[222] VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat über das weitere Verfahren bei der Anklage gegen die Organisationen und über die Anträge ihrer Mitglieder eine Verfügung getroffen. Ich werde diese Entscheidung nicht verlesen, sondern sie wird im Informationszimmer der Anwälte angeschlagen und Ihnen und der Anklagevertretung bekanntgegeben werden.
Dr. Jahrreiß, haben Sie Ihre Vernehmung beendet?
PROF. DR. JAHRREISS: Ja.
VORSITZENDER: Sehr gut. Wünscht noch ein anderer Verteidiger den Zeugen zu verhören?
[Der Zeuge General Kesselring ist im Zeugenstand.]
DR. KAUFFMANN: Herr Zeuge, haben Sie eine Erinnerung daran, wann der Angeklagte Kaltenbrunner erstmals in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist?
KESSELRING: Ich habe keine Kenntnis davon, daß Kaltenbrunner in der Öffentlichkeit besonders hervor getreten ist. Ich habe von dem Namen Kaltenbrunner zum ersten Male gehört, als er als Nachfolger von General Canaris in Erscheinung getreten ist.
DR. KAUFFMANN: Haben Sie eine Erinnerung daran, daß er im Januar 1943 zum Chef des Reichssicherheitshauptamtes ernannt worden ist?
KESSELRING: Ich mag davon gehört haben, aber eine bestimmte Erinnerung habe ich nicht.
DR. KAUFFMANN: Kaltenbrunner trägt vor, daß er im April 1945 bestrebt gewesen sei, das Land Österreich von den weiteren Kriegshandlungen nach Möglichkeit zu verschonen. Haben Sie daran vielleicht eine Erinnerung?
KESSELRING: Ich habe nur gehört, daß Herr Kaltenbrunner zu den Persönlichkeiten zählte, die auf ein unabhängiges Österreich hinarbeiteten, aber eine genaue definitive Kenntnis von dieser Sachlage habe ich nicht.
DR. KAUFFMANN: Kaltenbrunner trägt weiter vor, er habe auf Grund einer Vereinbarung mit dem Genfer Roten Kreuz dahingehend gewirkt, daß Zivilinternierte durch die Front in ihre Heimat gelassen werden sollten. Diesen Wunsch hat er an Ihre Dienststelle, nicht an Sie persönlich, gerichtet, man möchte für die Front eine [222] Lücke schaffen, damit diese Zivilinternierten nach Hause kommen könnten. Haben Sie daran vielleicht eine Erinnerung?
KESSELRING: Dieser Antrag mag tatsächlich gestellt worden sein. Zu meiner persönlichen Kenntnis ist er nicht gekommen, weil ich außerordentlich viel von meiner Dienststelle abwesend war.
DR. KAUFFMANN: Haben Sie eine Erinnerung daran, Herr Zeuge, wann erstmals in Deutschland die Konzentrationslager errichtet worden sind?
KESSELRING: Jawohl, im Jahre 1933. Mir sind drei Konzentrationslager in Erinnerung, deren Einrichtung, was den Zeitpunkt betrifft, mir nicht mehr genau bekannt ist. Oranienburg, an dem ich öfters vorbeigefahren bin und darüber geflogen bin; Dachau, das in Zeitungen außerordentlich lebhaft besprochen worden war, und Weimar-Nora, Weimar, ein Konzentrationslager, über das ich auch bei meinen Dienstflügen sehr häufig gekommen bin. Weitere Konzentrationslager sind mir nicht in Erinnerung. Ich darf vielleicht hier anfügen, daß ich mich grundsätzlich von den Gerüchten, die ja in derartiger, krisenhafter Zeit außerordentlich auftreten, ferngehalten habe, um meiner außerordentlich belasteten Aufgabe gerecht werden zu können.
DR. KAUFFMANN: Bezüglich der Häftlinge in den Konzentrationslagern, hatten Sie da eine bestimmte Vorstellung darüber, wer in diese Konzentrationslager gebracht werden sollte?
KESSELRING: Ich hatte etwas darüber gehört, von welcher Seite weiß ich nicht, das mir einleuchtete, daß nämlich versucht würde, die Revolution des Nationalsozialismus auf unblutige Weise durchzuführen und die politisch anders gerichteten Kreise so lange unter Aufsicht zu stellen, bis die Fundamentierung des neuen Staates genügend Sicherheit geben würde, sie wieder dem öffentlichen Leben zuzuführen. Das ist meine Kenntnis von diesen Verhältnissen und daraus schließe ich, um Ihre Frage zu beantworten, daß es sich hauptsächlich um Persönlichkeiten gehandelt haben muß, die der nationalsozialistischen Ideenwelt feindlich gegenübergestanden haben.
DR. KAUFFMANN: Haben Sie einmal darüber nachgedacht, wie nach Ihrer Auffassung die Behandlung in den Konzentrationslagern war? Was hatten Sie für eine Vorstellung über die Behandlung der Häftlinge in den Konzentrationslagern? Es wird vielleicht ein Unterschied sein, ob Sie nun die ersten Jahre oder die späteren Jahre im Auge haben.
KESSELRING: Über die Behandlungsmethoden in den Konzentrationslagern habe ich keine Kenntnis. In den ersten Jahren, in denen ich noch in Deutschland arbeitete, hörte man gerüchtweise, daß eine normale Behandlung eingetreten wäre. In den späteren [223] Jahren war ich im Ausland, das heißt auf Kriegsschauplätzen außerhalb Deutschlands, und so abgesetzt, daß ich überhaupt keine Kenntnis von diesen Vorgängen hatte und genommen habe.
DR. KAUFFMANN: Es ist also richtig, wenn ich annehme, daß Sie von den tatsächlich vorgekommenen Grausamkeiten keine positive Kenntnis gehabt haben?
KESSELRING: Ich habe keine positive Kenntnis gehabt; selbst zu dem Zeitpunkt, wo ich im März 1945 als Oberbefehlshaber West eingesetzt worden bin, waren mir die Vorgänge in den Konzentrationslagern vollkommen fremd. Ich führe es auf zwei Momente zurück: Einmal auf das Persönliche, was ich vorhin zum Ausdruck brachte, daß ich mich grundsätzlich nur um meine eigenen Angelegenheiten kümmerte, die an sich genügend umfangreich waren, und zweitens, daß sich im Staat ein Polizeistaat herausgebildet hatte, der sich in einer hermetischen Weise gegenüber der Umwelt abgeschlossen und abzuschließen verstanden hat.
DR. KAUFFMANN: Haben Sie Anhaltspunkte dafür, daß in Ihren Offizierskreisen eine größere Kenntnis als die, die Sie eben für Ihre Person geschildert haben, bestanden hat?
KESSELRING: Ich habe ein sehr enges Verhältnis mit meinen Offizieren gehabt, und ich glaube nicht, daß eine größere Anzahl von Offizieren vorhanden gewesen sein kann, die mehr davon wußten. Über einzelne Persönlichkeiten kann ich natürlich keinen Aufschluß geben.
DR. KAUFFMANN: War Ihnen bekannt, daß Hitler entschlossen war, das jüdische Volk auch physisch auszurotten?
KESSELRING: Ist mir vollkommen unbekannt.
DR. KAUFFMANN: Haben Sie nicht öfter Gelegenheit gehabt, mit Hitler über weltanschauliche Fragen zu sprechen?
KESSELRING: Wenn ich im Hauptquartier war, wurden im dienstlichen Teil nur militärische und solche Fragen behandelt, die meinen Kriegsschauplatz betrafen. Wenn ich zum Essen gebeten war, wurden im allgemeinen historische oder allgemein interessante Themen behandelt, aber akute politische Fragen oder weltanschauliche Fragen waren überhaupt kein Diskussionspunkt. Wie ich mich auch persönlich keines einzigen Moments entsinnen kann, daß Adolf Hitler auf mich oder wahrscheinlich auch auf die anderen Generale in irgendeiner Weise eingewirkt hat, sich zum aktiven Nationalsozialismus zu bekennen.
DR. KAUFFMANN: Haben Sie an die Persönlichkeit Hitlers geglaubt, etwa in dem Sinne, daß Hitler entschlossen sei, das deutsche Volk in eine bessere Zukunft zu führen, unter Beachtung [224] der Freiheit des Menschen und unter Beachtung der menschlichen Würde? Welches war Ihre Auffassung darüber?
KESSELRING: Ich habe auf Grund der...
VORSITZENDER: Welche Erheblichkeit besitzt die Meinung eines Zeugen über diesen Gegenstand? Wieso kann es irgendeinem Teil der Sache gegen den Angeklagten Kaltenbrunner erheblich sein? Der Gerichtshof ist der Meinung, daß mit solchen Fragen die Zeit des Gerichtes vergeudet wird.
DR. KAUFFMANN: Ist es richtig, daß im absoluten Führerstaat, der in Deutschland bestand, ein Widerspruch gegen einen höchsten Befehl unmöglich war?
KESSELRING: In dieser Form will ich diese Frage nicht verneinen. Man konnte gegen eine Auffassung seine eigene Auffassung absolut vertreten. Wenn aber diese eigene Auffassung dann durch den Entscheid hinfällig geworden war, dann wurde der absolute Gehorsam gefordert, dessen Vollzug unter Umständen durch das Strafgesetz verlangt oder sichergestellt wurde. Eine Auflehnung gegen diesen Befehl oder gegen einen Befehl ist nach unserer Kenntnis der Persönlichkeit und des Verhaltens von Adolf Hitler ausgeschlossen gewesen beziehungsweise hätte zu nichts geführt.
DR. KAUFFMANN: Würde derjenige, der einen Widerspruch gegen einen endgültig gefaßten Befehl durchzusetzen versuchte, nicht damit rechnen müssen, daß er sein Leben riskierte?
KESSELRING: In den letzten Jahren mit einer absoluten Gewißheit.
DR. KAUFFMANN: Hielten Sie den Krieg in irgendeinem Zeitpunkt, und gegebenenfalls wann, für nicht mehr zu gewinnen?
KESSELRING: Im Jahre 1943 mußte man mit der Möglichkeit rechnen, daß ein Siegfriede nicht mehr zu erreichen war. Ich betone ausdrücklich, »mit der Möglichkeit rechnen«, weil bei Beachtung verschiedener organisatorischer oder operativer Maßnahmen sich das Blatt noch hätte wenden lassen können.
DR. KAUFFMANN: Haben Sie diese Frage einmal an höherer Stelle besprochen? Die Bedenken, die Sie vielleicht gegen die Weiterführung des Krieges hatten?
KESSELRING: Ich habe in verschiedenen Momenten, wo ich über meinen Kriegsschauplatz gesprochen habe, auf gewisse Schwierigkeiten hingewiesen, die den Ausgang des Gesamtkrieges beeinflussen konnten. Ich fühlte mich aber als Exponent eines Kriegsschauplatzes keineswegs berechtigt, über das gesamte Kriegstheater ein Urteil abzugeben, weil ich die Lage über die gesamten Verhältnisse der Produktion, die Verhältnisse der Organisation des Menschenreservoirs und so weiter von meinem kleinen Standpunkt[225] aus überhaupt nicht übersehen konnte. Und ich habe, wie schon vorhin gesagt, es abgelehnt, mich als Dilettant zu einer Sache zu äußern, die unter Umständen in der Außenwelt als proklamatorisch angesehen hätte werden können, weil sie mit dem Namen Feldmarschall Kesselring unterfertigt war.
DR. KAUFFMANN: Wenn ich Sie recht verstehe...
VORSITZENDER: Wollen Sie bitte dem Gerichtshof erklären, wieso die letzten zwei oder drei Fragen für den Fall Kaltenbrunner erheblich sind.
DR. KAUFFMANN: Auch für Kaltenbrunner trifft es zu, daß er einem Befehl, wie er sagt, nicht widerstehen konnte, es sei denn, daß er getötet worden wäre.
VORSITZENDER: Sie haben den Zeugen befragt, ob er irgendwann während des Krieges daran dachte, wie lange der Krieg dauern würde. Was hat das mit Kaltenbrunner zu tun?
DR. KAUFFMANN: Die Anklage wirft mehreren Angeklagten vor, sie hätten trotz Kenntnis der Aussichtslosigkeit des Krieges weitergekämpft und den Krieg verlängert. Das ist das Problem, das ich jetzt mit einer letzten Frage abschließen wollte.
VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß sich das besonders gegen Kaltenbrunner richtet. Aber wenn es Ihre letzte Frage ist, können Sie sie stellen.
DR. KAUFFMANN: Wenn ich Sie recht verstehe, Herr Zeuge, wollen Sie zum Ausdruck bringen, daß das Hauptmotiv Ihres Aushaltens auch Ihre Pflicht gegenüber dem Vaterland war.
