

Als nun in Bayern plötzlich die Regierung in eine ganz neue Form umgewandelt wurde dadurch, daß Bayern, ich glaube es hieß damals, daß ein Generalstatthalter oder so ähnlich eingesetzt wurde, es war von Kahr, dem die Bayerische Regierung unterstand und der alle Ermächtigungen seitens dieser Bayerischen Regierung hatte.

Kurz darauf kam es zum Reichswehrkonflikt. Die in Bayern stehende 7. Reichswehrdivision wurde von ihrem Reichseid, den sie auf die Reichsverfassung geleistet hatte, entbunden und auf die neue Bayerische Regierung, ich weiß den Namen jetzt nicht mehr, also auf von Kahr, vereidigt. Dies führte zum Konflikt der Generale von Seeckt und Lossow. Dasselbe geschah mit der bayerischen Polizei.

Gleichzeitig warb die Bayerische Regierung damals um die sogenannten nationalen Verbände, die zum Teil militärisch oder halb militärisch, wie man es nehmen will, organisiert waren, und auch Waffen besaßen. Und das Ganze war gerichtet gegen Berlin und, wie wir uns ausdrückten, die »Novemberrepublik«. Soweit konnten wir mitmachen.

Am Sonntag vor dem 9. November fand ein großer Aufmarsch in München statt. Die ganze Bayerische Regierung war da. Reichswehr, Polizei, vaterländische Verbände und auch wir marschierten vorbei. Plötzlich sahen wir bei dieser Gelegenheit, daß die Figur, die in den Vordergrund trat, nicht mehr Herr von Kahr war, sondern der bayerische Kronprinz Rupprecht. Das machte uns außerordentlich stutzig. Der Verdacht entstand bei uns, daß hier Bayern einen Weg gehen wollte, der womöglich zu einer außerordentlich starken [273] Lockerung führen, und daß Bayern aus dem Reichsgefüge kommen könnte. Uns lag aber alles andere ferner, als das zuzulassen. Wir wollten das starke Reich, das einheitliche Reich. Wir wollten es allerdings gesäubert von gewissen Parteien und Stellen, die es jetzt regierten.

Wir waren mißtrauisch geworden über den sogenannten Marsch nach Berlin. Als dies zur Gewißheit wurde und Herr von Kahr die bekannte Versammlung im Bürgerbräukeller einberufen hatte, waren es die letzten Stunden, um solche Pläne zu vereiteln und dem ganzen Unternehmen eine Richtung im großdeutschen Sinn zu geben. Und so kam es ganz kurzfristig zu den Ereignissen des 9. November 1923.

Was mich persönlich betrifft, so war ich – ich habe ja kein Hehl daraus gemacht – von Anfang an bereit, mich an jeder Revolution zu beteiligen, gleichgültig wo und von wem sie ausging, außer wenn sie von links gekommen wäre gegen den sogenannten Novemberstaat, und für diese Aufgaben hatte ich mich ja auch immer zur Verfügung gestellt.

Ich wurde dann, die Ereignisse sind ja bekannt, an der Feldherrnhalle schwer verwundet, und damit schließe ich dieses erste Kapitel ab.


DR. STAHMER: Wann traten Sie nach dieser Zeit mit Hitler dann wieder in Verbindung?


GÖRING: Zunächst war ich in Österreich im Lazarett, und es kam zu dem Prozeß vor dem bayerischen Volksgericht über den 9. November.


DR. STAHMER: Wer war angeklagt?


GÖRING: Angeklagt war in erster Linie Hitler und selbstverständlich die, die anwesend waren und gefaßt worden waren. Ich war in schwerverwundetem Zustand mehrere Tage in Oberbayern gewesen, dann an die Grenze gebracht worden, bin dort verhaftet worden, und die bayerische Polizei hat mich dann an einer anderen Stelle wieder hinübergebracht. Ich fragte Hitler damals, ob ich zu dem Prozeß erscheinen sollte; er bat mich dringendst, dies nicht zu tun, und das war gut. Auf diese Weise konnte der Prozeß nicht hinter verschlossenen Türen geführt werden, weil ich die Erklärung abgegeben hatte, wenn das geschehen würde, würde ich meinerseits zu dem Prozeß eine dementsprechende Veröffentlichung geben.

Ich bin dann nach meiner Wiederherstellung ein Jahr in Italien gewesen, ungefähr ein Jahr, dann weiter im Ausland.

Im Jahre 1926 oder 1927 kam eine Generalamnestie für die ganzen, bis dahin nicht nur von uns, sondern auch von linker Seite, von Bauernseite, diese verschiedenen illegalen, wenn ich so sagen soll, Ereignisse, die eingetreten waren, für alle diese Leute kam [274] damals eine Amnestie, und ich konnte nach Deutschland zurückkehren.

Ich traf Hitler wieder 1927 zum ersten Male zu einer kürzeren Besprechung in Berlin, wo er anwesend war. Ich war damals aber nicht zu dieser Zeit bei der Partei tätig, sondern ich wollte mir erst wieder eine unabhängige Position schaffen. Dann habe ich mit Hitler monatelang nicht mehr Berührung gehabt. Kurz vor den Maiwahlen des Deutschen Reichstages 1928 ließ mich Hitler kommen und sagte, er wünschte mich als Reichstagsabgeordneten unter den ersten Abgeordneten aufzustellen, ob ich einverstanden wäre; ich sagte jawohl, und ob ich wieder meine Tätigkeit verstärkt der Partei...


DR. STAHMER: Eine Frage; waren Sie inzwischen bei der SA eingetreten?


GÖRING: Nein, mit der SA hatte ich dann nichts mehr zu tun, die SA war mittlerweile neu besetzt worden, es war nur verständlich, daß der neue Führer der SA, von Pfeffer, seine Position behalten wollte und es nicht gerne sah, wenn ich eine engere Berührung mit der SA hätte.


DR. STAHMER: Also Sie hatten nach 1923 nicht wieder ein Amt in der SA gehabt, eine Stellung in der SA gehabt?

GÖRING: Nach 1923 hörte meine aktive Stellung in der SA auf. Erst nach der Machtergreifung, zu einem späteren Zeitpunkt, wie die sogenannten Ehrenämter geschaffen wurden, bekam ich den höchsten Rang der SA, ehrenamtlich. Aber ich kehre zurück. 1928 wurde ich in den Reichstag gewählt und trat dann von da ab als Redner im Land für die Partei auf. Die SA war, ich weiß nicht in welchem Jahre, wieder errichtet worden, und sie war jetzt nicht mehr auf Bayern beschränkt, sondern auf das ganze Reich ausgedehnt worden.


DR. STAHMER: War sie nach 1923 verboten?


GÖRING: Nach 1923 war sie zunächst verboten.


DR. STAHMER: Wann wurde das Verbot aufgehoben?


GÖRING: Das kann ich nicht genau sagen, jedenfalls zu einem Zeitpunkt, wo ich noch nicht in Deutschland war.

Jedenfalls hatte sie sich ausgebreitet über ganz Deutschland und war nun dringend notwendig. Die Parteien damals, die größeren, hatten alle sogenannte Kampfverbände. Ich erinnere mich daran, besonders aktiv war die Rote Front, Zusammenfassung des Kampfverbandes der Kommunisten, unsere schärfsten Gegner, mit denen es fortgesetzt Zusammenstöße gab, und die unsere Versammlungen sehr häufig zu sprengen versuchten. Es gab daneben das Reichsbanner, das war die Organisation der Sozialdemokratie, der Demokratischen Partei, es gab dann den Stahlhelm, das war eine [275] rechtsgerichtete nationale Organisation, und dann gab es unsere SA, die hier in demselben Zusammenhang zu nennen ist.

Ich möchte gerade betonen, daß damals die SA oft sehr schwer zu leiden hatte. Der SA-Mann kam im allgemeinen von der breiten Masse, es waren kleine Angestellte, es waren Arbeiter, Männer, die nur aus idealistischer Einstellung gekommen waren, die den Dienst nachts und abends versehen mußten, ohne irgend etwas dafür zu bekommen, die nur ihr wirklicher Glaube an das Vaterland dazu befähigt hat. Sie wurden oft aufs schwerste verletzt, eine Reihe von ihnen wurde erschossen bei diesen Zusammenstößen, sie wurden von der Regierungsseite verfolgt. Sie konnten nicht Beamte sein, oder ein Beamter konnte nicht in der SA sein. Sie hatten einen ungeheuren Druck auszuhalten.

Ich möchte besonders betonen, daß ich immer mit größter Achtung und Liebe zu diesen Männern gestanden habe, zu den SA-Männern, die nicht, wie es hier dargestellt worden ist, nur entschlossen waren, etwas Grausames zu tun, sondern daß es Männer waren, die wirklich für ihren Idealismus, ihre Ziele sich freiwillig schwersten Prüfungen und schwersten Drangsalierungen aussetzten und auf vieles verzichteten, um ihre Ideale durchzusetzen.


