Nachmittagssitzung.

[45] [Der Angeklagte Sauckel im Zeugenstand.]


DR. EGON KUBUSCHOK, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON PAPEN, VERTEIDIGER FÜR DIE REICHSREGIERUNG: Ich bitte zu erlauben, daß der Angeklagte von Papen morgen vor- und nachmittags der Sitzung fernbleibt. Zur Vorbereitung seines Beweisverfahrens habe ich eine längere Rücksprache nötig, die ich sonst nicht ermöglichen kann. Seine Rechte werden durch Dr. Flächsner in der Verhandlung wahrgenommen werden.

VORSITZENDER: Jawohl.


OBERST CHARLES W. MAYS, GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Es wird mir berichtet, daß der Angeklagte Göring abwesend ist.


VORSITZENDER: Wie ich heute morgen schon sagte, wird sich der Gerichtshof heute um 4.00 Uhr vertagen.


DR. SERVATIUS: [zum Zeugen gewandt] Wir waren bei den Inspektionen stehengeblieben. Ich möchte aber zuvor noch einmal zu einer anderen Frage zurückgehen. Sie sagten, der Betriebsführer ist verantwortlich für die Arbeiter. Bezieht sich das auch auf die Kriegsgefangenenlager und Konzentrationslager?


SAUCKEL: Nein. Für die Kriegsgefangenenlager war ja das Heer zuständig oder der Wehrmachtsteil, in dessen Gewalt sich die Kriegsgefangenen befunden haben; ebenso waren nach meinem Wissen für die Häftlinge der Konzentrationslager, auch wenn die Häftlinge arbeiteten, nur die Konzentrationslager verantwortlich.


DR. SERVATIUS: Nun hatten Sie eine Abteilung 9 eingerichtet als Reichsinspektion im Reichsarbeitsministerium. Was hatte diese Inspektion für besondere Aufträge?


SAUCKEL: Ich habe diese Inspektion, die noch nicht bestanden hat, im Arbeitsministerium deshalb eingerichtet, um im gesamten Reichsgebiet und in den besetzten Gebieten, in denen deutsche Unternehmen und deutsche Arbeitsverträge in Gültigkeit waren, die Einheitlichkeit dieser Verträge und ihrer Durchführung zu prüfen, die einheitlichen Verwaltungsmaßnahmen zu überprüfen und außerdem festzustellen, ob meine Verordnungen hinsichtlich Ernährung, Unterbringung, Behandlung und Betreuung durchgeführt würden und in welchem Maße sie abänderungsbedürftig seien. Es ist dies auch in einer Vorschrift von mir an die Inspektion festgelegt worden.


DR. SERVATIUS: Welche Stellung hatte die Zentralinspektion bei der Deutschen Arbeitsfront, die Zentralinspektion für die Betreuung der ausländischen Arbeitskräfte?


[45] SAUCKEL: Die Zentralinspektion der Deutschen Arbeitsfront hatte die Aufgabe, in den Lagern in Deutschland die Betreuung der fremdländischen Arbeiter zu überprüfen, ob ihre Ernährung und dergleichen in dem vorgeschriebenen Maße vor sich gehe.


DR. SERVATIUS: Wenn etwaige Mißstände festgestellt wurden, teilte Ihnen diese Inspektion das mit, oder an wen ging die Meldung?


SAUCKEL: Es bestand zwischen dem Führer und der Deutschen Arbeitsfront und Dr. Ley und mir ein Übereinkommen, das auch in einer Zusatzbemerkung zu der Einrichtung der Zentralinspektion beigefügt ist. Sie besagt, daß auf dem Gebiet, auf dem es sich um die Zustände der Lager handelte, diese Zentralinspektion sich direkt an die entsprechenden Reichsstellen zu wenden habe, beziehungsweise an die Gewerbeaufsicht im Reichsarbeitsministerium zur Abstellung, während Mangel in dem Arbeitseinsatz selbst, ob zuviel Arbeitskräfte vorhanden seien oder dergleichen, mir gemeldet werden sollten.

DR. SERVATIUS: Durch diese Vereinbarung waren also Ihre Rechte beschränkt worden?


SAUCKEL: Ja.


DR. SERVATIUS: Das ist das Dokument 1913-PS, das vorgelegt worden ist. Es ist die Vereinbarung zwischen Sauckel und Dr. Ley vom 20. September 1943, es ist US-227, im englischen Dokumentenbuch Nummer 41. Ich nehme nur darauf Bezug, ohne es weiter vorzutragen.

Was waren sonst noch für Kontrollstellen vorhanden? Ich denke da an die Franzosen.


SAUCKEL: Ja. Es waren ja nach meinem Amtsantritt die Einrichtungen der Verbindungsmänner der fremdvölkischen Arbeiter getroffen worden, die in Vereinbarung mit der Deutschen Arbeitsfront das Recht hatten, die Lager zu besuchen, die Arbeiter selber anzuhören, Beschwerden von ihnen entgegenzunehmen. Mit der Französischen Regierung war ein Sonderabkommen in Vereinbarung mit dem Reichsaußenminister getroffen worden.


DR. SERVATIUS: Das ist Dokument Sauckel Nummer 31 im Dokumentenbuch 1, Seite 79 im englischen Text, »Französische Dienststelle zur Betreuung der im Reich eingesetzten französischen Arbeitskräfte«, ein Runderlaß Sauckels vom 30. April 1942. Ich überreiche hier das Dokument selbst in dieser Sammlung. Ich zitiere:

»Ich gebe das nachstehende Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 10. April 1942... bekannt:

Die Reichsregierung hat der Französischen Regierung mitgeteilt, daß sie in der Frage der Betreuung der freiwilligen [46] französischen Arbeiter in Deutschland folgender Regelung zustimme:

Unter der Leitung von Botschafter Scapini wird in Berlin neben der schon bestehenden Dienststelle für Kriegsgefangene eine Dienststelle für französische Zivilarbeiter eingerichtet. Die Reichsregierung stellt zur Unterbringung dieser Dienststelle ein Gebäude zur Verfügung. Die Dienststelle kann Zweigstellen in vier anderen deutschen Städten errichten.

Der Dienststelle obliegt die Betreuung der französischen Arbeiter in Deutschland. Sie überwacht die Einhaltung der von den angeworbenen Arbeitern abgeschlossenen Dienstverträge. Sie kann Anträge der Arbeiter entgegennehmen und an die zuständigen Stellen heranbringen und auf Beseitigung von Unzuträglichkeiten hinwirken. Sie kann den Arbeitern Bescheinigungen und Urkunden zum Gebrauch vor französischen Behörden ausstellen.«

Ich überschlage einen Absatz.

»Dem Leiter der gesamten französischen Vertretung werden darüber hinaus in Ausübung seiner Aufgaben die diplomatischen Vorrechte der per sönlichen Unantastbarkeit, sowie die Befreiung von der deutschen Gerichtsbarkeit und polizeilichen Zwangsgewalt eingeräumt.«

Das ist das Zitat.


[Zum Zeugen gewandt:]


Wie hat diese Dienststelle praktisch mit Ihnen gearbeitet?

SAUCKEL: Die Dienststelle hat praktisch mit der Deutschen Arbeitsfront gearbeitet und mit mir. Der Vertreter dieser Dienststelle hat an Verhandlungen in Frankreich mit der Französischen Regierung teilgenommen.

Die Dienststelle hat sich insofern geändert, als die Betreuung der Zivilarbeiter von dem Herrn Brunedon später übernommen worden ist, an Stelle von Herrn Scapini, der nur die Kriegsgefangenen betreut hat.


DR. SERVATIUS: Es war also nur ein Personalwechsel?


SAUCKEL: Ja, es war nur ein Personalwechsel. Ich habe des öfteren mit den Herren gesprochen und entsprechend ihren Wünschen auch gehandelt.


DR. SERVATIUS: Was tat die Zentralinspektion für die Völker des Ostens?


SAUCKEL: Die Zentralstelle für die Völker des Ostens war eine Stelle des Reichskommissars für die Ostgebiete.


DR. SERVATIUS: Wie arbeitete diese Stelle?


[47] SAUCKEL: Sie arbeitete ähnlich wie die französische Dienststelle, nur daß sie eine deutsche Spitze hatte und eine deutsche Organisation. Und sie hatte das Vertrauen der Ostarbeiter, die mit uns als Verbündete zusammenarbeiteten.


DR. SERVATIUS: Ist Ihnen von dieser Seite keine Beschwerde zugegangen?


SAUCKEL: Abgesehen von den mit Rosenberg besprochenen und von ihm berichteten Fällen keine; es hat sich alles dort abgespielt.


DR. SERVATIUS: Ich komme hier zur Frage der Aufrechterhaltung der Arbeitsdisziplin. Was für Vorschriften bestanden dort, um die Arbeitsdisziplin aufrechtzuerhalten, also Pünktlichkeit, korrektes Arbeiten. Was gab es da für eine Regelung?


SAUCKEL: In Deutschland war die Regelung der Arbeitsdisziplin Angelegenheit der Betriebe. Es gab für jeden Betrieb eine Betriebsordnung, die im Einvernehmen zwischen dem Betriebsführer, dem Betriebsobmann und dem Betriebsvertrauensrat in Normalzei ten aufgestellt wurde. Dieser Vertrauensrat hatte die Möglichkeit, Disziplinarstrafen in Form von Geldstrafen, Geldbußen aufzuerlegen. Im Kriege war die Frage der Arbeitsdisziplin erheblich schärfer geworden, denn es war ja nicht möglich, auf Grund des Mangels an Arbeitern ohne weiteres das freie Kündigungsrecht von beiden Seiten aufrechtzuerhalten, so daß auch der deutsche Arbeiter und das deutsche Arbeitsleben und das Betriebsleben ständig unter den Kriegsverordnungen und Gesetzen stand. Um dasselbe aufrechtzuerhalten, wurde später auf Veranlassung des Ministerrates für die Reichsverteidigung von mir eine Anordnung Nummer 13 erlassen. Diese Anordnung liegt vor und sieht zunächst eine innerbetriebliche stufenweise Ahndung von Verstößen gegen die Arbeitsdisziplin, Unpünktlichkeit und unentschuldigtes Fernbleiben von der Arbeit vor.


