Nachmittagssitzung.

[337] [Der Zeuge von Eichborn im Zeugenstand.]


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender! Ich habe keine weiteren Fragen an diesen Zeugen.

VORSITZENDER: Dr. Stahmer.


DR. STAHMER: Herr Zeuge! Wissen Sie, wem dieses Dnjepr-Schlößchen vor der Besetzung durch deutsche Truppen gehört hat, wer dort gewohnt hat?


VON EICHBORN: Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Es fiel uns auf, daß das Schlößchen erstaunlich gut eingerichtet war, es war sehr gut ausgebaut, enthielt zwei Badezimmer, einen Schießstand und ein Kino. Wir haben daraus gewisse Rückschlüsse gezogen, nachdem die Ereignisse bekanntgeworden waren, aber über den Vorbesitzer weiß ich nichts.


DR. STAHMER: Von dem Herrn russischen Anklagevertreter ist Ihnen eine Urkunde vom 29. Oktober 1941 vorgehalten worden, Richtlinien für die in den Stalags und Dulags abzustellenden Kommandos des Chefs der Sipo. Im Zusammenhang mit dieser Urkunde frage ich Sie: Hatten Sie Gelegenheit, persönlich die Einstellung Ihres Oberbefehlshabers der Heeresgruppe Mitte, Feldmarschall Kluge, zur Erschießung von Kriegsgefangenen festzustellen?


VON EICHBORN: Durch einen Zufall bin ich Ohrenzeuge geworden eines Gespräches der Oberbefehlshaber Bock und Kluge. Dieses Gespräch fand statt etwa drei oder vier Wochen vor Beginn des Rußlandfeldzuges, eine genaue Zeit kann ich nicht angeben. Damals war der Feldmarschall von Bock Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Mitte, und der Feldmarschall von Kluge war Oberbefehlshaber der 4. Armee. Die Heeresgruppe saß in Posen, die 4. Armee in Warschau. Ich wurde eines Tages zum Adjutanten des Herrn Feldmarschalls von Bock gerufen, es war dies Oberstleutnant Graf Hardenberg. Er gab mir den Auftrag...


VORSITZENDER: Diese Einzelheiten sind völlig unerheblich, nicht wahr? Alles, was Sie ihn fragen wollen, ist doch nur, welche Haltung Kluge einnahm. Das ist alles.


DR. STAHMER: Die Antwort kommt nicht durch. Ich verstehe nicht, Herr Präsident, was Sie sagten.


VORSITZENDER: Ich sagte, daß alle diese Einzelheiten unerheblich seien.


DR. STAHMER: Es kommt noch nichts durch. Ja, jetzt, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Ich sagte, daß alle diese Einzelheiten über den Ort, an welchem von Kluge irgendeinen anderen Armeebefehlshaber getroffen hat, völlig unwichtig sind. Alles, was Sie ihn [337] fragen wollen, ist: Wie war die Haltung Kluges zu den Morden an den Gefangenen? Ist das nicht alles?


DR. STAHMER: Jawohl.

Herr Zeuge! Beantworten Sie die Frage ganz kurz. Geben Sie nur wieder, was Herr von Kluge gesagt hat.


VON EICHBORN: Herr von Kluge hat Herrn von Bock in einem Telephongespräch gesagt, daß der Befehl, der die Erschießung gewisser Gefangener vorsah, unmöglich sei und mit Rücksicht auf die Disziplin der Truppe nicht durchzuführen wäre. Herr von Bock teilte diesen Standpunkt, und beide Herren sprachen eine halbe Stunde über die Maßnahmen, die sie dagegen ergreifen wollten.


DR. STAHMER: Nach der Behauptung der Anklagebehörde solle die Erschießung dieser 11000 polnischen Offiziere anscheinend im September 1941 vorgenommen sein. Ich frage Sie nun, halten Sie es nach den örtlichen Verhältnissen für möglich, daß solche Massenerschießungen und Bestattungen unmittelbar beim Regimentsquartier stattfanden, und zwar ohne daß Sie das erfahren hätten?

VON EICHBORN: Die Vorbereitungen für das Umziehen der Heeresgruppe nach Smolensk waren sehr intensiv. Wir hatten eine Menge von Nachrichtentruppen dafür eingesetzt, um das gut auszubauen. Das ganze Gelände wurde laufend von diesen Truppen zur Auslegung von Kabeln und von Leitungen begangen. Es ist ausgeschlossen, daß irgend etwas Derartiges gerade in diesem Raum passiert ist, ohne daß es zur Kenntnis des Regiments und damit zu meiner Kenntnis gekommen wäre.


DR. STAHMER: Ich habe keine weiteren Fragen an den Zeugen.


VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


DR. STAHMER: Herr Präsident! Bevor ich den dritten Zeugen, den Generalleutnant Oberhäuser, aufrufe, bitte ich, folgendes bemerken zu dürfen. Die Anklage hatte ja bisher lediglich behauptet, daß es das Regiment 537 gewesen sei, das diese Erschießungen vorgenommen habe, und zwar unter der Leitung von Oberst Ahrens. Oberst Ahrens ist ja auch noch heute von der Anklagebehörde als Täter beschuldigt worden. Es ist dann offenbar diese Behauptung aufgegeben worden, und man hat dann behauptet, wenn es nicht Ahrens gewesen ist, so ist es jedenfalls sein Vorgänger gewesen, und zwar der Oberst Bedenck, und wenn es nicht der Oberst Bedenck getan hat, dann hat es – anscheinend soll das die dritte Version sein – der SD gemacht. Die Verteidigung hatte sich ausschließlich darauf eingestellt und hat die Behauptung widerlegt, daß es Oberst Ahrens gewesen sei, der diese Untat vollführt habe.

[338] Bei der veränderten Sachlage und der Einstellung der Anklagebehörde muß von mir zusätzlich ein vierter Zeuge benannt werden, das ist Oberleutnant Hodt, der ja heute als Täter benannt wurde und der von Anfang an bei dem Regimentsstab gewesen ist und schon im Juli als erster von dem Vorkommando, wie wir gehört haben, in das Dnjepr-Schlößchen eingezogen ist. Die Anschrift dieses Oberleutnants Hodt habe ich zufällig erst gestern erfahren, er ist in Glücksburg bei Flensburg, und ich bitte, diesen Oberleutnant Hodt noch als Zeugen dafür zu benennen und als Zeugen zuzulassen, daß auch in der Zeit vom Juli bis September solche Erschießungen nicht vorgekommen sind.


VORSITZENDER: Dr. Stahmer! Der Gerichtshof wird Ihren Antrag bezüglich dieses zusätzlichen Zeugen in der Pause um 3.30 Uhr in Betracht ziehen.


DR. STAHMER: Ich rufe dann als Zeugen den Generalleutnant Oberhäuser.


[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Geben Sie bitte Ihren vollen Namen an!

ZEUGE EUGEN OBERHÄUSER: Eugen Oberhäuser.


VORSITZENDER: Sprechen Sie mir folgenden Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. STAHMER: Herr General! Welche Stellung hatten Sie während des Krieges?


OBERHÄUSER: Ich war Nachrichtenführer bei der Heeresgruppe, zuerst im Polenfeldzug Nord, dann im Westfeldzug B und dann im Feldzug Rußland Mitte.


DR. STAHMER: Wann kamen Sie mit Ihrem Stab in die Nähe von Katyn?


OBERHÄUSER: Etwa im September 1941.


DR. STAHMER: Wo lag Ihr Stab?


OBERHÄUSER: Mein Stab lag in der Nähe, unmittelbaren Nähe des Oberbefehlshabers der Heeresgruppe, und zwar etwa zwölf Kilometer westlich Smolensk, in Höhe des Bahnhofes Krasni Bor.


DR. STAHMER: Gehörte das Regiment 537 zu Ihrem Befehlsbereich?


OBERHÄUSER: Das Regiment 537 war mir unmittelbar unterstellt.


DR. STAHMER: Welche Aufgaben hatte dieses Regiment?


[339] OBERHÄUSER: Dieses Regiment hatte die Aufgabe, die Drahtverbindungen und die Funkverbindungen für das Oberkommando der Heeresgruppe zu den Armeen und sonstigen unmittelbar unterstellten Truppenteilen herzustellen.


DR. STAHMER: War der Stab dieses Regiments in Ihrer Nähe untergebracht?


OBERHÄUSER: Der Stab dieses Regiments war etwa drei Kilometer westlich von mir untergebracht; es können auch vier Kilometer gewesen sein.


DR. STAHMER: Können Sie näher bezeichnen, wo das Stabsquartier 537 lag?


OBERHÄUSER: Das Stabsquartier 537 lag in einem sehr netten russischen Holzhaus. Angeblich haben früher dort Kommissare gewohnt, am Steilufer des Dnjepr. Es war etwas abseits der Straße, vielleicht 400 bis 500 Meter, und zwar von mir vier Kilometer westlich der Hauptstraße Smolensk-Witebsk.


DR. STAHMER: Wer war Kommandeur des Regiments nach der Einnahme von Smolensk?


OBERHÄUSER: Nach der Einnahme von Smolensk war Oberst Bedenck Kommandeur des Regiments.


DR. STAHMER: Und wie lange?


OBERHÄUSER: Bis etwa November 1941.


DR. STAHMER: Wer war sein Nachfolger?


OBERHÄUSER: Sein Nachfolger war Oberst Ahrens.


DR. STAHMER: Wie lange?


OBERHÄUSER: Etwa bis September, es kann auch August gewesen sein, 1943.


DR. STAHMER: Sind Sie ebenfalls so lange in der Nähe von Katyn gewesen?


OBERHÄUSER: Ich war bis zur Räumung, bis das Oberkommando der Heeresgruppe sein Hauptquartier weiter westlich verlegt hatte, auch dort.


DR. STAHMER: Wie waren Ihre Beziehungen zu den Kommandeuren dieses Regiments?


OBERHÄUSER: Meine Beziehungen zu den Kommandeuren des Regiments waren außerordentlich herzliche, sowohl dienstlich als auch außerdienstlich. Das kommt davon, weil ich der erste Kommandeur dieses Regiments war, das Regiment selbst aufgestellt habe und sehr an dem Regiment gehangen habe.


DR. STAHMER: Sind Sie persönlich häufiger in das Dnjepr-Schlößchen gekommen?


[340] OBERHÄUSER: Ich bin häufig in das Dnjepr-Schlößchen gekommen, ich kann wohl sagen in normalen Zeiten ein- bis zweimal die Woche.