DR. STAHMER: Wie war Ihre Stellung in der Partei in der Zeit vom Jahre 1928 bis zur Machtübernahme?


GÖRING: Ich hatte kein Amt in der Partei. Ich war niemals in der Partei – das ist vielleicht eigenartig – ein Politischer Leiter, weder in der Reichsleitung noch sonst irgendwie. Ich war zunächst, wie ich sagte, Reichstagsmitglied und damit Mitglied der Fraktion der Partei und war gleichzeitig Redner, das heißt, ich fuhr von Stadt zu Stadt und versuchte, was ich nur irgendwie tun konnte, die Partei auszubreiten, zu verstärken, neue Mitglieder zu werben, zu überzeugen, besonders von den marxistischen und kommunistischen Anhängern zu uns herüberzubringen, um das breite Fundament des Volkes zu schaffen und nicht nur rechtsstehende Kreise, die an sich national waren, zu besitzen.

Ich war ab 1932 dann, Mitte 1932, nachdem wir zahllose Wahlen durchzumachen hatten und für alle diese Wahlen immer wieder in den Wahlkampf gehen mußten, zum Beispiel Reden halten mußten, oft drei an einem Abend, oft die ganze Nacht durch, wurde ich als Mitglied, oder besser gesagt, da unsere Partei als stärkste in den Reichstag einzog, zum Reichstagspräsidenten gewählt, und damit übernahm ich ja nun auch eine allgemeine politische Aufgabe.

Kurz vorher, Ende 1931, als ich schon sah, daß die Partei außerordentlich stark gewachsen und im Zunehmen war, sprach der Führer mit mir einmal darüber, daß er gern, unabhängig von einem Parteiamt, einen direkten Vertreter haben möchte, der politische[276] Verhandlungen führen könnte, und zwar sollte der nicht in irgendeinem Parteiamt gebunden sein, er fragte mich, ob ich das übernehmen wollte, da ich ja zu dieser Zeit sowieso in der Reichshauptstadt wohnte.

Ich übernahm diesen Auftrag – es war kein Amt, es war ein Auftrag –, er war ganz generell. Mit wenigen Sätzen gab er mir die Freiheit, mit allen Parteien, von den Kommunisten angefangen, bis zur äußersten Rechten zu verhandeln, sagen wir mal für gewisses gemeinsames Vorgehen im Reichstag, oder sonst irgendwie geeignete politische Schritte zu unternehmen. Selbstverständlich erhielt ich auch den Auftrag dabei, für die Ausdehnung und die Durchdringung unserer Ideen in allen Kreisen zu wirken. Dazu gehörten, wie das schon angegeben worden ist, die Industrie, geistige Kreise. Da ich zu allen diesen Kreisen Verbindung hatte, Zugang hatte, war es ja selbstverständlich, daß ich dem Führer hierfür geeignet erschien, zumal der Führer sich auf mich in dieser Richtung absolut verlassen konnte und wußte, daß ich mit aller Kraft fähig war, unsere Ideen voranzutragen.

Als ich nun Reichstagspräsident wurde, wurde mein Amt außerordentlich in dieser Eigenschaft erleichtert; denn nun war ich auch sozusagen legal autorisiert, verpflichtet sogar, in die politischen Ereignisse mit eingeschaltet zu sein. Wenn zum Beispiel eine Regierung im Reichstag abtrat oder durch Mißtrauen gestürzt wurde, so war es mein Amt als Präsident des Reichstages, dem Reichspräsidenten vorzuschlagen, welche Möglichkeiten einer neuen Regierungskombination nach meiner Auffassung, nach vorheriger Verhandlung mit den Parteien, denkbar wäre. Es war also so, daß der Herr Reichspräsident verpflichtet war, mich auf jeden Fall in dieser Eigenschaft jederzeit zu empfangen. Ich konnte also mit dem Reichspräsidenten eine engere Verbindung herstellen.

Ich möchte aber betonen, daß diese Verbindung bereits vorher bestand. Es war selbstverständlich, daß der Feldmarschall von Hindenburg, wenn ich darum bat, aus der Erinnerung an den ersten Weltkrieg, wo er mich kannte, für mich auch zu sprechen war.


DR. STAHMER: Worin bestand Ihre Mitwirkung bei der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler?


GÖRING: Ich möchte vorher noch aufklären. Wenn ich sagte, daß ich kein Amt in der Partei gehabt habe, kein politisches Amt, so war trotzdem natürlich meine Stellung und Position besonders seit Ende 1931, seitdem ich mehr und mehr unmittelbar mit dem Führer zusammenarbeitete und als sein Sonderexponent galt, allmählich stärker und stärker geworden, aber nur auf der Grundlage der normalen und natürlichen Autorität, die sich nach der Machtergreifung ganz erheblich steigerte.

[277] Nun die Mitwirkung bei Ernennung Hitlers. Hier muß ich, wenn ich das dem Hohen Gericht erklären soll, die Situation kurz vorher schildern. Es war das Gleichgewicht in den parlamentarischen Parteien schon Ende 1931 gestört, Anfang 1932. Es ging in Deutschland sehr schlecht, und es konnte keine richtige haltbare parlamentarische Mehrheit eigentlich geschaffen werden; und schon damals begann ja das Regieren mit dem Ermächtigungsgesetz, mit der Ausschaltung auch zum Teil der Verfassung.

Ich erinnere nur an das Kabinett Brüning, das schon stark mit Ermächtigungsgesetzen arbeiten mußte, das seinerzeit schon stark mit dem Paragraphen 48 der Reichsverfassung arbeitete. Danach kam dann das Kabinett von Papen, das auch nicht auf einer parlamentarischen Grundlage, auf einer dauernden oder festeren Grundlage, fußen konnte. Herr von Papen versuchte damals, das zustandezubringen, und stellte, um eine parlamentarische Grundlage zu bekommen, auch an die damals stärkste Partei der Nationalsozialisten die Aufforderung, mit den anderen eine solche Grundlage herzustellen. Es wurde damals davon gesprochen – er war als Reichskanzler vom Präsidenten nominiert –, daß Hitler in diesem Kabinett Vizekanzler werden sollte.

Ich erinnere mich, daß ich damals Herrn von Papen erklärte, Hitler könne alles mögliche werden, aber niemals Vize –; wo immer er etwas werden würde, müßte er selbstverständlich der Höchste sein, und es wäre völlig undenkbar und für uns völlig untragbar, daß wir unseren Führer zu irgendeiner Vizestellung zur Verfügung stellen würden. Wir hätten damals die Rolle gespielt, daß regiert worden wäre, gar nicht in unserem Sinne womöglich, und Hitler hätte dann als Vertreter der stärksten Partei diese Dinge decken müssen. Wir lehnten dies ganz kategorisch ab.

Ich betone das nicht, weil Herr von Papen mit mir auf der Anklagebank sitzt, er weiß es, daß wir ihm persönlich nie die Achtung versagt haben, aber ich sagte ihm damals, nach Scheiterung dieses Begehrens, daß wir ihn nicht nur nicht unterstützen würden, sondern daß wir sein Kabinett auf das schärfste im Reichstag bekämpfen würden, wie wir jedes Kabinett konsequent bekämpfen würden, das uns nicht führenden Einfluß in der Kanzlerschaft einräumte.

Es kam dann mit Herrn von Papen, ich weiß nicht wieviele Monate er regierte, ich erinnere mich nicht genau, zu jenem bekannten Zusammenstoß zwischen mir und ihm, er als Reichskanzler, ich als Reichstagspräsident, wo es mir darauf ankam, seine Regierung zu stürzen, und ich wußte, daß von den Kommunisten ein Mißtrauensantrag lief, bei dem so ziemlich alle mitmachen würden. Es kam nur darauf an, daß dieses Mißtrauensvotum unter allen Umständen ausgesprochen wurde, und den Reichspräsidenten zu [278] veranlassen und zu zeigen, daß mit solchen Kabinetten, ohne irgendeine starke Rücklage, nicht regiert werden konnte. Ich sah die rote Mappe und wußte, daß da die Auflösungsorder drin ist, ließ aber die Abstimmung vorher durchführen. Es gab ein Ergebnis von 32 Stimmen für Papen und etwa 500 gegen ihn. Das Kabinett von Papen trat zurück.

