Vormittagssitzung.

[225] [Der Zeuge Dr. Wimmer im Zeugenstand.]


M. DEBENEST: Ich habe noch einige Fragen an den Zeugen zu richten. Zeuge, auf Grund der Antwort, die Sie gestern wegen der geplünderten und nach Deutschland verbrachten Bibliotheken gegeben haben, möchte ich Ihnen einige Zeilen aus einem Dokument vorlesen, das ich vorgestern dem Gerichtshof vorgelegt habe. Es ist dies Dokument F-803, RF-1525, Seite 34 im französischen Text.

Es ist dies ein Bericht des niederländischen Ministeriums für Kunst und Unterricht. Darin heißt es wie folgt:

»Die Sammlungen sowie auch die Bibliotheken des internationalen Instituts für Sozialgeschichte in Amsterdam wurden geschlossen. Die aus ungefähr 150000 Bänden bestehende Bibliothek sowie auch eine bedeutende Sammlung von Zeitungen wurden nach Deutschland verbracht. Die Bibliothek Rosenthaliana der Universität Amsterdam, die städtisches Eigentum war, wurde in 153 Kisten verpackt und nach Deutschland verbracht.

Berühmte Sammlungen auf dem Gebiet der Naturwissenschaften der Universität von St. Ignatius in Valkenburg und des Naturhistorischen Museums in Maastricht wurden mit den dazugehörigen Fachbibliotheken ebenfalls nach Deutschland verbracht.

Im Jahre 1940 wurde der gesamte Besitz der Freimaurerlogen beschlagnahmt und nach Deutschland überführt, darunter die berühmte Bibliothek Klossiana.«


VORSITZENDER: Herr Debenest! Haben Sie für Ihre Zwecke nicht schon genug vorgehalten? Uns liegt das Dokument schon vor, und Sie haben ungefähr ein halbes Dutzend Bibliotheken aufgezählt, von denen Sie vorhalten, daß sie nach Deutschland verbracht wären. Wahrscheinlich wollen Sie doch wissen, was er dazu zu sagen hat. Es ist nicht notwendig, in alle Einzelheiten zu gehen.

M. DEBENEST: Was halten Sie von diesem Bericht, Herr Zeuge? Entspricht er den Tatsachen?


WIMMER: Die von Ihnen gestellte Frage ist zum Teil gestern schon beantwortet worden, nämlich insoweit es sich um Besitz der Freimaurerlogen handelt. Da wurde gestern gesagt, und ich habe es bestätigt, daß mir bekannt ist, daß das Eigentum der [225] Organisationen, nicht aber der Individuen, die diesen Organisationen angehörten, in Beschlag genommen worden ist.


VORSITZENDER: Das ist keine Antwort auf die Frage. Die Frage lautete, ist es wahr, daß diese Bibliotheken nach Deutschland verbracht wurden?


WIMMER: Von der Wegschaffung der Bibliotheken ist mir nichts bekannt.


M. DEBENEST: Sie haben jedoch behauptet, daß die Bibliothek Rosenthaliana in den Niederlanden verblieben sei?


WIMMER: Die Rosenthaliana, das habe ich behauptet.


M. DEBENEST: Ja, die Rosenthaliana. In dem Bericht heißt es, daß die Bücher in 153 Kisten verpackt und nach Deutschland gebracht worden sind.


WIMMER: Meinen Sie die Rosenthaliana?


M. DEBENEST: Jawohl, die Rosenthaliana.


WIMMER: Jedenfalls weiß ich, daß die Weisung vom Reichskommissar gegeben worden ist, daß diese Bibliothek in Amsterdam zu bleiben hat. Sollte sie trotzdem weggekommen sein, so war es ein weisungswidriges Verhalten, von dem ich keine Kenntnis habe.


M. DEBENEST: Jedenfalls waren Sie doch mit dem Unterrichtswesen betraut oder zumindest mit der Kontrolle des Unterrichts in den Schönen Künsten beauftragt?


WIMMER: Jawohl, aber die Schönen Künste nicht.


M. DEBENEST: Aber was die Bibliotheken und die Hochschulen anbetrifft?


WIMMER: Ja.


M. DEBENEST: Es ist doch sonderbar, daß Sie davon nicht unterrichtet worden sind.


WIMMER: Daß die Bibliothek weggeschafft worden ist, weiß ich nicht.


M. DEBENEST: Gut, gehen wir weiter. Nach den von Ihnen gestern abend abgegebenen Erklärungen scheinen Sie behaupten zu wollen, daß der Reichskommissar zugunsten des holländischen Volkes alles getan hat, was in seiner Macht stand, nicht wahr?


WIMMER: Jawohl.


M. DEBENEST: Jedenfalls hat er stets alles getan, was er tun konnte, um das Schlimmste zu vermeiden, nicht wahr?


WIMMER: Ja.


M. DEBENEST: Andererseits wissen Sie, daß in diesem Lande zahlreiche Personen verhaftet, interniert, deportiert und erschossen wurden, daß diesem Volke unter Androhung schärfster Strafen und [226] Vergeltungsmaßnahmen auf allen Gebieten strenge Zwangsmaßnahmen auferlegt worden sind. Und Sie wissen, daß dieses Land geplündert wurde. Wer sind denn nun eigentlich diejenigen, die diese Verbrechen befohlen und begangen haben?


WIMMER: Ich habe gesagt, daß der Reichskommissar für das Land getan hat, was er konnte und verhindert hat, was er konnte. Daß in einer fünfjährigen Besatzungszeit Maßnahmen getroffen werden mußten, die für das Land schwer zu tragen gewesen sind, das habe ich nicht bestritten und ist auch unbestreitbar. Die.. ich würde Sie bitten, Ihre Frage konkreter zu formulieren und mir diejenigen Aktionen zu nennen, die Sie als Verbrechen bezeichnen. Die Frage ist zu allgemein gestellt, als daß ich sie mit Ja oder Nein oder sonst in Kürze beantworten könnte.


M. DEBENEST: Wer befahl die Verhaftungen?


WIMMER: Bitte?


M. DEBENEST: Wer befahl die Verhaftungen?


WIMMER: Welche Verhaftungen?


M. DEBENEST: Die Verhaftungen der Holländer natürlich.

WIMMER: Bitte?


M. DEBENEST: Die Verhaftungen der Holländer.


WIMMER: Die Verhaftungen wurden befohlen vom Höheren SS- und Polizeiführer. Das ist der Chef der Polizei gewesen.


M. DEBENEST: Wer befahl die Internierungen?


WIMMER: Welche Internierungen meinen Sie, meinen Sie die Internierungen in den Konzentrationslagern?


M. DEBENEST: In den Konzentrationslagern und in den Internierungslagern.


WIMMER: Die hat der Höhere SS- und Polizeiführer zu befehlen gehabt, das war in seinem Ressort.


M. DEBENEST: Wer suchte die Geiseln aus?


WIMMER: Die Polizei.


M. DEBENEST: Wer hat Rauter zum Kommissar für öffentliche Sicherheit ernannt?


WIMMER: Als Generalkommissar für das Sicherheitswesen wurde er vom Reichskommissar bestellt. Seine Hauptfunktion war aber die eines Höheren SS-und Polizeiführers. In dieser Funktion war er vom Reichsführer-SS bestellt.

M. DEBENEST: Aber, er wurde doch ernannt – ich nehme an, daß Sie die Verfügung kennen –, um dem Reichskommissar in der Durchführung der ihm übertragenen Polizei- und Sicherheitsaufgaben zu helfen.


[227] WIMMER: Er sollte dem Reichskommissar zur Verfügung stehen, aber der Reichskommissar hatte kein unbedingtes Weisungsrecht dem Höheren SS- und Polizeiführer gegenüber. Dieses Weisungsrecht stand dem Reichsführer-SS zu. Die Bestellung zum Generalsekretär für das Sicherheitswesen war eine formelle, und zwar erfolgte sie deswegen, weil der Reichsführer-SS den Wunsch hatte, daß der Höhere SS- und Polizeiführer auch diesen Titel trägt; ursprünglich sollte er nicht zum Generalkommissar ernannt werden.


M. DEBENEST: Sie sind also der Ansicht, daß Seyß-Inquart keinerlei Befehlsgewalt über Rauter hatte?


WIMMER: Jawohl.


M. DEBENEST: Gut. In diesem Falle werde ich Ihnen ein Dokument vorlesen, und Sie werden mir dann sagen, ob Sie dann der Ansicht sind, daß Seyß-Inquart keinerlei Befehlsgewalt hatte. Sie können mir dann alle Erklärungen geben, die Sie wünschen.


[Zum Gerichtshof gewandt:]


Es ist Dokument 3430-PS, das unter Nummer US-708 bereits eingereicht worden ist. Es ist ein Auszug aus einer Rede Seyß-Inquarts, die er in den Niederlanden gehalten hat. Die Stelle befindet sich auf Seite 124 und Seite 125 des deutschen Textes.

Dieser Text muß auch im Trialbrief Seyß-Inquarts zu finden sein. Ich weiß nicht genau wo, es muß jedoch Seite 57 oder Seite 58 sein.


[Zum Zeugen gewandt:]


Im Verlaufe dieser Rede, die Seyß-Inquart am 29. Januar 1943 gehalten hat, hat er folgendes gesagt:

»Ich werde meine Anordnungen geben. Sie müssen von allen strikte durchgeführt werden. In der heutigen Situation würde die Weigerung, eine solche Anordnung durchzuführen, nicht anders gewertet werden können, denn als Sabotage. Es ist ebenso klar, daß wir mehr denn je jeden Widerstand, der sich gegen diesen Existenzkampf richtet, unterdrücken müssen.«

Und weiterhin sagt er:

»In einem Augenblick, in dem unsere Männer, Väter und Söhne mit eiserner Entschlossenheit ihrem Schicksal im Osten entgegensehen und unerschütterlich und unerschüttert den höchsten Einsatz leisten, ist es unerträglich, Konspirationen zu dulden, die es sich zum Ziel setzen, den Rücken dieser Ostfront unsicher zu machen. Wer dies wagt, muß vernichtet werden.«

[228] Wenn Seyß-Inquart keine Autorität über die Polizei gehabt hätte, hätte er dann solche Reden halten und sagen können, daß er die Befehle erteilen würde?

WIMMER: Ich habe nicht gesagt, daß Seyß-Inquart gegenüber der Polizei keine Autorität besessen habe. Ich habe nur gesagt, daß die Befehle vom Höheren SS- und Polizeiführer erteilt worden sind. Das Verhältnis mit der Polizei, zur Polizei war folgendes:

Der Reichskommissar konnte sich selbstverständlich an die Polizei wenden, wenn er sie in irgendeinem Falle benötigte. Sein Wunsch war aber eben ein Wunsch und kein bindender Befehl. Die Polizei hat in solchen Fällen, wenn es sich um wichtigere handelte, zumindest vorher Fühlung genommen mit dem Reichsführer-SS beziehungsweise mit der Dienststelle des Reichsführers-SS, und nur wenn dort zugestimmt wurde, konnte ein Wunsch des Reichskommissars durch die Polizei durchgeführt werden.


M. DEBENEST: Die Frage ist weit einfacher: Konnte er- ja oder nein – Befehle in solchen Fällen, wie sie von ihm in seiner Rede angeführt wurden, erteilen? Er selbst sagt es.


WIMMER: Er konnte die Forderung stellen, aber keinen Befehl geben.

M. DEBENEST: Ich stelle fest, daß Sie mit dem Inhalt der Reden von Seyß-Inquart nicht übereinstimmen.

Ich komme jetzt auf ein anderes Dokument zu sprechen, und Sie werden mir sagen, wie Sie es sich erklären, daß Seyß-Inquart Ihrer Ansicht nach nur Forderungen stellen, wie Sie es sagen, und keine Befehle erteilen konnte.

Es ist Dokument F-860, das ich dem Gerichtshof gestern vorgelegt habe. Dieses Dokument ist ein Brief Seyß-Inquarts an Dr. Lammers.

In diesem Brief schreibt er, daß er die holländische Polizei reorganisieren wollte, um sie der Organisation der deutschen Polizei anzupassen. Er äußert in diesem Dokument die Ansicht, daß die Polizei der stärkste Ausdruck der inneren Verwaltung eines Landes sein müsse und die ihr deshalb nicht entzogen werden dürfte.

Das sagt Seyß-Inquart in dem Dokument. Wie können Sie nun Ihre Antwort mit dem in Einklang bringen, was Seyß-Inquart schreibt?


WIMMER: Was diese Reorganisation betrifft, diese Reorganisation ist nicht vom Reichskommissar angeregt worden, sondern sie ging von der Polizei selbst aus. Der Reichskommissar hat bei dieser Reorganisation, und ich selbst ebenfalls, versucht, möglichst dahin zu wirken, daß die niederländische Polizei wenigstens nicht völlig [229] von der Verwaltung getrennt wird, was in Deutschland im wesentlichen schon der Fall war und was die deutsche Polizei in den Niederlanden ebenfalls anstrebte.