DR. STAHMER: Kamen die Kommandeure in der Zwischenzeit zu Ihnen?


OBERHÄUSER: Die Kommandeure kamen wohl öfter zu mir als ich zu ihnen.


DR. STAHMER: Haben Sie etwas darüber gewußt, daß in der Nähe von Smolensk, westlich etwa 25 bis 45 Kilometer entfernt, drei Russenlager mit polnischen Kriegsgefangenen sich befunden haben?...


OBERHÄUSER: Davon war mir nichts bekannt.


DR. STAHMER:... die den Deutschen in die Hände gefallen sind?


OBERHÄUSER: Ist mir nie etwas bekanntgeworden.


DR. STAHMER: Ist ein Befehl ergangen – dieser Befehl soll von Berlin gekommen sein –, kriegsgefangene polnische Offiziere zu erschießen?


OBERHÄUSER: Ein solcher Befehl ist nie ergangen.


DR. STAHMER: Haben Sie selbst einen solchen Befehl erteilt etwa?


OBERHÄUSER: Ich habe nie einen solchen Befehl erteilt.


DR. STAHMER: Sind Sie darüber unterrichtet, ob Oberst Bedenck oder Oberst Ahrens solche Erschießungen veranlaßt haben?


OBERHÄUSER: Ich bin nicht unterrichtet, aber ich halte es für vollkommen ausgeschlossen.


DR. STAHMER: Weshalb?


OBERHÄUSER: Weil ein solcher einschneidender Befehl erstens unbedingt über mich gelaufen wäre, der ich als unmittelbarer Vorgesetzter des Regiments eingesetzt war, und zweitens weil, wenn so ein Befehl aus einem mir unerklärlichen Grund und auch auf einem mir undurchsichtigen Weg an das Regiment gekommen wäre, bestimmt die Kommandeure sofort mich angerufen hätten oder zu mir gekommen wären und gesagt hätten: Herr General, hier wird etwas von uns verlangt, das verstehen wir nicht!


DR. STAHMER: Kennen Sie den Oberleutnant Hodt?


OBERHÄUSER: Oberleutnant Hodt kenne ich.


DR. STAHMER: Welche Stellung hatte er im Regiment 537?


OBERHÄUSER: Hodt hatte im Regiment verschiedene Stellungen. Er war meist vorausgeschickt, weil er ein besonders qualifizierter und vor allem technisch qualifizierter Offizier war, um die Vorbereitungen [341] zu treffen bei Verlegungen des Hauptquartiers. Er war also verwendet als Vorkommando der sogenannten Betriebskompanie, um diese Gefechtsstände neu einzurichten; dann war er beim Regiment Fernsprech-Sachbearbeiter mit allen Belangen des fernsprech-und fernschreibmäßigen Aufbaues und Betriebes beim Oberkommando der Heeresgruppe. Er war auch wohl dazwischen bei meinem Stabe kommandiert zur Aushilfe, wenn irgendeiner meiner Herren auf Urlaub war.


DR. STAHMER: Hat er auch das Vorkommando befehligt bei dem Vormarsch auf Katyn?


OBERHÄUSER: Das kann ich nicht sagen; ich kann nur sagen, daß ich persönlich von meinem Stab, Nachrichtenführer, hörte, daß man einen Offizier vorgeschickt hatte, der, nachdem feststand, wie das Hauptquartier aufgebaut werden soll, in meinem Namen, weil ich ja zu dieser Zeit noch im alten Quartier war, die Sachen so vorbereitete, wie ich das vom Standpunkt des Nachrichtenführers aus wollte. Wen das Regiment namentlich damals vorgeschickt hat, ist mir nicht mehr erinnerlich, es ist aber durchaus möglich, daß es Oberleutnant Hodt war.


DR. STAHMER: Waren Sie in der Zeit nach der Einnahme von Smolensk, die meines Wissens etwa um den 20. Juli 1941 erfolgt sein soll, und bis zur Übersiedlung Ihres Stabes nach Katyn, also am 20. September, in Katyn oder in der Umgebung gewesen?


OBERHÄUSER: Ich war in der Umgebung; ich war da, wo das Heeresgruppen-Hauptquartier sich etablieren wollte, also im Wald westlich Smolensk, zu dessen Bereich ja auch Katyn gehört.


DR. STAHMER: Sind Sie wiederholt in dieser Zeit dort gewesen?


OBERHÄUSER: Es dürfte drei- bis viermal gewesen sein.

DR. STAHMER: Haben Sie bei dieser Gelegenheit mit Hodt gesprochen?


OBERHÄUSER: Also, wenn er der Offizier des Korpskommandos war, was ich nicht mehr genau sagen kann, habe ich ihn bestimmt gesprochen. Ich habe jedenfalls meinen Offizier, den ich vorgeschickt habe, gesprochen und den von meinem Regiment auch.


DR. STAHMER: Haben Sie etwas davon gehört, ob in dieser Zeit Erschießungen vorgekommen sind?


OBERHÄUSER: Ich habe nichts gehört und habe nie etwas gehört, außer im Jahre 1943, als die Gräber geöffnet waren.


DR. STAHMER: Standen Ihnen beziehungsweise dem Regiment 537 die erforderlichen technischen Mittel, Pistolen, Munition und so weiter zur Verfügung, die es ermöglicht hätten, Erschießungen in solchem Umfange durchzuführen?


[342] OBERHÄUSER: Das Regiment war etatmäßig mit Waffen und Munition naturgemäß, nachdem es ein Nachrichtenregiment im rückwärtigen Bereich war, weniger gut ausgerüstet als die eigentliche kämpfende Truppe. Ein solcher Auftrag wäre für das Regiment etwas so ungewöhnliches gewesen, denn erstens hatte ein Nachrichtenregiment ganz andere Aufgaben, und zweitens wäre es auch gar nicht in der Lage gewesen, technisch so eine Massenexekution vorzunehmen.


DR. STAHMER: Kennen Sie die Örtlichkeit, an denen die Gräber später entdeckt wurden?


OBERHÄUSER: Ich kenne die Örtlichkeit, weil ich oft daran vorbeigefahren bin.


DR. STAHMER: Können Sie sie etwas näher beschreiben?


OBERHÄUSER: Von der Hauptstraße Smolensk-Witebsk führte ein Waldweg durch hügeliges Gelände. Es waren da Sandflächen, die aber bewachsen waren mit Unterholz, Heidekraut, und auf einem schmalen Waldweg fuhr man von der Hauptstraße hinter an das Dnjepr-Schlößchen.


DR. STAHMER: Waren die Stellen, wo die Gräber später entdeckt wurden, damals schon bewachsen, als Sie kamen?


OBERHÄUSER: Sie waren bewachsen, so, wie die übrige Umgebung auch; sie hat sich durch nichts von der anderen Umgebung unterschieden.


DR. STAHMER: Halten Sie es nach Ihrer Kenntnis der Örtlichkeit für möglich, daß an dieser Stelle 11000 Polen bestattet worden sind, die in der Zeit vom Juni bis September 1941 erschossen worden sein sollen?


OBERHÄUSER: Ich halte es für ausgeschlossen, und zwar aus dem Grunde, daß, wenn der Kommandeur das damals gewußt hätte, hätte er sich doch niemals diese Stelle neben 11000 Toten als Hauptquartier ausgesucht.


DR. STAHMER: Wissen Sie, wie es zu der Entdeckung der Gräber gekommen ist?


OBERHÄUSER: Ich hatte damit offiziell nichts zu tun; ich hörte nur, daß hier durch Einwohner oder durch irgend jemanden bekannt wurde, daß vor Jahren hier größere Exekutionen vorgenommen worden sind.


DR. STAHMER: Durch wen haben Sie das erfahren?


OBERHÄUSER: Wahrscheinlich durch den Kommandeur selbst, der dadurch, daß er örtlich an diesem Gelände ja unmittelbar war, mehr als ich darüber gehört hatte. Ich kann mich daran nicht mehr so genau erinnern.


[343] DR. STAHMER: Eine amtliche Meldung vor der Entdeckung der Gräber haben Sie also nicht bekommen?


OBERHÄUSER: Habe ich nie bekommen.


DR. STAHMER: Haben Sie nach der Offenlegung der Grabstätten mit den deutschen oder auswärtigen Mitgliedern der Kommission gesprochen?


OBERHÄUSER: Ich habe nie eines der Kommissionsmitglieder gesprochen.


DR. STAHMER: Ich habe keine weiteren Fragen, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Oberst Smirnow?


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Zeuge! Sie kamen in die Gegend von Katyn im September 1943?


OBERHÄUSER: 1941, nicht 1943.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Verzeihung; ich meine ja September 1941. Ist das richtig?


OBERHÄUSER: Jawohl, im September 1941.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sie behaupten, nichts von den Lagern der polnischen Kriegsgefangenen gewußt zu haben, die sich samt den Kriegsgefangenen in den Händen der deutschen Truppen befanden?


OBERHÄUSER: Ich habe nie etwas gehört davon, daß polnische Kriegsgefangene sich in Händen der deutschen Truppen befinden sollen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich verstehe, daß dies nicht mit Ihren dienstlichen Aufgaben zusammenhing, die Ihnen in Ihrer Eigenschaft als Kommandeur des Nachrichtenregiments oblagen. Aber vielleicht sind Sie doch Zeuge solcher Gelegenheiten gewesen, wo verschiedene deutsche Truppen die Wälder in der Nähe der Chaussee Smolensk-Witebsk durchkämmten, um dort die polnischen Kriegsgefangenen, die aus den Lagern entflohen waren, wieder einzufangen?


OBERHÄUSER: Ich habe nie etwas gehört, daß hier Trupps unterwegs sein sollen, um gewissermaßen entflohene polnische Kriegsgefangene wieder einzufangen. Das höre ich hier zum ersten Male.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, mir folgendes zu beantworten: Haben Sie vielleicht deutsche militärische Einheiten gesehen, welche die polnischen Kriegsgefangenen, die in den Wäldern eingefangen wurden, begleiteten?


OBERHÄUSER: Habe ich nicht gesehen.


[344] OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Bitte antworten Sie mir auf die folgende Frage: Sie standen mit dem Oberst Ahrens in guten Beziehungen, nicht wahr?


OBERHÄUSER: Ich habe gute Beziehungen zu allen Kommandeuren des Regiments gehabt.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Außerdem waren Sie ja sein direkter Vorgesetzter, nicht wahr?