Bis dahin hatten nun alle Parteien Kabinette gestellt, wenn ich von den paar kleinen Splitterparteien absehe. Alle Männer, die irgendwie zur Verfügung waren, waren schon mal dem Volk präsentiert. Zum Schluß hatte immer mehr und mehr die politische Figur hinter den Kulissen der damalige Reichswehrminister, Herr von Schleicher, abgegeben, und es gab deshalb nur zwei Möglichkeiten: entweder es wurde die Konsequenz gezogen aus dem tatsächlichen Machtverhältnis und der Führer der stärksten Partei, wie das ja sonst üblich ist, in die Verhandlung gebracht und damit betraut, oder aber der Kulissenzieh er, das letzte, was noch übrig blieb, wurde herausgestellt, und das geschah. Herr von Schleicher übernahm selbst die Kanzlerschaft in Verbindung, was wichtig ist, mit dem Amt des Reichswehrministers; und es war uns allen klar, nicht nur uns, sondern auch den anderen Parteien, daß das Ziel, nachdem Herr von Schleicher, der ja noch viel weniger wie Herr von Papen persönliche Sympathien besaß, eine Mehrheit zustandebringen konnte, die Militärdiktatur letzten Endes von Schleicher beabsichtigt war. Ich hatte Verhandlungen mit Herrn von Schleicher und hatte ihm gesagt, es sei in diesem Augenblick sogar möglich, eine parlamentarische Mehrheit zu bilden. Es war in Besprechungen mir möglich gewesen, Deutschnationale, Nationalsozialisten, Zentrum, Deutsche Volkspartei und kleinere Anhängsel zusammenzubringen und eine Mehrheit zu bilden. Mir war persönlich klar, daß solch eine Mehrheit nur vorübergehend sein konnte. Dazu waren die Interessengegensätze viel zu groß. Mir war es ja aber auch gleichgültig, ob ich auf diesem oder jenem Weg unsere Partei an die Macht brachte, wenn über die parlamentarischen Verhandlungen, einverstanden, wenn durch die Berufung des Reichspräsidenten, um so besser.

Diese Verhandlung durchkreuzte Herr von Schleicher, weil er wußte, daß er dann ja nicht Kanzler bleiben konnte. Es gab dann wieder Ausnahmegesetze, Ermächtigungsgesetze. Das Parlament war also vor unserer Machtergreifung bereits mehr oder weniger ausgeschaltet.

Ich habe sofort auch Herrn von Schleicher ebenfalls die gleiche Kampfansage im Parlament gegeben, noch viel schärfer wie vorher Herrn von Papen. Es war mittlerweile die Präsidentenwahl gewesen, und nach der Präsidentenwahl eine Reichstagswahl, bei der wir nach Auflösung des Kabinetts Papen einige Sitze verloren haben. Wir waren von 232 Sitzen auf 196 zurückgegangen. Nun kamen neue [279] Wahlen im Januar, die wieder ein außerordentliches Ansteigen der Partei zeigten und bewiesen, daß die kurze Krise überwunden war und die Partei im stärkeren Ansteigen denn jemals vorher war.

Es war am Sonntag, der 30. war ein Montag, also am Sonntag, den 22. Januar 1933, befand ich mich in Dresden auf einer großen politischen Versammlung am Vormittag, als ich vom Führer angerufen wurde, ich möchte per Auto augenblicklich nach Berlin kommen. Ich traf am Nachmittag ein, und er unterrichtete mich darüber, was ich ja schon wußte, daß der Reichspräsident mit Schleicher nicht mehr zufrieden war und sah, daß die Dinge politisch so nicht weitergehen konnten, es kam zu nichts; und daß der Reichspräsident von sich aus nun doch dem Gedanken nähergetreten war, die stärkste Partei nun irgendwie in die Verantwortung einzuschalten; denn vorher war immer in sehr geschickter Form gegen den Führer persönlich bei dem alten Herrn eine falsche Vorstellung erweckt worden, und er hatte eine – er stieß sich wohl auch an dem Wort Sozialismus – Voreingenommenheit, weil er das in einem anderen Zusammenhang verstand.

Kurzum, an diesem Tage eröffnete mir Hitler, daß ich am Abend in der Wohnung des Herrn von Ribbentrop mit dem Sohn des Feldmarschalls sprechen sollte. Es würde auch da sein, ich glaube, Herr von Papen und Meißner, das weiß ich nicht, er war der Staatssekretär des Reichspräsidenten. Der Sohn wollte sich im Auftrage seines Vaters erkundigen, wie nun und welche Möglichkeiten gegeben wären bei einer Kanzlerschaft von Hitler und bei Einschaltung der Partei in die Verantwortung.

Ich erklärte dann in einem längeren Gespräch dem Sohne, daß er seinem Vater sagen möge, er würde mit Schleicher absolut Schiffbruch erleiden aus diesen oder jenen Gründen, erörterte ihm dann die neuen Voraussetzungen einer neuen Regierungsbildung, und hörte nun als Wunsch des Feldmarschalls, daß er schon bereit sein würde, Adolf Hitler mit der Kanzlerschaft zu betrauen und die Partei damit als das Hauptfundament der künftigen Regierungsmehrheit anzusehen, wenn es Adolf Hitler bei dieser Gelegenheit allerdings gelingen würde, künftig die Deutschnationalen und den Stahlhelm ebenfalls mit hereinzunehmen, denn er wollte dann eine klare nationale Basis sehen. Nun war der Stahlhelm ja nicht eine parlamentarische Partei, aber er hatte sehr viele Anhänger. Die Deutschnationalen unter Hugenberg waren eine parlamentarische Partei.

Sehr viel mehr wurde an diesem Abend nicht gesprochen. Ich sagte dem Sohn Hindenburgs, er könne seinem Vater sagen, daß ich das zweifelsohne zustandebringen würde, und der Führer gab mir den Auftrag, in der kommenden Woche die Verhandlungen mit [280] diesen Parteien einerseits, dem Reichspräsidenten andererseits, zu führen. Es gab Schwierigkeiten da und dort. Ich fand, daß die Einräumung unserer...


VORSITZENDER: Wir werden jetzt für zehn Minuten unterbrechen.


[Pause von 10 Minuten.]


DR. STAHMER: Sie behandelten die Frage Ihrer Mitwirkung bei der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Wollen Sie damit fortfahren?

GÖRING: Ich war bei der letzten entscheidenden Epoche angekommen. Die Verhandlungen werden deshalb etwas schwierig, weil der Feldmarschall Reichspräsident von Hindenburg, der den Führer bis dahin nur aus zwei Unterredungen persönlich kannte, und dem gegenüber er ein durch lange Jahre von verschiedensten Seiten immer wieder genährtes Mißtrauen oder hervorgerufenes Mißtrauen noch nicht überwunden hatte, weil er ihn nicht kannte, damals einige starke Einschränkungen gefordert hatte, so daß wir als die stärkste und nun tragende Partei, die die künftigen Maßnahmen dem Volke gegenüber zu verantworten hatte, verhältnismäßig sehr eingeschränkt und, für unsere Stärke, schwach in der Regierung vertreten sein würden.

Man darf nicht vergessen, daß zu diesem Augenblick Deutschland auf dem Tiefpunkt seiner Abwärtsentwicklung stand. Acht Millionen Arbeitslose, alle Programme hatten versagt, kein Zutrauen mehr zu den Parteien, ein außerordentlich starkes Anwachsen der revolutionären linken Seite, politische Unsicherheit. Es waren also Maßnahmen notwendig, die, wenn wir zur Regierung kommen, vom Volk von uns erwartet wurden, und die wir zu vertreten hatten. Es war deshalb eine schwere Belastung bei der Übernahme einer solchen Verantwortung, so starke politische Einschränkungen auferlegt zu bekommen.

Erste Auflage: Der Reichspräsident wünschte unter allen Umständen, daß Herr von Papen Vizekanzler in diesem Kabinett würde. Neben der sympathischen Persönlichkeit des Herrn von Papen brachte er uns nichts mit, denn hinter ihm stand keine Partei. Der Reichspräsident aber verlangte darüber hinaus, daß Herr von Papen bei den Vorträgen, die ihm der Führer nach seiner Ernennung zum Reichskanzler halten mußte, dabei sein sollte. Dies aber wurde sehr rasch aufgegeben, und zwar von seiten des Reichspräsidenten selbst.

Zweitens verlangte der Reichspräsident, daß das Außenministerium, unabhängig wiederum von jeder Partei, durch Herrn von Neurath zu besetzen wäre. Auch Herr von Neurath brachte außer seinem Wissen und Können nichts an politischer Macht für uns mit.

[281] Drittens sollte der Posten des preußischen Ministerpräsidenten, der nächst dem Reichskanzler immer im Deutschland der Nachweltkriegszeit der wichtigste war, ebenfalls in Personalunion durch Herrn von Papen besetzt werden. Vor dem Weltkrieg war, wie bekannt, aus diesen Gründen der Reichskanzler und preußische Ministerpräsident immer in einer Personalunion verbunden.