M. DEBENEST: Ihre Aussagen stehen in Widerspruch zu dem, was Seyß-Inquart selbst in diesem Dokument schreibt.

Wie erklären Sie das, was der Angeklagte Seyß-Inquart an einer anderen Stelle dieses Dokuments schreibt:

»Nur möchte ich nicht den Höheren SS- und Polizeiführer ausdrücklich als Gerichtsherrn bestellen, denn diese Bezeichnung bedeutet den Holländern gegenüber eine Autoritätseinschränkung des Reichskommissars, die deshalb von besonderer Bedeutung ist, weil ja der Reichskommissar im Führererlaß als der Wahrer der Reichsinteressen bestellt wurde. Ich habe aber alle praktischen Vollmachten, die ein Gerichtsherr braucht, in der Verordnung selbst dem Höheren SS- und Polizeiführer übertragen.«


WIMMER: Ich bitte, mir die ersten beiden Sätze noch einmal zu lesen.

VORSITZENDER: Herr Debenest! Das Dokument liegt uns doch vor, nicht wahr?


M. DEBENEST: Ja, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Ich glaube, daß es sich kaum lohnt, mit dem Zeugen weiter darüber zu argumentieren.


M. DEBENEST: Ich bestehe nicht darauf, Herr Vorsitzender.


[Zum Zeugen gewandt:]


Wie erklären Sie weiterhin, daß Schöngarth – Sie haben gestern das Dokument gesehen, das Ihnen der Verteidiger vorgelegt hat, den Fragebogen Schöngarths –, wie erklären Sie sich, daß Schöngarth einen Tag nach dem Attentat auf Rauter sich zu Seyß-Inquart begeben hat und daß Seyß-Inquart ihm den Befehl erteilt hat – wie er im Dokument selbst erklärt – schärfste Vergeltungsmaßnahmen zu ergreifen dadurch, daß er 200 Gefangene erschießen läßt, um die Bevölkerung einzuschüchtern?

WIMMER: Ich habe gestern zu dieser Frage, ich glaube, erschöpfend Stellung genommen und alles mitgeteilt, was ich darüber weiß.

M. DEBENEST: Geben Sie bitte die Erklärung, die ich von Ihnen verlange.


WIMMER: Ich habe gestern erklärt, daß der Brigadeführer Schöngarth zu mir gekommen ist und mir, wenn ich es kurz sagen soll, die Angelegenheit so dar gestellt hat, daß vom Reichsführer-SS eine Zahl von über 500 Erschießungen verlangt worden ist, daß es[230] aber Schöngarth auf Hinweis und Rat und Bitte des Reichskommissars gelungen sei, die Zahl auf 200 herabzusetzen. Das sagte ich gestern.


M. DEBENEST: Sie behaupten, daß er, bevor er die Befehle von dem Reichskommissar bekam, er bereits Befehle von anderer Stelle erhalten hatte?


WIMMER: Nicht vom Reichskommissar, vom Reichsführer-SS.


M. DEBENEST: Ja, vom Reichsführer?


WIMMER: Ich kann nur sagen, daß mir der Brigadeführer Schöngarth die Sache so berichtet hat. Ich war nicht dabei, wie er mit dem Reichsführer-SS telephoniert hat.


M. DEBENEST: Gut. Haben Sie nicht selbst einer Versammlung beigewohnt, in deren Verlauf Geiseln ausgewählt wurden?


WIMMER: Einer Versammlung?


M. DEBENEST: Einer Versammlung, einer Besprechung, wenn Sie wollen.


WIMMER: Ja.


M. DEBENEST: Bei welcher Gelegenheit war das?

WIMMER: Ich entsinne mich, daß im Falle Rotterdam der Reichskommissar eine Besprechung mit den Generalkommissaren abgehalten hat und über die Angelegenheit Mitteilung gemacht hat.


M. DEBENEST: Haben Sie der Besprechung mit General Christiansen beigewohnt?


WIMMER: Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ich glaube, ja.


M. DEBENEST: Wissen Sie, was Seyß-Inquart im Verlauf dieser Besprechung gesagt hat? Kennen Sie seine Stellungnahme?


WIMMER: Er hat die Einstellung, daß die Absicht der Wehrmacht, 50 oder, wie ich gestern gehört habe, 25 Erschießungen durchzuführen, daß dies überspannt sei und undurchführbar, und ich habe auch darüber gestern bereits berichtet, daß der Reichskommissar nach wiederholten Vorstellungen die Wehrmacht bewegen konnte, daß sie zum Schluß nur an der... daß sie zum Schluß der Erschießung von fünf Geiseln zustimmte.


VORSITZENDER: M. Debenest! Das wurde alles schon mit Seyß-Inquart besprochen, nicht wahr?


M. DEBENEST: Ja.


VORSITZENDER: Und mit diesem Zeugen?

M. DEBENEST: Ja, Herr Vorsitzender, ich wollte nur feststellen, ob der Zeuge mit dem Dokument, das ich dem Gerichtshof vorgelegt habe, einverstanden war. Das ist alles.

[231] Ich bin mit meinen Fragen fertig, Euer Lordschaft!


VORSITZENDER: Wollen Sie ein Rückverhör anstellen, Dr. Steinbauer?


DR. STEINBAUER: Herr Präsident! Ich habe keine Fragen an den Zeugen zu stellen.


VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand]


DR. STEINBAUER: Ich rufe nun mit Zustimmung des Gerichts den Zeugen Dr. Hirschfeld auf den Zeugenstand.


[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Geben Sie bitte Ihren vollen Namen an.

ZEUGE DR. HEINZ MAX HIRSCHFELD: Heinz Max Hirschfeld.

VORSITZENDER: Sprechen Sie mir den folgenden Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. STEINBAUER: Herr Zeuge! Waren Sie, als am 12. Mai 1940 die Besetzung der Niederlande erfolgte, Generalsekretär des Wirtschafts- und Landwirtschaftsministeriums?


HIRSCHFELD: Bevor ich Ihre Frage beantworte, möchte ich erklären, daß ich lieber in der niederländischen Sprache gesprochen hätte, aber, um die Vernehmung nicht aufzuhalten, werde ich die Fremdsprache sprechen, die ich am leichtesten spreche, und in deutscher Sprache sprechen.


VORSITZENDER: Danke.


HIRSCHFELD: Was Ihre Frage anbelangt, kann ich Ja sagen.


DR. STEINBAUER: Führten Sie in der gleichen Eigenschaft die Geschäfte beider Ministerien bis zum Schluß der Besetzung?

HIRSCHFELD: Ja.


DR. STEINBAUER: Ist es richtig, daß der Reichskommissar bei der ersten Besprechung sämtlichen Generalsekretären erklärte, daß er eine loyale Pflichterfüllung erwarte, daß aber keiner einen Nachteil zu fürchten habe, wenn er zurücktrete?


HIRSCHFELD: Hierzu möchte ich sagen, daß die niederländischen Generalsekretäre, die von der Niederländischen Regierung den Auftrag hatten, in den Niederlanden zu bleiben, dem damaligen Reichskommissar erklärt haben, im Interesse des niederländischen Volkes in ihrem Amt zu bleiben, nachdem sie dazu die Genehmigung [232] bekommen hatten von dem Oberbefehlshaber der niederländischen Armee, welcher damals die Vollmachten der Niederländischen Regierung hatte. Auf die Frage des Reichskommissars haben wir unter der Voraussetzung bejahend geantwortet. Was seine Bemerkung anbelangt über »keine Nachteile zu bekommen, wenn wir zurücktreten würden«, haben wir geantwortet, daß das keine Rolle spiele bei unserer Entscheidung.


DR. STEINBAUER: Haben zurücktretende Generalsekretäre ihre Pension erhalten, so zum Beispiel Herr Trip als Präsident der Niederländischen Bank?


HIRSCHFELD: Ja.

DR. STEINBAUER: Ist der Generalsekretär des Innern, Frederiks, bis September 1944 im Amt geblieben?


HIRSCHFELD: Ja.


DR. STEINBAUER: Nun gehen wir zu Ihrem eigentlichen Ressort, zur Landwirtschaft und zur Wirtschaft über. Hat der Reichskommissar in die Verwaltung Ihres Ministeriums eingegriffen, insbesondere dadurch, daß er aus dem Ernährungsdienst Beamte entließ oder versetzte?


HIRSCHFELD: Der Reichskommissar persönlich hat nicht eingegriffen, seine Organe haben dies mehrmals versucht; es wurde von uns aber abgelehnt.


DR. STEINBAUER: Es gab ein sogenanntes staatspolitisches Sekretariat der NSB. Hat dasselbe einen Einfluß auf die Verwaltung erhalten?


HIRSCHFELD: Nach der Verordnung des damaligen Reichskommissars hatte dieses staatspolitische Sekretariat keinen Einfluß auf die niederländische Verwaltung. Ich möchte aber hinzufügen, daß durch die später stattgefundenen Ernennungen von NSB-Generalsekretären de facto eine derartige Einflußnahme stattfand in verschiedenen Ressorts. In meinem Ressort nicht.


DR. STEINBAUER: Hat der Reichskommissar den Leiter des Ernährungsdienstes, Louwes, der als deutschfeindlich bekannt war, im Interesse der Ernährung des Volkes gehalten?


HIRSCHFELD: Ich glaube, daß damals die niederländischen Beamten, die von der Regierung zurückgelassen wurden, im allgemeinen dieselbe Einstellung wie Herr Louwes hatten, aber Herr Louwes wurde in seinem Amte belassen.


DR. STEINBAUER: Obwohl verlangt wurde, daß er entfernt würde?


HIRSCHFELD: Dieses ist mir damals von Herrn van der Vense mitgeteilt worden.


[233] DR. STEINBAUER: Die gewerbliche Wirtschaft wurde neu geordnet. Ist dies durch eine Verordnung des Reichskommissars oder durch den Generalsekretär erfolgt?


HIRSCHFELD: Die Neuorganisierung der gewerblichen Wirtschaft wurde durchgeführt von... aus Anlaß einer Verordnung, die von mir unterschrieben war, obgleich ursprünglich ein Entwurf vorlag, der vom Reichskommissar unterschrieben werden sollte. Ich habe dies abgelehnt, weil ich der Meinung war, daß es sich hier um eine holländische Angelegenheit handelte, und wenn die Verordnung von mir unterschrieben wäre, daß dadurch der Gefahr einer deutschen Einflußnahme vorgebeugt werden konnte.


DR. STEINBAUER: Der Reichskommissar hat die Landwirtschaft in dem sogenannten Landstand organisiert. Hat dieser Landstand irgendwelche Exekutivvollmachten erhalten?


HIRSCHFELD: Der Landstand hat keine Exekutivvollmachten erhalten. Ich möchte hinzufügen, daß ich in einer persönlichen Unterredung dem Reichskommissar geraten habe, den Landstand nicht zustande zu bringen.


DR. STEINBAUER: Wurde die sogenannte Dienstpflichtverordnung 1941 in größerem Umfange überhaupt innerhalb der Niederlande angewendet?


HIRSCHFELD: Soweit mir bekannt, wurde die Dienstpflichtverordnung innerhalb der Niederlande nur wenig angewendet, desto mehr aber für die Hinausschickung niederländischer Arbeiter nach Deutschland.


DR. STEINBAUER: Es gab dann eine Aktion des Abzugs der wehrfähigen Bevölkerung, insbesondere aus Rotterdam, Den Haag. Wer hat diese Aktion durchgeführt?


HIRSCHFELD: Welche Aktion meinen Sie?


DR. STEINBAUER: Den Abzug der wehrfähigen Bevölkerung.


HIRSCHFELD: 1944?


DR. STEINBAUER: 1944.


HIRSCHFELD: Diese Aktion wurde von der Wehrmacht durchgeführt.


DR. STEINBAUER: Hat der Reichskommissar diese Aktion durch Ausstellung von Freischeinen, insbesondere in Ihrem Ressort, abgeschwächt?


HIRSCHFELD: Von den Ausstellungen von Freischeinen ist in der Zeit kaum etwas zu mir gekommen.


DR. STEINBAUER: Es sollten die Werft- und Hafenanlagen in Rotterdam und in Amsterdam gesprengt werden. Ist Ihnen die Stellung des Reichskommissars hierzu bekannt?


[234] HIRSCHFELD: Mir ist nur aus Äußerungen des Beauftragten des Reichskommissars, Völkers, in Rotterdam bekannt, daß dieser sich bei der Wehrmacht gegen diese Maßnahmen gestemmt hat.


DR. STEINBAUER: Ich bemerke hierzu, daß das Affidavit Völkers nicht eingelangt ist und zeitlich gar nicht auffindbar ist, daher habe ich diese Frage hier jetzt gestellt.

Bestätigen Sie, daß durch die Intervention des Reichskommissars die Flächen, die überschwemmt werden sollten, um zirka 100000 Hektar vermindert wurden?


HIRSCHFELD: Mir ist bekannt, daß durch Intervention des Reichskommissars oder seiner Dienststellen die Flächen, die insbesondere in 1933 überflutet werden sollten, beschränkt wurden. Den genauen Umfang dieser Beschränkungen kenne ich nicht.


