[329] FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich komme jetzt zu dem Thema der sogenannten Verschwörung. Die Anklage wirft Ihnen vor, daß Sie seit dem Jahre 1932 auf Grund intimer Beziehungen zu der Partei an einer Verschwörung teilgenommen haben zur Förderung von Angriffskriegen, zur Begehung von Kriegsverbrechen. Wo befanden Sie sich in den Wochen der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Frühjahr 1933?
DÖNITZ: Ich bin unmittelbar nach dem 30. Januar 1933, ich glaube es war am 1. Februar, auf eine Urlaubsreise gegangen nach Niederländisch-Indien und Ceylon, die bis in den Sommer 1933 hinein dauerte. Eine Urlaubsreise, die auf Befürwortung des Großadmirals Raeder mir der Reichspräsident, Generalfeldmarschall von Hindenburg, geschenkt hat.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Im Anschluß daran wurden Sie Kommandant eines Auslandskreuzers?
DÖNITZ: Ich bin dann im Herbst 1934 als Kommandant des Kreuzers »Emden« durch den Atlantik und Afrika herum in den Indischen Ozean gegangen und wieder zurück.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Haben Sie sich vor diesem Auslandsaufenthalt oder nach Ihrer Rückkehr 1935 bis zu Ihrer Ernennung zum Oberbefehlshaber der Kriegsmarine im Jahre 1943 irgendwie politisch betätigt?
DÖNITZ: Ich habe mich politisch betätigt erst am 1. Mai 1945, als ich Staatsoberhaupt wurde. Vorher nicht.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Die Anklage hat nun ein Dokument vorgelegt, und zwar ein Affidavit von dem Botschafter Messerschmith. Es hat die Nummer US-57, 1760-PS, und ich habe die entscheidenden Auszüge abgedruckt in meinem Urkundenbuch Band 2, Seite 100. In diesem Affidavit sägt der Botschafter Messersmith, daß er vom Jahre 1930 bis zum Frühjahr 1934 als Generalkonsul der Vereinigten Staaten in Berlin war. Er ist dann bis zum Juli 1937 nach Wien gekommen, von dort nach Washington. Er gibt nun ein Urteil über Sie ab, und zwar mit der Bemerkung: »Unter den Leuten, welche ich öfters sah und auf welche ich meine Aussagen beziehe, waren die folgenden...« – und dann kommt Ihr Name. Daraus muß man den Eindruck gewinnen, daß Sie sich in dieser Zeit im politischen Milieu in Wien oder Berlin bewegt haben. Trifft das zu?
DÖNITZ: Nein, ich war damals Korwettenkapitän beziehungsweise am Ende 1934 Fregattenkapitän.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Nun habe ich mit Erlaubnis des Tribunals einen Fragebogen an den Botschafter [329] Messersmith gerichtet, um zu erfahren, worauf seine Beurteilung beruht. Dieser Fragebogen ist beantwortet worden, und ich überreiche ihn als Dönitz 45. Die Antworten sind abgedruckt auf Seite 102 des Dokumentenbuches. Ich trage vor:
»Wie in früheren eidlichen Aussagen angegeben, sah und sprach ich Admiral Karl Dönitz bei mehreren Gelegenheiten während meines Aufenthalts und meiner späteren häufigen Besuche in Berlin. Ich führte jedoch kein Tagebuch und es ist mir unmöglich, mit Genauigkeit anzugeben, wann und wo diese Zusammenkünfte stattfanden, die Eigenschaft, in welcher Admiral Dönitz dort erschien oder welchen Gegenstand oder Gegenstände unsere Unterhaltung hatte. Meine Beurteilung von Dönitz, wie sie in meinen früheren eidlichen Aussagen angegeben ist, beruht auf persönlicher Kenntnis von ihm und auf allgemeiner Kenntnis, welche ich von den verschiedenen Quellen erlangte, die in meinen früheren eidlichen Aussagen beschrieben sind.«
[Zum Zeugen gewandt:]
Haben Sie, Herr Großadmiral, Botschafter Messer smith irgendwann und irgendwo gesehen oder gesprochen?
DÖNITZ: Ich habe ihn nie gesehen und seinen Namen hier zum erstenmal gehört. Ich war in der fraglichen Zeit auch nicht in Berlin, sondern ich war in Wilhelmshaven an der Nordseeküste oder im Indischen Ozean. Wann er mich gesprochen haben will, müßte er mich in Wilhelmshaven oder im Indischen Ozean gesehen haben. Da beides nicht der Fall ist, glaube ich, daß er sich irrt, daß irgendeine Personenverwechslung bei ihm eingetreten ist.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Waren Sie Mitglied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei?
DÖNITZ: Ich habe am 30. Januar 1944 vom Führer als Orden das Goldene Parteiabzeichen verliehen bekommen und nehme an, daß ich damit Ehrenmitglied der Partei geworden bin.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wann haben Sie Adolf Hitler kennengelernt und wie oft haben Sie ihn vor Ihrer Ernennung zum Oberbefehlshaber der Kriegsmarine gesehen?
DÖNITZ: Ich habe Adolf Hitler zum erstenmal gesehen als ich mich in Gegenwart des Großadmirals Raeder im Herbst 1934 als Kommandant des Kreuzers »Emden« mit dem Schiff ins Ausland bei ihm abmeldete. Ich habe ihn dann wieder gesehen bei meiner Rückkehr mit der »Emden«, einen Tag später, und habe ihn von diesem Herbst 1934 an bis zum Kriegsausbruch 1939, in diesen fünf Jahren, im ganzen viermal gesehen mit den beiden genannten Meldungen einschließlich.