Viertens verlangte der Herr Reichspräsident, daß der Reichswehrminister ebenfalls durch eine unabhängige Persönlichkeit, und zwar durch einen Soldaten besetzt werden sollte, und er selbst wählte ihn ohne jedes Zutun von unserer Seite aus, und zwar in der Person des Generals von Blomberg, der damals bei der Abrüstungskonferenz in Genf weilte. Herr von Blomberg war weder dem Führer noch mir persönlich zu diesem Zeitpunkt bekannt.

Waren also somit schon erhebliche und entscheidende, wichtigste Posten im Kabinett von Persönlichkeiten besetzt, auf deren Auswahl wir keinerlei Einfluß hatten, so steigerte sich das im Laufe der Woche durch weitere Forderungen. Es wurde verlangt, daß die Finanzen, Finanzministerium, durch Graf Schwerin-Krosigk besetzt werden sollte, wiederum ein Mann ohne jeden Rückhalt von einer politischen Partei; das Verkehrsministerium durch Herrn von Eltz; ebenfalls trifft hier dasselbe zu. Der Führer des Stahlhelm, Seldte, sollte in das Kabinett genommen werden. Gewiß war der Stahlhelm eine umfassende und große Bewegung, aber doch nicht politisch und durch keinen einzigen Abgeordneten im Parlament vertreten.

Blieb als letztes, als wirklich politische Partei, nur die Deutschnationale mit 36 Stimmen übrig, als einziger parlamentarischer Alliierter, wenn ich so sagen darf. Auch hier wurden außerordentliche Forderungen, die in keinem Verhältnis zu der Kleinheit der Partei standen, gestellt.

Zum Schluß bekamen wir, als die stärkste Partei von damals, 232 Sitze, so viel ich mich erinnere, nur – selbstverständlich – den Reichskanzler, dann kam Dr. Frick als Reichsinnenminister in das Kabinett und als Dritter ich, zunächst ins Reichskabinett, mit der Beauftragung eines Reichskommissars für die Luftfahrt, also eines ganz untergeordneten, kleinen Ressorts, einer Absplitterung einer kleinen Abteilung Luftfahrt vom Verkehrsministerium, sonst kein Ressort. Aber ich setzte dann durch, daß ich wenigstens unbedingt preußischer Innenminister und damit politischer Minister des größten deutschen Landes wurde, da Preußen ja doch letzten Endes Ausgangsposition für die innere Machtergreifung war. Es war also eine außerordentlich schwierige Angelegenheit. Im letzten Augenblick drohte die Kabinettsbildung durch zwei Faktoren zu scheitern. Der Führer hatte als eine unbedingte Forderung aufgestellt, daß kurz nach der Ernennung des neuen Kabinetts eine neue Reichstagswahl stattfinden sollte, in der richtigen Erkenntnis, daß die [282] Partei aus ihr außerordentlich gestärkt hervorgehen würde und somit womöglich die Mehrheit allein darstellen konnte und auch parlamentarisch die Regierungsplattform damit bildete.

Diesem widersprach Hugenberg als Führer der Deutschnationalen absolut, in der richtigen Erkenntnis, daß seine Partei voraussichtlich mehr oder weniger bei dieser Wahl verschwinden würde.

Noch fünf Minuten vor Zustandekommen des Kabinetts drohte dieses aus diesem Grunde auseinanderzufallen. Es war ein reiner Zufall, daß in diesem Augenblick der Reichspräsident die Vereidigung der neuen Minister vornahm, und so war das Kabinett gebildet.

Die zweite Gefahr drohte von Schleicher, der am Sonntag durch seinen Vertrauten dem Führer und mir folgendes Angebot machte: Er wollte betonen, daß der Reichspräsident kein sicherer Faktor für die neue Regierung sei. Es wäre zweckmäßiger, er würde sich, er sei zwar am Tage vorher verabschiedet worden, mit uns zusammentun, um nunmehr ganz klar auf einer nicht irgendwie parlamentarischen Basis, sondern auf einer vollkommen neuen Situation der Verbindung Reichswehr-NSDAP eine Regierung zu bilden.

Der Führer lehnte das in der richtigen Erkenntnis, daß dies unmöglich sei und auch nicht ehrlich gemeint war, ab.

Als Herr von Blomberg am Montag Morgen von Genf auf dem Bahnhof eintraf, erhielt er zwei Befehle, den einen von Herrn von Hammerstein, dem Chef der Heeresleitung und seinem Vorgesetzten, sofort zu ihm zu kommen, den zweiten von Hindenburg, seinem Oberbefehlshaber, sofort zu ihm zu kommen.

Es drohte damals, was wenig bekannt war, ein Putsch von seiten Schleicher-Hammerstein mit der Potsdamer Garnison.

Ich habe Herrn von Hindenburg, den Reichspräsidenten, Sonntag Abend darauf aufmerksam gemacht, und das war der Grund, weshalb Herr von Blomberg zwei Stunden vor dem übrigen Kabinett zum Kriegsminister oder damals Reichswehrminister ernannt wurde, um damit jedes falsche Eingreifen der Reichswehr auszuschalten.

Um 11.00 Uhr am 30. vormittags war das Kabinett gebildet und Hitler zum Reichskanzler ernannt.


DR. STAHMER: War die Partei somit nach Ihrer Ansicht legal zur Macht gekommen?


GÖRING: Selbstverständlich war die Partei durchaus legal zur Macht gekommen, denn sie war nach der Verfassung vom Reichspräsidenten berufen und hätte nach den Grundsätzen, geltenden Grundsätzen, schon viel früher berufen werden müssen. Sie kam zu ihrer Stärke nur auf dem Weg der normalen Wahlen und des damals geltenden Wahlgesetzes zur Macht.


[283] DR. STAHMER: Welche Maßnahmen wurden nun getroffen, um nach Hitlers Ernennung die Macht zu festigen?


GÖRING: Es war selbstverständlich für uns, daß, wenn wir einmal an die Macht kommen würden, wir entschlossen waren, diese Macht unter allen Umständen zu behalten. Wir wollten ja nicht die Regierungsgewalt und die Macht um der Macht willen, sondern wir brauchten die Macht und die Regierungsgewalt, um Deutschland frei und groß zu machen. Das wollten wir nicht mehr dem weiteren Spiel von Zufälligkeiten, Wahlen und parlamentarischen Mehrheiten überlassen, sondern diese Aufgabe, zu der wir uns berufen fühlten, wollten wir dann durchführen.

Um nun die Macht zu festigen, war es notwendig, einen Umbau in den politischen Machtverhältnissen vorzunehmen. Das geschah dadurch, daß kurz nach der Übernahme der Regierungsgewalt im Reich und in Preußen, die anderen Länder automatisch nachfolgten und dort überall mehr oder weniger starke nationalsozialistische Regierungen sich bildeten.

Zum zweiten mußten, wie das überall üblich ist, selbstverständlich die sogenannten politischen Beamten, die nach der Reichsverfassung jederzeit zur Disposition gestellt werden konnten, beziehungsweise verabschiedet werden konnten, gemäß dem üblichen Brauch nun von der stärksten Partei besetzt werden.

Zur Legalität, das heißt, zu dem Begriff, daß wir legal zur Macht gekommen sind, möchte ich noch zwei Momente ganz besonders unterstreichen.

Erstens: Zwischen den Jahren 1925 und 1932 haben nicht weniger als 30 Reichstags-, Landtags-, Präsidentenwahlen stattgefunden in Deutschland. Daß allein bei einer Reichstagswahl 37 Parteien kandidierten, mag hier ein Bild dafür geben, daß es vorkommen konnte, daß eine starke Gruppierung die sogenannte Regierungsmehrheit bildete, eine andere starke Gruppierung die Opposition, und zwar aus total verschiedenen Gesichtspunkten. Ich erinnere an die Opposition, gemeinsam gemacht von Kommunisten und Nationalsozialisten zum Beispiel, und daß eine kleine Partei, die ganz kleine acht Abgeordnete hatte, nun das Zünglein an der Waage war, und in zwei Lesungen jedes Gesetzes, besonders ein entscheidendes Gesetz mußte ja drei Lesungen durchmachen, gegen die Regierung stimmte, und von der dritten entscheidenden Lösung sich genügend politische und materielle Vorteile zusichern ließ, um das Gesetz für die Regierung durchzubringen, mag auch ein Spiegelbild sein für die Verhältnisse.