DR. STEINBAUER: 1943 muß es... Sie haben sich versprochen, Sie sagten 1933, es muß 1943...


HIRSCHFELD: 1943.


DR. STEINBAUER: Ist das möglich, daß diese Ziffer von 100000 Hektar stimmt?


HIRSCHFELD: Ich habe in Erinnerung, daß es vielleicht ungefähr die Hälfte sein könnte von dem, was die Wehrmacht damals an Überflutungen beabsichtigt hat.


DR. STEINBAUER: Ist es richtig, daß der Reichskommissar mit Rücksicht auf die Blockade eine rechtzeitige Umstellung der Landwirtschaft auf die Erzeugungswirtschaft von Lebensmitteln durchführte?


HIRSCHFELD: Als die Niederlande 1940 von der deutschen Invasion besetzt wurden, waren die Behörden, die sich mit der Landwirtschaft beschäftigten, selbst der Meinung, daß eine Umorganisierung der Landwirtschaft notwendig sei. Der Reichskommissar und seine Dienststellen haben uns in dieser Arbeit nicht entgegengewirkt.


DR. STEINBAUER: Ist es insbesondere richtig, daß der hochwertige Viehstand der Niederlande durch diese Maßnahmen erhalten blieb?


HIRSCHFELD: Der Viehstand der Niederlande ist in der Zeit der Besetzung meines Wissens nach um 30 Prozent rund vermindert worden. Diese Umstellungsmaßnahmen der Landwirtschaft haben es ermöglicht, diese... diesen Stand von 70 Prozent durch den Krieg zu ziehen, nachdem aber die Menge des Schweinebestandes weit stärker vermindert worden war und es notwendig war, die Bestände an Federvieh fast völlig abzuschlachten.


[235] DR. STEINBAUER: Es wurde hier ausdrücklich die Frage des Embargos vom September 1944 besprochen. Ich habe nur eine Frage an Sie:

Wann haben Sie mit dem Angeklagten Seyß-Inquart zum ersten Male wegen Aufhebung des Embargos gesprochen?


HIRSCHFELD: In der Beantwortung dieser Frage muß ich etwas zurückgehen, nämlich, als der Eisenbahnerstreik verkündet wurde, haben Herr Louwes und ich am 17. September 1944, Verzeihung, am 22. September 1944 einen Besuch gehabt von van der Vense, der im Auftrag des Reichskommissars uns mitteilte, daß er erwarte, daß Herr Louwes und ich einen Aufruf an die Eisenbahner richten würden, um im Interesse der Ernährung des Landes den Eisenbahnerstreik aufzugeben. Wenn wir das nicht tun würden, dann würden sofort Maßnahmen ergriffen, Gegenmaßnahmen, um die niederländische Bevölkerung im Westen des Landes sofort vor die Hungerfrage zu stellen. Wir haben dann eine solche Erklärung abgelehnt und van der Vense mitgeteilt, dem Reichskommissar zu übermitteln, daß Repressalien gegen die Bevölkerung im Zusammenhang mit dem Eisenbahnerstreik die Verantwortung für eine Hungersnot auf den Reichskommissar bürden würde. Das ist die entscheidende Besprechung gewesen. Trotzdem Team das Embargo. Daraufhin wurde bei den verschiedenen Dienststellen des Reichskommissars in dieser Angelegenheit protestiert, und am 16. Oktober 1944 fand eine erste Besprechung statt, in der mitgeteilt wurde, daß die Absicht bestünde, dieses Embargo aufzuheben.


DR. STEINBAUER: Ist es richtig, daß unglücklicherweise gerade in diesem Jahr die Frostperiode früher als in den sonstigen Jahren eintrat?

HIRSCHFELD: Vielleicht ist sie etwas früher eingetreten als in sonstigen Jahren, aber in Holland ist die Frage des Frostes immer eine unsichere Frage. Wir haben von der holländischen Seite – ich habe das selbst in einer Pressemitteilung getan – darauf hingewiesen, daß wir immer mit einem früheren Frost zu rechnen hätten.


DR. STEINBAUER: Als die Invasion drohte und ein Großteil der Bevölkerung zum Stellungsbau herangezogen wurde, hat nicht der Reichskommissar über Ihren Antrag bestimmt, daß ein Großteil der landwirtschaftlichen Arbeiter frühzeitig nach Hause entlassen wurde?


HIRSCHFELD: Mir sind zwei Fälle bekannt: Erstens handelt es sich um Arbeiter aus den großen Städten, welche nach den nordöstlichen Provinzen gingen, dort Kartoffeln zu roden, und dabei ist die Zusage gemacht, daß diese Arbeiter nicht für den Stellungsbau in Betracht kämen. Diese Zusage wurde gehalten. Zweitens wurde [236] in der gleichen Zeit in der Provinz Trente eine größere Zahl von Arbeitern, die bereits... von Landarbeitern, die bereits bei dem Stellungsbau eingesetzt waren, für Kartoffelroden freigegeben.


DR. STEINBAUER: Ich habe leider über die Finanzfragen den Zeugen Fischböck nicht vernehmen können. Aber wissen Sie, daß Herr Trip, der wegen der Frage der Devisensperre zurückgetreten ist, im Einverständnis mit dem Wirtschaftsminister Funk durch den Reichskommissar in der Bank für Internationale Zahlungen belassen wurde?


HIRSCHFELD: Aus dieser Angelegenheit entsinne ich mich, daß Herr Trip die Absicht hatte, damals auch seine Demission zu nehmen als Mitglied des Verwaltungsrates der Internationalen Bank. Als dies bekannt wurde, war man auf der deutschen Seite scheinbar etwas erschrocken und ist die Frage an Herrn Trip gerichtet worden, diesen Posten... seine Demission nicht einzureichen. Ich weiß, er hat sie nicht eingereicht. Inwiefern und welche Hintergründe dabei waren, ist mir nicht aus eigener Erfahrung bekannt.


DR. STEINBAUER: Nun zwei letzte, aber außerordentlich wichtige Fragen. Wir haben einen Befehl der Reichsstellen unter dem Titel »Verbrannte Erde«. Derselbe ist tatsächlich im März 1945 für die Niederlande ergangen. Es hätten Schleusen, Schöpfwerke und Deiche zerstört werden sollen. Wissen Sie, welche Stellung der Reichskommissar in dieser so wichtigen Angelegenheit eingenommen hat, und haben Sie mit ihm über diese Frage gesprochen?


HIRSCHFELD: Diese Frage wurde zum erstenmal erörtert in einer Unterhaltung, die ich am 14. Dezember 1944 mit dem Angeklagten hatte. In dieser Unterhaltung hat er mir mitgeteilt, daß er mit Rücksicht auf die militärische Entwicklung befürchte, daß ein Auftrag zur Vernichtung des Westens des Landes eintreffen würde bei der Wehrmacht. Er hat damals mit mir darüber gesprochen, inwiefern es möglich sei, den westlichen Teil der Niederlande außerhalb der Kriegsereignisse zu halten. Diese Unterhaltung wurde am 7. Januar 1945 fortgesetzt. Aus Anlaß dieser Unterhaltung habe ich versucht, darüber Kontakt mit London zu bekommen. Es ist mir damals nicht gelungen, daraufhin eine Antwort zu bekommen. Diese Mitteilungen mußten damals durch Geheimsender gemacht werden. Ich habe nie feststellen können, ob es gelungen ist, auch eine durchzubekommen. Dann hat der damalige Reichskommissar mich am 2. April aufgesucht und mir Mitteilung gemacht über die Tatsache, daß der Befehl »Verbrannte Erde« eingetroffen sei und daß er aus diesem Anlaß einen Besuch bei Speer gemacht habe. Speer habe ihm damals erklärt, daß der Reichskommissar im zivilen Bereich diesen Befehl nicht durchführen brauchte. Speer könne aber für die Wehrmacht nicht einstehen, deshalb habe der Reichskommissar auch einen Besuch gemacht beim General Blaskowitz, [237] und Blaskowitz habe ihm geantwortet, Befehl sei Befehl, jedoch wenn ein Weg gefunden werden könne, diesem Befehl auszuweichen, wäre Blaskowitz bereit, dem zu entsprechen. Daraufhin hat der Reichskommissar mich gefragt, inwiefern ich Möglichkeiten sähe. Und diese Diskussion ist entstanden aus einer Mitteilung, die ich im April 1945 in der Form eines Telegramms nach London weitergeben konnte, und es ist mir auch bestätigt worden, daß diese Mitteilung in London eingetroffen ist. Daraus sind weitere Besprechungen entstanden.


DR. STEINBAUER: Die letzte Frage: Hat sich der Reichskommissar im Gegensatz zu den Zentralstellen mit den Vertrauensmännern der Widerstandsbewegung in Verbindung gesetzt, um praktisch den Krieg vorzeitig zu beenden?


HIRSCHFELD: Einige Tage nach der Unterhaltung am 2. April 1945 hatte ich ein Gespräch mit dem damaligen Beauftragten des Reichskommissars, Schwebel, der mir die Frage vorlegte, inwiefern der Reichskommissar eine Verbindung mit den Vertrauensmännern haben könne und ob einige von Herrn Schwebel bezeichnete Herren die geeigneten Herren dafür seien. Ich habe ihm das dann bestätigt.


DR. STEINBAUER: Ich habe sonst keine weitere Frage.


VORSITZENDER: Wünscht ein anderer Verteidiger Fragen zu stellen?

DR. FRITZ SAUTER, VERTEIDIGER DER ANGEKLAGTEN FUNK UND VON SCHIRACH: Ich bitte, einige Fragen an den Zeugen stellen zu dürfen.


[Zum Zeugen gewandt:]


Herr Dr. Hirschfeld! Sie haben vorhin berichtet, daß der frühere Präsident der Holländischen Staatsbank, Dr. Trip, im Verwaltungsrat der Bank für Internationale Zahlungen in Basel geblieben ist, auch nachdem er sein Amt als Bankpräsident in Holland niedergelegt hatte. Das haben Sie vorhin bestätigt. Nun würde ich mich interessieren, ist es Ihnen bekannt, daß speziell der damalige Reichswirtschaftsminister Funk sich sehr stark bei der Bank in Basel dafür eingesetzt hat, daß Dr. Trip in der Internationalen Bank in Basel verbleiben kann, obwohl an sich Dr. Trip zur Vertretung der holländischen Interessen nicht mehr befähigt gewesen wäre?

VORSITZENDER: Was haben wir damit zu tun, Dr. Sauter?

DR. SAUTER: Es ist bei der Vernehmung des Angeklagten Seyß-Inquart durch die Französische Anklagevertretung die Tatsache hervorgehoben worden, daß der frühere Präsident der Holländischen Staatsbank, Dr. Trip, zum Rücktritt gezwungen worden sei oder zurückgetreten sei, und man hat daraus dem Angeklagten Seyß-Inquart auch einen Vorwurf gemacht, und ich will als Verteidiger des Angeklagten Funk beweisen, daß der Angeklagte Funk sich [238] gerade für den Dr. Trip als Präsident der Niederländischen Staatsbank eingesetzt und sich bemüht hat, daß Dr. Trip auch in der Bank... in der Internationalen Bank von Basel verbleiben konnte. Insofern scheint mir das eine Rolle zu spielen.


VORSITZENDER: Dr. Sauter! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß das so abwegig und so geringfügig ist, daß es eine Zeitvergeudung wäre, wenn der Gerichtshof sich Derartiges anhörte.


DR. SAUTER: Gut, Herr Präsident, dann will ich eine andere Frage stellen.


[Zum Zeugen gewandt:]


Herr Zeuge! Ist Ihnen bekannt, daß zu der Zeit, als Dr. Funk Reichsbankpräsident war, die im Besitze von holländischen Kapitalisten befindlichen Reichsbankanteile abgelöst wurden und daß man in holländischen Kapitalistenkreisen allgemein anerkannt hat, daß diese Ablösung durch Dr. Funk in fairer und befriedigender Weise durchgeführt wurde?

HIRSCHFELD: Über die Ablösung von Reichsbank anteilen ist mir nichts bekannt

DR. SAUTER: Ist Ihnen etwas darüber bekannt, Herr Dr. Hirschfeld, wie sich Ihnen gegenüber Dr. Funk zur Frage der Behandlung der Clearingsschulden eingestellt hat?


HIRSCHFELD: Ich habe Funk seit Ausbruch des Krieges zwischen Holland und Deutschland überhaupt nicht gesprochen. Also er hat mich... sich mir gegenüber in der Kriegszeit gar nicht geäußert.


DR. SAUTER: Haben Sie von anderer Seite nicht erfahren, welchen Standpunkt Funk zur Frage der Behandlung der Clearingsschulden eingenommen hat?