KESSELRING: Das ist eine Selbstverständlichkeit. Daneben waren noch andere Motive maßgebend. Ein Motiv war, daß überhaupt die Möglichkeit einer politischen Beendung des Krieges wenigstens offiziell verneint worden ist, daß ich aber an diese glaubte und auch heute noch davon überzeugt bin. Das mag dadurch bewiesen werden, daß ich persönlich mit dem Obergruppenführer Wolff die Verhandlungen via Schweiz mit einem Amerikaner aufgenommen habe, um die Ausgangslage für eine politische Besprechung in diesem Sinne vorzubereiten.
DR. KAUFFMANN: Herr Vorsitzender, ich habe keine Fragen mehr.
VORSITZENDER: Wünscht noch ein anderer Verteidiger Fragen zu stellen?
RA. PELCKMANN: Herr Zeuge, Sie wurden durch Dr. Kauffmann gefragt, ob das Offizierskorps Kenntnis von den Zuständen und der Einrichtung der Konzentrationslager hatte. Ist Ihnen bekannt, daß in der Wehrmacht sogenannte national-politische Lehrgänge abgehalten wurden?
[226] KESSELRING: Das ist mir bekannt.
RA. PELCKMANN: Darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß in einem »Nationalpolitischen Lehrgang« der Wehrmacht vom 15. bis 23. Januar 1937 – ich beziehe mich hierbei auf Dokument 1992-A-PS – über die Einrichtung der Konzentrationslager, Himmler, der Führer der SS, vor diesen versammelten Offizieren etwa folgendes ausgeführt hat:
»Wir unterscheiden bei den Insassen selbstverständlich zwischen denen, die wir ein paar Monate hineintun, tatsächlich zur Erziehung, und denen, die wir lange drin lassen müssen.«
Ich überspringe einige Sätze und komme auf die mir wichtigen Sätze:
»Diese Ordnung beginnt damit, daß die Leute in sauberen Baracken leben. So etwas bringen an und für sich nur wir Deutsche fertig, kaum ein anderes Volk wäre so human. Die Wäsche wird öfters gewechselt. Die Leute werden daran gewöhnt, daß sie sich zweimal täglich zu waschen haben, werden mit dem Gebrauch einer Zahnbürste vertraut gemacht, die die meisten noch gar nicht kannten.«
Ist Ihnen bekannt, daß in solcher, wie wir heute wissen, den tatsächlichen Verhältnissen durchaus nicht entsprechender Weise die Wehrmacht belehrt worden ist?
KESSELRING: Wir haben uns um diese Frage, wie ich schon eingangs sagte, überhaupt nicht gekümmert, und dieser Vortrag von Himmler ist mir auch nicht bekannt.
RA. PELCKMANN: Nicht bekannt! Danke sehr.
VORSITZENDER: Wünscht ein anderer Verteidiger Fragen zu stellen?
Dann kann die Anklagevertretung das Kreuzverhör beginnen.
JUSTICE JACKSON: Sie verstehen, Zeuge, daß, wenn Sie Ihre Aussage machen, Sie zufolge der Definition des Oberkommandos und des Generalstabs, die ja in der Anklage enthalten ist, als Mitglied dieser Gruppe auch angeklagt sind; nicht wahr?
KESSELRING: Ich verstehe.
JUSTICE JACKSON: Und daß Sie hier faktisch als Angeklagter aussagen?
KESSELRING: Ich verstehe.
JUSTICE JACKSON: Sie sprachen darüber, daß in Deutschland ein Polizeistaat durch die Nationalsozialistische Partei errichtet wurde, und ich möchte Sie nun fragen, ob es nicht eine Tatsache ist, daß der Polizeistaat sich hauptsächlich auf zwei Einrichtungen stützte: Erstens auf die Geheime Staatspolizei und zweitens auf die Konzentrationslager?
[227] KESSELRING: Die Abstützung auf die Polizei ist für mich eine gegebene Tatsache. Das Konzentrationslager ist letzten Endes Mittel zum Zweck, für meine Begriffe.
JUSTICE JACKSON: Und sowohl die Geheime Staatspolizei als auch die Konzentrationslager wurden von Hermann Göring eingerichtet. Ist das nicht eine Tatsache, die Ihnen bekannt ist?
KESSELRING: Die Geheime Staatspolizei wurde von Hermann Göring eingerichtet. Ob sie in der Form von Himmler war...
JUSTICE JACKSON: Ihre Vorträge werden Ihrem eigenen Verteidiger vorbehalten werden, und ich werde bitten, daß Ihnen dahinzielende Anweisungen erteilt werden. Beantworten Sie nur meine Frage: War das Konzentrationslager nicht auch von Göring eingerichtet worden?
KESSELRING: Ich weiß es nicht.
JUSTICE JACKSON: Sie wissen das nicht? Waren Sie einverstanden mit dem Polizeistaat?
KESSELRING: Ich habe es für deutsche Begriffe als für anormal gehalten, daß sich ein Staat im Staat gebildet hat, und dementsprechend gewisse Sachen vor der Öffentlichkeit verschloß.
JUSTICE JACKSON: Haben Sie jemals etwas unternommen oder können Sie anführen, daß Sie irgend etwas im öffentlichen Leben unternommen haben, um zu verhindern, daß es zu so anormalen Verhältnissen in Deutschland kommt?
KESSELRING: Ich habe nichts in Erinnerung, außer daß ich in Gesprächen mit meinen Vorgesetzten vielleicht darüber mal gesprochen habe. Ich betone aber ausdrücklich, daß ich mich auf mein Ressort und auf meine Aufgabe im allgemeinen bezogen habe.
JUSTICE JACKSON: Wollen Sie dem Gerichtshof glauben machen, daß Sie niemals wußten, daß von diesem Staate eine Aktion zur Verfolgung der Juden in Deutschland durchgeführt wurde? Ist Ihre Aussage dahingehend zu verstehen?
KESSELRING: Von einer Judenverfolgung an sich habe ich keine Kenntnis gehabt.
JUSTICE JACKSON: Ist es nicht Tatsache, daß jüdische Offiziere aus Ihrer Armee und Ihrem Kommando ausgeschlossen waren?
KESSELRING: Jüdische Offiziere sind nicht vorhanden gewesen.
JUSTICE JACKSON: Ist es nicht Tatsache, daß es Offiziere in Ihrer Armee und Offiziere in der Luftwaffe gab, die Schritte unternommen haben, um sich zu arisieren und damit der Wirkung der Erlasse Görings zu entgehen. Wußten Sie davon?
KESSELRING: Davon habe ich gerüchtweise gehört.
[228] JUSTICE JACKSON: Und die Arisierung bestand darin, daß man in Fällen, in denen der Vater jüdischer Abstammung verdächtig war, nachwies, der nominelle Vater sei nicht der wirkliche Vater gewesen. Stimmt das?
KESSELRING: Das muß ich zugeben. Es gibt natürlich andere Fälle auch noch.
JUSTICE JACKSON: Ja. Es konnte vorkommen, daß die Mutter jüdischer Abkunft verdächtigt wurde?
KESSELRING: Daß in Ausnahmefällen über gewisse Sachen hinweggesehen worden ist?
JUSTICE JACKSON: Ja. Wußten Sie von den Ausschreitungen gegen die Juden, den antijüdischen Ausschreitungen des 9. und 10. Novembers in Deutschland, im Jahre 1938?
KESSELRING: Sie sprechen über die »Spiegelsache«. Ich weiß nicht, was für ein Tag damit gemeint ist.
JUSTICE JACKSON: Ich spreche über die Ausschreitungen, bei denen Synagogen niedergebrannt wurden und über die Göring sich so zornig gezeigt hatte. Hörten Sie nichts davon im Jahre 1938?
KESSELRING: Nein, ich habe nichts davon gehört.
JUSTICE JACKSON: Wo waren Sie im Jahre 1938?
KESSELRING: 1938 war ich in Dresden.
JUSTICE JACKSON: Im November?
KESSELRING: Im November war ich in Berlin als Luftwaffenchef tätig.
JUSTICE JACKSON: In Berlin. Und Sie haben niemals von diesen antijüdischen Ausschreitungen des 9. und 10. Novembers 1938 gehört?
KESSELRING: Ich habe nur über die sogenannte »Spiegel- oder Glas-Campagne« gehört.
JUSTICE JACKSON: Was war das? Davon weiß ich nichts. Ich kenne keine Aktion, die diesen Namen hatte.
KESSELRING: Das war das Einwerfen der Ladenfenster und mehr, was in Berlin eine verhältnismäßig große Form angenommen hatte.
JUSTICE JACKSON: Sie haben also doch über antijüdische Ausschreitungen gehört?
KESSELRING: Über diese, ja.
JUSTICE JACKSON: Und wissen Sie, daß Hermann Göring eine Verordnung erlassen hat zur Beschlagnahme der Versicherungsbeträge, die die Wiedergutmachung an die jüdischen Geschäftsinhaber [229] hätte sein sollen? Haben Sie nicht von einer dahinzielenden Maßnahme Görings gehört?
KESSELRING: Ich habe nicht ganz verstanden. Darf ich Sie bitten, dies zu wiederholen?
JUSTICE JACKSON: Hörten Sie von einer Verordnung, die von Hermann Göring einige Tage später, am 12. November, um genau zu sein, erlassen wurde, durch die die Versicherungssumme der Opfer dieser Ausschreitungen beschlagnahmt und der Gesamtheit der Juden eine Buße von einer Milliarde Reichsmark auferlegt wurde?
KESSELRING: Es mag sein, daß ich davon gehört habe. Ich habe heute keine bestimmte Erinnerung mehr daran.
JUSTICE JACKSON: Aber Sie haben davon gehört. Sind Ihnen diese Handlungen nicht als Verfolgungsakte erschienen?
KESSELRING: Diese »Glas-Campagne« und so weiter muß ich natürlich als eine Ausschreitung gegen die Juden ansehen.
JUSTICE JACKSON: Sie haben, soweit ich Sie verstehe, erklärt, daß es auf Grund Ihrer Erfahrung mit Hitler für Offiziere möglich war, verschiedener Meinung mit ihm zu sein, solange sie seine Befehle befolgten. Ist das der Sinn Ihrer Worte?
KESSELRING: Ich muß um Entschuldigung bitten, ich habe den letzten halben Satz nicht vollkommen verstanden.
JUSTICE JACKSON: Ich habe Ihre Aussagen heute früh so verstanden, daß Sie sich für berechtigt erachteten, Meinungsverschiedenheiten mit Hitler zu haben, ihm Vorschläge zu machen und Informationen zu geben, daß aber, nachdem er seine Entschlüsse gefaßt und einen Befehl herausgegeben hatte, dieser befolgt werden mußte. Das heißt also...
KESSELRING: Jawohl.
JUSTICE JACKSON: Das heißt, einem Offizier war es zu jeder Zeit freigestellt, zu Hitler zu gehen und ihm technische Informationen zu geben, wie zum Beispiel über den Stand der Vorbereitungen seiner Dienstabteilung?
KESSELRING: Im allgemeinen nicht, sondern hierzu waren die Oberbefehlshaber der betreffenden Wehrmachtsteile die allein Berufenen.
JUSTICE JACKSON: So ging also der einzige Dienstweg, auf dem Informationen über den Stand der Luftwaffe zu Hitler gelangen konnten, über Hermann Göring? Ist das eine Tatsache?
KESSELRING: Hermann Göring, und zeitweise Staatssekretär Milch in Vertretung des Reichsmarschalls.
JUSTICE JACKSON: Wäre es Ihrer Kenntnis der Lage nach für Offiziere der Luftwaffe möglich gewesen, Hitler, der im Begriff [230] war, einen Krieg zu beginnen, für den die Luftwaffe nicht vorbereitet war, über diese Tatsache zu informieren oder nicht?
KESSELRING: Wir hatten ein restloses Vertrauen zu unserem Reichsmarschall und wußten, daß er die einzige Persönlichkeit war, die auf Adolf Hitler einen bestimmenden Einfluß ausüben konnte. In dieser Richtung wußten wir, nachdem wir auch noch die friedliebende Einstellung vom Reichsmarschall kannten, uns absolut genügend gesichert und abgestützt.
JUSTICE JACKSON: Es kam dann eine Zeit, wo Sie als Befehlshaber nach dem Osten versetzt wurden, nicht wahr? Sie gingen nach Polen und Sowjetrußland. Nicht wahr?
KESSELRING: Nach Polen und Rußland, jawohl.
JUSTICE JACKSON: Ja. Und war es im polnischen und russischen Feldzug den Offizieren nicht klar, daß die Haager Bestimmungen über die Behandlung von Kriegsgefangenen auf Sowjetrußland nicht angewendet wurden?
KESSELRING: Es war mir nicht bekannt.
JUSTICE JACKSON: Sie haben ausgesagt, daß die Luftwaffe lediglich eine Verteidigungswaffe war. Ist das Ihre Aussage?