Das zweite aber, was ich besonders nun unterstreichen möchte, für die Legalität, wie wir zur Macht gekommen sind, ist dieses: Würde in Deutschland das demokratische Wahlsystem Englands oder der Vereinigten Staaten von Amerika bestanden haben, dann[284] hätte die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei bereits Ende 1931 sämtliche Reichstagsabgeordnetensitze ohne Ausnahme legal besetzt. Denn in jedem Wahlkreis Deutschlands war zu diesem Zeitpunkt, spätestens Anfang 1932, in jedem, ich betone noch einmal, die NSDAP die stärkste, das heißt also, nach dem Wahlsystem Großbritanniens wie der Vereinigten Staaten würden alle schwächeren Parteien gefallen sein, und wir hätten von diesem Zeitpunkt ab ausschließlich nur Nationalsozialisten auf vollkommen legalem Weg, nach demokratischen Grundprinzipien der beiden größten Demokratien, im Reich gehabt.

Zur weiteren Machtergreifung wurden nun ebenfalls, wie das in anderen Ländern der Fall ist, wenn sich dort eine Machtverschiebung in den politischen Parteien ergeben hat, politische Hauptdienststellen umbesetzt.

Dieses waren neben den Ministern in erster Linie, ich nehme Preußen, die Oberpräsidenten der Provinzen, die Regierungspräsidenten der Regierungsbezirke, die Polizeipräsidenten, die Landräte, dann gilt noch ein gewisser Grad, ich glaube bis zum Ministerialdirektor, als politischer Beamter, Staatsanwälte gelten als politische Beamte. Damit war im großen und ganzen der Kreis, der bei einer politischen Umschichtung neu besetzt wurde und früher zwischen den Mehrheitsparteien ausgehandelt wurde, ungefähr bezeichnet. Es ging nicht so weit, wie in anderen Ländern, bis zum Postboten hinunter.

Es kam zu einer Umgruppierung, zu einem Wechsel, aber nur der wichtigen Posten. Trotzdem haben wir zunächst in dieser Richtung wenig unternommen. Als erstes forderte ich und bat ich Herrn von Papen, mir den Posten des preußischen Ministerpräsidenten zu überlassen, da ja nicht gut er, der keine Partei hinter sich hatte, sondern nur ich, beziehungsweise einer von uns, diese Umgruppierung vornehmen konnte. Wir einigten uns sofort. Ich besetzte darauf einen Teil, einen verhältnismäßig geringen Teil der Oberpräsidenten mit Nationalsozialisten. Ich besetzte zu derselben Zeit, ich ließ sogar noch großzügigerweise wochenlang Sozialdemokraten Oberpräsidenten sein, ich besetzte einige wichtige Provinzen mit führenden katholischen Persönlichkeiten, die der Zentrumspartei jedenfalls erheblich näher standen als uns. Aber langsam, nach und nach, wurden im Laufe der Zeit, der Jahre selbstverständlich, was gar nicht anders sein konnte in der weiteren Umstellung, diese Posten durch Nationalsozialisten, soweit es sich um Oberpräsidenten handelte, besetzt, weil diese ja gleichzeitig übereinstimmten mit den politischen Gauen. Regierungspräsidenten blieben noch bis zum Schluß zum Teil Nationalsozialisten, zum Teil aber reine Beamte. Dasselbe gilt für Landräte.

Bei den Polizeipräsidenten möchte ich zur Klärung des Gerichts betonen: Polizeipräsident hat zunächst mit Gestapo nichts zu tun. [285] Polizeipräsident war in den größeren Städten das, was der Landrat auf dem Lande war, ein Teil wenigstens davon. Diese Polizeipräsidenten waren von den größten Parteien bis zur Machtergreifung immer besetzt worden. Ich fand hier also Sozialdemokraten vor, die mit dem besten Willen als unsere fortgesetzten Gegner bis dato nicht bleiben konnten; das wäre ja absurd gewesen. Ich habe diese Polizeipräsidenten zum Teil mit Nationalsozialisten besetzt, zum Teil aber mit Leuten, die mit der Partei nichts zu tun hatten. Ich erinnere daran, den wichtigsten Polizeipräsidenten im ganzen Deutschen Reich, den von Berlin, besetzte ich mit dem Admiral außer Dienst von Levetzow, der nicht der Partei angehörte. Einen Teil besetzte ich mit ehemaligen SA-Führern.

Es kam dann zur Machtbefestigung, an der selbstverständlich nicht nur mir sondern uns außerordentlich gelegen war, denn sie mußte die Voraussetzung für unsere weitere Arbeit bilden, ein weiterer verstärkter Einfluß im Reichskabinett. Es kamen neue Nationalsozialisten in Ministerposten. Es wurden neue Ministerien geschaffen. Dazu kamen eine Reihe von grundlegenden neuen Gesetzen.

Es war wohl keinem unklar, der sich irgendwie mit den deutschen Verhältnissen befaßt hatte, weder im Ausland noch vor allem im Inland, es konnte kein aber auch nur geringster Zweifel darüber bestehen, daß wir so rasch wie möglich mit der Kommunistischen Partei Schluß machen würden. Es war eine absolute Folge zwangsläufiger Art, daß diese verboten wurde. Wir waren der Überzeugung, daß, wenn es der Kommunistischen Partei, die nach uns die stärkste war, gelungen wäre, zur Macht zu kommen, sie be stimmt keine Nationalsozialisten weder in ihr Kabinett genommen hätte noch sonst geduldet haben würde. Wir waren uns im klaren, daß wir auf ganz andere Weise beseitigt werden würden.

Ein weiterer Punkt, um die Machtbefestigung festzulegen, war, den Reichstag als Parlament, für eine Zeit wenigstens, die des Aufbaues, wegen seines bis dahin erhöhten Einflusses, etwas auszuschalten. Das geschah aber dadurch, daß wir nach der neuen Wahl ja absolut die Mehrheit darin hatten. Wir legten zum Teil den bisherigen Parteien nahe, sich selbst aufzulösen, weil sie keinen Zweck mehr hatten, und lösten die, die sich nicht auflösen wollten, auf. Ich spreche von der Kommunistischen Partei, von der Sozialdemokratischen Partei. Darüber hinaus wollten wir endlich einer langen, langen Sehnsucht des deutschen Volkes gerecht werden, und nun wirklich nicht nur, wie bisher, den äußeren Rahmen eines Reiches bilden, sondern nun endlich ein einheitliches Deutsches Reich werden. Dem diente die Festigung des Reichsgedankens und der Reichsgewalt über die zahllosen Länder. War es schon vorher sehr schwer für einen glühenden deutschen Patrioten vor dem [286] ersten Weltkrieg, mit dem Haufen der Serenissimi- und Duodezfürsten auszukommen, so war das, was dann an ihre Stelle trat, noch schlimmer; denn an Stelle von einem kleinen Willen traten nun die verschiedensten parteimäßig gebundenen Instanzen.

Im Reich war es eine Mehrheit auf der Basis, in Preußen auf dieser, in Bayern wieder auf einer anderen, in Hessen wieder ganz anders. Es war nicht möglich, so eine Reichsgewalt und ein Reich aufzurichten, das wieder eine Größe haben konnte.

Deshalb schlug ich dem Führer vor, die Länderparlamente grundsätzlich abzuschaffen und aufzulösen. Ich begann damit in Preußen mit dieser Abschaffung der Länderparlamente, die mir schon deshalb völlig überflüssig erschienen, weil der Grundsatz »Reichsgewalt, nicht Ländergewalt« ja schon vorher Geltung gehabt hat. Ich sah nun keineswegs ein, warum so viele Gewalten existieren sollten, die in nutzlosen Redereien, Reibereien nur positive Arbeit verhindert haben. Trotzdem, so stark ich das Reich, nach außen einheitlich zusammengefaßt, schaffen und sehen wollte, bin ich immer dafür eingetreten, und der Führer in erster Linie, daß innerhalb der deutschen Länder und Gaue das kulturelle Leben vielgestaltig und traditionsgebunden bleiben soll; das heißt, was ja bekannt ist, all die alten Kulturzentren, die sich um München, Dresden, Weimar und so weiter gebildet hatten, sollten in dieser Richtung weiter existieren und unterstützt werden.

Es wurden zur weiteren Machtbefestigung jene Gesetze geschaffen, die zunächst eine weitere Behinderung für den Aufbau ausschalteten, das heißt auf Grund des Paragraphen 48 das Gesetz, das die sogenannten Freiheiten abschaffte. Der Begriff über diese Freiheiten ist ja umstritten. Es wurde das »Gesetz zum Schutz von Volk und Staat« geschaffen. Ein Gesetz, das dringend und dringendst notwendig war. Es war zwar in den vergangenen Jahren vieles verboten worden, das einer nationalen Betätigung gleichkam und ähnlich war, aber es war frei erlaubt, über das deutsche Volk, seine Geschichte und den Deutschen Staat und über die Symbole und Dinge, die doch einem Patrioten sehr heilige Dinge sind, sinnlos herabzuzerren, und sie waren in keiner Weise geschützt.