HIRSCHFELD: Mir ist aus verschiedenen Mitteilungen bekannt und auch aus Veröffentlichungen in der Zeit, daß man deutscherseits diese Clearingsschulden als reale Schulden darstelle. Von holländischer Seite aus haben wir das aber niemals geglaubt, und wenn man die Entwicklung sah, als dieses Zentralclearing während des Krieges organisiert wurde, da kann man sich ohne weiteres als volkswirtschaftlicher Sachverständiger vergegenwärtigen, daß diese Schulden de facto keinen Wert repräsentieren können. Sie sind ja, wie aus den verschiedenen Angaben hervorgeht, im Laufe des Krieges auf mehr als 42 Milliarden Reichsmark angewachsen. Es ist zwar von dem Präsidenten der Niederländischen Bank, der von Seyß-Inquart eingesetzt wurde, in seinen Jahresberichten ein Vergleich zwischen Reichsmark und Pfund Sterling angestellt worden. Wir haben darüber in Holland nur gelacht.


[239] DR. SAUTER: Herr Dr. Hirschfeld! Sie sagten eben... Sie sprechen eben von dem Präsidenten der Niederländischen Staatsbank, der durch Seyß-Inquart eingesetzt wurde. Es war, glaube ich, Herr Rost van Tonningen?


HIRSCHFELD: Ja.


DR. SAUTER: Wissen Sie, daß der Angeklagte Funk, der damalige deutsche Reichsbankpräsident, sich große Mühe gab, die Einsetzung des Rost van Tonningen zu verhindern und dafür zu sorgen, daß der Dr. Trip im Amt als Präsident der Niederländischen Staatsbank verbleiben sollte?


VORSITZENDER: Das ist wieder dieselbe Frage, nicht wahr? Ist das nicht praktisch wieder dieselbe Frage, von der wir sagten, daß wir über sie nichts hören wollten, nämlich über Funks Unterstützung für Dr. Trip?


DR. SAUTER: Vorhin, Herr Vorsitzender, wenn ich das bemerken darf, habe ich die Frage stellen wollen, ob Funk sich dafür einsetzte, daß der Dr. Trip im Verwaltungsrat der Internationalen Bank in Basel verbleiben sollte, obwohl er tatsächlich nicht mehr zur Vertretung der holländischen Interessen bei dieser Bank berufen war. Diese Frage haben Sie als nebensächlich abgelehnt, und die jetzige Frage bezieht sich darauf, daß... ob Dr. Funk sich dafür eingesetzt hat, daß der Holländer Dr. Trip als Präsident der Holländischen Bank verbleiben sollte. Es ist das die letzte Frage, Herr Präsident, die ich zu stellen habe.


VORSITZENDER: Sehr gut, wissen Sie...


HIRSCHFELD: Ja. Ich möchte etwas dazu ausholen, weil es zum Verständnis dieser Angelegenheit notwendig ist, daß man weiß,...


VORSITZENDER: Bitte, fassen Sie sich kurz.


HIRSCHFELD:... daß man seitens des Reichskommissars und Dr. Fischböcks den Rost van Tonningen, obgleich es bekannt war, daß wir ihn in den Niederlanden als einen Verräter betrachteten, gefördert hat. Es ist, als damals Dr. Trip genötigt war, seinen Rücktritt zu beantragen, ist, wie mir damals von Wohlthat, dem deutschen Kommissar bei der Reichsbank, mitgeteilt wurde, in Berlin besprochen, und auf Grund dessen Mitteilung...


VORSITZENDER: Ja, aber ich glaube, die Frage lautete, ob Funk versuchte, Dr. Trip zum Präsidenten der Holländischen Nationalbank zu ernennen, als jener andere Mann von Seyß-Inquart ernannt wurde. Wissen Sie, ob Funk...


HIRSCHFELD: Ich weiß nur von Wohlthat, daß Funk das versucht hat und daß Göring die Entscheidung anders getroffen hat auf Vorschlag des Reichskommissars und Fischböcks.


[240] DR. SAUTER: Also jedenfalls, Sie bestätigen, daß Funk sich bemüht hat, den Holländer Dr. Trip im Amt als Präsidenten der Holländischen Staatsbank zu erhalten?


HIRSCHFELD: Ich bestätige das auf Grund einer Mitteilung von Wohlthat.


DR. SAUTER: Jawohl. Ich danke sehr. Ich habe sonst keine Fragen mehr, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Wünscht jemand ein Kreuzverhör?


M. DUBOST: Welcher Art waren die Befehle, die Ihnen die Niederländische Regierung hinterließ, als sie sich nach England begab?


HIRSCHFELD: Es handelte sich dabei um eine schriftlich formulierte Weisung der Niederländischen Regierung für sämtliche niederländische Beamten der Verwaltung. Diese Weisungen waren basiert auf den Grundlagen der Landkriegsordnung, der Haager Landkriegsordnung.


M. DUBOST: Diese Befehle gefährdeten also die deutsche Armee nicht?


HIRSCHFELD: Nein.


M. DUBOST: Dann erklären Sie bitte, wenn es Ihnen möglich ist, warum Holland ein besonderes Regime hatte; denn es war das einzige westeuropäische Land, das unmittelbar nach der Invasion einen Gauleiter erhielt.


VORSITZENDER: Wollen Sie bitte die Frage wiederholen. Der Übersetzer hat sie nicht verstanden.


M. DUBOST: Erklären Sie bitte, warum Holland sofort nach der Invasion einen Gauleiter erhielt; es war das einzige westeuropäische Land, in dem das der Fall war.


HIRSCHFELD: Wir haben die Ernennung eines Reichskommissars, welcher als Zivilverwaltungschef in den Niederlanden auftrat, seinerzeit aufgefaßt in dem Sinne, daß die Deutsche Regierung auch politische Absichten in den Niederlanden vertrat und nicht reine Absichten einer Besatzungsmacht.


M. DUBOST: Ihrer Ansicht nach wurde also Seyß-Inquart bereits am Tage nach der Invasion ernannt, weil die Deutsche Regierung die Absicht hatte, die nationalen Einrichtungen Hollands entgegen dem allgemeinen Recht abzuändern?


HIRSCHFELD: Wir haben die Überzeugung gehabt, die von der Erfahrung bestätigt wurde, daß alle möglichen nationalsozialistischen Einrichtungen in den Niederlanden eingeführt wurden und daß man den Versuch gemacht hat, sie den Niederlanden aufzuzwingen.


[241] M. DUBOST: Dieser Versuch wurde also gemacht?


HIRSCHFELD: Ja.


M. DUBOST: Stimmt es, daß während der Besetzung zahlreiche Mitglieder der holländischen Nationalsozialistischen Partei in der Führung der Polizei waren und die deutschen Befehle zur Verhaftung von Juden, von Mitgliedern der Widerstandsbewegung und von Geiseln durchführten?


HIRSCHFELD: Ja.


M. DUBOST: Als die holländische Polizei ihrerseits mit diesen Verhaftungen betraut wurde, tat diese dies nur deshalb, weil sie dazu gezwungen wurde?


HIRSCHFELD: Die Verhältnisse lagen so, daß alte niederländische Polizisten, wenn sie einmal an solchen Sachen teilgenommen haben, es getan haben, weil sie dazu gezwungen wurden. Es gab aber holländische Polizisten, welche von den deutschen Behörden ernannt waren, und das waren im allgemeinen Mitglieder der NSB; und diese haben zum Teil sich freiwillig solchen üblen Aufgaben zur Verfügung gestellt.


M. DUBOST: Stimmt es, daß man die Frauen und die Kinder derjenigen holländischen Polizeibeamten, die sich weigerten, die Befehle der deutschen Behörden durchzuführen, als Geiseln festgenommen hat?


HIRSCHFELD: Mir ist bekannt, daß in verschiedenen Fällen die Familien als Geiseln gefaßt wurden, wenn Polizeibeamte sich Befehlen widersetzten. Es ist weiter bekannt, daß dies nicht nur bei der Polizei geschehen ist, sondern auch in anderen Fällen.


M. DUBOST: Es wurde hier behauptet, daß die aus Arnhem entwendeten Diamanten alle in den Niederlanden wiedergefunden würden? Stimmt es?


HIRSCHFELD: Was war in Arnhem gestohlen? M.


DUBOST: Diamanten.


HIRSCHFELD: Diamanten. Die Sache der Diamanten ist ein typisches Beispiel, wie man sich an niederländischem Eigentum vergreifen wollte. Diese Diamanten lagen in einem Banksafe in Arnhem. Nach der Invasion in der Normandie wurden bereits Versuche von der deutschen Seite gemacht, dieser Diamanten habhaft zu werden, indem man von dem Direktor der niederländischen Behörde, die sich mit Diamanten befaßte, und später auch von mir, die Schlüssel zu den Banksafes verlangt hat.

Wir haben das abgelehnt, und dann wurden am Tage der Luftlandung bei Arnhem von der deutschen Wehrmacht diese Safes gesprengt. Bei dieser Sprengung hat man scheinbar nur die Hälfte [242] der Diamanten gefunden und diese in Berlin zur Reichsbank geschafft.

Dann hat, als ich in dieser Angelegenheit protestiert habe, Fischböck gesagt, sie seien nur zu treuen Händen in Berlin bei der Reichsbank hinterlegt worden. Ich habe dann von ihm verlangt, daß diese Diamanten zurückgegeben würden. Inzwischen wurde festgestellt, daß die Hälfte noch in Arnhem anwesend sein würde. Das Devisenschutzkommando hat dann wieder von mir die Schlüssel, die ich in meiner persönlichen Verwahrung hatte, abverlangt. Ich habe das verweigert und hatte dann wieder eine Besprechung mit Fischböck, dem diese Sache sichtlich unangenehm war, und Fischböck hat uns dann zugestanden, daß wir die verbleibenden Diamanten, die wir dann tatsächlich mit unseren eigenen Schlüsseln wieder in Arnhem gefunden haben, dem Eigentümer zurückerstattet haben. Die Hälfte, die aber in Berlin war, da war man nur bereit, sie zurückzugeben, falls sie wieder unter einem deutschen Verschluß im östlichen Teil der Niederlande in einer Bank hinterlegt würden. Ich habe dann von Fischböck die Freigabe ohne Vorbehalt verlangt. Dem konnte er scheinbar nicht zustimmen, und deshalb waren diese Diamanten nach der Befreiung der Niederlande nicht zurückgekehrt, und soweit ich informiert bin, sind sie heute noch nicht zurückgekehrt.


M. DUBOST: Hat Seyß-Inquart den 1000 Juden, die nach Theresienstadt deportiert wurden, ihr Eigentum zurückerstattet?


HIRSCHFELD: Was die Frage der Juden, die nach Theresienstadt deportiert wurden, anbelangt, ist mir bekannt, daß diese Leute auf Grund einer Zusage, die mein Kollege Frederiks bekommen hat, eine besondere Behandlung bekommen würden. Daß ihnen das Vermögen zurückerstattet wurde, ist mir nicht bekannt, und ich glaube es auch nicht.


M. DUBOST: Wurde ihnen ihr Vermögen zurückerstattet?


HIRSCHFELD: Das war beschlagnahmt. Ich habe nicht gehört, daß es ihnen zurückerstattet wurde.


M. DUBOST: Seyß-Inquart hat ausgesagt, daß im Februar 1941 400 Juden aus Amsterdam nach Mauthausen gebracht wurden als Vergeltungsmaßnahme dafür, daß ein Mitglied der NSB in Amsterdam von Juden ermordet wurde. Was können Sie zu diesem Zwischenfall sagen?


HIRSCHFELD: Mir ist bekannt, daß im Februar 1941 zwei Schwierigkeiten in Amsterdam waren. Eine Schwierigkeit, die bezog sich auf die Werftarbeiter, die man damals in einem Umfang, ich glaube 3000 Mann, zwangsweise nach Deutschland verschicken wollte. Es ist mir in einer Intervention bei Seyß-Inquart gelungen, das damals zu verhindern. Es hat aber Aufregung in Amsterdam aus diesem Anlaß gegeben. Und zweitens, daß damals bereits [243] Juden in Amsterdam verhaftet wurden, und das hat zu einem Streik Anlaß gegeben. Der Zwischenfall von diesen 400 Juden, worüber Sie sprechen, ist meiner Erfahrung nach nach dem Streik in Amsterdam erfolgt, weil man die Juden haftbar machen wollte für den Streik. Fischböck hat mir das damals selbst gesagt, und ich habe ihm damals gesagt, daß ich das nicht glaubte, daß das eine Ausrede sei.


M. DUBOST: Wenn ich Sie richtig verstehe, so wurden die Juden verhaftet, weil die Bevölkerung Amsterdams gegen ihre Deportierung war. Es hat Demonstrationen und Aufstände gegeben, in deren Verlauf ein Mitglied der NSB getötet wurde. Die Juden wurden also nicht als Vergeltung für den an NSB-Mitgliedern verübten Mord deportiert, sondern die NSB-Leute sind in dem Augenblick getötet worden, als man im Begriffe war, die Juden ohne jeglichen Gedanken an eine Vergeltung zu verhaften.


HIRSCHFELD: Ich erinnere mich aus diesen Tagen, daß die Amsterdamer Arbeiterschaft sich widersetzte als man damals Juden verhaften wollte, und daß das zu Unregelmäßigkeiten in Amsterdam und zu dem Streik geführt hat. Wie es sich genau ergeben hat, das ist mir nicht aus Erfahrung bekannt.