[330] FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Welche waren die beiden anderen Gelegenheiten? Waren es militärische oder politische?
DÖNITZ: Die eine war eine militärische Angelegenheit, wo er in der Ostsee sich eine Flottenvorführung ansah, bei der ich während der Vorführung, als auch zwei U-Boote Angriffsvorführungen zeigten, selbst auf der Brücke des Flaggschiffes bei ihm stand, um die notwendigen Erklärungen zu geben. Das zweitemal war eine große Einladung an die gesamte Generalität und Admiralität, als die neue Reichskanzlei in der Voßstraße fertiggeworden war, das war im Jahre 1938 oder 1939. Ich habe ihn dort gesehen, aber nicht gesprochen.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wie oft sind Sie während des Krieges bis zu Ihrer Ernennung zum Oberbefehlshaber beim Führer gewesen?
DÖNITZ: Ich habe in den Jahren 1939 bis 1943 den Führer viermal gesehen, jedesmal bei kurzen militärischen Vorträgen über den U-Bootkrieg und immer in größerem Kreise.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Hatten Sie bis dahin mit ihm irgendeine über den militärischen Rahmen hinausgehende Unterredung?
DÖNITZ: Nein, gar keine.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wann sind Sie als Nachfolger von Großadmiral Raeder zum Oberbefehlshaber der Kriegsmarine ernannt worden?
DÖNITZ: Am 30. Januar 1943.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Befand sich damals der Krieg, den Deutschland führte, in einem Stadium der Offensive oder der Defensive?
DÖNITZ: Der ausgesprochenen Defensive.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: War in Ihren Augen die Ihnen angebotene Stellung des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine eine militärische oder eine politische?
DÖNITZ: Es war selbstverständlich eine rein militärische Stellung, nämlich der erste Soldat an der Spitze der Kriegsmarine. Die Ernennung hierzu ist ja auch aus rein militärischen Gründen erfolgt, und zwar aus militärischen Gründen, die den Großadmiral Raeder bewogen, mich für diese Stellung vorzuschlagen, und rein militärische Gesichtspunkte sind also für diese Besetzung maßgeblich gewesen.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sie wissen, Herr Großadmiral, daß die Anklage aus der Annahme dieser Ernennung zum Oberbefehlshaber der Kriegsmarine sehr weitgehende Schlußfolgerungen zieht, gerade im Hinblick auf die Verschwörung, und [331] zwar sagt die Anklage, daß Sie durch diese Annahme frühere Ereignisse ratifiziert haben, und zwar alle Bestrebungen der Partei seit 1920 oder 1922 und die ganze deutsche Innen- und Außenpolitik mindestens seit 1933.
Sind Sie sich über diese Tragweite der Außenpolitik im klaren gewesen? Haben Sie überhaupt irgendwelche Erwägungen in dieser Richtung angestellt?
DÖNITZ: Diese Idee ist mir nicht im entferntesten gekommen. Ich glaube auch nicht, daß es einen Soldaten gibt, der, wenn er durch einen militärischen Befehl ein militärisches Kommando erhält, solche Gedanken hat und ein solches Bewußtsein hat. Das Kommando als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine war für mich eine Kommandierung, der ich selbstverständlich folgen mußte, wie jeder militärischen Kommandierung, es sei denn, daß ich gesundheitlich dazu nicht in der Lage war. Da ich letzteres bejahen mußte und glaubte, zum Nutzen der Kriegsmarine wirken zu können, habe ich dieses Kommando selbstverständlich auch mit innerer Zustimmung angetreten. Alles andere wäre Fahnenflucht oder Ungehorsam gewesen.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sie sind nun als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine in ein recht enges Verhältnis zu Adolf Hitler getreten. Sie wissen auch, welche Folgerungen die Anklage aus diesem Verhältnis zieht. Bitte, sagen Sie mir, welches war dieses Verhältnis und worauf beruhte es?
DÖNITZ: Ich darf vielleicht, um es kurz zu fassen, die Sache so darstellen: Mein Verhältnis beruht auf drei Bindungen:
Erstens mal, ich bejahte die nationalen und sozialen Ideen des Nationalsozialismus; die nationalen, die sich ausdrückten in der Ehre und der Würde der Nation, seiner Freiheit und seiner Gleichberechtigung und seiner Sicherheit, und die sozialen, die vielleicht als Kernpunkt hatten keinen Klassenkampf, sondern menschliche und soziale Achtung jedes, ohne Rücksicht auf Stand, Beruf und wirtschaftliche Verhältnisse, aber andererseits Unterordnung eines jeden unter die Interessen des Gemeinwohls. Ich habe selbstverständlich auch mit Bewunderung gesehen und die hohe Autorität Adolf Hitlers freudig anerkannt, als es ihm nun im Frieden gelang, seine nationalen und sozialen Ziele auf unblutigem Wege so rasch zu verwirklichen.
Meine zweite Bindung war mein Eid. Adolf Hitler war auf legalem Wege, auf gesetzmäßigem Wege, Oberster Befehlshaber der Wehrmacht, dem die Wehrmacht durch ihren Eid die Treue geschworen hatte. Daß mir der Eid heilig war, ist selbstverständlich, und ich glaube, die Anständigkeit in der Welt wird überall auf dessen Seite stehen, der seinen Eid hält.