DR. SERVATIUS: Das ist das Dokument Nummer 23 im Dokumentenbuch Sauckel, im englischen Buch 1, Seite 62. Der Zeuge hat den Inhalt im wesentlichen vorgetragen. Ich nehme zunächst darauf Bezug.


SAUCKEL: Diese innerbetrieblichen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Arbeitsdisziplin waren abgestuft von der Verwarnung bis zu Geldbußen von einem Tageslohn bis zum Wochenlohn.


DR. SERVATIUS: Was geschah nun bei gröblichen Verstößen?


SAUCKEL: Bei gröblichen, andauernden und hartnäckigen Verstößen mußte dies, wenn nicht eine Abstellung durch die Ehrengerichte der Arbeitsfront möglich war, bei der Polizei angezeigt werden.


DR. SERVATIUS: Das Gesetz bezog sich auf die Ausländer wie auf die Deutschen?


[48] SAUCKEL: Das bezog sich auf Deutsche und Ausländer.


DR. SERVATIUS: Und wie war es bei strafrechtlichen Vergehen?


SAUCKEL: Sie mußten ebenfalls der Polizei angezeigt werden. Die Arbeitsbehörden hatten keinerlei Zuständigkeit in kriminellen und derartigen Fragen.


DR. SERVATIUS: Wohin kamen Beschwerden, wenn die Betriebsordnung falsch angewandt wurde, also wenn Geldstrafen in Prügelstrafen verwandelt worden waren?


SAUCKEL: Die Beschwerden kamen zur Arbeitsfront, beziehungsweise zu den Verbindungsmännern der ausländischen Arbeiter.


DR. SERVATIUS: Sind solche Vorfälle gemeldet worden?

SAUCKEL: Mir selbst sind keine gemeldet worden, weil ich nicht dafür zuständig war.


DR. SERVATIUS: Was sind Arbeitserziehungslager?


SAUCKEL: Die Arbeitserziehungslager waren Einrichtungen des Reichsführers-SS.


DR. SERVATIUS: Wer kam in solche Lager?


SAUCKEL: In solche Lager kam, wer von den Dienststellen wegen Verstoßes gegen die Arbeitsdisziplin, die nicht im Rahmen der Betriebsordnung geregelt werden konnte, bestraft wurde.


DR. SERVATIUS: War es dasselbe wie in ein Konzentrationslager?


SAUCKEL: Nein, meines Erachtens nicht. Diese Arbeitserziehungslager standen weder unter der Obhut des Reichsarbeitsministers noch unter meiner. Es war eine polizeiliche Einrichtung.


DR. SERVATIUS: Nun ist es Ihnen ja hier aus der Verhandlung bekannt, daß eine ganze Reihe von Arbeitern tatsächlich in die Konzentrationslager gelangt sind. Wie erklären Sie dies? Ich werde Ihnen das Dokument 1063-PS überreichen. Das ist ein Schreiben vom 17. 12. 1942, Exhibit US-219, im englischen Dokumentenbuch Nummer 28 im Slave Labor Book; ein Schreiben des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD, als Geheim an alle SS-Dienststellen, jedenfalls nicht an Sie gerichtet. Ich zitiere:

»Aus kriegswichtigen, hier nicht näher zu erörternden Gründen, hat der RF-SS und Chef der Deutschen Polizei am 14. 12. 1942 befohlen, daß bis Ende Januar 1943 spätestens mindestens 35000 arbeitsfähige Häftlinge in die Konzentrationslager einzuweisen sind. Um diese Zahl zu erreichen, ist folgendes erforderlich:

1) Ab sofort (zunächst bis zum 1. 2. 1943) werden Ost- und solche fremdvölkische Arbeiter, welche flüchtig gegangen oder [49] vertragsbrüchig geworden sind,... auf dem schnellsten Wege den nächstgelegenen Konzentrationslagern eingeliefert.«


VORSITZENDER: Vermutlich kennt der Zeuge das Dokument.

DR. SERVATIUS: Kennen Sie das Dokument?


SAUCKEL: Ich habe das Dokument zum ersten Male hier gesehen.


DR. SERVATIUS: Sie haben es noch nicht durchgesehen?


SAUCKEL: Ich habe in Nürnberg zum ersten Male einen Auszug gesehen.


DR. SERVATIUS: Dann will ich Sie auf die entscheidende Stelle lenken. Lesen Sie einmal am Ende der ersten Seite. Dort steht folgendes:

»Dritten Dienststellen gegenüber muß gegebenenfalls jede einzelne dieser Maßnahmen als unerläßliche sicherheitspolizeiliche Maßnahme unter entsprechender sachlicher Begründung aus dem Einzelfall heraus dargestellt werden, so daß Beschwerden vermieden, jedenfalls aber ausgeräumt werden.«

Was ist Ihnen bekanntgeworden von dieser Anordnung?

SAUCKEL: Von dieser Anordnung ist mir nichts bekanntgeworden. Es erklärt mir manches, worüber wir uns den Kopf zerbrochen haben. Es scheint dies ein Schreiben des Gruppenführers Müller zu sein, und das Schreiben sagt zu meiner Überraschung ganz klar, daß dritten Dienststellen gegenüber, da können nur meine Dienststellen oder Speer-Dienststellen gemeint sein, diese Dinge als sicherheitspolizeiliche Notwendigkeit zu melden sind. Das ist ein glatter Betrug und eine Irreführung von uns gewesen.

DR. SERVATIUS: Was verstehen Sie unter...


VORSITZENDER: Bevor Sie von diesem Dokument abgehen: Ich habe die Aussage des Angeklagten so verstanden, daß Arbeiter wegen Nichtbefolgung der Arbeitsanordnungen in Arbeitslager versandt worden sind. Das war doch, was Sie sagten, nicht wahr?


SAUCKEL: Wenn Arbeiter trotz wiederholter Warnungen und betrieblicher Bestrafungen sich nicht gebessert haben oder die Verstöße weiter bestanden haben, sind diese von dem Betrieb, nicht von mir, einer polizeilichen Dienststelle zur Anzeige gebracht worden. Diese Polizeidienststelle hatte meines Wissens eine Regelung mit dem Reichsjustizminister, wonach...


VORSITZENDER: Ich fragte Sie, wohin sie gesandt wurden, nachdem Sie sagten, sie wären wegen Verstößen gegen Arbeitsanordnungen in Arbeitslager geschickt worden und aus keinem anderen Grund? Sagten Sie das?


SAUCKEL: Aus keinen anderen Gründen. Für Verstöße oder für kriminelle Verbrechen.


[50] VORSITZENDER: Wie erklären Sie dann die ersten Worte im Absatz 1 dieses Dokuments:

»Ab sofort... werden alle Ostarbeiter... den nächstgelegenen Konzentrationslagern eingeliefert.«


SAUCKEL: Es heißt hier im deutschen Text, Euer Lordschaft:

»Ab sofort (zunächst bis zum 1. 2. 1943) werden Ost- oder solche fremdvölkische Arbeiter, welche flüchtig gegangen oder vertragsbrüchig geworden sind und nicht den verbündeten, befreundeten oder neutralen Staaten angehören, unter Beachtung der unter Ziffer 3 aufgeführten, notwendigsten Formalitäten auf dem schnellsten Weg den nächstgelegenen Konzentrationslagern eingeliefert.«

Dies ist diese eigenmächtige Verfügung dieser Dienststelle, die ich nicht kannte.

DR. SERVATIUS: Was verstehen Sie unter »Vernichtung durch Arbeit«?

SAUCKEL: Ich habe den Ausdruck »Vernichtung durch Arbeit« hier im Gerichtssaale zum ersten Male vernommen. Ein solcher Standpunkt mußte ja vollkommen meinen Interessen widersprechen, die ich in meinem Amt wahrzunehmen hatte.


DR. SERVATIUS: Hatten Sie mit dem Einsatz von KZ-Häftlingen zu tun?


SAUCKEL: Ich hatte mit dem Einsatz von KZ-Häftlingen nichts zu tun und habe auch meine Mitarbeiter angewiesen, daß wir mit diesem Arbeitseinsatz nichts zu tun haben. Ich hatte mich nicht mit Strafmaßnahmen befaßt.


DR. SERVATIUS: Wer setzte dann die KZ-Häftlinge zur Arbeit in den Rüstungsbetrieben ein?


SAUCKEL: Das kann ich Ihnen aus persönlichem Wissen nicht sagen, weil ich mich nicht damit befaßte, und bin auch zu derartigen Gesprächen nicht hinzugezogen worden.

DR. SERVATIUS: Es ist hier vorgetragen worden, Sie hätten sich auch des »Nacht-und-Nebel-Befehls« bedient, um Arbeiter nach Deutschland zu bekommen.


SAUCKEL: Ich habe den Befehl »Nacht und Nebel« nicht gekannt und ihn erst hier erfahren. Das hatte mit dem Arbeitseinsatz und meinen Aufgaben nichts zu tun.


DR. SERVATIUS: Wie war es mit dem Einsatz von Juden?


SAUCKEL: Ich hatte mit dem Einsatz von Juden nichts zu tun, es war allein Aufgabe des Reichsführers der SS.


DR. SERVATIUS: Ich lege Ihnen das Dokument R-91 vor. Es ist Exhibit US-241 und RF-347. In den Dokumentenbüchern ist es nicht [51] vorhanden. Es ist dies ein Schreiben des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD Müller an den Reichsführer-SS, Feldkommandostelle vom 16. 12. 1942. Dort heißt es, ich zitiere:

»Im Zuge der bis 30. 1. 1943 befohlenen verstärkten Zuführung von Arbeitskräften in die KL« – das soll wohl KZ heißen – »kann auf dem Gebiet des Judensektors wie folgt verfahren werden:

1.) Gesamtzahl 45000 Juden.«

Dann folgt die nähere Spezifizierung, unter anderem heißt es am Schluß:

»3000 Juden aus den besetzten niederländischen Gebieten.«

und weiter

»In der Zahl von 45000 ist der arbeitsunfähige... Anhang... mit einbegriffen.«

Wie stehen Sie mit diesem Schreiben in Verbindung?