M. DUBOST: Hat Seyß-Inquart die Ausgabe von Lebensmittelkarten an Arbeiter untersagt, die sich einer Verschickung nach Deutschland entzogen?


HIRSCHFELD: Als im Mai 1943 die sogenannten Jahrklassen aufgerufen wurden für den Arbeitseinsatz nach Deutschland, ist am 6. Mai eine Weisung an die zuständigen niederländischen Behörden ergangen, in welcher Weisung mitgeteilt wurde, daß Arbeiter, die für diese Jahrklassen aufgerufen würden, keine Lebensmittelkarten mehr erhalten dürften. Das ist in einem Erlaß vom 6. Mai 1943 herausgegeben, unterschrieben von einem Beamten des Reichskommissariats namens Effger. Wir haben diese Weisung bekommen, und obgleich sie uns erreichte in dem Moment, wo Standrecht galt, ist diese Weisung von den niederländischen Behörden nicht durchgeführt worden. Das Argument, was von den damaligen deutschen Behörden geäußert wurde, kam praktisch darauf hinaus: »Wer nicht für Deutschland arbeitet, bekommt kein Essen.«


M. DUBOST: Seyß-Inquart hat behauptet, daß die Holländer, die bis 1942 zur Arbeit nach Deutschland gegangen sind, alle Freiwillige waren. Stimmt das?


HIRSCHFELD: Nein, es konnten nicht alle Freiwillige sein, denn die Arbeitslosen in den Niederlanden bekamen eine Arbeitslosenunterstützung, und kurz nach der Besetzung wurde eine Weisung herausgegeben, daß Leute, welche geeignet seien für Arbeitseinsatz in Deutschland und die sich diesem Arbeitseinsatz [244] freiwillig verweigerten, keinen Anspruch mehr auf die Arbeitslosenunterstützung hatten. Sie standen also unter einem wirtschaftlichen Druck.


M. DUBOST: Es wurde hier sehr lange erörtert, ob Rauter Seyß-Inquart unterstellt war oder nicht. Wissen Sie das?


HIRSCHFELD: Nach unserem Wissen in den besetzten Gebieten war Rauter von Seyß-Inquart eingesetzt im Anfang Juni 1940 als Generalkommissar für das Sicherheitswesen. Es ging aus keiner Verordnung, die damals bekannt war, hervor, daß der Rauter irgend eine Sonderstellung hatte; denn aus dem Erlaß des Deutschen Reichskanzlers vom 18. Mai 1940 ging für uns Niederländer klar hervor, daß der Reichskommissar der einzige verantwortliche Mann in den Niederlanden war für die Besatzungsmacht im zivilen Bereich, und erst viel später aus Gesprächen ist es mir und vielleicht anderen Leuten, die besser informiert worden waren, klar gewesen, daß der Rauter direkte Befehle bekam von Himmler oder von dem Reichssicherheitshauptamt; aber die Bevölkerung der Niederlande konnte dieses nicht wissen.


M. DUBOST: Sie wissen wahrscheinlich, welche Wirkung die Aufhebung der Devisenkontrolle auf die holländische Wirtschaft hatte, nicht wahr?


HIRSCHFELD: Ja, ich will den Versuch machen, in ein paar Worten diese Sache zu schildern: Bei Kriegsausbruch gab es ein Clearing, also ein Verrechnungsabkommen zwischen den Niederlanden und Deutschland. Das gab uns niederländischen Behörden im Anfang der Besetzung die Möglichkeit, eine besondere Kontrolle auszuüben für Warenlieferungen und dergleichen nach Deutschland, weil wir nicht nur eine Grenzkontrolle von Zollbeamten hatten, sondern auch Zahlungen kontrollieren konnten. Das war insbesondere dem Fischböck unangenehm, daß holländische Behörden immer wieder etwas ablehnen konnten; das war ihm sichtlich sehr unangenehm und gab zu Reibereien Anlaß. Dann hat er den Versuch gemacht, dieses Clearing zu erledigen, und dadurch ist also die Aufhebung der Devisengrenze am 1. April 1941 entstanden. Das hat die Möglichkeit gegeben, um in den Niederlanden alle möglichen Waren angeblich zu kaufen, gegen Reichsmark, und unter dem Schutz von deutschen Behörden nach Deutschland zu schaffen. Ich gebe ein Beispiel: Es gab nach einer Untersuchung, die ich damals angestellt habe, einige Hunderte von Aufkäufern von Schmuckgegenständen und Gold- und Silbergegenständen in den Niederlanden. Diese Gegenstände kann man sich bequem mitnehmen. Wäre eine Kontrolle in den Zahlungen dagewesen, dann wäre es nicht möglich gewesen, daß allein im Jahre 1942 nach unseren Schätzungen für 80 bis 100 Millionen Gulden an solchen Sachen zu [245] hohen Preisen nach Deutschland verschleppt wurden. Das Wesentliche war also, daß durch Aufhebung dieser Devisenkontrolle man also freier operieren konnte. Weiter war es eine Möglichkeit, um an der Amsterdamer Börse niederländische Wertpapiere zu kaufen; denn eines der Ziele, die man sich deutscherseits damals vorstellte, das war die Verflechtung der niederländischen und der deutschen Wirtschaft, und das konnte man am besten erreichen, indem man die Devisengrenze, die Devisenkontrolle heißt das eigentlich, zwischen den besetzten Gebieten und Deutschland aufhob, und dadurch wurden die niederländischen Interessen schwerer geschädigt, als das in anderen besetzten Gebieten geschah, wo man diese Devisenkontrolle beibehielt. Ich möchte nur hinzufügen, daß auch da natürlich Wege gefunden wurden, um diese Ausbeutung durchzuführen. Nur die Aufhebung der Devisengrenze, das war eine kolossale Erleichterung der deutschen Politik in dieser Beziehung, und das kam auch deutlich hervor aus einer Anordnung des Hermann Göring von 1942, worin die Kontrolle an der niederländisch-deutschen Grenze aufgehoben wurde und der Verantwortliche für den Vierjahresplan hereinschreiben konnte, daß man auch nicht an der Grenze kontrollieren dürfte, wenn Übertretungen von Preisvorschriften oder Übertretungen von den Bewirtschaftungsvorschriften stattgefunden haben. Das war die Ergänzung, die Hermann Göring dazu machte.


VORSITZENDER: Herr Dubost! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß das kürzer behandelt werden sollte, diese Diskussion über die Frage der Devisenkontrolle.


M. DUBOST: Ich habe keine Fragen mehr über diesen Punkt zu stellen, Herr Vorsitzender.


[Zum Zeugen gewandt:]


Welche Summen hat Holland an Deutschland als Besatzungskosten gezahlt?

HIRSCHFELD: Die Gesamtsumme, welche am Ende der Besatzung bezahlt war, belief sich auf achteinhalb Milliarden Gulden.

M. DUBOST: In welcher Form wurde diese Zahlung gefordert?


HIRSCHFELD: Diese achteinhalb Milliarden Gulden sind zusammengesetzt aus Krediten, die die Wehrmacht beanspruchte für die direkten Besatzungskosten in den Niederlanden; weiter die Kosten des Apparates des Reichskommissariats, und drittens Zahlungen, welche man den Niederlanden auferlegt hatte unter dem Ausdruck, wie er zuerst angewendet wurde, »äußere Besatzungskosten«, also Kosten, welche die Wehrmacht in Deutschland machte im Interesse der Besatzungsmacht in den Niederlanden. Die Form, in der gezahlt wurde, war, soweit es Zahlungen in den Niederlanden waren, in niederländischem Geld, soweit es sich um Zahlungen in Deutschland handelte, bestanden sie aus Gold, welches von der [246] Niederländischen Bank gefordert wurde, und aus Zahlungen aus den Guthaben, welche die Niederländische Bank bei der Reichsbank hatte.


M. DUBOST: Erfolgten diese Zahlungen auf Grund einer Klausel des Kapitulationsvertrages?


HIRSCHFELD: Ich habe seinerzeit Kenntnis genommen von den Kapitulationsbedingungen vom 14. Mai 1940. Darin wurde über Besatzungskosten überhaupt nichts erwähnt.


M. DUBOST: Welchen Schaden hat Holland durch die Plünderung der Produktionsmittel, wie Maschinen, Anlagen, Schiffe, Werften und so weiter erlitten?


HIRSCHFELD: Es ist außerordentlich schwierig, eine exakte Zahl darüber zu nennen, weil sie in der Besetzungszeit nicht zusammengerechnet werden konnte. Mir ist aber bekannt, daß nach der deutschen Kapitulation die Niederländische Regierung bei der Reparationskommission in Paris eine Summe von rund 25 Milliarden Gulden genannt hat als Schaden infolge der Besetzung. Das möchte sein inklusive dieser achteinhalb Milliarden Besatzungskosten, die ich vorhin erwähnte.


VORSITZENDER: Herr Dubost! Ist das nicht alles schon in dem holländischen Bericht enthalten?


M. DUBOST: Ganz sicher nicht, Herr Vorsitzender.

Wie entwickelte sich die Einstellung Seyß-Inquarts im Verlauf der Besetzung?


HIRSCHFELD: Ich möchte einen deutlichen Unter schied machen mit Bezug auf seinen Standpunkt nach September – nach dem Herbst 1944 – und den ersten viereinhalb Jahren.

Nach dem Herbst 1944 war er weit mehr offen für die niederländischen Interessen als vorher.


M. DUBOST: Bevor Sie Generalsekretär der verschiedenen niederländischen Ministerien wurden, die Sie während der deutschen Besetzung verwaltet haben, waren Sie Chef des Außenhandels in Holland. In dieser Eigenschaft haben Sie an internationalen Verhandlungen teilgenommen und insbesondere mit Vertretern Deutschlands über wirtschaftliche Fragen, die Ihr Land interessierten, verhandelt. Sie haben also Schacht gekannt?


HIRSCHFELD: Ja, ich habe Schacht, ich glaube, zuerst kennengelernt 1933 auf der Weltwirtschaftskonferenz in London.


M. DUBOST: Sahen Sie sich im Verlauf Ihrer Verhandlungen mit Schacht nicht veranlaßt, ihn zu ersuchen, die Aufrüstung Deutschlands einzuschränken, weil sie den deutschen Kredit ruinierte?


[247] HIRSCHFELD: Wenn ich diese Frage beantworten soll, dann muß ich zurückgehen auf ein Gespräch im Jahr 1936, als ich in Berlin war und Herrn Schacht sprach aus Anlaß von Handelsvertragsverhandlungen. In dieser Unterhaltung kam die internationale Finanzlage zur Sprache, weil damals verschiedene Abwertungen der Währung stattgefunden haben, des französischen Franken, des schweizerischen Franken, des holländischen Gulden. Und in dem Zusammenhang kam auch die Lage der deutschen Währung zur Sprache. In dieser Unterhaltung fragte Schacht mich, als ich etwas kritisierte, »wie würden Sie es machen?« Ich habe ihm damals gesagt, ich könnte ihm höchstens eine private Meinung sagen und habe dann die Frage gestellt, ob, was damals diskutiert wurde, ob, wenn Deutschland neue internationale Anleihen aufnehmen würde, ob Deutschland dann bereit sei, die Konsequenz zu tragen, wenn die Anleiheverpflichtungen, also Zinsen und Amortisationen, zur Folge hätten, daß die Rohstoffeinfuhren gedrosselt werden müßten und daß das einen ungünstigen Effekt auf die Arbeitsbeschaffung und auf die Aufrüstung haben würde, ob Deutschland bereit sei, solche Konsequenzen zu akzeptieren. Wenn ja, dann wäre meiner privaten Meinung – damals 1936 – nach zu sprechen über internationale Anleihen, wenn nein, dann hätte eine solche Diskussion wenig Sinn.

Darauf gab Schacht mir als seine Meinung bekannt, daß Deutschland eine Aufrüstung brauche, um politisch international-gleichwertig dazustehen mit den anderen Großmächten. Nur auf einer solchen Grundlage könne man verhandeln. Und damals sagte Schacht mir in seiner, ich möchte sagen, etwas ironischen, überspitzten Art: »Ich wünsche ein großes und starkes Deutschland, und um das zu erreichen, verbinde ich mich sogar mit dem Teufel.« Aber im Verlaufe dieser Diskussion stellte er, Schacht, einige Fragen: also erstens, die Bereinigung der Währungsfrage sei ihm wesentlich, zweitens, die Kolonialfragen seien ihm wesentlich.

Bei der Kolonialfrage sagte er mir, daß es seiner Meinung nach für Deutschland möglich sei, wieder Kolonien zu übernehmen und daß es dann die Verpflichtung auf sich nehmen würde, diese Kolonien nicht zu bewaffnen und dort keine Flottenstützpunkte einzurichten. Wenn ein solches Programm zu erfüllen sei, glaube er, daß die Außenpolitik Deutschlands und die Wirtschaftspolitik Deutschlands umgebaut werden könnte, umgebeugt werden könne im anderen Sinne, und in der Beziehung äußerte sich Schacht mir gegenüber ganz besonders abfällig über die antisemitischen Bestrebungen, welche in Deutschland bestanden; und er gab mir Beispiele seiner Stellungnahme zu dem Antisemitismus, und wie er ihn ablehnte und gab mir als Beispiel, was ich hier vielleicht auch hinzufügen möchte, seine Aussprache mit einem gewissen Klagges, der [248] Ministerpräsident von Braunschweig, der Hitler zum Deutschen gemacht hat.