OBERHÄUSER: Jawohl.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Oberst Ahrens hat die Massengräber schon Ende 1941 oder Anfang 1942 aufgedeckt. Hat er Ihnen je etwas über seine Entdeckung erzählt?


OBERHÄUSER: Das kann ich nicht glauben, daß Oberst Ahrens im Jahre 1941 diese Grabstätten entdeckt haben soll; das kann ich mir nicht vorstellen. Vor allem kann ich mir nicht vorstellen, daß er mir nichts darüber gesagt hätte.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Auf alle Fälle bleiben Sie fest bei Ihrer Behauptung, daß Ihnen Oberst Ahrens weder im Jahre 1942 noch 1943 einen Bericht über diese Angelegenheit erstattete?


OBERHÄUSER: Der Oberst Ahrens hat mir nie etwas davon gesagt, und er hätte mir davon etwas gesagt, wenn er etwas davon gewußt hätte.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Mich interessiert folgende Antwort, die Sie auf eine Frage der Verteidigung gegeben haben. Sie haben bemerkt, daß das Nachrichtenregiment nicht genügend Waffen hatte, um Erschießungen durchzuführen. Was verstehen Sie darunter? Wieviel und was für Waffen besaß das Regiment?


OBERHÄUSER: Das Nachrichtenregiment war in der Hauptsache ausgestattet mit Pistolen und Karabinern, hatte keine Maschinenwaffen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Pistolen? Von welchem Kaliber?


OBERHÄUSER: Das waren diese Parabellumpistolen, das Kaliber ist, glaube ich, 7,65. Ich kann das nicht genau sagen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Parabellumpistolen, 7,65, oder waren es Mauserpistolen, oder irgendwelche andere Waffen?


OBERHÄUSER: Das war unterschiedlich. Die Unteroffiziere hatten meines Wissens diese kleineren Mauserpistolen, und es waren an sich nur die Unteroffiziere mit Pistolen ausgestattet. Die Männer waren zum größten Teil mit Karabinern ausgestattet.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich möchte, daß Sie sich etwas näher mit den Pistolen befassen. Sie sagen also, daß es Pistolen vom Kaliber 7,65 waren?


[345] OBERHÄUSER: Ich kann im Augenblick jetzt über die Kaliber nicht genaue Auskunft geben. Ich weiß nur, daß die Parabellumpistole 7,65 hatte oder irgendein solches Kaliber, ich glaube, die Mauserpistole hat ein etwas kleineres Kaliber.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Und Walterpistolen?


OBERHÄUSER: Walter waren auch dabei, ich glaube, sie hatten das gleiche Kaliber wie die Mauser. Es ist eine kleinere schwarze Pistole und besser als die etwas beschwerliche Parabellumpistole, die schwerer ist.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ja, das stimmt. Ich möchte Sie bitten, mir mitzuteilen, ob die Unteroffiziere dieses Regiments diese kleinen Pistolen besaßen?


OBERHÄUSER: In der Regel hatten die Unteroffiziere Pistolen, keine Karabiner.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Das ist mir klar. Vielleicht werden Sie mir noch ungefähr sagen können, wie viele Pistolen das Nachrichtenregiment besaß?


OBERHÄUSER: Das kann ich natürlich jetzt hier nicht sagen. Also, nehmen wir an, jeder Unteroffizier hatte eine Pistole, also...


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Und wie viele Unteroffiziere gab es? Wie viele Pistolen werden es im ganzen gewesen sein, wenn man davon ausgeht, daß jeder Unteroffizier eine Pistole besaß?


OBERHÄUSER: Insgesamt im Regiment, wenn man davon ausgeht, jeder Unteroffizier eine Pistole, dann waren es pro Kompanie 15 × 10 = 150. Aber diese Zahl jetzt hier nachträglich festzulegen, ist unmöglich; ich kann nur einen Anhalt geben.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Warum sind Sie der Ansicht, daß 150 Pistolen für eine Massenerschießung, die sich auf eine längere Zeitspanne erstreckt, nicht genügen sollten? Was für einen Grund haben Sie, um es so kategorisch zu behaupten?


OBERHÄUSER: Weil ein Nachrichtenregiment einer Heeresgruppe, so wie es die Heeresgruppe Mitte war, die über ein großes Gebiet verstreut ist, niemals beisammen ist. Das Regiment ist verteilt von Kolodow bis nach Witebsk und hat da überall kleine Trupps gehabt, und bei der Zentralstelle des Regiments sind verhältnismäßig wenig Leute beisammen; also sind niemals 150 Pistolen auf einem Haufen beisammen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Die Haupteinheit des Nachrichtenregiments war im Wald von Katyn verteilt?


OBERHÄUSER: Ich habe die Frage nicht verstanden.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Die Haupteinheiten Ihres Regiments waren doch im Wald von Katyn verteilt, nicht wahr?


[346] OBERHÄUSER: Im wesentlichen war die 1. Kompanie zwischen dem Regimentsstabsquartier und dem eigentlichen Oberkommando der Heeresgruppe untergebracht. Das war die Kompanie, die den Vermittlungsbetrieb der Fernsprech- und Fernschreibevermittlung der Heeresgruppe zu betreiben hatte; das war also die Kompanie, die am nächsten gelegen war.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Noch eine Frage. Die Offiziere des Regiments waren offenbar mit Pistolen und nicht mit Karabinern bewaffnet?


OBERHÄUSER: Die Offiziere hatten nur Pistolen, und zwar in der Regel diese kleinen. Es mag sein, daß der eine oder andere eine Parabellumpistole hatte.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Das heißt, entweder eine Walter oder eine Mauser, nicht wahr?


OBERHÄUSER: Ja.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sie haben häufig das Landhaus besucht, in dem der Stab des Regiments 537 untergebracht war?


OBERHÄUSER: Jawohl. Ich war mindestens einmal, manchmal auch zweimal wöchentlich dort.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Hat es Sie jemals interessiert, warum Soldaten anderer militärischer Einheiten das Landhaus in Kosij Gory besuchten? Warum man für sie Betten hinzufügte, sie mit zusätzlichen Getränken und Verpflegung in der Küche versorgte?


OBERHÄUSER: Ich kann mir nicht vorstellen, daß da irgendwelche nennenswerten fremden Truppen oder Angehörige von fremden Truppen dort gewesen sein sollen. Ich weiß darüber nichts.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich spreche nicht von großen Mengen solcher Truppen, ich spreche von 20, manchmal auch 25 Leuten.


OBERHÄUSER: Wenn der Regimentskommandeur seine Kompaniechefs und Abteilungskommandeure zu einer Offiziersversammlung zusammenberief, dann waren selbstverständlich einige Dutzend solcher verschiedener Offiziere da, die man sonst hier nicht immer sieht.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Nein, ich spreche nicht von Offizieren, die dieser Einheit angehörten. Ich möchte Ihnen eine etwas andere Frage stellen, nämlich: Hatten die Soldaten, die dem Regiment 537 angehörten, ihre Regimentsnummer auf ihren Achselstücken?

OBERHÄUSER: Soviel ich mich erinnere, war die Zahl darauf, aber es war am Anfang mal im Kriege so, daß diese mit Schieber versehen war, um sie zu tarnen. Ich kann mich nicht erinnern, ob zu der Zeit diese Schieber drüber waren oder nicht. Jedenfalls ist [347] am Eingang des Regiments an der Straße eine Flagge gestanden, schwarz-gelb-schwarz, wo die Zahl 537 draufgestanden war.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich spreche davon, ob es Soldaten gab, die bei ihrer Ankunft im Landhaus Kosij Gory die Nummer 537 nicht auf ihren Achselstücken trugen? Haben Sie sich jemals dafür interessiert, was diese Soldaten dort im September und Oktober 1941 zu suchen hatten? Hat Ihnen der Kommandeur der Einheit in diesem Zusammenhang irgendeinen Bericht erstattet?


OBERHÄUSER: Darf ich fragen, in welchem Jahr das gewesen sein soll? Im Jahre 1941?


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Jawohl, im Jahre 1941, das ist die Zeit, um die es sich handelt.


OBERHÄUSER: Ich glaube nicht, daß um diese Zeit beim Quartierstab großer Verkehr mit fremden Leuten war, denn da war alles erst im Aufbau, und ich kann mir nicht vorstellen, daß da fremde Truppenteile oder auch in kleinerem Maße 20 bis 25 Leute dagewesen sein sollten. Ich bin persönlich auch nur, wie gesagt, ein- bis zweimal wöchentlich dort gewesen und auch erst im September und Oktober.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wann im September 1941 begannen Sie Ihre Besuche im Landhaus? Sie sagten im September, aber wann im September?


OBERHÄUSER: Das kann ich nicht sagen, die Heeresgruppe, das Oberkommando, ist Ende September verhältnismäßig kurz vor Beginn der Wjasmaschlacht, die am 2. Oktober war, von Borossilow in diese Gegend übergesiedelt.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Praktisch ist es also so, daß Sie das Landhaus ungefähr Ende September oder Anfang Oktober 1941 zum erstenmal besucht haben konnten?


OBERHÄUSER: Von da an war auch das Schlößchen wohl erst endgültig belegt, denn das Regiment ist auch nicht sehr viel früher als wir vom Oberkommando der Heeresgruppe dorthin gezogen, also nicht sehr viel früher.


VORSITZENDER: Oberst Smirnow! Ist es notwendig, auf alle diese Einzelheiten einzugehen? Haben Sie irgendwelche besonderen Gründe, daß Sie so weit in die Einzelheiten gehen?


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender! Ich stelle diese Frage aus folgenden Gründen: Etwas später werden wir die Zeugen der Sowjetanklage über dasselbe Thema verhören, insbesondere den Leiter der gerichtsmedizinischen Sachverständigen. Deshalb möchte ich den Gerichtshof bitten, mir die Frage über den Zeitpunkt, zu welchem der Zeuge das Landhaus besuchte, zu gestatten. Das ist meine letzte Frage in diesem Zusammenhang.


[348] VORSITZENDER: Ja, gut, aber gehen Sie nicht zu sehr auf Einzelheiten ein, wenn Sie es nicht unbedingt für notwendig erachten.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: [zum Zeugen gewandt] Folglich waren Sie Anfang September nicht in dem Landhaus im Wald von Katyn und konnten zu dieser Zeit auch nicht dort gewesen sein?