SAUCKEL: Ich nahm dieses Schreiben soeben zum erstenmal zur Kenntnis. Ich habe es nicht gekannt und kann nur betonen, daß diese Transporte und diese Verfahren mit meinem Auftrag in keiner Weise identisch waren, und daß ich zu keiner Zeit damit befaßt war.

DR. SERVATIUS: Dann ist hier ein Dokument L-61 vorgelegt worden. Es ist Exhibit US-177, im englischen Dokumentenbuch »Slave Labor«, Nummer 6. Dieses Dokument ist in der ersten Dokumentenliste, die der Verteidigung zugängig gemacht wurde, als Originalschreiben Sauckels aufgeführt, in dem der Abtransport der Juden zugegeben wird.

Gehen Sie dieses Schreiben einmal durch und nehmen Sie Stellung dazu, wie weit Sie hier mit dem Abtransport von Juden befaßt sind.

Ich gebe kurz den Inhalt an. Es heißt dort in dem Schreiben vom 26. November 1942:

»Im Einvernehmen mit dem Chef der Sicherheitspolizei und dem SD sollen nunmehr auch die noch in Arbeit eingesetzten Juden aus dem Reichsgebiet evakuiert und durch Polen, die aus dem Generalgouvernement ausgesiedelt werden, ersetzt werden.«

Es ist dies ein Schreiben, das endet:

»Vorstehende Abschrift übersende ich mit der Bitte um Kenntnisnahme. Soweit auch für Ihren Bezirk die Aussiedlung von in Arbeit eingesetzten Juden in Frage kommt, bitte ich, im Einvernehmen mit den zuständigen Dienststellen des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD [52] entsprechend zu verfahren.« Es steht darunter: »gez. Fritz Sauckel«.

Nehmen Sie Stellung zu diesem Brief?

SAUCKEL: Ich darf zu diesem Dokument bemerken, daß es mir in der Voruntersuchung schon einmal vorgelegt worden ist. Ich hatte es damals nur kurze Zeit und ich habe bei der Wiedervorlage im Verfahren festgestellt, daß es sich nicht um ein Originaldokument, das von mir unterzeichnet ist, handelt. Es befindet sich meine Unterschrift in Maschinenschrift darunter.

Zweitens ist für mich eigenartig, daß dieses Schreiben, das von mir unterzeichnet sein soll, nicht von meiner Dienststelle datiert ist. Meine Dienststelle, wie sich aus zahlreichen anderen Dokumenten ergeben wird, ist in Berlin in der Mohrenstraße gewesen. Dieses Schriftstück ist datiert von der Saarlandstraße.

Zu dem Inhalt selbst habe ich zu bemerken: Ich habe niemals mit dem SD und der Sicherheitspolizei ein derartiges Einvernehmen im Sinne dieses Schreibens persönlich abgesprochen oder vereinbart. Es war mir dieses Schreiben auch in keiner Weise, und es ist mir auch jetzt nicht irgendwie erinnerlich. Richtig an dem Schreiben ist lediglich, daß ich verpflichtet war, Arbeitsausfälle in deutschen Betrieben, ob sie Juden oder ob sie Soldaten oder ob es andere Ausfälle waren, innerhalb 14 Tagen neu zu ersetzen. Es ist möglich, daß dieses Schreiben von der Saarlandstraße von einer untergeordneten Dienststelle herausgegeben worden ist. Etwas anderes kann ich dazu nicht bemerken.


DR. SERVATIUS: Wie kommt denn hier der Schluß »gez. Sauckel« unter dieses Schreiben?


SAUCKEL: Das ist mir persönlich nicht verständlich. Es müßte auch, wenn es eine korrekte Abschrift wäre, gezeichnet sein.


VORSITZENDER: Haben Sie das Original?


DR. SERVATIUS: Das habe ich nicht, das ist von der Staatsanwaltschaft vorgelegt worden und als Exhibit bei den Gerichtsakten.


SAUCKEL: Es handelt sich in der Anlage zu diesen Vorgängen um Vorgänge, die auch vor meiner Dienstzeit, also bevor ich in dieses Amt kam, schon so gut wie abgeschlossen waren.


DR. SERVATIUS: Hatten Sie keine Kenntnis davon, was mit den Juden geschehen würde?


SAUCKEL: Meinen Sie die...


DR. SERVATIUS: Die Endlösung.


SAUCKEL: Nein, ich hatte keine Kenntnis davon. Das hätte ja meine Aufgabe ungeheuer erleichtert, und ich hätte viel, viel weniger Schwierigkeiten gehabt, wenn alle diese Menschen, soweit sie [53] arbeitsfähig gewesen wären, dem Arbeitseinsatz in vernünftiger Weise zugeführt worden wären. Es war mir diese Endlösung völlig unbekannt und meinen Interessen vollkommen zuwider.


DR. SERVATIUS: Zur Lohnfrage. Wer war für die Regelung der Löhne verantwortlich?


SAUCKEL: Für die Regelung der Löhne während meiner Dienstzeit war ich verantwortlich.


DR. SERVATIUS: Was sind für Löhne gezahlt worden? Lassen Sie zunächst einmal den Osten fort.


SAUCKEL: Es sind grundsätzlich an alle fremden Arbeiter die vertragsmäßig mit den Verbindungsstellen und Regierungen festgelegten Löhne gezahlt worden, der gesetzmäßige, ortsübliche Lohn in Deutsch land, das heißt, der Lohn, der in einer bestimmten Region in Deutschland gesetzlich anerkannt war.


DR. SERVATIUS: Wie war es nun mit den sogenannten Ostarbeitern?


SAUCKEL: Bezüglich der Ostarbeiter fand ich bei meinem Dienstantritt eine Regelung vor, die den größten Teil des Verdienstes der Ostarbeiter zugunsten des Reiches wegsteuerte. Es geschah dies auf Grund einer Anordnung des Ministerrates für die Reichsverteidigung.


DR. SERVATIUS: Haben Sie sich nun dabei beruhigt oder haben Sie Schritte zur Besserung unternommen?


SAUCKEL: Es geht aus den Dokumenten, das heißt aus den während meiner Dienstzeit von mir in Kraft gesetzten Verordnungen hervor, daß ich diese für mich untragbare Regelung stufenweise – so wie es mir gelang, die Widerstände zu überwinden – abgebaut habe, so daß im Jahre 1944 der Ostarbeiter auf derselben Stufe stand, wie der deutsche Arbeiter. Die erste Verbesserung wurde bereits im Juni 1942 um 100 Prozent eingeführt, die zweite 1943 und die letzte im März 1944 durch die Anordnung 11.


DR. SERVATIUS: Ich nehme hier Bezug auf folgende Dokumente, die ich nicht zur Vorlesung bringen will: Das ist Dokument S-50, Sauckel 50, das ist im Buch II, Seite 134, dann das Dokument S-17, im Buch II, Seite 137. Ein weiteres Dokument ist S-52, im Buch II, Seite 143, ein weiteres S-58, im Buch II, Seite 156 und schließlich Dokument S-58a, im Buch II, Seite 161.

Ich übergebe jetzt das Original in einer Sammlung: »Einsatzbedingungen der Ostarbeiter«.


VORSITZENDER: Dr. Servatius! Ich verstand den Angeklagten dahin, daß das Dokument L-61 entworfen wurde, bevor er den Arbeitseinsatz übernahm.


[54] DR. SERVATIUS: Es bezieht sich auf Dinge, die vor seiner Zeit lagen und fast abgeschlossen waren, wie dieses Schreiben verfaßt wurde, daß der Zustand also schon bestand.


VORSITZENDER: Es ist nichts im Dokument enthalten, das das beweist, nicht wahr?


DR. SERVATIUS: Es kann aus dem Datum entnommen werden.


VORSITZENDER: Das Datum ist der 26. November 1942.


DR. SERVATIUS: Im Anhang ist Bezug genommen auf einen Erlaß vom 27. März 1942. Die zweite Anlage, wenn man weiter zurückgeht, ist eine Anlage vom 21. Januar 1942, die sich mit dieser Frage befaßt. Dies, was hier vorgebracht wurde, war nur der letzte Brief, das Abschlußschreiben.


VORSITZENDER: Das verstehe ich. Wir haben also das vollständige Dokument nicht vor uns.


DR. SERVATIUS: Ich werde es einreichen.


[Zum Zeugen gewandt:]


Zum Lohn der Ostarbeiter: Erhielten die Ostarbeiter nun neben diesem Lohn irgendwelche Vergütungen?

SAUCKEL: Die Ostarbeiter erhielten auf meine Veranlassung Vergütungen in Form von Prämien für Leistungen, Weihnachtsgratifikationen wie die deutschen Arbeiter, und außerdem, durch eine Vereinbarung mit dem Ostministerium, sollten die Familienangehörigen dieser Arbeiter im Osten auf ihren Antrag einen Betrag von 130 Rubel monatlich ausbezahlt bekommen.

DR. SERVATIUS: Ich nehme hier Bezug auf einige Dokumente. Das ist Dokument Nummer 22, im englischen Buch Band I, Seite 59, dann eine Anordnung über Prämien, Dokument Nummer 54 im Band II, Seite 151. Dann ein Dokument Nummer 57, Betreff; Weihnachtsgratifikationen, im Band II, Seite 155.

Was blieb den Ostarbeitern nun praktisch als Barlohn übrig?


SAUCKEL: Es blieben dem Ostarbeiter als Barlohn übrig, als ich mein Amt antrat, also vor der von mir veranlaßten Regelung nach Abzug seiner Unkosten für Unterbringung und Verpflegung, als freier Betrag 4.60 Mark in der Woche, wenn man einen Stundenlohn für einen mittleren Arbeiter in der deutschen Industrie von 60 Pfennig zugrunde legt, um ein mittleres Beispiel zu wählen. Diese Reinauszahlung oder, wie es genannt wurde, dieser Freibetrag, erhöhte sich für den gleichen Arbeiter im Juni 1942, also nachdem ich erste Gelegenheit gehabt habe, diese Dinge zu prüfen, um etwa 100 Prozent, auf 9.10 Mark.