M. DUBOST: Das ist für mich nicht von Interesse. Schacht hat Ihnen erklärt, daß er die Juden verteidigt habe.

Was den Generalstab anbetrifft, möchte ich eine Frage stellen. War es nicht der deutsche Generalstab, der den Befehl erteilte, in Rotterdam Razzien durchzuführen?


HIRSCHFELD: Es war...


DR. LATERNSER: Herr Präsident! Wenn ich die Frage eben richtig verstanden habe, soll nunmehr der Zeuge befragt werden mit dem Ziel der Belastung der angeklagten Gruppe Generalstab und OKW. Ich widerspreche der Befragung aus folgendem Grund:

Mir, als Vertreter der angeklagten Gruppe des...


VORSITZENDER: Sehen Sie nicht das Licht, Sie sprechen zu schnell.


DR. LATERNSER:... Generalstabs und OKW, ist durch den am 8. Juni verkündeten Beschluß des Gerichts untersagt worden, auftretende Zeugen zu vernehmen oder ins Kreuzverhör zu nehmen. Das gleiche muß auch hinsichtlich der Anklagebehörde gelten. Wenn ich Zeugen nicht zur Entlastung befragen darf, dann darf die Anklagebehörde auch nicht Zeugen befragen zur Belastung, da die Regel der Befragung für Verteidiger und Anklage im gleichen Sinne geregelt werden müßte.


M. DUBOST: Ich verzichte auf meine Frage.


VORSITZENDER: Ich habe nicht gehört, was Sie sagten, Herr Dubost?


M. DUBOST: Ich sagte, Herr Vorsitzender, daß ich auf meine Frage, die sich auf den Generalstab bezieht, verzichte. Ich habe nur noch zwei Fragen in Bezug auf Seyß-Inquart zu stellen.


VORSITZENDER: Einen Augenblick, bitte.

Fahren Sie fort, Herr Dubost.


M. DUBOST: Hat Seyß-Inquart den Befehl erteilt, in allen holländischen Großstädten Razzien durchzuführen?


HIRSCHFELD: Meines Wissens nein.


M. DUBOST: Wer hat den Befehl erteilt, diese Razzien durchzuführen? Wer?


HIRSCHFELD: Diese Razzien sind durchgeführt worden von der Deutschen Wehrmacht.

Von wem die Befehle genau stammen, ist mir nicht bekannt. Es ist nur bekannt, daß in Rotterdam, als diese Razzien, ich glaube, am 11. November 1944 durchgeführt wurden, der Divisionskommandeur [249] in Rotterdam im Rathause persönlich darüber eine Ansprache gehalten und diese Razzien organisiert hat.


M. DUBOST: Hat Seyß-Inquart nicht Kinder aus den Krankenhäusern herausholen lassen, um sie nach Deutschland zur Arbeit zu bringen?


HIRSCHFELD: Die Frage ist nicht klar.


M. DUBOST: War es Seyß-Inquart, der Kinder aus den Krankenhäusern herausholen ließ, um sie für deutsche Dienste heranzuziehen?


HIRSCHFELD: Aus eigener Erfahrung ist mir darüber nichts bekannt.


M. DUBOST: Wurden elternlose Kinder auf Befehl von Seyß-Inquart zwangsweise in gewissen SS-Einheiten verwendet?


HIRSCHFELD: Mir ist bekannt, daß die SS in den Niederlanden Soldaten geworben hat. Die hat das immer, soweit ich das aus Zeitungen, Anschlagplakaten und Flugblättern gesehen habe, immer hat es die SS getan.


M. DUBOST: Wer hatte die Verpflichtung übernommen, die in Holland erzeugten chemischen Mittel nicht für den Krieg zu verwenden? Hatte Seyß-Inquart diese Verpflichtung übernommen?


HIRSCHFELD: Verzeihung, welcher Mittel?

M. DUBOST: Chemischer Mittel. Ich wiederhole: Wer hatte die Verpflichtung übernommen, die in Holland erzeugten chemischen Mittel nicht für den Krieg zu verwenden und sie lediglich für die holländische Landwirtschaft zu reservieren?


HIRSCHFELD: Es handelt sich hier um die Frage des Stickstoff-Düngemittels?


M. DUBOST: Ja.


HIRSCHFELD: Was die Stickstoff-Düngemittel anbelangt, so wurde von Anfang an die Zusage gegeben, daß die Stickstoff-Fabriken in den Niederlanden ausschließlich Kunstdünger anfertigen würden. Dies geschah, bis Mitte August 1944 eine Weisung kam, daß die Stickstoff-Düngemittel-Industrie ihre Produktion auf Sprengstoffe umstellen müßte. Diese Weisung war ausgegangen von einer Dienststelle des Reichskommissariats. Sie war unterschrieben von einem gewissen Herrn Brocke. Ich habe daraufhin, als ich mit der Industrie gesprochen hatte, den Versuch gemacht, in dieser Angelegenheit bei Seyß-Inquart persönlich zu intervenieren. Ich bekam darauf die Antwort von seinem Adjutanten, daß er bereits seine Entscheidung getroffen habe und daß ich mich mit Herrn Fiebig in Verbindung setzen könne, mit Herrn Fiebig, dem Vertreter von Speer in den Niederlanden. Ich habe die Angelegenheit mit Herrn Fiebig besprochen und ihm mitgeteilt, die niederländische Industrie [250] und die niederländischen Arbeiter können nicht an Sprengstoffen arbeiten. Darauf wurde mir mitgeteilt, wenn...


VORSITZENDER: Herr Dubost! Kann diese Frage nicht etwas kürzer beantwortet werden? Die Frage lautet: Hat Seyß-Inquart zugesagt, daß die Chemikalien nur in Holland verwendet werden sollen und nicht im Reich? War das nicht die Frage?


M. DUBOST: Sie haben die Bemerkung des Herrn Vorsitzenden gehört. Versuchen Sie bitte, sich kürzer zu fassen.


HIRSCHFELD: Wir hatten also die Zusage, daß nur Kunstdünger angefertigt würde; dann wurde verlangt, Sprengstoffe anzufertigen.

Seyß-Inquart lehnte...


VORSITZENDER: Herr Dubost! Wir wollen das alles nicht noch einmal hören. Ist es Ihnen nicht möglich, eine Antwort auf die Frage zu erhalten?


M. DUBOST: Herr Vorsitzender! Ich habe die Antwort des Zeugen nicht verstanden. Sie ist nicht durchgekommen.


VORSITZENDER: Gut, wir werden uns nun vertagen.


[Pause von 10 Minuten.]


M. DUBOST: Mit Erlaubnis des Gerichtshofs werde ich noch eine Frage an den Zeugen stellen.


[Zum Zeugen gewandt:]


Zeuge! Wissen Sie, unter welchen Bedingungen und aus welchen Gründen die Haager Zeitung auf Befehl des Reichskommissars zerstört wurde?

HIRSCHFELD: Ja.

M. DUBOST: Können Sie das sagen?


HIRSCHFELD: Ja. Die Haager Zeitung wurde zerstört, weil die Arbeiter dieser Zeitung ablehnten, einen Artikel zu bringen gegen den Eisenbahnerstreik, welcher verfaßt war vom Pressechef des Reichskommissariats. Das war der Grund, warum er nicht veröffentlicht wurde.


M. DUBOST: Sie ist durch Dynamit zerstört worden? Man hat die Gebäude und die Maschinen in die Luft gesprengt, nicht wahr?


HIRSCHFELD: Man hat die Maschinen gesprengt mit Sprengstoff.


DR. STEINBAUER: Ich habe an diesen Zeugen keine Frage.


VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


DR. STEINBAUER: Ich rufe jetzt mit Zustimmung des Gerichts den letzten Zeugen auf den Zeugenstand, Ernst Schwebel.


[251] [Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Geben Sie bitte Ihren vollen Namen an.

ZEUGE ERNST AUGUST SCHWEBEL: Ernst August Schwebel.


VORSITZENDER: Wollen Sie mir den folgenden Eid nachsprechen: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach und fügt hinzu: »So wahr mir Gott helfe!«]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.


DR. STEINBAUER: Herr Zeuge! Welche Funktion haben Sie vor Ihrem Dienstantritt in den Niederlanden bekleidet?


SCHWEBEL: Ich war Oberverwaltungsgerichtsrat in Berlin am Preußischen Oberverwaltungsgericht.


DR. STEINBAUER: Wann sind Sie in die Niederlande gekommen?


SCHWEBEL: Am 18. Mai 1940.


DR. STEINBAUER: Ist es richtig, daß Sie ab Juni 1940 dann der Beauftragte des Reichskommissars in der Provinz Südholland mit den Städten Haag und Rotterdam waren?


SCHWEBEL: Jawohl.


DR. STEINBAUER: Hatten Sie in dieser Eigenschaft als Provinzbeauftragter dauernden Kontakt auch mit den niederländischen Verwaltungen in der Provinz und in den Gemeinden?


SCHWEBEL: Jawohl.


DR. STEINBAUER: Ist Ihnen bekannt, wie viele von den Bürgermeistern Ihrer Provinz noch aus der königlichen Zeit im Amte waren?

SCHWEBEL: Am Schluß etwa die Hälfte bis zwei Drittel.


DR. STEINBAUER: Hat der Reichskommissar die Beamtenkörper in der Provinz- und Gemeindeverwaltung stark ausgewechselt und abgeändert?


SCHWEBEL: Nein, sehr wenig. Soll ich über Änderungen sprechen?


DR. STEINBAUER: Ganz kurz, vielleicht nur die Gründe, warum.


SCHWEBEL: Änderungen wurden nur vorgenommen, wenn..


VORSITZENDER: Herr Dr. Steinbauer! Über die Änderungen ist schon von anderen Zeugen gesprochen worden, nicht wahr? Es [252] ist auch nicht im Kreuzverhör darauf Bezug genommen worden. Stimmt das nicht? Hat Seyß-Inquart nicht schon die Änderungen angegeben, ohne daß sie unter Kreuzverhör gestellt wurden?


DR. STEINBAUER: Ich gehe zu einer anderen Frage über.


[Zum Zeugen gewandt:]


Ist es richtig, daß in der zweiten Hälfte des Jahres 1944 der Ausnahmezustand verhängt wurde?

SCHWEBEL: Jawohl, am 4. September.

DR. STEINBAUER: Und daß in einem Umkreis von 30 km die vollziehende Gewalt an die Wehrmacht übergegangen ist?


SCHWEBEL: Ja, aber dieser Übergang erfolgte nicht auf Grund der Verordnung über den Ausnahmezustand, sondern auf Grund einer besonderen militärischen Verordnung.


DR. STEINBAUER: Erging auf Grund der militärischen Entwicklung?


SCHWEBEL: Jawohl.


DR. STEINBAUER: Ist es richtig, daß anfangs 1945 Sonderkommandos des Reichsführers-SS Himmler begannen, Zeitminen in öffentliche Gebäude Ihrer Provinz für den Fall der Räumung zu legen?


SCHWEBEL: Von solchen Sonderkommandos von Himmler ist mir nichts bekannt. Ich kenne nur einen Fall, daß ein Oberleutnant dort erschien – das war aber, glaube ich, schon etwas früher – und solche Maßnahmen vornehmen wollte. Ich habe dann sofort mich mit dem Reichskommissar, auch dem Wehrmachtbefehlshaber, in Verbindung gesetzt, habe festgestellt, daß niemand von denen das wußte, und daraufhin ist auf Antrag des Reichskommissars diesem Oberleutnant sofort befohlen worden, daß er seine Tätigkeit einzustellen habe und auch, was er gemacht hatte, noch wegräumen sollte und sofort zu verschwinden habe. Sonst sind mir ähnliche Dinge nicht bekannt.


DR. STEINBAUER: Ist Ihnen bekannt, daß anläßlich der sogenannten Aktion »Wehrfähige ins Reich« es in Gouda zu Unzuträglichkeiten gekommen ist?


SCHWEBEL: Ja; es waren von der Wehrmacht, die diese Sachen damals ausführte, in Verbindung mit einem Beauftragten des Ministers Goebbels, in seiner Eigenschaft als Reichskommissar für den totalen Kriegseinsatz, waren in Gouda und in zwei anderen Stellen der Provinz Sonderstellen gegründet worden, und der Führer dieser Stelle in Gouda führte diese Sachen unkorrekt aus – ziemlich hart. Darauf habe ich mit dem Herrn Reichskommissar über diese Sache gesprochen. Er hat sich dann sofort mit dem vorgesetzten General [253] persönlich in Verbindung gesetzt und bewirkt, daß dieser Offizier sofort abgelöst wurde.


DR. STEINBAUER: Ist Ihnen über die Größe der Widerstandsbewegung in Ihrer Provinz etwas bekannt?