OBERHÄUSER: Daran kann ich mich nicht genau mehr erinnern. Der Kommandeur des Regiments hat dieses Schlößchen für sein Stabsquartier erkundet. Wann er es nun genau bezogen hat, ich hatte andere Aufgaben, das kann ich unmöglich wissen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich frage Sie persönlich: Sie konnten in der ersten Hälfte des September und insbesondere vor dem 20. September in diesem Landhaus nicht gewesen sein?

OBERHÄUSER: Ich glaube nicht.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich habe keine weiteren Fragen an diesen Zeugen, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Wollen Sie den Zeugen im Rückverhör vernehmen, Dr. Stahmer?


DR. STAHMER: Ich muß leider noch einmal auf die Zeitpunkte zurückgehen, Herr Präsident, weil sie nicht ganz klar herausgekommen sind bei dieser letzten Befragung.


[Zum Zeugen gewandt:]


Wann ist das Regiment 537 in das Schlößchen gezogen?

OBERHÄUSER: Ich nehme auch an im Laufe des September.

DR. STAHMER: Anfang oder Ende September?


OBERHÄUSER: Wohl mehr Ende September.


DR. STAHMER: Bis dahin war lediglich das Vorkommando da oder...


OBERHÄUSER: Das Vorkommando war da vom Regiment und meine Offiziere, die vorausgeschickt waren.

DR. STAHMER: Wie viele Unteroffiziere befanden sich bei diesem Vorkommando?


OBERHÄUSER: Was das Regiment genau geschickt hat, kann ich nicht sagen. Ich persönlich hatte einen Offizier geschickt. Im allgemeinen kann das Regiment auch nicht allzuviel geschickt haben. Im allgemeinen ist es ja immer so, das Regiment hat den alten Gefechtsstand noch weiter zu bedienen in Borossilow und sollte nun zugleich den neuen aufbauen. Infolgedessen herrscht während dieser Zeit einer Umgruppierung, eines Sprunges wie man sagt, eines Oberkommandos einer Heeresgruppe, immer eine große Menschenknappheit. Der alte Stand muß noch betreut werden, und [349] der neue Stand braucht Kräfte zum Aufbau, also, es waren bestimmt wie immer zu wenig Menschen.


DR. STAHMER: Sie können auch nicht schätzungsweise die Zahl angeben, also des Vorkommandos?


OBERHÄUSER: Es waren 30 bis 40, 50 Mann.


DR. STAHMER: Unteroffiziere?


OBERHÄUSER: Wahrscheinlich ein oder zwei Offiziere, einige Unteroffiziere und einige Mannschaften.


DR. STAHMER: Das Regiment lag sehr auseinandergezogen, nicht wahr?

OBERHÄUSER: Jawohl.


DR. STAHMER: Wie weit etwa?


OBERHÄUSER: Im ganzen Bereich der Heeresgruppe Mitte, sagen wir mal Orel-Witebsk. In diesem ganzen Raum waren die Leute weit verstreut.


DR. STAHMER: Wie viele Kilometer etwa?


OBERHÄUSER: Über 500 Kilometer.


DR. STAHMER: Kennen Sie den Generalrichter Dr. Konrad von der Heeresgruppe Mitte?


OBERHÄUSER: Jawohl.


DR. STAHMER: Wissen Sie, ob er 1943 eidliche Vernehmungen der Landeseinwohner vorgenommen hat über den Zeitpunkt, an dem die polnischen Offiziere im Wäldchen von Katyn erschossen worden sein sollen?


OBERHÄUSER: Da weiß ich nichts davon.


DR. STAHMER: Ich habe keine weiteren Fragen mehr, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Befanden sich während der Zeit Ihrer Anwesenheit irgendwelche Einsatzkommandos im Gebiet von Katyn?


OBERHÄUSER: Davon ist mir nie etwas bekanntgeworden.


VORSITZENDER: Haben Sie jemals etwas von einem Befehl gehört, daß sowjetische Kommissare erschossen werden sollten?


OBERHÄUSER: Davon ist mir nur vom Hörensagen etwas bekannt.


VORSITZENDER: Wann?


OBERHÄUSER: Das muß zu Beginn des Rußlandfeldzugs gewesen sein.


VORSITZENDER: Vor oder nach Beginn des Feldzugs?


OBERHÄUSER: Vor Beginn des Feldzugs kann ich mich nicht erinnern, das gehört zu haben.


[350] VORSITZENDER: Wer sollte diesen Befehl ausführen?


OBERHÄUSER: Die Nachrichtentruppe gehörte nicht in dem Sinn zur Truppe, zur kämpfenden Truppe, die hatte also damit wohl überhaupt nichts zu tun, und wir waren infolgedessen auch in keiner Weise irgendwie beteiligt an diesem Befehl.


VORSITZENDER: Das habe ich Sie ja nicht gefragt, ich frage Sie nur, wer hatte diesen Befehl auszuführen?

OBERHÄUSER: Vermutlich Leute, die mit ihnen in Berührung kamen.


VORSITZENDER: Also irgend jemand, der mit den Sowjetkommissaren in Berührung kam, sollte sie töten, nicht wahr?


OBERHÄUSER: Nein, ich nehme an, die Truppe, die kämpfende Truppe, die eigentliche kämpfende Truppe, die also vorne ist, die mit dem Feind in erste Berührung kommt. Das könnte schließlich nur die Heeresgruppe betreffen. Das Nachrichtenregiment kam gar nicht in die Lage, mit Kommissaren in Verbindung zu kommen. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum sie in diesem Befehl nicht erwähnt oder irgendwie einbezogen wurden.


VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender! Ich bitte um die Erlaubnis, den früheren stellvertretenden Bürgermeister der Stadt Smolensk, den Professor der Astronomie Boris Bazilevsky, als Zeugen aufrufen zu dürfen.

VORSITZENDER: Lassen Sie ihn bitte eintreten.


[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


Wie heißen Sie?

ZEUGE BORIS BAZILEVSKY: Bazilevsky, Boris.

VORSITZENDER: Wollen Sie mir den folgenden Eid nachsprechen: »Ich, Bürger der USSR, als Zeuge in diesem Fall vorgeladen, verspreche feierlich und schwöre, vor diesem Hohen Gericht alles das, was ich über diesen Fall weiß, zu sagen, nichts hinzuzufügen und nichts fortzulassen.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Gestatten Sie, Herr Vorsitzender, daß ich mit dem Verhör beginne?


VORSITZENDER: Jawohl.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie bitte, Zeuge, womit haben Sie sich beschäftigt, bevor die Deutschen die Stadt und das Gebiet von Smolensk besetzten, und wo haben Sie gelebt?


[351] BAZILEVSKY: Bis zur Besetzung von Smolensk und des Gebietes von Smolensk...

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, viel langsamer zu sprechen.


BAZILEVSKY:...lebte ich in der Stadt Smolensk und hatte die Stellung eines Professors an der Smolensker Universität und nachher am Smolensker Pädagogischen Institut inne. Gleichzeitig war ich Direktor des Observatoriums. Zehn Jahre lang war ich Dekan der Mathematisch-Physikalischen Fakultät und in den letzten Jahren stellvertretender Direktor der wissenschaftlichen Abteilung.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wie lange haben Sie in der Stadt Smolensk vor deren Besetzung gelebt?


BAZILEVSKY: Vom Jahre 1919 an.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ist Ihnen der sogenannte Wald von Katyn bekannt?


BAZILEVSKY: Ja.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Bitte sprechen Sie langsamer.


BAZILEVSKY: Eigentlich war es mehr ein Hain. Es war der Lieblingsort der Bewohner von Smolensk, die dort ihre Feiertage und Sommerferien zu verbringen pflegten.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: War dieser Wald vor Beginn des Krieges in irgendeiner Weise ein besonderes Gebiet, das heißt, wurde er von Bewaffneten oder von Hunden bewacht oder sonst von der Umgebung abgetrennt?


BAZILEVSKY: In den vielen Jahren, in denen ich in Smolensk gelebt habe, ist diese Gegend für niemanden verboten gewesen. Ich persönlich bin oft dort gewesen und zum letztenmal 1940 und auch im Frühjahr 1941. In diesem Wald befand sich ein Lager für Pioniere. Es war also ein Ort, der für jeden, der dort hineingehen wollte, zugänglich war.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich möchte bei dieser Frage etwas verweilen. In welchem Jahr befand sich dort ein Pionierlager?


BAZILEVSKY: Soviel ich weiß, befand sich dieses Pionierlager dort schon seit vielen Jahren und insbesondere im Jahre 1940...


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Bitte sprechen Sie langsamer.


VORSITZENDER: Einen Augenblick, Herr Professor, wollen Sie bitte einen Moment warten. Wenn Sie das gelbe Licht aufleuchten sehen, so bedeutet dies, daß Sie zu schnell sprechen, und wenn Ihnen eine Frage gestellt wird, so müssen Sie eine Pause eintreten lassen, bevor Sie die Antwort geben. Haben Sie mich verstanden?


[352] BAZILEVSKY: Ja.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, Ihre Antwort langsam zu wiederholen.


BAZILEVSKY: Zum letztenmal befand sich das Pionierlager von Smolensk in dem Gebiet des Waldes von Katyn im Jahre 1941.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Folglich war damals, soweit ich Sie verstanden habe, der Wald von Katyn in den Jahren 1940 und 1941, also noch vor Kriegsbeginn, kein bewachtes Gebiet, und der Zutritt zum Wald war jedem gestattet? Sie sprachen doch vom Frühling des Jahres 1941?


BAZILEVSKY: Jawohl, ich bestätige, daß die Lage genau so war.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Bezeugen Sie das als Augenzeuge oder nur vom Hörensagen?


BAZILEVSKY: Nein, als Augenzeuge, der dort gewesen ist.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, dem Gerichtshof mitzuteilen, unter welchen Umständen Sie der erste Stellvertretende Bürgermeister der Stadt Smolensk während der deutschen Besatzungszeit wurden. Sprechen Sie bitte langsam.


BAZILEVSKY: Da ich Verwaltungsbeamter war, hatte ich keine Gelegenheit, rechtzeitig aus der Stadt zu fliehen, weil ich mit der Leitung der Vergrabung einer besonders wertvollen Bibliothek und verschiedener Einrichtungen betraut war. Unter den gegebenen Umständen konnte ich den Versuch, die Stadt zu verlassen, erst am 15. abends machen.