Ich darf dazu bemerken, daß ein deutscher Arbeiter in der gleichen Lohnstufe, bei Berücksichtigung seiner eigenen sozialen [55] Abgaben und Steuern, seiner Miete und seiner Beheizung und seiner Versorgung, unter keinen Umständen selbst mehr als Sparbetrag übrig hatte. Dieser Grundsatz war mir vom Ministerrat für die Reichsverteidigung ja zur Generalregelung für diese Lohnzahlung gemacht worden. Es geschah dies nicht aus meinem Wollen; aber bereits im März oder April 1943 verbesserte sich dieser russische Arbeiter, ebenfalls auf meine Veranlassung, auf etwa 12.- Mark, und im Frühjahr 1944 wurde er nochmals verbessert auf etwa 18.- Mark.

VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß wir alle diese Einzelheiten brauchen. Es ist keine besondere Beschuldigung gegen den Angeklagten erhoben worden, daß er die Arbeiter nicht bezahlt hätte, nicht wahr? Er sagt, er hat sie bezahlt, und wir wollen die Einzelheiten über den Markbetrag gar nicht haben.


DR. SERVATIUS: Dieser Vorwurf liegt in dem der Sklavenarbeit; das ist in der Regel unbezahlte Arbeit; der französische Bericht RF-22 rechnet einen Schaden von 77 Milliarden aus, der Frankreich allein durch den Einsatz seiner Arbeiter entstanden sein soll. Dann ist es doch interessant, wenigstens zu hören...


VORSITZENDER: Wollen Sie genaue Einzelheiten darüber?


DR. SERVATIUS: Wie war es mit den Transfermöglichkeiten dieser Löhne?


SAUCKEL: Die Transfermöglichkeit der Löhne mußte von mir geschaffen werden, denn der einzige vernünftige Anreiz für einen ausländischen Arbeiter, in Deutschland zu arbeiten, war ja, daß er seine Familie in der Heimat dadurch mit erhalten konnte, daß er seinen Verdienst zum Teil in seine Heimat transferieren konnte. Es geschah dieses auf Grund der getroffenen Abkommen mit dem Präsidenten der Deutschen Reichsbank. Er hat darüber selbst ausgesagt.

DR. SERVATIUS: Ich beziehe mich noch zur Lohnfrage auf das Dokument 021-PS. Es ist vorgelegt als F-44; es steht nicht in den beiden Dokumentenbüchern; das Datum ist der 2. April 1943. Es ist das eine Ausarbeitung mit einer Lohnberechnung und Kalkulation, die sich mit der Besserung der Löhne der Ostarbeiter befaßt. Ich will es im einzelnen nicht vortragen, aber ein Studium ergibt, daß hier ernstliche Bemühungen gemacht würden, hier eine Besserung und einen Ausgleich zu schaffen.


[Zum Zeugen gewandt:]


Wie war die Dauer der Arbeitsverträge?

SAUCKEL: Die Dauer der Arbeitsverträge richtete sich nach den jeweils mit den in Frage kommenden Regierungen abgeschlossenen Abkommen. Bei den westlichen und südlichen Ländern kam eine [56] Vertragsdauer von einem halben Jahr, dreiviertel Jahr und einem Jahr in Frage. Bei den östlichen Ländern und bei den sowjetischen Arbeitern fand ich eine Regelung bei meinem Amtsantritt vor, die sich auf unbestimmte Zeit bezog. Ich habe, weil ich auch diese Regelung trotz der weiteren Entfernungen für notwendig hielt, durchgesetzt, daß auch diese Verpflichtung auf zwei Jahre beschränkt blieb.

DR. SERVATIUS: Sollte dieser Arbeitseinsatz nach dem Kriege fortdauern, und sollten die Arbeiter in Deutschland bleiben? Ich frage danach, weil von der Französischen Anklage aus dem Buch »Europa arbeitet in Deutschland« – das ist RF-5, Seite 23 – eine Stelle verlesen worden ist, die folgendermaßen lautete:

»Ein großer Prozentsatz der Fremdarbeiter wird auch nach dem Siege noch in unseren Gauen bleiben, um dann, auf Aufbauarbeit umgeschult, zu vollenden, was der Kriegsausbruch fertigzustellen hinderte und was an bisher nur skizzierten Projekten auf Verwirklichung wartet.«

Daraus ist geschlossen worden, daß die Zwangsverpflichtung auch nach dem Kriege fortbestehen sollte.

SAUCKEL: Es ist dies zum Teil oder es ist dies ganz die Meinung des Verfassers dieses Aufsatzes. Aber ich glaube, es ist ja auch vermerkt, daß die Arbeiter nach Hause zurückkehren werden, um dort einen Teil ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten, die sie in Deutschland bei neuen Arbeiten gewonnen haben, zum Nutzen ihrer eigenen Heimat verwenden zu können. Aber auf keinen Fall war von mir in irgendwelcher Form beabsichtigt, und ich konnte es auch gar nicht, nach dem Kriege fremde Arbeiter in Deutschland zurückzubehalten. Im Gegenteil, ich habe ja angeordnet, daß eine sorgfältige Ausländerarbeiterkartothek, eine Zentralkartothek angelegt wurde, auf Grund derer es mir bei einem günstigen Ausgang des Krieges möglich gewesen wäre, gewissenhaft diese Arbeiter wieder in ihre Heimat entlassen zu können und darüber einen Überblick zu haben.

DR. SERVATIUS: Ich habe Sie richtig verstanden: Es handelt sich nicht um ein zwangsmäßiges Festhalten der Arbeiter, sondern darum, sie auf Grund der Werbung hier zu behalten?


SAUCKEL: Ja, es ist mir nicht berichtet worden, daß ein ganzer Teil der Fremdarbeiter an und für sich in Deutschland bleiben wollte. Das ist eine Hypothese.


DR. SERVATIUS: Wie war es nun mit der Zwangsverpflichtung? Auf welche Dauer wurden die Verträge abgeschlossen?


SAUCKEL: Es wurden zwischen freiwilligen Verpflichtungen und – wie wir es im deutschen Verordnungs-Sprachgebrauch [57] genannt haben – Dienstverpflichtungen, weder in der Bezahlung noch in der Vertragsdauer ein Unterschied gemacht. Es galt für alle Länder dasselbe. Wenn ein Franzose für ein halbes oder für ein dreiviertel Jahr dienstverpflichtet war, dann hatte er genau wie der freiwillige Arbeiter das Recht, nach einem dreiviertel Jahr zurückzukehren. Es bestand die Möglichkeit der Verlängerung.


DR. SERVATIUS: In welchen Fällen wurde der Vertrag verlängert?


SAUCKEL: Der Vertrag wurde verlängert, wenn der Arbeiter aus freien Stücken seinen Dienst weiterverrichten wollte oder wenn außergewöhnliche Notstände im Betriebe oder Ausfälle und dergleichen eine Verlängerung rechtfertigten. Das mußte dann mit den Verbindungsmännern abgeschlossen werden.


DR. SERVATIUS: Waren neben den Zivilarbeitern auch Kriegsgefangene in Deutschland eingesetzt? Was hatten Sie mit diesem Einsatz zu tun?


SAUCKEL: Der Einsatz der Kriegsgefangenen war ein ziemlich komplizierter, denn er mußte ja erfolgen im Einvernehmen mit dem General für das Kriegsgefangenenwesen. Schwierig war dabei für mich die sogenannte Technik der Umsetzung. Es ist dies ein Begriff, den ich etwa folgendermaßen erläutern darf:

Es bestand die Genfer Konvention beziehungsweise das Haager Abkommen; nach diesem dürfen Kriegsgefangene nicht in Waffenfertigung oder Munitionsfertigung eingesetzt werden. Wenn es nun trotzdem im Sprachgebrauch bei uns hieß: »Es werden Kriegsgefangene in den Rüstungsindustrien eingesetzt«, dann bedeutete das, daß soundso viele deutsche Frauen oder Arbeiter umgesetzt wurden in die von der Genfer Konvention verbotenen Industrien und an deren Stelle ein Kriegsgefangener gesetzt wurde. Das geschah alsdann im Einvernehmen mit den Dienststellen des Generals für das Kriegsgefangenenwesen.


DR. SERVATIUS: Und wer überwachte die Einhaltung der Konvention?


SAUCKEL: Der General für das Kriegsgefangenenwesen, wir selbst beziehungsweise die Arbeitseinsatz-Verwaltung hat sich auf den Standpunkt der Einhaltung der Genfer Konvention gestellt und hat verschiedene Male auch einen Katalog der Arbeiten zusammengestellt, die für Kriegsgefangene zulässig waren. Er ist auch zu meiner Zeit im Jahre 1942 und 1943 als Sonderdruck herausgegeben worden und liegt ja ebenfalls in dem sogenannten Blaubuch vor.


DR. SERVATIUS: Sind Ihnen Fälle bekanntgeworden, wo Kriegsgefangene entgegen der Konvention beschäftigt wurden?


[58] SAUCKEL: Es haben dann bestimmte Abmachungen stattgefunden mit der Französischen Regierung, soweit es sich um Freiwillige handelte und zum Teil um Ostarbeiter.


DR. SERVATIUS: Wer war für die Unterbringung, Verpflegung und Betreuung der Kriegsgefangenen verantwortlich?


SAUCKEL: Das waren ausschließlich die Dienststellen des Generals für das Kriegsgefangenenwesen.


DR. SERVATIUS: Ist Ihnen bekannt, daß Millionen von Kriegsgefangenen zugrunde gegangen waren zu der Zeit, als Sie Ihr Amt antraten?


SAUCKEL: Es ist mir, ehe ich mein Amt antrat, bekanntgeworden, daß in den sogenannten Kesselschlachten im Osten sehr viele Kriegsgefangene dadurch umgekommen sind, daß sie durch die lange Andauer dieser Schlachten schon äußerst entkräftet auf dem Schlachtfeld geblieben sind und sich ihrem Abtransport und Weitertransport sehr, sehr große Schwierigkeiten auch auf unserer Seite entgegengestellt haben. Nähere Umstände sind mir hierüber nicht bekannt.


DR. SERVATIUS: Nun haben Sie auch zu Beginn Ihrer Tätigkeit auch mit Kriegsgefangenen im Einsatz zu tun gehabt. Was haben Sie da festgestellt? Oder haben Sie irgend etwas unternommen?