[332] Die dritte Bindung war mein persönliches Verhältnis. Bevor ich Oberbefehlshaber der Kriegsmarine wurde, glaube ich, daß Adolf Hitler keine bestimmte Vorstellung von mir und meiner Person gehabt hat. Dazu hatte er mich zu wenig gesehen und immer nur im großen Kreise. Wie mein Verhältnis mit ihm werden würde war daher, als ich Oberbefehlshaber der Kriegsmarine wurde, vollkommen offen. Mein Start in der Beziehung war sehr ungünstig. Er war belastet durch erstens mal das kommende und dann eintreffende Zusammenbrechen des U-Bootkrieges; zweitens mal durch meine Weigerung, die bereits Großadmiral Raeder vertreten hatte, die großen Schiffe zu verschrotten, weil sie nach seiner Ansicht an Hand der erdrückenden Übermacht keinen Kampfwert hatten. Ich hatte mich ebenfalls, wie der Großadmiral Raeder, gegen diese Verschrottung gestemmt, und nur mit Krach hatte er schließlich zugestimmt. Ich stellte trotzdem bald fest, daß er in den Dingen der Kriegsmarine Vertrauen zu mir hatte und mich auch sonst ausgesprochen achtungsvoll behandelte. Adolf Hitler hat immer in mir nur den ersten Soldaten der Kriegsmarine gesehen. Er hat mich nie in einer militärischen Angelegenheit, sei es auf dem Heeresgebiet oder auf dem Gebiet der Luftwaffe, um Rat gefragt, die nicht die Kriegsmarine anging, noch habe ich mich je zu Dingen des Heeres oder des Luftgebietes geäußert, weil mir im Grunde dazu die Kenntnisse fehlten. Selbstverständlich hat er auch nie mich zu politischen Dingen, sei es innen- oder außenpolitischer Art, herangezogen oder um Rat gefragt.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sie sagen, Herr Großadmiral, er hat Sie nie in politischen Dingen um Rat gefragt. Solche Dinge mögen aber manchmal im Zusammenhang gestanden haben mit Fragen der Kriegsmarine. Wurden Sie dann nicht beteiligt?
DÖNITZ: Wenn man politisch so versteht, daß zum Beispiel die Beratung der Kommandeure durch die sogenannten nationalsozialistischen Führungsoffiziere dazu gehörte, dann war ich selbstverständlich beteiligt, weil das ja in den Bereich der Kriegsmarine hineingriff beziehungsweise eine Einrichtung der Kriegsmarine werden sollte. Das ist natürlich der Fall.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Hat Sie über solche Fragen hinaus Adolf Hitler niemals als allgemeinen Berater angesehen, wie die Anklage behauptet und wie sie folgert aus einer langen Liste von Zusammenkünften, die Sie seit 1943 mit Adolf Hitler im Führerhauptquartier gehabt haben?
DÖNITZ: Von einer allgemeinen Beratung ist beim Führer erstmals grundsätzlich keine Rede und im besonderen, wie ich schon sagte, der Führer hat von mir nur einen Rat eingeholt und von mir [333] auch nur einen Rat bekommen in Angelegenheiten der Kriegsmarine und der Seekriegsführung, und zwar sehr streng, ausschließlich auf dieses Ressort, dem ich vorstand, beschränkt.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sie waren nun, nach der vorgelegten Aufstellung, von 1943 bis 1945 manchmal einmal, manchmal auch zweimal im Monat zum Führerhauptquartier bestellt. Bitte schildern Sie einmal dem Tribunal, wie so ein Tag im Führerhauptquartier für Sie eigentlich aussah, was Sie dort zu tun hatten.
DÖNITZ: Ich bin bis auf die letzten zwei bis drei Monate vor dem Zusammenbruch, als der Führer in Berlin war, ins Führerhauptquartier geflogen, etwa alle zwei bis drei Wochen, und zwar nur dann, wenn ich irgendeine konkrete militärische Angelegenheit der Marine vorzutragen hatte, wozu ich seine Entscheidung brauchte. Es ist dann so gewesen, daß ich teilgenommen habe mittags an der allgemeinen militärischen Lage, das war also der Vortrag, wo der Stab des Führers dem Führer berichtete über das, was in den letzten vierundzwanzig Stunden etwa sich an den Kampffronten ereignet hat. Bei diesen militärischen Lagen habe ich das Wort nur ergriffen, weil der Schwerpunkt ja auf der Heereslage beziehungsweise auf der Luftlage lag, wenn mein Marinereferent, der die Marinelage vortrug, in seinem Vortrag durch mich irgendeine Ergänzung brauchte. Es hat dann zu einer bestimmten Zeit, die festgelegt wurde durch die Adjutantur, mein militärischer Vortrag, der der Zweck meiner Reise war, stattgefunden. Bei diesem Vortrag waren nur die dabei, die die Sache etwas anging, also meistens, was Dinge des Menschenersatzes und so weiter betraf, der Feldmarschall Keitel beziehungsweise Generaloberst Jodl.
Der Führer hat nach, wenn ich alle vierzehn Tage oder drei Wochen, später, 1944, war es auch mal sechs Wochen Zwischenraum, ins Hauptquartier kam, zum Mittagessen eingeladen. Diese Einladungen hörten nach dem 20. Juli 1944, dem Attentatstag, vollkommen auf.