Ich konnte den Zug nicht erreichen und hatte daher meine Evakuierung auf den 16. Juli morgens festgesetzt. Aber in der Nacht vom 15. auf den 16. ist Smolensk unerwarteterweise von den deutschen Truppen besetzt worden, die Brücken über den Dnjepr wurden gesprengt, und ich befand mich infolgedessen in Gefangenschaft. Einige Zeit später, am 20. Juli, kamen in das Observatorium, wo ich als Direktor wohnte, mehrere deutsche Soldaten. Diese schrieben auf, daß ich mich als Direktor im Observatorium befand und daß dort auch der Professor der Physik, Efimow, wohnte. Am Abend des 20. Juli kamen zwei deutsche Offiziere zu mir. Sie führten mich zum Stab der Einheit, die Smolensk besetzt hatte. Nach Prüfung meiner Personalien und nach einer kurzen Unterhaltung wurde mir der Posten des Bürgermeisters angeboten. Auf meine Absage, die ich damit motivierte, daß ich Professor der Astronomie wäre, keine Erfahrung in solchen Aufgaben hätte und deswegen einen solchen Posten nicht annehmen könnte, wurde mir kategorisch und sogar unter Drohungen mitgeteilt, daß »wir die ganze russische Intelligenz zur Arbeit zwingen werden«.


[353] OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wenn ich Sie also richtig verstehe, haben die Deutschen Sie durch Drohungen dazu gezwungen, Stellvertretender Bürgermeister von Smolensk zu werden?


BAZILEVSKY: Das ist noch nicht alles.

Ich wurde darauf hingewiesen, daß man mich nach ein paar Tagen in die Kommandantur rufen würde. Am 25. Juli erschien bei mir in der Wohnung ein mir unbekannter Mann in Zivilkleidung in Begleitung eines deutschen Gendarmen, der sich als Rechtsanwalt Menschagin aus Smolensk vorstellte und erklärte, daß er im Auftrag der deutschen Kommandantur zu mir käme, und daß ich mit ihm sofort zur Kommandantur kommen solle, die damals schon eine ständige war...


VORSITZENDER: Oberst Smirnow! Sie verschwenden viel zu viel Zeit mit der Frage, wie er dazu kam, Bürgermeister von Smolensk zu werden.


OBER JUSTIZRAT SMIRNOW: Ich danke Ihnen für Ihre Anweisung, Herr Vorsitzender. Erlauben Sie mir, nun zu anderen Fragen überzugehen.


[Zum Zeugen gewandt:]


Sagen Sie mir, Zeuge, wer war der Bürgermeister von Smolensk?

BAZILEVSKY: Rechtsanwalt Menschagin.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wie waren die Beziehungen Menschagins zur deutschen Verwaltung, insbesondere zur Stadtkommandantur?


BAZILEVSKY: Sehr gute Beziehungen. Diese Beziehungen wurden von Tag zu Tag enger.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Kann man sagen, daß Menschagin bei der deutschen Verwaltung eine Vertrauensstellung einnahm und daß die Deutschen ihm sogar geheime Mitteilungen machten?


BAZILEVSKY: Unbedingt.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ist Ihnen bekannt, daß sich in der Nähe von Smolensk polnische Kriegsgefangene befanden?


BAZILEVSKY: Das ist mir wohl bekannt.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wissen Sie, womit diese Kriegsgefangenen beschäftigt waren?

VORSITZENDER: Oberst Smirnow! Ich weiß nicht, was Sie damit beweisen wollen. Sie wissen es wahrscheinlich. Können Sie aber nicht etwas mehr zur Sache kommen?


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Der Zeuge sagt, es wäre ihm bekannt, daß es in Smolensk polnische Kriegsgefangene gab, und [354] ich möchte ihn mit Ihrer Erlaubnis fragen, womit diese Kriegsgefangenen beschäftigt waren und wann das geschah.


[Zum Zeugen gewandt:]


Zeuge, ich bitte Sie, mir auf diese Frage zu antworten.

VORSITZENDER: Gut, fahren Sie fort.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Was haben die polnischen Kriegsgefangenen bei Smolensk gemacht, und zu welcher Zeit waren sie dort beschäftigt?


BAZILEVSKY: Im Frühjahr 1941 und zu Anfang des Sommers arbeiteten sie an der Wiederherstellung der Straßen Moskau-Minsk und Smolensk-Witebsk.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Was ist Ihnen über das weitere Schicksal der polnischen Kriegsgefangenen bekannt?


BAZILEVSKY: Auf Grund der Stellung, die ich einnahm, ist mir über das Schicksal der polnischen Kriegsgefangenen verschiedenes schon früher bekannt geworden.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, dies dem Gerichtshof mitzuteilen.


BAZILEVSKY: Angesichts des Umstandes, daß im Lager für russische Kriegsgefangene, das unter dem Namen »Dulag 126« bekannt war, ein sehr strenges Regime herrschte, bei welchem täglich Hunderte von Kriegsgefangenen starben, bemühte ich mich, alle diejenigen, für die man einen Grund zur Befreiung finden konnte, wenn möglich aus diesem Lager zu befreien. Ich erhielt bald die Nachricht, daß sich der in Smolensk bekannte Pädagoge G. D. Schiglinsky im Lager befand. Ich wandte mich an Menschagin und bat ihn, bei der Kommandantur von Smolensk, und zwar bei Herrn von Schwetz, vorstellig zu werden und um die Befreiung Schiglinskys aus dem Lager zu ersuchen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Um keine Zeit zu verschwenden, bitte ich Sie, sich nicht in Einzelheiten zu verlieren. Berichten Sie dem Gerichtshof über Ihre Unterredung mit Menschagin. Was hat er Ihnen gesagt?


BAZILEVSKY: Auf meine Bitte antwortete Men schagin, nun wir werden einen retten, Hunderte aber werden trotzdem sterben. Ich bestand aber darauf. Nach einigem Zögern willigte Menschagin ein, mit diesem Ansuchen zur deutschen Kommandantur zu gehen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Vielleicht können Sie sich noch kürzer fassen und nun erzählen, was Menschagin gesagt hat, als er von der deutschen Kommandantur zurückkam.


BAZILEVSKY: Nach zwei Tagen teilte er mir mit, daß er wegen meiner Bitte in eine sehr heikle Lage geraten wäre. Von [355] Schwetz hätte die Bitte abgewiesen, indem er auf eine Weisung aus Berlin verwies, wonach ein sehr hartes Regime gegen Kriegsgefangene durchgeführt werden solle.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Was hat er Ihnen über die kriegsgefangenen Polen gesagt?


BAZILEVSKY: Über die polnischen Kriegsgefangenen hat er mir gesagt, daß die Russen im Lager wenigstens von selbst sterben würden, während man die polnischen Kriegsgefangenen zu vernichten vorgeschlagen hätte.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Welche Unterhaltung fand weiterhin zwischen Ihnen statt?


BAZILEVSKY: Darauf erwiderte ich mit Nachdruck: Wieso, wie soll man diese Äußerung verstehen? Menschagin antwortete, man müsse dies wörtlich verstehen. Er wandte sich an mich mit der Weisung und der Bitte, unter keinen Umständen irgend jemandem davon Mitteilung zu machen, da es ein großes Geheimnis sei.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wann hat die Unterhaltung zwischen Ihnen und Menschagin genau stattgefunden? In welchem Monat, in welchem Abschnitt des Monats?


BAZILEVSKY: Diese Unterredung fand Anfang September statt. Das genaue Datum weiß ich nicht mehr.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Aber Sie wissen, daß sie Anfang September stattfand?


BAZILEVSKY: Jawohl.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sind Sie in Ihren späteren Unterredungen mit Menschagin einmal auf diese Frage über das Schicksal der kriegsgefangenen Polen zurückgekommen?


BAZILEVSKY: Ja.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wann war es?


BAZILEVSKY: Ungefähr zwei Wochen später, das heißt gegen Ende September. Ende September konnte ich mich nicht mehr zurückhalten und stellte ihm die Frage, was nun mit den kriegsgefangenen Polen geschehen sei.

Zuerst zögerte Menschagin, dann sagte er: Mit ihnen ist es schon zu Ende.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Hat er irgend etwas darüber gesagt, wo sie vernichtet wurden?


BAZILEVSKY: Ja, er sagte, daß sie – nach dem, was von Schwetz ihm gesagt habe – in der Nähe von Smolensk erschossen worden seien.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Den genauen Ort hat er aber nicht genannt?


[356] BAZILEVSKY: Mir hat er die Stelle nicht mitgeteilt.


OBER JUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie mir folgendes: Haben Sie Ihrerseits irgend jemandem von der Tötung der polnischen Kriegsgefangenen durch die Hitleristen in der Nähe von Smolensk erzählt?


BAZILEVSKY: Ich sprach darüber zu Professor Efimow, der im selben Hause wohnte wie ich, außerdem sprach ich darüber ein paar Tage später auch mit dem Sanitätsarzt der Stadt, Dr. Nikolsky. Es erwies sich aber, daß Nikolsky bereits aus anderen Quellen über dieses Verbrechen unterrichtet war.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Hat Ihnen Menschagin gesagt, warum diese Erschießungen stattgefunden hätten?


BAZILEVSKY: Ja. Als er mir mitteilte, daß den Kriegsgefangenen ein Ende gemacht worden sei, hat er nochmals auf die Notwendigkeit hingewiesen, es streng geheimzuhalten, um große Unannehmlichkeiten zu vermeiden. Er fing auch an, mir die Gründe zu erklären, warum die Deutschen mit den polnischen Kriegsgefangenen in dieser Weise verfahren seien. Er sagte, daß es ein Teil des allgemeinen Systems in der Behandlung von kriegsgefangenen Polen wäre.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Haben Sie von irgendeinem Angestellten der deutschen Kommandantur etwas über die Vernichtung der Polen gehört?


BAZILEVSKY: Ja. Etwa zwei oder drei Tage später.


VORSITZENDER: Sie sprechen beide zu schnell, und Sie legen beide keine genügend langen Pausen ein. Sie stellen Ihre Fragen, während die Antworten noch durchgegeben werden. Sie müssen länger pausieren und langsamer sprechen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Jawohl, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Bitte fahren Sie fort, aber etwas langsamer.


BAZILEVSKY: Wo bin ich stehengeblieben?


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich hatte Sie gefragt, ob Sie von irgendeinem Angestellten der deutschen Kommandantur von der Vernichtung der Polen gehört hätten.