Daß unter dem Begriff »Gleichschaltung«, der damals entstand, sehr viel unnötige und überflüssige Dinge geschahen, war selbstverständlich, denn nach der Machtergreifung entwickelte sich ja die ganze Bewegung revolutionärer, wenn auch nicht im Sinne von Revolutionen, wie sie historisch bis dahin bekannt waren, die französische Revolution, die große bolschewistische Revolution, das heißt also, nicht im Sinne von großen Kämpfen, blutigen Umgestaltungen, Revolutionstribunalen, die Hunderttausende hinrichteten, aber doch in einer starken Zielausrichtung auf die Einheitlichkeit von Staat, Partei, Nationalsozialismus als Führungsgrundlage und ideale Grundlage.

[287] Diese Gleichschaltung, von der ich eben sprach, ging dann ins einzelne, aber wie gesagt, bei jeder dieser starken politischen Umgestaltungen wird immer da und dort über das Ziel hinausgeschossen. Persönlich sah ich es nicht für notwendig an, daß jeder Verband nun nationalsozialistisch wurde, und daß, wenn ich mich mal ganz drastisch ausdrücken soll, auch im kleinsten Sinne, daß in einem Klub oder sonstwas absolut ein nationalsozialistischer Vorsitzender hätte sein müssen; aber in grundlegenden, entscheidenden politischen Dingen mußte mehr und mehr unsere Anschauung und Auffassung zur Geltung kommen, denn es war die Voraussetzung zur Neugestaltung und Errichtung und Stärkung des Reiches.

Eine weitere Stärkung, die aber erst nach dem Tode, dem 1934 erfolgten Tode des Reichspräsidenten von Hindenburg kam, war die Zusammenfassung des Staatsoberhauptes und des Reichskanzlers in einer Person. Hierzu möchte ich sagen, bei dieser Gelegenheit hatte ich mit dem Führer eine längere Aussprache. Im ersten Augenblick wurde erörtert, ob Hitler den Posten des Staatsoberhauptes übernehmen würde und sollte, ich die Kanzlerschaft. Bei dem ganzen Temperament, der ganzen Einstellung des Führers war es unausdenkbar, daß der Führer über, möchte ich sagen, den politischen Wolken thronend, nur als Staatsoberhaupt in Erscheinung hätte treten können. Er war ein ausgesprochener politischer Führer und damit ein Führer der Regierung. Auch der Gedanke, irgendeine andere Persönlichkeit als Strohpuppe als Staatsoberhaupt hinzusetzen, empfanden wir als der Situation nicht würdig.

Der Führer sagte mir damals, es ist am einfachsten, wir nehmen das Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika, wo auch das Staatsoberhaupt gleichzeitig Chef der Regierung ist, und vereinigen nach dem Beispiel der Vereinigten Staaten, was damals ausdrücklich erwähnt wurde, den Posten des Staatsoberhauptes und des Regierungschefs, und er nannte sich nun »Führer des deutschen Volkes und Reichskanzler des Deutschen Reiches«.

Daß er damit automatisch auch Oberbefehlshaber oder Oberster Befehlshaber der Deutschen Wehrmacht wurde, war nach der Verfassung, auch der alten Verfassung, eine absolute Selbstverständlichkeit, wie das auch in anderen Staaten der Fall ist.

So lag es in großen Zügen, wenn ich von einer Reihe von weiteren Entwicklungen absehe, die ja wohl noch in meinen Aussagen erwähnt werden müssen, wie dem Aufbau der Polizeigewalt, dem grundsätzlichen Element der Machtbefestigung, und so weiter.

Und was ich abschließend sagen möchte: Erstens: Es ist richtig, ich persönlich kann ja nur für mich sprechen, ich habe alles getan, was irgendwie in meiner persönlichen Kraft gestanden hat, die nationalsozialistische Bewegung zu stärken, zu vergrößern und[288] unablässig daran gearbeitet, sie unter allen Umständen an die Macht und zwar die alleinige Macht zu bringen.

Zum zweiten habe ich alles getan, um dem Führer den ihm gebührenden Platz als Reichskanzler zu erkämpfen.

Zum dritten habe ich, wenn ich mich prüfe, glaube ich, nichts unterlassen, um unsere Macht so zu befestigen, daß sie nicht den Zufälligkeiten des politischen Spieles oder gewalttätiger Unternehmungen weichen mußte, sondern daß sie im weiteren Aufbau wirklich nur jener Machtfaktor werden konnte, der das Reich führte und, wie wir hofften, einer großen Entwicklung zuführen sollte.


DR. STAHMER: Welche Ämter erhielten Sie nach der Machtübernahme?


GÖRING: Zunächst war ich Reichstagspräsident, vorher schon, das blieb ich bis zum Schluß. Im Reichskabinett erhielt ich zunächst den Posten eines Reichsministers und Reichskommissars der Luftfahrt, nicht der Luftwaffe. In Parenthese möchte ich sagen, es war mir von Anfang an klar, daß man eine Luftwaffe machen mußte. In Preußen erhielt ich den Posten des Preußischen Innenministers, dann am 20. April 1933 zusätzlich den des Preußischen Ministerpräsidenten.

Das Reichskommissariat für Luftfahrt wurde ebenfalls schon vor dieser Zeit, ich glaube, schon im März 1933, ein Reichsministerium der Luftfahrt.

Es kamen dann noch einige nicht sehr wesentliche Ämter, Präsident des Staatsrates und so weiter, hinzu.

Entscheidend waren aber zu jener Zeit die beiden Ämter des Preußischen Ministerpräsidenten einerseits und des Luftfahrtministers andererseits. Den Preußischen Innenminister gab ich Anfang 1934 bereits an den Reichsinnenminister ab, da auch dieses ein Teil der Machtbefestigung und vor allen Dingen der Klarlegung für eine richtige Reichsregierungsgewalt war, daß die Preußischen Ministerien mit denen des Reiches in Personalunion vereinigt wurden. Denn nur so konnten die Reichsressorts praktische Erkenntnisse aus der politischen Tagesarbeit oder der ressortmäßigen Arbeit erhalten, nur in dieser Verbindung war dies möglich.


DR. STAHMER: In Ihrer Eigenschaft als Preußischer Innenminister haben Sie nun wohl die hier so oft erwähnte Geheime Staatspolizei und die Konzentrationslager geschaffen? Wann und zu welchem Zweck wurden diese eingerichtet?


GÖRING: Ich erwähnte vorhin, daß zur Befestigung der Macht die erste Voraussetzung war, jenes Instrument neu zu gestalten, das nun einmal zu allen Zeiten und bei allen Staaten immer das innenpolitische Machtinstrument ist, nämlich die Polizei. Die Polizei, es [289] gab keine Reichspolizei, nur Landespolizei. Die bedeutendste war die Preußische Polizei.

Diese Polizei war schon von unseren politischen Vorgängern, den früheren Parteien, je nach ihrer politischen Einstellung, mit ihren Leuten umbesetzt worden. Ich erwähnte die Besetzung der Polizeipräsidenten und der internen Polizeihauptführer, Polizeileitstellen im Preußischen Innenministerium.

Es war also so, daß sich hier in den Außenstellen noch unsere Gegner, die erbittertsten Gegner, die bisher mit dieser Polizeigewalt gegen uns stets scharf vorgegangen waren, vorfanden. Eine ganz leichte Auflockerung war vor mir erfolgt, während der Zeit, da die sozialdemokratische Regierung Braun-Severing von Papen abgelöst worden war. Da waren auch die schärfsten Gegner aus dieser Polizei entfernt worden. Immerhin waren die wichtigsten Stellen mit absolut politischen Gegnern noch besetzt. Ich konnte nun nicht gut erwarten, daß diejenigen, die gestern noch die Polizei mit besonderem Nachdruck gegen uns einzusetzen bereit waren, heute mit der gleichen Loyalität für den neuen Staat eintreten würden.

Es gab auch vor unserer Zeit eine politische Polizei in Preußen. Es war dies die Polizeiabteilung Ia, und ihre Aufgabe war in erster Linie die Überwachung und der Kampf gegen die Nationalsozialisten und auch zum Teil gegen die Kommunisten.

Ich hätte nun einfach diese politische Polizei neu besetzen können, um sie unter der alten Firma weiterlaufen zu lassen. Die Situation war aber durch unsere Machtergreifung eine andere, denn zu dieser Zeit, wie ich schon erwähnt habe, war die Kommunistische Partei außerordentlich stark. Sie hatte über sechs Millionen Wähler, hatte in ihren Rot-Front-Verbänden ein durchaus revolutionär eingestelltes Machtinstrument, und es war ganz selbstverständlich für die Kommunistische Partei, daß, wenn wir länger an der Macht blieben, sie ihre Macht endgültig verlieren würde.