Ich habe vom Führer nie einen Befehl erhalten, der irgend in einer Form gegen die Kampfsittlichkeit verstößt. Ich habe, und mit mir die ganze Kriegsmarine, das ist meine Überzeugung, von der Menschenvernichtung, die mir hier durch die Anklageschrift, beziehungsweise was die Konzentrationslager anbelangt, nach der Kapitulation im Mai 1945 bekanntgeworden ist, nichts gewußt. Ich habe in Adolf Hitler die gewaltige Persönlichkeit gesehen, mit einer außerordentlichen Intelligenz und Tatkraft, mit einer geradezu universalen Bildung und einem kraftausströmenden Wesen und mit einer ungeheuer suggestiven Kraft.
Ich habe andererseits bewußt nur selten meinen Weg ins Hauptquartier genommen, weil ich das Gefühl hatte, daß ich so am besten meine Stoßkraft behalte und zweitens, weil ich nach mehreren [334] Tagen, zwei bis drei Tagen, oder zwei Tagen Aufenthalt im Hauptquartier, das Gefühl hatte, mich von seiner suggestiven Kraft wieder absetzen zu müssen. Ich erzähle das, weil ich in dieser Beziehung zweifelsohne es besser hatte als sein Stab, der dauernd einer so gewaltigen Persönlichkeit mit dieser suggestiven Kraft ausgesetzt war.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sie sagten eben, Herr Großadmiral, daß Sie nie einen Befehl erhalten hätten, der gegen die soldatische Kampfmoral verstoßen habe.
Sie kennen den Befehl zur Vernichtung von Sabotagetruppen vom Herbst 1942? Haben Sie diesen Befehl nicht erhalten?
DÖNITZ: Ich habe von diesem Befehl Kenntnis bekommen nach seiner Herausgabe, als ich Befehlshaber der U-Boote war. Für die Frontsoldaten war dieser Befehl eindeutig. Ich hatte das Gefühl, das ist eine sehr harte Sache, aber in der Ziffer 1 dieses Befehls war klar und eindeutig ausgedrückt, daß Angehörige des Feindes sich durch ihr Verhalten, durch Töten von Gefangenen, außerhalb der Genfer Konvention gestellt hatten und daß infolgedessen vom Führer Vergeltungsmaßnahmen befohlen seien und daß diese Vergeltungsmaßnahmen zudem im Wehrmachtsbericht veröffentlicht worden waren.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Es gab also für den Soldaten, der diesen Befehl erhielt, gar keine Rechte, keine Möglichkeit und keine Befugnis, nun eine Rechenschaft oder Prüfung zu verlangen: Stimmen diese Voraussetzungen auch in dem Maße, daß ein solcher Befehl gerechtfertigt ist? Haben Sie als Befehlshaber der U-Boote mit der Durchführung dieses Befehls zu tun gehabt?
DÖNITZ: Nein, nicht das geringste.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sind Sie, Ihrer Erinnerung nach, als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine mit der Durchführung des Befehls einmal befaßt worden?
DÖNITZ: Nach meiner Erinnerung bin ich als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine nicht mit diesem Befehl befaßt worden. Man darf nicht vergessen, daß erstens in dem Befehl ausdrücklich ausgenommen worden waren die im Seekampf gefangengenommenen Gegner, und zweitens, daß die Marine auf dem Lande auch keine territorialen Befugnisse hatte, also aus letzterem Grunde grundsätzlich auch weniger in die Lage kam, irgendeine Ziffer des Befehls ausführen zu müssen.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sie kennen ja nun das Dokument der Anklage, in dem ein Vorfall geschildert wird, wo im Sommer 1943 ein Sabotagetrupp in Norwegen erschossen worden ist. Ich meine das Dokument der Anklage GB-208. Der Vorfall ist[335] dort so geschildert, daß die Besatzung eines norwegischen Motortorpedobootes auf einer norwegischen Insel gefangengenommen wurde. Das Motortorpedoboot hatte Kampfaufgaben zur See. Wer die Besatzung gefangengenommen hat, steht nicht in dem Dokument, es steht aber darin, daß die Besatzungsmitglieder bei der Gefangennahme in Uniform waren, daß Sie von einem Marineoffizier vernommen wurden und daß sie auf Befehl des Admirals von Schrader an den SD abgegeben wurden. Der SD hat sie dann später erschossen.
Ist Ihnen der ganze Vorfall irgendwie bekannt oder gemeldet worden als Oberbefehlshaber?
DÖNITZ: Ich habe von diesem Vorfall Kenntnis bekommen aus dem Trialbrief der Anklage.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Können Sie erklären, daß ein solcher Vorfall nicht zu Ihrer Kenntnis gekommen ist; mußte er nicht gemeldet werden?
DÖNITZ: Wenn die Marine dabei betroffen war, das heißt, wenn der betreffende Trupp von der Marine gefangengenommen worden wäre, so hätte der Admiral von Schrader, der Befehlshaber dort war, unbedingt diese Angelegenheit dem Oberkommando der Kriegsmarine melden müssen. Ich bin auch überzeugt, daß er es getan hätte, denn die Vorschrift war ja ganz eindeutig darüber; und ich bin auch überzeugt, daß mir, als Oberbefehlshaber, dann von dem betreffenden Referenten in dem Oberkommando der Kriegsmarine dies gemeldet worden wäre.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wie beurteilen Sie nun diesen Fall jetzt, nachdem er Ihnen durch das Dokument der Anklage zur Kenntnis ge kommen ist?