BAZILEVSKY: Ungefähr zwei oder drei Tage später, als ich Menschagins Büro betrat, habe ich dort den Dolmetscher, den Sonderführer der 7. Abteilung der deutschen Kommandatur getroffen, der die russische Verwaltung leitete. Er sprach gerade mit Menschagin über die Polen. Er war ein Balte.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Vielleicht sagen Sie mir kurz, was er sagte.


[357] BAZILEVSKY: Als ich eintrat, sprach er gerade davon, daß die Polen eine unnütze Nation seien, deren Vernichtung als Düngemittel und zur Vergrößerung des deutschen Lebensraumes dienen könne.


VORSITZENDER: Sie tun nun gerade das, worüber ich eben sprach. Sie stellen Ihre Fragen, ehe noch die Übersetzung fertig durchgegeben ist.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte um Entschuldigung, Herr Vorsitzender, ich werde langsamer sprechen.


[Zum Zeugen gewandt:]


Also Sie haben etwas Konkretes über die Erschießung polnischer Kriegsgefangener durch Menschagin erfahren?

BAZILEVSKY: Ja, als ich damals das Büro betrat, hörte ich das Gespräch mit Hirschfeld. Ich habe diesem Gespräch nicht von Anfang an zugehört, aber es war absolut klar, daß es sich um die stattgefundenen Ereignisse handelte.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Hat sich Menschagin, als er Ihnen über die Erschießung der polnischen Kriegsgefangenen erzählte, auf von Schwetz bezogen?


BAZILEVSKY: Ja. Ich hatte den Eindruck, daß das Gespräch sich auf von Schwetz bezog. Aber offenbar – und das ist meine feste Überzeugung – sprach er in der Kommandantur auch mit privaten Personen darüber.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Zu welcher Zeit fand dieses Gespräch mit Menschagin statt? Wann hat er Ihnen gesagt, daß die polnischen Kriegsgefangenen in der Nähe von Smolensk bereits vernichtet worden seien?


BAZILEVSKY: Das war Ende September.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich habe keine weiteren Fragen an den Zeugen, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich.


[Pause von 10 Minuten.]


GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Der Angeklagte Heß ist abwesend.

VORSITZENDER: DR. Stahmer.


DR. STAHMER: Herr Zeuge! Sie haben Ihre Aussagen vor der Pause vorgelesen, wenn ich recht beobachtet habe. Ist das richtig?


BAZILEVSKY: Ich habe nichts vorgelesen. Ich habe nur einen Plan dieses Gerichtsraumes in der Hand.


[358] DR. STAHMER: Es sah so aus, als ob Sie die Antworten vorgelesen haben. Wie erklären Sie denn, daß der Dolmetscher schon Ihre Antwort in Händen hatte?


BAZILEVSKY: Ich weiß nicht, wieso die Dolmetscher meine Antworten im voraus in Händen haben konnten. Meine Aussagen vor der Untersuchungskommission, das heißt die beim Vorverhör abgegebenen, sind jedoch bekannt.


DR. STAHMER: Kennen Sie das Dnjepr-Schlöß chen?

Sie haben mich nicht verstanden: Kennen Sie das Dnjepr-Schlößchen?


BAZILEVSKY: Ich weiß nicht, von welchem Schlößchen der Herr Verteidiger spricht. Auf dem Dnjepr gibt es viele Schlößchen.


DR. STAHMER: Das Haus, das an dem Katyner Wald lag, auf dem Steilufer.


BAZILEVSKY: Mir ist es immer noch nicht ganz klar, von welchem Hause hier die Rede ist. Die Ufer des Dnjepr sind lang, und mir ist daher Ihre Frage ganz unverständlich.


DR. STAHMER: Wissen Sie, wo die Gräber von Katyn sich befunden haben, in denen die 11000 polnischen Offiziere bestattet waren?


BAZILEVSKY: Ich bin dort nicht gewesen. Die Gräber von Katyn habe ich persönlich nicht gesehen.


DR. STAHMER: Sind Sie nie im Katyner Wald gewesen?


BAZILEVSKY: Im Wald von Katyn bin ich wiederholt gewesen. Das habe ich bereits ausgesagt.


DR. STAHMER: Wissen Sie denn, wo dieses Massengrab sich befunden hat?

BAZILEVSKY: Wie könnte ich wissen, wo diese Massengräber waren, da ich nach der Besetzung natürlich nicht mehr dorthin konnte.


DR. STAHMER: Woher wissen Sie denn, daß das Wäldchen nicht umzäunt war?


BAZILEVSKY: Bis zur Besetzung des Smolensker Gebietes durch die deutschen Truppen war diese ganze Gegend, wie ich bereits ausgesagt habe, niemals umzäunt gewesen. Aus Gerüchten habe ich erfahren, daß nach Beginn der Besetzung der Zutritt zu diesem Wald von der örtlichen deutschen Kommandantur verboten war.


DR. STAHMER: Sie haben also keine Kenntnis davon, daß sich am Katyner Wald ein Erholungsheim oder Sanatorium der GPU befunden hat?


[359] BAZILEVSKY: Das weiß ich sehr wohl. Das war allen Einwohnern von Smolensk bekannt.


DR. STAHMER: Dann wissen Sie also genau, welches Haus ich mit meiner Frage meinte?


BAZILEVSKY: Ich persönlich bin niemals in diesem Hause gewesen. In dieses Haus hatten nur die Familien der Angestellten des Innenministeriums Eintritt. Andere Personen hatten auch gar keine Veranlassung und keine Möglichkeit, dieses Haus zu besuchen.

DR. STAHMER: Also, das Haus war abgesperrt?


BAZILEVSKY: Nein, das Haus war für Fremde nicht geschlossen, aber warum sollten Leute, die dort nichts zu suchen und dort keine Erholungsstätte hatten, warum sollten sie auch dorthin gehen. Der Garten war selbstverständlich zugänglich.


DR. STAHMER: Standen nicht Posten dort?


BAZILEVSKY: Ich habe niemals welche gesehen.


DR. STAHMER: Lebt der russische Zeuge, der Ihnen über die Angelegenheit der polnischen Offiziere berichtet hat, lebt dieser russische Zeuge noch?


BAZILEVSKY: Herr Verteidiger! Sie meinen wahrscheinlich den Bürgermeister Menschagin? Verstehe ich Sie richtig?


DR. STAHMER: Ich konnte vorhin bei Ihrem Verlesen nicht so schnell folgen. Wie hieß der Bürgermeister, Menschagin? Lebt der noch?


BAZILEVSKY: Menschagin ist zusammen mit den sich zurückziehenden deutschen Truppen weggegangen, und ich bin natürlich geblieben, so daß Menschagins Schicksal mir unbekannt ist.


VORSITZENDER: Dr. Stahmer! Sie dürfen dem Zeugen nicht sagen: »Beim Verlesen Ihrer Aussage«, weil er gerade bestritten hat, daß er sie vorgelesen habe. Es ist auch kein Beweis dafür vorhanden, daß er sie abgelesen hat.


DR. STAHMER: Hat der russische Zeuge Ihnen erzählt, daß die polnischen Offiziere aus dem Lager Kosielsk gekommen sind?


BAZILEVSKY: Sie meinen Kosielsk?


DR. STAHMER: Ja.


BAZILEVSKY: Das hat mir der Zeuge nicht erzählt.


DR. STAHMER: Kennen Sie diesen Ort?


BAZILEVSKY: Kosielsk, den Ort kenne ich. Im Jahre 1940, im August, und zwar gegen Ende August, habe ich dort mit meiner Frau den Urlaub verbracht.


DR. STAHMER: Ist Ihnen etwas darüber bekannt, ob sich dort polnische Offiziere in einem russischen Kriegsgefangenenlager befunden haben?


[360] BAZILEVSKY: Ja, das ist mir bekannt.


DR. STAHMER: Bis wann sind diese Gefangenen dort gewesen?


BAZILEVSKY: Das weiß ich mit Bestimmtheit nicht. Aber Ende August 1940 waren sie dort. Das kann ich mit absoluter Sicherheit behaupten.

DR. STAHMER: Ist Ihnen bekannt, ob dieses Lager mit seinen Insassen in deutsche Hand gefallen ist?


BAZILEVSKY: Mir persönlich, das heißt aus eigener Erfahrung, ist es nicht bekannt. Auf Grund von Gerüchten aber scheint es so gewesen zu sein. Das ist aber nicht meine persönliche Zeugenaussage. Ich persönlich habe es nicht gesehen, sondern nur darüber gehört.


DR. STAHMER: Haben Sie gehört, wo diese Gefangenen verblieben sind?


BAZILEVSKY: Natürlich habe ich gehört, daß sie dort geblieben sind und daß sie nicht evakuiert werden konnten.


DR. STAHMER: Haben Sie gehört, was aus ihnen geworden ist?


BAZILEVSKY: Ich habe schon in meinen Antworten an den Herrn Staatsanwalt ausgesagt, daß sie erschossen worden sind, und zwar auf Befehl des deutschen Kommandos.


DR. STAHMER: Wo hat diese Erschießung stattgefunden?


BAZILEVSKY: Herr Verteidiger! Sie haben wohl meine Aussagen nicht gehört. Ich habe bereits gesagt, daß laut Menschagin die Erschießungen in der Nähe von Smolensk erfolgt sind. An welchem Ort, das hat er mir nicht gesagt.


DR. STAHMER: Um wieviel Gefangene hat es sich gehandelt?


BAZILEVSKY: Meinen Sie auf Grund des Gespräches mit Menschagin? Mir ist die Frage nicht klar. Meinen Sie laut Menschagin?


DR. STAHMER: Welche Zahl hat Menschagin Ihnen angegeben?


BAZILEVSKY: Menschagin hat mir keine Zahl genannt. Ich wiederhole, dieses Gespräch fand in den letzten Tagen September 1941 statt.


DR. STAHMER: Können Sie einen Augenzeugen namhaft machen, der bei dieser Erschießung zugegen war oder diese Erschießung mit angesehen hat?


BAZILEVSKY: Ich glaube, daß diese Erschießung unter solchen Verhältnissen stattgefunden haben, daß russische Zeugen schwerlich zugegen sein konnten.


VORSITZENDER: Zeuge! Sie sollten diese Frage direkt beantworten. Man hat Sie gefragt: »Können Sie einen Augenzeugen [361] namhaft machen, der dabei zugegen war?« Das können Sie doch mit Ja oder Nein beantworten und dann, wenn es nötig ist, Erklärungen hinzufügen.

BAZILEVSKY: Ich werde Ihrer Weisung folgen, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Können Sie die Namen irgendwelcher Personen angeben, die diese Hinrichtungen mit angesehen haben?