KESSELRING: Jawohl.
JUSTICE JACKSON: Wie waren die Stärkezahlen der verschiedenen deutschen Flugzeugtypen zu Beginn des polnischen Feldzuges?
KESSELRING: Nachdem ich nicht der Zentralstelle angehörte, kann ich nur Annäherungswerte auf eigene Verantwortung angeben, ohne damit eine historische Sicherheit übernehmen zu können. Im allgemeinen werden wir rund 3000 Flugzeuge gehabt haben, alles in allem; soweit ich mich noch entsinnen kann, waren es zwischen dreißig und vierzig Kampfgruppen, dieselbe Zahl Jäger, und zehn Gruppen Sturzkampfflugzeuge, Jagdflieger...
JUSTICE JACKSON: Wollen Sie mir die Zahl jeder Gruppe geben?
KESSELRING: Rund dreißig Flugzeuge, die natürlich im Laufe der Tage bis zu sieben, sechs, fünf Flugzeugen abgesunken sind.
Um weiterzufahren, rund zehn bis zwölf Gruppen Sturzkampfflugzeuge, einschließlich Schlachtflieger und Zerstörer. Dann noch die ebenfalls in dieser Zahl eingeschlossenen Aufklärungsgruppen, und dann noch eine gewisse Zahl Marineflugzeuge.
JUSTICE JACKSON: Und das Verhältnis zwischen Bombern und Jagdflugzeugen war ungefähr zwei zu eins? Nicht wahr?
KESSELRING: Das Verhältnis zwischen Bombenflugzeugen und Jagdflugzeugen war ungefähr 1 zu 1, oder 1,2 oder 1,3 zu 1. Ich habe [231] gesagt zwischen dreißig und vierzig und ungefähr dreißig Jagdgruppen. Wenn ich die Zerstörer, die ja auch Jagdeigenschaft hatten, zu den Jägern zähle, wird ungefähr das Verhältnis eins zu eins richtig sein.
JUSTICE JACKSON: Auf Grund dieser Berechnung kommen Sie zu einer Summe von ungefähr dreitausend einzelnen Flugzeugen?
KESSELRING: Ich kann diese Zahl deswegen sagen, weil ich im Laufe dieser ruhigen Überlegungsmonate eine Berechnung angestellt habe, ohne die historische Wahrheit damit zu offenbaren.
JUSTICE JACKSON: Nun, zählen Sie das Bombenflugzeug zu den Defensivwaffen, oder betrachten Sie es als eine Offensivwaffe?
KESSELRING: Ich muß den Bomber genau so wie den Jäger und den Sturzkampfflieger als eine Defensivwaffe und eine Offensivwaffe im gleichen Umfang ansprechen. Ich habe gestern ausgeführt, daß, gleichgültig, ob Defensive oder Offensive, die Aufgabe der Luftwaffe offensiv geführt werden muß, und die Ziele im weiten und tiefen Raum liegen. Ich habe weiterhin ausgeführt, daß eine Luftwaffe, die nur leichte Flugzeuge hat, verurteilt ist, vernichtet zu werden, weil sie nicht die Phasen der feindlichen Luftproduktion, des Luftaufmarschgebietes, die Bewegungen auf den verschiedenen Abschnitten bekämpfen kann.
JUSTICE JACKSON: Mit anderen Worten, die Luftwaffe dient als Verteidigungswaffe, wenn Sie in der Verteidigung sind, und als Angriffswaffe, wenn Sie angreifen.
KESSELRING: Ich habe den letzten Satz nicht verstanden.
JUSTICE JACKSON: Die Luftwaffe dient als Verteidigungswaffe, wenn Sie sich in der Verteidigung befinden, und als Angriffswaffe, wenn Sie angreifen, nicht wahr?
KESSELRING: Man kann es so ausdrücken. Ich würde es anders ausdrücken, wie ich es gesagt habe, daß die Luftwaffe ihrem innersten Wesen nach eine Offensivwaffe ist, gleichgültig, ob sie in der Verteidigung oder im Angriff verwendet wird.
JUSTICE JACKSON: Ich glaube, Sie haben meine Definition noch verbessert. Nun, in den Niederlanden, in Polen.......
KESSELRING: Darf ich dazu noch einiges sagen?
JUSTICE JACKSON: Ja, bitte.
KESSELRING: Was ich gestern ganz am Schluß noch angefügt habe: Das Wesentliche einer Offensiv- Luftwaffe sind die weitreichenden viermotorigen Bombenträger großer Lasten, über diese verfügte Deutschland überhaupt nicht.
JUSTICE JACKSON: Wieso kam es, daß Deutschland keine solchen Flugzeuge hatte?
[232] KESSELRING: Erstens, weil wir tatsächlich im Stadium des Risikos uns nur auf die notwendigste Abwehr-Luftwaffe beschränkten.
Zweitens, weil wir versuchten, unserer Eigenart entsprechend, im Präzisionswurf, das heißt also, im Sturzkampfflug, möglichst viel zu erreichen, unter Einsatz weniger Kampfmittel; siehe Ju-88 als Musterbeispiel.
JUSTICE JACKSON: Sie wurden von der United-States-Kommission zur Untersuchung der strategischen Bombenangriffe verhört, und zwar am 28. Juni 1945. Erinnern Sie sich?
KESSELRING: Selbstverständlich, ja.
JUSTICE JACKSON: Gut, das ist ganz sicher. Nicht wahr?
KESSELRING: Ich bin öfters verhört worden.
JUSTICE JACKSON: Ich frage Sie nun, ob Sie nicht am 28. Juni 1945 dem im Namen der United-States-Kommission zur Untersuchung der strategischen Bombenangriffe das Verhör führenden Offizier gegenüber folgendes angegeben haben:
»Alles wurde getan, um die deutsche Luftwaffe vom Gesichtspunkt des Flugwesens, der Flugzeuge, der Fliegerabwehr, des Fliegernachrichtendienstes und so weiter zur gewaltigsten Luftwaffe in der Welt zu machen. Diese Bemühungen führten zu der Tatsache, daß zu Beginn des Krieges, oder im Jahre 1940 spätestens, vom Standpunkt der Jagdflugzeuge, vom Standpunkt der Stukas, vom Standpunkt der Kampfflugzeuge, wir besonders gute Flugzeuge hatten, selbst wenn es dann nicht vollkommen einheitlich war.«
Haben Sie das gesagt?
KESSELRING: Die Auffassung ist heute noch die meine, daß wir bezüglich des Materials, der Jagdflugzeuge, Sturzkampf- und Kampfflugzeuge tatsächlich einen gewissen Vorsprung vor den anderen Mächten hatten.
JUSTICE JACKSON: Nun, was den Mangel an viermotorigen Bombenflugzeugen betrifft, war der auf Ihre friedlichen Absichten, oder auf unrichtige Beurteilung der Erfordernisse des Krieges zurückzuführen?
KESSELRING: Ich muß dazu folgendes sagen: Es wäre von der Luftwaffenführung ein Wahnsinn gewesen, innerhalb von drei bis vier Jahren eine optimale Luftwaffe herzustellen. Frühestens Mitte 1940 war die Möglichkeit, gegeben, eine wirklich allen Ansprüchen genügende operative Luftwaffe auf die Beine zu bringen. Es ist deshalb nach meiner Auffassung eine Großtat der Organisation, die sich in der Beschränkung groß gezeigt hat.
JUSTICE JACKSON: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, war nach Ihrer Ansicht eines der Anzeichen Ihrer nicht aggressiven [233] Absichten die Tatsache, daß Sie bei Kriegsbeginn nicht genügend viermotorige Bomber hatten. Habe ich Sie mißverstanden?
KESSELRING: Das ist ein Ausschnitt aus dem Ganzen. Die Stärke der Luftwaffe war gerade den kleinen Staaten gegenüber als genügend anzusprechen, keineswegs aber großen luftgerüsteten Gegnern. Ich habe ein Beispiel in Erinnerung, wie ich in einem harten Meinungskampf mit dem Reichsmarschall vor Beginn des Russenkrieges um eine Verstärkung der Jäger und Stukas gebeten habe, die mir aus bestimmten Gründen abgelehnt worden sind. Die bestimmten Gründe waren einmal der Materialmangel und zweitens, daß ich aus dem Gespräch andererseits hören konnte, daß der Reichsmarschall mit diesem Krieg an sich nicht einverstanden war.
JUSTICE JACKSON: Haben Sie nicht vor der United-States-Kommission zur Untersuchung der strategischen Bombenangriffe ausgesagt, daß Sie beabsichtigten, einen weitreichenden schweren Bomber zu bauen, daß aber, und ich zitiere Ihre Worte:
»Wir hatten die AG-111 und die JU-88 ausgebaut, und sie wurden tatsächlich in den Kampf eingesetzt. Die JU-88 wurden dann im Frankreichfeldzug und gegen England eingesetzt als Fernbomber.
Frage: Die JU-88 ist nicht wirklich ein Fernbomber?« Ihre Antwort: »Er wurde als Fernbomber zu der Zeit angesehen, aber unglücklicherweise hatten wir eine geringe Meinung über die viermotorigen Flugzeuge und einen irrtümlichen Glauben, der sich später als ein großer Fehler erwies.«
Ist das richtig?
KESSELRING: Es war meine Auffassung.
JUSTICE JACKSON: Und der Grund, daß Sie keine viermotorigen Bomber gebaut haben, war Ihre geringe Meinung darüber?
KESSELRING: Ich möchte sagen, daß das die Auffassung einer Dienststelle war; Entscheidungen in all diesen Fragen wurden im Gremium getroffen, in der höchsten Dienststelle.
JUSTICE JACKSON: Und die höchsten Dienststellen haben einen Fehler in der Beurteilung der Verwendungsmöglichkeit der viermotorigen Bomber gemacht?
KESSELRING: Wenn ich die Verhältnisse retrospektiv betrachte, muß ich sagen, daß das Fehlen eines viermotorigen Bombers sich sehr unangenehm bemerkbar gemacht hat.
JUSTICE JACKSON: Und die höchste Autorität in der Flugzeugproduktion war Hermann Göring. Er war Chef für die gesamte Planung der Flugzeugproduktion? Nicht wahr?
[234] KESSELRING: Jawohl, das stimmt, das schließt nicht aus, daß natürlich eine irrtümliche Auffassung über irgendeine Kriegsführungsmaßnahme oder eine organisatorische Maßnahme vorübergehend vorhanden sein kann.
JUSTICE JACKSON: Sie haben am polnischen Feldzug teilgenommen, wie Sie gesagt haben?
KESSELRING: Ja.
JUSTICE JACKSON: Ist es nicht eine Tatsache, daß die deutsche Luftwaffe den entscheidenden Beitrag zu diesem Feldzug geleistet hat, vor allem hinsichtlich der zur Eroberung Polens benötigten Zeit?
KESSELRING: Vom Standpunkt des Luftwaffenoffiziers aus muß ich diese Auffassung absolut bestätigen. Aber die Heeresoffiziere teilten nicht ganz diese Auffassung.
JUSTICE JACKSON: Gut. Sie bringen jetzt in Ihrer Aussage Ihre eigene Meinung zum Ausdruck. Und in diesem Feldzug haben Sie die Technik des Tiefangriffs mit Jagdflugzeugen, Stukas und leichten Bombenflugzeugen gegen marschierende Kolonnen ausgebaut und Sturzkampf-, leichte Bomben- und Jagdflugzeuge haben alle zu diesem Erfolg beigetragen.
KESSELRING: Das muß ich zugeben, die Grundlagen der Nahkampftechnik wurden im Polenkrieg gelegt.
JUSTICE JACKSON: Ich wende mich nun dem französischen Feldzug zu. Sie gehörten in diesem französischen Feldzug der Luftwaffe an, nicht wahr?
KESSELRING: Ja.
JUSTICE JACKSON: Die Luftwaffe hat entscheidend zum Erfolg dieses Feldzuges beigetragen, nicht wahr?
KESSELRING: Vom Standpunkt des Luftwaffenoffiziers muß ich diese Auffassung als richtig unterstellen.
JUSTICE JACKSON: Und Sie haben ausgesagt, daß Dünkirchen keine solche Katastrophe gewesen wäre, wenn die Luftwaffe nicht mitgewirkt hätte. Das ist richtig, nicht wahr?
KESSELRING: Sagten Sie Dünkirchen? Ich habe das Wort nicht ganz verstanden.
JUSTICE JACKSON: Jawohl, Dünkirchen.
KESSELRING: Ja, das ist meiner Auffassung nach bestimmt und wäre in noch höherem Maße eingetreten, wenn nicht Schlechtwetter unseren Einsatz stark behindert hätte.