DÖNITZ: Ist es zutreffend, daß es sich um die Besatzung eines Motortorpedobootes gehandelt hat, das Seekriegsaufgaben hatte, dann ist diese Maßnahme, diese Erschießung, die da erfolgt ist, unter allen Umständen ganz falsch. Denn sie widerspricht ja auch ausdrücklich sogar diesem Kommandobefehl. Ich halte es aber für ausgeschlossen, denn ich glaube nicht, daß dazu der Admiral von Schrader, der mir persönlich als besonders ritterlicher Seefahrer bekannt ist, dazu seine Hand gegeben hätte. Nach dem ganzen Umstand dieser Angelegenheit, daß dieser Vorfall nicht dem Oberkommando gemeldet wurde, daß dieser Vorfall, wie er jetzt festgestellt worden ist durch Kontrolle der deutschen Zeitungen aus dieser Zeit, auch nicht im Wehrmachtsbericht bekanntgegeben worden ist, wie es hätte geschehen müssen, wenn es eine Wehrmachtsangelegenheit gewesen wäre, nehme ich heute folgenden Sachverhalt an:
Daß die Polizei die Gefangennahme dieser Leute auf der Insel gemacht hat; daß sie von dieser Insel mit einem Fahrzeug nach Bergen gebracht wurden, daß sie dort von ein oder zwei, wenn ich [336] mich recht erinnere, Marineoffizieren vernommen wurden, weil die Marine natürlich ein Interesse an dieser Vernehmung hatte, und daß dann die Abgabe oder die Weitergabe dieser Leute an den Sicherheitsdienst erfolgt ist, weil sie vorher bereits durch den Sicherheitsdienst gefangengenommen worden sind.
Eine andere Erklärung ist für mich nicht möglich.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sie wollen also sagen, daß Ihrer Auffassung nach diese Männer damals niemals Gefangene der Kriegsmarine gewesen sind?
DÖNITZ: Nein, wären sie das gewesen, wäre eine Meldung an das Oberkommando erfolgt.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Von diesen Fragen nun ganz abgesehen möchte ich Sie fragen: Haben Sie insgesamt in Ihrer Stellung als Oberbefehlshaber und bei Ihren Besuchen im Führerhauptquartier nicht Erlebnisse gehabt, die es Ihnen nahelegten, sich von Adolf Hitler loszusagen?
DÖNITZ: Ich habe ja bereits erklärt, daß hinsichtlich meiner Tätigkeit, auch im Hauptquartier, ich streng beschränkt war auf mein Ressort, wie es überhaupt die Eigenart des Führers war, jeden nur in seiner Angelegenheit zu hören. Es war auch selbstverständlich, daß bei den militärischen Lagen nur rein militärische Dinge besprochen wurden, also keine Dinge der Innenpolitik oder des Sicherheitsdienstes oder der SS, soweit es sich bei der letzteren, bei der SS, nicht nur um SS-Divisionen, die im militärischen Einsatz unter irgendeinem Heeresbefehlshaber standen, gehandelt hat. Ich habe daher von all diesen Dingen nichts erfahren. Ich habe, wie auch schon gesagt, vom Führer nie einen Befehl erhalten, der gegen die Kampfsittlichkeit verstößt.
Ich habe daher die Kriegsmarine meinem festen Glauben nach bis in die letzte Ecke sauber in jeder Beziehung gehalten bis zum Schluß. Ich habe mein Gesicht im Seekrieg nach dem Wasser gehabt, und die Kriegsmarine hat versucht, so klein sie war, im Rahmen ihrer Aufgaben ihre Pflicht zu erfüllen.
Ich hatte also gar keinen Grund irgendwelcher Art, mich irgendwie vom Führer zu lösen.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ein solcher Grund braucht ja nicht nur ein Verbrechen zu sein, sondern er kann auch in politischen Erwägungen ganz außerhalb von Verbrechen liegen. Sie haben ja gehört, daß wiederholt die Frage angeschnitten worden ist, ob man einen Putsch hätte machen müssen. Sind an Sie solche Anregungen herangetreten oder haben Sie selbst einen Putsch erwogen oder versucht?
DÖNITZ: Nein, das Wort Putsch ist hier in diesem Saal oft von den verschiedensten Personen ausgesprochen worden. Es sagt sich [337] leicht; ich glaube aber, daß man sich der ungeheuren Tragweite einer solchen Handlung bewußt sein mußte. Die deutsche Nation befand sich in einem Krieg auf Leben und Tod. Sie war von Feinden umringt, ich möchte sagen, wie eine Festung, und es ist Klar, um bei dem Beispiel der Festung zu bleiben, daß jede Erschütterung im Innern sich ohne Zweifel zwangsläufig auswirkt auf die Kampfkraft und die Schlagkraft nach außen.
Wer es also unternimmt, gegen seine Treue und seinen Eid in solch einem Lebenskampf einen Umsturz zu planen, zu versuchen, der muß aufs tiefste die Überzeugung haben und sich seiner Verantwortung bewußt sein, daß ein solcher Umsturz für das Volk unter allen Umständen notwendig ist. Trotzdem wird jede Nation einen solchen Mann als Verräter verurteilen, und er wird vor der Geschichte nicht bestehen können, wenn bei Erfolg seines Umsturzes diese Maßnahme sich nicht auch tatsächlich zum Wohl und zugunsten seines Volkes auswirkt.