SAUCKEL: Ich habe festgestellt, daß ein Teil der russischen Kriegsgefangenen außerordentlich unterernährt gewesen ist.


DR. SERVATIUS: Und was haben Sie unternommen?


SAUCKEL: Ich habe gemeinsam mit dem General für das Kriegsgefangenenwesen veranlaßt, daß alle diese Kriegsgefangenen – es waren im Reich, soweit mir bekannt und erinnerlich ist, damals lediglich 70000 – bei deutschen Bauern untergebracht worden sind, mit dem Auftrag, den wir das »Aufpäppeln« nannten. Mit diesem Aufpäppeln war für diese Bauern verbunden die Verpflichtung, diese Kriegsgefangenen ein Vierteljahr lang mindestens unbeschäftigt zu ernähren. Dafür bekamen sie die Zusicherung, daß bis zum Ende des Krieges diese wiederhergestellten und ausgenährten Kriegsgefangenen bei ihnen zum Arbeiten verbleiben sollten.


DR. SERVATIUS: Sind im Laufe des Krieges Kriegsgefangene in freie Arbeiter umgewandelt worden?


SAUCKEL: Ja. Es hat ja der Einsatz der französischen Arbeiter insbesondere von mir aus nur auf Grund von Abmachungen mit der Französischen Regierung stattgefunden. Diese Abmachungen fanden statt unter dem Vorsitz des Deutschen Botschafters in Paris. [59] Es wurden auf Grund der mir vom Führer erteilten Aufträge und der Aufträge des Reichsmarschalls über diese Kontingente verhandelt. Das erste Verhandlungskontingent betrug 250000 französische Arbeiter und 150000 Facharbeiter.

Als Gegenleistung für diese Zurverfügungstellung von Arbeitern, ich betone freiwilligen, sollten und sind zunächst 50000 französische Kriegsgefangene, die Landwirte waren, der Französischen Regierung zurückgegeben worden, um die Landbestellung in Frankreich auf deren Feldern oder Gütern besser zu ermöglichen. Das war das erste Abkommen.


DR. SERVATIUS: Was ist die »Releve«?


SAUCKEL: Die »Releve« war ein Abkommen zwischen der Französischen Regierung und meiner Dienststelle dahingehend, daß für drei französische Arbeiter, die nach Deutschland kamen, ein französischer Kriegsgefangener durch den Führer für seine Heimat freigegeben und beurlaubt wurde, also nach Hause zurückkehrte.


DR. SERVATIUS: Auf wessen Veranlassung wurde dieses Abkommen getroffen?


SAUCKEL: Dieses Abkommen wurde auf Veranlassung eines Gespräches zwischen dem französischen Ministerpräsidenten und mir getroffen. Ich hatte von mir aus sehr viel Verständnis dafür, weil ich ja im vorigen Weltkrieg selbst fünf Jahre hinter Stacheldraht gesessen hatte.

DR. SERVATIUS: War es eine Erleichterung für die Gefangenen? Sie kamen nach Hause?


SAUCKEL: Sie kamen nach Hause.


DR. SERVATIUS: Und wie wurde das aufgenommen von der Zivilbevölkerung, vor allen Dingen also von den Arbeitern, die nach Deutschland mußten?


SAUCKEL: Ja, das war ja ein Akt der Kameradschaft. Soweit ich Berichte bekommen habe, wurde das sehr günstig aufgenommen.


DR. SERVATIUS: Traten dann praktisch hierdurch an Stelle eines Kriegsgefangenen drei Arbeiter in die Gefangenschaft?


SAUCKEL: Nein, sie bewegten sich ja in Deutschland genau so wie die übrigen französischen Arbeiter vollkommen frei, wie die deutsche Bevölkerung.


DR. SERVATIUS: Mußten sie auf unbegrenzte Zeit kommen?


SAUCKEL: Nein, nach ihrem Vertrag wie die anderen Arbeiter.


DR. SERVATIUS: Wie lange war die Durchschnittsdauer des Vertrages?


SAUCKEL: Dreiviertel Jahre.


[60] DR. SERVATIUS: Dann war es so, daß nach dreiviertel Jahren sowohl die Kriegsgefangenen als auch die Arbeiter wieder zu Hause sein konnten?


SAUCKEL: Jawohl. Dieser ständige Umtausch machte ja immer neue Verhandlungen und Vereinbarungen mit der Französischen Regierung notwendig, denn sie mußten ja auch immer wieder ersetzt werden.


DR. SERVATIUS: Wurden diese Verhandlungen unter einem gewissen Druck geführt?


SAUCKEL: Nein, ich bitte, am besten dafür Zeugen zu hören. Sie wurden auf freier diplomatischer Grundlage geführt.


DR. SERVATIUS: In welchem Umfange wurde diese »Releve« nun durchgeführt, in sehr großem? Oder war sie eng?


SAUCKEL: Sie wurde durchgeführt auf der Grundlage von 250000 Arbeitern, die nach Deutschland sollten.


DR. SERVATIUS: Von der Französischen Anklage wird im Regierungsbericht gesagt, man habe nur Kranke und Schwache geschickt, die sowieso nicht arbeiten konnten. Wie ist es damit?


SAUCKEL: Nach meinem Wissen sind französische kriegsgefangene Soldaten zurückgeschickt worden. Die Rücksendung und die Auswahl dieser Soldaten unterlag mir nicht, sondern dem General für das Kriegsgefangenenwesen. Ich halte es für möglich, daß man natürlich auch kranke Soldaten auf diese Weise in ihre Heimat auf Grund ihres Wunsches zurückbeförderte, aber bestimmt war es nicht die Absicht, nur kranke oder nur ältere Soldaten zurückzuschicken, sondern Soldaten; das war der Grund des Abkommens.


DR. SERVATIUS: Nun ist ein zweites Verfahren gewählt worden, das erleichterte Statut, das die Franzosen »Transformation« nennen. Was war das für eine Regelung?


SAUCKEL: Das erleichterte Statut war ein drittes Abkommen, das folgendes beinhaltete: Daß in Deutschland französische Kriegsgefangene dieselben Verträge und dasselbe Statut bekamen, wie die übrigen französischen Zivilarbeiter.


DR. SERVATIUS: Wenn ein neuer französischer Arbeiter nach Deutschland kam? Es war also das Verhältnis 1:1?


SAUCKEL: 1:1.


DR. SERVATIUS: Mußte dieser französische Arbeiter sich auf die Dauer verpflichten oder war auch hier die Zeit begrenzt?

SAUCKEL: Genau dasselbe wie bei der »Releve«.


DR. SERVATIUS: Wurde dieses Statut von den französischen Soldaten begrüßt oder als unbillig empfunden?


[61] SAUCKEL: Es wurde nicht als unbillig empfunden, es wurde begrüßt, je nach der Einstellung des betreffenden Soldaten. Ein wesentlicher Teil lehnte es ab, ein anderer Teil hat es sehr gerne angenommen, denn es war ja damit verbunden, daß er einen hohen Lohn bekam und sämtliche Freiheiten außerhalb des Stacheldrahtes und dergleichen. Ich habe selbst miterlebt, wie ein ganzes solches Lager sich diesem Statut angeschlossen hat. Es kam dadurch zum Ausdruck, daß die Tore und der Stacheldraht beseitigt wurden. Das Gefangenenstatut wurde aufgehoben, und es gab auch sonst keine Bewachung mehr.


DR. SERVATIUS: Durften diese nun zu Arbeitern gewordenen Gefangenen auch nach Hause fahren?


SAUCKEL: Das geht aus meinen Dokumenten hervor, daß sie nach Hause fahren durften.


DR. SERVATIUS: Haben sie einen Urlaub bekommen?


SAUCKEL: Urlaub haben sie bekommen. Ein großer Teil ist zurückgekehrt, ein ebenso großer Teil ist nicht mehr zurückgekehrt.


DR. SERVATIUS: Ich beziehe mich hier auf das Dokument RF-22, deutscher Text, Seite 70 des französischen Regierungsberichtes, wo dies zugegeben wird. Es heißt dort, daß die Gefangenen Heimaturlaub zu Beginn dieser Umwandlung bekamen und dann wörtlich:

»Die Unglücklichen kehrten aber nicht zurück und darum wurde dieses Verfahren eingestellt.«


[Zum Zeugen gewandt:]


Haben Sie den Begriff »Indirekte Zwangsarbeit« schon gehört?

SAUCKEL: Nein. Ich bitte mir das zu erläutern.

DR. SERVATIUS: Es ist in dem französischen Bericht ein Begriff geschaffen worden für die Arbeiter, die nun in Frankreich in Rüstungsbetrieben arbeiteten, so daß der Erfolg der Arbeit Deutschland zunutze kam.

Damit hat Sauckel nichts zu tun.

Dieser französische Bericht, der sich sehr eingehend von der wirtschaftlichen Seite mit dem Arbeitseinsatz befaßt, sagt, es wäre nach einem wohldurchdachten, geschmeidigen System vorgegangen worden, indem zunächst freundlich verhandelt und dann zu Schärferem übergegangen wurde, je nach dem Verhalten angepaßt.


[Zum Zeugen gewandt:]


War hier ein Plan festgelegt? Hatten Sie irgendwelche Anordnungen hier durchzuführen oder nach welchem System wurde vorgegangen?

SAUCKEL: Ich möchte bitten, mich zu dieser Frage äußern zu können. Ein Plan dieser Art, wie Sie ihn hier aufzeichnen, hat [62] niemals vorgelegen. Das einzige, was vorgelegen hat, das ist mein Programm, das ich aufgestellt habe und das dem Gericht vorliegt. Zu dem muß ich mich bekennen mit allen Konsequenzen, die es für mich hat. Dafür übernehme ich die Verantwortung auch für meine Beamten. Dieses Programm habe ich in meinen Anordnungen, die ebenfalls lückenlos vorliegen, zur Durchführung gebracht. Die Entwicklung dieses Krieges hat mir nicht gestattet, eine Überlegung zu treffen, so wie es nunmehr post faktum naheliegt, daß man sie konstruiert. Wir selbst haben ja im Entwicklungsfluß dieses Krieges gestanden und sind selbst nicht zur Besinnung für solche Überlegungen gekommen.