JUSTICE JACKSON: Das heißt, wenn das schlechte Wetter nicht eingetreten wäre, würde die Katastrophe für die Engländer noch größer gewesen sein? Ihrer Meinung nach hätte die Luftwaffe bei [235] Dünkirchen eigentlich bessere Arbeit leisten können, als dies tatsächlich der Fall war?
KESSELRING: Wir sind ungefähr zwei Tage ausgeschaltet gewesen.
JUSTICE JACKSON: Sie waren einer der Hauptvertreter des Planes der Invasion von England, nicht wahr?
KESSELRING: Ich persönlich stehe auf dem Standpunkt, daß, wenn der Krieg überhaupt zu einem Ende geführt werden sollte, dieses Ende nur mit Sicherheit durch eine Invasion erreicht werden konnte.
JUSTICE JACKSON: Nach dem Sieg über Polen, Holland, Belgien und Frankreich hatten Sie eine genügend starke Luftwaffe, um eine Invasion von England vorschlagen zu können, nicht wahr?
KESSELRING: Hierzu muß ich eine Ausführung machen.
JUSTICE JACKSON: Erst beantworten Sie mir, ob das richtig ist?
VORSITZENDER: Herr Zeuge, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß Sie zuerst die Frage zu beantworten haben, und erst dann Ausführungen machen können. Jede Frage, oder fast jede Frage erfordert entweder eine positive oder negative Antwort. Wollen Sie bitte zuerst eine solche Antwort geben und dann Ihre Erklärung ausführen.
JUSTICE JACKSON: Haben Sie nicht die Invasion von England befürwortet, und war die Luftwaffe nicht bereit zur Invasion Englands?
KESSELRING: Die Luftwaffe war unter gewissen Voraussetzungen bereit, unter Berücksichtigung der gegebenen seinerzeitigen Luftwaffenlage, diese Aufgabe zu erfüllen.
JUSTICE JACKSON: Und Sie haben dem Reichsmarschall sehr dringend geraten, mit der Invasion sofort nach Dünkirchen zu beginnen, nicht wahr?
KESSELRING: Ja, und ich habe diese Auffassung auch noch später vertreten.
JUSTICE JACKSON: Und die Vorbereitungen der Luftwaffe für diese Invasion waren vollendet, und die Invasion wurde nur deshalb nicht ausgeführt, weil die Ausrüstung mit Seefahrzeugen nicht ausreichend war, nicht wahr?
KESSELRING: Jawohl. Ich müßte den vorhergehenden Satz noch dahin ergänzen, daß selbstverständlich eine gewisse Zwischenpause zwischen dem französischen und dem englischen Feldzug hätte eintreten müssen, um die materielle Auffüllung der Luftwaffe wieder zu bewerkstelligen.
[236] JUSTICE JACKSON: Nun, Sie sagten auch der United-States-Kommission zur Untersuchung der strategischen Bombenangriffe, daß Hitler nicht allein die Bombardierung militärischer Objekte einschließlich industrieller Produktionszentren befohlen habe, sondern auch die Bombardierung politischer Ziele. Ist das richtig?
KESSELRING: Von einem gewissen Zeitpunkt an, ja.
JUSTICE JACKSON: Das heißt, um die Regierung des Feindes lahmzulegen, das meinten Sie mit politischen Zielen, nicht wahr?
KESSELRING: Das meine ich nicht mit politischen Zielen. Ich habe aber die Frage anders beantwortet und aufgefaßt, nämlich, daß dieser Befehl erst von einem späteren Zeitpunkt ab wirkte.
JUSTICE JACKSON: Sie waren zugegen, als Hitler im August 1939 eine Rede hielt?
KESSELRING: Jawohl.
JUSTICE JACKSON: Damals wurden Sie davon unterrichtet, daß der Angriff auf Polen unmittelbar oder sehr bald bevorstünde?
KESSELRING: Bei dieser Besprechung war der endgültige Entschluß, den Feldzug in Polen zu eröffnen, noch nicht gefaßt. Es liefen noch Verhandlungen, und wir hatten die Hoffnung, daß diese Verhandlungen noch zu einem günstigen Ergebnis führen würden.
JUSTICE JACKSON: Wurde Ihnen am 15. August befohlen, die Luftwaffe zum Angriff auf Polen bereitzuhalten?
KESSELRING: Diesen Befehl an sich kenne ich im einzelnen nicht, aber daß wir Monate voraus schon in einer allgemeinen defensiven Richtung die Flugvorbereitung, die Basen, in dem Gedanken an eine Defensive herrichteten, das muß ich angeben.
JUSTICE JACKSON: Sie erwarteten einen Luftan griff Polens auf Deutschland? Ist das Ihre Behauptung?
KESSELRING: Auf jeden Fall wurde mit dieser Möglichkeit auf unserer Seite auch gerechnet. Die gesamte politische Konstellation war uns zu fremd, um ein sachdienliches, einwandfreies Urteil abgeben zu können.
JUSTICE JACKSON: Sie haben erklärt, daß Sie niemals Besprechungen mit Parteiführern abhielten und weder über Politik sprachen, noch irgendwelche wesentliche Verbindung zu politischen Persönlichkeiten hatten, nicht wahr?
KESSELRING: Im wesentlichen, ja.
JUSTICE JACKSON: War nicht Ihr unmittelbarer Vorgesetzter der politische Führer Nr. 2 von Deutschland? Haben Sie das nicht gewußt?
[237] KESSELRING: Ich habe es gewußt, aber ich darf ausdrücklich sagen, daß die Unterhaltungen, die ich mit dem Reichsmarschall hatte, zu 99 Prozent militärischer und organisatorischer Art waren.
JUSTICE JACKSON: Aber Sie wußten, daß er zu allen Zeiten einer der führenden Männer der Nazi-Partei war?
KESSELRING: Jawohl.
JUSTICE JACKSON: Sie haben ausgesagt, daß Sie den Befehl, Sowjet-Kommissare zu erschießen, kannten?
KESSELRING: Jawohl.
JUSTICE JACKSON: Und daß Sie ihn nicht gebilligt haben und ihn nicht ausführten?
KESSELRING: In diesem Sinne habe ich mich gestern nicht geäußert.
JUSTICE JACKSON: Was war Ihre Antwort darauf?
KESSELRING: Ich habe folgendes gesagt: Daß die Luftwaffe als keine »Erdkampftruppe« an dieser Frage nicht beteiligt war, und daß mir eine offizielle Bekanntgabe dieser Verfügung nicht mehr in Erinnerung ist.
JUSTICE JACKSON: Wer führte diesen Befehl aus? Wer sollte ihn ausführen?
KESSELRING: Ich bin nur bis November 1941 in Rußland gewesen und kann darüber keine Auskunft geben.
JUSTICE JACKSON: Haben Sie je von der SS gehört?
KESSELRING: Selbstverständlich.
JUSTICE JACKSON: Entspricht es nicht den Tatsachen, daß die Ausführung dieses Befehls der SS übertragen wurde?
KESSELRING: Darüber wußte ich nichts.
JUSTICE JACKSON: Wozu glaubten Sie, war die SS da?
KESSELRING: Für meinen Begriff war die SS, soweit sie bei den militärischen Operationen Verwendung fand, eine Abart des Heeres, und zwar eine Art Garde des Heeres.
JUSTICE JACKSON: Die SS sollte die Armee bewachen oder wen sonst?
KESSELRING: Nein, sondern die SS-Divisionen waren rein menschenmäßig, zahlenmäßig und materialmäßig weit über den Durchschnitt der Heeresdivisionen ausgestattet und fertig.
JUSTICE JACKSON: Wer kommandierte die SS?
KESSELRING: Himmler hatte die SS kommandiert. Soweit diese Divisionen im Rahmen des Heeres Verwendung gefunden haben, [238] waren sie taktisch den betreffenden Armeeführern, Heeresgruppenkommandeuren oder Generalkommandos unterstellt.
JUSTICE JACKSON: Aber soweit sie Sonderaufgaben hatten, standen sie unter dem Befehl Himmlers? Stimmt das?
KESSELRING: Jawohl. Ein sehr klarer Nebenweg.
JUSTICE JACKSON: Sie haben gestern ausgesagt, daß Sie den Kommandobefehl Hitlers nicht als bindend für sich betrachteten, und daß Sie diesen Befehl nicht ausführten. Ist das richtig?
KESSELRING: Auf dem Kriegsschauplatz des Mittelmeeres, ja.
JUSTICE JACKSON: War das deshalb, weil der Befehl Ihnen die Entscheidung überließ, oder weil Sie diese Entscheidung eben selbständig trafen?
KESSELRING: Ich habe mir diesen Vorbehalt selbst gemacht, erstens aus ideologischen Überlegungen und zweitens, weil ich eine Doppelunterstellung im Mittelmeer hatte, wie ich gestern sagte, und die deutschen Befehle nicht ohne weiteres in die Gesamtführung eingeschleust werden konnten.
JUSTICE JACKSON: Gut, das Ausmaß, wie weit ein Befehl dieser Art ausgeführt wird, hing also irgendwie vom Charakter und Mut des Offiziers ab, der ihn erhalten hatte, nicht wahr?
KESSELRING: Ich möchte es etwas anders ausdrücken. Diese Befehle haben eine gewisse Auslegungsfähigkeit gehabt, zum Beispiel, dieser Kommandobe fehl insoweit, als es dem Oberbefehlshaber ganz zweifellos möglich war, eine Operation als Kommando oder als militärisch berechtigte taktische Maßnahme anzusehen.
JUSTICE JACKSON: Zur Zeit dieses Kommandobefehls befehligten Sie die Streitkräfte in Italien, nicht wahr?
KESSELRING: Unterschiedlich. Mit allen Vollmachten erst ab September 1943.
JUSTICE JACKSON: Ich werde Ihnen nun Dokument 498, US-501, vorlegen lassen.
VORSITZENDER: Ist das 498-PS?
JUSTICE JACKSON: 498-PS. Ich bitte um Entschuldigung, Herr Vorsitzender.
[Zum Zeugen gewandt:]
Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf Punkt sechs dieses Befehls lenken, der folgendermaßen lautet:
»Ich werde für die Nichtdurchführung dieses Befehls alle Kommandeure und Offiziere kriegsgerichtlich verantwortlich machen, die entweder ihre Pflicht der Belehrung der Truppe über diesen Befehl versäumt haben oder die in der Durchführung entgegen diesem Befehl handeln.«
Haben Sie diesen Punkt des Befehls gefunden?
[239] KESSELRING: Ja, ich habe ihn gerade gelesen.
JUSTICE JACKSON: Haben Sie jemals berichtet, daß Sie diesen Befehl nicht durchführten oder haben Sie Ihre Vorgesetzten über diese Tatsache getäuscht?
KESSELRING: In einem Sonderfall ist diese Frage im Hauptquartier sehr entscheidend behandelt worden. Es hat sich hier um das Kommandounternehmen Pescara gehandelt, wo Adolf Hitler trotz der Schonung der Beteiligten durch mich und meine Leute deren Erschießung angeordnet hat. Ich glaube insbesondere, daß hier die vermittelnde Mitwirkung von Jodl entscheidend war, nämlich mit dem Erfolg, daß diese Sache vergessen wurde, und daß dementsprechend die Leute in den Gefangenenlagern und den Lazaretten am Leben erhalten werden konnten.
Von einer Täuschung, wie Sie gerade sagten, Herr Generalstaatsanwalt, möchte ich nicht sprechen, denn ich möchte ausdrücklich sagen, daß ich auf meinem Kriegsschauplatz Aktionen dieser Art als Rahmenbefehle angesehen habe, und daß dieser Kommandobefehl ganz zweifellos verschiedene Deutungen zugelassen hat.
JUSTICE JACKSON: Mit anderen Worten, es war dem befehlshabenden Kommandeur überlassen, in welchem Ausmaß ein solcher Befehl durchgeführt wurde. Ist es richtig, daß Hitler sich nicht darauf verlassen konnte, daß ein so nachdrücklicher Befehl wie dieser von seinen Kommandeuren auch ausgeführt wurde?
War das der Zustand der Deutschen Wehrmacht?
KESSELRING: Nein, das nicht, sondern es ist folgendes zu sagen: Wenn von seiten einer Armee eine derartige Unternehmung als Kommandounternehmung im Sinne dieser Verfügung nach oben gemeldet wird, dann mußten die notwendigen Maßnahmen ausgeführt werden. Es hing aber von der Berichterstattung der Formation ab, und ich habe gestern ausführlich darüber berichtet, daß eine einheitliche Auffassung allmählich Platz gegriffen habe, daß Uniformträger, die eine taktische Aufgabe durchführten, keine Kommandos im Sinne dieser Verfügung darstellten.