Diese Voraussetzung hielt ich jedoch in Deutschland nicht für gegeben. Wenn zum Beispiel der Putsch des 20. Juli gelungen wäre, dann wäre eine Auflösung, wenn auch vielleicht nur eine allmähliche, im Innern die Folge gewesen, eine Bekämpfung der Waffenträger, hie SS, hie andere Leute, untereinander, ein Chaos im Innern, weil das feste Staatsgefüge allmählich zerbrochen worden wäre und unter allen Umständen eine Auflösung und Verminderung der Schlagkraft der Front.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß der Angeklagte eine lange und politische Rede hält. Es hat wirklich nicht viel mit den Fragen, die zur Verhandlung stehen, zu tun.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Herr Präsident! Ich war der Auffassung, daß die Frage, ob ein Oberbefehlshaber verpflichtet sei, einen Putsch zu machen, von der Anklage als ein Kernpunkt angesehen wird, und zwar als ein erheblicher Punkt in der Frage, ob er sich mit dem System, das als verbrecherisch gekennzeichnet wird, einverstanden erklärt oder nicht. Wenn das Gericht diese Frage für unerheblich hält, will ich nicht weiter darauf eingehen.
VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß die Anklage die Ansicht vorgebracht hat, daß jeder einen Putsch machen müßte.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Es schien mir ein selbstverständlicher Standpunkt der Anklage zu sein.
[Zum Zeugen gewandt:]
Herr Großadmiral! Die Anklage hat Dokumente vorgelegt, und zwar zwei aus dem Winter 1943 und Mai 1945 mit Ansprachen von Ihnen an die Truppe. Die Anklage macht Ihnen den Vorwurf, daß Sie die nationalsozialistischen Ideen der Truppe gepredigt haben. Bitte äußern Sie sich dazu!
[338] DÖNITZ: Als ich im Februar 1943 Oberbefehlshaber der Kriegsmarine wurde, war ich verantwortlich für die Schlagkraft der gesamten Kriegsmarine. Eine Hauptstärke in diesem Kriege war die Einheit unseres Volkes, und der Hauptnutznießer dieser Einheit war die Wehrmacht; denn jede Zersplitterung im Innern hätte sich zwangsläufig auf die Truppe ausgewirkt und ihre Schlagkraft für den Kampf, der ihre Aufgabe war, gemindert. Gerade die Marine hatte ja im ersten Weltkrieg, im Jahre 1917 und 1918, sehr schmerzliche Erfahrungen in dieser Beziehung gemacht. Deshalb habe ich in all meinen Ansprachen dafür gewirkt, daß diese Einigkeit bleibt und daß wir uns als Garanten dieser Einigkeit fühlen. Das war notwendig und richtig, und zwar notwendig für mich als Truppenführer. Ich kann ja nicht die Uneinigkeit predigen oder die Auflösung. Es hat sich auch ausgewirkt. Die Schlagkraft, die militärische Manneszucht in der Kriegsmarine, ist bis zum Schluß hoch gewesen, und ich glaube, daß in jeder Nation eine solche Leistung als richtige und gute Leistung ihres Truppenführers gilt.
Das sind meine Gründe gewesen, daß ich so gepredigt habe.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sie sind nun am 30. April 1945 als Nachfolger Adolf Hitlers Staatsoberhaupt geworden und die Anklage schließt daraus, daß Sie auch schon vorher ein enger Vertrauter Adolf Hitlers gewesen sein müssen, da man ja nur einem Vertrauten letzten Endes die Nachfolge im Staate anvertraut. Wollen Sie mir sagen, wie es zu dieser Nachfolge gekommen ist und ob Adolf Hitler irgendwann vorher mit Ihnen überhaupt über diese Möglichkeit gesprochen hat?
DÖNITZ: Ich habe Adolf Hitler seit dem 20. Juli 1944 nicht mehr allein gesehen, sondern nur während der großen militärischen Lage. Er hat nie auch nur andeutungsweise über irgendeine Nachfolgerschaft mit mir gesprochen. Das war ja auch ganz natürlich und klar, weil ja durch Gesetz der Reichsmarschall sein Nachfolger war und dieses bedauerliche Mißverständnis zwischen dem Führer und dem Reichsmarschall ja erst Ende April 1945 eintrat, und zwar zu einer Zeit, wo ich bereits nicht mehr in Berlin war.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wo waren Sie?
DÖNITZ: Ich war in Holstein. Es ist also nie der geringste Gedanke bei mir und jedenfalls auch nicht beim Führer gewesen, daß ich Nachfolger werden sollte.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wodurch, durch welche Maßnahmen oder Befehle ist es denn nun tatsächlich dazu gekommen?
DÖNITZ: Ich habe am 30. April 1945 abends einen Funkspruch bekommen aus dem Hauptquartier, daß der Führer mich als seinen Nachfolger vorgesehen hat und ich berechtigt sei, ab sofort alle [339] Maßnahmen zu treffen, die ich für erforderlich hielt. Ich habe am nächsten Morgen einen weiteren Funkspruch bekommen, also am 1. Mai morgens, worin als nähere Anweisung stand, daß ich Reichspräsident sein sollte, der Minister Goebbels Reichskanzler, Herr Bormann Parteiminister und Seyß-Inquart Außenminister.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Haben Sie sich an diese Weisung gehalten?