DR. SERVATIUS: Was waren in Frankreich die Sperr- und Ausnahmebetriebe?

SAUCKEL: Die Sperrbetriebe waren Betriebe, die zwischen Reichsminister Speer und, ich glaube, dem französischen Wirtschaftsminister Bichelonne, verabredet waren, also Betriebe, die zum Teil für deutsche Rüstung, zum Teil für deutsche Zivilversorgung arbeiten sollten und die von der Wertung meiner Dienststellen ausgeschlossen sein sollten.


DR. SERVATIUS: Wie hoch war nun die Zahl der Arbeitskräfte, die überhaupt aus dem Ausland nach Deutschland gebracht worden sind?


SAUCKEL: Die Zahl der Arbeitskräfte, die aus dem Ausland nach Deutschland gebracht worden sind, könnte nach den sorgfältigen Schätzungen und Registrierungen des Statistischen Amtes im Reichsarbeitsministerium auf etwa rund fünf Millionen beziffert werden.


DR. SERVATIUS: Bestimmten Sie nun, wieweit Arbeitskräfte eingesetzt werden sollten und was hereinzubringen war?


SAUCKEL: Nein, das konnte ich ja gar nicht bestimmen, denn ich war ja nicht die deutsche Wirtschaft, und ich konnte ja von mir aus nicht den Umfang der Wirtschaftsrüstung und landwirtschaftlichen Programme festlegen.


DR. SERVATIUS: Nun gab es neben dem laufenden Bedarf, den Sie zu decken hatten, ja auch sogenannte Programmforderungen des Führers. Trifft das zu?


SAUCKEL: Ja, denn der Führer stellte ja die Rüstungsprogramme auf, soweit ich unterrichtet bin.


DR. SERVATIUS: Sie haben mir hier vier Programme angegeben. Ich lese die Zahlen einmal vor, vielleicht bestätigen Sie sie:

Das erste Programm im April 1942: Es wurden gefordert 1,6 Millionen und wurde erfüllt mit 1,6 Millionen, davon Ausländer ebenfalls 1,6 Millionen.

[63] Das zweite Programm im September 1942: 2 Millionen, erfüllt 2 Millionen, davon Ausländer 1 Million, also nur die Hälfte.

Dann im Jahre 1943: Gefordert 1 Million, erfüllt 1 Million, davon Ausländer 1 Million.

Dann das letzte Programm am 4. Januar 1944: Vom Führer gefordert 4 Millionen, erfüllt mit 0,9 Millionen.


SAUCKEL: Darf ich Sie berichtigen? Die Zahl ist falsch, es muß heißen: erfüllt mit 3 Millionen.


DR. SERVATIUS: Gefordert 4 Millionen, erfüllt 3 Millionen, und wieviel Ausländer davon?


SAUCKEL: 0,9 Millionen.


DR. SERVATIUS: Davon 0,9 Millionen Ausländer. Wieviel Arbeiter kamen davon aus dem Osten, wie viele aus dem Westen, wie viele aus den sonstigen Gebieten?


SAUCKEL: Ich kann das in genauen Zahlen natürlich ohne Unterlagen und Statistiken hier nicht angeben. Ich darf aber im Durchschnitt sagen, daß sich diese Anteile zu je 30 Prozent verteilen; der Osten ist wohl etwas stärker gewesen.


DR. SERVATIUS: Wie wurde der Bedarf ermittelt?


SAUCKEL: Der Bedarf wurde ermittelt durch die Forderungen der Bedarfsträger.


DR. SERVATIUS: Was waren das, Bedarfsträger?


SAUCKEL: Bedarfsträger, das waren das Wirtschaftsministerium, das Rüstungsministerium, das Landwirtschaftsministerium, das Handwerk, die Reichsbahn, der Bergbau und so weiter, alle großen Institutionen.


DR. SERVATIUS: Wem legten sie ihre Forderungen vor?


SAUCKEL: Sie legten ihre Forderungen gewöhnlich zugleich dem Führer und mir vor beziehungsweise bei den Sammelstellen, die im Vierjahresplan vorhanden waren.


DR. SERVATIUS: Das war die Abdeckung, wenn es sich um die Abdeckung ihrer Ansprüche handelte oder waren das die ersten Anforderungen?


SAUCKEL: Ja, ich sagte ja, das war verschieden. Die Anforderungen gelangten zu mir, sie gelangten fast immer zugleich zum Führer; der Führer mußte sie ja genehmigen.


DR. SERVATIUS: Welche Stellung hatte die Zentrale Planung?


SAUCKEL: Die Zentrale Planung war eine Stelle, in der vor allem meines Wissens die Rohstoffkontingente festgelegt wurden, aber in der auch Arbeits- und Arbeiterfragen besprochen wurden.


DR. SERVATIUS: Konnten Sie von dort Befehle bekommen?


[64] SAUCKEL: Ja, die an mich gestellten Forderungen mußte ich ja als Befehle auffassen, denn der Führer hat mich ja verpflichtet, die Forderungen der Kriegswirtschaft zu erfüllen.


DR. SERVATIUS: Gehörten Sie selbst zur Zentralen Planung?


SAUCKEL: Nein, ich wurde nur hinzugezogen, soweit Debatten, die den Arbeitseinsatz betrafen, dort zur Tagesordnung standen.

DR. SERVATIUS: In welchem Verhältnis stand nun Ihre Dienststelle zu der Dienststelle Speer?


SAUCKEL: Meine Dienststelle stand zu der Dienststelle Speer so, daß die Forderungen Speers zu erfüllen waren.


DR. SERVATIUS: Hatte Speer einen eigenen Arbeitseinsatzapparat?


SAUCKEL: Ja, den mußte er ja innerhalb seines Ministeriums haben, hat er auch gehabt; das ist ja wesentlich.


DR. SERVATIUS: Konnten Sie die Anforderungen, die an Sie gestellt wurden, nun alle decken?


SAUCKEL: Nein.


DR. SERVATIUS: Waren die Arbeitsreserven erschöpft?


SAUCKEL: Nach meiner Überzeugung, ja. Ich habe ja bereits im Jahre 1943, es war das ja mit ein Zweck meines Manifestes, darauf hingewiesen, denn es waren ja auch die wirtschaftlichen Aufgaben der besetzten Gebiete selbst außerordentlich beachtlich. Sie mußten sichergestellt und geordnet werden, sie durften ja nicht durcheinander gehen.


DR. SERVATIUS: Was waren noch für Arbeitsreser ven in Deutschland vorhanden?


SAUCKEL: In Deutschland waren ab 1943 keine ernsthaft einsetzbaren Arbeitsreserven mehr vorhanden. Es haben hier sehr viele Diskussionen darüber stattgefunden, aber der Hauptbedarf an Arbeitskräften bestand ja vor allem in Facharbeitern, in Bergarbeitern und Schwerarbeitern.


DR. SERVATIUS: Und wieweit waren Arbeitsreserven in Frankreich, die man holen wollte?


SAUCKEL: Ja, ich muß sagen, von unserem Standpunkt aus gesehen und nach unserer wirtschaftlichen und arbeitsmäßigen Beurteilung waren in den besetzten Gebieten sehr reichliche Arbeitskräfte und Reserven vorhanden.


DR. SERVATIUS: Sie meinen also, daß, im Vergleich gesehen, die Wirtschaftskräfte Deutschlands mehr erschöpft waren als in den besetzten Gebieten?


[65] SAUCKEL: Ich darf das vielleicht durch einen Vergleich zum ersten Weltkrieg demonstrieren? Im ersten Weltkrieg waren im deutschen Arbeitseinsatz etwa eingesetzt zwischen 10 und 12 Millionen deutsche Menschen, in diesem Weltkrieg etwa 25 Millionen Menschen, deutsche Männer und Frauen, davon über die Hälfte Frauen. Es wurden im Arbeitseinsatz, das darf ich mit bemerken, in Deutschland nicht mitgezählt alle die Frauen, die etwa im Roten Kreuz oder in sonstigen Betreuungsstellen, in der Volkswohlfahrt und so weiter ständig tätig waren; die konnten in meinen Statistiken nicht mitgeführt werden. In anderen Ländern sind sie mitgeführt worden.


DR. SERVATIUS: Ich habe nun eine abschließende Frage: Wenn Sie Ihre Tätigkeit als Bevollmächtigter für den Arbeitseinsatz vom heutigen Standpunkt betrachten, wie stehen Sie dann zur Frage des Arbeitseinsatzes von ausländischen Kräften überhaupt?


SAUCKEL: Diese Frage ist von mir sehr schwer zu beantworten. Ich selbst und das ganze deutsche Volk haben und mußten auf dem Standpunkt stehen, daß dieser Krieg vom deutschen Volk – und ich darf hier und muß hier um der Wahrheit willen auch die Partei einschließen – weder gewünscht noch veranlaßt war. Wir standen auf dem Standpunkt, für unser Volk unsere Pflicht tun zu müssen.


DR. SERVATIUS: Sie sollen keine ins Breite gehende Erklärung abgeben, sondern typisch auf die Frage des Arbeitseinsatzes eingehen, ob Sie selbst Ihre Tätigkeit heute für berechtigt ansehen oder nicht?


SAUCKEL: Von der Kriegslage und der deutschen Wirtschaftslage aus gesehen und so wie ich meinen Arbeitseinsatz aufgefaßt und durchzuführen versucht habe, habe ich ihn als berechtigt und vor allen Dingen als unabwendbar notwendig angesehen, denn dieses von uns besetzte Gebiet und Deutschland zusammen war wirtschaftlich ein unzertrennbares Gebiet.

Wir hätten ohne einen solchen Austausch der östlichen und westlichen Kräfte in Deutschland keinen Tag existieren können. Das deutsche Volk selbst war bis zum Äußersten in Arbeit eingesetzt.


DR. SERVATIUS: Ich bin mit der Vernehmung des Angeklagten als Zeugen fertig.


DR. ALFRED THOMA, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN ROSENBERG: Herr Zeuge! Hat das Ostministerium öfter versucht, die von Ihnen geforderten Arbeitskontingente herabzusetzen?