SCHWEBEL: Die Widerstandsbewegung wurde an sich bekämpft durch die Sicherheitspolizei, in Verbindung mit der Wehrmacht. Was ich darüber weiß, sind nicht eigene Kenntnisse aus eigener Verwaltungstätigkeit, sondern Kenntnisse, die ich durch diese Verbindung mit den Stellen habe. Danach weiß ich, daß etwa wohl... daß die Widerstandsbewegung ungefähr an 50000 herankam, schätzungsweise. Das heißt also, solche, die vielleicht... die zu erfassen waren, nicht etwa also ständig eingesetzte oder organisiert zusammengefaßte Menschen gewesen wären.


DR. STEINBAUER: Ist Ihnen bekannt, daß der Reichskommissar eine Lebensmittelaktion für 250000 holländische Kinder eingeleitet hat?


SCHWEBEL: Ja, daß er sie eingeleitet hat, ist mir bekannt.


DR. STEINBAUER: Sie waren Augen- und Ohrenzeuge der Versuche Seyß-Inquarts, vorzeitig den Krieg zu beenden? Schildern Sie uns ganz kurz die Herstellung dieser Verbindung mit dem Generalstabschef des Herrn Generals Eisenhower.


SCHWEBEL: Anfang April 1945 trat ein Herr van der Vlugt an mich heran. Herr van der Vlugt war Leiter der sogenannten »IKO«, das heißt, der interkirchlichen Organisation zur Unterstützung in Lebensmittelsachen.

DR. STEINBAUER: Sie müssen, Herr Zeuge, etwas langsamer und deutlicher sprechen. Ich verstehe Sie nicht, auch in deutscher Sprache nicht.


SCHWEBEL: Es trat an mich heran ein Herr van der Vlugt; er war Leiter eines interkirchlichen Hilfswerkes zur Versorgung der Bevölkerung mit besonderen Lebensmitteln. Von dieser Seite her kenne ich ihn, und er sagte mir, er handle im Auftrage der Londoner Niederländischen Regierung und richte an mich die Frage, ob der Herr Reichskommissar bereit sei, mit ihm zu verhandeln kurz über drei Fragen.

Erstens: Stärkere... Großzügige Versorgung der niederländischen Bevölkerung durch die Alliierten,

zweitens: Einstellung der Überflutungen,

drittens: Einstellung der Bekämpfung der Widerstandsbewegung.

Ich habe mich sofort mit dem Reichskommissar in Verbindung gesetzt; der hat sich auch sofort bereit erklärt, und wir haben dann zwei Tage darauf mit Herrn van der Vlugt und einem anderen Vertreter...


[254] VORSITZENDER: Zeuge, das gelbe Licht bedeutet, daß Sie zu schnell sprechen. Wenn Sie das gelbe Licht sehen, müssen Sie etwas langsamer sprechen.


SCHWEBEL: Jawohl.


VORSITZENDER: Sie haben uns gesagt, was Seyß- Inquart tat.


SCHWEBEL: Ja. Seyß-Inquart hat sich also bereit erklärt, sofort über diese Fragen zu verhandeln. Es hat dann eine Besprechung zwischen dem Herrn van der Vlugt und noch einem anderen Vertreter der Londoner Regierung, das ist ein Jonkheer Six, zwischen diesen beiden Herren und mir unter vieren stattgefunden. Da haben wir uns darüber geeinigt über den... zunächst über den einen Punkt, sofort definitiv, daß alles Vorgehen gegen die Widerstandsbewegungen eingestellt würde, wohingegen die Widerstandsbewegung sich verpflichtete, nun auch keine Sabotageakte mehr vorzunehmen.

Zweitens erklärte sich der Reichskommissar bereit, auch die... auf eine großzügige Versorgung durch die Alliierten einzugehen und auch die Überflutungen einzustellen, wenn darüber im einzelnen verhandelt würde. Das Ergebnis dieser Besprechung ist dann herübergebracht worden nach London, indem ich an einer Stelle der Front zwei Niederländer als Parlamentäre herübergesetzt habe. Es kam dann von drüben, nachdem verschiedene Verhandlungen hin- und hergegangen waren, die Anfrage, ob der Herr Reichskommissar bereit sei, mit dem Herrn Oberkommandierenden, General Eisenhower, über diese Fragen zu verhandeln. Es wurde dann sofort geantwortet »Ja«, und daraufhin bin zunächst ich am 28. April über die Front gegangen bei Amersford und habe dort kurz verhandelt mit dem General Sir Francis Gengard, das war der Chef des Generalstabes von dem Feldmarschall Montgomery und...


VORSITZENDER: Sie brauchen darüber keine weiteren Einzelheiten, nicht wahr?


SCHWEBEL:... und dabei haben wir also festgelegt in dieser Besprechung mit Sir Francis Gengard, daß zwei Tage darauf eine Besprechung sein sollte zwischen...


DR. STEINBAUER: Herr Zeuge! Die Details sind nicht so wichtig, sondern das Wesentliche ist das Resultat dieser Unterredung im Interesse der holländischen Bevölkerung.


SCHWEBEL: Jawohl. Es kam also diese Unterredung am 30. April zustande zwischen dem Reichskommissar und dem Chef des Generalstabes von General Eisenhower; das war der General Bedell-Smith. In dieser Besprechung ist der Herr Reichskommissar vollständig auf die Wünsche des Herrn Generals Bedell-Smith eingegangen, und zwar sollte eine ganz großzügige Versorgung der niederländischen Bevölkerung stattfinden.


[255] VORSITZENDER: Wenn er sagt, daß er den Forderungen des Generals Bedell-Smith zustimmte, dann ist doch das alles, was Sie wünschen, nicht wahr?


DR. STEINBAUER: Ja, das genügt vollkommen.


[Zum Zeugen gewandt:]


Dadurch ist, ich frage Sie jetzt, der Krieg praktisch um zwei Monate vorher beendet worden?

SCHWEBEL: So kann man nicht sagen. Es war so: Für die holländische Bevölkerung wurde mit diesem Tage allerdings der Krieg praktisch beendet, denn diese Versorgung, wie sie da stattfinden konnte durch die Luft, über den Straßenweg, über die Kanäle, über die Flüsse, über die See nach Rotterdam war so großzügig, und es mußten ja, damit diese Transporte alle erfolgen konnten, an diesen Wegen überall Waffenruhen vereinbart werden, so daß tatsächlich eigentlich damit, wenn auch nicht formell, der allgemeine Waffenstillstand praktisch da war, so daß die Bevölkerung sofort damals in diesen Genuß kam.

DR. STEINBAUER: Herr Präsident! Ich habe keine weiteren Fragen an diesen Zeugen.


SCHWEBEL: Darf ich hierzu noch etwas sagen, Herr Präsident?


VORSITZENDER: Ich glaube nicht. Wenn der Verteidiger sein Verhör beendet hat, wünschen wir keine weiteren Ausführungen. Hat ein anderer Anwalt Fragen an den Zeugen zu stellen?


[Keine Antwort.]


Wünscht die Anklage ein Kreuzverhör?

M. DEBENEST: Herr Zeuge! Sie sprachen soeben von den Verhandlungen, die Sie mit den Delegierten der Londoner Regierung geführt hatten. Wissen Sie, daß diese Delegierten, bevor sie im April 1945 Verhandlungen mit dem Reichskommissar aufnahmen, die Bedingung gestellt haben, daß niemand mehr wegen eines Attentats auf deutsche Zivil- oder Militärpersonen ohne gerichtliches Urteil erschossen werden dürfe?

SCHWEBEL: Jawohl.


M. DEBENEST: Eine andere Frage. Haben diese Delegierten den Reichskommissar nicht gefragt, ob die SS sich den Bedingungen eines Vergleichs, der den Feindseligkeiten ein Ende bereiten würde, fügen würde?


SCHWEBEL: Das ist auch geschehen. Es ist danach nichts mehr gegen die Widerstandsorganisationen unternommen worden; von dieser Zeit an ist nichts mehr unternommen worden gegen die Widerstandsorgani sationen.


[256] M. DEBENEST: Sehr gut. Ist es richtig, daß der Reichskommissar geantwortet hat, daß er in seiner Eigenschaft als Obergruppenführer der SS in der Lage sei, die SS zu zwingen, die Bestimmungen dieses Abkommens einzuhalten und daß er dafür bürge?


SCHWEBEL: Ein Abkommen in dem eigentlichen Sinne... alle diese ganzen Besprechungen waren Gentlemen-Abkommen...


M. DEBENEST: Einen Augenblick, bitte! Ich frage, ob der Reichskommissar den. Delegierten der Londoner Regierung diese Antwort erteilt hat?


SCHWEBEL: Er hat gesagt, er sei auch Obergruppenführer der SS, und er könne dafür sorgen, daß die SS sich in diese Abmachung füge.


M. DEBENEST: Ich danke Ihnen. Nun die letzte Frage: Kannten Sie einen Beamten des Reichskommissariats mit Namen Kiehl?


SCHWEBEL: Kiehl, jawohl, den kannte ich.


M. DEBENEST: Hat er nicht im April 1945 Anweisungen zur Überflutung des Wieringer Meeres herausgegeben?


SCHWEBEL: Herr Kiehl hat meines Wissens keine Richtlinien gegeben, die konnte er auch gar nicht geben. Herr Kiehl war ein Wasserbausachverständiger, ein sehr guter. Er konnte... Befehle konnten aber nur bezüglich Überflutungen die höchsten militärischen Stellen geben. Das war also in diesem Fall der Generaloberst Blaskowitz.


DR. LATERNSER: Ich widerspreche dieser Befragung des Zeugen. Die Befragung dieses Zeugen wird ja erneut dazu vorgenommen, eine Belastung des Generalstabes und des OKW herbeizuführen. Ich habe bereits bei dem vorhin schon angebrachten Widerspruch vorgetragen, daß, wenn ich nicht Zeugen zur Entlastung befragen kann, das gleiche auch für die Anklage hinsichtlich belastender Fragen gelten muß. Ich bitte, die letzte Aussage zu streichen.


M. DEBENEST: Verzeihung.


VORSITZENDER: Was sagen Sie, Herr Debenest?


M. DEBENEST: Herr Vorsitzender! Ich wollte nur sagen, daß ich diese Frage auf Grund von Informationen stelle, die mir zugegangen sind. Es handelt sich nicht eigentlich um die Wehrmacht, sondern um Anweisungen, die von einem Beamten des Reichskommissariats erteilt wurden und infolgedessen vom Reichskommissariat stammen. Ich verstehe daher nicht, warum der Verteidiger unterbrochen hat. Es handelt sich nicht um die Wehrmacht, und ich habe keine Ahnung, ob der Zeuge mir sagen wird, daß es die Wehrmacht oder das Reichskommissariat war, während ich von einem Beamten des Reichskommissariats spreche.


[257] VORSITZENDER: Jawohl, Sie dürfen die Frage stellen.


M. DEBENEST: Wollen Sie fortfahren?


SCHWEBEL: Herr Kiehl war Wasserbausachverständiger des Reichskommissariats; er war aber auch gleichzeitig Wasserbausachverständiger des Wehrmachtbefehlshabers. Er wurde von beiden Stellen gehört als reiner Sachverständiger; allerdings er war ein sehr guter Sachverständiger. Aber irgendeine Anweisungsbefugnis hatte er von keiner Seite..


M. DEBENEST: Halten Sie bitte keine Reden, antworten Sie mir direkt mit Ja oder Nein. Hat Kiehl den Befehl weitergegeben, das Wieringer Meer zu überfluten?


SCHWEBEL: Ja, ich muß doch sagen wie es ist!... Kiehl?... Nein, kann er nicht gegeben haben.


M. DEBENEST: Ich frage nicht, ob er den Befehl gab, ich frage lediglich, ob er ihn weitergegeben hat.


SCHWEBEL: Davon weiß ich gar nichts. Ich weiß nicht, wie weit überhaupt Herr Kiehl in diesen Befehl hineingezogen ist.


M. DEBENEST: Das genügt mir. Worin bestand damals der Sinn der Überflutung des Wieringer Meeres? Dachten nicht alle, daß der Krieg zu Ende sei?


SCHWEBEL: Nein, als das Wieringer Meer, als der Wieringer Meerpolder überflutet wurde, war der Krieg noch nicht fertig, waren auch diese Verhandlungen noch nicht gewesen. Also, als der Wieringer Meerpolder überflutet wurde, bestand, so habe ich es nachher von militärischer Seite gehört, bestand die Gefahr, daß eine Luftlandung auf dem Gelände des Wieringer Meeres erfolge und daß damit der Abschlußdeich, der den Zugang von Friesland und Nordholland bot, in die Hände des Feindes fiel. Das ist der Grund gewesen, warum man militärischerseits diese Überflutungen für nötig gehalten hat. So ist es mir gesagt worden.


M. DEBENEST: Aber wurde nicht damals der Krieg in Holland bereits für Deutschland als verloren betrachtet?


SCHWEBEL: Nein, denn zu dem Zeitpunkt hat man ihn nicht für verloren gehalten. Jedenfalls wir hatten... die Armee bei uns hatte zu dieser Zeit völlig ihren Verteidigungsauftrag, den sie eben ausführen mußte. Die Gefahr bestand, daß da eine solche Landung erfolgte.