BAZILEVSKY: Nein, einen Augenzeugen kann ich nicht nennen.


DR. STAHMER: Durch welche deutsche Einheit soll die Erschießung stattgefunden haben?


BAZILEVSKY: Genau kann ich das nicht beantworten. Es ist logisch anzunehmen, daß es das Baubataillon gewesen ist, welches dort stationiert war. Aber genau konnte mir die Aufstellung der deutschen Truppenteile unmöglich bekannt sein.


DR. STAHMER: Hat es sich um Polen gehandelt, die aus dem Lager Kosielsk waren?


BAZILEVSKY: Im allgemeinen wurde damals in den Besprechungen nichts darüber erwähnt, aber es ist mir auch nichts bekannt, daß es sonst noch andere polnische Kriegsgefangene gegeben haben soll, die nicht vorher in Kosielsk gewesen waren.


DR. STAHMER: Haben Sie selbst polnische Offiziere gesehen?


BAZILEVSKY: Ich persönlich habe keine gesehen, aber meine Studenten haben mir erzählt, daß sie sie im Jahre 1941 gesehen haben.


DR. STAHMER: Wo haben die sie gesehen?


BAZILEVSKY: Beim Straßenbau, wo sie Ausbesserungsarbeiten ausführten, und zwar Anfang des Sommers 1941.


DR. STAHMER: In welcher Gegend?


BAZILEVSKY: Im Gebiet der Straße Moskau-Minsk, etwas westlich von Smolensk.


DR. STAHMER: Können Sie darüber Angaben machen, ob der russischen Heeresführung gemeldet worden ist, daß die polnischen Gefangenen im Lager zu Kosielsk in die Hände der Deutschen gefallen sind?


BAZILEVSKY: Nein, darüber ist mir nichts bekannt.


DR. STAHMER: Wie heißt der deutsche Beamte oder Angestellte, mit dem Sie auf der Kommandantur gesprochen haben?


BAZILEVSKY: Nicht auf der Kommandantur, sondern im Büro von Menschagin. Hirschfeld hieß er.


DR. STAHMER: Welche Stellung bekleidete er?


[362] BAZILEVSKY: Er war Sonderführer der 7. Abteilung der deutschen Kommandantur der Stadt Smolensk.


DR. STAHMER: Ich habe keine weiteren Fragen.

Nur noch eine oder zwei Fragen, Herr Vorsitzender.


[Zum Zeugen gewandt:]


Sind Sie wegen Ihrer Zusammenarbeit mit der deutschen Behörde durch die Russische Regierung bestraft worden?

BAZILEVSKY: Nein, ich bin nicht bestraft worden.

DR. STAHMER: Befinden Sie sich in Freiheit?


BAZILEVSKY: Nicht nur, daß ich mich in Freiheit befinde, sondern, wie ich bereits erklärt habe, bin ich auch jetzt noch Professor zweier Hochschulen.


DR. STAHMER: Sie sind also wieder in Amt und Würden?


BAZILEVSKY: Jawohl.


VORSITZENDER: Oberst Smirnow! Wollen Sie ein Rückverhör anstellen?


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Nein, Herr Vorsitzender, ich habe keine zusätzlichen Fragen an diesen Zeugen zu stellen.


VORSITZENDER: Herr Zeuge! Wissen Sie, ob diesem Mann, dessen Namen ich als Menschagin verstanden habe, über diese Vorgänge berichtet worden ist oder ob er selbst irgendwelche direkte Kenntnis davon hatte?


BAZILEVSKY: Aus den Worten Menschagins war es ganz klar ersichtlich, daß er das persönlich in der Kommandantur und insbesondere durch von Schwetz gehört hatte. Schwetz war seit Beginn der Besetzung der Kommandant.


VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender! Ich bitte den Gerichtshof um die Erlaubnis, den Professor der Universität Sofia, Marko Antonow Markov, einen bulgarischen Staatsangehörigen, als Zeugen rufen zu dürfen.


[Ein Dolmetscher betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Sind Sie der Dolmetscher?

DOLMETSCHER LUDOMIR VALEFF: Ja, mein Herr.

VORSITZENDER: Nennen Sie uns Ihren vollen Namen.


DOLMETSCHER: Ludomir Valeff.


VORSITZENDER: Wollen Sie mir diesen Eid nachsprechen: »Ich schwöre vor Gott und dem Gesetz, daß ich wahrheitsgemäß und nach meinem besten Wissen die Aussagen dieses Zeugen übersetzen werde.«


[Der Dolmetscher spricht die Eidesformel nach.]

[363] [Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Wollen Sie uns bitte Ihren vollen Namen angeben?

ZEUGE DR. MARKO ANTONOW MARKOV: Dr. Marko Antonow Markov.


VORSITZENDER: Wollen Sie mir diesen Eid nachsprechen: »Ich schwöre als Zeuge in diesem Falle, daß ich nur die Wahrheit sagen werde und mir meiner Verantwortung vor Gott, dem Herrn, und dem Gesetz bewußt bin und daß ich nichts vorenthalten oder hinzufügen werde.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

MR. DODD: Herr Vorsitzender! Bevor dieser Zeuge verhört wird, möchte ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die Tatsache lenken, daß Dr. Stahmer dem vorigen Zeugen eine Frage stellte, welche ich folgendermaßen verstand: Wie kam es, daß die Dolmetscher die Fragen und die Antworten auf Ihre Fragen schon vor sich hatten, wenn Ihnen dieselben noch nicht vorlagen. Aus dieser Frage geht hervor, daß Dr. Stahmer irgendwelche Kenntnis davon haben mußte, daß den Dolmetschern die Antworten auf die Fragen vorlagen. Ich habe den Dolmetschern eine Notiz zugehen lassen und habe von dem diensthabenden Leutnant die Antwort bekommen, daß dort keiner irgendwelche Fragen oder Antworten vorliegen hatte, und ich denke, dies sollte im Protokoll zum Ausdruck gebracht werden.


VORSITZENDER: Ja, das finde ich auch.


DR. STAHMER: Es wurde mir draußen diese Tatsache mitgeteilt, und so kam ich zu dieser Wissenschaft. Wenn es nicht stimmt, nehme ich es zurück. Mir wurde das draußen gesagt aus zuverlässiger Quelle, von wem weiß ich nicht mehr, das müßte ich dann erst feststellen.


VORSITZENDER: Solche Erklärungen sollten nicht von den Verteidigern gemacht werden, bevor sie sie geprüft haben.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Darf ich mit der Vernehmung des Zeugen beginnen, Herr Vorsitzender?


VORSITZENDER: Mit dem Verhör, jawohl.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Zeuge! Ich bitte Sie, im kürzester Form und ohne die Zeit des Gerichtshofs zu lange in Anspruch zu nehmen, uns zu erzählen, unter welchen Bedingungen Sie in die sogenannte Internationale Ärztekommission aufgenommen wurden, die von den Deutschen im April 1943 zur Prüfung der Grabstätte der polnischen Offiziere im Wald von Katyn gegründet wurde?

[364] Ich bitte Sie, wenn Sie Ihre Antwort geben, zwischen der Frage, die ich Ihnen stelle, und der Antwort, die Sie geben, eine Pause zu machen.


MARKOV: Es war im April 1943. Ich arbeitete gerade in dem gerichtsmedizinischen Institut, als ich von Dr. Gjuroff ans Telephon gerufen wurde.


VORSITZENDER: Der Zeuge muß fertiggesprochen haben, bevor der Dolmetscher anfängt, sonst kommen beide Stimmen über das Mikrophon durch. Der Dolmetscher muß daher abwarten, bis der Zeuge seine Antwort beendet hat, bevor er sie wiederholt.

Also, der Zeuge hat gesagt – wenigstens soweit ich gehört habe –, daß er im April 1943 ans Telephon gerufen worden ist.


MARKOV: Ich wurde von Dr. Gjuroff, dem Sekretär des damaligen bulgarischen Premierministers Dr. Filoff, ans Telephon gerufen. Er teilte mir mit, daß ich als Vertreter der Bulgarischen Regierung an den Arbeiten einer Internationalen Medizinischen Kommission teilnehmen sollte, die die Aufgabe hatte, Leichen zu untersuchen, die im Wald von Katyn gefunden worden waren, Leichen polnischer Offiziere.

Da ich nicht wünschte hinzufahren, antwortete ich, daß ich den Direktor meines Instituts, der sich damals in der Provinz befand, vertreten müsse. Dr. Gjuroff sagte mir, daß ich gerade in seiner Vertretung auf Anweisung des Außenministers, der ein Telegramm geschickt hätte, dorthin fahren sollte. Gjuroff rief mich ins Ministerium. Dort fragte ich ihn, ob ich ablehnen könnte, diesem Befehl zu folgen. Er antwortete, daß wir uns jetzt im Kriege befänden und daß die Regierung das Recht habe, Menschen dorthin zu schicken, wo sie diese als unentbehrlich erachte. Gjuroff schickte mich zum Ersten Sekretär des Außenministeriums, Schuchmanoff. Dieser hat die an mich ergangene Weisung bestätigt und mir gesagt, daß eine Prüfung von Leichen Tausender polnischer Offiziere bevor stünde. Ich antwortete, daß man Monate dazu brauchen würde, um Tausende von Leichen zu untersuchen. Schuchmanoff sagte mir jedoch, daß die Deutschen einen großen Teil der Leichen bereits exhumiert hätten und daß ich mich jetzt mit den anderen Mitgliedern der Kommission dorthin begeben sollte, um zu sehen, was bereits gemacht worden sei und um als bulgarischer Vertreter das bereits entworfene Protokoll zu unterschreiben. Darauf wurde ich in die Deutsche Gesandtschaft geschickt zum Botschaftsrat Mormann, der die technischen Einzelheiten dieser Reise erledigte.

Das war am Samstag; am Montag, dem 26. April, flog ich nach Berlin. Dort wurde ich von einem Beamten der Bulgarischen Gesandtschaft empfangen und im Hotel »Adlon« untergebracht.


[365] OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, mir die nächste Frage zu beantworten: Wer nahm an der sogenannten »Internationalen Kommission« teil, und wann ist diese nach Katyn abgereist?


MARKOV: Am nächsten Tag, dem 27. April, blieben wir in Berlin, und dort trafen auch die übrigen Mitglieder der Kommission ein.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wer waren sie?