DÖNITZ: Dieser Funkspruch stand erstens mal im Widerspruch zu dem ersten Funkspruch, wo ja klar gesagt war: »Du kannst ab sofort alles tun, was du für richtig hältst.« Ich habe mich auch grundsätzlich und hätte mich nie an den Funkspruch gehalten im zweiten Teil, denn wenn ich die Verantwortung bekomme, dürfen mir auch keine Bedingungen auferlegt werden, und drittens hätte ich unter keinen Umständen mich auf eine Mitarbeit der genannten Personen, mit Ausnahme des Herrn Seyß-Inquart, eingelassen. Ich hatte bereits am Morgen des 1. in aller Frühe eine Unterredung gehabt mit dem Finanzminister Grafen Schwerin-Krosigk und ihn gebeten, die Regierungsgeschäfte, soweit man überhaupt noch davon reden konnte, zu übernehmen. Ich hatte das getan, weil in der zufälligen Aussprache, die einige Tage vorher stattgefunden hatte, sich eine große Übereinstimmung unserer Ansichten herausgestellt hatte, der Ansichten, daß das deutsche Volk zum christlichen Westen gehört, daß die Grundlage zukünftiger Lebensbedingung die absolute Rechtssicherheit der Person, des Privateigentums ist.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Herr Großadmiral! Sie kennen ja das sogenannte Politische Testament Adolf Hitlers, in dem Sie beauftragt werden, den Krieg fortzusetzen. Ist Ihnen ein derartiger Auftrag damals erteilt worden?
DÖNITZ: Nein, ich habe dieses Testament erst hier vor einigen Wochen, als es in der Presse veröffentlicht wurde, kennengelernt. Wie gesagt, hätte ich auch irgendeinen Auftrag, als mir in dieser hoffnungslosen Lage Deutschlands die Verantwortung gegeben wurde, irgendeine Bindung meines Handelns nicht angenommen.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Die Anklage hat nun ein Dokument vorgelegt, in dem Sie die Kriegführenden zu zähem Durchhalten aufforderten im Frühjahr 1945. Es ist das Dokument GB-212. Sie knüpft daran den Vorwurf, daß Sie als fanatischer Nazi bereit gewesen seien, einen hoffnungslosen Krieg auf Kosten der Frauen und Kinder Ihres Volkes weiterzuführen. Bitte, nehmen Sie zu diesem besonders schwerwiegenden Vorwurf Stellung!
DÖNITZ: Hierzu ist folgendes zu sagen: Im Frühjahr 1945 war ich nicht Staatsoberhaupt, sondern Soldat.
Weiterkämpfen oder nicht, das war eine politische Entscheidung. Das Staatsoberhaupt wollte weiterkämpfen, ich als Soldat hatte zu [340] gehorchen; es ist eine Unmöglichkeit in einem Staat, daß etwa ein Soldat erklärt, ich kämpfe weiter und der andere sagt, ich kämpfe nicht mehr weiter. Ich hätte auch keinen anderen Rat geben können, so wie ich die Dinge übersah, aus folgenden Gründen:
Erstens: Im Osten bedeutete das Durchbrechen unserer Fronten an einer Stelle die Vernichtung des hinter der Front lebenden Volkes. Das war uns klar auf Grund der praktischen Erfahrungen und aller Nachrichten, die wir darüber hatten. Das war der Glaube des ganzen Volkes, daß der Soldat im Osten seine kämpferische Pflicht tun mußte in diesen harten Monaten des Krieges, die letzten harten Monate des Krieges; das war daher besonders wichtig, weil sonst deutsche Frauen und Kinder verlorengingen. Die Marine war im Osten erheblich eingesetzt mit etwa 100000 Mann an Land, und die gesamte Überwasser-Kriegsmarine konzentriert in Truppen-, Waffen-, Verwundeten- und vor allem Flüchtlingstransporte in der Ostsee. Es kam also gerade zur Erhaltung deutschen Volkstums in dieser letzten harten Zeit auf hartes Durchhalten des Soldaten ganz besonders an.
Zweitens: Hätten wir im Frühjahr in den ersten Monaten oder im Winter 1945 kapituliert, so wäre ja nach allem, was wir vom Feinde wußten, die tödliche Zerreißung und Aufteilung entsprechend des Yalta-Abkommens genau so erfolgt wie heute und eine entsprechende Besetzung des deutschen Landes.