M. DEBENEST: Ich bin fertig, Herr Vorsitzender.


DR. STEINBAUER: Ich hätte keine Frage mehr an Sie gehabt, Herr Reichsrichter, wenn nicht der französische Ankläger eine Frage angeschnitten hätte.

Was hat Ihnen der General Smith über die Überschwemmungen des Wieringer Meeres gesagt?


[258] SCHWEBEL: Der Herr General Smith hat in dieser Verhandlung gesagt gegen Schluß, was bisher an Überflutungen vorgenommen worden ist, das könne er aus militärischer Notwendigkeit geschehen hinnehmen. Von nun an aber sollen dann keine mehr erfolgen.


DR. STEINBAUER: Sind noch welche vorgenommen worden?


SCHWEBEL: Nein, danach sind keine weiteren mehr vorgenommen worden.


DR. STEINBAUER: Danke, ich habe keine weitere Frage mehr an den Zeugen.


VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


DR. STEINBAUER: Herr Präsident! Ich habe damit das Zeugenverhör abgeschlossen und möchte auf die Urkunden verweisen, die ich in meinen Dokumentenbüchern dem Gericht vorgelegt habe. Ich wurde auch verständigt, daß das Dokumentenbuch Nummer 3 dem Gericht übermittelt wurde und möchte zum Abschluß noch eine Urkunde vorlegen unter Nummer 91 zur Frage des Hirtenbriefes der katholischen Bischöfe anläßlich der Abstimmung in Österreich. In dieser Erklärung wird auch auf die Stellung des Gauleiters Bürckel verwiesen, aus der hervorgeht, daß die Verfolgung der Kirche nicht Seyß-Inquart angelastet werden kann, sondern die Verantwortung auf Bürckel zurückfällt. Um Zeit zu ersparen, möchte ich bitten, die Urkunde ohne Verlesung zur Kenntnis zu nehmen, und ich schließe damit mein Beweisverfahren in Sachen Seyß-Inquart.

VORSITZENDER: Herr Dr. Steinbauer! Sind alle Dokumente, die Sie anbieten wollen, in Ihren Dokumentenbüchern enthalten? Haben Sie sie als Beweisstücke angeboten?


DR. STEINBAUER: Ich habe die Frage nicht verstanden.


VORSITZENDER: Haben Sie alle Dokumente, die Sie als Beweisstücke anbieten wollen, vorgelegt und sie mit Beweisstücknummern versehen?


DR. STEINBAUER: Ja, es fehlen nur, Herr Präsident, noch einige Affidavits, die das Hohe Gericht zugelassen hat, und zwar Völkers, Bolle und Rauter. Ich hoffe, daß die noch in nächster Zeit einlangen werden.


VORSITZENDER: Herr Dr. Steinbauer! Sie müssen jedes dieser Dokumente als Beweisstück anbieten. Sie müssen das sagen. Allein die Tatsache, daß die Urkunden in den Büchern enthalten sind, macht sie noch nicht zu Beweisstücken. Sie müssen sie also als Beweisstück anbieten, wenn Sie sie vorlegen wollen und Sie numerieren. Sie können sie alle zusammen anbieten, indem Sie sagen...


[259] DR. STEINBAUER: Ja, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Wollen Sie alle Dokumente anbieten von Nummer 1 bis... ich weiß die letzte Nummer nicht, es scheint 105 zu sein.


DR. STEINBAUER: Ja, ich biete alle Nummern in meinen drei Dokumentenbüchern von 1 bis 107...


VORSITZENDER: Herr Dr. Steinbauer! Sind die Nummern in den Büchern die Beweisstücknummern, die Sie den Dokumenten geben wollen?


DR. STEINBAUER: Ja, sie sind fortlaufend numeriert und sind entsprechend auch in meinem Dokumentenbuch.


VORSITZENDER: Sie wollen also die Dokumente von Nummer 1 bis zur letzten Nummer als Beweismaterial anbieten? Ist das richtig?


DR. STEINBAUER: Ja.


VORSITZENDER: Sie haben einige während Ihres Zeugenverhörs angeboten.


DR. STEINBAUER: Einzelne, die habe ich nach den Nummern meines Dokumentenbuches angeführt.


VORSITZENDER: Sie wollen also jetzt den Rest anbieten?


DR. STEINBAUER: Den Rest auch noch.


VORSITZENDER: Unter den Nummern, die Sie im Dokumentenbuch haben?


DR. STEINBAUER: Ja.


VORSITZENDER: Und Sie bieten alle Originale unter diesen Nummern an?


DR. STEINBAUER: Anbieten, soweit sie in meinem Besitze sind und ich nach dem Beschluß des Gerichts die Erklärung abgeben kann, daß ich eidlich erkläre, daß die Auszüge mit den Büchern übereinstimmen.

VORSITZENDER: Sie haben gemäß den Bestimmungen des Gerichtshofs bescheinigt, daß es sich um genaue Abschriften der Originale handelt?


DR. STEINBAUER: Jawohl.


VORSITZENDER: Gut.


DR. HEINZ FRITZ, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN FRITZSCHE: Herr Präsident! Ich bitte das Hohe Gericht, zu genehmigen, daß der Angeklagte Fritzsche am Montag und Dienstag nächster Woche der Sitzung fernbleibt. Er benötigt diese Zeit, um die Vorbereitung seiner Verteidigung zu beenden.


VORSITZENDER: Gewiß.


[260] DR. FLÄCHSNER: Herr Präsident! Ich wollte dieselbe Bitte für meinen Mandanten an das Gericht richten, weil er ja unmittelbar an den jetzt zur Verhandlung kommenden Fall Papen zur Verhandlung kommen wird. Ich bitte daher, ihn am Montag oder Dienstag zu dispensieren.


VORSITZENDER: Jawohl.


DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich werde nur kurze Zeit das Gericht in Anspruch nehmen; ich muß aber einen für mich besonders wichtigen Antrag, der das Verfahren betrifft, stellen und ihn kurz begründen.

Ich beantrage, das Gericht möge

Erstens: den am 8. 6. 1946 verkündeten Beschluß aufheben.

Zweitens: Eventuell ihn dahin...


VORSITZENDER: Dr. Laternser! Wenn Ihr Antrag wichtig ist, so müßte er schriftlich erfolgen. Wenn er noch nicht schriftlich vorliegt, so müßten Sie ihn anfertigen. Sie wissen genau, daß das eine Regel des Gerichtshofs ist.


DR. LATERNSER: Ja, Herr Präsident, ich lege Wert darauf, daß der Antrag im Protokoll erscheint. Darf ich fortsetzen?


VORSITZENDER: Aber, Dr. Laternser, er wird im Protokoll erscheinen, wenn Sie den Antrag schriftlich stellen. Sie sind seit vielen Monaten hier und kennen die Regeln des Gerichtshofs ganz genau, auch daß Anträge schriftlich gestellt werden müssen.


DR. LATERNSER: Jawohl. Da es sich um einen Antrag handelt, der das Verfahren betrifft und der sich gründet auf einen mündlich verkündeten Beschluß, glaubte ich, dazu berechtigt zu sein, den Antrag auf diese Weise zu stellen.


VORSITZENDER: Nein, der Gerichtshof ist anderer Ansicht und wünscht von Ihnen einen schriftlichen Antrag entsprechend der Anordnung des Gerichtshofs.

Der Gerichtshof wird nun mit dem Fall des Angeklagten Papen fortfahren, der, glaube ich, jetzt an der Reihe ist.


DR. KUBUSCHOK: Ich beginne die Beweisverhandlung im Falle des Angeklagten von Papen damit, daß ich den Angeklagten von Papen als Zeuge rufe.


[Der Angeklagte betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Wollen Sie bitte Ihren vollen Namen angeben?

FRANZ VON PAPEN: Franz von Papen.


[261] VORSITZENDER: Sprechen Sie mir den folgenden Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. KUBUSCHOK: Geben Sie bitte dem Tribunal in kurzen Zügen eine Darstellung Ihres Lebenslaufes, insbesondere von dem Zeitpunkt ab, in dem Sie in die Politik eintraten.

VON PAPEN: Bei einer kurzen Schilderung meines Lebenslaufes werde ich nur die Punkte hervorheben, die wesentlich sein werden für die Beurteilung des Gerichts über meine Persönlichkeit, insoweit sie nämlich von Einfluß auf die Gestaltung meines Lebens, meiner politischen Auffassung, geworden sind.

Ich bin geboren auf einer Scholle, die seit 900 Jahren im Besitze meiner Familie ist, in den konservativen Grundsätzen aufgewachsen, die den Menschen aufs engste mit seinem Volk und seinem heimatlichen Boden verbindet, und da mein Geschlecht immer eine feste Stütze der Kirche gewesen ist, bin ich selbstverständlich auch in dieser Tradition aufgewachsen.

Als der zweite Sohn meiner Eltern wurde ich für die militärische Laufbahn bestimmt. Mit 18 Jahren wurde ich Leutnant in einem Kavallerieregiment, und ich durchschritt die übliche Laufbahn der Berufs...


VORSITZENDER: Ich glaube, Sie haben uns Ihr Geburtsdatum nicht angegeben.


DR. KUBUSCHOK: Geben Sie bitte Ihr Geburtsdatum an.


VON PAPEN: Das Datum meiner Geburt ist der 29. Oktober 1879.


VORSITZENDER: Sie haben gesagt, daß Sie im Alter von 18 Jahren einem Kavallerieregiment beitraten.


VON PAPEN: Wesentlich für meine Entwicklung...


DR. KUBUSCHOK: Es liegt wohl ein Übersetzungsfehler vor, mit 18 Jahren ist der Angeklagte beigetreten, nicht 1918, sondern mit 18 Jahren.


VORSITZENDER: Das habe ich auch gesagt.


VON PAPEN: Wesentlich für meine Entwicklung ist sodann meine Vermählung mit der Töchter des saarländischen Industriellen, des Geheimrats von Boch. Die Verwandtschaft dieser Familie hat mich mit zahlreichen französischen und belgischen Familien zu einer intimen Kenntnis der geistigen und kulturellen Faktoren dieser Nachbarländer geführt, die damals einen lebhaften Eindruck auf mich machten. Es ist schon seit dieser Zeit, seit 1905, daß ich [262] die Überzeugung gewann, wie falsch eine gewisse politische Einstellung sei, daß Frankreich und Deutschland verurteilt seien, einander ewig als Feinde zu betrachten. Ich empfand, wieviel beide Völker sich gegenseitig zu geben hätten, wenn ihre friedliche Entwicklung nicht gestört würde.

In den folgenden Jahren absolvierte ich die Kriegsakademie, und ich wurde 1913, nach fünfjähriger Vorbereitung, in den Generalstab übernommen. Ende 1913 wurde ich auf Befehl seiner Majestät des Kaisers zum Militär-Attaché in Washington und in Mexiko ernannt. In dieser Eigenschaft habe ich im Sommer 1914 das USA-Expeditionskorps begleitet, das nach Vera Cruz geschickt wurde infolge des Zwischenfalles von Tampico. In Mexiko überraschte mich der Ausbruch des ersten Weltkrieges. Bis Ende 1915 verblieb ich in meiner Stellung in Washington.

Dieser Abschnitt ist von einer einschneidenden Bedeutung für mein politisches Leben geworden. Unser mit legalen Mitteln geführter Kampf gegen die einseitige Belieferung unserer Feinde mit Kriegsmaterial führte zu einer heftigen Polemik und Propaganda. Diese von der Feindseite genährte Propaganda suchte die militärischen Attachés Deutschlands mit allen Mitteln zu verdächtigen, illegale Akte, insbesondere Sabotageakte, organisiert zu haben.

Nachdem ich Ende 1915 die United States verlassen habe, habe ich leider niemals versucht, diese falsche Propaganda richtig zu stellen. Aber diese Propaganda hat mich verfolgt bis in die Dreißiger Jahre, ja bis heute, und sie hat mir ihren Stempel aufgedrückt, denn noch nach 1931 stellte beispielsweise, um nur einen Fall zu nennen, die Lehigh Valley Company vor der Mixed Claims Commission die Behauptung auf, ihr Claim an das Deutsche Reich von 50 Millionen Dollar sei gerechtfertigt, weil ich, der Deutsche Militär-Attaché, eine Sprengung verursacht hätte, die im Jahre 1917 stattfand, zwei Jahre, nachdem ich die Vereinigten Staaten verlassen hatte.

Ich erwähne dies, Herr Präsident, weil diese Propaganda mich mit Titeln beehrt hat, wie »Master Spy«, »Chief Plotter« und andere schöne Namen, weil diese Propaganda den Untergrund bildete für die Beurteilung meiner Persönlichkeit, die ich 1932 gefunden habe, als ich in das öffentliche Leben eintrat.


VORSITZENDER: Ich glaube, das wäre ein passender Zeitpunkt, um die Verhandlung zu unterbrechen.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 16, S. 225-264.
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