MARKOV: Außer mir waren folgende Personen dabei:

Dr. Birkle, Gerichtsarzt des rumänischen Justizministeriums und Erster Assistent am Institut für gerichtliche Medizin und Kriminalistik in Bukarest;

Dr. Miloslawitsch, ordentlicher Professor der gerichtlichen Medizin und Kriminalistik an der Universität Zagreb, als Vertreter von Kroatien;

Professor Palmieri, Professor der gerichtlichen Medizin und Kriminalistik an der Universität Neapel;

Dr. Orsos, Professor der gerichtlichen Medizin und Kriminalistik an der Universität Budapest;

Dr. Subik, ordentlicher Professor der pathologischen Anatomie an der Universität in Preßburg und Chef des staatlichen Gesundheitswesens der Slowakei;

Dr. Hajek, Professor der gerichtlichen Medizin und Kriminalistik in Prag; er fungierte als Vertreter des sogenannten Protektorats Böhmen und Mähren;

Professor Naville, ordentlicher Professor der gerichtlichen Medizin an der Universität Genf, als Vertreter der Schweiz;

Dr. Speleers, ordentlicher Professor der Augenheilkunde an der Universität Genf, als belgischer Vertreter;

Dr. De Burlett, Professor der Anatomie an der Universität in Groningen, der holländische Vertreter;

Dr. Tramsen, stellvertretender Direktor des Instituts für gerichtliche Medizin an der Universität Kopenhagen, als dänischer Vertreter;

Dr. Saxen, ordentlicher Professor der pathologischen Anatomie an der Universität in Helsinki.

Während der ganzen Arbeitszeit dieser Kommission fehlte uns Dr. Costeduat, der erklärte, daß er der Kommission nur als persönlicher Vertreter des Präsidenten Laval beiwohnen könne.

Es war auch Prozessor Piga aus Madrid angekommen, ein älterer Herr, der an der Arbeit der Kommission nicht teilnahm. Später wurde erklärt, daß er infolge der langen Reise erkrankt sei.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sind alle diese Personen nach Katyn geflogen?


[366] MARKOV: Alle diese Personen trafen in Katyn ein, mit Ausnahme von Professor Piga.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wer ist noch außer den Mitgliedern der Kommission mit Ihnen nach Katyn geflogen?


MARKOV: Am 28. morgens flogen wir vom Flughafen Tempelhof in Berlin nach Katyn ab. Wir benutzten zwei Flugzeuge, in denen sich jeweils 15 bis 20 Personen befanden.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Vielleicht können Sie ganz kurz sagen, wer dabei war.

MARKOV: Mit uns befand sich Direktor Dietz, der uns empfangen hatte und uns begleitete. Er vertrat das Gesundheitsministerium. Sodann waren noch Pressevertreter und zwei Vertreter des Auswärtigen Amtes dabei.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich darf Ihre Antwort auf diese Frage jetzt unterbrechen und bitte Sie, mir zu sagen, wann diese Kommission in Katyn eintraf.


MARKOV: Die Kommission traf am Abend des 28. April in Smolensk ein.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wie viele Arbeitstage verblieb die Kommission in Smolensk? Ich unterstreiche Arbeitstage.


MARKOV: Wir verblieben nur zwei Tage in Smolensk, und zwar am 29. und am 30. April 1943. Am 1. Mai morgens verließen wir Smolensk.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wie oft haben die Mitglieder der Kommission die Massengräber im Wald von Katyn persönlich besucht?


MARKOV: Wir waren zweimal im Wald von Katyn, und zwar an den Vormittagen des 29. und des 30. April.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wie viele Stunden verbrachten Sie jedesmal bei den Massengräbern?


MARKOV: Ich glaube, nicht mehr als jeweils drei bis vier Stunden.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Waren die Mitglieder der Kommission wenigstens einmal bei der Öffnung eines der Gräber anwesend?


MARKOV: In unserer Anwesenheit wurden keine neuen Gräber geöffnet. Es wurden uns nur einige Gräber gezeigt, die bereits vor unserer Ankunft geöffnet worden waren.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Folglich wurden Ihnen nur geöffnete Gräber gezeigt, neben denen die Leichen lagen.


MARKOV: Ganz richtig. Neben diesen geöffneten Gräbern befanden sich bereits ausgegrabene Leichen.


[367] OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sind für die Mitglieder der Kommission die notwendigen Bedingungen für eine objektive und wissenschaftliche Untersuchung geschaffen worden?


MARKOV: Unsere einzige Handlung, die man als wissenschaftliche und gerichtsmedizinische Untersuchung bezeichnen kann, war die Sektion von Leichen durch einige Mitglieder der Kommission, die selbst gerichtsmedizinische Sachverständige waren. Nur sieben oder acht Personen waren dazu qualifiziert, und soweit ich mich erinnere, wurden nur acht Leichen geöffnet. Jeder von uns sezierte eine Leiche, mit Ausnahme von Professor Hajek, der zwei sezierte. Unsere weitere Tätigkeit während dieser zwei Tage bestand aus einer schnellen Besichtigung unter deutscher Führung. Es war eine Art Spaziergang. Dabei sahen wir geöffnete Gräber, und gleichzeitig wurde uns ein Landhaus wenige Kilometer vom Katyner Wald entfernt gezeigt. In diesem Landhaus befanden sich in Schaukästen irgendwelche Gegenstände und Papiere. Man sagte uns, daß diese Papiere und Gegenstände in den Kleidungsstücken der ausgegrabenen Leichen gefunden worden seien.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Waren Sie selbst dabei, als diese Papiere den Leichen abgenommen wurden, oder wurden sie Ihnen bereits unter Glas in den Schaukästen gezeigt?


MARKOV: Die Dokumente, die wir in den Schaukästen sahen, wurden bereits vor unserer Ankunft den Leichen abgenommen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Hat man Ihnen Gelegenheit gegeben, diese Dokumente zu untersuchen, zum Beispiel zu untersuchen, ob nicht diese Papiere von der durch die Leichenverwesung entstandenen Säure getränkt waren, oder sind Ihnen sonst irgend welche wissenschaftliche Untersuchungen gestattet worden?


MARKOV: Wir haben keinerlei wissenschaftliche Untersuchungen dieser Papiere vorgenommen. Wie ich bereits gesagt habe, sind sie unter Glas ausgestellt gewesen, und wir haben sie nicht einmal berührt.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Jetzt bitte ich Sie trotzdem, mir kurz mit Ja oder Nein auf meine Frage, die ich bereits an Sie gerichtet habe, zu antworten: Sind für die Mitglieder der Kommission die notwendigen Bedingungen für eine objektive und wissenschaftliche Untersuchung geschaffen worden?


MARKOV: Meiner Meinung nach konnten diese Arbeitsbedingungen keinesfalls als wissenschaftliche und objektive angesehen werden. Das einzige, was den Charakter einer wissenschaftlichen Untersuchung hatte, war die von mir durchgeführte Obduktion.


[368] OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Habe ich Sie denn richtig verstanden, daß die Mitglieder der Kommission von den 11000 Leichnamen, die entdeckt wurden, nur acht sezierten?


MARKOV: Ganz richtig.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, mir folgende Frage zu beantworten: In welchem Zustand befanden sich diese Leichen? Ich bitte Sie, mir den Zustand, in dem sie sich befanden, zu beschreiben, auch den Zustand der inneren Organe, der Gewebe und so weiter.


MARKOV: Den Zustand der Leichen im Walde von Katyn kann ich nur nach dem Zustand des Leichnams, den ich selbst obduziert habe, beurteilen. Der Zustand dieses Leichnams war, soweit ich feststellen konnte, derselbe, wie der der anderen Leichname. Die Haut war noch gut erhalten. Sie war teilweise lederartig von bräunlich-roter Farbe. Hier und da war sie von den Kleidern bläulich angelaufen. Die Nägel und die Haare waren meistens bereits ausgefallen. Am Hinterkopf des Leichnams, den ich sezierte, befand sich ein Loch, welches von einem Schuß herrührte. Vom Gehirn war nur eine breiartige Masse erhalten. Die Muskeln waren noch derart erhalten, daß man sogar die Sehnenfäden des Herzmuskels und der Herzklappe sehen konnte. Die inneren Organe waren im einzelnen erhalten. Sie waren natürlich ausgetrocknet, in ihrer Lage verschoben und von dunkler Farbe. Der Magen wies Spuren irgendwelchen Inhaltes auf. Ein Teil des Fettes war zu Fettwachs geworden. Wir waren von der Tatsache beeindruckt, daß sogar heim brutalen Ziehen der Gliedmaßen diese sich nicht vom Leichnam lösten.

Ich habe an Ort und Stelle ein Protokoll über das, was ich festgestellt hatte, diktiert. Ein ähnliches Protokoll wurde von den anderen Obduzenten verfertigt. Dieses Protokoll ist später von den Deutschen in dem von ihnen herausgegebenen Buch unter der Nummer 827 veröffentlicht worden.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, mir folgende Frage zu beantworten: Haben die gerichtsmedizinischen Untersuchungen die Tatsache bestätigt, daß die Leichname sich bereits seit drei Jahren in den Gräbern befanden?


MARKOV: Diese Frage könnte ich nur im Hinblick auf den Leichnam beantworten, den ich selbst obduziert habe. Wie ich bereits ausführte, war dieser Leichnam typisch für den Durchschnittszustand der Leichen im Katyner Wald. Diese Leichname waren weit von der Verwesung der Weichteile entfernt, da die Umbildung des Fettes zu Fettwachs kaum begonnen hatte. Meines Erachtens befanden sich diese Leichname eine viel kürzere Zeit in der Erde als drei Jahre. Ich war der Ansicht, daß der Leichnam, [369] den ich obduzierte, nicht länger als ein bis eineinhalb Jahre vorher beerdigt worden war.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wenn man also diese Merkmale in Betracht zieht, die auf Ihren in Bulgarien – also einem Land, das südlicher als Smolensk liegt, und wo daher die Verwesung schneller vor sich geht – gemachten Erfahrungen fußen, so muß man zu dem Schluß kommen, daß die aus den Gräbern des Katyner Waldes stammenden Leichen nicht länger als anderthalb Jahre unter der Erde gelegen haben?

Habe ich Sie richtig verstanden?


MARKOV: Jawohl, ganz richtig. Ich hatte den Eindruck, daß sie nicht länger als ein bis eineinhalb Jahre vorher beerdigt worden waren.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich nunmehr.


[Das Gericht vertagt sich bis zum

2. Juli 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 17, S. 337-371.
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