JUSTICE JACKSON: Sie haben heute ausgesagt, und noch ein anderer Zeuge hat hier ausgesagt, daß, wenn man sich einem Befehl Adolf Hitlers widersetzte, dies den Tod bedeutete. Dann haben Sie auch ausgesagt, daß ein absoluter Befehl über die Hinrichtung von Kommandos, der Bestrafung bei Nichtbefolgung androhte, es Ihrem Ermessen überließ, ihn zu befolgen oder nicht, und ich möchte Sie daher jetzt bitten, ein für allemal dem Gerichtshof zu sagen, wie der Sachverhalt war, und dann werden wir dieses Thema fallen lassen.
KESSELRING: Ich muß nochmals das wiederholen, was ich gesagt habe, nämlich, daß der italienische Kriegsschauplatz nicht mit [240] anderen Kriegsschauplätzen zu vergleichen war. Durch die Zusammenarbeit Hitlers und Mussolinis war stets eine außerordentlich entgegenkommende Haltung vorzufinden, so daß diese Verfügung des OKW nicht ohne weiteres auf dem italienischen Kriegsschauplatz angewendet werden konnte.
JUSTICE JACKSON: Sie wurde also, soweit Sie wissen, mit Ausnahme des italienischen Kriegsschauplatzes, überall angewendet?
KESSELRING: Das kann ich nicht sagen, ich habe schon wiederholt anführen dürfen, daß ich mich nur um meinen an sich sehr großen Arbeitskreis gekümmert habe.
JUSTICE JACKSON: Wenn ich Sie recht verstanden habe, sagten Sie aus, daß Sie Plünderungen Ihrer Soldaten in Italien bestraft haben.
KESSELRING: Sobald sie mir zur Kenntnis gekommen sind, habe ich sie bestraft und habe die Armeeführer und Luftwaffenführer in dieser Richtung schärfstens angewiesen.
JUSTICE JACKSON: Nun, die Strafen, die Sie für Plünderungen verhängten, waren aber sehr mild, nicht wahr?
KESSELRING: Ich habe bis zum Erschießen an Ort und Stelle durchgegriffen, und auf diese Weise habe ich es verstanden, die Unordnung, die eingetreten war, zu beseitigen.
JUSTICE JACKSON: Ein deutscher General betrachtet also Erschießen als geeignete Strafe für Plünderungen, wenn es sich um einen deutschen Soldaten handelt?
KESSELRING: Diese weitgehenden Konsequenzen kann ich nicht anerkennen. Ich möchte folgendes darüber sagen: Wenn ein Heer, wie es seinerzeit die 14. Armee war, in eine gewisse Deroute gekommen war, waren die schärfsten Maßnahmen gerade genügend, um im Interesse des Ansehens meiner Armee und der Bevölkerung und zur Wiederherstellung der Ordnung unter der Zivilbevölkerung ergriffen zu werden. Ich habe gerade wegen dieses Punktes eine scharfe Auseinandersetzung im Hauptquartier gehabt. Im übrigen stand ich auf dem Standpunkt, es nützt sich jede Schärfe auf die Dauer ab, und deswegen habe ich zeitweise die Strafe als reines Erziehungsmittel und nicht als Strafe angesehen, und dementsprechend kommen zeitweise die geringeren Strafen zum Ausdruck.
JUSTICE JACKSON: Sie sagten aus, daß Sie energische Schritte unternahmen, um die Kunstschätze Italiens zu schützen.
KESSELRING: Soweit ich von Kunstschätzen unterrichtet war, ja.
JUSTICE JACKSON: Was für Schritte haben Sie unternommen und gegen wen?
KESSELRING: In erster Linie Schritte vorbeugender Art, indem ich erstens die Kunst- und Kulturstätten überhaupt aus dem Kampf [241] ausgeschlossen habe, zweitens durch Räumung derartiger Orte, die Anlaß zum Bombenangriff durch den Feind gegeben haben, und drittens, durch Zusammenarbeit mit General Wolff und Verlagerung dieser Kunst- und Kulturschätze an sichere Orte. Ich erinnere an die Kunstschätze von Cassino und Florenz.
JUSTICE JACKSON: Ist Ihnen bekannt, daß Kunstschätze zum Beispiel von Monte Cassino entfernt und nach Berlin gebracht wurden?
KESSELRING: Ich habe sehr spät, also in Mondorf, davon gehört. Seinerzeit war mir nur in Erinnerung, daß sie in Rom dem Vatikan übergeben wurden.
JUSTICE JACKSON: Oh, ist Ihnen nicht bekannt, daß Kunstschätze von Monte Cassino entfernt und an Göring übergeben wurden? Haben Sie jemals davon gehört?
KESSELRING: Ich habe einmal etwas von einer Heiligenfigur gehört, kann aber tatsächlich nichts Näheres angeben.
JUSTICE JACKSON: War es eine Verletzung Ihres Befehls, wenn Göring einen solchen Kunstgegenstand von Monte Cassino erhielt?
KESSELRING: In diesem Raum stand die Division »Hermann Göring« und der Kommandant dieser Division war der frühere Adjutant von Hermann Göring, und es ist klar, daß hier eine gewisse Verbindung stattgefunden hat. In welchem Umfang kann ich nicht sagen.
JUSTICE JACKSON: Ich habe einige weitere Fragen hinsichtlich Ihrer Verhöre zu stellen.
VORSITZENDER: Wir unterbrechen jetzt vielleicht auf zehn Minuten.
[Pause von 10 Minuten.]
JUSTICE JACKSON: Meine Herren Richter! Ich glaube, wir werden Wiederholungen und vielleicht auch Zeit sparen, wenn ich jetzt meinen Platz Sir David Maxwell-Fyfe übergebe, der über einige Dinge, die ich gerade zur Sprache bringen wollte, den Zeugen befragen will. Ich glaube, er wird das Verhör besser führen können als ich.
VORSITZENDER: Wie Sie wünschen, Herr Jackson.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Herr Zeuge, ist Ihnen gesagt worden, warum Dr. Stahmer Ihre Aussage wünscht? Ist Ihnen von Dr. Stahmer gesagt worden, was Sie aussagen sollen?
KESSELRING: Die einzelnen Punkte sind mir mitgeteilt worden, ohne damit alle Fragen klar umrissen zu haben.
[242] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte Ihnen einen Satz aus Dr. Stahmers Erklärung vorlesen, damit Sie sich dann erinnern können:
»Als Rotterdam im Mai 1940 Kampfzone wurde, wurde es zur militärischen Notwendigkeit, Bombenflugzeuge zu verwenden, da die umzingelten Fallschirmtruppen, die keine Artilleriehilfe hatten, dringend um Hilfe von Bombenflugzeugen gebeten hatten.«
Erinnern Sie sich an diesen Vorfall? Ich möchte, daß Sie sich an ihn erinnern.
KESSELRING: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Erinnern Sie sich, daß Sie über diesen Vorfall in Ihrem Verhör am 28. Juni durch die United-States-Kommission zur Untersuchung der Bombenangriffe befragt wurden? Erinnern Sie sich?
KESSELRING: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie auf die Frage: »Wie war es mit Rotterdam?« folgendes geantwortet:
»Zuerst wurde Rotterdam verteidigt in den Stadtteilen, die später angegriffen wurden. Zweitens: in diesem Fall konnte man feststellen, daß eine feste Haltung eingenommen werden mußte. Dieser eine Angriff hat sofort Frieden für Holland gebracht. Er wurde von Model verlangt und vom OKW gebilligt. Es war ein sehr kleiner Teil im Herzen Rotterdams.« Erinnern Sie sich daran, das gesagt zu haben?
KESSELRING: Ja, ich habe ungefähr das gesagt. Ich habe gestern diese Ausdrücke wiederholt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte zuerst die strategischen Möglichkeiten behandeln und mich dann den taktischen Fragen zuwenden. Ihre strategische Absicht und Ihr wirkliches Ziel war, eine feste Haltung einzunehmen, um sofortigen Frieden zu erreichen. Ist das richtig?
KESSELRING: Diese weitgehende Aufgabe war mir nicht gestellt, sondern, wie ich gestern sagte, hat General Wenninger mir als Ergebnis des Angriffes gemeldet, daß anschließend an den Angriff auch die totale Übergabe Hollands erfolgt ist.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber ich möchte, daß Sie sich an Ihre eigenen Worte erinnern. Es war vom OKW gebilligt worden, daß eine feste Haltung eingenommen werden mußte. War es nicht Ihr Ziel, bei diesem Angriff durch Terrorisierung der Bevölkerung Rotterdams einen strategischen Vorteil zu erlangen?
KESSELRING: Dies muß ich aus reinstem Gewissen zurückweisen. Ich habe auch nicht seinerzeit in Mondorf gesagt, daß ich [243] eine feste Haltung einnehmen muß, sondern ich habe auch nur zum Ausdruck gebracht, daß die von Student verlangte Unterstützung vollzogen werden müsse. Wir hatten nur diese eine Aufgabe, eine Artillerieunterstützung für Student zu leisten.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was meinten Sie, wenn Sie sagten, daß eine »feste Haltung« eingenommen werden mußte, wenn Sie damit nicht meinten, daß die Bevölkerung Hollands möglicherweise durch Terror bewogen werden sollte, Frieden zu schließen?
KESSELRING: Darf ich dazu nochmals wiederholen, daß der Begriff »feste Haltung« im Widerspruch steht mit der ganzen Diktion von mir, so daß ich dieses Wort aus der Niederschrift nicht anerkennen kann. Es ist mir auch seinerzeit nicht vorgelesen worden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was glauben Sie, haben Sie gesagt statt »feste Haltung«, wenn Sie es nicht gesagt haben?
KESSELRING: Ich habe zum Ausdruck gebracht, daß scharfes Durchgreifen zum raschen Erfolg führt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist genau, was ich behaupte, Herr Zeuge, »Scharfes Durchgreifen«.
KESSELRING: Aber nur zum Zweck der taktischen Handlung. Darf ich noch einmal ausdrücklich sagen, daß ich als Soldat kein Politiker bin und nicht politisch gehandelt habe, und in diesem Moment ausschließlich und allein den Anordnungen des Generals Student gerecht geworden bin.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Bevor ich mich den taktischen Fragen zuwende, was ich gerne tun will, noch die Frage: Hatten Sie mit dem Angeklagten Raeder zu tun? Haben Sie überhaupt mit dem Angeklagten Raeder arbeiten müssen?
KESSELRING: Großadmiral Raeder? Nur im großen, soweit es maritime Verhältnisse in ihrer Mitwirkung betroffen hat.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte, daß Sie sich die Ansichten anhören, die der Angeklagte Raeder zum Ausdruck gebracht hat, und dem Gerichtshof mitteilen, ob Sie damit übereinstimmen. Es ist das englische Beweisstück GB-224, C-157, und ist im Protokoll (Band V, Seite 311) zu finden. Nun hören Sie genau zu, bitte:
»Eine Stützung der getroffenen militärischen Maßnahmen auf das bestehende Völkerrecht bleibt erwünscht; militärisch als notwendig erkannte Maßnahmen müssen aber, sofern sie kriegsentscheidende Erfolge erwarten lassen, auch dann durchgeführt werden, wenn das geltende Völkerrecht nicht auf sie Anwendung finden kann.«
Stimmen Sie damit überein?
[244] KESSELRING: Ich kann nicht vollkommen übereinstimmen mit dieser Auffassung. Im Falle Rotterdam liegen die Verhältnisse vollkommen konträr. Es ist gerade auf den Kopf gestellt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Im Augenblick wollen wir uns mit den Worten des Angeklagten Raeder beschäftigen. Stimmen Sie mit denen überein?
KESSELRING: Nein.
DR. LATERNSER: Ich habe eine Einwendung. Ich widerspreche der vorigen und der jetzt an den Zeugen gestellten Frage, weil die Frage erstens unerheblich, und zweitens sich nicht auf Tatsachen bezieht, sondern auf Meinungen. Der Zeuge ist dazu da, Tatsachen zu bekunden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Präsident! Der Zeuge ist hier, wie ich schon hervorgehoben habe, um über militärische Notwendigkeiten auszusagen.
VORSITZENDER: Sir David, der Gerichtshof ist der Meinung, daß die Frage in der Form, in der Sie sie stellten, zu einem Einspruch Anlaß geben könnte, da Sie die Ansichten des Angeklagten Raeder anführen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich füge mich selbstverständlich der Entscheidung des Gerichtshofs, aber dieser Zeuge wurde geladen, um auszusagen, daß diese Haltung durch militärische Notwendigkeiten bedingt war. Ich habe ihn nun gefragt, ob er mit den Ansichten eines seiner Kollegen über den Begriff der militärischen Notwendigkeit übereinstimmt. Wenn der Gerichtshof irgendeinen Zweifel hat, dann würde ich lieber darüber hinweggehen. Aber der Gerichtshof wird sich mit dem Problem der militärischen Notwendigkeit noch auf verschiedenen Gebieten zu befassen haben. Mit Ihrer Erlaubnis will ich daher diese Angelegenheit nicht fallen lassen, da sie noch im Zusammenhang mit anderen Dingen, über die ich Fragen zu stellen habe, eine Rolle spielen wird.