Die Gefahr bestand durchaus, daß es in jener Zeit, man muß sich nur zurückversetzen, der politischen Spannungen, der Atmosphäre der Gegensätzlichkeit, durchaus zu revolutionären Akten von seiten der Kommunisten kommen konnte, zumal selbst nach unserer Machtergreifung politische Morde und politische Schießereien gegen Nationalsozialisten, gegen Polizisten von dieser Seite nicht aufhörten, sondern zeitweise zunahmen. Auch die Nachrichten, die ich erhielt, waren derartig, daß ich hier außerordentliche Sorge vor einem plötzlichen Umschwung nach dieser Richtung haben mußte.

Ich konnte deshalb mit dieser Abteilung, so wie sie bestand, diese Gefahr nicht abwehren. Ich brauchte nicht nur eine zuverlässige politische Polizei in der Zentralstelle sondern brauchte sie auch in den Außenstellen. Ich mußte also das Instrument vergrößern.

[290] Um von vorneherein klarzustellen, daß die Aufgaben dieser Polizei die Staatssicherung war, nannte ich sie Staatspolizei, Geheime Staatspolizei und schuf gleichzeitig die Außenstellen für diese Polizei. Ich nahm eine große Reihe von unpolitischen Beamten, die das Fachkönnen hatten, hinein, und nahm am Anfang weniger aus der Parteisphäre hinein, da ich zunächst Wert auf die Facheignung legen mußte.

Ich wollte auch, daß sich diese Polizei ausschließlich mit der Sicherung des Staates, gegen Staatsfeinde zunächst, befassen sollte. Auch der Führer, den ich hierfür ausersah, war nicht aus der Partei, sondern kam aus der bisherigen Polizei. Er war bereits schon dort, der damalige Oberregierungsrat und später Ministerialrat, Diels, und ebenso waren die Hauptleiter der Geheimen Staatspolizei Beamte, die nicht aus der Partei waren. Später floß mehr und mehr das Parteielement in die Staatspolizei ein. Der Auftrag war zunächst, so rasch wie möglich die Sicherungsvoraussetzung gegen jede Aktion von links her zu schaffen.

Ich wußte, es hat sich nachher auch bewiesen, daß das Haus der Kommunisten in Berlin, das Liebknecht-Haus, sehr stark befestigt war und sehr viele Waffen enthielt. Wir hatten auch damals Verbindungen aufgedeckt, die sehr stark zwischen der russischen Handelsvertretung und der Kommunistischen Partei Deutschlands vorhanden waren. Selbst wenn ich, wie ich es getan habe, mit einem Schlage zunächst Tausende von kommunistischen Funktionären festsetzte, so war damit eine zunächst unmittelbare Gefahr im ersten Augenblick beseitigt, aber durchaus nicht eine Gefahr an sich. Es galt, die geheime Verbindung, das Netz dieser geheimen Verbindung, aufzudecken, laufend zu überwachen und so weiter. Dazu mußte sich eine Polizeispitze kristallisieren.

Die Sozialdemokratische Partei sah ich im großen und ganzen, besonders was ihre Mitglieder anbelangt, nicht als annähernd so gefährlich an. Aber selbstverständlich waren sie auch absolute Gegner unseres neuen Staates. Ein Teil dieser Funktionäre waren Radikale und ein anderer Teil weniger Radikale. Die Radikaleren stellte ich ebenfalls unter diese Überwachung, während eine ganze Reihe von früheren sozialdemokratischen Ministern, Oberpräsidenten und höheren Beamten, wie ich vorhin sagte, in aller Ruhe verabschiedet wurden, ihre Pension bekamen, und weiter nichts gegen sie unternommen worden ist. Aber es gab ja auch andere Funktionäre der Sozialdemokratischen Partei, auf die absolut aufgepaßt werden mußte. So war die Geheime Staatspolizei mit dieser Zweckaufgabe von mir zunächst in Preußen geschaffen worden, denn die anderen Länder gingen mich zu diesem Zeitpunkt noch nichts an. Die Organisierung der übrigen Polizei ist hier nicht von besonderer Bedeutung.


[291] DR. STAHMER: Die Konzentrationslager?


GÖRING: Als nun die Notwendigkeit sich zeigte, Ruhe zunächst einmal zu schaffen und das gefährlichste Element der Unruhe gegen uns in dem neuen Staat zu beseitigen, faßte ich den Entschluß, dies dadurch zu tun, daß ich schlagartig die kommunistischen Funktionäre und Führer festsetzen lassen wollte. Ich ließ eine Liste zu diesem Zwecke aufstellen, und es war mir klar, daß, wenn ich auch nur die wichtigsten dieser Funktionäre, die gefährlichsten, festsetzen würde, es sich um mehrere tausend handeln mußte. Denn es war nicht nur notwendig, diese aus den Parteifunktionären, sondern auch aus den Rotfront-Verbänden zu nehmen, denn auch die Kommunisten hatten ja angeschlossene Verbände. Diese Festnahme erfolgte nun aus Staatssicherungsgründen der Staatsnotwendigkeit.

Es galt also, eine Gefahr zu beseitigen. Hier war nun nur eine Möglichkeit gegeben, die der Schutzhaft, das heißt zunächst die Leute, gleichgültig ob man ihnen in diesem Augenblick schon eine staatsfeindliche oder hochverbrecherische Handlung nachweisen konnte, oder ob man sie von ihnen erwarten konnte, davon abzuhalten und sie durch die Schutzhaft auszuschalten. Das war nun nicht neu und keine nationalsozialistische Erfindung, denn schon bereits vorher waren solche Schutzhaftmaßnahmen durchgeführt worden, und zwar damals, teils auch gegen Kommunisten, vor allem aber gegen uns, die Nationalsozialisten. Die Gefängnisse standen hierzu erstmals nicht zur Verfügung und ich wollte auch von Anfang an betonen, daß es sich hier um einen politischen Staatsakt der Staatsnotwehr handelte.

Ich sagte deshalb, diese Männer sollten zunächst in Lagern, ein bis zwei Lager waren damals vorgeschlagen, zusammengefaßt werden, weil ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht übersehen konnte, wie lange die Festhaltung dieser Leute notwendig war, auch noch nicht übersehen konnte, wie sich beim weiteren Aufdecken der ganzen kommunistischen Bewegung die Anzahl vergrößern würde. Bei der Besetzung des Karl-Liebknecht-Hauses wurden so viele Waffen, Material, Vorbereitungen zum Bürgerkrieg gefunden, daß man das, wie ich sagte, in seiner Ausweitung, Ausdehnung noch nicht übersehen konnte. Ich habe, und das ist selbstverständlich, schon vorausgesetzt, daß bei einer solchen hohen politischen Spannung, wie sie zwischen den äußersten Flügeln der politischen Gegensätze bestanden hat, auch bei der Verbitterung der Gegensätze durch die fortgesetzten Kämpfe auf der Straße, die gegenseitigen Spannungen und so weiter, die sich im politischen Kampf abspielten, daß sich da für die Insassen unter Umständen keine sehr angenehme Situation ergeben würde. Ich gab aus diesem Grund Anweisung, daß die Bewachung in möglichst weitgehendem Maße durch [292] Polizeikräfte stattfinden sollte. Nur wo diese nicht ausreichten, sollten Hilfskräfte angefordert werden.

Ich habe zu den Konzentrationslagern Stellung genommen, wobei ich betonen möchte, daß der Name nicht von uns stammt, sondern er sprang damals in der Auslandspresse auf und wurde dann übernommen. Woher der Name kommt, ist mehr historisch. Ich habe Ende 1933 in einem Buch, das ich zunächst in englisch erscheinen ließ und auf Wunsch eines englischen Verlegers erschien, und das bereits von der Anklage als Beweismaterial vorgelegt wurde, mich ganz offen darüber geäußert, und zwar Ende 1933. Ich betone noch einmal: für das Ausland, für englischsprechende Länder. Ich habe damals auch folgenden Satz ganz offen ausgesprochen: Selbstverständlich sind im Anfang Übergriffe vorgekommen, selbstverständlich wurden da und dort auch Unschuldige betroffen, selbstverständlich wurde auch da und dort geschlagen und es sind Roheitsakte verübt worden, aber gemessen an all dem Gewesenen und an der Größe der Vorgänge ist doch diese deutsche Freiheitsrevolution die unblutigste und disziplinierteste aller bisherigen Revolutionen der Geschichte gewesen.


DR. STAHMER: Haben Sie die Behandlung der Häftlinge überwacht?


GÖRING: Ich habe selbstverständlich Anweisung gegeben, daß solche Dinge zu unterbleiben haben. Daß sie vorkamen und überall in größerem und kleinerem Ausmaße vorkamen, habe ich eben gesagt. Ich habe immer darauf hingewiesen, daß diese Dinge nicht passieren sollen, schon weil mir daran gelegen war, einen Teil dieser Menschen für uns wieder zu gewinnen und umzuschulen.