[66] SAUCKEL: Das hat nicht nur das Ostministerium versucht, das habe ich selbst versucht, sehr eingehend, beim Führer und bei allen Bedarfsträgern.


DR. THOMA: Ich möchte zu dem Dokument 054-PS, das die Mißstände bei der Werbung und bei dem Transport der Ostarbeiter schildert, noch einige Fragen stellen. Sind Sie gegen diese Mißstände, die hier aufgeführt worden sind, auch persönlich vorgegangen?


SAUCKEL: Ja, selbstverständlich. Ich bitte die Zeugen zu hören, die dazu kommen.

DR. THOMA: Ist Ihnen aufgefallen, daß dieser Bericht sich auf Stadt und Bezirk Charkow in der Ukraine bezieht, und wissen Sie, daß dieser ganze Bezirk sich nie unter der Zivilverwaltung des Ostministeriums befunden hat?


SAUCKEL: Ja, das weiß ich. Ich habe ja auch ausgeführt, daß das ein Bericht nicht an mich, sondern an eine Heeresstelle gewesen ist. Diese Heeresstelle hatte Ihre eigene Arbeitseinsatzabteilung gehabt, die ihr unmittelbar unterstanden hat.


DR. THOMA: Ist Ihnen in diesem Bericht der folgende Absatz aufgefallen, und zwar auf der ersten Seite:

»a) Mit wenigen Ausnahmen sind die Ukrainer, die im Reich in Einzelarbeit stehen, zum Beispiel in handwerklichen Kleinbetrieben, als landw. Arbeiter...«


SAUCKEL: Darf ich bitten, wo steht das?

DR. THOMA: Das steht auf Seite 1, der letzte Absatz:

»Überblicksmäßig durch das mit den Herren Besprochene und an Hand von Berichten Gelesene kann allgemein festgestellt werden:«


SAUCKEL: Welches? Das sind verschiedene Dokumente, die hier enthalten sind?

DR. THOMA: Natürlich meine ich 054-PS.

SAUCKEL: Welches?


DR. THOMA: Ich meine es ist der erste, zweite, dritte, – Absatz d, der zweite Absatz:


SAUCKEL: Ja, ich habe ihn gefunden.


DR. THOMA: Da heißt es also, daß die Ukrainer, die im Reich in Einzelarbeit stehen, »sehr zufrieden mit den Verhältnissen« sind.

»b) Sehr beklagen sich dagegen die in Gemeinschaftslagern untergebrachten Ukrainer.«

Stimmt das?

[67] SAUCKEL: Ja, ich habe ja bei meinen Ausführungen die Stelle zitiert, wonach der Briefschreiber auch festgestellt hat, daß das in den ersten Monaten der Fall gewesen ist; denn ich habe ja sofort eine Überprüfung der Lager und eine Verbesserung der Lager vornehmen lassen; ich bin so weit gegangen, den Reichsarbeitsminister zu veranlassen, eine neue Lagerordnung herauszugeben, alles in Verfolg dieser Beschwerden.

DR. THOMA: Sind Sie mehrfach persönlich in den besetzten Ostgebieten gewesen und haben dort unter anderem in Riga, Kowno, Shitomir zu den Verwaltungsführern gesprochen?


SAUCKEL: Ich habe nicht nur zu den Verwaltungsführern gesprochen, sondern ich habe ja auch in Rußland dieses Manifest zusammengestellt und herausgegeben; und das, was im Manifest steht, habe ich diesen Dienststellen dort in derselben Weise aufgegeben.


DR. THOMA: Ja. Aber ist es richtig, daß Sie dort die besondere Dringlichkeit des Führerauftrages betont haben?


SAUCKEL: Die besondere Dringlichkeit des Führerauftrages – das war ja meine Pflicht, dafür war ich ja da.


DR. THOMA: Das ist rechtlich nicht ganz glatt, denn ihre eigentliche Bevollmächtigung ging doch von Göring aus, als dem Beauftragten für den Vierjahresplan?


SAUCKEL: Ja, das ist richtig, das war ja ein Instanzenzug: Führer, Göring, Vierjahresplan. Das war die Reihenfolge.


DR. THOMA: Gut. Wenn Sie dann also immer von einem Führerauftrag sprachen, so wollten Sie doch da noch einen besonderen Druck dahintersetzen?


SAUCKEL: Nein. Diese Überlegung habe ich gar nicht gehabt. Es ist mir vom Führer aufgetragen worden, Herr Doktor, den Ausfall an deutschen Soldaten zu ersetzen; das waren Aufträge, die direkt vom Führer oder Göring an mich gegangen sind auf Grund der Anforderungen der Bedarfsträger.

DR. THOMA: Ist da ein schriftlicher Auftrag an Sie ergangen?


SAUCKEL: Ja, da sind auch schriftliche Aufträge ergangen.


DR. THOMA: Von Hitler persönlich?


SAUCKEL: Von Hitler und von Göring persönlich, von beiden.


DR. THOMA: Ist Ihnen erinnerlich, daß Sie mit Rosenberg eine Abmachung trafen, daß den Ostarbeitern in Deutschland nach ihrer Rückkehr in die Heimat Land zugeteilt werden sollte, um sie nicht gegenüber den Zurückgebliebenen zu benachteiligen?


SAUCKEL: Ja, das ist zwischen Rosenberg und mir festgelegt worden, das stimmt.


[68] DR. THOMA: Ist das in Vollzug gesetzt worden?


SAUCKEL: Inwieweit das in Vollzug gesetzt worden ist, kann ich nicht sagen, das war Aufgabe des Ostministeriums. Ich nehme an, soweit es möglich war.


DR. THOMA: Können Sie sich erinnern, daß Rosenberg dauernd für die Abschaffung des sogenannten Ostabzeichens eingetreten ist?


SAUCKEL: Für die Abschaffung des Ostabzeichens sind sowohl Rosenberg als auch ich eingetreten. Es liegt ein Brief des Reichsführers-SS vor, wo er das abgelehnt hat; es ist aber dann, ich weiß das genau, Ende 1943 oder Anfang 1944 gelungen, dieses Ostabzeichen zu beseitigen und durch ein nationales Abzeichen zu ersetzen, wie bei den anderen Ausländern auch.


DR. THOMA: Warum sollte dieses Ostabzeichen abgeschafft werden?


SAUCKEL: Das Ostabzeichen sollte aus verschiedenen Gründen abgeschafft werden, vor allem aber, um eine Herabminderung des Gefühls der Ostarbeiter selbst zu beseitigen, als wenn sie hier eine besondere Kennzeichnung tragen sollten.


DR. THOMA: Nun habe ich noch eine letzte Frage: Sie sagten, Sie entsännen sich nicht, außer den mit Rosenberg besprochenen Beschwerden andere erhalten zu haben. Nun sind zahlreiche Beschwerden bei der Zentralstelle für die Ostvölker mit der DAF laufend untersucht worden. Hat Ihnen die DAF darüber Bericht erstattet?


SAUCKEL: Die DAF hat mir Bericht erstattet, daß sie im Sinne meiner Anordnungen überall Unzulänglichkeiten und Mißstände abstellte, wo sie sie angetroffen hat. Dazu war sie ja verpflichtet; Sie mußte sich aber, um diese Mißstände abzustellen, nicht an mich wenden, sondern an die Abteilung Gewerbeaufsicht beim Reichsarbeitsminister, die hierfür zuständig war.


DR. THOMA: Haben Sie sich vergewissert, ob die Gewerbeaufsicht die Mißstände abgeschafft hat?


SAUCKEL: Ich habe ja dort meine eigene Inspektion eingerichtet, wie sie von Dr. Servatius gekennzeichnet worden ist. Die Gewerbeaufsicht aber war die einzige autorisierte Stelle, die gesetzesmäßige Vollmachten hatte, ihrerseits Zwangsmittel anzuwenden; ihr Aufsichtsorgan war der Reichsarbeitsminister, der ja voll im Dienst war.


DR. THOMA: Ich habe keine weiteren Fragen. Danke schön.


VORSITZENDER: Was ist das Ostabzeichen, von dem Sie gesprochen haben?


SAUCKEL: Das Ostabzeichen bestand aus einem blaugeränderten Viereck mit der blauen Inschrift »Ost«. Es sollte oder mußte auf [69] Veranlassung des Reichsführers-SS zuerst auf der rechten Brustseite getragen werden und später auf dem Ärmel; ganz spät noch ist dann auf meine Veranlassung ein nationales Abzeichen gewählt worden, ich glaube blau oder ähnlich, wie die russischen Farben, wie diese Leute es wünschten.

DR. OTTO NELTE, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN KEITEL: Herr Sauckel! Der Angeklagte Keitel und das Oberkommando der Wehrmacht sind von der Anklagebehörde mit dem Anklagepunkt: »Deportation von Zivilpersonen zum Zwecke des Arbeitseinsatzes« beschuldigt worden. Sie persönlich sind vor dem Prozeßbeginn auch darüber verhört worden, ob das OKW und Keitel als Chef OKW bei der Beschaffung, Anwerbung und Aushebung von Menschen in besetzten Gebieten beteiligt waren.

Eine Reihe von Unklarheiten, die das diesbezügliche Protokoll enthält, sind durch Ihre Vernehmung schon geklärt worden, insbesondere haben Sie auf die letzte Frage vom Kollegen Thoma klargestellt, daß der organisatorische Befehlsweg war: GBA, Vierjahresplan, Göring und Führer. Ist das richtig?


SAUCKEL: Das ist im großen für die Regel richtig.


DR. NELTE: Mir liegt daran, festzustellen, ob in diesen Befehlsweg zuständigkeitsgemäß das OKW eingeschaltet war oder der Führer in einer anderen Funktion als Oberkommandierender der Wehrmacht.


SAUCKEL: Ich selbst bin nicht Soldat gewesen und habe im einzelnen die Organisation des OKW und des OKH nicht gekannt; es war auch für einen Laien oft schwer, diese Dinge auseinanderzuhalten. Richtig ist, daß für die Erfassung der Arbeiter in den besetzten Gebieten, die Heeresgruppen unterstanden haben, das Oberkommando des Heeres zuständig gewesen ist. Es mußten also Arbeitsverordnungen für besetzte Gebiete, die unter der Hoheit des Heeres gestanden haben, durch eine Verordnung oder durch Gesetze des Generalstabs des Heeres erlassen werden.


