Nachmittagssitzung.

[41] MR. ROBERTS: Hoher Gerichtshof! Ich bin bis zu der behaupteten Aggression gegen die Tschechoslowakei gekommen. Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß das führende Beweisstück für diese Sache das Aktenstück 388-PS, US-26, nämlich das Aktenbündel über den Fall »Grün« war. Hoher Gerichtshof! Dieses Aktenbündel enthält meiner Meinung nach reiches Beweismaterial gegen beide, Keitel und Jodl, das zeigt, daß sie die ihren Stellungen als Chefs des Oberkommandos der Wehrmacht und des Führungsstabs entsprechenden Rollen gespielt haben.

Ich mochte den Gerichtshof an Stück 2 erinnern, will es aber nicht verlesen. Ich möchte nur auf die Notizen über eine Besprechung vom 21. April 1938 Bezug nehmen. Wichtig hierbei ist, daß die Besprechung nur zwischen Keitel und dem Führer stattgefunden hat, was die zwischen ihnen bestehende enge Verbindung beleuchtet. In dieser Sitzung wurden die vorbereitenden Pläne besprochen, einschließlich der Möglichkeit eines Zwischenfalls, nämlich der Ermordung des Deutschen Gesandten in Prag. Stück 5 dieses Aktenstücks, datiert vom 20. Mai 1938, zeigt die Pläne für den politischen und militärischen Feldzug gegen die Tschechoslowakei, die von Keitel ausgegeben wurden. Stück 11, datiert vom 30. Mai 1938, enthält die von Keitel unterschriebene Weisung für die Invasion der Tschechoslowakei, die für den 1. Oktober 1938 angesetzt wurde. Viele Stücke sind von Jodl abgezeichnet, Stück 14 und Stück 17, um nur zwei zu erwähnen. Vielleicht sollte ich der Vollständigkeit halber auch die anderen erwähnen, nämlich die Stücke 24, 36 und 37.

Dann liegt in Stück 31 und Stück 32 die von Keitel unterzeichnete Weisung vom 27. September 1938 vor, die Befehle für die geheime Mobilmachung in sich schließt.

Das Tagebuch Jodls, 1780-PS, enthält viele Hinweise auf die bevorstehende Aggression, besonders die Eintragungen vom 13. Mai und 8. September. Eine besonders aufschlußreiche Eintragung in Jodls Tagebuch ist die mit Datum vom 11. September, 1780-PS, in welcher er sagt:


VORSITZENDER: Wollen Sie uns das Datum angeben?


MR. ROBERTS: Ich bitte Eure Lordschaft um Entschuldigung, es ist vom 11. September 1938.

»Nachmittags Besprechung mit Staatssekretär Hahnke des Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda über bevorstehende gemeinsame Aufgaben.

Als besonders wichtig wurden die gemeinsa men Vorbereitungen für die Widerlegung eigener und die Ausnützung feindlicher Verletzungen des Völkerrechts erkannt.«

[41] Ich betone diese Worte: »Eigener Verletzungen des Völkerrechts«.

Hoher Gerichtshof! Als Ergebnis dieser Besprechung wurde das Dokument C-2, auf das sich der britische Hauptankläger, Sir David, bezogen hat, vorbereitet, das, wie der Gerichtshof sich erinnern wird, in parallelen Spalten die möglichen Verstöße gegen das Völkerrecht und die Ausreden enthält, die gebraucht werden sollten. Es ist vor so kurzer Zeit vorgebracht worden, daß ich nicht noch einmal darauf hinzuweisen brauche.

Hoher Gerichtshof! Bezüglich dieses Teils des Falles bin ich der Ansicht, daß überwältigendes Beweismaterial vorhanden ist, daß Keitel und Jodl eine bedeutende, geradezu lebenswichtige Rolle bei der Aggression gegen die Tschechoslowakei gespielt haben, die zum Abkommen von München führte.

Hoher Gerichtshof! Nach Abschluß des Abkommens von München begannen die Nazi-Verschwörer, wie schon des öfteren erwähnt worden ist, sofort mit ihren Vorbereitungen für die Annektierung der restlichen Tschechoslowakei.

Hoher Gerichtshof! Um diese Zeit verschwindet Jodl für eine Weile von der Szene, da er als Artilleriegeneral in Österreich dient. Er war General der 44. Division. Es kann daher nicht gesagt werden, daß Beweismaterial gegen ihn für den Zeitraum vom Abschluß des Münchener Abkommens bis zum 23. August 1939 vorliegt. An diesem Tag, am Vorabend des Angriffs auf Polen, wurde er zurückgerufen, um seine Pflichten als Chef des Führungsstabs im OKW wieder aufzunehmen.

Was Keitel anbetrifft, so hat er am 21. Oktober 1938, also weniger als einen Monat nach dem Pakt in München, den Befehl Hitlers für die Liquidation der restlichen Tschechoslowakei und für die Besetzung des Memellandes gegengezeichnet, Dokument C-136, US-104.

Am 24. November 1938, C-137, GB-33, erließ Keitel eine Anordnung, betreffend die überraschende Besetzung Danzigs.

Am 17. Dezember 1938, C-138, US-105, unterschreibt er einen an die unterstellten Formationen gerichteten Befehl, »für die Erledigung der Resttschechei« vorbereitet zu sein. Diese Vorbereitungen wurden getroffen.

Am 15. März 1939 war Keitel, der, ich wiederhole es, nicht nur Soldat war, bei einer mitternächtlichen Besprechung zwischen Hitler und dem Präsidenten der Tschechoslowakei, Hácha, zugegen, auf der Hácha infolge der Androhung der Bombardierung von Prag den Rest seines Landes an die Deutschen auslieferte. Ich sehe davon ab, auf den Inhalt dieses Protokolls einzugehen, da bereits mehrmals daraus verlesen worden ist.

[42] Hoher Gerichtshof! Dieser Meilenstein liegt hinter uns. Erneut möchte ich behaupten, daß Keitel klarerweise eine sehr wesentliche Rolle bei all diesen Angriffen spielte, da er als Hitlers rechte Hand und ihm unterstellt über die ganze Wehrmacht verfügte.

Nunmehr wende ich mich dem Angriff auf Polen zu. Keitel war bei der Sitzung am 23. Mai 1939 in der Reichskanzlei zugegen, Dokument L-79, US-27, als gesagt wurde, und ich erwähne einige bereits wohlbekannte Worte: Danzig sei nicht das Objekt, um das es gehe; Polen solle bei erster passender Gelegenheit angegriffen werden; die holländischen und belgischen Luftstützpunkte müßten militärisch besetzt werden; auf Neutralitätserklärungen könne nichts gegeben werden.

Die Weisung für den Fall »Weiß«, die Invasion Polens, findet sich in Dokument C-120(a), GB-41, mit Datum vom 3. April 1939. Der Gerichtshof wird sich daran erinnern, daß die Pläne dem OKW bis zum 1. Mai vorzulegen waren, und daß die Truppen für die Invasion bis zum 1. September bereit sein sollten, und diese Weisung trägt Keitels Unterschrift.

C-126, GB-45, stellt eine Fortsetzung dieser früheren Weisung dar. Es ist vom 22. Juni 1939 datiert. Die Notwendigkeit von Tarnungen wird betont, ferner heißt es: »Um eine Beunruhigung der Bevölkerung... zu verhindern...«. Auch dieses Papier ist von Keitel unterzeichnet.

Am 17. August 1939, 795-PS, GB-54, hatte Keitel eine Besprechung mit Admiral Canaris über die Lieferung von polnischen Uniformen an Heydrich, und aus dem letzten Absatz dieses Dokuments ist zu ersehen, daß Admiral Canaris gegen den Krieg war und Keitel dafür sprach. Auch prophezeite Keitel, daß Großbritannien nicht in den Krieg eintreten würde.

Ich behaupte, daß die Rolle Keitels bei der Vorbereitung des Angriffs gegen Polen klar und außer jedem Zweifel feststeht.

Jodl, wie ich vor dem Gerichtshof bereits erwähnt habe, wurde am 23. August zurückberufen. Dies ist aus seiner Tagebucheintragung, 1780-PS, ersichtlich, wo er sagt, daß er zur Übernahme des Wehrmachtführungsstabs zurückberufen worden sei. Er sagt:

»Auf Befehl des OKW nach Berlin befohlen und Stelle des Chefs WFA übernommen.«

Dann heißt es:

»11.00 bis 13.30 Besprechungen bei Chef OKW, Ausgabe des X-Tages 26. 8., Ausgabe der Y-Zeit 4.30 Uhr.«

Ich glaube, daß der Gerichtshof aus der Tatsache, daß Jodl am Vorabend des Kriegsausbruchs nach Berlin zurückgerufen wurde, um seine Stellung als Chef des Wehrmachtführungsstabs wieder [43] zu übernehmen, folgern kann, wie wichtig seine Rolle in dieser Verschwörung war. So wurde Polen überfallen, und bevor ich mich der nächsten Aggression zuwende, möchte ich noch darauf hinweisen, daß nach General Lahousens Aussagen, falls der Gerichtshof dies hier in Betracht ziehen will, Keitel und Jodl mit Hitler zusammen am 10. September 1939 im Felde waren. Dies geht aus dem Sitzungsprotokoll Band II, Seite 492 und 493 hervor. Es kann wohl kein Zweifel darüber bestehen, daß der Chef OKW und der Chef seines Operationsstabs im Felde waren.

Eure Lordschaft! Ich wende mich jetzt Norwegen und Dänemark zu. Soweit beide betroffen sind, ersehen wir aus dem Dokument C-64, GB-86, daß am 12. Dezember 1939 sowohl Keitel als auch Jodl bei einer Besprechung Hitlers mit Raeder zugegen waren, bei welcher die Invasion Norwegens behandelt wurde. Keitels direkte Verantwortlichkeit für diese Operationen ergibt sich meiner Ansicht nach aus dem Dokument C-63, GB-87, in welchem Keitel erklärte, daß die Operationen gegen Norwegen unter seiner unmittelbaren und persönlichen Leitung stattfinden würden. Und er setzt einen Arbeitsstab im Oberkommando der Wehrmacht für die Ausführung dieser Operationen ein.

Daß Jodl den Plan kannte und an seiner Ausführung teilnahm, ist meiner Meinung nach klar ersichtlich aus den Eintragungen in sein eigenes Tagebuch, Urkunde 1809-PS; das ist der zweite Teil seines Tagebuchs. Der Gerichtshof wird sich an die Eintragung vom 13. März 1940 erinnern, in der er aufzeichnete, daß der Führer immer noch auf der Suche nach einer Begründung für die »Weserübung« sei.

Das war am 13. März, Herr Präsident, und ist Urkunde 1809-PS.

»Führer gibt Befehl zur ›W‹ noch nicht. Er ist noch auf der Suche nach einer Begründung.« Und dann am 14. März: »Führer noch nicht entschlossen, wie Weserübung zu begründen«, – was meiner Meinung nach, wenn ich eine kurze Erläuterung geben darf, den Ehrenkodex der deutschen Militärs in einem grausigen Licht erscheinen läßt – »er ist noch auf der Suche nach einer Begründung«.

Hoher Gerichtshof! Und dann wurde bekanntlich Norwegen überrumpelt und folglich für den Angriff eine lügnerische Begründung gegeben.

Hoher Gerichtshof! Meiner Ansicht nach beweisen die Dokumente klar, daß auch die Invasion von Holland, Belgien und Luxemburg von Keitel, unter Jodls Mitwirkung, geleitet und ausgeführt wurde.

Der Gerichtshof ist über das Protokoll einer Besprechung im Mai über die Besetzung dieser Länder bereits unterrichtet, und zwar durch Dokument L-79. Ein weiteres Beweisstück [44] ist C-62, GB-106, das aus einer von Hitler unterzeichneten Weisung vom 9. Oktober 1939 und einer weiteren von Keitel unterschriebenen Weisung vom 15. Oktober besteht. C-62 enthält also zwei Dokumente, und zwar eins vom 9. und eins vom 15. Oktober, zwei Weisungen, von denen die eine von Hitler, die andere von Keitel unterschrieben ist, beide enthalten Befehle für die Besetzung Hollands und Belgiens.

Herr Vorsitzender, C-10, GB-108, vom 8. November, enthält Keitels Operationsbefehle an die 7. Fallschirm-Division für eine Luftlandung in der Mitte von Holland.

Dokument 440-PS, GB-107, vom 20. November 1939, trägt die Unterschrift Keitels und ist eine weitere Weisung für die Invasion Hollands und Belgiens.

Dokument C-72, GB-109, trägt die Daten 7. November 1939, 10. Mai 1940 und enthält achtzehn Briefe, von denen elf von Keitel und sieben von Jodl unterschrieben sind. In einem Brief heißt es:

»Auf Grund der Wetterlage hat sich der Führer entschieden, den A-Tag zu verschieben.«

Hoher Gerichtshof, das Tagebuch Jodls ist auch über dieses Thema sehr beredt. Ich verweise auf Dokument 1809-PS. Eine Anzahl von Stellen, auf die ich mich wohl nicht noch einmal zu beziehen brauche, sprechen von diesen bevorstehenden Operationen, besonders die Eintragung vom 8. Mai. Der Gerichtshof wird sich vielleicht daran erinnern, wie Jodl sagt, daß »alarmierende Nachrichten aus Holland« eintreffen, und wie er zutiefst darüber empört ist, daß die bösen Holländer Sperren an den Straßen errichten und Mobilisierungsvorbereitungen treffen.

Herr Vorsitzender, so wurden diese drei neutralen Länder überrannt, und ich bin der Ansicht, daß reichhaltiges und überwältigendes Beweismaterial dafür vorliegt, daß diese beiden Männer für die militärischen Maßnahmen verantwortlich waren, die diese Invasion ermöglichten.

Herr Vorsitzender, ich gehe zu der Planung des Angriffs auf Griechenland und Jugoslawien über. PS-1541, GB-117, vom 13. Dezember 1940, ist ein Befehl Hitlers für »Marita«, das Unternehmen gegen Griechenland, mit Hitlers Unterschrift, und zwar ist es eine Ausfertigung für das OKW, das heißt für Keitel.

Dokument 448-PS, GB-118, vom 11. Januar 1941, ist ein Befehl Hitlers für das Unternehmen gegen Griechenland, mit der Paraphe von Keitel.

Aus C-134, GB-119, vom 20. Januar 1941 ergibt sich, daß sowohl Keitel als auch Jodl bei einer Besprechung zwischen Hitler. Mussolini und anderen zugegen waren, in der der Angriff auf Griechenland und Jugoslawien besprochen wurde.

[45] In C-59, GB-121, vom 19. Februar 1941, sind die Daten für das Unternehmen »Marita« von Keitel eingetragen.

1746-PS, GB-120, vom 27. März 1941, betrifft eine Besprechung zwischen Hitler, Keitel und Jodl, in der die Entscheidung getroffen wurde, Jugoslawien anzugreifen und zu zerstören. Der Führer sagte, er sei entschlossen, »den Schlag gegen Jugoslawien mit unerbittlicher Härte zu führen«, um andere neutrale Länder »abzuschrecken«. Und diese beiden Soldaten waren bei dieser Äußerung anwesend.

Herr Vorsitzender, ich glaube, daß damit die Mittäterschaft dieser beiden Männer an diesem Angriff hinreichend bewiesen ist.

Herr Vorsitzender, nunmehr wende ich mich dem Fall »Barbarossa« zu. Das Dokument 446-PS, US-31, vom 18. Dezember 1940, ist Hitlers Befehl für den Fall »Barbarossa« und trägt wiederum die Paraphen von Keitel und Jodl. Wie sich der Gerichtshof erinnern wird, sagte Hitler, daß er beabsichtige, Rußland in einem einzigen schnellen Feldzug niederzuwerfen.

872-PS, US-134, vom 3. Februar 1941, betrifft eine Besprechung zwischen Hitler, Keitel und Jodl über den Fall »Barbarossa« und »Sonnenblume«, Vorschläge über Nord-Afrika. Hitler sagte: »Wenn ›Barbarossa‹ steigt, hält die Welt den Atem an und verhält sich still«.

447-PS, US-135, vom 13. März 1941, ist ein von Keitel unterschriebener Operationsbefehl über die Verwaltung der zu besetzenden Gebiete, der wiederum zeigt, daß Keitel nicht nur Soldat war; denn dies war eine Frage der Zivilverwaltung.

C-39, US-138, vom 6. Juni 1941, ist ein Zeitplan für den Fall »Barbarossa« mit Keitels Unterschrift; Jodl erhielt die 6. Ausfertigung.

C-78, US-139, vom 9. Juni 1941, ist ein an Keitel und Jodl gerichteter Befehl Hitlers, am 14. Juni 1941 an einer Vorbesprechung über »Barbarossa« teilzunehmen, also acht Tage vor dem Unternehmen.

Herr Vorsitzender! Durch diese Tatsachen und Dokumente über die von den beiden Angeklagten eingenommenen Stellungen ist meiner Ansicht nach die Teilnahme der beiden an diesem Angriff in unwiderlegbarer Weise bewiesen.

Herr Vorsitzender! Der letzte Angriffspakt betrifft die provokative Beeinflussung Japans, die Vereinigten Staaten von Amerika anzugreifen. Hoher Gerichtshof! Wir besitzen zwei Schlüsseldokumente, die beide, sowohl Keitel als auch Jodl, belasten. Das erste ist C-75, US-151, vom 5. März 1941. Es ist eine OKW-Weisung mit Keitels Unterschrift, und die Ausfertigung für Jodl: »Japan muß so bald wie möglich zum aktiven Handeln« gebracht werden, lautet ein Zitat daraus.

[46] C-152, GB-122, vom 18. März 1941, betrifft eine Besprechung zwischen Hitler, Raeder, Keitel und Jodl über das Thema: Japan soll Singapore erobern. Das ist der wesentlichste Punkt.

Herr Vorsitzender! Der Sachverhalt, der gegen diese zwei Männer hinsichtlich dieser Angriffshandlungen und ihrer Vorbereitungen vorliegt, ist meiner Ansicht nach überwältigend. Es ist meiner Meinung nach klar, daß sie zu ihrer Verteidigung lediglich anführen könnten, sie hätten den Befehlen eines Vorgesetzten gehorcht. Dieser Einwand steht ihnen auf Grund des Statuts nicht zu. Zweifellos wurden diese niederträchtigen Pläne in dem bösen Gehirn Hitlers ausgeheckt, aber er allein konnte sie nicht durchführen. Er brauchte Männer, die annähernd so niederträchtig und so skrupellos waren wie er selbst.

Hoher Gerichtshof! Nun wende ich mich kurz der Frage der Kriegsverbrechen und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu. Es wurde bereits bewiesen, daß Keitel die »Nacht- und Nebel-Befehle« unterschrieb, die es ermöglichten, Personen in Deutschland einzukerkern, wo jede Spur von ihnen verloren ging. Das ist L-90, US-503.

Nun ist hier noch ein neues Dokument, das ich vorzulegen wünsche. Oberst Telford Taylor hat C-50, Keitels Befehl für rücksichtslose Aktion im Fall »Barbarossa«, vorgelegt. Ein ergänzendes Dokument, C-51, GB-162, ist ein Befehl Keitels vom 27. Juli 1941:

»Alle Ausfertigungen des durch die Bezugsverfügung herausgegebenen Führererlasses vom 13. Mai 1941«- das ist C-50, der »Barbarossa«-Befehl – »sind nach den Bestimmungen der Verschlußsachen-Vorschrift zu vernichten:

a) bei allen Dienststellen bis zu den Generalkommandos einschließlich aufwärts« – das heißt, Hoher Gerichtshof, alle Befehlshaber von Armeekorps abwärts müssen diese Ausfertigung vernichten –

»b) bei den Panzergruppenkommandos« – das heißt, Dienststellen eines Panzerkorps unter dem Rang eines Korps-Befehlshabers müssen die Ausfertigung vernichten –

»c) bei den Armeeoberkommandos und diesen gleichgestellten Dienststellen, wenn die unabwendbare Gefahr besteht, daß sie in die Hände Unberufener fallen.«

Das heißt, daß sogar höhere Generale im Falle des Näherrückens des Krieges diese Dokumente lieber vernichten sollten, als sie möglicherweise in die Hände des Feindes fallen zu lassen:

»Die Geltung des Erlasses wird durch die Vernichtung der Ausfertigung nicht berührt. Die Truppenbefehlshaber bleiben nach den Bestimmungen des Abschnitts III persönlich dafür [47] verantwortlich, daß die Offiziere und Rechtsberater rechtzeitig unterrichtet und, daß nur solche Urteile bestätigt werden, die der politischen Absicht der Führung ent sprechen.«

Das bezog sich auf den Befehl, daß deutsche Soldaten für begangene Vergehen an Sowjettruppen nicht vor ein Militärgericht zu stellen seien:

»Dieser Befehl ist mit den Ausfertigungen des Führererlasses zu vernichten.«

Hoher Gerichtshof! Ich möchte bemerken, daß der Wunsch des OKW, dessen Chef Keitel war, diesen Befehl, diesen, wie ich behaupte, ungesetzlichen und barbarischen Befehl, zu vernichten, daß dieser Wunsch bezeichnend ist.

Nunmehr möchte ich ein weiteres Dokument einreichen, beinahe das letzte Dokument im Bündel: UK-20. Der Hohe Gerichtshof wird es am Schluß dieses Bündels finden. Es stammt aus dem Hauptquartier des Führers vom 26. Mai 1943, und lautet:

»Betrifft Behandlung von Anhängern de Gaulles, die auf sowjetrussischer Seite kämpfen.

An der Ostfront sind erstmalig französische Flieger in sowjetischem Dienst abgeschossen worden. Der Führer hat befohlen, daß dem Einsatz von Franzosen auf sowjetischer Seite mit aller Schärfe entgegenzutreten ist.

Es wird deshalb angeordnet:

1. An der Ostfront gefangengenommene de Gaulle-Anhänger werden gem. Weisung OKW... der Französischen Regierung zur Aburteilung übergeben.«

Und dann lese ich Absatz 3:

»3. Gegen im besetzten französischen Gebiet befindliche Familienangehörige von Franzosen, die auf sowjetischer Seite kämpfen, sind in geeigneten Fällen strenge Untersuchungen durchzuführen. Ergibt die Untersuchung, daß Familienangehörige bei der Flucht aus Frankreich Beihilfe geleistet haben, so sind scharfe Maßnahmen zu ergreifen.«

Eure Lordschaft, ich lege dies als Beweisstück GB-163 vor.

Dann haben wir ein Dokument, das ich einführen möchte; es ist das nächste Dokument im Bündel: UK-57, GB-164. Ich glaube, es ist das letzte Dokument im Bündel. Es stammt vom »Amt Ausland/Abwehr«, ich glaube von der Auslandsnachrichtenabteilung, und ist vom 4. Januar 1944 datiert und an das OKW gerichtet. Die Überschrift lautet: »Gegenaktion gegen Charkower Schauprozeß«. Ich werde nur Absatz 2 verlesen:

»Über die ›Commandos‹ sind vom Reichssicherheitshauptamt die einschlägigen Unterlagen beigezogen und eingehend [48] geprüft worden. In 5 Fällen waren als Beteiligte britische Wehrmachtsangehörige festgenommen worden. Sie sind entsprechend dem Führerbefehl alsbald erschossen worden. Es bestünde die Möglichkeit, diesen eine Völkerrechtsverletzung zuzuschreiben und sie nachträglich im Prozeßwege zum Tode zu verurteilen. Bisher konnten den ›Commando‹-Teilnehmern keine besonderen Völkerrechtsverletzungen nachgewie sen werden.«

Herr Vorsitzender! Ich verlese nicht mehr; es handelt sich hier zweifellos um ein Eingeständnis von Mord und nicht um Kriegführung.

Keitels Vermerk, Herr Vorsitzender, ist in der linken oberen Ecke des Dokuments zu finden:

»Wir wollen Unterlagen haben, auf Grund derer wir gleiche Verfahren organisieren können. Es ist eine Repressalie, die nicht mit Kampfhandlungen zusammenhängt – Juristische Rechtfertigungen sind überflüssig!«

VORSITZENDER: Ist es nicht oben von Keitel unterzeichnet?

MR. ROBERTS: Es ist mit Schreibmaschine auf der Ausfertigung, die das Original ist, geschrieben.


VORSITZENDER: Ist keine wirkliche Unterschrift vorhanden?


MR. ROBERTS: Nein.


MR. BIDDLE: Wie hängt das mit Keitel zusammen?


MR. ROBERTS: Es heißt: »Vermerk Chef OKW.« Das ist also die erste Vortragsnotiz. Herr Vorsitzender, die zweite Vortragsnotiz behandelt das gleiche Thema und stammt vom 6. Januar 1944. Sie trägt das große rote »K« Keitels oben auf dem ersten Blatt, was beweist, daß er das Schriftstück erhalten hat. Der erste Absatz, Herr Vorsitzender, handelt von zwei Offizieren, die damals im Lager Eichstätt in Bayern waren. Herr Vorsitzender, dieser Absatz ist nicht wichtig, da diese beiden Offiziere noch am Leben sind.

Der zweite Absatz lautet:

»Versuchter Anschlag auf das Schlachtschiff Tirpitz.

Ende Oktober 1942 hatte ein mit einem Kutter nach Norwegen gekommenes britisches Kommando den Auftrag, durch Einsatz eines Zwei-Mann- Torpedos, einen Anschlag auf das Schlachtschiff ›Tirpitz‹ im Drontheim-Fjord durchzuführen. Die Aktion mißlang, da die beiden am Kutter befestigten Torpedos in stürmischer See verlorengegangen waren. Von der aus 6 Engländern und 4 Norwegern bestehenden Besatzung wurde ein Trupp von 3 Engländern und 4 Norwegern an der schwedischen Grenze gestellt. Es gelang jedoch nur, den[49] britischen Matrosen... Robert Paul Evans, geboren am 14. Januar 1922 in London, festzunehmen. Die anderen sind nach Schweden entkommen.

Evans besaß eine Pistolentasche, wie sie zum Tragen von Waffen in der Achselhöhle verwendet wird und einen Schlagring. Völkerrechtswidrige Gewalttaten konnten ihm nicht nachgewiesen werden. Evans hat ausführliche Aussagen über das Unternehmen gemacht. Er wurde am 19. Januar 1943 gemäß Führerbefehl erschossen.«

Wiederum bin ich der Ansicht, daß dies Mord war. Völkerrechtswidrige Gewalttaten konnten ihm nicht nachgewiesen werden.

Herr Vorsitzender, nun der dritte Absatz:

»Sprengung des Kraftwerkes Glomfjord.

Am 16. September 1942 landeten 10 Engländer und 2 Norweger in Uniform der britischen Gebirgsjäger schwer bewaffnet und mit Sprengmunition aller Art ausgerüstet an der norwegischen Küste. Nach Übersteigen schwierigen Gebirgsgeländes sprengten sie am 21. September 1942 in dem Kraftwerk Glomfjord wichtige Anlagen. Ein deutscher Wachposten wurde dabei erschossen. Den norwegischen Arbeitern wurde angedroht, daß sie bei Widerstand chloroformiert würden. Die Engländer hatten hierfür Morphiumspritzen bei sich. Sieben der Täter sind festgenommen worden, während die übrigen nach Schweden entkommen sind. Die Festgenommenen sind:

Hauptmann Graeme Black, am 9. Mai 1911 in Dresden geboren,

Hauptmann Joseph Houghton, am 13. Juni 1911 in Bromborough geboren,

Oberfeldwebel Miller Smith, am 2. November 1915 in Middlesborough geboren,

Unteroffizier William Chudley, am 10. Mai 1922 in Exeter geboren,

Schütze Reginald Makeham, am 28. Januar 1914 in Ipswich geboren,

Schütze Cyril Abram, am 20. August 1922 in London geboren,

Schütze Eric Curtis, am 24. Oktober 1921 in London geboren.

Sie sind am 30. Oktober 1942 erschossen worden.«

Wiederum wird keinerlei Andeutung darüber gemacht, daß völkerrechtswidrige Gewalttaten vorlagen. Sie waren englische Seeleute und sie waren in Uniform.

Dann Absatz 4:

»Sabotageanschläge an deutschen Schiffen vor Bordeaux.

[50] Am 12. Dezember 1942 wurden mehrere deutsche Schiffe vor Bordeaux durch Sprengkörper unter Wasser schwer beschädigt. Die Haftminen waren durch 5 englische Sabotagetrupps von Paddelbooten aus angebracht worden. Von den 10 Teilnehmern konnten wenige Tage darauf festgenommen werden:...«

Dann folgt eine Liste von sechs Namen, sechs britische Namen, unter ihnen ein Ire; ein Leutnant, ein Unteroffizier, ein Sergeant und drei Marinesoldaten.

»Ein siebenter Soldat namens Moffett wurde ertrunken aufgefischt, die anderen entkamen wahrscheinlich nach Spanien.

Die Teilnehmer waren je zu zweit von einem U-Boot aus in Paddelbooten die Gironde-Mündung aufwärts gefahren. Sie trugen eine oliv-graue Spezialuniform. Nach Durchführung von Sprengungen haben sie die Boote versenkt und versucht, mit Hilfe der französischen Zivilbevölkerung in Zivilkleidern nach Spanien zu entkommen. Besondere Straftaten auf der Flucht sind nicht festgestellt worden. Sämtliche Festgenommenen sind am 23. März 1943 befehlsgemäß erschossen worden.«

Keitel hat das Dokument paraphiert. Dieses Dokument, das von meinem Kollegen, Sir David Maxwell-Fyfe, vor kurzem verlesen wurde, ist 735-PS; Keitel sagt darin: »Ich bin gegen gerichtliche Verfahren! Das klappt nicht!«

VORSITZENDER: Wollen Sie bitte die nachfolgende fünfte Seite verlesen?

MR. ROBERTS: Hoher Gerichtshof, das wollte ich gerade tun. Seite 5:

»Führerhauptquartier, den 9. 1. 1944.

Anliegendes Schreiben hat Chef OKW an stellv. Chef...« – das wäre der Wehrmachtführungsstab, das ist Jodl – »mit folgender Bemerkung übergeben:

Es handelt sich nicht darum, aktenmäßig Völkerrechtsverletzungen nachzuweisen, sondern es kommt vielmehr darauf an, Material zusammenzustellen, das für die propagandistische Darstellung eines Schauprozesses geeignet ist. Ein Schauprozeß als solcher soll demnach nicht stattfinden, sondern nur propagandistische Darstellungen und Völkerrechtsverletzungen durch Feindsoldaten, die dabei namentlich genannt werden sollen und ent weder für ihr Vergehen bereits mit dem Tode bestraft sind oder die Todesstrafe zu erwarten haben.

Chef OKW bittet Chef Ag Ausland, entsprechende Unterlagen bei seinem nächsten Besuch im F. H. Qu. mitzubringen.«

[51] Wie der Gerichtshof heute bereits von meinem Kollegen, Sir David Maxwell-Fyfe, bei der Verlesung des Dokuments 735-PS gehört hat, hat Keitel geäußert: »Ich bin gegen gerichtliche Verfahren! Das klappt nicht!«

Man kann mit Keitel übereinstimmen, wenn man diesen von mir vorgelegten Bericht gelesen, der, meiner Ansicht nach, kaltblütigen Mord an tapferen Männern darstellt, tapferen Soldaten und Matrosen, die für ihr Land kämpften; und obgleich in diesem Prozeß viele Beweise für den Tod, für die Ermordung tapferer Männer vorliegen, so gibt es doch wenige Fälle, die so erschütternd sind wie die in den von mir vorgelegten Dokumenten.

Hiermit bringe ich meine Darstellung des Tatbestands gegen Keitel und Jodl zu Ende.

Was Jodls Teilnahme an den Kriegsverbrechen und an den Verbrechen gegen die Menschlichkeit betrifft, so tritt er viel weniger in Erscheinung als Keitel. Er hatte natürlich nicht die Befugnis, Befehle und Weisungen auszugeben; aber wir sehen, daß er jedenfalls den berüchtigten Führerbefehl unterschrieben und weitergegeben hat, nach dem Kommandos erschossen und keinesfalls als Kriegsgefangene behandelt werden sollten.

Ich bin der Meinung, daß gegen diese zwei Männer das Beweismaterial überwältigend ist, und ihre Verurteilung von der zivilisierten Welt verlangt wird.

Hoher Gerichtshof! Herr Walter W. Brudno von der amerikanischen Anklagevertretung wird nunmehr den Fall gegen Rosenberg vorbringen.

MR. WALTER W. BRUDNO, HILFSANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Hoher Gerichtshof! In Verbindung mit dem Fall gegen den Angeklagten Rosenberg möchte ich ein Dokumentenbuch vorlegen, das mit Beweisstück der Vereinigten Staaten EE bezeichnet ist. Das Buch enthält die englischen Übersetzungen aller als Beweisurkunden vorzulegender, wie auch der bereits vorgelegten Dokumente, auf die ich mich beziehen werde. Diese Dokumente sind in Serien zusammengestellt, in der Reihenfolge C, L, R, PS und EC, und innerhalb dieser Serien sind sie nach Nummern geordnet.

Der Gerichtshof wird bemerken, daß die ersten vier Seiten des Dokumentenbuchs eine Liste mit Beschreibung der Urkunden enthalten. Diese Liste ist eine Zusammenstellung aller Urkunden, die Rosenberg betreffen, einschließlich der bereits als Beweis vorgelegten und derjenigen, die ich noch vorlegen werde. Die bereits vorgelegten Dokumente wurden mit der Seitenzahl des Verhandlungsberichts versehen, auf der sie bereits erwähnt wurden, und mit ihrer alten Beweisstücknummer. Diese Liste ist in den Dokumentenbüchern [52] enthalten, die der Verteidigung zur Verfügung gestellt wurden. Diese Liste vereinigt alle im Verhandlungsbericht bisher gemachten Hinweise auf den Angeklagten Rosenberg. Um Wiederholungen zu vermeiden, werde ich mich nur auf wenige der bereits früher vorgelegten Dokumente beziehen.

Auf Seite 29 der Anklageschrift (Band I, Seite 76) wird Rosenberg unter allen vier Punkten der Anklageschrift beschuldigt. In der folgenden Darlegung werde ich zeigen, daß, wie in Anklagepunkt 1, Abschnitt IV, Unterabschnitt D ausgeführt, Rosenberg eine besonders hervorragende Rolle bei der Schaffung und Verbreitung des doktrinären Unterbaus der Verschwörung gespielt hat, desgleichen bei der Schaffung und Verbreitung von religiösen Anschauungen und Gebräuchen, die mit der christlichen Lehre unvereinbar sind; er hat dies getan, indem er den Einfluß der Kirchen auf das deutsche Volk untergrub, indem er das Programm der mitleidslosen Judenverfolgung betrieb, und indem er das Erziehungssystem umgestaltete mit der Absicht, das deutsche Volk dem Willen der Verschwörer gefügig zu machen und das Volk für einen Angriffskrieg psychologisch vorzubereiten.

Ich werde auch beweisen, daß Rosenberg durch die Steuerung des Außenhandels eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung Deutschlands für einen Angriffskrieg gespielt hat, wie unter Anklagepunkt 1, Unterabschnitt E der Anklageschrift ausgeführt ist; ich werde ferner beweisen, daß seine Tätigkeit auf dem Gebiete der Außenpolitik zur Vorbereitung der Angriffe, wie in Unterabschnitt F der Anklageschrift ausgeführt, und zu den Verbrechen gegen den Frieden, wie unter Anklagepunkt 2 ausgeführt, wesentlich beigetragen hat.

Schließlich werde ich zeigen, daß Rosenberg an der Planung und Durchführung der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie sie in Abschnitt G des Anklagepunktes 1 der Anklageschrift erwähnt sind, teilgenommen hat. Insbesondere hat er an der Planung und Leitung der Plünderung von Kunstschätzen in den westlichen Ländern teilgenommen, wie auch an vielen Verbrechen, die in den früher der Sowjetunion unterstehenden Ostgebieten begangen worden sind.

Die politische Karriere des Angeklagten Rosenberg umschließt die ganze Geschichte des Nationalsozialismus und ist mit fast allen Phasen der Verschwörung, mit der wir uns hier befassen, verwoben. Um eine richtige Vorstellung seines Einflusses auf die Verschwörung und seiner Teilnahme daran zu gewinnen, muß man seinen politischen Werdegang kurz überblicken und jede seiner politischen Handlungen in ihrer Beziehung zu dem Fortschreiten der Verschwörung betrachten, einer Verschwörung, die die ganze Zeitspanne von der Gründung der Partei 1919 bis zur Niederlage Deutschlands im Jahre 1945 umfaßt.

[53] Es ist interessant und aufschlußreich, festzustellen, daß für Rosenberg der 30. November 1918 den »Eintritt in das politische Leben durch einen Vortrag über die ›Judenfrage‹« bedeutete. Diese Erklärung befindet sich auf Zeile 2 der Übersetzung des Dokuments 2886-PS, das einen Auszug aus der Biographie »Das Werk Alfred Rosenbergs« darstellt. Ich lege es als US-591 vor.

Aus Dokument 3557-PS, das Auszüge aus einer »Daten der Geschichte der NSDAP« betitelten amtlichen Broschüre enthält, und das ich als US-592 vorlege, ist zu ersehen, daß Rosenberg im Januar 1919 Mitglied der Deutschen Arbeiterpartei, der späteren Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, wurde, und daß Hitler sich mit Rosenberg und seinen Kollegen im Oktober des gleichen Jahres zusammenschloß. Rosenberg war also sogar vor Hitler Mitglied der Nationalsozialistischen Bewegung.

Nun lege ich das Dokument 3530-PS vor, einen Auszug aus dem »Deutschen Führerlexikon« des Jahres 1934/35; ich lege es als US-593 vor. Aus diesem Dokument erfahren wir folgende zusätzliche biographische Angaben über Rosenberg:

»Ab 1921 Schriftleiter des ›Völkischen Beobachters‹ bis heute; Schriftleiter der NS-Monatshefte; 1930 Reichstagsabgeordneter und Vertreter der Außenpolitik der Bewegung;... ab April 1933 Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP; und dann zum Reichsleiter ernannt; Januar 1934 überträgt ihm der Führer die Überwachung der weltanschaulichen Erziehung der NSDAP, der Deutschen Arbeitsfront und aller gleichgeschalteten Verbände.«

Dokument 2886-PS, auf das ich mich soeben bezogen habe, und das als US-591 vorgelegt wurde, enthält die weitere Information, daß Rosenberg im Juli 1941 zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete ernannt wurde.

Wir wollen diese allgemeinen Angaben als Hintergrund im Auge behalten und uns nunmehr der ersten Phase der Beweiserhebung zuwenden, die sich mit Rosenberg als dem offiziellen Schöpfer und Exponenten der nationalsozialistischen Weltanschauung beschäftigt. Das Beweismaterial, das ich vorlegen werde, wird Wesen und Reichweite der von ihm vertretenen weltanschaulichen Grundsätze und den Einfluß, den er auf die Gleichschaltung des deutschen Denkens ausübte, dartun, eine Gleichschaltung, die einen wesentlichen Teil des Programms der Verschwörer im Hinblick auf die Machtergreifung und die Vorbereitung von Angriffskriegen darstellte.

Rosenberg schrieb eingehend über fast jeden Punkt des nationalsozialistischen Programms und beteiligte sich aktiv daran. Seine erste Veröffentlichung über »Wesen, Grundsätze und Ziele der NSDAP« erschien im Jahre 1922. Rosenberg erwähnte dieses Buch [54] in einer Rede, die wir in dem als US-167 vorgeführten Film gehört und gesehen haben. Auf Seite 2, Teil 1 der Niederschrift dieser Rede, Dokument 3054-PS, erklärt Rosenberg folgendes:

»In diese Zeit« – das war im ersten Aufbaustadium der Partei – »fiel die Abfassung einer kleinen Schrift, die doch ihre Bedeutung in der Geschichte der NSDAP hat« – so sagt Rosenberg –. »Es wurde immer gefragt, welche Programmpunkte die NSDAP habe und wie sie im einzelnen aufzufassen seien. Ich verfaßte darauf ›Wesen, Grundsätze und Ziele der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei‹, und diese Schrift hat die erste dauernde Verbindung zwischen München und den entstehenden Ortsgruppen und den Freunden im Reiche hergestellt.«

Daraus ersehen wir, daß es der Angeklagte Rosenberg war, der das Parteiprogramm ursprünglich entworfen hat und sein Wortführer gewesen ist. Ohne auf das ganze von Rosenberg vertretene weltanschauliche Programm, wie es in seinen verschiedenen, übrigens sehr zahlreichen Schriften und Reden niedergelegt ist, eingehen zu wollen, möchte ich als Beweis einige seiner Erklärungen vorlegen, die Art und Umfang des von ihm propagierten weltanschaulichen Programms veranschaulichen. Man wird dabei feststellen, daß es keinen wesentlichen Grundsatz der Nazi-Philosophie gab, die nicht durch Rosenberg maßgeblich zum Ausdruck gebracht worden wäre. Rosenberg schrieb den »Mythus des 20. Jahrhunderts«, der im Jahre 1930 erschienen ist. Das Buch ist als Beweisstück US-352 eingereicht. Auf Seite 479, Herr Vorsitzender, das heißt auf der zweiten Seite der englischen Übersetzung des Dokuments 3553-PS schrieb Rosenberg über die Rassenfrage:

»Das Wesen der heutigen Weltrevolution liegt im Erwachen der rassischen Typen. Nicht in Europa allein, sondern auf dem ganzen Erdenrund. Dieses Erwachen ist die organische Gegenbewegung gegen die letzten chaotischen Ausläufer des liberalwirtschaftlichen Händlerimperialismus, dessen Ausbeutungsobjekte aus Verzweiflung dem bolschewistischen Marxismus ins Garn gingen, um zu vollenden, was die Demokratie begonnen hatte: die Ausrottung des Rasse- und Volksbewußtseins.«

Rosenberg vertrat die Idee des Lebensraums, die der Hauptbeweggrund, der dynamische Impuls war, der Deutschland zum Angriffskrieg trieb. In seiner Zeitschrift »Nationalsozialistische Monatshefte«, Ausgabe Mai 1932, unser Dokument 2777-PS, das ich als Beweisstück US-594 vorlegen möchte, schrieb er auf Seite 199:

»Mit dieser Erkenntnis, daß das deutsche Volk, will es nicht in des Wortes wahrster Bedeutung untergehen, eigenen Grund und Boden für sich und seine Nachkommen braucht, und der [55] zweiten nüchternen Einsicht, daß dieser Boden nicht mehr in Afrika erobert werden kann, sondern in Europa, in allererster Linie im Osten erschlossen werden muß, mit dieser Erkenntnis ist die organische Einstellung einer deutschen Außenpolitik für Jahrhunderte gegeben.«

Rosenberg brachte seine Gedankengänge über die Stellung der Religion im nationalsozialistischen Staat im »Mythus des 20. Jahrhunderts« zum Ausdruck, aus dem weitere Auszüge im Dokument 2891-PS enthalten sind. Auf Seite 215 des »Mythus« heißt es:

»Wir erkennen heute, daß die zentralen Höchstwerte der römischen und protestantischen Kirche als negatives Christentum unserer Seele nicht entsprechen, daß sie den organischen Kräften der nordischrassisch bestimmten Völker im Wege stehen, ihnen Platz zu machen haben, sich neu im Sinne eines germanischen Christentums umwerten lassen müssen. Das ist der Sinn des heutigen religiösen Suchens.«

An Stelle des traditionellen Christentums suchte Rosenberg den neu-heidnischen Mythus des Blutes einzuführen.

VORSITZENDER: Wollen Sie hier Ihre Ausführungen unterbrechen, um eine Pause einzuschalten?

MR. BRUDNO: Jawohl, Herr Vorsitzender.


[Pause von 10 Minuten.]


VORSITZENDER: Ich habe eine Erklärung an die Verteidigung zu richten. Angesichts der Anträge, die heute Vormittag an den Gerichtshof gerichtet wurden, habe ich im Namen des Gerichtshofs sofort angeordnet, daß bezüglich der von den Verteidigern erhobenen Beschwerden über die Verzögerung in der Zustellung der stenographischen Verhandlungsberichte eine Untersuchung durchgeführt wird. Die Verzögerung wird sofort behoben werden. Die Untersuchung hat ergeben, daß die Verhandlungsberichte bis zum 20. Dezember einschließlich noch heute Nachmittag fertiggestellt werden können. Die Verhandlungsberichte über die Sitzungen, die nach der Wiederaufnahme des Prozesses stattgefunden haben, bis 8. Januar einschließlich, werden morgen Abend verteilt werden. Von nun an werden die deutschen Verhandlungsberichte an die Verteidiger regelmäßig innerhalb achtundvierzig Stunden nach Beendigung der Sitzung verteilt werden.

MR. BRUDNO: Hoher Gerichtshof! Als der Gerichtshof sich vertagte, verlas ich gerade ein Zitat von Rosenberg, in dem er seine Ansichten über das Christentum aussprach.

An Stelle des traditionellen Christentums versuchte Rosenberg, einen neu-heidnischen Mythus des Blutes einzuführen. Auf Seite 114 im »Mythus des 20. Jahrhunderts« schreibt er, wie folgt:

[56] »Heute erwacht aber ein neuer Glaube: der Mythus des Blutes, der Glaube, mit dem Blut auch das göttliche Wesen der Menschen überhaupt zu verteidigen. Der mit hellstem Wissen verkörperte Glaube, daß das nordische Blut jenes Mysterium darstellt, welches die alten Sakramente ersetzt und überwunden hat.«

Rosenbergs Ansichten über Religion wurden als die einzige Weltanschauung angesehen, die sich mit dem Nationalsozialismus vereinbaren ließ. Im Jahre 1940 schrieb der Angeklagte Bormann in einem Brief an Rosenberg, es ist Dokument 098-PS, das bereits als US-350 vorgelegt wurde, folgendes:

»Nicht durch einen Kompromiß zwischen Nationalsozialismus und christlicher Lehre werden die Kirchen überwunden, sondern nur durch eine neue Weltanschauung, deren Kommen Sie ja selbst in Ihren Werken angekündigt haben.«

Rosenberg hat aktiv am Programm der Beseitigung des kirchlichen Einflusses mitgearbeitet. Der Angeklagte Bormann hat über dieses Thema häufig an Rosenberg geschrieben, ihm dabei Informationen über die gegen die Kirchen geplanten Aktionen gegeben und notfalls verlangt, daß diese Aktionen vom Amt Rosenberg durchgeführt werden. Ich beziehe mich auf Dokumente, die im Zusammenhang mit der Anklage gegen das Korps der Politischen Leiter der NSDAP vorgelegt wurden, wie z.B.: 070-PS, US-349, über die Abschaffung von Gottesdiensten in Schulen; Dokument 072-PS, US-357, über die Beschlagnahme kirchlichen Eigentums; Dokument 064-PS, US-359, über die Unzulänglichkeit der an Soldaten verteilten antireligiösen Literatur; Dokument 089-PS, US-360, über die Beschränkung der Veröffentlichung protestantischer Zeitschriften, und Dokument 122-PS, US-362, über die Schließung theologischer Fakultäten.

Rosenberg stürzte sich mit besonderem Eifer auf die sogenannte Judenfrage. Am 28. März 1941, anläßlich der Eröffnung des »Instituts zur Erforschung der Judenfrage«, stellte er Grundsätze für dessen Arbeit auf und gab die Richtung an, in der diese Forschung sich bewegen sollte.

Ich möchte aus Dokument 2889-PS zitieren, das ich als US-595 vorlege. Es ist ein Auszug aus dem »Völkischen Beobachter« vom 29. März 1941, und zwar eine Erklärung, die Rosenberg anläßlich der Eröffnung des Instituts abgab:

»Für Deutschland ist die Judenfrage erst dann gelöst, wenn der letzte Jude den großdeutschen Raum verlassen hat. Da nunmehr Deutschland mit seinem Blut und seinem Volkstum diese Judendiktatur für immer für Europa gebrochen und dafür gesorgt hat, daß Europa als Ganzes wieder frei wird von dem jüdischen Parasitismus, da dürfen wir, glaube [57] ich, auch für alle Europäer sagen: Für Europa ist die Judenfrage erst dann gelöst, wenn der letzte Jude den europäischen Kontinent verlassen hat.«

Wir haben bereits gesehen, daß Rosenberg keine Gelegenheit vorbeigehen ließ, um seine antisemitischen Grundsätze in die Praxis umzusetzen. Der Gerichtshof wird sich daran erinnern, daß Rosenberg im Dokument 001-PS, das im Zusammenhang mit der Judenverfolgung als US-282 vorgelegt wurde, vorschlug, als Vergeltungsmaßnahme für Angriffe auf das Leben von Wehrmachtangehörigen an Stelle von hundert Franzosen hundert jüdische Bankiers, Rechtsanwälte usw. hinzurichten. Dieser Vorschlag hatte den offen zugegebenen Zweck, antisemitische Gefühle wachzurufen.

Dokument 1752-PS, das heute Vormittag von Sir David Maxwell-Fyfe als GB-159 vorgelegt wurde, zeigt, daß Rosenberg im Juni 1944 einen antisemitischen Kongreß einberufen hat; dieser Kongreß ist jedoch wegen militärischer Ereignisse nicht abgehalten worden.

Auf dem Gebiet der auswärtigen Politik hat Rosenberg außer seiner Forderung nach Lebensraum auch die Beseitigung des Vertrags von Versailles verlangt und jeden Gedanken einer Revision dieses Vertrags verworfen. In der von Rosenberg im Jahre 1922 verfaßten Schrift »Wesen, Grundsätze und Ziele der NSDAP« hat er seine Meinung hinsichtlich des Versailler Vertrags offen ausgesprochen. Auszüge aus diesem Buch sind im Dokument 2433-PS übersetzt; ich lege das Buch als US-596 vor. Er erklärte darin folgendes:

»Die Nationalsozialisten verwerfen die beliebte Phrase von der ›Revision des Versailler Friedens‹, denn eine solche Revision würde vielleicht die eine oder andere zahlenmäßige Verminderung der sogenannten ›Verpflichtungen‹ bringen, das gesamte deutsche Volk aber würde nach wie vor der Sklave der anderen Völker bleiben.«

Dann bringt er den zweiten Programmpunkt der Partei:

»Wir fordern die Gleichberechtigung des deutschen Volkes gegenüber den anderen Nationen, Aufhebung der Friedensverträge von Versailles und St. Germain.«

Rosenbergs Gedanke war es, den Nationalsozialismus in der ganzen Welt zu verbreiten, und, wie später bewiesen werden wird, war er aktiv daran beteiligt, andere Länder mit seinen Glaubenssätzen zu infizieren. In der Schrift »Wesen, Grundsätze und Ziele der NSDAP« erklärt er:

»Aber der Nationalsozialismus glaubt noch, daß seine Grundsätze und seine Weltanschauung – wenn auch mit individueller, verschiedenen völkischen Bedingungen angepaßter Kampfweise – weit über Deutschlands Grenzen [58] hinaus richtunggebend sein werden für die unausbleiblichen Machtkämpfe in den anderen Ländern Europas und Amerikas. Auch in ihnen muß sich eine Scheidung der Geister vollziehen und der völkische Kampf gegen den überall gleichartigen leih-kapitalistischen und marxistischen Internationalismus aufgenommen werden. Der Nationalsozialismus glaubt, daß es einmal nach Beendigung des großen Weltkampfes, nach dem Untergang des gegenwärtigen Zeitalters, eine Epoche geben wird, da das Hakenkreuz als arisches Erneuerungssymbol eingewebt sein wird in all den verschiedenen Fahnen der germanischen Völker.«

Diese Erklärung wurde im Jahre 1922 abgegeben. Man ersieht daraus, daß der Angeklagte Rosenberg den Grundidealen, auf denen sieh der Nationalsozialismus aufbaute, maßgeblichen Ausdruck verliehen hat, den Grundideen also, durch deren Verwirklichung die Verschwörung in die Tat umgesetzt wurde.

Rosenbergs Bedeutung für den Verschwörungsplan hat im Jahre 1934 durch seine Ernennung zum Beauftragten des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Erziehung und Schulung der NSDAP offizielle Anerkennung gefunden. Seine Tätigkeit in dieser Eigenschaft war umfangreich und mannigfaltig.

Ich lege nun das »Nationalsozialistische Jahrbuch 1938« als US-597 vor. Auf Seite 180 dieses Buches, das unser Dokument 3531-PS ist, werden die Aufgaben des Amtes Rosenberg als Beauftragter des Führers wie folgt beschrieben:

»Das Aufgabengebiet des Beauftragten des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Schulung und Erziehung der Bewegung, ihrer Organisationen einschließlich des Werkes Kraft durch Freude erstreckt sich auf die einheitliche Ausrichtung der gesamten Schulungsarbeit der Partei und der angeschlossenen Verbände. Die von Reichsleiter Rosenberg aufgebaute Dienststelle hat die Aufgabe, das weltanschauliche Schulungsmaterial bereitzustellen, die Lehrplanung durchzuführen und für die Heranbildung der für die Schulungs- und Erziehungsarbeit geeigneten Lehrkräfte Sorge zu tragen.«

Als Beauftragter des Führers überwachte damit Rosenberg die gesamte weltanschauliche Schulung und Erziehung innerhalb der Partei.

Rosenberg war der persönlichen Überzeugung, daß die Zukunft des Nationalsozialismus von der Erfüllung seiner neuen Aufgabe als weltanschaulicher Beauftragter abhinge. Ich lege Dokument 3532-PS als US-598 vor. Es ist ein Auszug aus einem Artikel Rosenbergs, der im »Schulungsbrief«, Ausgabe März 1934, erschienen ist. Auf Seite 9 dieser Veröffentlichung erklärt Rosenberg:

[59] »Der Dienst für diese Weltanschauung steht nunmehr im Brennpunkt unserer ganzen Erziehungsarbeit, und von dem Ergebnis dieses Wirkens wird es abhängen, ob der Nationalsozialismus mit unserem kämpferischen Geschlecht einmal ins Grab steigt, oder ob er wirklich, so wie wir glauben, den Beginn eines neuen Zeitalters darstellt.«

In seiner Eigenschaft als Beauftragter des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Schulung half Rosenberg an der Vorbereitung der Lehrpläne für die Adolf-Hitler-Schulen mit. Ich darf daran erinnern, daß diese Schulen die geeigneten Kandidaten aus der Hitlerjugend aussuchten und sie für die Führung innerhalb der Partei schulten. Es waren die Elite-Schulen des Nationalsozialismus.

Das nächste Dokument, betitelt »Dokumente der Deutschen Politik«, ist schon als Beweismaterial vorgelegt worden, und zwar als US-365. Übersetzungen von Auszügen aus dem Dokument sind in 3529-PS auf Seite 389 zu finden; darin ist folgendes zu lesen:

»Diese Adolf-Hitler-Schulen bilden, wie Reichsorganisationsleiter Dr. Ley am 23. November 1937 auf der Ordensburg Sonthofen ausführte, als erste Stufe des Ausleseprinzips ein wichtiges Glied im Erziehungssystem des nationalsozialistischen Führernachwuchses...

... Der Lehrplan ist von Reichsleiter Rosenberg in Gemeinschaft mit dem Reichsorganisationsleiter und dem Reichsjugendführer festgelegt worden.«

Rosenberg übte weiter Einfluß auf die Erziehung der Parteimitglieder aus, und zwar durch die Gründung von Gemeinschaftsschulen für alle Gliederungen der Partei. Dokument 3528-PS ist eine Übersetzung von Seite 297 des Buches »Das Dritte Reich«, Ausgabe von 1934, das ich als US-599 vorlege. Es lautet wie folgt:

»Wir stimmen dem Ersuchen des Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Erziehung und Schulung der NSDAP, Parteigenossen Alfred Rosenberg, bei, zweimal im Jahre Gemeinschaftsschulen aller Gliederungen der NSDAP einzurichten, um durch diese gemeinsame Arbeit die weltanschauliche und staatspolitische Einheit der NSDAP und die Unerschütterlichkeit des nationalsozialistischen Wollens zu dokumentieren.«

Dieses Programm wurde sowohl vom Angeklagten Schirach, als auch von Himmler, Ley und anderen gebilligt.

VORSITZENDER: Enthält Ihr Vortrag hierüber nicht eine Häufung von ziemlich gleichartigem Beweismaterial? Ist es nicht möglich, das Beweismaterial gegen Rosenberg in kürzerer Zusammenfassung zu bringen?

[60] MR. BRUDNO: Ich werde es versuchen, Herr Vorsitzender. Immerhin; die Anklageschrift führt zwar aus, daß die angeklagten Verschwörer weltanschauliche Erziehung als Mittel zur Machtergreifung und Machtbefestigung benutzten, und es liegt auch erhebliches Beweismaterial dafür vor, aber hinsichtlich der Stellung Rosenbergs scheint nur wenig Material vorzuliegen; ich bringe dieses Beweismaterial also vor, um zu beweisen, daß er in diesem Zusammenhang eine führende Rolle gespielt hat. Trotzdem werde ich mich bemühen, diese Dokumente soweit wie möglich zusammenzufassen.


VORSITZENDER: Ja, ich habe ungefähr zwanzig Dokumente notiert, die Sie erwähnt haben, und die sich alle mit Rosenbergs weltanschaulichen Theorien beschäftigen.


MR. BRUDNO: Ja, Herr Vorsitzender, ich habe nur versucht, den Umfang seiner Tätigkeit aufzuzeigen.


VORSITZENDER: Ja.


MR. BRUDNO: Der Hohe Gerichtshof wird sich daran erinnern, daß Rosenberg in seiner Eigenschaft als Beauftragter des Führers das Institut für die Erforschung der Judenfrage in Frankfurt gegründet hat. Dieses Institut, das allgemein als »Hohe Schule« bekannt war, wurde schon im Zusammenhang mit der Plünderung von Kunstschätzen erwähnt. In seine Bibliothek flossen die Bücher, Dokumente und Manuskripte, die aus fast allen Ländern des besetzten Europas gestohlen wurden. Weiteres Beweismaterial über diesen Punkt wird vom französischen Anklagevertreter vorgebracht werden.

Der Hohe Gerichtshof wird sich auch daran erinnern, daß, wie der Verhandlungsbericht auf Seite 95 bis 107 zeigt, Rosenberg in seiner Stellung als weltanschaulicher Beauftragter die phantastischen Kunstplünderungsaktionen des Einsatzstabes Rosenberg leitete, eine Tätigkeit, die sich buchstäblich auf jedes von Deutschen besetzte Land erstreckte. Ich werde nicht versuchen, das Ausmaß dieser Plünderungen zusammenfassend zu behandeln, und verweise den Gerichtshof lediglich auf Dokument 1015 (b)-PS, das schon als US-385, sowie auf Dokument L-188, das als US-386 vorgelegt wurde. Dokument 1015 (b)-PS gibt Einzelheiten über den Raub von 21000 Kunstgegenständen, Dokument L-188 über die Plünderung der Einrichtungen von über 71000 jüdischen Wohnungen im Westen. Auch dieses Thema wird vom französischen Anklagevertreter weiter behandelt werden.

Die Wichtigkeit von Rosenbergs Tätigkeit als offizieller Schöpfer und Exponent der Weltanschauung der Nazi-Partei wurde auch keineswegs unterschätzt. In Dokument 3559-PS, das ich als US-600 vorlegen möchte – übrigens ist es die Rosenberg-Biographie[61] von Hart mit dem Titel »Alfred Rosenberg, der Mann und sein Werk« –, wird also festgestellt, daß Rosenberg im Jahre 1937 den Deutschen Nationalpreis gewonnen hat. Die Stiftung dieses Preises war, wie sich der Gerichtshof erinnern wird, die gereizte Antwort der Nazis auf die Verleihung des Nobel-Preises an den in einem deutschen Konzentrationslager inhaftierten Karl von Ossietzki. Die den Preis an Rosenberg begleitende Auszeichnung lautet:

»Alfred Rosenberg hat in seinen Werken in hervorragendstem Maße die Weltanschauung des Nationalsozialismus wissenschaftlich und intuitiv begründen und festigen geholfen.... Die nationalsozialistische Bewegung und darüber hinaus das ganze deutsche Volk wird es mit tiefer Genugtuung begrüßen, daß der Führer in Alfred Rosenberg einen seiner ältesten und treuesten Mitkämpfer durch Verleihung des deutschen Nationalpreises auszeichnete.«

Rosenbergs Buch »Der Mythus des 20. Jahrhunderts«, die Grundlage aller seiner weltanschaulichen Propaganda, das zur Entwicklung des Nationalsozialismus beigetragen hat, wird in der Veröffentlichung »Bücherkunde« vom November 1942 hervorgehoben. Es ist unser Dokument 3554-PS, US-601; auf der ersten Seite ist eine Besprechung des »Mythus des 20. Jahrhunderts«...

VORSITZENDER: Herr Brudno, Sie haben uns bereits mehrere Male auf den »Mythus des 20. Jahrhunderts« hingewiesen.

MR. BRUDNO: Ja, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Wir wollen wirklich davon nichts mehr hören.


MR. BRUDNO: Ich möchte nur zeigen, daß dieses Buch als eine der Grundsäulen der Bewegung betrachtet wurde, und ich möchte auch zeigen, daß es eine Auflage von über einer Million hatte.


VORSITZENDER: Nun, ich glaube, es geht aus dem bereits vorgelegten Beweismaterial absolut klar hervor, daß Rosenberg weltanschauliche Lehren der Nazi-Partei verkündete, und ich glaube nicht, daß es notwendig ist, auf weitere Einzelheiten einzugehen.


MR. BRUDNO: Gut; wenn der Gerichtshof der Überzeugung ist, daß genügend Material vorliegt, um zu beweisen, daß Rosenbergs Ideen die Grundlage für die Weltanschauung der nationalsozialistischen Bewegung bildeten, kann ich zum nächsten Punkt übergehen.


VORSITZENDER: Sie haben bereits die Tatsache betont, daß er zu diesem Zweck zum Beauftragten des Führers ernannt wurde, nicht wahr?

MR. BRUDNO: Ja, Herr Vorsitzender. Ich werde nun zum nächsten Punkt übergehen. Ich möchte jedoch noch auf das Dokument [62] 789-PS verweisen, das bereits als US-23 vorgelegt wurde. Dieses Dokument ist die Niederschrift einer Besprechung zwischen Hitler und seinen Oberbefehlshabern, bei der Hitler erklärte:

»Der Aufbau der Wehrmacht war nur möglich im Zusammenhang mit der weltanschaulichen Erziehung des deutschen Volkes durch die Partei.«

Wir sind der Ansicht, daß der von Rosenberg durch die Formulierung und Verbreitung der nationalsozialistischen Weltanschauung geleistete Beitrag grundlegend für die Verschwörung war. Als Apostel des neuen Heidentums, als Vertreter der Forderung nach Lebensraum, als Verherrlicher des Mythus der Überlegenheit der nordischen Rasse und als einer der ältesten und tatkräftigsten Verfechter des Antisemitismus aus den Reihen der Nazis, hat er erheblich zu der Einigung des deutschen Volkes unter dem Hakenkreuz beigetragen. Er war die treibende Kraft der nationalsozialistischen Bewegung, und er war es, der ihre neuen Gedanken schuf. Seine Lehren waren dafür verantwortlich, daß die Moral sich aufzulösen begann, und daß der nordische Traum sich in den Köpfen des deutschen Volkes festsetzte; dadurch wurde das deutsche Volk zum bequemen Werkzeug in den Händen der Verschwörer und zum willigen Gehilfen bei der Fortführung ihrer verbrecherischen Pläne.

Ich komme nun auf den zweiten Abschnitt der verbrecherischen Tätigkeit Rosenbergs zu sprechen, nämlich auf seinen aktiven Beitrag zu den Vorbereitungen für die Angriffskriege mit Hilfe der internationalen Tätigkeit des APA, des Außenpolitischen Amtes der NSDAP.

Wie bereits vorher in meinem Zitat aus dem »Deutschen Führerlexikon«, US-593, ausgeführt, wurde Rosenberg Reichsleiter und erhielt somit den höchsten Rang im Korps der Politischen Leiter; im April 1933 wurde er Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP. Das »Organisationsbuch der Partei«, unser Dokument 2319-PS, US-602, erklärt, es gehöre zu den Aufgaben des APA, die ausländische öffentliche Meinung dahingehend zu beeinflussen, daß fremde Nationen davon überzeugt werden sollten, daß Deutschland Frieden wünschte. Die weitreichende Tätigkeit des APA geht aus Seite 14 der Übersetzung dieses Dokuments hervor, und ist wie folgt beschrieben:

»1. Das APA gliedert sich in drei Amtsleitungen:

A. Amt für Länderreferate mit den Hauptstellen: a) England und Ferner Osten, b) Naher Osten, c) Südosten, d) Norden, e) Alter Orient, f) Kontrolle, Personalfragen usw.

B. Amt für den deutschen Akademischen Austauschdienst...

C. Amt für Außenhandel.

[63] 2. Außerdem gehören zum APA eine Hauptstelle für Pressewesen und ein Schulungshaus.«

Die Pressetätigkeit des APA war darauf angelegt, die öffentliche Meinung der Welt derart zu beeinflussen, daß die wahren Ziele der Verschwörer verschleiert und damit die Vorbereitung des Angriffskriegs erleichtert würden. Diese Arbeit wurde in ausgesprochen großzügigem Maßstab durchgeführt. Ich lege Dokument 003-PS, US-603, betitelt »Kurzer Tätigkeitsbericht des Außenpolitischen Amtes der NSDAP« als Beweis vor. Der letzte Absatz auf Seite 5 der Übersetzung beschreibt die Pressearbeit wie folgt:

»Die Presseabteilung des APA umfaßt Persönlichkeiten, die gemeinsam alle in Frage kommenden Sprachen beherrschen, täglich etwa 300 Zeitungen prüfen und täglich die Zusammenfassung wesentlichster Stellungnahmen der gesamten Weltpresse an den Führer, den Stellvertreter des Führers und an alle überhaupt in Betracht kommenden Stellen vermitteln.... Die Presse-Abteilung führt ferner ein genaues Archiv über die Geltung der wichtigsten Weltblätter und ein genaues Archiv über die wichtigsten Journalisten der ganzen Welt. Manche Pannen bei Unterredungen in Deutschland wären unterblieben, wenn man dieses Archiv des APA gefragt hätte.... Ferner hat die Pressestelle eine große Anzahl einwandfreier ausländischer Journalisten den verschiedenen amtlichen Vertretern Deutsch lands zugeführt und mit mir eine Anzahl Interviews vermittelt.«

Und weiter:

»Dann hat mich Hearst persönlich gebeten, öfters über die deutsche Außenpolitik in seinen Zeitungen zu schreiben. In diesem Jahr sind 5 Aufsätze eingehender Art in sämtlichen Hearstzeitungen der ganzen Welt von mir erschienen. Da diese Aufsätze, wie Hearst mir persönlich mitteilen läßt, wirklich begründete Argumente aufweisen, hat er mich auch weiter gebeten, für seine Zeitungen zu schreiben.«

Auf diese Weise benützte Rosenberg sein Außenpolitisches Amt dazu, um die öffentliche Meinung der Welt im Sinne des Nationalsozialismus zu beeinflussen.

Es ist interessant, festzustellen, daß Rosenberg auf Seite 4 dieses Dokuments erklärt, daß der rumänische Antisemitenführer Cuza seinen Ratschlägen folgte, da er, wie Rosenberg sich ausdrückt, »in mir einen unbeugsamen Judengegner kenne«. Über diese Angelegenheit werden wir bald mehr hören.

Art und Umfang der Betätigung des APA gehen voll und ganz aus einem einzigen Dokument hervor. Es ist das Hauptbeweisstück, auf das ich in diesem Stadium des Verfahrens gegen Rosenberg Bezug nehmen möchte. Es trägt die Nummer 007-PS und hat den Titel [64] »Kurzer Tätigkeitsbericht des Außenpoliti schen Amtes der NSDAP von 1933-1943«. Es ist von Rosenberg unterzeichnet. Teile der Anlage 1 dieses Berichts wurden bereits als britisches Beweisstück GB-84 ins Protokoll verlesen. Der Hauptteil des Berichts und Anlage 2 wurden bisher noch nicht erwähnt. Wie ersichtlich, enthält das Dokument eine Aufzählung der vielseitigen Betätigung im Ausland. Diese Betätigung reichte von der Förderung der wirtschaftlichen Durchdringung bis zur Entfachung des Antisemitismus; von kultureller und politischer Beeinflussung bis zur Anstiftung von Hochverrat. Diese Tätigkeit wurde in der ganzen Welt ausgeübt und erstreckte sich auf weit auseinanderliegende Gebiete, wie den Mittleren Osten und Brasilien.

Viele Erfolge des APA waren der geschickten Ausnützung persönlicher Beziehungen zu verdanken. Aus der Mitte des ersten Absatzes auf Seite 2 der Übersetzung, der sich auf die Betätigung in Ungarn bezieht, erfahren wir folgendes:

»Der erste fremde Staatsbesuch nach der Machtübernahme erfolgte durch die Vermittlung des Außenpolitischen Amtes. Der in früheren Jahren selbst antisemitische und rassenpolitische Tendenzen verfolgende, auf den ungarischen Ministerpräsidentenstuhl gelangte Julius Gömbös, mit dem das Amt eine persönliche Verbindung hatte,...«

Das APA war bestrebt, die Kriegswirtschaft durch Umlagerung des Nahrungsmittelbezugs auf die Balkanländer zu stärken, wie im Absatz 3 der Übersetzung ausgeführt wird:

»Aus wehrwirtschaftlichen Gründen vertrat das Amt den Gedanken einer... Umlagerung des Rohstoffbezuges aus Übersee nach den verkehrstechnisch zu Lande erreichbaren Gebieten,...«

Dann weist er darauf hin, daß auf Grund der Tätigkeit dieses Amtes der Nahrungsmittelbezug mit Erfolg auf die Balkanländer verlegt wurde, besonders Obst- und Gemüse-Importe.

Die Arbeit in Belgien, Holland und Luxemburg beschränkte sich, dem Bericht zufolge, auf die »reine Beobachtung der gegebenen Verhältnisse«, ein Ausdruck, der vielseitige Deutung zuläßt, und »auf die Anknüpfung von Beziehungen, besonders wirtschaftlicher Art.«

In Iran erreichte das APA, neben der Förderung kultureller Beziehungen, eine weitgehende wirtschaftliche Durchdringung. Ich zitiere aus der Mitte des dritten Absatzes auf Seite 3:

»Die vom Amt mit Hilfe von Wirtschaftskreisen zur wirtschaftlichen Durchdringung Irans auf ganz neuen Wegen entwickelte Initiative, die natürlich auch in Deutschland bei [65] den zuständigen staatlichen Stellen zuerst auf völlige Ablehnung und auf Widerstand stießen, der erst überwunden werden mußte, druckte sich in einer außerordentlich günstigen Weise in den gegenseitigen Handelsbeziehungen aus. Im Laufe von wenigem Jahren ver fünffachte sich das Handelsvolumen mit Iran, und im Jahre 1939 hatte der iranische Warenumsatz mit Deutschland die erste Stelle erreicht.«

Im letzten Absatz auf Seite 3...

VORSITZENDER: Einen Augenblick bitte, Herr Brudno! Würden Sie dem Gerichtshof bitte erklären, in welchem Zusammenhang der von Ihnen soeben verlesene Absatz mit der gegen Rosenberg in diesem Prozeß erhobenen Anklage steht?

MR. BRUDNO: Hoher Gerichtshof! Nach unserer Ansicht war die wirtschaftliche Durchdringung derjenigen Länder, deren Einbeziehung in die Einflußsphäre der Achse den Verschwörern strategisch wichtig schien, eines der Mittel der Verschwörung. Die Betätigung Rosenbergs auf dem Gebiet des Außenhandels trug unserer Ansicht nach wesentlich zum Fortschritt der in der Anklageschrift geltend gemachten Verschwörung bei.


VORSITZENDER: Wollen Sie damit sagen, daß der Versuch, den Handel mit dem Ausland zu fördern, ein Verbrechen ist?


MR. BRUDNO: Hoher Gerichtshof, die Äußerung weltanschaulicher Ansichten oder die Förderung des Außenhandels sind an sich keine Verbrechen, das ist auch meine Ansicht.


VORSITZENDER: Hier handelt es sich nicht um weltanschauliche Betrachtungen. Es ist einfach eine Handelsfrage.


MR. BRUDNO: Weiter unten erwähnt er die kulturelle Betätigung, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Ich sprach nur, um keine Zeit zu verlieren, von dem speziellen Absatz, den Sie gerade zitiert haben.


MR. BRUDNO: Ich verstehe, Herr Vorsitzender. Wir wollen lediglich zeigen, daß die Deutschen die Waffe des Außenhandels als einen wesentlichen Bestandteil des Verschwörer-Programms einsetzten.


VORSITZENDER: Wie ich bereits früher gesagt habe, ist es weder für mich noch für irgendein Mitglied dieses Gerichtshofs möglich, den Vortrag der Anklagevertretung an deren Stelle zu übernehmen. Wir können sie nur darauf aufmerksam machen, wenn sie unserer Meinung nach Unerheblichkeiten und Häufungen vorbringt, und sie bitten, die Ausführungen kürzer zu fassen. Das Kürzen ist dann ihre Sache.


[66] MR. BRUDNO: Hoher Gerichtshof, Rosenberg fuhr auf Seite 3 der Übersetzung fort:

»Die heutige neutrale Stellung Afghanistans ist zu einem nicht geringen Teil auf die Tätigkeit des Amtes zurückzuführen.«

In Zusammenhang mit Arabien sagt er:

»Auch die arabische Frage wurde in die Bearbeitung des Amtes einbezogen. Trotz der politischen Bevormundung des Irak durch England stellte das Amt eine Reihe von Verbindungen zu einer Reihe führender Persönlichkeiten der arabischen Welt her, die starken Bindungen an Deutschland die Wege ebneten, wobei auch der wachsende Einfluß des Reiches im Iran und in Afghanistan seine Rückwirkungen auf Arabien nicht verfehlte.«

Rosenberg beschließt seinen Bericht mit der Erklärung, daß er mit Ausbruch des Krieges seine Aufgabe als abgeschlossen betrachte und sagt:

»Die Auswertung der vielen persönlichen Beziehungen in vielen Ländern kann in anderer Form wieder aufgenommen werden.«

Ich wende mich nun der Anlage 2 des Berichts zu, die auf Seite 9 der Übersetzung zu finden ist. Diese Anlage befaßt sich mit der Tätigkeit in Rumänien. Die Intrigen des APA sind hier gerissener und seine Einmischung in die inneren Angelegenheiten einer fremden Nation noch augenfälliger. Nach Beschreibung des Versagens einer – um einen Ausdruck Rosenbergs zu verwenden – »in ihrem Urgrund gesunden antisemitischen Strömung«, ein Versagen, das auf dynastische Streitigkeiten und Parteikämpfe zurückzuführen sei, spricht Rosenberg über den Einfluß des APA auf die Einigung der in Streit befindlichen Elemente.

Ich zitiere von der neunten Zeile der Übersetzung an:

»Hier fehlte der führende Kopf einer politischen Persönlichkeit. Nach vielerlei tastenden Versuchen glaubte das Amt, eine solche im ehemaligen Minister und Dichter Octavian Goga gefunden zu haben. Es fiel nicht schwer, den von instinktiven Eingebungen erfüllten Dichter zu überzeugen, daß die Erhaltung eines Großrumäniens, dessen Schaffung zwar gegen Wien erfolgen mußte, nur mit Berlin möglich war, und in ihm den Wunsch zu wecken, rechtzeitig das Schicksal Rumäniens mit der Zukunft des nationalsozialistischen Deutschen Reiches zu verbinden. Durch dauernde Beeinflussung gelang es dem Amt, sowohl Octavian Goga als auch Professor Cuza zu veranlassen, die von ihnen geführten Parteien auf antisemitischer Grundlage miteinander zu verschmelzen, um den[67] Kampf für die Erneuerung Rumäniens nach innen und seinen Anschluß an Deutschland nach außen mit vereinten Kräften aufzunehmen. Beide bisher verschiedene Namen tragende Parteien verschmolzen durch die Initiative des Amtes in der Nationalsozialistischen Partei unter Führung Gogas und unter einer Ehrenpräsidentschaft Cuzas.«

Rosenbergs Mann, Goga, wurde von zwei Splitterparteien unterstützt, die sich der antisemitischen Strömung nicht angeschlossen hatten, und Rosenberg erklärte:

»Mit beiden Richtungen unterhielt das Amt durch Mittelsmänner laufend Beziehungen.«

Goga, der Mann, den Rosenberg unterstützte, wurde im Dezember 1937 vom König zum Ministerpräsidenten ernannt. Der verderbliche Einfluß der Rosenbergschen Weltanschauung hatte einen großen Triumph davongetragen, denn er erklärt:

»Damit war eine zweite Regierung auf völkischer und antisemitischer Grundlage in Europa in Erscheinung getreten, in einem Lande, in dem ein solches Ereignis für völlig ausgeschlossen gehalten wurde.«

Ich will mich mit den Einzelheiten des politischen Durcheinanders, das in Rumänien während dieser Periode herrschte, nicht ausführlich befassen.

VORSITZENDER: Herr Brudno! Ich glaube, der Gerichtshof ist darüber genügend unterrichtet, daß Rosenberg – ich meine vorbehaltlich dessen, was Rosenberg oder sein Verteidiger dazu zu sagen haben werden –, daß Rosenberg versuchte, seine Ideologien im Ausland zu verbreiten. Hierüber brauchen wir keine weiteren detaillierten Beweise. Wir sind uns auch darüber einig, daß wir über die Tätigkeit des APA genug gehört haben.

MR. BRUDNO: Sicherlich, Hoher Gerichtshof! Wenn der Gerichtshof zufriedengestellt ist, können wir weitergehen.

VORSITZENDER: Vorbehaltlich, wie ich bereits sagte, aller Beweise, die von Rosenberg vorgebracht werden.


MR. BRUDNO: Gewiß. Ich will nur abschließend feststellen, daß die Tätigkeit des APA, wie aus dem Dokument 007-PS hervorgeht, in erster Linie dafür verantwortlich war, daß Rumänien der Achse beitrat. Es war ein lebenswichtiges Glied in der Kette der deutschen militärischen Strategie.

Ich möchte weiter die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf das Beweismaterial über die Tätigkeit des APA in Norwegen lenken, das bereits vorgelegt wurde, eine Betätigung, die zum Verrat Quislings und Hagelins führte, für den die beiden inzwischen verurteilt worden sind.

[68] Ich komme nunmehr zur Endphase des Tatbestands gegen den Angeklagten Rosenberg. Wir haben gesehen, wie er den Aufstieg der Nazis zur Macht gefördert und die psychologische Vorbereitung des deutschen Volkes für die Führung von Angriffskriegen geleitet hat. Ich möchte nun den Beweis für seine Verantwortlichkeit bei der Planung und Ausführung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erbringen, die in den ausgedehnten Gebieten des besetzten Ostens begangen wurden, Gebieten, die von Rosenberg mehr als drei Jahre lang verwaltet worden sind. Diese Gebiete schließen die Baltischen Staaten, Weißruthenien, die Ukraine und den östlichen Teil Polens ein.

Ich habe nicht die Absicht, hier zu versuchen, noch einmal die Geschichte der Massenmorde, der Ausplünderung und der Brutalität zu erzählen. Wir glauben, daß dies bereits genügend bewiesen wurde, und weiteres Beweismaterial zu diesem Punkt wird von der Anklagevertretung der Sowjetunion und der Französischen Republik vorgelegt werden.

Wir mochten vorwegnehmen, daß Rosenberg sagen wird, manche dieser Verbrechen seien entgegen seinen Wünschen begangen worden; und tatsächlich ist einiges Beweismaterial dafür vorhanden, daß er gelegentlich protestierte, nicht aus humanitären Erwägungen, sondern aus Gründen politischer Zweckmäßigkeit.

Wir nehmen ferner an, daß Rosenberg versuchen wird, die Schuld für diese Verbrechen auf andere Dienststellen und auf andere Angeklagte abzuschieben. Das Beweismaterial wird jedoch zeigen, daß er selbst es war, der die harte Politik formuliert hat, in deren Verfolgung diese Verbrechen begangen worden sind, daß die Verbrechen größtenteils von Personen und Dienststellen unter seiner Jurisdiktion und Aufsicht begangen wurden, und daß andere Dienststellen, die an der Begehung dieser Verbrechen beteiligt waren, von Rosenberg aufgefordert worden waren, an der Verwaltung des Ostens mitzuarbeiten, obgleich die brutalen Methoden, die dort an der Tagesordnung waren, allgemein bekannt waren, und schließlich, daß sein Ministerium diese Tätigkeit trotz der angewandten verbrecherischen Methoden voll unterstützt hat. Rosenberg spielte bereits am 20. April 1941 eine aktive Rolle in den Angelegenheiten des Ostens, also zwei Monate vor dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion. An diesem Tage wurde er von Hitler zum Beauftragten für die zentrale Bearbeitung der Fragen des osteuropäischen Raumes ernannt.

Der Befehl Hitlers, kraft dessen er diese Ernennung erhielt, ist bereits vollständig als Dokument 865-PS, US-143, in das Verhandlungsprotokoll verlesen worden.

Die ersten Vorbereitungen Rosenbergs für die Erfüllung dieser Aufgabe zeigen, bis zu welchem Grad er an der Förderung der [69] militärischen Angriffspläne mitarbeitete. Sie zeigen auch, daß er zu Beginn seine Aufgabe darin sah, die Unterstützung einer Vielzahl von Reichsbehörden zu erbitten und sie zur Zusammenarbeit einzuladen.

Kurz nach seiner Ernennung durch Hitler führte Rosenberg eine Reihe von Besprechungen mit Vertretern verschiedener Reichsbehörden, Besprechungen, die in dem bereits vorgelegten Dokument 1039-PS, US-146, zusammengefaßt sind. Dieses Dokument bewies die Zusammenarbeit der folgenden Dienststellen, sowie die Tatsache, daß diese Zusammenarbeit von Rosenberg beabsichtigt und gefördert worden war. Es handelt sich um folgende Dienststellen: OKW, OKH, OKM, das Reichswirtschaftsministerium, das Amt des Generalbevollmächtigten für den Vierjahresplan, Reichsinnenministerium, die Reichsjugendführung, Deutsche Arbeitsfront, Reichsarbeitsministerium, SS, SA und einige andere.

Es sollte vermerkt werden, daß diese Anordnungen von Rosenberg in seiner Eigenschaft als Kommissar für Ostfragen getroffen wurden, noch vor dem Angriff auf die Sowjetunion, noch ehe er zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete ernannt worden war, ja sogar noch bevor es irgendwelche von Deutschland zu verwaltende Ostgebiete überhaupt gab.

Ich möchte nun kurz auf Rosenbergs grundlegende Haltung hinsichtlich seiner neuen Aufgaben hinweisen und auf die Anweisungen, deren Befolgung, wie er wußte, von ihm erwartet wurde.

Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß Rosenberg am 29. April 1941 in Dokument 1024-PS, das bereits als Beweisstück US-278 eingeführt wurde, sagte:

»Eine allgemeine Behandlung erfordert die Judenfrage, deren zeitweilige Übergangslösung festgelegt werden muß (Arbeitszwang der Juden, eine Ghettosierung usw.).«

Am 8. Mai 1941 bereitete er Instruktionen für alle Reichskommissare in den besetzten Ostgebieten vor. Diese Instruktionen befinden sich im Dokument 1030-PS, das bereits als Beweisstück US-144 vorgelegt worden ist. Der letzte Absatz, auf den die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs noch nicht gelenkt wurde, lautet wie folgt:

»Kulturpolitisch kann das Deutsche Reich in vielen Gebieten nationale Kulturen und Wissenschaften fördern und ausrichten. In manchen Gebieten wird eine Aus- und Umsiedlung verschiedener Völkerschaften vorgenommen werden müssen.«

In Dokument 1029-PS, US-145, verfügt Rosenberg, daß das Ostland durch die Eindeutschung rassisch möglicher Elemente, durch Kolonisierung germanischer Völker und durch Aussiedlung nicht erwünschter Elemente in einen Teil des Großdeutschen Reichs verwandelt werde.

[70] In einer Rede vom 20. Juni 1941 erklärte Rosenberg, wie sich der Gerichtshof erinnern wird, daß die deutsche Volksernährung an der Spitze der deutschen Forderungen im Osten stehe, daß keine Verpflichtung bestehe, das russische Volk mit zu ernähren; daß dies eine harte Notwendigkeit sei, die außerhalb jeden Gefühls stehe; daß eine umfangreiche Evakuierung notwendig sein würde und schließlich, daß dem Russentum sehr schwere Jahre bevorstünden. Diese Rede, Hoher Gerichtshof, befindet sich im Protokoll als Dokument 1058-PS, US-147.

Am 4. Juli 1941, noch vor Rosenbergs Ernennung zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, nahm ein Vertreter von Rosenbergs Büro an einer Besprechung über Verwendung und Arbeitseinsatz der russischen Kriegsgefangenen teil. Dokument 1199-PS ist ein Bericht über diese Besprechung, und ich lege als Beweisstück US-604 vor. Das Dokument berichtet, daß unter anderen die Vertreter folgender Dienststellen teilnahmen: Beauftragter für den Vierjahresplan, Reichsarbeitsministerium, Reichsernährungsministerium und Dienststelle Rosenberg. Der erste Satz lautet wie folgt:

»Nach einleitenden Worten von Obstlt. Dr. Krull wurde von Abt. Kriegsgef. (Obstlt. Breyer) dargelegt, daß an sich ein Verbot des Führers bestände, russische Kriegsgefangene im Reich zum Arbeitseinsatz zu bringen; es sei aber damit zu rechnen, daß dieses Verbot mindestens gelockert würde.«

Der letzte Absatz berichtet wie folgt:

»Der Besprechungsleiter faßte das Ergebnis dahingehend zusammen, daß von allen beteiligten Dienststellen die Forderung, die Kriegsgefangenen auch zum Arbeitseinsatz im Reich heranzuziehen, unbedingt vertreten und unterstützt wird.«

Am 16. Juli 1941, einen Tag vor der Ernennung Rosenbergs zum Minister für die besetzten Ostgebiete, wohnte er einer Besprechung im Hauptquartier des Führers bei, deren Niederschrift bereits als Dokument L-221, US-317, vorgelegt worden ist. Damals erklärte Hitler, die Krim müsse von allen Fremden geräumt und deutsch besiedelt werden.

Er erklärte weiter, daß die Ziele Deutschlands im Osten dreifacher Art wären: erstens, ihn zu beherrschen, zweitens, ihn zu verwalten und drittens, ihn auszubeuten.

Damit stand der wesentliche Charakter der Verwaltung, die für den besetzten Osten vorgesehen war, bereits fest, bevor Rosenberg sein Amt als Minister antrat. Er kannte diese Pläne und stimmte [71] mit ihnen überein: Verfolgung der Juden, Sklavenarbeit der Kriegsgefangenen, Germanisierung und Ausbeutung; all dies waren politische Grundsätze, mit denen Rosenberg, als er sein Amt antrat, vertraut war.

Am 17. Juli 1941 wurde Rosenberg zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete ernannt. Der Erlaß, durch den er ernannt wurde, ist Dokument 1997-PS und liegt bereits als Beweisstück US-319 vor.

Ich möchte nun den Organisationsaufbau und die Kette der Verantwortlichkeiten im Ministerium für die besetzten Ostgebiete untersuchen.

Der Organisationsaufbau im Osten war, wie wir zeigen werden, von der Art, daß Rosenberg keineswegs nur die Rolle eines Strohmannes spielte. Er war die oberste Instanz und besaß die volle Aufsichtsgewalt. Dokument 1056-PS ist eine vervielfältigte Abhandlung mit dem Titel: »Die Organisation der Verwaltung in den besetzten Ostgebieten«. Sie ist undatiert und unsigniert; man kann jedoch weiteren Aufschluß durch Heranziehung von Dokument EC-347, Görings »Grüner Mappe«, erlangen, die bereits als Beweisstück US-320 vorgelegt worden ist.

Teil II, Punkt A des Dokuments EC-347, hat die Überschrift »Auszug aus den Arbeitsrichtlinien des Reichsministers für die besetzten Ostgebiete und für die Zivilverwaltung«, und in Klammern: »Braune Mappe, Teil I, Seite 25 bis 30«.

Die zwei folgenden Absätze decken sich mit den zwei Absätzen auf Seite 9 oben der Übersetzung des Dokuments 1056-PS. Demnach ist 1056-PS eine Vervielfältigung von Teil I der »Braunen Mappe«, die in der »Grünen Mappe« erwähnt und vom Reichsminister für die besetzten Ostgebiete herausgegeben wurde.

Ich lege nunmehr Dokument 1056-PS als Beweisstück US-605 vor. Ich lege es vor, um aus den vom Ministerium Rosenberg erlassenen Verfügungen den Umfang des Machtbereichs von Rosenberg zu beweisen, daß er nämlich die oberste Zivilbehörde in den Ostgebieten darstellte. Das Dokument zeigt, daß ein kontinuierlicher Dienstweg von Rosenberg bis zu den regionalen Verwaltungsbeamten lief, ein Dienstweg, der sich sogar bis zu den lokalen Gefängnisdirektoren erstreckte. Das Dokument zeigt auch die Verbindung zwischen Rosenbergs Ministerium und anderen deutschen Dienststellen, eine Verbindung, die auf Grund seiner Anweisungen und der Befehle Hitlers zwischen voller Kontrolle durch Rosenberg und voller Zusammenarbeit variierte.

Schließlich ist aus dem Dokument ersichtlich, daß die verschiedenen Unterabteilungen des Ministeriums die Weisung hatten, periodische Lageberichte über die ihnen unterstehenden Gebiete zu erstatten, so daß Rosenberg die zahlreichen, unsagbar brutalen [72] Berichte, die ihm zugingen, und die bereits in das Sitzungsprotokoll verlesen worden sind, auf Grund seiner eigenen Befehle erhielt.