DR. STAHMER: Sind Sie bei Mißständen, die Ihnen bekannt wurden, eingeschritten?


GÖRING: Ich habe mich um die Konzentrationslager persönlich bis zum Frühjahr 1934 eingesetzt. Es haben damals zwei bis drei Lager in Preußen bestanden.

Der Zeuge Körner erwähnte schon den Fall Thälmann. Ich möchte ihn kurz streifen, weil er der mar kanteste war, denn Thälmann war ja der Führer der Kommunistischen Partei. Ich kann heute nicht sagen, wer mir eine Andeutung machte, daß Thälmann geschlagen worden sei. Ich habe ihn unvermittelt und ohne Benachrichtigung der oberen Dienststellen kurz zu mir kommen lassen, direkt zu mir ins Zimmer, und habe ihn ganz genau ausgefragt. Er sagte mir, daß er, besonders am Anfang bei Vernehmungen, geschlagen worden sei. Ich habe daraufhin, wie der Zeuge schon bekundete, der dabei war, Thälmann gesagt, daß ich das bedauerte. Ich habe ihm aber gleichzeitig gesagt: »Lieber Thälmann, wenn ihr zur Macht gekommen wäret, wäre ich voraussichtlich [293] nicht geschlagen worden, aber ihr hättet mir sofort den Kopf abgeschlagen!« Das bestätigte er mir auch. Ich habe ihm darauf gesagt, er möchte in Zukunft ganz frei, wenn irgend etwas nicht nur an ihm, sondern auch anderen, in dieser Richtung geschehen würde, mir Mitteilung machen. Ich könnte nicht immer dabei stehen, aber es sei nicht mein Wille, daß irgendwelche Roheitsakte an ihnen verübt werden sollten.

Ich betone, daß sich dann später, um diesen Teil zu demonstrieren, der immerhin kein unbedeutender war, die Frau Thälmanns, ich glaube, es war Ende 1944, noch mal an mich gewandt hat um Hilfe, und ich ihr auch damals den Brief sofort beantwortet habe.

Ich habe damals auch, das könnte ich unter Beweis stellen, für Familien der Inhaftierten finanziell zum Teil sorgen lassen, soweit die Sorge notwendig war.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch die »wilden« KZ-Lager, die erwähnt worden sind, und die ja zur Abstellung von Mißständen gehören, erwähnen. Zunächst wußte ich nichts davon, aber dann wurde mir ein solches Lager in der Nähe von Stettin bekannt. Es war durch den damaligen Gauleiter Karpfenstein von Pommern eingerichtet worden. Ich habe dieses Lager, Sie werden sich... mein Anwalt wird sich daran erinnern, daß er unabhängig von mir von einem Insassen während der Zeit des Prozesses eine Nachricht darüber bekommen hat, den ich gar nicht kenne, sofort schließen lassen, und habe, was ebenfalls zu belegen ist, die Schuldigen, die dort Roheitsakte verübt haben, durch den Staatsanwalt anklagen und vor Gericht bringen lassen. Karpfensteins Ausschluß aus der Partei wurde erreicht.

Ein zweites solches Lager wurde dann in Breslau festgestellt, das Heines eingerichtet hatte. Ich weiß heute nicht, was dort vorgekommen ist. Jedenfalls war es ein von mir nicht erlaubtes Lager. Ich habe es ebenfalls sofort geschlossen und aufgelöst. Heines war einer derjenigen engsten Mitarbeiter von Röhm, auf die ich später zu sprechen komme.

Soweit ich mich erinnere, den Ort kann ich nicht mehr genau angeben, war in der Nähe von Berlin noch ein wildes Lager seitens des Berliner SA-Führers Ernst, der bei mir schon immer im Verdacht gewisser Roheitsakte stand, geheim errichtet worden. Auch das wurde geschlossen. Ernst gehörte zu den üblen Erscheinungen, die im Röhm-Putsch beseitigt wurden. Es ist ja die Möglichkeit vorhanden, Insassen von Konzentrationslagern aus dieser Zeit, 1933, Anfang 1934, genügend zu befragen, ob in jener Zeit auch nur annähernd das geschehen ist, was später dann vorkam.


DR. STAHMER: Haben Sie, nachdem eine Festigung der Macht eingetreten war, im großen Umfange Freilassungen der Häftlinge vorgenommen, und zu welcher Zeit ist das gewesen?


[294] GÖRING: Ich habe Weihnachten 1933 angeordnet, daß die leichten Fälle, das heißt die ungefährlicheren oder die, von denen man den Eindruck hatte, daß sie sich mit der Lage abgefunden hatten, in einer ungefähren Höhe damals von 5000 entlassen werden sollten. Ich wiederholte dies noch einmal im November 1934 mit 2000 Insassen. Ich betone immer wieder, daß sich das ausschließlich auf Preußen bezieht. Es wurde damals, soviel ich mich erinnere, ich kann es aber nicht genau sagen, ein Lager aufgelöst, oder jedenfalls vorübergehend geschlossen. Diese Tatsache ist erwähnt worden, zu einem Zeitpunkt, wo kein Mensch daran denken konnte, daß sie jemals Gegenstand einer gerichtlichen internationalen Untersuchung sein wird.


DR. STAHMER: Wie lange haben Sie die Leitung der Konzentrationslager und der Gestapo und bis zu welchem Zeitpunkt gehabt?


GÖRING: Ich hatte sie de facto bis Anfang 1934, das heißt Anfang 1934 war Diels der Führer und trug mir laufend über die Geheime Staatspolizei vor, darunter auch über die Konzentrationslager. Währenddessen war um Preußen herum eine Polizeigruppierung derart entstanden, daß Himmler in allen Ländern Deutschlands die Polizei bekommen hatte, nur nicht in Preußen. Er hatte also dort, dann auch wohl in Anlehnung an meine Maßnahmen, die Geheime Staatspolizei eingerichtet, weil die Polizei auch damals noch immer Landessache war. Es gab eine bayerische, württembergische, badische, hessische, sächsische Polizei und so weiter.

Von all diesen Polizeistellen war er der Führer geworden und strebte nun natürlich, verständlicherweise, die Führung der Polizei auch in Preußen an. Ich war damals mit Diels sehr zufrieden und sah von meinem Standpunkt aus keine Veranlassung, hier eine Änderung eintreten zu lassen.

Diese Bestrebungen, glaube ich, setzten schon im Spätsommer 1933 ein. Kurz nachdem ich im Frühjahr 1934 das Preußische Innenministerium an das Reichsministerium mitübertragen hatte und somit als Ressortminister ausschied, drängte nun wohl Himmler, nehme ich an, beim Führer stärker danach, nach diesem Vorgang wohl auch in die Preußische Polizei eingeschaltet zu werden. Ich habe damals mich nicht ausgesprochen dagegen gewendet. Es war mir nicht angenehm, ich wollte meine Polizei selbst übernehmen. Aber als der Führer mich noch darum gebeten hatte und sagte, es wäre das richtige und zweckmäßige, und es sich ja doch irgendwie notwendig erwies, daß über das ganze Reich einheitlich der Staatsfeind bekämpft werde, gab ich de facto die Polizei an Himmler, der seinerseits Heydrich einsetzte, behielt sie aber de jure noch bei, weil ja auch keine Reichspolizei vorhanden war.

[295] Die übrige Polizei, Landespolizei, das heißt die uniformierte Polizei, übergab ich ihm damals nicht, weil diese Polizei von mir zu einem großen Teil, wie ich später ausführen werde, in Preußen militärisch organisiert wurde, um sie für die künftige Aufrüstung einzuschleusen. Aus diesem Grunde konnte und wollte ich ihm die uniformierte Polizei nicht geben, weil sie nach rein militärischen Gründen ausgebildet worden ist von mir, auf meine Veranlassung hin und auf meine Verantwortung, und mit der direkten Polizei nichts zu tun hatte, bis sie 1935 der Wehrmacht von mir übergeben werden konnte.

1936 wurde das Reichspolizeigesetz geschaffen, damit der Chef der Deutschen Polizei. Damit ging auch de jure und formell die Polizei endgültig an den Reichsführer-SS und, wie er damals formuliert wurde, Chef der Deutschen Polizei oder ähnlich, über.


DR. STAHMER: Sie erwähnten vorhin die Röhm-Revolte. Wer war Röhm und um welchen Vorgang handelt es sich bei dieser Revolte?


GÖRING: Röhm war der SA-Führer geworden, der Stabschef der SA.


VORSITZENDER: Ich glaube, daß wir uns jetzt vertagen. Es ist bereits fünf Uhr.


[Das Gericht vertagt sich bis

14. März 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 9, S. 262-297.
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