DR. NELTE: Sie meinen wahrscheinlich Generalquartiermeister des Heeres, ja?


SAUCKEL: Der Generalquartiermeister war meines Wissens der Nachgeordnete des Oberbefehlshabers des Heeres.


DR. NELTE: Sie wollen also damit sagen, daß das OKW und der Angeklagte Keitel für die Frage der Erfassung, also für die Frage der Beschaffung, Anwerbung, Aushebung der Arbeitskräfte in besetzten Gebieten keinerlei zuständige Funktionen hatte?


SAUCKEL: Er hatte für diese Frage keinerlei zuständige Funktionen. Ich bin mit dem Feldmarschall Keitel dadurch in Verbindung gekommen, daß der Führer mich des öfteren beauftragt [70] hat, den Feldmarschall Keitel zu bitten, die Vermittlung seiner Aufträge an die Heeresgruppen telephonisch oder durch Anweisungen weiterzugeben.


DR. NELTE: Wie war es nun mit der Frage des Arbeitereinsatzes? Hatte das Oberkommando der Wehrmacht und insbesondere der Angeklagte Keitel als Chef des OKW, eine zuständige Funktion für die Frage des Arbeitereinsatzes in der Heimat?


SAUCKEL: Nein, denn der Einsatz der Arbeiter erfolgte ja in den Wirtschaftszweigen, für die sie angefordert waren, und die hatten mit dem OKW nichts zu tun.


DR. NELTE: Danke sehr.


VORSITZENDER: Wünscht ein Anklagevertreter ein Kreuzverhör durchzuführen?


M. JACQUES B. HERZOG, HILFSANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: Angeklagter Sauckel! Sie sind im Jahre 1925 der Nationalsozialistischen Partei beigetreten, nicht wahr?


SAUCKEL: Ich habe der Nationalsozialistischen Partei zum erstenmal lose als einfaches Mitglied schon 1923 angehört und bin 1925 bei Neugründung der Partei ihr wieder beigetreten.


M. HERZOG: Aber von 1921 an haben Sie die nationalsozialistische Politik unterstützt?


SAUCKEL: Von 1921 an habe ich eine deutsche Politik unterstützt. Ich habe ja 1921 noch nicht der Partei angehört; sie war mir bekannt und ich habe mit ihr sympathisiert; das ist wohl der richtige Ausdruck.

M. HERZOG: Haben Sie nicht von dieser Zeit an Reden zugunsten des Nationalsozialismus gehalten?


SAUCKEL: Ich habe etwa von Mitte 1921 an für Deutschland Reden gehalten, nicht ausgesprochen für die Partei, im kleinsten Ausmaß, so wie mir das vom Herzen kam, in kleinen Zusammenkünften.


M. HERZOG: Sie waren Gauleiter, Mitglied des Landrates, Innenminister und Reichsstatthalter von Thüringen. Stimmt es, daß Sie in dieser Eigenschaft die Nazifizierung Ihres Gaues durchgeführt haben?


SAUCKEL: Ich war Ministerpräsident von Thüringen vom Jahre 1932 an, vom August und zugleich Innenminister.


M. HERZOG: Ich stelle die Frage noch einmal: Ist es richtig, daß Sie als Gauleiter und Reichsstatthalter von Thüringen die Nazifizierung Ihres Gaues durchgeführt haben?


[71] SAUCKEL: Die Nazifizierung, das ist ein Begriff, der mir weder geläufig war noch den ich für richtig halte. Ich habe für die Nationalsozialistische Partei geworben und mich für sie eingesetzt.


M. HERZOG: Waren Sie Obergruppenführer der SS?


SAUCKEL: Ich habe nicht richtig verstanden, der SS?

M. HERZOG: Sie waren SS-Obergruppenführer, nicht wahr?


SAUCKEL: Ich habe schon im Verhör ausgesagt, daß ich ehrenhalber Obergruppenführer der SS gewesen bin. Ich habe selbst niemals in der SS Dienst getan oder in der SS Funktionen ausgeübt.


M. HERZOG: Seit wann waren Sie Obergruppenführer der SS?


SAUCKEL: Nach meiner Erinnerung war ich Obergruppenführer der SS von 1934 an.


M. HERZOG: Und bis wann?


SAUCKEL: Bis zum Schluß.


M. HERZOG: Unter den Dokumenten, die Sie in Ihrem Dokumentenbuch vorgelegt haben, befindet sich das Dokument Sauckel Nummer 95, Seite 252 der französischen Übersetzung. Ich lese den folgenden Absatz vor:

»Meine lieben Volksgenossen! Unsere herrliche SA und SS, ein Jahrzehnt lang geschmäht und verfolgt als der Auswurf des deutschen Volkes, hat diese Revolution durchgeführt, sie gestützt und getragen in unerschütterlicher Disziplin.«

Ist das richtig...

VORSITZENDER: Woraus lesen Sie vor?

M. HERZOG: Von Dokument 95 aus dem Dokumentenbuch des Angeklagten, Dokument Sauckel Nummer 95, das gestern von dem Verteidiger vorgelegt wurde. Seite 252 der französischen Übersetzung. Es steht im dritten Dokumentenbuch des Angeklagten.

VORSITZENDER: Ja, fahren Sie fort.


M. HERZOG: Ich wiederhole meine Frage und lese:

»Meine lieben Volksgenossen! Unsere herrliche SA und SS, ein Jahrzehnt lang geschmäht und verfolgt als der Auswurf des deutschen Volkes, hat diese Revolution durchgeführt, sie gestützt und getragen in unerschütterlicher Disziplin.«

Bestätigen Sie diese Erklärung?

SAUCKEL: Ja, ich bitte, mir dann das Dokument im Kreuzverhör zu geben, daß ich dazu eingehend Stellung nehmen kann.

M. HERZOG: Dies ist also dem Dokumentenbuch, das Sie selbst unterbreitet haben, entnommen?


[72] SAUCKEL: Jawohl, es ist mir sehr wohl bekannt.


M. HERZOG: Entsprachen die Nürnberger Judengesetze Ihrer eigenen Überzeugung?


SAUCKEL: Die Gesetzgebung, wie sie den Nürnberger Gesetzen entspricht, war ja von mir nicht beeinflußt. Die Überzeugung, die ich habe, ist die, daß ein jedes Volk und jede Rasse das Recht hat zu existieren und den Anspruch hat, respektiert zu werden und geschützt zu werden durch sich selbst. Was ich für das eigene Volk in Anspruch nehme und genommen habe, ist genau dasselbe.


M. HERZOG: Haben Sie darauf geachtet, daß die Nürnberger Gesetze im Gau Thüringen genau eingehalten wurden?


SAUCKEL: Die Nürnberger Gesetze konnten in Thüringen Anwendung finden, soweit es sich für mich nur um die Eigenschaft von der Ernennung oder Absetzung von Beamten handelte; ich hatte selbstverständlich nach deutschen Gesetzen die Pflicht, das Gesetz durchzuführen. Es war mit diesem Gesetz weder eine Mißhandlung noch sonst eine andere unmenschliche Handlung verbunden, die ich durchzuführen gehabt hätte.


M. HERZOG: Haben Sie Hitlers Theorie über den Lebensraum zugestimmt?


SAUCKEL: Von Lebensraum hat der Führer in seinem Buch geschrieben. Inwieweit ich dem zustimmte oder nicht, kann meines Erachtens in diesem Prozeß nicht für mich zur Sprache gebracht werden, denn ich habe darauf keinen Einfluß gehabt, wie der Führer selbst das Wort »Lebensraum« auffaßte.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Sie die Frage, ob Sie der Theorie des Lebensraums zustimmen oder nicht, beantworten müssen.


SAUCKEL: Es sind mir die Ausführungen, die der Führer über den Begriff Lebensraum gemacht hat – das bitte ich mir zugute zu halten – nicht voll gegenwärtig. Ich möchte ausdrücklich betonen, daß ich nicht die Frage des Lebensraums mit der Durchführung von Kriegen und Angriffskriegen jemals gedanklich in Verbindung gebracht habe. Ich habe das auch nicht gedanklich weitergegeben, sondern der Begriff Lebensraum ist für uns vielleicht am besten gekennzeichnet gewesen durch die Tatsache, daß die europäische Bevölkerung sich in den letzten 100 Jahren verdreifacht hat von 150 Millionen auf 450 Millionen.


M. HERZOG: Waren Sie mit der Theorie des »Lebensraums« einverstanden oder nicht? Antworten Sie mir mit Ja oder Nein.


SAUCKEL: Ich habe der Theorie des »Lebensraums« nicht zugestimmt, wenn es sich um Angriffskriege gehandelt hätte.


[73] M. HERZOG: Waren Sie mit Hitlers Theorie der »Herrenrasse« einverstanden?


SAUCKEL: Ich könnte vielfältig nachweisen, daß ich die Betonung einer »Herrenrasse« persönlich und auch in Ansprachen stets abgelehnt habe. Ich stehe persönlich auf dem Standpunkt der Tüchtigkeit, aber nicht des Herrentums.


M. HERZOG: Dann waren Sie also nicht der Ansicht, daß die Außenpolitik des Deutschen Reiches von diesen zwei Grundsätzen geleitet werden sollte? Einerseits der Theorie des »Lebensraums« und andererseits der Theorie der »Herrenrasse«?


SAUCKEL: Ich habe schon meinem Verteidiger gegenüber zum Ausdruck gebracht, daß ich mich mit Außenpolitik nicht befaßt habe, nicht über sie informiert wurde, da ich kein Außenpolitiker bin.


M. HERZOG: Haben Sie nicht im Gegenteil alle außenpolitischen Maßnahmen gutgeheißen, und haben Sie nicht daran teilgenommen?


VORSITZENDER: Vielleicht brechen wir lieber jetzt ab; Sie können diese Frage morgen wiederholen.


[Das Gericht vertagt sich bis

30. Mai 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 15, S. 45-75.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Geschichte der Abderiten

Geschichte der Abderiten

Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«

270 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon