Vormittagssitzung.

[279] DR. SERVATIUS: Herr Präsident! Der Zeuge Jäger soll in etwa einer halben Stunde erscheinen. Ich werde aus meinem Dokumentenbuch noch einige Dokumente vorlesen, wenn es dem Herrn Präsidenten zusagt.

Ich habe in der letzten Sitzung aus dem ersten Dokumentenbuch die Dokumente verlesen bis auf Dokument Nummer 16. das ich irrtümlich ausgelassen hatte. Es ist ein Merkblatt für Ostarbeiter, ich brauche es nicht zu verlesen; ich nehme nur darauf Bezug. Ich habe als Exhibit Nummer 1 übergeben das »Handbuch für den Arbeitseinsatz« und in diesem Exhibit befinden sich folgende Dokumente, die ich zum Teil verlesen habe, zum Teil noch gleich anschließend verlesen werde. Es sind die Dokumente Nummer 12, 13, 15, 22, 28, 58a, 67a, 82, 83, 85, 86 und 88.

Dann ist übergeben Exhibit Nummer 2, das sind »Sonderveröffentlichungen des Reichsarbeitsblattes«, nämlich »Einsatzbedingungen der Ostarbeiter, sowie der sowjetrussischen Kriegsgefangenen«. Darin sind folgende Dokumente enthalten: Nummer 6, 32, 36, 39, 47 und 52.

Als Exhibit Nummer 3 habe ich übergeben das Manifest des Arbeitseinsatzes; das ist Dokument Nummer 84.

Dann Exhibit Nummer 4, »Arbeitsgesetze – Textsammlung des Deutschen Arbeitsrechtes«, darin sind enthalten: Dokument Nummer 16, 31 und 49.

Als Exhibit Nummer 5 ist übergeben ein Buch »Fritz Sauckels Kampfreden«; das ist Dokument Nummer 95.

Als Exhibit Nummer 6 ist übergeben eine Schrift: »Nationalsozialistische Regierungstätigkeit in Thüringen«; das ist in Dokument Nummer 96 enthalten.

Das Exhibit Nummer 7: »Nationalsozialistische Regierungstätigkeit in Thüringen aus dem Jahre 1933/1934« enthält Dokument Nummer 97.

Dann habe ich nochmals übergeben als Exhibit Nummer 8 die Schrift: »Europa arbeitet in Deutschland«, die bereits als RF-5 vorgelegt ist.

Ich will dann noch überreichen eine eidesstattliche Versicherung des Sohnes von Sauckel, Dieter Sauckel, die sehr kurz ist. Sie bezieht sich auf den Vorfall, daß Sauckel angeblich befohlen haben soll, das Lager Buchenwald zu räumen. Ich verlese sie kurz, es sind nur acht Zeilen:

[279] »Eidesstattliche Versicherung.

Ich war etwa zwischen 4. und 7. April 1945 zugegen als mein Vater, der Gauleiter Fritz Sauckel, eine Besprechung in seinem Arbeitszimmer hatte. Hierbei wurde über die Frage des Lagers Buchenwald verhandelt und folgendes vereinbart:

Es sollte eine bestimmte Anzahl Wachmannschaften im Lager zurückbleiben bis zum Eintreffen des Feindes, um diesem dann die Gefangenen des Lagers zu übergeben.«

Es ist dies Dokument Nummer 94, Seite 247.

»Ich versichere Vorstehendes an Eides Statt zwecks Vorlage beim Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg.

Ich bin bereit, die Wahrheit meiner Aussage zu beeidigen.

Schönau, den 22. 3. 1946. Dieter Sauckel.«

Ich überreiche das Dokument als Exhibit Nummer 9. In dem bereits übergebenen Exhibit US-206, Dokument 3044-PS in Band II, sind enthalten folgende Dokumente, die ich nachher verlesen werde, Dokument Nummer 7, 10, 14, 18, 19, 27 und 41.

Die jetzt noch nicht verlesenen Dokumente befinden sich in den amtlichen Gesetzessammlungen. Ich habe die einzelnen Gesetze in der Bibliothek bereitlegen lassen; ich weiß nicht, ob es nötig ist, sie einzeln einzureichen oder ob es genügt, wenn ich hier zitiere, in welchen Gesetzesbänden sie sich befinden; es ist das »Reichsgesetzblatt«.

VORSITZENDER: Sind sie in Ihrem Dokumentenbuch?

DR. SERVATIUS: Jawohl. Es sind kurze Auszüge aus den amtlichen Gesetzesblättern, jeweils die entscheidenden Stellen zusammengefaßt.


VORSITZENDER: Dr. Servatius! Ich glaube, es wäre besser, wenn Sie ihre Beweisstück-Nummern angeben würden, wenn sie sich in Ihrem Dokumentenbuch befinden. Ich verstehe nicht, wie Sie es anordnen. Sie sagten uns, daß Nummer 1 eine große Anzahl anderer Nummern enthält. Ist nun Nummer 1 die Exhibit-Nummer?


DR. SERVATIUS: Nummer 1 ist die Exhibit-Nummer, und in diesem Exhibit sind diese Dokumente mit den Nummern im Dokumentenbuch enthalten.


VORSITZENDER: In den Büchern?


DR. SERVATIUS: Ja.


VORSITZENDER: So daß Sie also bis jetzt alles zusammen nur neun Beweisstücke eingereicht haben?


DR. SERVATIUS: Ja.


[280] VORSITZENDER: Und wann geben Sie also den verschiedenen Gesetzen, die Sie in Ihren Büchern haben, zusätzlich Nummern; sie werden dann Nummer 10...


DR. SERVATIUS: Ich wußte nicht, ob es nötig ist, diese Reichsgesetzblätter als Exhibits zu übergeben. Sie sind, soviel ich weiß, alle bereits vorgelegt worden, weil es amtliche Gesetzessammlungen sind, aus Reichsgesetzblatt 1942 und 1940. Ich kann natürlich diese einzelnen Blätter herausnehmen und sie ja einreichen.


VORSITZENDER: Wäre es nicht das beste, wenn Sie diese unterbreiteten, sagen wir als Exhibit Nummer 10, und dann könnten Sie uns die Nummern in Ihren Büchern, die in Nummer 10 enthalten sind, angeben?


DR. SERVATIUS: Dann müßte ich den Originaltext der Gesetzessammlung übergeben; das möchte ich vermeiden.


VORSITZENDER: Wir können amtlich davon Kenntnis nehmen.


DR. SERVATIUS: Ich bitte das Gericht, dann amtlich Kenntnis zu nehmen. Ich gebe dann an, in welchen Dokumentenblättern diese Dokumente zu finden sind.

Da wäre Reichsgesetzblatt 1942. Darin sind enthalten die Dokumente Nummer 8, 11 und 17.

Reichsgesetzblatt 1940 enthält Dokument Nummer 45.

Reichsgesetzblatt 1943 enthält Dokument Nummer 21.


VORSITZENDER: Einen Augenblick! Welches war das erste Reichsgesetzblatt, war es das, das die Nummer 8, 11 und 17 enthielt?


DR. SERVATIUS: 1942.


VORSITZENDER: O ja.


DR. SERVATIUS: Das zweite war Reichsgesetzblatt 1940 mit Dokument Nummer 45, das dritte Reichsgesetzblatt 1943 mit Dokument 21, das vierte ist Reichsarbeitsblatt 1940 mit Dokument Nummer 33.


VORSITZENDER: Welchen Jahres?


DR. SERVATIUS: 1940 – Reichsarbeitsblatt, Dokument Nummer 33. Das fünfte Reichsarbeitsblatt 1942 enthält Dokument 40, 46, 50, 51 und 64a.

Als sechstes das Reichsarbeitsblatt 1943, enthält die Dokumente 20, 23, 37, 42, 43, 44, 48, 54, 55, 57, 60, 60a, 61, 62, 64 und 68.

Und als letztes das Reichsarbeitsblatt 1944 mit den Dokumenten Nummer 26, 30, 38, 58, 59, 65, 67 und 89.

Ich werde kurz das Dokumentenbuch jetzt durchgehen, und zwar beginne ich mit dem Dokumentenbuch II, Dokument [281] Nummer 32 »Anordnungen und Erlasse über den Einsatz von Kriegsgefangenen«. Es ist das Abkommen vom 27. Juli 1939. Dort ist herausgenommen die Arbeit der Kriegsgefangenen, und im Artikel 31 ist die verbotene Arbeit aufgeführt.

Im nächsten Dokument, Nummer 33, ist ein Erlaß des Reichsarbeitsministers »Einsatz von Kriegsgefangenen in Arbeitsstellen«. Dort ist im einzelnen aufgeführt, zu welchen Arbeiten die Arbeiter herangezogen werden. Es befindet sich unter den Arbeiten nicht die Waffenherstellung sondern Betriebsarbeiten in der Landwirtschaft, Forstwirtschaft, kriegswichtige Straßen-Kanal-Talsperren, Arbeiten in Ziegeleien, und wie es im einzelnen nachzulesen ist.

In Dokument Nummer 35 ist zu sehen, wie der Einsatz der Kriegsgefangenen erfolgte, nämlich die Zusammenarbeit des Stammlagers der Kriegsgefangenen mit den Unternehmern; daß dort ein Vertrag geschlossen wird, der die Überlassungsbestimmungen im einzelnen festlegt. Es ergibt sich daraus, daß die Arbeitsvermittlung Sauckels damit nicht befaßt ist.

Im Dokument Nummer 36 ist ein Runderlaß über das Verhalten gegenüber Kriegsgefangenen, und zwar ein Merkblatt über das Verhalten gegenüber Kriegsgefangenen. In Zusammenarbeit zwischen dem OKW und dem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda ist das folgende neue Merkblatt aufgestellt worden:

»Verhalten gegenüber Kriegsgefangenen: Kriegsgefangene müssen so behandelt werden, daß ihre volle Leistungsfähigkeit der Industrie und Wirtschaft zugute kommt. Voraussetzung ist dafür eine ausreichende Ernährung.«

Das wollte ich hier unterstreichen.

Im Dokument Nummer 37 ist die Frage des erleichterten Statuts berührt, nämlich die Umwandlung eines Kriegsgefangenen in einen Zivilarbeiter für kriegswichtige Arbeiten in Deutschland. Es zeigt, daß sie hier besondere Zuwendungen bekommen, also eine geldliche Entschädigung für den getrennten Haushalt, ein sogenanntes Trennungsgeld. Es zeigt, daß man diese Arbeiter wie Zivilarbeiter behandelte.

Das nächste Dokument Nummer 38 liegt in derselben Linie, indem es sich mit Besuchen belgischer, französischer, holländischer Kriegsgefangener sowie italienischer Militärinternierter durch ihre Angehörigen im Reich befaßt. Es heißt dort:

»Der Besuch von französischen, belgischen und holländischen Kriegsgefangenen sowie italienischen Militärinternierten ist nur Ehefrauen, Eltern, Kindern und Geschwistern, und zwar nur an Sonn- und Feiertagen, den in Deutschland Arbeitenden oder in Elsaß oder Lothringen Beheimateten, gestattet.«

[282] Es hat tatsächlich das Kriegsgefangenenverhältnis aufgehört.

Das Dokument Nummer 39 ist ein Merkblatt für die allgemeinen Bedingungen, die für den Arbeitsein satz von kriegsgefangenen Arbeitskräften Geltung haben. Es befaßt sich mit der Arbeitszeit:

»Die tägliche Arbeitszeit soll einschließlich des Hin- und Rückmarsches nicht übermäßig sein«,

und weiter heißt es an anderer Stelle:

»die Kriegsgefangenen haben einen Anspruch auf zusammenhängende Ruhezeit von 24 Stunden, die möglichst am Sonntag zu gewähren ist.«

Unter Ziffer 7 ist gesagt, daß weder der Arbeitgeber noch seine Angehörigen noch seine Gefolgschaftsmitglieder zu irgendwelchen Strafmaßnahmen gegenüber Kriegsgefangenen berechtigt sind.

Jetzt folgt ein Abschnitt über die Unterbringung und Versorgung in den Lagern. Das ist Dokument Nummer 40; darin wird durch eine Anordnung Nummer 9 von Sauckel die Überprüfung der Unterkünfte, der Ernährung, der Heizung und die Instandsetzung der Lager durch Lagerhandwerker befohlen. Sie stammt vom 14. Juli 1942. Es wird dort gesagt:

»Alle Arbeitsämter prüfen bis zum 10. August 1942 alle Betriebe, die fremdländische Arbeiter beschäftigten, in ihrem Bereich daraufhin nach, ob sie alle Anordnungen und Erlasse, die der Unterbringung, Ernährung, Behandlung fremdländischer Arbeiter und Arbeiterinnen und Kriegsgefangener galten, ordnungsgemäß durchgeführt haben. Bei dieser Prüfung bitte ich, die Dienststellen der NSDAP und der DAF maßgeblich zu beteiligen. Bei Feststellung von Mängeln ist dem Betriebsfüh rer eine Frist zu ihrer Abstellung zu setzen.«

Weiter ist unten gesagt, unter 2a, daß Vorsorge für die Ernährung im Winter zu treffen ist. Weiter ist am Schluß gesagt:

»Alle Betriebe treffen Vorsorge, daß die Lager und Unterkünfte bei Eintreten kalter Witterung geheizt werden können und das notwendigste Heizmaterial rechtzeitig bestellt wird.«

Der Erlaß schließt damit, daß eigene Handwerker in den Lagern bestellt werden, die vom Betrieb zu bezahlen sind und die Instandhaltung der Lager sichern.

Es folgt dann Dokument Nummer 18, ein Merkblatt für Betriebsführer und Ostarbeiter, in dem eine Lagerordnung enthalten ist. Es heißt einleitend:

»Einem Wunsche des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, Gauleiter Sauckel, entsprechend, empfehle ich, daß sich die Hoheitsträger gelegentlich in den Betrieben [283] von der Durchführung der für den Einsatz von Ostarbeitern getroffenen Bestimmungen überzeugen.«

Es wurde also hier die Kontrolle nochmals unterstrichen. Die Lagerordnung sagt dann:

»Ostarbeiter, Du findest in Deutschland Lohn und Brot und sicherst mit Deiner Arbeit auch die Versorgung Deiner Familie.«


MR. BIDDLE: Herr Dr. Servatius! Könnten Sie diese Dokumente nicht in etwas kürzerer Form zusammenfassen?

DR. SERVATIUS: Das Dokument 41 zeigt, daß die Betreuung der Ostarbeiter insbesondere auch der Deutschen Arbeitsfront zusteht, was hier im einzelnen niedergelegt ist. Mit dem gleichen Thema befaßt sich das Dokument Nummer 42, das vor allen Dingen die Gewerbeaufsicht hervorhebt und sagt, daß für die Betreuung des Ausländereinsatzes sofort alle notwendigen Maßnahmen zu treffen sind und festgestellte Mängel an Ort und Stelle abzustellen sind; die Gewerbeaufsichtsbeamten und die örtlichen Dienststellen haben das zusammen mit der Arbeitsfront zu regeln. Es ist erlassen von Reichsarbeitsminister Seldte, also nicht von Sauckel, so daß man hier aus dieser Verordnung sieht, daß Sauckel nicht etwa Reichsarbeitsminister geworden war.

In Dokument Nummer 43 sind die Erläuterungen zu dieser Lagerverordnung, auf die ich im einzelnen dann Bezug nehme. Aber in Dokument Nummer 43 mache ich nochmals aufmerksam auf die Stellung des Gewerbeaufsichtsamtes. Hier ist die Frage der sanitären Verantwortlichkeit geregelt, Fragen der Ungezieferbekämpfung, und es heißt zum Schluß:

»Die Aufsichtsbehörde im Sinne der neuen Verordnung ist regelmäßig das Gewerbeaufsichtsamt...«

In Dokument Nummer 44 sind genauere Bestimmungen über die Schlafräume, Größe, Belegung und die Durchführung der ärztlichen Betreuung; wieder unterschrieben vom Reichsarbeitsminister Franz Seldte, also nicht von Sauckel.

Die nächste Dokumentengruppe befaßt sich mit der Ernährung. Dokument Nummer 45 ist das Fleischbeschaugesetz, das die Frage behandelt, wie weit minderwertiges Fleisch zum Genuß verwendet werden kann. Dieses Gesetz spielt auch eine gewisse Rolle beim Zeugen.

VORSITZENDER: Dr. Servatius! Es genügt, wenn Sie uns sagen, daß es ein Gesetz über Fleischbeschau ist, wir brauchen keine weiteren Ausführungen darüber.

DR. SERVATIUS: Nummer 46 zeigt nur, daß die ausländischen Arbeiter, wenn sie nicht im Lager sind, ihre Lebensmittelkarten bekommen.

[284] Das Dokument Nummer 47 ist ein Erlaß des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft und zeigt, daß dieser verantwortlich ist für die Festsetzung der Ernährungsmengen. Es sind in dem Dokument die Rationen angegeben; ich nenne nur einzelne: Für die Normalarbeiter 2600 Gramm Brot die Woche. Es steigert sich dann, man kann es hier nachlesen, falls die Fragen von Bedeutung werden...


VORSITZENDER: Auf Seite 128 sehen wir, daß Kriegsgefangene in der Kriegswirtschaft verwendet werden, nicht wahr? – Seite 128.


DR. SERVATIUS: Auf welcher Seite Herr Präsident?


VORSITZENDER: Seite 128.


DR. SERVATIUS: Es heißt dort:

»Verpflegungssätze der in der Rüstungsindustrie beziehungsweise der gewerblichen Wirtschaft beschäftigten sowjetischen Kriegsgefangenen, soweit sie in Lagern untergebracht sind...«

Es folgt dann eine Aufstellung der Rationen. Ich kann nicht erkennen, inwieweit daraus hervorgehen soll...

VORSITZENDER: Seite 128 im englischen Text, Zeile 4 bis 12:

»Behandlung der Kranken: Alle Kriegsgefangenen und Ostarbeiter, männlich und weiblich, die in der Kriegswirtschaft eingesetzt sind...«


DR. SERVATIUS: Dort heißt es:

»Alle Kriegsgefangenen und Ostarbeiter, die in der Rüstungsindustrie beschäftigt werden«,

Rüstungsindustrie ist ja nicht Waffenherstellung.

Mit Dokument Nummer 48 verweise ich nur auf ein Gesetz.... Ich sehe, die Übersetzungsabteilung hat den kurzen Absatz ausgelassen, ich kann aber darauf verzichten, es ergibt sich aus der Überschrift, um was es sich handelt; es handelt sich um die Mitnahme von Lebensmitteln für die Reise in die Heimat, es dreht sich also um die Versorgung auf Rückreisen.

Dokument Nummer 49 ordnet an, daß auch Kost und Zusatzverpflegung gewährt werden kann; auch Diätkost in den Lazaretten; daß da auch Vorsorge getroffen ist.

In den nächsten Gruppen sind die Lohnfragen behandelt. Die erste Verordnung ist Dokument Nummer 50.

VORSITZENDER: Sie sind zu ausführlich, ich denke, es genügt, wenn Sie uns eine Gruppe angeben und uns dann erklären, worum es sich handelt.

DR. SERVATIUS: Jawohl. Das ist von 50 bis 59 unter Auslassung des Dokuments 56. Es sind hier die Lohntragen mit den [285] Lohntabellen vorhanden, und man muß sich eben näher mit den Sachen befassen, wenn die Fragen akut werden. Ich werde dann keine weiteren Einzelauszüge mehr machen.

Das Dokumentenbuch III ist eine Dokumentengruppe; alles gesetzliche Anordnungen; Nummer 60 bis Nummer 68 sprechen über die ärztliche Betreuung. Ich glaube, ich kann auch hierauf verzichten, die einzelnen Dokumente durchzugehen; denn sie gewinnen erst Interesse, wenn man die Sache bearbeitet.


VORSITZENDER: Geben Sie uns eine Gruppe an, und sagen Sie, wovon Sie handelt, dann können wir sie ansehen.

DR. SERVATIUS: Ja. Es handelt sich um die ärztliche Betreuung, und wie ich schon sagte, es gewinnt erst Interesse auf die Einzelheiten einzugehen, wenn ein Fall akut wird. Es hat wohl keinen Sinn, jetzt davon zu sprechen.

Die nächste Gruppe sind Reden Sauckels über den Arbeitseinsatz, die in dem Handbuch enthalten sind. Ich möchte da nur kurz auf eines hinweisen, das ist eine Rede vom 6. Januar 1943, die sich im Anschluß an die Besprechung Sauckels mit Rosenberg abgespielt hat. Da heißt es einleitend:

»Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz hatte am 5. und 6. Januar...«


VORSITZENDER: Welche Seite?

DR. SERVATIUS: Bei mir ist es 204; im englischen Text müßte es auch Seite 204 sein.


VORSITZENDER: Wahrscheinlich sollten diese 8000 800 sein?


DR. SERVATIUS: Jawohl, das muß 800 heißen. Ich habe das Dokument auch schon erwähnt und das Wesentliche daraus vorgetragen.

Die Dokumente Nummer 82 und 83 sind auch in wesentlichen Teilen schon vorher erwähnt worden.

Das Dokument Nummer 84 ist das Manifest, das schon eingehend vorgetragen ist.

Im Dokument Nummer 85 sind auch allgemein gültige und verpflichtende Grundsätze von Sauckel, die sich in den bekannten Grundsätzen bewegen. Das Wesentliche ist, daß sie seit 1943 im gleichen Maße die Tendenz haben, wie sie sie vorher gehabt haben.

Eine spätere Rede, das ist Dokument Nummer 86, eine Rede vom 24. August 1943 an die Präsidenten der Gauarbeitsämter. Auch hier betont Sauckel gegenüber diesen verantwortlichen Gauarbeitspräsidenten seine Grundeinstellung, die er hier ja wiederholt hervorgehoben hat. Er bleibt bei dieser Richtung, indem er am 17. Januar 1944 – das ist Dokument Nummer 88 – wiederum vor diesen Präsidenten den Gesichtspunkt unterstreicht und sagt:

[286] »Die ausländischen Arbeiter müssen noch ständig besser behandelt werden. Die Auffanglager dürfen nicht primitiv sein, sie müssen unsere Visitenkarte sein.«

Und zum Schluß:

»Je mehr ich für die in Deutschland arbeitenden ausländischen Arbeiter tue, je besser ich sie behandle, je mehr ich sie innerlich beeinflusse, in um so stärkerem Maße steht mir ihre Leistungskraft zur Verfügung.«

Es ist das kurz... zwei Monate bevor ihm die Gleichstellung der übrigen ausländischen Arbeiter gelungen ist.

VORSITZENDER: Wir haben die Erklärung des Angeklagten Sauckel gehört...

DR. SERVATIUS: Bitte.

VORSITZENDER:... daß die Bemühungen weiter geführt wurden. Wollen Sie uns bitte sagen, wo diese Gruppe von. Reden zu finden ist, wie weit sie geht?


DR. SERVATIUS: Es ist Dokument Nummer 89. – Dokument Nummer 94 habe ich vorhin verlesen, die Dokumente 95, 96, 97 habe ich bereits, soweit erforderlich, verlesen.

Damit bin ich mit den Dokumenten durch.

Es käme jetzt ein Affidavit, das im Dokumentenbuch eingeheftet ist, des Zeugen Karl Götz. Ich überreiche es als Exhibit Nummer 10. Es ist dies ein Fragebogen, der sehr früh eingereicht worden ist und daher summarisch gehalten war, weil die Einzelheiten noch nicht klar hervorgetreten sind. Der Zeuge hat denn auch recht summarisch geantwortet, beziehungsweise auf eine Reihe Fragen hat er nichts Wesentliches sagen können. Soweit er sie beantwortet hat, nimmt er Bezug auf eine Einleitung, die er gegeben hat, und auf diese Einleitung nimmt er auch Bezug in den Antworten auf die Fragen der Anklage. Ich glaube, ich kann daher auch diese Einleitung, soweit nötig, verlesen. Das Affidavit ist vom 20. März 1946. Ich hebe aus der Einleitung hervor, auf der zweiten Seite, eine Besprechung in Paris. Dieser Zeuge Götz war ein Bankmann in Weimar, den Sauckel von früher kannte und der in seinem fachlichen Arbeitsstab mitgearbeitet hat. Er war mit in Paris und hat an den Verhandlungen mit Laval teilgenommen. Er sagt hier:

»Die Verhandlungen führten zu einem umfangreichen Gespräch, nach meinen Beobachtungen in korrekter, höflichster Form. Laval nahm Sauckels Darlegungen zur Kenntnis und erklärte seine Bereitwilligkeit, dem Ansuchen zu entsprechen, stellte aber Gegenwünsche auf.«

Ich glaube, ich brauche im einzelnen nicht darauf einzugehen, da von untergeordneter Bedeutung ist, was noch verhandelt wurde. Er sagte noch auf Seite 3:

[287] »Bei einer späteren Besprechung in Paris spielten sich die Dinge ähnlich ab. Laval war in seiner Haltung steifer und wies auf die großen Schwierigkeiten hin, die sich bei der Anwerbung von weiteren Arbeitern entgegenstellten; er betonte besonders die Notwendigkeit, den französischen Arbeitsmarkt nicht von den besten Kräften zu entblößen.«

Ich glaube, ich kann dann zur Seite 4 übergehen. Dort sagt der Zeuge unter Ziffer 5:

»Als letzte Mission hatte ich auf Wunsch Sauckels zu ermitteln, ob unter Heranziehung unserer Bankverbindungen der Ankauf einer zusätzlichen Menge von Brotgetreide (genannt wurden 50000 bis 100000 Tonnen) in Rumänien und Ungarn möglich wäre; sie sollten eine zusätzliche Beköstigung für ausländische Arbeiter in Form eines Vesperbrotes geben.«

Er sagte dann weiter aus, daß es sich an den tatsächlichen Verhältnissen zerschlagen hat.

Er gibt dann ein Gesamtbild Sauckels und sagt kurz folgendes:

»Sauckel ist an diese Aufgabe mit der ihm eigenen Stoßkraft und Energie herangegangen, hat mehrfach die Voraussetzungen für das Gelingen der Mission dargelegt und mehrfach betont, daß es Hauptpflicht aller Dienststellen sei, für korrekte Behandlung der Arbeiter an den Arbeitsplätzen zu sorgen.«

Er schildert dann die Einzelheiten:

»Vor allem verlangte er, daß den Fremdarbeitern bei der Unterbringung das Gefühl des Eingesperrtseins erspart würde. Er hat die Beseitigung aller Stacheldrahtumzäunungen verlangt.«

Dann fährt er fort:

»Sauckel habe gesagt, die Arbeiter müßten als Propagandisten in ihre Heimat zurückkehren.«

Dann macht der Zeuge eine wesentliche Bestätigung über die Kenntnis von Gewalttaten und Mißständen. Ich möchte von Seite 6 etwas verlesen, um welche Person es sich handelt beim Zeugen Götz. Er sagte...

VORSITZENDER: Auf welcher Seite steht dieser Auszug?

DR. SERVATIUS: Seite 6, Seite 266 des Dokumen tenbuches, zu Beginn der Seite.


VORSITZENDER: Jawohl, fahren Sie fort.


DR. SERVATIUS: Er sagt:

»Ich fühle mich ferner verpflichtet zu erwähnen, daß Sauckel, als ich nach dem 20. Juli 1944 von der Gestapo [288] verhaftet worden war, zu meinen Gunsten mit dem Sicherheitshauptamt (Kaltenbrunner) gesprochen hat. Inwieweit meine Entlassung aus dem Lager Ravensbrück hierauf zurückzuführen ist, entzieht sich meiner Beurteilung.

Ich erwähne ferner, daß ich von Sauckel keinerlei materielle Vergütung, keine Ehrenzeichen und keine Auszeichnung erhalten habe.

Meine eigene innere politische Überzeugung und meine Beziehung zu Goerdeler und Popitz mußte ich ihm verbergen. Bei seiner blindgläubigen Hörigkeit gegenüber Hitler hätte er sonst zweifelsohne – bei aller alten Bekanntschaft – mich der Gestapo übergeben, aus deren Händen mich zu befreien er sich im November 1944 bemüht hat.«

Ich habe das vorweggenommen und gehe jetzt auf Seite 265 zurück, weil der Zeuge, der nun im Stabe Sauckels mittätig war, hier einmal Stellung nimmt zu der Frage, die uns alle sehr interessiert. Er sagt:

»Nachdem mir aus den Veröffentlichungen das Ausmaß der Gewalttaten in KZ-Lagern bekanntgeworden ist, überlege ich und grüble, wie das obige Bild mit den jetzt aufgedeckten Vorkommnissen in Einklang zu bringen ist. Trotz wochenlanger Überlegung komme ich nicht zu einer Klärung.«


VORSITZENDER: Auf welcher Seite? 265?

DR. SERVATIUS: Seite 265, es ist oben auf der Seite; wo es sich im englischen Text befindet, kann ich nicht sagen; es müßte aber Seite 265 sein.


VORSITZENDER: Ja.


DR. SERVATIUS:

»Auf der einen Seite sehe ich die ausländischen Arbeiter und Arbeiterinnen in dichten Scharen sich frei unter der deutschen Bevölkerung bewegen und mit ihr verkehren (Franzosen und Belgier, die ich aus persönlichem Interesse ansprach, freuten sich gewöhnlich, ihre Muttersprache zu hören, unterhielten sich frei heraus, erhofften das Kriegsende und kritisierten an ihrer Arbeit, aber selten mit Schärfe). Und auf der anderen Seite steht das ganz unerträgliche Bild der jetzt publizierten Massengreuel. Man hatte von Aburteilungen von Fremdarbeitern gehört (sie unterlagen sicherlich derselben Rechtlosigkeit und denselben Strafmethoden, denen auch die Inländer ausgesetzt waren) aber nicht von Massenaburteilungen. Und dann hatte das nichts mit dem Arbeitseinsatz an sich zu tun. Ich kann das damals Gehörte und Gesehene nicht mit den jetzigen Enthüllungen [289] zusammenbringen. Entweder handelt es sich um eine Ent wicklung der letzten anderthalb Jahre, in denen ich infolge Haft und Zurückziehen aufs Land wenig Beobachtungsmöglichkeit hatte, oder es hat heben dem regulären Arbeitseinsatz noch einen großen KZ-Einsatz gegeben, oder Sauckel hat die Dinge nicht übersehen und ist nicht im Bilde gewesen oder schließlich, er hat in seinen generellen Anordnungen und mündlichen Ausführungen sich selbst betrogen, was ich nicht verstehen könnte.«

Ich halte die Ausführungen deshalb von besonderer Bedeutung, weil der Zeuge ja auf der Seite der Männer vom 20. Juli 1944 gestanden hat und sicher sorgfältig beobachtet hat und auf sein Urteil großer Wert gelegt werden muß.

Die Fragen selbst: Frage Nummer 1 und deren Antwort halte ich für unerheblich, ebenso 2, 3, 4, 5 und 6 ebenfalls. Das sind alles Antworten, die weniger von Bedeutung sind; zu der Frage Nummer 10, Seite 276. Die Frage lautet:

»Wer war für die Unterbringung, Behandlung und Verpflegung der Fremdarbeiter verantwortlich, wenn sie an der Arbeitsstelle eingetroffen waren?«

Die Antwort lautet:

»Ich habe nichts anderes gehört, als daß von dem Moment des Arbeitsbeginnes die Betriebsführer (und unter ihnen wohl in den meisten Fällen Spezialangestellte) diese Verantwortung hatten.«

Die Frage Nummer 11:

»Welche Art von Anordnungen hat Sauckel für die Behandlung der Arbeiter in den Betrieben gegeben?«

Antwort: Der Zeuge bezieht sich in seiner Antwort auf die Einleitung, die ich hier verlesen habe.

Die folgenden Fragen 13, 14, 15, 16 und 17 sind unerheblich.

Frage Nummer 18 lautet:

»Wurde Sauckel über Mißstände unterrichtet? Was hat er veranlaßt? Sind Ihnen einzelne Fälle bekannt?«

Antwort:

»Es ist mir nur ein Fall erinnerlich. Es wurde Sauckel gemeldet, daß in einem Unternehmen die Arbeiter noch in einem Stacheldrahtlager untergebracht seien. Ort und Objekt sind meinem Gedächtnis entfallen. Ich habe gehört, wie er die sofortige Beseitigung der Einzäunung angeordnet hat.«

Es kommen dann die Fragen, die zugesetzt sind von der Anklage. Frage Nummer 1, ich glaube, es ist unwesentlich, da sie sich mit persönlichen, inoffiziellen Beziehungen mit Sauckel befaßt, [290] wie er ihn kennengelernt hat. Er hat ihn in der Kriegsgefangenschaft kennengelernt.

VORSITZENDER: Herr Dr. Servatius! Herr Biddle ist der Meinung, daß es Sache der Anklagevertretung sein sollte, die von ihr gewünschten Stellen dieser Fragebogen zu verlesen.

M. HERZOG: Herr Vorsitzender! Die Anklagevertretung wünscht keine Auszüge aus diesem Verhör zu verlesen.

VORSITZENDER: Herr Dr. Servatius! Ist Ihnen bekannt, daß der Zeuge Jäger anwesend ist, nicht wahr?


DR. SERVATIUS: Jawohl, er ist anwesend.


VORSITZENDER: Sie wissen, daß er anwesend ist?


DR. SERVATIUS: Dann rufe ich mit Erlaubnis des Gerichts den Zeugen Jäger.


[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Wie heißen Sie?

ZEUGE DR. WILHELM JÄGER: Dr. Wilhelm Jäger.


VORSITZENDER: Bitte leisten Sie den folgenden Eid: Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde; so wahr mir Gott helfe.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Sie haben während des Krieges bei der Firma Krupp in Essen die Lager der ausländischen Arbeiter als Arzt betreut? Ist das richtig?


JÄGER: Jawohl.


DR. SERVATIUS: Von wem waren Sie hierzu bestellt?


JÄGER: Bestellt war ich hierzu von der Firma Krupp, die mich anstellte, da eine Änderung eintrat in der Betreuung der ausländischen Arbeiter dadurch, daß die Kassenärztliche Vereinigung die Versorgung übernehmen mußte.


DR. SERVATIUS: Sind Sie nicht auch von der Deutschen Arbeitsfront mit dieser Aufgabe betraut worden?


JÄGER: Nein. Der Vertrag, der von der Firma Krupp mit mir geschlossen wurde, ging durch die Deutsche Arbeitsfront.


DR. SERVATIUS: Wenn ich Sie recht verstehe, haben Sie zwar den Vertrag nicht unmittelbar mit der Arbeitsfront geschlossen, aber Sie waren der Deutschen Arbeitsfront gegenüber verpflichtet.


[291] JÄGER: Ich habe nie das Gefühl gehabt, mit der Arbeitsfront da etwas zu tun zu haben.


DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Haben Sie nicht ständig auch an die Deutsche Arbeitsfront berichtet über die Zustände in den Lagern?


JÄGER: Das ist nur ein paarmal gewesen, soweit ich mich erinnern kann. Ich gab in der Hauptsache diese Berichte an die Kassenärztliche Vereinigung und an die Firma Krupp.


DR. SERVATIUS: Meldeten Sie nicht auch an das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt?


JÄGER: Nicht immer. Ich meldete an das Gesundheitsamt der Stadt Essen nur einzelne Fälle, wo es mir wichtig schien, daß das Gesundheitsamt davon auch unterrichtet wurde.


DR. SERVATIUS: Kennen Sie das Amt Gesundheit und Volksschutz?


JÄGER: Jawohl.


DR. SERVATIUS: Bei welcher Stelle befindet sich das?


JÄGER: Das war in Essen.


DR. SERVATIUS: Nicht örtlich gesehen, sondern bei welcher Dienststelle befindet es sich; befindet es sich nicht bei der Deutschen Arbeitsfront?


JÄGER: Das kann ich genau nicht sagen; ich weiß nur, daß es eine Unterabteilung bei der Kassenärztlichen Vereinigung in Essen war.


DR. SERVATIUS: Ist Ihnen bekannt, daß die ausländischen Arbeiter durch die Deutsche Arbeitsfront betreut wurden?


JÄGER: Jawohl.


DR. SERVATIUS: Auch in gesundheitlicher Hinsicht?


JÄGER: Ich habe nur ein einziges Mal eine Kommission von der Arbeitsfront in meinem Lager getroffen.


DR. SERVATIUS: Kennen Sie die Einrichtung der Gaulagerärzte?


JÄGER: Es sollte etwas Derartiges in Essen eingerichtet werden; das hat sich aber zerschlagen. Ich hatte damals, als wir eine Fleckfieberepidemie hinter uns hatten, selbst dem damaligen Leiter, dem Gesundheitsführer – es war ein Dr. Heinz Bühler in Mülheim- den Vorschlag gemacht, etwas Derartiges einzurichten. Ich habe dann auch in einer Versammlung über meine Ziele gesprochen, habe dann aber von dieser Gaulagerärztestelle hinterher nichts mehr gehört.


[292] DR. SERVATIUS: Das genügt. Auf wie viele Lager erstreckte sich Ihre überwachende Tätigkeit?


JÄGER: Das war verschieden. Zuerst waren es vielleicht fünf, also fünf bis sechs, dann hinterher vielleicht siebzehn bis achtzehn, um dann nachher wieder abzusinken auf eine geringere Zahl. Genau kann ich jetzt im Moment die Zahl nicht angeben.


DR. SERVATIUS: Was war der Inhalt Ihrer Aufgabe?


JÄGER: Ich sollte vor allen Dingen die ärztliche Versorgung der Fremdarbeiter sicherstellen.


DR. SERVATIUS: Hatten Sie mit der Behandlung der Kranken zu tun?


JÄGER: Nur soweit sie mir vorgeführt wurden und soweit ich in dem Lager selbst war. Ich habe mich persönlich um die einzelnen Fälle in den Lagern immer gekümmert, wenn ich durch die Lager ging.


DR. SERVATIUS: Sie hatten nicht nur eine Aufsichtstätigkeit, sondern behandelten auch selbst?


JÄGER: Im Lager, wenn ich dort war, würde ich von den Lagerärzten gefragt; ich habe dann beraten.


DR. SERVATIUS: Was war dann die Aufgabe der Lagerärzte?

JÄGER: Die Lagerärzte hatten den täglichen Revierdienst und die Behandlung der Kranken überhaupt.


DR. SERVATIUS: Also Ihre Tätigkeit war eine überwachende?


JÄGER: War eine überwachende.


DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Sie sind von dem Vertreter der Anklage schon wiederholt vernommen worden außerhalb dieses Saales?


JÄGER: Jawohl.


DR. SERVATIUS: Sie sind auch schon hier in Nürnberg gewesen in diesem Gebäude?


JÄGER: Jawohl.


DR. SERVATIUS: Wie damals die Verhandlung anstand?


JÄGER: Jawohl.


DR. SERVATIUS: Haben Sie eine eidesstattliche Versicherung abgegeben über die Zustände in den Kruppschen Lagern?


JÄGER: Jawohl.


DR. SERVATIUS: Ich werde Ihnen diese Versicherung vorlegen. Das ist eine Erklärung vom 15. Oktober 1945. Haben Sie diese für die Staatsanwaltschaft abgegeben als Zeuge der Staatsanwaltschaft?


[293] JÄGER: Soweit ich mich erinnere, ja.


DR. SERVATIUS: Ich bitte Sie, mir zu bestätigen, ob Sie die Erklärung, die Sie dort gemacht haben, heute aufrechterhalten?


JÄGER: Jawohl.


DR. SERVATIUS: Ich werde Ihnen diese Erklärung verlesen:

»Ich heiße Dr. Wilhelm Jäger, bin praktischer Arzt in Essen...«


VORSITZENDER: Dr. Servatius! Sie können ihm doch nicht das ganze Dokument vorlesen; Sie können irgend etwas daraus, gegen das Sie Einwendungen haben, ihm vorhalten.

DR. SERVATIUS: Sehr gut.

Sie sagen, in der Mitte der ersten Seite:

»Ich begann meine Tätigkeit mit einer vollkommenen Inspektion der Lager. Zu dieser Zeit, im Oktober 1942, fand ich folgende Zustände vor«: und dann sagen Sie: »Die Ostarbeiter waren in folgenden Lagern untergebracht: Seumannstraße, Grieperstraße, Spendlerstraße, Hoegstraße, Germaniastraße, Dechenschule...«


VORSITZENDER: Wollen Sie das bestreiten?

DR. SERVATIUS: Ja.


VORSITZENDER: Wo diese Lager waren?


DR. SERVATIUS: Ja, das ist, was ich ihn fragen will.


[Zum Zeugen gewandt:]


Bestanden diese Lager damals, und waren sie belegt?

JÄGER: Soweit ich mich erinnern kann. Man muß dabei bedenken, daß ich, als ich meine Tätigkeit begann, überhaupt nicht wußte, welche Lager da waren. In einer Sitzung, die zusammengerufen wurde, wo Ärzte der verschiedensten Nationalität waren, fragte ich dann zu allererst, was sind für Lager da. Das wußte man nicht, und daraufhin wurde zuerst eine Liste beschafft, in der die Lager aufgeführt wurden. Ich habe dann...

DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Sie haben hier namentlich die Lager aufgeführt. Sie sind also nicht gewiß, daß diese Lager damals im Oktober 1942 bestanden haben?


JÄGER: Ich habe, soweit ich mich erinnern konnte, die Lager aufgeführt, die bei Beginn oder zu Beginn meiner Tätigkeit da waren. Es war ja auch so, daß ich diese Lager alle selbst aufsuchen mußte. Ich war auf mich ganz allein angewiesen.


DR. SERVATIUS: Sie sagen weiter bezüglich des Essens der Ostarbeiter – wenn Sie nämlich auf die zweite Seite des Dokuments gehen – haben Sie dort folgendes gesagt:

[294] »Das Essen für die Ostarbeiter war vollkommen unzureichend. Die Ostarbeiter erhielten 1000 Kalorien pro Tag weniger als das Minimum für Deutsche...«


VORSITZENDER: Dr. Servatius! Nach den Namen der Lager sagt er:

»Sämtliche Lager waren von Stacheldraht umgeben und waren streng bewacht.«

Soviel ich verstehe, wollen Sie das bestreiten?

DR. SERVATIUS: Waren die Lager mit Stacheldraht umgeben und streng bewacht, wie es hier steht?

JÄGER: Am Anfang, ja.


DR. SERVATIUS: Sie wissen aber nicht, ob es bei allen Lagern war.


JÄGER: Die Lager, die ich besuchte, wo man mich ja noch gar nicht kannte, zum Beispiel Krämerplatz und Dechenschule, waren stark bewacht, und ich mußte mich überhaupt erst ausweisen, um hineinzukommen.


DR. SERVATIUS: Ich wiederhole die Frage bezüglich des Essens. Sie sagten, die Ostarbeiter erhielten 1000 Kalorien pro Tag weniger als das Minimum für Deutsche; während deutsche Arbeiter, die Schwerstarbeit leisteten, 5000 Kalorien pro Tag bekamen, erhielten die Ostarbeiter, die dieselbe Arbeit machten, nur 2000 Kalorien pro Tag. Ist das zutreffend?


JÄGER: Das war am Beginn meiner Tätigkeit zutreffend. Die Ostarbeiterverpflegung war, wie aus den aushängenden Listen ersichtlich war, festgelegt, und es war ein Unterschied in der Verpflegung der Ostarbeiter und der deutschen Arbeiter. Die 5000 Kalorien, die hier erscheinen, die bekamen einzelne Kategorien von deutschen Schwerstarbeitern; das war nicht allgemein.


DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Ich werde Ihnen eine Tabelle der Kalorien vorlegen.


[Dem Zeugen wird die Tabelle überreicht.]


DR. SERVATIUS: Ich überreiche dem Gericht eine Abschrift der Tabelle. Es ist dies eine genaue Aufstellung der Kalorien, die den einzelnen Arbeiterkategorien zukommt. Sie beginnt mit dem 9. Februar 1942, ist aufgegliedert in die einzelnen Verpflegungsposten für die einzelnen Arbeiterarten, und auf der letzten Seite ist eine Zusammenfassung der mittleren Kalorien, die gegeben worden sind. Dort sind angegeben in der Zusammenfassung Gruppe 1 Ostarbeiter und Sowjetkriegsgefangene, Durchschnittsarbeiter 2156 Kalorien, Schwerarbeiter 2615, Schwerstarbeiter 2909, Lang- und Nachtarbeiter 2244 Kalorien. Sind Ihnen diese Zahlen geläufig?

[295] JÄGER: Ungefähr.


DR. SERVATIUS: Vergleichen Sie, was dazu die deutschen Arbeiter bekommen: Die Normalverbraucher 2846 Kalorien, die Schwerarbeiter 3159, Schwerstarbeiter 3839, Lang- und Nachtarbeiter 2846 Kalorien. Stimmt das mit Ihrer Erklärung überein, wonach Sie sagen, daß deutsche Schwerstarbeiter 5000 Kalorien bekamen, während die Ostarbeiter nur 2000 Kalorien bekamen.


VORSITZENDER: Einen Augenblick bitte. Es ist sehr schwer, Dr. Servatius, diesen Zahlen zu folgen, wenn Sie uns nicht die genaue Seite angeben. Sind Sie jetzt auf der letzten Seite?


DR. SERVATIUS: Es ist dies eine Zusammenfassung.


VORSITZENDER: Auf welcher Seite lesen Sie jetzt?


DR. SERVATIUS: Auf der letzten Seite, das letzte Blatt rechts, zuerst die Verpflegungsgruppe 1, 2, 3 auf verschiedenen Blättern, und auf dem letzten Blatt ist rechts neben der Gruppe 3, die sich mit den Polen befaßt, eine Zusammenfassung der Kalorien für Ostarbeiter, für. Deutsche und für Polen. Wenn man hier nun gegenüberstellt, in den Kolonnen, die Hohe der Kalorien, dann müßte sich das decken mit dem, was der Zeuge hier gesagt hat. Er hat die Schwerstarbeiter herausgegriffen und gesagt, Deutsche bekommen 5000 Kalorien. Aus der Tabelle ergibt sich, daß sie nur 3839 bekommen, und er sagt, die Ostarbeiter bekommen 2000 Kalorien, während sie nach der Tabelle 2900 bekommen: Also anstatt ein Verhältnis von 5000 zu 2000 Kalorien ist es von 2900 zu 3800 also rund 1000 Kalorien, und nicht wie der Zeuge hier angegeben hat 3000 Kalorien. Ist das richtig? Bleiben Sie bei Ihrer Darstellung. Es ist ein Unterschied zu machen...


VORSITZENDER: Ich habe die Antwort des Zeugen nicht gehört.


MR. DODD: Ich glaube, es wäre dem Gerichtshof und besonders der Anklagevertretung dienlicher, wenn man feststellen könnte, wer diese Tabelle zusammengestellt hat und ob die Zahlen, die hier angegeben sind, auf die Lager zutreffen, die diesem Zeugen unterstanden. Vom bloßen Ansehen kann ich nicht feststellen, wo sie zusammengestellt worden ist, abgesehen von der ersten Seite, wo es heißt:

»Nach der Nahrungstabelle von Dr. Hermann Schall, leitender Arzt des Sanatoriums ›Westend‹. Berechnung der bewirtschafteten Lebensmittel für die Gemeinschaftslager der Fa. Friedr. Krupp...« und so weiter.

Aber diese Dinge können im ganzen zusammengestellt und dem Zeugen vorgelegt werden. Ohne die Vorlage bestimmter Unterlagen halte ich ein solches Kreuzverhör für unzulässig.

[296] DR. SERVATIUS: Ich habe eine eidesstattliche Versicherung, die die Herkunft dieser Tabelle belegen kann.

VORSITZENDER: Haben Sie diese Tabelle schon einmal gesehen?


DR. SERVATIUS: Es ist eine eidesstattliche Erklärung des Zeugen Hahn.


JÄGER: Bin ich gefragt worden, bitte?


DR. SERVATIUS: Das Original hat der Zeuge; es ist da angeheftet; kann ich den Zeugen ersuchen, mir das Dokument zurückzugeben?


JÄGER: Ich wollte eine Erklärung dazu abgeben: Zu Beginn meiner Tätigkeit war die Verpflegung der Ostarbeiter durchaus abweichend von der Verpflegung der übrigen deutschen Bevölkerung und auch von der der sogenannten Westarbeiter, Franzosen, Belgier, und so weiter. Es ergibt sich, daß die Zahlen, wenn es nicht genau festgestellt ist, doch immerhin einen Unterschied von 700 bis 800 Kalorien aufweisen. In der ersten Zeit, ich glaube bis Februar oder März 1943, bekamen ja die Ostarbeiter keine zusätzliche Verpflegung, weder Lang- noch Schwer- und Schwerstarbeiterzulagen. Die kamen erst nach einem Erlaß von Sauckel, soweit ich mich erinnere, zu Beginn des Jahres 1943. Da wurden die Ostarbeiter, soweit ich mich erinnere, den deutschen Arbeitern in der Verpflegung gleichgestellt und bekamen auch Lang-, Schwer- und Schwerstarbeiterzulagen, die sie vorher überhaupt nicht bekommen hatten.


DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Wenn ich Sie recht verstehe, wollen Sie also sagen, diese Tabelle kann stimmen. In Wirklichkeit aber bekamen die Arbeiter das nicht, was in der Tabelle stand. Habe ich Sie so richtig verstanden?


JÄGER: Aus dieser Tabelle geht ja der Unterschied hervor.


DR. SERVATIUS: Es ist ein Unterschied von 3000 Kalorien von Ihnen angegeben worden, während nach der Tabelle sich ein Unterschied von etwa 1000 Kalorien ergibt.

JÄGER: Ich sagte vorher, es gab einzelne Kategorien von Schwerstarbeitern, das waren Feuer- und Bergarbeiter; diese bekamen bis zu 5200 Kalorien. Das war nicht allgemein, das waren nur besondere Facharbeiter, die bis zu 5200 bekamen.


DR. SERVATIUS: Dann ist also nicht korrekt das, was Sie hier sagen, weil Sie es nicht erwähnten. Sie sagen allgemein, daß, während die deutschen Arbeiter, die die schwerste Arbeit leisteten, 5000 Kalorien bekamen, die Ostarbeiter, die dieselbe Arbeit leisteten, nur 2000 Kalorien am Tag erhielten. Das ist doch eine allgemeine Erklärung. Und es geht nicht daraus hervor, daß es [297] sich um Ausnahmen handelt in Bezug auf einzelne Arbeitergruppen. Ist das richtig?


JÄGER: So habe ich das aufgefaßt, und ich glaube, daß Sie es, wie hier steht, verstehen.


VORSITZENDER: Woher kommt diese Tabelle nun, und werden Sie sie unterbreiten?


DR. SERVATIUS: In der eidesstattlichen Versicherung ist diese Behauptung aufgestellt. Und der Zeuge hat damals ja klar gesagt, daß die Schwerstarbeiter, wenn es Deutsche waren, 5000 Kalorien bekamen und wenn sie Ostarbeiter waren, nur 2000 bekamen. Das ist eine klare Erklärung des Affidavits, die ja der Tabelle widerspricht.

VORSITZENDER: Wollen Sie diese Tabelle als Beweismittel einreichen?


DR. SERVATIUS: Jawohl.


VORSITZENDER: Welche Nummer wollen Sie ihr geben?


DR. SERVATIUS: Es wird Beweisstück Nummer 11.


VORSITZENDER: Bezieht sich die eidesstattliche Erklärung auf die Tabelle?


DR. SERVATIUS: Ich fragte wegen des Affidavits, ob es richtig ist?


VORSITZENDER: Nein, ich fragte, ob sich die eidesstattliche Erklärung darauf bezieht und ob sie die Tabelle identifiziert, die der Zeuge eben in der Hand gehabt hat.


DR. SERVATIUS: Ja.


VORSITZENDER: Dr. Servatius! Sie haben eine eidesstattliche Erklärung des Zeugen Walter Hahn hier vorgelegt. Wird in dieser eidesstattlichen Versicherung diese Tabelle erwähnt und wird darin angegeben, woher die Tabelle kommt, von wem sie aufgestellt wurde und worauf sie sich bezieht?


DR. SERVATIUS: Die eidesstattliche Versicherung, die als Dokument D-288 vorliegt, erwähnt die Tabelle nicht, wohl die Versicherung, die ich übergeben habe. Ich habe jetzt verstanden. Es ist die eidesstattliche Erklärung des Zeugen Hahn, dort ist die Tabelle als Anlage beigefügt, und sie wird gedeckt durch die eidesstattliche Versicherung dieses Zeugen. Und dieses Dokument überreiche ich dann zu den Beweisen.


VORSITZENDER: Ich sagte, die eidesstattliche Versicherung von Walter Hahn. Identifiziert sie die Tabelle, und ist sie ihr beigefügt? Auf welcher Seite ist sie? Es sind sieben Seiten. Wir können es nicht finden, wollen Sie uns nicht die Seite nennen?


[298] DR. SERVATIUS: Es ist im deutschen Text die Seite 4.


VORSITZENDER: Gut. Meinen Sie dort, wo es heißt:

»Der Kaloriengehalt dieser Verpflegung ergibt sich aus der von mir aufgestellten Kalorienberechnung, die sich auf die gesamte Kriegsdauer erstreckt.«

Meinen Sie das? Das ist auf Seite 4 unserer Abschrift. Es steht unter Buchstabe »C«, wo es heißt: »Verpflegung der französischen Kriegsgefangenen und der italienischen Militärinternierten«.

DR. SERVATIUS: Es ist dort, wo ich schon sagte, auf Seite 4 des deutschen Textes, wo er sagt, daß die Verpflegungspläne nach Kalorien aufgestellt wurden und wo es heißt:

»Der Kaloriengehalt der Verpflegung ergibt sich aus der von mir aufgestellten Berechnung, die sich auf die ganze Kriegsdauer erstreckt.«

Das ist die Anlage.

VORSITZENDER: Man kann wohl sagen, daß das Dokument beigeheftet ist, aber es bezieht sich mit keinem Wort darauf.

DR. SERVATIUS: Das Dokument ist aber beigeheftet, so daß sich daraus ergibt, daß es dazu gehören muß.


VORSITZENDER: Gut.


DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Wollen Sie...


MR. DODD: Herr Vorsitzender! Ich will hier nicht streiten. Aber vielleicht verstehe ich nicht recht. Ich denke, wir müßten wissen, wann diese Tabelle aufgestellt worden ist und von wem. In der eidesstattlichen Versicherung wird von einer Anlage gesprochen. Mag sein, daß sie von diesem Hahn aufgestellt wurde, aber es ist uns noch nicht mitgeteilt worden. Dieser Zeuge hat nicht dahingehend ausgesagt, und der Verteidiger hat uns auch nichts gesagt.


VORSITZENDER: Herr Dodd! Die Situation ist folgende, nicht wahr? Der Mann namens Walter Hahn hat eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, die dieser Tabelle beigeheftet ist. Diese Erklärung ist datiert...


MR. DODD: Ja, 1946...


VORSITZENDER:... nachdem dieser Zeuge die eidesstattliche Erklärung gemacht hat und nach ausführlichen Antworten von ihm in der Beweisaufnahme...


MR. DODD: Ja, was ich völlig klären möchte, ist, daß diese Tabelle, über die der Zeuge im Kreuzverhör vernommen wird, scheinbar nicht zu der Zeit aufgestellt worden ist als er die Verantwortung für diese Lager hatte. Bis jetzt geht aus dem Verhör licht hervor, daß dies der Fall ist. Ich glaube, das dürfte von großer [299] Bedeutung für die Bewertung des durch das Kreuzverhör geführten Beweises sein.

Weiter möchte ich darauf hinweisen, daß Sauckel sich in seiner Verteidigung darauf berufen hat, daß er mit der Verpflegung und Betreuung der Arbeiter nichts zu tun hatte, nachdem sie in Deutschland waren, sondern daß die DAF dafür verantwortlich gewesen sei. Ich denke, es wäre zweckmäßiger, wenn der Verteidiger dieses klarstellen würde, damit wir wissen, ob er seine Verantwortlichkeit für die Zeit, nachdem die Arbeiter nach Deutschland verbracht worden waren, eingesteht, und ob das der Zweck dieses Kreuzverhörs ist.

VORSITZENDER: Fahren Sie fort, Dr. Servatius.


DR. SERVATIUS: Herr Präsident!...


VORSITZENDER: Einen Augenblick. Der Gerichtshof ist nicht der Meinung, daß es nötig ist, Ihr Kreuzverhör zu unterbrechen. Sie können fortfahren.


DR. SERVATIUS: Die Anklagebehörde hat soeben diese Behauptung als eine Anklage gegen Sauckel vorgetragen. Wenn die Anklage heute auf dem Standpunkt steht, daß Sauckel für die Vorgänge in den Betrieben nicht verantwortlich ist, sondern der Betriebsführer, und daß er nicht auch für die Kriegsgefangenen verantwortlich war, sondern daß die Wehrmacht dafür verantwortlich ist, dann bin ich in der Lage, auf diesen Zeugen zu verzichten.


[Zum Zeugen gewandt:]


Herr Zeuge! Bezüglich der Bekleidung der Ostarbeiter haben Sie Ausführungen gemacht und gesagt, daß sie in denselben Kleidern schliefen, mit denen sie aus dem Osten gekommen waren. Fast alle von ihnen hatten keinen Mantel und waren daher gezwungen, ihre Decken zu gebrauchen – selbst bei kaltem und regnerischem Wetter –, ihre Decken an Stelle von Mänteln zu tragen. War es immer so, oder war es nur vorübergehend? War es eine allgemeine Erscheinung oder nur eine einzelne Beobachtung?

JÄGER: Ich muß, um ein Mißverständnis wie eben zu vermeiden, nochmal erklären:

Bei Beginn meiner Tätigkeit war ich vollständig auf mich allein angewiesen. Da bestand auch keine Lagerführung. Ich hatte selbst niemand, der mit mir zusammenarbeitete. Die Kalorientabelle, ebenso wie die der Kleidung, sind erst nachträglich aufgestellt worden. Die Lagerleitung, die nach Hahn bestand, wenn ich mich recht erinnere, war nur bis Februar oder April 1943. Die Phase, die ich schildern wollte hier, und die ich auch geschildert habe, erstreckt sich immer auf die Zeit des Beginns meiner Arbeit. Zu jener Zeit waren die Bedingungen in der Tat so, wie ich sie beschrieben habe, [300] und ich hatte mich danach zu richten. Das bezog sich auch auf die Kleider, wie ich festgestellt habe. Diese Leute blieben in der Verfassung, wie sie ankamen, soweit es die Kleidung betraf, für einige Zeit, und soweit ich sagen kann, erhielten sie damals nichts.


DR. SERVATIUS: Was wurde dagegen unternommen?


JÄGER: Ich meldete diese Geschichte sobald wie möglich, ich weiß nicht wann, und es sollten dann überall, wie ich sah, Schneiderstuben, Schusterstuben, Handwerkstuben in den Lagern eingerichtet werden, die auch zum Teil eingerichtet waren.


DR. SERVATIUS: Eine Frage: Hat sich im großen dann die Sache erheblich gebessert im Laufe Ihrer Tätigkeit, oder wurde es schlimmer?


JÄGER: Es wurde nicht schlimmer. Nach 1943, nach den ersten schweren Luftangriffen, war natürlich das Durcheinander immer sehr groß. Es verbrannte sehr viel; wenn ich nur daran erinnere, daß in einer Nacht 19000 Leute obdachlos wurden, wo natürlich Kleider und Wäsche, alles verbrannte, so entstanden dadurch natürlich Lücken, die ja erst langsam wieder aufgefüllt worden sind.


DR. SERVATIUS: Wurden diese Zustände durch die Firma Krupp verschuldet oder durch mangelnde Aufsicht von seiten der Arbeitsfront?


JÄGER: Wie gesagt, habe ich die Arbeitsfront nur ein einziges Mal im Lager gesehen. Da machte diese Kommission allerdings Anstände. Es wurde damals – es war im Lager am Krämerplatz – die Firma Krupp mit einer Ordnungsstrafe belegt wegen der Zustände. Das ist aber auch das einzige Mal, daß ich mit der Arbeitsfront überhaupt in Berührung kam.


DR. SERVATIUS: War es dann so, daß die Firma Krupp Widerstand in irgendeiner Weise gegen die Verbesserungen leistete, so daß die Arbeitsfront eingreifen mußte?


JÄGER: Das kann ich nicht sagen; darauf hatte ich keinen Einfluß und wußte nichts darüber, weil ich nur mit den ärztlichen Dingen zu tun hatte und weder zu den Sitzungen der Firma Krupp noch zu denen der Arbeitsfront zugezogen wurde. Ich konnte immer nur melden.


DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Sie haben sich nun zu den. Gesundheitsverhältnissen ebenfalls geäußert und gesagt, daß die Versorgung mit medizinischen Instrumenten, Bandagen, Arzneien und anderen sanitären Bedarfsartikeln in diesen Lagern vollkommen unzureichend war. Ist das so oder sind das auch Ausnahmefälle, oder ist es eine ständige Erscheinung?


JÄGER: So fand ich die Lager im Oktober 1942 und mußte dann langsam aufräumen. Später kam natürlich eine Besserung.


[301] DR. SERVATIUS: Sie sagen hier, daß die Zahl der erkrankten Ostarbeiter doppelt so groß war wie die der deutschen Arbeiter; Tuberkulose war besonders weit verbreitet. Prozentual gab es unter den Ostarbeitern viermal so viel als unter den Deutschen. Ist das richtig?


JÄGER: Das war am Anfang so, als wir die Arbeiter ohne jede ärztliche Untersuchung überhaupt gesandt bekamen. Wenn ich durch die Lager ging, hörte ich von den Lagerärzten – und sah selbst gelegentlich bei Instruktionen –, daß sehr viele Leute erkrankt waren. Die Zahl lag bedeutend höher als bei den Deutschen, soweit ich das damals übersehen konnte.


DR. SERVATIUS: Was wurde dagegen unternommen von der Firma Krupp?


JÄGER: Es wurden dann, nachdem wir feststellten, daß es sich um Tuberkulose handelte, sofort Untersuchungen in großer Anzahl, sogar Röntgenuntersuchungen, vorgenommen, und zwar in erheblichem Maße. Dann wurden die Tuberkulösen ausgeschieden und in eine klinische Behandlung gebracht, und zwar ins Kruppsche Lazarett.


DR. SERVATIUS: Weiter sagten Sie, auch Flecktyphus war unter diesen Arbeitern weit verbreitet.


JÄGER: Damit habe ich mich im besonderen beschäftigt, da wir ungefähr 150 Fälle hatten.


DR. SERVATIUS: In welcher Zeit?


JÄGER: Während der ganzen Zeit von 1942 bis 1945.


DR. SERVATIUS: Wie viele Arbeiter waren da zu dieser Zeit?


JÄGER: O, das wechselte.


DR. SERVATIUS: Nennen Sie eine Zahl, ungefähr.


JÄGER: Gut, wenn ich mich recht erinnere, es mögen ungefähr 23000 oder vielleicht 24000 gewesen sein; vielleicht waren es mehr. Später waren es ungefähr 9000; aber die Zahlen wechselten.


DR. SERVATIUS: Halten Sie das für eine richtige Erklärung, wenn von einer solch großen Zahl im Laufe der langen Zeit 150 Personen Flecktyphus haben, zu sagen, Flecktyphus war unter den Arbeitern sehr verbreitet gewesen?


JÄGER: Ja, wir hatten ja unter der deutschen Bevölkerung überhaupt keinen Flecktyphus. Darum mag natürlich diese Erklärung zu Recht bestehen. Wenn nämlich bei einer Bevölkerung von 400000 oder 500000, wie sie Essen hatte, kein Fleckfieber war und wenn man bei einem Durchschnitt von 20000 150 Fälle hatte, dann kann man das wohl sagen.


[302] DR. SERVATIUS: Mit anderen Worten, Sie halten Ihre Behauptung aufrecht, daß das eine richtige Erklärung ist, daß Typhus verbreitet war. Sie sagen außerdem, daß Träger dieser Krankheiten Wanzen, Läuse, Flöhe und anderes Ungeziefer waren, und diese plagten die Insassen dieser Lager. Trifft dies auf alle Lager zu?

JÄGER: Das war fast in allen Lagern mit Beginn meiner Tätigkeit so. Es wurde dann eine Desinfektionsanstalt von der Firma Krupp errichtet, die gleich in Angriff genommen wurde, sofort zerstört wurde, wieder aufgebaut und wieder zerstört wurde.


DR. SERVATIUS: Dann sagen Sie weiter, in Krankheitsfällen mußten die Arbeiter so lange zur Arbeit gehen, bis sie von einem Lagerarzt arbeitsunfähig geschrieben wurden. Für Arbeiter in den Lagern der Seumannstraße, Grieperstraße, Germaniastraße und Kapitän-Lehmann-Straße wurden keine täglichen Sprechstunden abgehalten. Diese Lager wurden von den zuständigen Lagerärzten nur jeden zweiten oder dritten Tag besucht. Infolgedessen mußten die Arbeiter trotz ihrer Krankheit bis zum Erscheinen eines Arztes zur Arbeit gehen. Ist das richtig?


JÄGER: Daß ein Arbeiter, wenn er nicht vom Arzt krank geschrieben wurde, zur Arbeit mußte, war selbstverständlich. Das war auch bei der deutschen Bevölkerung so. Ich bin selbst Kassenarzt und hatte das in sehr vielen Fällen, wenn einer sich nicht krank meldete, so mußte er zur Arbeit gehen. Da gab es keinen Unterschied.


DR. SERVATIUS: Und Sie sagen hier, daß das in den genannten Lagern so war, daß keine eigentliche Sprechstunde war. Das bedeutete also, daß der Mann sich nicht krankschreiben lassen konnte?


JÄGER: Doch er konnte ja zum Arzt gehen. Gerade weil keine Ärzte da waren, habe ich es so angeordnet, daß, wenn es möglich war, die Leute zu mir in meine Sprechstunde kamen, zu mir persönlich.


DR. SERVATIUS: Sie haben hier aber gesagt...


VORSITZENDER: Ich denke, es ist besser, wir werden uns jetzt vertagen.


[Pause von 10 Minuten.]


DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Sie hatten eben gesagt, daß die Arbeiter sich krankschreiben lassen konnten, auch wenn kein Arzt da war, daß dann andere Fürsorge möglich war. Hier haben Sie gesagt, diese Lager wurden von den zuständigen Lagerärzten nur jeden zweiten oder dritten Tag besucht. Infolgedessen mußten die Arbeiter trotz ihrer Krankheit bis zum Erscheinen eines Arztes zur Arbeit gehen. Ist das richtig?

[303] JÄGER: Das ist wohl falsch ausgedrückt. Wenn einer sich krank meldete, mußte er zu einem Arzt gebracht oder geführt werden, oder der Arzt wurde verständigt.


DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Ich komme nochmals zurück auf das Thema, wie sich der Typhus verbreitete. Wie viele Todesfälle waren denn zu verzeichnen?


JÄGER: Wir haben nur ungefähr drei bis vier Todesfälle gehabt, und diese sind nur daher gekommen, weil der Fall zu spät erkannt wurde. Die Fleckfieberkranken wurden immer von mir persönlich, und zwar sofort, in das Krankenhaus dirigiert; denn ich war verantwortlich dafür.


DR. SERVATIUS: Dann sagen Sie weiter an einer anderen Stelle, das ist auf Seite 2:

»Der Versorgungsplan schrieb eine kleine Menge Fleisch pro Woche vor. Dafür durfte nur Freibankfleisch verwendet werden, welches entweder Pferde-, tuberkulöses oder vom Tierarzt verworfenes Fleisch war.«

Bedeutet das, daß die ausländischen Arbeiter verdorbenes Fleisch zu essen bekamen?

JÄGER: Da muß man den Begriff »Freibankfleisch« definieren. Freibankfleisch ist Fleisch, das vom Tierarzt für die allgemeine Versorgung nicht freigegeben wird, das aber nach einer bestimmten Behandlung für die menschliche Ernährung durchaus geeignet ist. Von diesem Freibankfleisch hat auch schon in Friedenszeit und auch nachher die deutsche Bevölkerung gekauft. Während des Krieges bekam die deutsche Bevölkerung von dem Freibankfleisch die doppelte Portion auf ihre Marken.

DR. SERVATIUS: Es wird also vom Tierarzt zugelassen für die Verpflegung?


JÄGER: Nach einer bestimmten Vorbehandlung wird das Fleisch, das vorher für untauglich erklärt ist, zugelassen für die menschliche Ernährung und ist dann auch unschädlich.


DR. SERVATIUS: Also der Ausdruck »vom Tierarzt verworfen« soll bedeuten, vorher verworfen, dann aber zugelassen?


JÄGER: Dann zugelassen.


DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Sie haben dann bezüglich des französischen Kriegsgefangenenlagers in der Noeggerath-Straße folgendes gesagt:

»Dieses Lager wurde durch einen Luftangriff zerstört, und die Insassen wurden fast ein halbes Jahr in Hundehütten, Pissoirs und alten Backöfen untergebracht.«

Ist das richtig?

[304] JÄGER: So fand ich diese Lager vor.

DR. SERVATIUS: Sie haben das ein halbes Jahr selbst gesehen?


JÄGER: Ich bin ja nur dreimal dagewesen. Mir wurde das so geschildert, und ich fand das Lager so. Soweit ich damals feststellen konnte, war das um die damalige Zeit ungefähr wohl vier Monate her; und es wurde dann wieder hergestellt.


DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Mich interessieren die Hundehütten. Wie viele Hundehütten gab es denn dort? Waren das echte Hundehütten oder ist das nur eine abfällige Bemerkung über eine andere Unterkunft?


JÄGER: Nein, ein Ausdruck von mir, weil die Leute diese Hütten sich selbst gebaut und zusammengezimmert hatten.


DR. SERVATIUS: Gilt das auch für die Pissoirs, oder was soll das bedeuten?


JÄGER: Dies war der Platz, wo der Arzt seine Sprechstunde abhielt.


DR. SERVATIUS: War das ein früheres Pissoir oder war das ein Pissoir, was in Tätigkeit war?


JÄGER: Ein früheres Pissoir.


VORSITZENDER: Ich kann nicht verstehen. Bitte sprechen Sie etwas langsamer.


DR. SERVATIUS: Es war also ein umgebautes früheres Pissoir?


JÄGER: Das war nicht umgebaut, das stand so, wie es war.


DR. SERVATIUS: War dieses Pissoir dann noch in Benutzung?


JÄGER: Das war nicht mehr in Benutzung.


DR. SERVATIUS: Dann sagen Sie, in diesem Lager seien keine Tische, Stühle oder Schränke gewesen?


JÄGER: Das war auch nicht der Fall.


DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Haben Sie diese Aussage beschworen, die Ihnen vorgelegen hat?


JÄGER: Jawohl, die ich vorhin gesehen habe.


DR. SERVATIUS: Sind Sie sicher, daß es diese Aussage ist, die Sie eben in der Hand gehabt haben?


JÄGER: In meiner Wohnung in Chemnitz habe ich verschiedene Dinge in den mir vorgelegten Protokollen nach der Vernehmung handschriftlich gestrichen und meinen Namen daneben geschrieben.


DR. SERVATIUS: Haben Sie nicht zum Beispiel gerade diesen Satz...


[305] VORSITZENDER: Dr. Servatius! Bitte, unterbrechen Sie ihn nicht.


DR. SERVATIUS: Bitte, sprechen Sie weiter.


JÄGER: Ich muß doch annehmen, daß dies das Protokoll ist.


DR. SERVATIUS: Sie haben es doch vorliegen?


JÄGER: Ich habe hier ein Protokoll vorliegen, ja.


DR. SERVATIUS: Können Sie nicht feststellen, welche Stellen Sie gestrichen haben? Waren das viele Stellen, oder waren es nur einzelne Worte?


JÄGER: Nein, es waren auch ganze Sätze.


DR. SERVATIUS: Und das haben Sie beschworen?


JÄGER: Das Protokoll nach diesen Änderungen habe ich beschworen.


DR. SERVATIUS: Herr Präsident! Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichts darauf lenken, daß diese Erklärung in den Krupp-Akten zu Beginn des Verfahrens vorgelegen hat, daß diese erheblich kürzer war, und daß in ihr gerade eine Reihe von Sätzen fehlte, die der Zeuge hier beschworen hat. Ich würde beantragen, der Anklagebehörde aufzugeben, das Original, von dem der Zeuge ja sagt, daß er Streichungen darin vorgenommen hat, vorzulegen, damit man prüfen kann, was er geschrieben hat. Soweit ich informiert bin, hat er gerade einige Aussagen, die er hier wiederum wiederholt hat, damals selbst gestrichen. Ich gebe als Beispiel an, daß er gesagt hat, in diesem Lager gab es keine Tische, Stühle oder Schränke. Der Satz ist gestrichen gewesen. Der Zeuge hatte also damals Bedenken und hat sie nicht beschworen.


VORSITZENDER: Ich weiß nicht, was Sie meinen. Wir haben vor uns eine sogenannte eidesstattliche Erklärung, die als Beweismittel vorgelegt wurde und von dem Zeugen unterschrieben ist. Der Zeuge erklärt jetzt, daß diese Erklärung richtig ist – vorbehaltlich der Änderungen, die Sie durch das Kreuzverhör von ihm erfahren haben.


DR. SERVATIUS: Er sagt, es können ganze Sätze sein, und ich möchte die Staatsanwaltschaft ersuchen, dieses Dokument mit den Streichungen vorzulegen; denn mir sind zwei verschiedene Erklärungen vorgelegt worden: eine kurze, wo anscheinend die Streichungen ausgelassen worden sind, und eine vollständige, wie sie hier vorliegt, und von der der Zeuge sagt, sie ist gekürzt worden.


VORSITZENDER: Der Zeuge hat doch lediglich gesagt, daß es ihm ursprünglich in einer bestimmten Form vorgelegt wurde; er hat daran bestimmte Änderungen vorgenommen. Dann, nachdem [306] diese Änderungen vorgenommen waren – ich weiß nicht, ob eine Reinschrift davon gefertigt wurde –, hat er es unterschrieben und beschworen, und das ist das Dokument, das wir jetzt haben.

DR. SERVATIUS: Herr Präsident! Meine Behauptung geht dahin, daß dieses Dokument, das hier vorliegt, diese Streichungen nicht enthält. Die Worte, die gestrichen worden sind, sind hier noch im Dokument enthalten.


VORSITZENDER: Sie können doch dem Zeugen jede Frage stellen, die Sie wünschen.


DR. SERVATIUS: Wie haben Sie Ihre Abänderungen kenntlich gemacht?


JÄGER: Ich habe mit Tinte durchgestrichen und meinen Namen daneben gesetzt. Es ist natürlich schwierig, ich kann heute nicht sagen, was ich damals gestrichen habe, weil ich ja keines von diesen behalten habe.


DR. SERVATIUS: Herr Präsident! Dann müßte in der Urkunde, die hier vorliegt, wenn sie richtig wiedergegeben wäre, die Streichung vermerkt sein, zumal der Zeuge sagt, er habe das am Rande bescheinigt.


VORSITZENDER: Zeuge! Haben Sie das Dokument in der Reinschrift unterschrieben? Zeuge, haben Sie das Dokument unterschrieben, nachdem es nochmals an Reinschrift abgeschrieben worden war? Sie wissen doch, was eine Reinschrift ist?


JÄGER: Ja, ja, ich muß mich da genau besinnen. Es wurde mir vorgelegt; ich habe dann die Änderungen gemacht; daraufhin habe ich drei oder vier dieser Aussagen unterschrieben, dann hat man diese Protokolle mitgenommen, und ich bin dann am selben oder am nächsten Tag in Essen gewesen und habe das Protokoll beschworen. Ich habe dann ein Protokoll bekommen, das ich beim Gericht vorgelesen habe.


DR. SERVATIUS: War das in Reinschrift ohne Änderungen?


JÄGER: Das war in Reinschrift. – Darauf kann ich mich nicht besinnen, das kann ich wirklich nicht.


DR. SERVATIUS: Was war die Veranlassung, daß Sie diese Streichungen vornahmen?


JÄGER: Das Protokoll kam ja so zustande, daß damals Captain Harris zu mir kam und mich über diese Dinge befragte.

Es wurden dann Notizen gemacht; daraufhin stellte Captain Harris wohl das Protokoll zusammen und bat mich, es zu unterschreiben.


DR. SERVATIUS: Aus welchem Grunde nahmen Sie die Streichungen vor?


[307] JÄGER: Weil ich das nicht beschwören konnte – weil ich das, was ich da strich, nicht beschwören konnte.


DR. SERVATIUS: War es unrichtig, oder war es zu weitgehend?


JÄGER: Es war zum Teil zu weitgehend. Zu weitgehend kann man wohl sagen oder zum Teil auch unrichtig, also ohne Absicht natürlich, ich mußte das dann aber ändern und habe es geändert.


DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Wenn ich Ihnen ein Dokument vorlege, in dem ich die Streichungen hier im Text rot unterstreiche, würden Sie sie wiedererkennen?


JÄGER: Das ist sehr schwierig; denn darauf kann ich mich nicht besinnen.


DR. SERVATIUS: Ich habe dann keine Fragen mehr an den Zeugen.


MR. DODD: Mir ist noch immer nicht ganz klar, Herr Vorsitzender, ob der Verteidiger behauptet, daß wir noch ein anderes Dokument besitzen, das wir hier nicht vorgelegt haben. Davon ist mir nichts bekannt. Wir haben das einzige Dokument vorgelegt, das sich in unserem Besitz befindet.


VORSITZENDER: Haben Sie dieses Original, oder wer hat es?


MR. DODD: Wir hatten eine Anzahl Exemplare anfertigen lassen; sie wurden alle als Originale unterzeichnet. Das erste wurde auf der Maschine abgeschrieben, die anderen Exemplare waren Durchschläge. Es war eine britisch-amerikanische Gruppe, die diesen Zeugen verhörte. Diese eine Kopie wurde uns übermittelt, und wir haben sie dann dem Gerichtshof vorgelegt. Das war die einzige, die wir zu Gesicht bekamen.


VORSITZENDER: Ich sehe, daß in der Bescheinigung der Übersetzung auf eine Beglaubigung vom 14. Oktober 1945 hingewiesen wird, unterschrieben von Hauptmann N. Webb.


MR. DODD: Ja.


DR. BALLAS: Darf ich vielleicht als früherer Verteidiger von Herrn Krupp von Bohlen eine Erklärung dazu abgeben: In der Krupp-Mappe, die seinerzeit der Verteidiger von Krupp...


VORSITZENDER: Einen Moment bitte. Was haben Sie damit zu tun?

Wir prüfen jetzt die Anregung, die Dr. Servatius gemacht hat, nach der dieses Dokument, das uns zur Zeit beschäftigt...


DR. BALLAS: Verzeihung, ich habe nicht verstanden.


VORSITZENDER: Wir prüfen jetzt dieses Dokument D-288. Sie haben doch mit diesem Dokument nichts zu tun?


[308] DR. BALLAS: Jawohl, ich habe mit diesem Dokument zu tun. Die Krupp-Mappe...


VORSITZENDER: Einen Augenblick. Mit welchem Recht sprechen Sie jetzt hier? Sie sind lediglich ein ehemaliger Verteidiger von Krupp.


DR. BALLAS: Ich wollte nur dazu beitragen, eine Aufklärung zu geben. Ich vertrete augenblicklich Herrn Dr. Siemers für Großadmiral Raeder.


VORSITZENDER: Ja, aber wie können Sie uns hier bei der Klarstellung der eidesstattlichen Erklärung dieses Zeugen durch die Anklagebehörde helfen? Dabei können Sie uns doch nicht helfen.


DR. BALLAS: Ich wollte nur auf die verschiedenen Fassungen dieses Dokuments hinweisen.

In der Krupp-Mappe befindet sich ein diesbezügliches Dokument D-288, das wesentlich kürzer ist, als dieses Dokument 288, das hier im Falle Sauckel von der Anklagebehörde vorgetragen worden ist. Ich habe damals auf diese Unterschiede Herrn Dr. Servatius hingewiesen, und wir haben dann einzeln festgestellt, worin die Abweichungen bestehen. Es sind also zwei Dokumente vorhanden, das eine Originaldokument 288 und jenes, das in der Krupp-Mappe vorliegt und welches eine Abweichung von dem Dokument darstellt, das im Falle Sauckel vorgelegt worden ist.


VORSITZENDER: Aber dieses Dokument ist von diesem Zeugen unterschrieben worden. Es können auch andere Dokumente unterschrieben worden sein, die in die Krupp-Mappe gelegt worden sind. Aber dieser Zeuge hat ausgesagt, daß er dieses Dokument unterschrieben habe. Deshalb glaube ich nicht, daß es von Wichtigkeit ist.


DR. BALLAS: Ich wollte nur darauf hinweisen, daß es zwei verschiedene Dokumente gibt.


VORSITZENDER: Ja, ich danke Ihnen.

Wünscht ein anderer Verteidiger Fragen an diesen Zeugen zu stellen? Herr Dodd, wünschen Sie den Zeugen nochmals zu verhören?


MR. DODD: Nein, Herr Vorsitzender. Ich möchte lediglich im Hinblick auf die Frage des Gerichtshofs bezüglich der Beglaubigung der Übersetzung, in welcher der Name »Capt. N. Webb« erscheint, folgendes sagen; Ich bin dahingehend unterrichtet, daß es sich um eine Beglaubigung handelt, die allen britischen Dokumenten angefügt ist, und zwar ist es eine Beglaubigung, die für die Übersetzer bestimmt ist. Ohne Zweifel handelt es sich darum. Ich werde es jedoch im Dokumentenraum untersuchen lassen und die Sache aufklären. So ist es besser. Aber meine englischen Kollegen [309] sagen, daß es sich folgendermaßen verhält: Sie übergeben eine Beglaubigung, und die einzig mögliche Erklärung ist, daß es sich um die richtige Beglaubigung handelt, daß aber das Datum unrichtig ist. Jedenfalls werde ich die Sache nachprüfen lassen.


VORSITZENDER: Wurde dem Zeugen ein Original dieses Affidavits vorgelegt?


MR. DODD: Ich glaube, ja. Ich nehme an, daß er das Exemplar gesehen hat, das dem Gerichtshof vorliegt.


VORSITZENDER: Hat er die Unterschrift anerkannt?


MR. DODD: Ja, so habe ich es aufgefaßt. Ich kann aber fragen.

Herr Zeuge! Haben Sie die Unterschrift gesehen? Ist es Ihre Unterschrift?


JÄGER: Jawohl.


MR. DODD: Ich habe tatsächlich persönlich mit Ihnen darüber gesprochen, und Sie sagten, daß dies die Erklärung sei, die Sie abgegeben hätten. Erinnern Sie sich, daß wir zusammen sprachen und Sie mir mitteilten, daß es Ihre Erklärung sei? Sie haben sie damals durchgesehen und gelesen.


JÄGER: Ja.


MR. DODD: Sie verstehen doch Englisch? Sie haben doch einige Kenntnisse im Englischen, nicht wahr?


JÄGER: Einige Kenntnisse, ja.


VORSITZENDER: Herr Zeuge! Das Dokument wird Ihnen vorgelegt. Ist dieses Dokument in deutscher Sprache abgefaßt?


JÄGER: Es ist in deutscher Sprache abgefaßt.


VORSITZENDER: Und es ist von Ihnen unterschrieben?


JÄGER: Jawohl.


VORSITZENDER: Ist irgendeine Stelle darin, die Sie jetzt ausstreichen wollen?


JÄGER: Darf ich das Dokument erst einmal durchlesen?


VORSITZENDER: Ja, selbstverständlich, aber lesen Sie, bitte, so schnell Sie können.


JÄGER: Ja.


MR. DODD: Herr Vorsitzender! Während der Zeuge das Dokument durchliest, möchte ich den Gerichtshof dahin unterrichten, daß wir soeben im Dokumentenraum angerufen haben. Der Beamte hat uns mitgeteilt, daß es nur ein Dokument D-288 gibt. Es gibt also tatsächlich nur ein Dokument D-288, und das ist dieses. Ein unterschriebenes Duplikat, wie der Verteidiger von Krupp behauptet, gibt es nicht.


[310] JÄGER: Ja, hier ist eine Änderung, die mit Bleistift geschrieben ist, auf Seite 2. Ich habe das ausgestrichen. Das ist aber nicht von mir geschrieben.


DR. SERVATIUS: Herr Präsident! Darf ich das Dokument überreichen, das mir von der Verteidigung von Krupp übergeben worden ist zu Beginn. Ich habe hier auch ein englisches Dokument, und zwar das Dokument 288, und ich habe die Stellen, die damals herausgestrichen worden sein sollen oder wären, rot angestrichen. Ich darf es zur Information des Gerichts übergeben. Es wird vielleicht zur Aufklärung der Sache beitragen. Es sind erhebliche Streichungen.


VORSITZENDER: Nein, Dr. Servatius! Das ist ein anderes Dokument, soweit ich verstehe.


DR. SERVATIUS: Ja.


VORSITZENDER: Wir brauchen das nicht. Wir haben dieses Dokument vor uns liegen, unterschrieben von dem Zeugen, und wir haben den Zeugen gefragt, ob er etwas darin findet, das seiner Ansicht nach in dem von ihm unterschriebenen Originaldokument nicht enthalten war.


JÄGER: Auf Seite 1 steht: »Die Bedingungen in allen diesen Lagern waren äußerst schlecht«. Da würde ich wahrscheinlich eine Einschränkung gemacht haben, weil ich da...


VORSITZENDER: Einen Augenblick, Zeuge! Wir wollen nicht wissen, ob Sie dachten, daß Sie sich zu stark ausgedrückt hätten, sondern wir wollen nur wissen, ob dies das Dokument darstellt, das Sie tatsächlich unterschrieben haben, ob es tatsächlich das Dokument ist. Wenn Sie jetzt etwas ändern wollen, so können Sie angeben, um was es sich handelt.


JÄGER: An diesem Protokoll, wie es mir hier vorliegt, würde ich nichts ändern.


VORSITZENDER: Nur noch ein oder zwei Fragen, Herr Zeuge, die ich an Sie stellen möchte. Waren zu der Zeit, als Sie diese Lager überwachten, Kriegsgefangene in den Krupp-Werken beschäftigt?


JÄGER: Überwacht habe ich die Kriegsgefangenenlager nicht. Das ist ein krasser Ausdruck. Ich bekam damals die Erlaubnis, auch die Kriegsgefangenenlager, die ja durchaus der Wehrmacht unterstanden, zu besuchen, wobei ich dahingehend informiert wurde, daß die Kriegsgefangenen alle bei Krupp beschäftigt waren.


VORSITZENDER: Arbeiteten in den Lagern, die Sie hierin erwähnten, Kriegsgefangene?


JÄGER: In der Högstraße.


[311] VORSITZENDER: Also, es waren Kriegsgefangene, die dort arbeiteten?


JÄGER: Ja.


VORSITZENDER: Für die Krupp-Werke?


JÄGER: Ja, für die Krupp-Werke.


VORSITZENDER: Und welche Art von Arbeit war es?


JÄGER: Ja, diese Dinge unterstanden mir nicht. Sie waren je nach ihrer Art beschäftigt; wenn es Schlosser waren, wurden sie wahrscheinlich in der Schlosserei beschäftigt. Es waren aber auch viele Hilfsarbeiter dabei. Aber das kann ich natürlich nicht in allen Einzelheiten sagen, weil diese Dinge mir nicht unterstanden, sondern weil ich nur ärztlich mit den Leuten zu tun hatte.


VORSITZENDER: Das genügt.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


MR. DODD: Herr Vorsitzender! Ich habe diese Bescheinigung gefunden. Es ist so, wie ich es dem Gerichtshof dargestellt habe. Es ist eine Bescheinigung von Hauptmann Weber von der britischen Armee, in der bestätigt wird, daß er eine Kopie dieses Dokuments von der amerikanischen Abteilung erhalten habe. Es ist unterschrieben von Hauptmann H. Weber, IMT Corps der britischen Armee, Europäischer Sektor.

VORSITZENDER: Kommt nun Ihr Fall, Dr. Servatius?


DR. SERVATIUS: Ja. Es sind noch zwei Zeugen, Biedermann und Mitschke. Ich kann auf diese beiden Zeugen verzichten. Dann fehlen noch die eidesstattlichen Erklärungen, die Fragebogen von Dr. Voß, Dr. Scharmann, von einem Zeugen Marrenbach und noch von dem Zeugen Letsch, Sachbearbeiter in der Dienststelle Sauckel. Es sind eingegangen die Fragebogen der Zeugen Darré und Seldte, die aber noch nicht übersetzt sind. Ich lege sie dann vor, wenn die Übersetzung hergestellt ist.


VORSITZENDER: Gut.


DR. SERVATIUS: Dann bin ich am Ende meines Falles.


VORSITZENDER: Nun der Verteidiger für den Angeklagten Jodl, bitte!


PROF. DR. EXNER: Meine Herren Richter! Ich will mit Ihrer Erlaubnis meinen Fall in der Weise vorlegen, daß ich zunächst den Angeklagten Jodl in den Zeugenstand rufe und sämtliche Urkunden bis auf eine einzige bei seiner Vernehmung benütze und dem Gericht vorlege. Ich brauche dann die Herren Richter nicht mit weiteren langen Verlesungen zu langweilen. Ich habe drei Dokumentenbücher, die geordnet sind nach Nummern, und zwar Jo-1, Jo-2 fortlaufend und werde jeweils die Seite zitieren, welche [312] bei den Übersetzungen links oben auf jeder Seite steht. Dieses ist nämlich die Seite des Originals, und diese stimmen überein. Leider muß ich sagen, sind die Dokumente nicht vollkommen in der Reihenfolge, in der ich sie zur Verlesung bringe, teils deshalb, weil sie verspätet eingelaufen sind, teils aus anderen Gründen. Es fehlen auch noch einige Fragebogen; einer, der mir wichtig wäre, vor allem. Ich hoffe, daß sie noch nachgebracht werden können. Ich habe fünf Zeugen bewilligt bekommen; es wird aber auf einen verzichtet werden können, und die vier anderen Zeugen sind Zeugen, die kurze Zeit in Anspruch nehmen werden.

Somit möchte ich, mit Erlaubnis des Gerichts, den Angeklagten Jodl in den Zeugenstand rufen.


VORSITZENDER: Jawohl.


[Der Angeklagte betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Geben Sie Ihren vollen Namen an.

ALFRED JODL: Alfred Jodl.


VORSITZENDER: Wollen Sie folgenden Eid nachsprechen: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

PROF. DR. EXNER: Herr Generaloberst Jodl! Im englisch-amerikanischen Trialbrief steht, daß Sie 60 Jahre alt sind. Das ist ein Irrtum, Sie sind kürzlich ja erst 56 geworden. Sie sind wann geboren?


JODL: Ich bin 1890 geboren, am 10. Mai.


PROF. DR. EXNER: Sie sind in Bayern geboren; auch Ihre beiden Eltern stammen aus altbayerischen Familien. Sie haben den Offiziersberuf sich gewählt; was war dafür der maßgebende Gedanke?


JODL: Ein Urgroßvater von mir war Offizier, mein Vater war Offizier, mein Onkel war Offizier, mein Bruder wurde Offizier, mein späterer Schwiegervater war Offizier. Ich kann wohl sagen der Soldatenberuf lag mir im Blute.


PROF. DR. EXNER: Ich möchte jetzt etwas über Ihre politische Einstellung hören. Welcher der politischen Parteien, die es vor 1933 in Deutschland gegeben hat, standen Sie geistig am nächsten?


JODL: Die ganze Parteipolitik lag mir als Offizier außerordentlich fern, insbesondere die Auswüchse der Nachkriegszeit. Wenn ich das Milieu betrachte, aus dem ich hervorgegangen bin, die Einstellung meiner Eltern, so muß ich sagen, daß ich der Nationalliberalen Partei und deren Auffassung am nächsten gestanden hätte.

[313] Jedenfalls haben meine Eltern nie etwas anderes als nationalliberal gewählt.


PROF. DR. EXNER: Sagen Sie, wie standen Sie zur Weimarer Republik, mit ein paar kurzen Worten?


JODL: Ich habe dieser Republik ehrlich, meinem Eide getreu, ohne jeden Vorbehalt gedient. Wenn ich das nicht gekonnt hätte, dann hätte ich meinen Abschied genommen. Im übrigen war uns Süddeutschen ein demokratisches System, ebenso eine solche Verfassung, durchaus nichts innerlich Fremdes; denn auch unsere Monarchie war demokratisch.

PROF. DR. EXNER: Und wie standen Sie zu Hindenburg?


JODL: Hindenburg habe ich gekannt. Ich war ihm zugeteilt, als er nach seiner ersten Wahl zum Reichspräsidenten seinen ersten Urlaub in Dietramszell verbrachte, und ich war dann nachmals mit dem späteren Generalfeldmarschall von Manstein zusammen einen Tag im Kreise der Familie Hindenburg auf dem Gute Neudeck. Ich kann nur sagen, ich habe ihn verehrt und habe seine erste Wahl zum Reichspräsidenten als das erste Kennzeichen betrachtet der Wiederbesinnung des deutschen Volkes.


PROF. DR. EXNER: Und wie standen Sie zur Nationalsozialistischen Partei?


JODL: Die Nationalsozialistische Partei habe ich vor dem Münchener Putsch kaum gekannt und kaum beachtet. Erst dieser Putsch zog die Reichswehr zwangsweise in diese innenpolitische Entwicklung. Sie hat damals, mit wenigen Ausnahmen, diese Gehorsamsprobe bestanden, aber es trat nach diesem Putsch doch eine gewisse Spaltung der Auffassung des Offizierskorps ein. Es gab verschiedene Auffassungen über den Wert oder Unwert Hitlers. Ich war nach wie vor äußerst skeptisch und ablehnend. Beruhigt war ich erst, als Hitler damals im Leipziger Prozeß die Versicherung abgab, daß er jede Zersetzung der Reichswehr ablehne.


PROF. DR. EXNER: Haben Sie Versammlungen besucht, in denen Hitler gesprochen hat?


JODL: Nein, nie.


PROF. DR. EXNER: Sagen Sie, welche Führer der Partei kannten Sie vor 1933?


JODL: Ich habe nur solche gekannt, die vorher Offiziere waren, also Epp, Röhm und Hühnlein. Aber ich hatte keinerlei Verbindung oder Fühlung mehr mit ihnen, seit sie aus der Reichswehr ausgeschieden waren.


PROF. DR. EXNER: Haben Sie vor der Machtergreifung das Buch »Mein Kampf« gelesen?


[314] JODL: Nein.


PROF. DR. EXNER: Später?


JODL: Später habe ich es stückweise gelesen.


PROF. DR. EXNER: Wie standen Sie zur Judenfrage?


JODL: Ich war kein Antisemit. Ich bin der Auffassung, daß keine Partei, kein Staat, kein Volk und keine Rasse, auch die Kannibalen nicht, an sich gut oder böse sind, sondern nur das einzelne Individuum. Mir war allerdings bekannt, daß das Judentum nach dem Kriege und in den moralischen Zerfallserscheinungen nach dem ersten Weltkriege in einer unerhört provozierenden Weise in Deutschland aufgetreten ist. Es war keine antisemitische Propaganda, sondern das waren Tatsachen, die gerade von Juden selbst außerordentlich bedauert wurden. Trotzdem habe ich jegliche staatliche Ächtung, jede Verallgemeinerung, jede Exzesse auf das schärfste abgelehnt.


PROF. DR. EXNER: Die Anklage behauptet, sämtliche Angeklagten hätten gerufen »Deutschland erwache, Juda verrecke«.


JODL: Was mich betrifft, so ist diese Behauptung falsch. Ich habe in allen Zeiten meines Lebens mit einzelnen Juden verkehrt. Ich bin bei Juden zu Gast gewesen, und einzelne Juden haben in meinem Hause verkehrt. Aber es waren Juden, die ein Vaterland kannten, und es waren Juden, deren menschlicher Wert unbestritten war.


PROF. DR. EXNER: Sind Sie gelegentlich auch für Juden eingetreten?


JODL: Auch das.


PROF. DR. EXNER: Wußten Sie, daß die Reichsregierung im Jahre 1932 mit der Möglichkeit von Umsturzversuchen gerechnet hat und sich in dieser Richtung zu salvieren trachtete?


JODL: Das wußte ich wohl; denn als ich um diese Zeit nach Berlin kam in die spätere Operationsabteilung, da traf ich dort keinerlei Kriegsvorbereitungen an; aber ich traf Vorbereitungen an für den Einsatz der Reichswehr im Innern, und zwar sowohl gegen die äußerste Linke wie gegen die äußerste Rechte, und es fanden auch Planspiele, also eine Art Kriegsspiele darüber statt, an denen ich selbst teilgenommen habe.


PROF. DR. EXNER: Wie standen Sie zur Ernennung Hitlers zum Reichskanzler im Jahre 1933?


JODL: Von der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler wurde ich völlig überrascht. Als ich an diesem Abend mit einem Kameraden durch die bewegten Massen nach Hause ging, da sagte ich zu ihm: Das ist mehr wie ein Regierungswechsel, das ist eine Revolution. Wohin sie führt, das wissen wir nicht; aber die Person Hindenburg, [315] der ja diese Revolution legalisiert hatte, und auch Namen wie von Papen, von Neurath, Schwerin-Krosigk beruhigten mich, gaben mir eine gewisse Garantie gegen revolutionäre Entartungen.


PROF. DR. EXNER: Ich möchte hier einen Teil eines Fragebogens des Generals Vormann verlesen; das ist Seite 208 im dritten Band meines Dokumentenbuches. Ich mache darauf aufmerksam, daß links oben die von mir zitierte Seite 208 steht. – Ich lege das Original vor. Die Stelle bezieht sich auf die Zeit vom Jahre 1933 –. Jodl war damals im Truppenamt, nicht wahr, und Vormann war in seiner Gruppe. Ich lese unter Punkt 2:

»Der damalige Major i. G. Jodl war 1933 mein Gruppenleiter. Er schwamm völlig im Fahrwasser des damaligen Chefs der Heeresleitung, des Generals von Hammerstein, und lehnte Hitler und die Partei völlig ab.«

Ich lasse dann ein paar Zeilen aus, es ist nicht ganz so wichtig, und dann in der Mitte beginne ich wieder:

»Als Hitler am 30. Januar 1933 als Reichskanzler berufen wurde, war Jodl bestürzt und erstaunt. Ich entsinne mich genau, daß ich in seinem Auftrage die Offiziere seiner Gruppe am 30. oder 31. Januar zu einer Besprechung zusammenrufen mußte. In dieser Besprechung führte er aus: Hitler ist der bestehenden Verfassung und den geltenden Gesetzen nach an die Spitze des Reiches berufen. Eine Kritik darüber, insbesondere eine Kritik an dem Verhalten des Reichspräsidenten, des Feldmarschalls von Hindenburg, steht uns nicht zu. Wir haben zu gehorchen und als Soldaten unsere Pflicht zu tun. Auch eine Kritik an den neuen Maßnahmen des neuen Kanzlers in der bisherigen Form hat als unvereinbar mit seiner und unserer Stellung in Zukunft zu unterbleiben.

Durch seine ganze Rede«, setzt der Zeuge fort, »schwang schwere Sorge und Besorgnis um die kommende Entwicklung der Dinge...« und so weiter.


VORSITZENDER: Wäre das ein passender Zeitpunkt, um zu vertagen?


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 15, S. 279-317.
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