Der erste Absatz dieses bezeichnenden Dokuments lautet wie folgt:

»Dem Reichsminister für die besetzten Ostgebiete sind die neuerdings besetzten Ostgebiete unterstellt. Auf Weisung des Führers richtet er dort bei Aufhebung der Militärverwaltung eine Zivilverwaltung ein. Er leitet und beaufsichtigt die gesamte Verwaltung dieses Raumes und vertritt die Souveränität des Reiches in den besetzten Ostgebieten.«

Oben auf Seite 2 der Übersetzung heißt es:

»Zum Reichsministerium tritt ein Beauftragter des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern.«

Unter III, auf Seite 2 der Übersetzung, ist die Verantwortung der Reichskommissare wie folgt definiert:

»In den Reichskommissariaten sind unter der Oberleitung des Reichsministers für die besetzten Ostgebiete Reichskommissare für die gesamte Zivilverwaltung verantwortlich.

Der Reichskommissar leitet und beaufsichtigt als Hoheitsträger des Reiches in seinem Amtsbezirk die gesamte Verwaltung nach den Weisungen des Reichsministers für die besetzten Ostgebiete. Im Rahmen dieser Weisungen handelt er in eigener Verantwortlichkeit.«

Dann folgt eine Darstellung des Dienstweges; nachgeordnete Dienststellen: Generalkommissare, Hauptkommissare, Gebietskommissare usw.

Im vorletzten Absatz auf Seite 3 der Übersetzung heißt es:

»Der Höhere SS- und Polizeiführer untersteht unmittelbar dem Reichskommissar. Der Stabsleiter hat jedoch auch ihm gegenüber das allgemeine Informationsrecht....

Auf engste Zusammenarbeit zwischen ihm, dem Stabsleiter, und den übrigen Hauptabteilungsleitern der Dienststelle des Reichskommissars, insbesondere mit demjenigen für Politik, ist größter Wert zu legen.«

Ich wende mich nun von diesem Dokument einen Augenblick ab und bitte den Gerichtshof, die von Rosenberg unterzeichnete Verordnung vom 17. Juli 1941, die im Verordnungsblatt des Reichsministers für die besetzten Ostgebiete, 1942, Nummer 2, Seite 7 und 8, gefunden werden kann, amtlich zur Kenntnis zu nehmen.

Diese Verordnung sieht die Schaffung von Standgerichten zur Aburteilung von Verbrechen, die von Nichtdeutschen im Osten begangen wurden, vor. Den Standgerichten steht ein Polizeioffizier [73] oder ein SS-Führer vor, der die Befugnis hat, auf Todesstrafe oder Einziehung des Vermögens zu erkennen, ohne daß gegen diese Entscheidung Berufung eingelegt werden kann.

Der Generalkommissar hatte das Recht, ein Urteil abzuändern.

Auf diese Weise waren die Entscheidungen der SS und dieser Standgerichte der Autorität eines Vertreters des Ministeriums Rosenberg unterworfen. Auf Seite 4 der Übersetzung des Dokuments 1056-PS ist die Stellung des Generalkommissars beschrieben. Es heißt dort:

»Der Generalkommissar bildet die Verwaltungsbehörde mittlerer Instanz.«

Drei Absätze weiter unten heißt es:

»Der dem Generalkommissar zugeteilte SS- und Polizeiführer untersteht ihm unmittelbar, jedoch besitzt der Stabsleiter ihm gegenüber das allgemeine Informationsrecht.«

Das Dokument beschreibt sodann die Funktionen der verschiedenen Unterabteilungen des Ministeriums und schließt mit den Gebietskommissaren, die den lokalen Verwaltungsbezirken vorstehen. Auch diesen waren Polizeieinheiten zugeteilt, die ihnen direkt unterstanden.

VORSITZENDER: Gut, Herr Brudno! All dies hätten Sie in einem Satz erklären können, ohne uns auf alle diese Stellen in dem Dokument zu verweisen. Ich meine: Rosenberg war Minister für die Ostgebiete. Ihm unterstanden Reichskommissare und SS-Einheiten, denen die gesamte Verwaltung, ich meine die Zivilverwaltung der Ostgebiete, unterstand. Wenn Sie das gesagt hätten, so hätte das sicherlich genügt.

MR. BRUDNO: Sehr wohl, Herr Vorsitzender.

Ich werde von diesem Punkt ab weitergehen und lediglich betonen, daß die wirtschaftliche Ausbeutung des Gebiets in engster Zusammenarbeit mit dem Beauftragten für den Vierjahresplan durchgeführt wurde, wie aus Absatz 2 auf Seite 7 der Übersetzung ersichtlich. Es heißt dort, daß die Wirtschaftsinspektorate des Beauftragten für den Vierjahresplan im wesentlichen nach Einrichtung der Zivilverwaltung in die Dienststellen der Zivilverwaltung eingegliedert werden sollten.

Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auch auf den ersten Absatz auf Seite 6 lenken, der lautet: Die verschiedenen Kommissare sind,

»abgesehen von den militärischen Dienststellen, die einzigen Reichsbehörden in den besetzten Ostgebieten. Andere Reichsbehörden dürfen neben ihnen nicht errichtet werden. Sie bearbeiten alle Fragen der Verwaltung des Raumes, der [74] ihren Hoheitsbefugnissen unterstellt ist, und alle Angelegenheiten, die sich auf die Organisation und Tätigkeit der Verwaltung einschl. der Polizei auf die Überwachung der landeseigenen Dienststellen und Organisationen und auf die Bevölkerung beziehen.«

Ich wende mich nun kurz dem zweiten Abschnitt des Dokuments zu, welcher mit den Worten »Arbeitsrichtlinien für die Zivilverwaltung« überschrieben ist. Die ersten zwei Abschnitte auf Seite 9 sind bereits als Teil des Dokuments EC-347, US-320, in das Protokoll verlesen worden. Ich mache den Gerichtshof besonders auf die Erklärung aufmerksam, daß

»die Bestimmungen der Haager Land-Kriegsordnung, die sich mit der Verwaltung eines durch eine fremde Kriegsmacht besetzten Landes befassen, nicht gelten.«

Ich zitiere weiterhin vom letzten Abschnitt auf Seite 9:

»Die Bearbeitung von Sabotagefällen ist Angelegenheit des Höheren SS- und Polizeiführers, des SS- und Polizeiführers bzw. der Polizeiführer der unteren Instanz. Soweit jedoch Kollektivmaßnah men gegen die Bevölkerung eines bestimmten Gebietes angebracht erscheinen, hat die Entscheidung hierüber, auf Vorschlag des Polizeiführers, der zuständige Kommissar zu fällen....

Die Auferlegung von Geld- oder Naturalbußen, wie auch Anordnung der Festnahme von Geiseln und der Erschießung von Bewohnern desjenigen Gebietes, in dem die Sabotageakte begangen sind, kann nur durch den Generalkommissar erfolgen, soweit der Reichskommissar nicht selbst eingreift.«

Ich schließe mit diesem Dokument, indem ich den ersten Satz oben von Seite 13 zitiere:

»Die Aufsicht über sämtliche Gefängnisse obliegt, soweit Reichskommissare nicht anders bestimmen, den Gebietskommissaren.«

Ich möchte nicht die Zeit des Gerichtshofs unnötig in Anspruch nehmen, noch das Protokoll belasten, um einen ausführlichen Bericht der Art und Weise zu geben, nach welcher Rosenberg seine uneingeschränkte Macht und Autorität ausübte. Genügendes Beweismaterial befindet sich in dem Verhandlungsbericht, und weiteres Beweismaterial wird von der sowjetischen Anklagebehörde vorgelegt werden, um den Umfang der gegen die Völker der besetzten Ostgebiete verübten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schildern.

Ich möchte jedoch, lediglich um die Methoden Rosenbergs bei seiner Teilnahme an den verbrecherischen Tätigkeiten innerhalb seines Machtbereichs aufzuzeigen, kurz auf einige wenige Beispiele verweisen.

[75] Ich lenke Ihre Aufmerksamkeit auf Dokument R-135, das bereits als Beweisstück US-289 vorgelegt worden ist. In diesem Dokument berichtet der Strafanstaltsverwalter aus Minsk, daß 516 deutsche und russische Juden getötet wurden, und macht auf die Tatsache aufmerksam, daß wertvolles Gold dadurch verloren ging, weil man es unterlassen hatte, die Goldfüllungen aus den Zähnen der Opfer rechtzeitig auszubrechen.

Diese Vorgänge ereigneten sich im Gefängnis von Minsk, in einem Gefängnis, das, wie sich der Gerichtshof aus Dokument 1056-PS erinnern wird, direkt unter der Aufsicht des Ministeriums für die besetzten Ostgebiete stand.

Als nächstes Beispiel möchte ich Dokument 018-PS vorlegen. Dieses Dokument wurde bereits als US-186 eingeführt.

Ich möchte dem Gerichtshof den ersten Absatz aus Dokument 018-PS vorlesen, der noch nicht in das Verhandlungsprotokoll verlesen worden ist. Das Dokument zeigt, daß Rosenberg am 21. November 1942 wie folgt an Sauckel schrieb:

»Ich danke Ihnen sehr für Ihre Berichte über die Durchführung der Ihnen gestellten großen Aufgabe, und ich bin erfreut zu hören, daß Sie bei der Durchführung Ihres Auftrages allenthalben die nö tige Unterstützung gefunden haben, namentlich auch seitens der Zivilbehörden in den besetzten Ostgebieten. Für mich und die mir nachgeordneten Stellen war und ist dieses Zusammenwirken selbstverständlich, zumal wir beide, Sie und ich, hinsichtlich der Lösung der Ostarbeiterfrage von Anfang an die gleichen Grundsätze vertreten haben.«

Noch am 11. Juli 1944 war das Ministerium Rosenberg mit der Fortsetzung des Zwangsarbeitsprogramms aktiv befaßt, trotz des Rückzugs aus dem Osten.

MR. BIDDLE: Nach dieser allgemeinen Erklärung fährt Rosenberg fort, wenigstens hier, gegen die angewandten Methoden Einspruch einzulegen. Das haben Sie nicht erwähnt.

MR. BRUDNO: Ganz richtig, Herr Richter. Diese Einsprüche sind bereits im Verhandlungsbericht enthalten, und ich verweise auf dieses Dokument nur, um zu zeigen, daß Rosenberg die Rekrutierung von Arbeitern aus dem Osten begünstigte, daß seine Zivilverwaltungsbeamten bei der Arbeiterbeschaffung mitwirkten, trotz der angewandten Methoden; Methoden, die Rosenberg bekannt waren, wie er selbst in diesem Brief berichtete.


DR. ALFRED THOMA, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN ROSENBERG: Hohes Gericht, ich muß in diesem Zusammenhang dagegen protestieren, daß der Herr Anklagevertreter diesen Absatz 1, den er eben zitiert hat, nicht weitergelesen hat. Es kommt nämlich [76] dann der Absatz, worin er erklärt, daß eine Übereinstimmung Sauckels mit Rosenberg darüber bestanden hat...


VORSITZENDER: Sie haben wohl überhört, daß das Mitglied des Gerichtshofs für die Vereinigten Staaten den Anklagevertreter für die Vereinigten Staaten gerade auf diesen Punkt aufmerksam gemacht hat, den Sie jetzt vorbringen. Es wies darauf hin, daß der Anklagevertreter in diesem Zusammenhang die anderen Absätze in dieser Urkunde hätte verlesen oder wenigstens erwähnen sollen, nämlich diejenigen, die zeigten, daß Rosenberg gegen die angewandten Methoden Einwände erhoben hat.


DR. THOMA: Hoher Gerichtshof! Ich darf darauf aufmerksam machen, daß der Herr Anklagevertreter aus einem bestimmten Absatz nur die zwei ersten Sätze verlesen hat. Derselbe Absatz endet aber dann damit, daß erklärt wird, »es hat eine Übereinstimmung zwischen Sauckel und mir darin bestanden, daß die Arbeiter in Deutschland gut behandelt werden, und daß zu diesem Zweck Betreuungsorganisationen geschaffen wurden«. So, wie es der Herr Anklagevertreter dargestellt hat, erweckt es den Anschein, als ob die Angeklagten Sauckel und Rosenberg sich nur über den rücksichtslosen Einsatz und die Deportationen der Ostarbeiter verständigt hätten.


VORSITZENDER: Wie der Anklagevertreter der Vereinigten Staaten bereits erwähnte, wurden die anderen Stellen des Dokuments bereits verlesen. Selbstverständlich wird das ganze Dokument als Beweisstück bewertet werden.

Der Gerichtshof versteht vollkommen den von Ihnen gemachten Einwand, daß es nicht fair ist, nur eine Stelle aus einem Dokument zu verlesen, wenn andere Stellen desselben Dokuments zeigen, daß die verlesene Stelle keine vollständige oder richtige Darstellung des Dokuments ist.


MR. BRUDNO: Hoher Gerichtshof! Ich habe nicht den Versuch gemacht, den Gerichtshof irrezuführen. Lediglich aus Zeitrücksichten habe ich den Rest nicht verlesen. Der Rest ist bereits im Verhandlungsbericht enthalten.


VORSITZENDER: Ich verstehe dies. Wir werden nunmehr vertagen.


[Das Gericht vertagt sich bis

10. Januar 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 5, S. 41-78.
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