Ich komme nun zur taktischen Lage in Rotterdam. Wollen Sie dem Gerichtshof mitteilen, wer die beteiligten Offiziere waren? Da war ein Generalleutnant Schmidt und mit ihm Generalmajor Student, die den Befehl über die Truppen hatten, die Rotterdam angriffen. Erinnern Sie sich daran?
KESSELRING: General Student. General Schmidt ist mir nicht bekannt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, den Beweisen zufolge, die in diesem Fall vorliegen, wurden die Verhandlungen von Generalleutnant Schmidt in einer Käserei in der Nähe von Rotterdam geführt, und dort wurden auch die Bedingungen der Übergabe schriftlich niedergelegt. Ich glaube, daß es sich um den Vorgesetzen des Generals Student handelte, nicht wahr?
[245] KESSELRING: General Student war der höchste deutsche Offizier in diesem Raum Rotterdam und der verantwortliche Befehlshaber. General Schmidt ist mir nicht bekannt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: So muß General Schmidt General Students Untergebener gewesen sein, nicht wahr?
KESSELRING: Er muß vielleicht zu dem besonderen Zweck herangeholt worden sein; mir ist er nicht bekannt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte, daß Sie sich an die Zeit erinnern. Wissen Sie, zu welcher Tageszeit die Bombardierung Rotterdams begann?
KESSELRING: Meines Wissens in den frühen Mittagsstunden, so um 14.00 Uhr, glaube ich.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich wollte Ihnen 13.30 Uhr sagen.
KESSELRING: Ja, das ist gut möglich.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wissen Sie, daß seit 10.30 Uhr morgens Verhandlungen über die Kapitulation im Gange waren?
KESSELRING: Nein, wie ich gestern schon gesagt habe, habe ich darüber keine Kenntnis.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und wußten Sie, daß um 12.15 Uhr ein holländischer Offizier, Hauptmann Bakker, zu den deutschen Linien hinüberging und mit General Schmidt und General Student zusammentraf, und daß General Schmidt die vorgeschlagenen Bedingungen der Kapitulation um 12.35 Uhr schriftlich niederlegte?
KESSELRING: Nein, unbekannt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das wurde Ihnen niemals mitgeteilt?
KESSELRING: Nicht mitgeteilt, zumindest mir nicht in Erinnerung.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie sehen, Zeuge, es sind 55 Minuten vor dem Beginn des Bombardements und...
KESSELRING: Das Wesentliche wäre gewesen, daß von seiten des Generals Student der Angriff als solcher abgesagt worden wäre. Das ist aber nicht eingetreten. Diese Absage des Angriffs ist an mich nicht gekommen, auch nicht an den Verband.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, ich will nur, daß Sie sich die Geschehnisse vergegenwärtigen, und dann werde ich Ihnen einige Fragen stellen. Die Bedingungen, die um 12.35 Uhr erörtert worden waren, sollten noch andauern. Der Termin für die Antwort war auf 16.20 Uhr festgesetzt worden. Nachdem Hauptmann Bakker mit den Bedingungen um 13.22 Uhr zurückgegangen war, wurden um 13.25 Uhr [246] von den deutschen Bodentruppen unter General Student zwei rote Leuchtkugeln abgeschossen. Haben Sie jemals davon gehört?
KESSELRING: Von dieser Tatsache an sich habe ich auch nichts gehört. Zwei rote Leuchtkugeln würden natürlich für diesen Zweck auch nicht genügt haben.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, aber außerdem haben Ihre Bodentruppen ausgezeichnete Funkverbindung mit Ihren Flugzeugen gehabt, nicht wahr? Wollen Sie diese Frage beantworten?
KESSELRING: Ich habe gestern erklärt...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie, bitte, die Frage beantworten.
KESSELRING: Ja und nein, denn es ist meines Wissens gar keine unmittelbare Verbindung von der Bodenstation zu den Flugzeugen da, sondern, wie ich gestern sagte, von der taktischen Stelle über die Bodenstelle zum Flugverband.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn man diese Mitteilung an die Flugzeuge weiterleiten und die Bombardierung hätte aufhalten wollen, hätte dies doch leicht durch Funkverkehr geschehen können, abgesehen von den zwei Leuchtkugeln?
KESSELRING: Meines Erachtens, ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun behaupte ich, daß jedermann diese Bombenflugzeuge herüberfliegen sah, Sie wissen dies. Student sah die Bomber herüberfliegen. Sie wissen das doch, nicht wahr?
KESSELRING: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn dieser Angriff irgendeine taktische Bedeutung zur Unterstützung Ihrer Truppen gehabt hatte, hätte er abgeblasen werden können, nicht wahr?
KESSELRING: Der letzte Satz ist von mir nicht aufgenommen worden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn das Ziel dieses Angriffs ein rein taktisches gewesen wäre, um den Angriff auf Rotterdam zu unterstützen, so hätte er leicht durch eine Funkmeldung des Generals Student an die Flugzeuge abgeblasen werden können, nicht wahr?
KESSELRING: Jawohl, wenn die taktische Lage hier bekannt gewesen wäre oder die Lage unmittelbar dem Verband mitgeteilt worden wäre, dann hätte gar kein Zweifel entstehen können.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber wenn in ehrlich gemeinten Verhandlungen Kapitulationsbedingungen vereinbart worden sind, die erst drei Stunden später ablaufen sollen, kann man von einem Soldaten erwarten, daß er den Angriff abbläst, nicht wahr?
[247] KESSELRING: Wenn keine anderen Bestimmungen vereinbart waren, ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn er aber die Möglichkeit hatte, den Angriff abzublasen, wäre nichts leichter gewesen, als dies tatsächlich durchzuführen. Ich möchte mit meiner Behauptung ganz klar zum Ausdruck bringen, daß diese taktische Maßnahme nichts mit dem Angriff auf Rotterdam zu tun hatte, und daß der Angriff auf Rotterdam nach Ihren eigenen Worten den Zweck verfolgte, eine feste Haltung zu zeigen und die Holländer durch Terror zur Kapitulation zu zwingen.
KESSELRING: Ich darf nochmals wiederholen, daß ich ausdrücklich gesagt habe, daß dieser Angriff einzig und allein den taktischen Erfordernissen Rechnung getragen hat, und daß ich diese politischen Erwägungen radikal ablehne.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie wissen wohl, daß General Student sich später für diesen Angriff entschuldigte, das wissen Sie doch? Er entschuldigte sich bei dem holländischen Kommandanten für den Angriff.
KESSELRING: Ich weiß es nicht und wie ich Ihnen gestern schon auseinandersetzte, ist General Student schwer gehirnverletzt gewesen und ich konnte mit ihm nicht einmal sprechen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte nicht mehr Zeit dafür verwenden. Ich hoffe, meinen Standpunkt ganz klar dargelegt zu haben, und möchte nun eine Frage über eine andere Sache stellen, über die Sie gestern im Zusammenhang mit Bombardements sprachen. Sie sagten, daß der Angriff auf Warschau am 1. September 1939 unternommen wurde, weil Sie Warschau als verteidigte Festung mit Luftabwehr angesehen haben. Ist das richtig?
KESSELRING: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, Sie wissen, daß zur selben Zeit, am Freitag, den 1. September, um 5.00 Uhr morgens, die deutsche Luftwaffe folgende Städte angriff, Augustówo, Nowy Dwor, Ostrów, Mazowiecki, Dirschau, Putzig, Zambrów, Radomsko, Thorn, Kutno, Tunel, Krakau, Grodno, Trzebinia und Gdingen, das in einer anderen Gegend liegt. Die deutsche Luftwaffe griff alle diese Städte an, nicht wahr?
KESSELRING: Meine Kameraden, ja... Die Städte nicht. Ich wiederhole, die Städte nicht, die Städte nicht!
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: All diese Angriffe wurden am 1. September um 5 Uhr früh durchgeführt. Stimmt das?
KESSELRING: Die Angriffe wurden am Morgen unternommen, aber nicht, wie Sie sagten, Herr Generalstaatsanwalt, die Städte, sondern die militärischen Ziele, Flugplätze und Stabsquartiere und [248] Verkehrsanlagen wurden angegriffen. Wie ich schon auseinandergesetzt habe, sind ganz eingehende Anordnungen vom OKW erlassen worden, daß nur diese militärischen Ziele bekämpft werden dürfen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie behaupten, daß alle diese Städte, deren Namen ich verlesen habe, militärische Ziele waren?
KESSELRING: Soweit sie in meinem Streifen lagen, ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie hatten keine Zeit, ein einziges Aufklärungsflugzeug über Polen zu schicken, ehe dieser Angriff unternommen wurde, nicht wahr?
KESSELRING: Das stimmt; auf der anderen Seite ist uns durch Agenten und so weiter genügend Kenntnis über die Lage mitgeteilt worden, und außerdem war dieser ganze Plan einer operativen Überlegung der Luftkriegsführung schlechthin unterworfen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Natürlich, der ganze Plan war im April 1939 als Fall »Weiß« ausgearbeitet worden.
KESSELRING: Zu diesem Zeitpunkt wußte ich über haupt noch nicht, daß ich eingeteilt wurde, und daß Krieg geführt wird.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Zeuge, wußten Sie nach Ihrer Ernennung nicht, daß der Fall »Weiß« im April 1939 ausgearbeitet worden war? Wurde Ihnen das nie gesagt?
KESSELRING: Das wurde nicht gesagt, aber andererseits darf ich als Soldat sagen, daß ein Generalplan, der im April aufgestellt wird, derartig vielen Änderungen bis zum September unterliegt und in der letzten Stunde sogar noch entscheidende Änderungen vorgenommen werden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, ich möchte, daß Sie noch einen anderen Punkt ins Auge fassen. Erinnern Sie sich, daß im deutschen Radio am Abend vorher, also am 31. August um 9.00 Uhr das Ultimatum an Polen durchgesagt wurde? Erinnern Sie sich daran?
KESSELRING: Ich glaube, ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das war acht Stunden vor Ihrem Angriff, und Sie wissen doch, nicht wahr, daß der Angeklagte Göring sich vorher eine ganze Woche lang in seinem geheimen Hauptquartier zur Erörterung dieser Angelegenheit aufgehalten hat.
KESSELRING: Das kann ich mir vorstellen, wenn am...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich behaupte nun, daß dieser allgemeine Angriff auf polnische Städte wiederum ein wohlgeplanter Anschlag war, mit dem Versuch, den nationalen Widerstand gegen Ihren Angriff niederzubrechen.
KESSELRING: Darf ich dazu folgendes sagen: Wenn meine Aussagen als Feldmarschall und als Zeuge unter Eid so wenig berücksichtigt werden, wie sie von Ihnen, Herr Generalstaatsanwalt, [249] berücksichtigt werden, dann hat eine weitere Aussage von mir keinen Zweck. Ich habe betont, daß es sich nicht um einen Angriff auf Städte handelte, sondern um einen Angriff auf militärische Ziele, und das müssen Sie mir als altem Soldaten letzten Endes glauben.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, der Gerichtshof wird entscheiden, was Ihre Aussage für einen Wert hat. Ich werde das nicht erörtern. Ich möchte Sie nur noch über ein oder zwei andere Dinge befragen, um zu erfahren, was Sie als militärische Notwendigkeit ansehen. Erinnern Sie sich an die Befehle über Partisanen in Italien, zur Zeit, als Sie das Kommando dort hatten? Die Befehle über Partisanen.
KESSELRING: Gewiß.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte es ganz genau festlegen. Sagen Sie mir, wenn ich mich irre, aber ich glaube, die Lage war folgende: Der Angeklagte Keitel hat am 16. Dezember 1942 einen allgemeinen Befehl über Partisanen erlassen. Ein Exemplar wurde in Ihrem Hauptquartier, in Ihrem früheren Hauptquartier, gefunden, und Sie erinnern sich, daß er Ihnen später zur Kenntnis kam, aber Sie sind nicht ganz sicher, wann. Ist das richtig? Sind Sie nicht ganz sicher über das Datum?
KESSELRING: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte, daß Sie versuchen, sich daran zu erinnern. Sie haben Zeit gehabt, es sich zu überlegen. Glauben Sie, daß Keitels Befehl vom Dezember 1942 Ihnen bekannt wurde, bevor Sie Ihren eigenen Befehl vom 17. Juni 1944 ausgaben? Vielleicht möchten Sie Ihren eigenen Befehl sehen?
KESSELRING: Er wurde einmal verlesen, ich habe aber im November und dann wiederholt im Dezember und anschließend im Januar gebeten, daß ich zu diesen Fragen und zu diesen Verordnungen nochmals gehört werde, weil ich Bedenken hatte, über die Ausgabe, über den Verteiler, den Adressatenkreis und über den Zeitpunkt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich werde Ihnen, Zeuge, die Befehle, die Sie sehen sollen, um Ihrem Erinnerungsvermögen nachhelfen zu können, gleich aushändigen lassen. Ich glaube nicht, daß sie schon vorher vorgelegt worden sind. Wir wollen erst den Befehl des Angeklagten Keitel vom 16. Dezember 1942 vornehmen.
[Dem Zeugen wird ein Dokument ausgehändigt.]
Ich hoffe, ich habe Ihnen das richtige Dokument gegeben. Es heißt dort... ich werde es sehr langsam lesen:
[250] »Der Führer hat hierzu befohlen:
1. Der Feind setzt im Bandenkampf fanatische, kommunistisch geschulte Kämpfer ein, die vor keiner Gewalttat zurückschrecken. Es geht hier mehr denn je um Sein oder Nichtsein. Mit soldatischer Ritterlichkeit oder mit den Vereinbarungen in der Genfer Konvention hat dieser Kampf nichts mehr zu tun.
Wenn dieser Kampf gegen die Banden sowohl im Osten wie auf dem Balkan nicht mit den allerbrutalsten Mitteln geführt wird, so reichen in absehbarer Zeit die verfügbaren Kräfte nicht mehr aus, um dieser Pest Herr zu werden.
Die Truppe ist daher berechtigt und verpflichtet, in diesem Kampf ohne Einschränkung auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden, wenn es nur zum Erfolg führt.
Rücksichten, gleich welcher Art, sind ein Verbrechen gegen das deutsche Volk.«
Erinnern Sie sich an diesen Befehl?
KESSELRING: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und haben Sie dann Ihrerseits am 17. Juni 1944 einen Befehl herausgegeben, als Sie Befehlshaber in Italien waren? Erinnern Sie sich daran? Ich werde ihn Ihnen gleich zeigen, wenn ich das deutsche Exemplar aus dem Akt nehmen kann. Ich werde wieder nur eine kurze Stelle verlesen, so daß der Gerichtshof sie im Gedächtnis hat; aber, Zeuge, Sie können auch auf jede andere Stelle verweisen, denn ich möchte den richtigen Eindruck von diesem Befehl geben:
»1. Die Bandenlage im italienischen Raum, insbesondere in Mittelitalien, hat sich in kurzer Zeit derart verschärft, daß sie eine ernste Gefahr für die kämpfende Truppe und ihre Versorgung sowie für die Rüstungswirtschaft bildet.
Der Kampf gegen die Banden muß daher mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln und mit größter Schärfe durchgeführt werden. Ich werde jeden Führer decken, der in der Wahl und Schärfe des Mittels bei der Bekämpfung der Banden über das bei uns übliche zurückhaltende Maß hinausgeht. Auch hier gilt der alte Grundsatz, daß ein Fehlgreifen in der Wahl der Mittel, sich durchzu setzen, immer noch besser ist, als Unterlassung und Nachlässigkeit.«
Erinnern Sie sich daran, Herr Zeuge?
KESSELRING: Ja, ich erinnere mich an diesen Befehl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Erinnern Sie sich, daß Sie drei Tage später, um keine Mißverständnisse über Ihre Meinung aufkommen zu lassen, diesen weiteren Befehl erlassen haben, eine [251] weitere »Geheime Kommandosache«. Ich lese die dritte Zeile nach dem Satz:
»Diese Ankündigung darf keine leere Drohung sein.«
Sie sagen:
»Ich mache es allen Soldaten und Polizeisoldaten meines Befehlsbereiches zur Pflicht, im Tatfalle die schärfsten Mittel zur Anwendung zu bringen. Jeder Gewaltakt der Banden ist sofort zu ahnden. Aus der eingereichten Meldung muß auch die eigene Gegenmaßnahme zu ersehen sein. Wo Banden in großer Zahl auftreten, ist der in diesem Bezirk wohnende jeweils zu bestimmende Prozentsatz der männlichen Bevölkerung festzunehmen und bei vorkommenden Gewalttätigkeiten zu erschießen.«
Nun, Zeuge, möchte ich nur zwei Beispiele herausgreifen über die Art und Weise, wie das durchgeführt wurde. Erinnern Sie sich daran, daß einer Ihrer Offiziere, Oberst von Gablenz, von Partisanen gefangengenommen wurde, erinnern Sie sich?
KESSELRING: General von Gablenz?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich glaube, er war Oberst damals, es war am 26. Juni, gleich nach Ihrem Befehl. Erinnern Sie sich, daß Oberst von Gablenz gefangengenommen wurde, ja?
KESSELRING: Nein.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Er war ein Oberst der Nachschubtruppen, kein sehr wichtiger Offizier, aber doch ein Oberst.
KESSELRING: Ja, ich erinnere mich.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun sehen Sie sich diese beiden Dokumente an. Stimmt dies? Es ist ein Auszug aus dem täglichen Lagebericht des Oberbefehlshabers in Südwestitalien vom 26. Juni.
»Bandenlage. Nördlich von Arezzo wurde der zum Korück der 10. Armee gehörende Oberst von Gablenz durch Banden verschleppt. Die gesamte männliche Bevölkerung der an dem in Frage kommenden Straßenabschnitt liegenden Ortschaften, wurde festgenommen......«
Es wurde weiterhin bekanntgegeben, daß all diese Geiseln erschossen würden, wenn der gefangengenommene Oberst nicht binnen 48 Stunden freigelassen würde. Erinnern Sie sich daran?
KESSELRING: Nicht im einzelnen, aber im großen und ganzen...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, nein, aber Sie erinnern sich an den Vorfall?
KESSELRING: Ja.
[252] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sehen Sie sich das nächste Stück an, einen Lagebericht über zwei Tage – der Bericht für zwei Tage später – vom 28. Juni 1944; der zweite Absatz:
»Als Sühne für den verschleppten Oberst Freiherrn von Gablenz wurden zunächst 560 Personen, davon 250 Männer, festgenommen.«
Ist das Ihre Auffassung über »die notwendigen Schritte zur Abwehr des Bandenkrieges«, daß 410 Frauen und Kinder in Gewahrsam genommen werden müssen?
KESSELRING: Das ist nicht notwendig gewesen, ich darf aber dann im Zusammenhang auf diese Sache kommen...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nehmen wir noch ein weiteres Beispiel. Sie erinnern sich an Civitella? Erinnern Sie sich, was Ihre Truppen in Civitella angerichtet haben?
KESSELRING: Ich weiß es augenblicklich nicht.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich werde Sie daran erinnern, was sich in Civitella ereignet hat. Es geschah am 18. Juni, einen Tag nach Ihrem Befehl.
»Zwei deutsche Soldaten wurden getötet und ein dritter verwundet im Kampf mit Partisanen in dem Dorf Civitella. Die Dorfbewohner befürchteten Repressalien und räumten das Dorf. Als die Deutschen dies entdeckten, wurden die Strafmaßnahmen aufgeschoben. Am 29. Juni,«
Sie werden sich erinnern, Zeuge, das war neun Tage, nachdem Sie die Bekanntmachung zur Verstärkung Ihres Befehles herausgegeben hatten,
»als die Einwohnerschaft sich wieder sicher fühlte und in das Dorf zurückkehrte, führten die Deutschen organisierte Repressalien durch und kämmten die Nachbarschaft durch. Unschuldige Einwohner wurden oft beim ersten Anblick erschossen. An jenem Tage wurden 212 Männer, Frauen und Kinder in der nächsten Umgebung des Dorfes erschossen. Einige der ermordeten Frauen wurden vollständig nackt aufgefunden. Im Laufe der Untersuchung wurde eine Namensliste der Toten aufgestellt, die vollständig ist mit Ausnahme jener wenigen Leichen, die nicht identifiziert werden konnten. Die Toten standen im Alter von 1 bis 84 Jahren. Etwa 100 Häuser wurden durch Feuer zerstört; einige der Opfer wurden bei lebendigem Leibe in ihren Häusern verbrannt.«
Das ist der Bericht der Untersuchungskommission für Kriegsverbrechen der Vereinten Nationen. Nun, Zeuge, glauben Sie wirklich, daß militärische Notwendigkeit die Tötung von Säuglingen von einem Jahr und Greisen von 84 Jahren erfordert?
[253] KESSELRING: Nein.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun möchte ich Sie mit einer Angelegenheit bekanntmachen, die in Ihren eigenen Wirkungskreis fiel, nämlich mit der Stellung der Division »Hermann Göring«. Sie erwähnten bereits einen der Leute, die ich im Sinne habe, und nur um dem Gericht ein klares Bild zu geben, möchte ich jetzt genau feststellen, wer Ihre Offiziere damals waren.
War General Vietinghoff, Verzeihung, ich glaube, er war von Vietinghoff, Befehlshaber der 10. Armee?
KESSELRING: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Im Jahre 1944?
KESSELRING: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: War er direkt Ihrem Befehl unterstellt?
KESSELRING: Unterstellt, ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich nehme also an, daß er ein ziemlich hoher General mit ziemlicher Verantwortung war.
Ich kenne seinen Rang nicht, Generaloberst oder?
KESSELRING: Generaloberst.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und ihm war das 76. Korps unterstellt, das von General Herr kommandiert wurde. Ist das richtig?
KESSELRING: Stimmt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und General Herr war die Hermann-Göring-Division unterstellt, die von General Schmalz kommandiert wurde, von dem Sie heute Morgen schon gesprochen haben? Ist das richtig?
KESSELRING: General Schmalz kommandierte, aber vorher habe ich einen anderen Namen genannt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich glaube, zu dieser Zeit war es Schmalz. Nun, die Hermann-Göring-Division war an einer Reihe von solchen »Zwischenfällen«, wie ich sie nenne, beteiligt. Ich will allerdings bemerken, daß ich als »Zwischenfälle« nicht solche Vorfälle, wie den von Civitella bezeichne. Ich möchte Ihnen einen oder zwei dieser Zwischenfälle ins Gedächtnis zurückrufen. Erinnern Sie sich daran, daß in Stia vom 13. bis zum 18. April 137 Zivilisten getötet wurden, darunter 45 Frauen und Kinder. Erinnern Sie sich an diesen Zwischenfall? Civitella war am 29. Juni. Erinnern Sie sich an Bucchini, am 7. und 9. Juli? Erinnern Sie sich an den Zwischenfall von Bucchini?
[254] KESSELRING: Es kann sein, aber ich müßte die Einzelheiten erst studieren.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Vielleicht erinnern Sie sich daran. Ich will Sie ganz allgemein fragen, Zeuge, weil dies vollkommen dem allgemeinen Verhalten entspricht, und weil es eine ganze Anzahl solcher Zwischenfälle gab, an denen die Hermann-Göring-Division beteiligt war. Erinnern Sie sich daran?
KESSELRING: Es sind viele derartige Vorfälle auf der einen und der anderen Seite gewesen, so daß ich erst im einzelnen die Sache genauestens studieren müßte.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte Sie bitten, sich dies ins Gedächtnis zurückzurufen. Stimmt es, daß die Hermann-Göring-Division dem General Herr und dem General von Vietinghoff nur für taktische Zwecke unterstellt war und jeden Tag dem Reichsmarschall Göring nach Berlin über ihre Tätigkeit Bericht erstattete?
KESSELRING: Die Division Hermann Göring war taktisch dem Generalkommando und der Armee unterstellt, aber in diesen Fragen müßte ich eine Unterstellung unter Generalkommando und Armee eigentlich auch als vorhanden annehmen. Ich weiß nicht, ob daneben noch irgendwelche Sachen gelaufen sind.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich will meine Frage genau formulieren, und Sie werden daraus ersehen, woher ich die Worte nehme, die ich gebrauche:
»Die 1. Fallschirmjäger-Division und die Hermann-Göring-Division waren unter dem Befehl des Armeekommandos nur, was taktische Fragen betraf. Bezüglich aller anderen Fragen andererseits unterstanden sie unmittelbar dem Reichsmarschall, an den sie tägliche Berichte zu senden hatten. Es war ihnen nicht erlaubt, Befehle von Oberbefehlshabern der Armeen bezüglich Strafverfahren entgegenzunehmen, noch über die Ergebnisse derartiger Verfahren zu berichten. Auf diese Weise führten sie Krieg gegen Partisanen nach Grundsätzen, die in gewisser Hinsicht von denen der Armee abwichen.«
Ist diese Aussage richtig?
KESSELRING: Diese Auffassung ist richtig. Es handelt sich nur vielleicht darum, daß der Begriff »Taktik« natürlich etwas enger oder weiter aufgefaßt werden kann.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Welches Wort?
KESSELRING: Taktik. Daß diese taktische Unterstellung entweder weiter oder enger aufgefaßt werden kann.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Zeuge, ich lese Ihnen deshalb das Ganze vor, weil es ja ganz klar ist, was die Person, deren Aussage ich verlese, damit meint, nicht wahr? Er sagt,
[255] »daß ihnen nicht erlaubt war, Befehle von Oberbefehlshabern der Armeen bezüglich Strafverfahren entgegenzunehmen, noch über die Ergebnisse... zu berichten«; weiterhin, »daß sie den Bandenkrieg nach Grundsätzen führten, die von denen des Generals von Vietinghoff abwichen«,
nicht wahr?
KESSELRING: Das höre ich jetzt zum ersten Male. Aber wenn es von einem anderen Herrn gesagt worden ist, so muß ich annehmen, daß es stimmt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sind Sie sicher, daß Sie davon zum ersten Male hören? Es ist sehr schwierig, jeden Zwischenfall in Erinnerung zu behalten. Bitte, glauben Sie nicht, daß ich Sie verletzen will, doch ich möchte, daß Sie versuchen, sich daran zu erinnern. Hat nicht General Herr zahlreiche Beschwerden über diese regelwidrige Stellung der Hermann-Göring-Division an Sie gerichtet, und haben Sie niemals amtlich auf die Berichte des Generals Herr Antwort gegeben?
KESSELRING: Viele Berichte sind von General Herr sicher nicht gekommen, sondern es sind vielleicht mündliche Rücksprachen bei meiner...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: In Ihrer Befehlsstelle?
KESSELRING: Jawohl. Ich darf vielleicht nochmals sagen, daß derartige Stellungnahmen absolut innerhalb der Heeresgruppe vorhanden waren. Zu dem betreffenden Fall muß ich sagen, daß ich nicht weiß, ob dieses Gebiet zur Taktik gehört oder zu einer anderen Funktion.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Vielleicht setze ich Ihnen diesen Punkt nicht ganz klar auseinander. Ich behaupte folgendes: Falls Sie mit dem Wort »zahlreichen« nicht einverstanden sind, werden Sie vielleicht »einige« annehmen, daß General Herr also in »einigen« Fällen Ihnen berichtete, daß er infolge der regelwidrigen Stellung der Hermann-Göring-Division in eine schwierige Lage gekommen sei?
KESSELRING: Das kann ich annehmen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ihr Stabschef war damals General Röttinger, nicht wahr?
KESSELRING: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Vom 10. Juni an, gerade während dieser Zeit. Hat nicht auch General Röttinger mit Ihnen über die Stellung der Hermann-Göring-Division gesprochen, daß sie unter dem besonderen Schutz des Reichsmarschalls Göring in Berlin stünde?
[256] KESSELRING: Darüber habe ich des öfteren gesprochen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was die besonderen Zwischenfälle betrifft, in die die Hermann-Göring-Division verwickelt war, so empfing sie ihre Befehle über die Behandlung der Partisanen doch von dem Angeklagten Göring, der auf der Anklagebank sitzt, nicht wahr?
KESSELRING: Ich kann das nicht sagen, weil dieser Weg an mir vorbeigegangen ist.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich verstehe: Dieser Weg ging an Ihnen vorbei. Dieser Weg ging an General Herr vorbei, er ging an Vietinghoff vorbei, er ging an Ihnen vorbei und ging direkt nach Berlin. Das stimmt, nicht wahr?
KESSELRING: Ja. Das war der Sonderdienstweg für die SS und für die Division Hermann Göring.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, sehen Sie, der zeit befaßt sich der Gerichtshof mit dem Fall des Angeklagten Göring. Deshalb stelle ich diese Fragen an Sie.
Nun noch eine oder zwei kurze Fragen: Erinnern Sie sich daran, daß Dr. Laternser eine oder zwei Fragen über das Oberkommando und den Generalstab an Sie gestellt hat? Erinnern Sie sich daran, daß Dr. Laternser Fragen an Sie gerichtet hat?
KESSELRING: Jawohl, ich bin im Bilde.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, ich möchte nur einen Punkt völlig klarstellen. Zeuge, Sie müssen wahrgenommen haben, daß die Körperschaft, die in diesem Fall erwähnt ist, nichts mit dem Korps der Generalstabsoffiziere der deutschen Armee zu tun hat. Ich glaube, Sie haben das gestern selbst klar zum Ausdruck gebracht.
KESSELRING: Mit wem?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Mit dem Korps der Generalstabsoffiziere. Sie hatten sowohl im Heer als auch in der Luftwaffe ein Korps von Offizieren, die die Militärakademie besucht hatten und Stabsoffiziere verschiedenen Ranges geworden waren; ich nehme an, bis zum Hauptmann hinunter, nicht wahr?
KESSELRING: Die Frage ist für mich nicht ganz deutlich.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Bitte um Entschuldigung. Sie hatten im Heer wie auch in der Luftwaffe ein Stabskorps von Offizieren, die die Militärakademie besucht hatten und dann Generalstabsoffiziere wurden. Und diese hatten, glaube ich, wenn sie wollten, das Recht, dem Chef des Stabes direkt zu berichten, nicht wahr? Ist das richtig oder falsch?
[257] KESSELRING: Das stimmt nicht, nur, wie ich gestern gesagt habe, in erzieherischer Richtung und in der allgemeinen geistigen Einstellung hatte der Generalstabschef das Recht, unmittelbar auf die Generalstabsoffiziere einzuwirken. Umgekehrt: nein.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dieses Korps ging bis zum Hauptmann oder Leutnant hinunter, nicht wahr?
KESSELRING: Nein, Hauptmann.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich dachte es. Ich möchte Ihnen sagen, daß wir überhaupt kein Interesse an diesem Korps haben. Die Anklagebehörde ist an diesem Korps überhaupt nicht interessiert.
Was nun die Personen betrifft, die in der Anklageschrift erwähnt sind, so wissen Sie: es sind neun Oberbefehlshaber oder Stabsstellungen genannt, dann die Oberbefehlshaber, die in bestimmten Gegenden oder über gewisse Einheiten der Luftwaffe den Befehl hatten. Sie haben sich das angesehen, nehme ich an, nicht wahr?
KESSELRING: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Zeuge, ich will mich kurz fassen, damit wir nicht zuviel Zeit verlieren. Ich möchte, daß Sie folgendes in Betracht ziehen: Sind die dort genannten Personen, also die Chefs des OKW, OKH, OKM, OKL und ihre Stellvertreter sowie die Oberbefehlshaber nicht die Offiziere der Deutschen Wehrmacht, die sich am meisten mit Politik und Planung von Kriegen befaßten?
KESSELRING: Die Oberbefehlshaber der Wehrmachtsteile waren selbstverständlich die beratenden Organe des Staatsoberhauptes in allen militärpolitischen Fragen. Die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen und so weiter hatten keinerlei Einwirkung.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut. Ich möchte nur zwei Beispiele herausgreifen. Ich glaube, daß Sie in beiden Fällen zugegen waren. Am 22. August, vor dem Angriff auf Polen, fand eine Konferenz statt, von der hier bereits gesprochen wurde. Waren bei dieser Konferenz die höheren Offiziere, die ich genannt habe, die Chefs der verschiedenen Wehrmachtsteile, sowie die Oberbefehlshaber zugegen?
KESSELRING: Die führenden Offiziere im Kriege auf diesem Kriegsschauplatz.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut. Polen sollte damals Kriegsschauplatz werden. Der Hauptzweck dieser Konferenz war also Erörterung des polnischen Feldzuges, nicht wahr? Der Hauptzweck dieser Konferenz, nehme ich an, war die Erörterung des polnischen Feldzuges im Zusammenhang mit der Möglichkeit eines Feldzuges gegen die Westmächte, falls diese in den Krieg eintreten sollten.
KESSELRING: Darüber kann ich keinen Aufschluß geben. Wir haben im allgemeinen nur über polnische Fragen...
[258] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, der Gerichtshof hat über diese Konferenz bereits so viel gehört, daß ich darüber keine weiteren Fragen stellen will. Ich möchte nur von Ihnen wissen, welche Leute dabei waren.
Ich möchte Sie noch an eine andere Konferenz erinnern. Am 9. Juni 1941 fand eine Konferenz »Barbarossa« zur Besprechung des Angriffes gegen die Sowjetunion statt. Erinnern Sie sich daran? In Berchtesgaden?
KESSELRING: Eine Besprechung vom 9. Juni weiß ich nicht, aber eine Besprechung habe ich mitgemacht.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie waren dabei. Und vor dem russischen Feldzug waren wiederum die dort anwesenden Personen die Inhaber dieser höchsten Stellen und die Oberbefehlshaber, nicht wahr?
KESSELRING: Das stimmt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Einschließlich der Befehlshaber der besetzten Gebiete, wie z.B. General von Falkenhorst, der damals Oberbefehlshaber der Armee in Norwegen war. Er war dabei, nicht wahr?
KESSELRING: General von Falkenhorst?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja.
KESSELRING: Das kann sein.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: General Stumpf, von der Luftflotte 5 und, ich weiß nicht, welchen Rang sie hatten, so will ich nur die Namen nennen:
Rundstedt, Reichenau, Stülpnagel, Schubert, Kleist und natürlich Bock, Kluge, Guderian, Halder, Kesselring.
KESSELRING: Die letzteren waren bestimmt da. Von Stumpf und von Falkenhorst kann ich es nicht sagen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es war daher üblich, daß vor einem Feldzug die Inhaber dieser hohen Stellungen mit dem Führer zusammenkamen, nicht wahr?
KESSELRING: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, ich möchte Sie bitten, noch einen anderen kleinen Punkt aufzuklären. Erinnern Sie sich, gestern Dr. Laternser gesagt zu haben, daß die Mitglieder dieser angeführten Gruppe mit wichtigen strategischen Dingen viel zu beschäftigt waren, um sich noch irgendwie mit der Fünften Kolonne befassen zu können. Erinnern Sie sich daran, in diesem Sinne ausgesagt zu haben?
KESSELRING: Jawohl.
[259] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich weiß nicht, ob Sie es wissen, aber außerhalb Deutschlands ist der Name Quisling allgemein als Begriff an Stelle der Fünften Kolonne gebraucht worden. Wußten Sie das? Wenn man von einem Mitglied der Fünften Kolonne spricht, so sagt man »Quisling«, haben Sie das noch nicht gehört?
KESSELRING: Nein, das weiß ich nicht.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wissen Sie, wer Quisling war?
KESSELRING: Jawohl, das weiß ich.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte, daß Sie folgendem zuhören, weil es Ihre Dienststelle betrifft: Der Angeklagte Rosenberg hat im Januar 1940 an den Führer wie folgt geschrieben:
»In der Annahme, daß die Ausführungen« – nämlich die Quislings – »aus fliegerstrategischen Gründen Reichsmarschall Göring besonders interessieren werden, wurde Quisling vom Amt an Staatssekretär Körner verwiesen.«
Hat er sich aus »fliegertechnischen Gründen« an Sie gewandt?
KESSELRING: Ist mir unbekannt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wußten Sie, daß der Angeklagte Raeder Quisling im Dezember 1939 Hitler vorstellte? Wußten Sie das?
KESSELRING: Unbekannt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie stimmen mit mir darin überein, daß der Chef der deutschen Luftwaffe und der Chef der deutschen Marine wichtige Mitglieder dieser Gruppe der Oberbefehlshaber sind, nicht wahr?
KESSELRING: Der Oberbefehlshaber, ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn diese mit den typischen Vertretern der Fünften Kolonne zu tun hatten, so hatten vielleicht andere Mitglieder der Gruppe mit Mitgliedern der Fünften Kolonne mehr zu tun, als Sie wußten?
KESSELRING: Ich habe gestern vom Standpunkt der Oberbefehlshaber der Front gesprochen, und unsere Aufgaben lagen auf einem anderen Gebiet.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender, ich glaube, ich bin fertig. Vielleicht erlaubt der Gerichtshof, daß ich während der Pause nachsehe, ob noch eine Kleinigkeit offengeblieben ist.
Dann, Herr Vorsitzender, möchte ich noch etwas vorbringen. Ich glaube, wir sollten die Dokumente, auf die ich mich bezogen habe, als Beweisstück vorlegen, weil die Verteidigung sich vielleicht später damit befassen will.
[260] VORSITZENDER: Ja, wenn sie nicht bereits vorgelegt worden sind.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich glaube, einige der Befehle sind noch nicht vorgelegt worden. Ich habe einen Teil von ihnen zwecks Aufnahme in das Protokoll verlesen, und ich werde sie nun vorlegen.
VORSITZENDER: Sie müssen vorgelegt und mit Nummern versehen werden.
[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]
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