Drittens: Kapitulation bedeutet für die Armee, für den Soldaten stehenbleiben und in die Gefangenschaft kommen; das heißt also, wenn wir etwa im Januar oder Februar 1945 kapituliert hätten, dann wären zum Beispiel im Osten zwei Millionen Soldaten in russische Hände gefallen. Daß diese Unterbringung dieser Millionen im kalten Winter unmöglich gewesen wäre, liegt auf der Hand, und daß wir in ganz großem Stile dann Menschen verloren hätten, ist klar, denn es ist ja selbst bei der Kapitulation im Mai 1945, also im Frühling, im Spätfrühling, im Westen nicht geglückt, die großen Gefangenenmassen der Genfer Konvention entsprechend unterzubringen. Wir hätten da aber ja auch...da, wie ich schon sagte, nun das Yalta-Abkommen durchgeführt war, hätten wir eine ungleich größere Zahl von Menschen, die noch nicht geflohen waren aus dem Ostraum, im Ostraum verloren. Als ich nun am 1. Mai Staatsoberhaupt wurde, lagen die Verhältnisse anders. Damals waren die Fronten schon so nahe aneinandergerückt, die Ost- und die Westfront, daß in wenigen Tagen aus dem Ostraum Menschen, die Truppen, Soldaten, die Armeen und die Riesenschar von Flüchtlingen nach dem Westen übergeleitet werden konnten. Mein Streben war daher, als ich am 1. Mai Staatsoberhaupt wurde, so schnell wie möglich Frieden zu machen und zu kapitulieren, unter möglichster Rettung deutschen Blutes, deutscher Bevölkerung vom Osten nach dem [341] Westen, und entsprechend habe ich durch meine sofortige Einleitung der Kapitulation bereits am 2. Mai beim Feldmarschall Montgomery für den Raum, der seiner Armee gegenüberstand und für Holland und Dänemark, die noch fest in unserer Hand waren, gehandelt, und entsprechend habe ich sofort im Anschluß daran dem General Eisenhower gegenüber meine Schritte ergriffen. Derselbe Grundsatz, deutsche Menschen, deutsche Bevölkerung zu erhalten, zu retten, hat mich also bewogen, im Winter in die bittere Notwendigkeit zu treten, zu kämpfen. Es war sehr schmerzlich, daß unsere Städte noch zerbombt wurden und wir durch diese Bombenangriffe und durch diesen Kampf noch Menschen verloren. Die Zahl dieser Menschen ist aber etwa 300000 bis 400000, wobei den Hauptanteil daran der Bombenangriff auf Dresden, der militärisch nicht zu verstehen ist, trägt und nicht vorauszusehen war. Diese Zahl ist aber verhältnismäßig gering gegenüber den Millionen von deutschen Menschen, die wir im Osten verloren hätten an Soldaten und Bevölkerung, wenn wir im Winter kapituliert hätten. Es ist also meiner Ansicht nach ein gegensätzliches Handeln nötig gewesen einmal, wie ich noch Soldat war, meine Truppen aufzurufen, hart weiterzukämpfen; und zweitens, als ich im Mai Staatsoberhaupt war, sofort zu kapitulieren. Dadurch sind keine deutschen Menschen verlorengegangen, sondern gerettet worden.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich habe keine weiteren Fragen mehr, Herr Vorsitzender.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich.
[Pause von 10 Minuten.]
VORSITZENDER: Wünscht ein anderer Verteidiger Fragen zu stellen?
DR. WALTER SIEMERS, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN RAEDER: Herr Großadmiral Dönitz! Sie haben bereits dargelegt, daß Großadmiral Raeder und die Marine im Sommer 1939 trotz verschiedentlich bedenklicher Zeichen nicht glaubten, daß es zu einem Krieg kommen könnte. Da Sie im Sommer 1939 Großadmiral Raeder gesehen haben, möchte ich Sie bitten, kurz in Ergänzung dieses Punktes zu sprechen, und zwar zunächst: Bei welcher Gelegenheit haben Sie eingehender mit Großadmiral Raeder gesprochen?
DÖNITZ: Großadmiral Raeder schiffte sich Mitte Juli 1939 zu einer U-Bootübung bei mir in der Ostsee ein. Er hat dann im Anschluß an die Übung...
DR. SIEMERS: Darf ich vorher eines fragen? Um was für eine Übung handelte es sich? Um U-Bootübung in was für einem Ausmaße, und wo fand die Übung statt?
[342] DÖNITZ: Ich habe alle U-Boote, die ihre Erprobung beendet hatten, in der Ostsee zusammengezogen. Es mögen, ich weiß die Zahl nicht mehr, um die 30 gewesen sein. Ich habe dann Großadmiral Raeder in einer Übung das Können dieser U-Boote vorgeführt.
DR. SIEMERS: Waren das damals alle atlantikfähige U-Boote?
DÖNITZ: Ja, es waren alle atlantikfähige U-Boote und die kleineren U-Boote von kleinerer Tonnage, deren Operationsgebiet nur bis zur Nordsee ging.
DR. SIEMERS: Sie hatten also damals nicht mehr als zwei Dutzend atlantikfähige U-Boote. Ist das richtig?
DÖNITZ: Diese Zahl ist zu hoch. Atlantikfähige U-Boote hatten wir damals nicht mal 15. Wir sind nach meiner Erinnerung bei Kriegsausbruch mit 15 atlantikfähigen U-Booten in See gegangen.
DR. SIEMERS: Haben Sie nun Raeder während dieses mehrtägigen Zusammenseins bei der Übung persönlich und allein gesprochen?
DÖNITZ: Jawohl. Der Großadmiral Raeder sagte mir und hat dasselbe bei dem gesamten Offizierkorps bei einer Schlußansprache dieser Übung in Swinemünde wiederholt, daß der Führer ihm mitgeteilt hätte, daß es keinesfalls zu einem Kriege im Westen kommen dürfe; denn das wäre »Finis Germaniae«. Ich habe damals um Urlaub gebeten und bin also unmittelbar nach der Übung am 24. Juli zu einer sechswöchigen Kur nach Bad Gastein in Urlaub gefahren. Ich sage das nur, da es ein Beispiel ist von der Weise, wie wir die Situation zu dieser Zeit ansahen.
DR. SIEMERS: Aber dann kam der Krieg ziemlich schnell, nicht wahr, und Sie mußten den Urlaub, den Sie geplant hatten, nachher abbrechen?
DÖNITZ: Ich wurde Mitte August telephonisch zurückgerufen.
DR. SIEMERS: Diese Worte, daß kein Krieg mit England komme und das Wort »Finis Germaniae«, hat Raeder Ihnen das privat in einer persönlichen Unterredung zum Ausdruck gebracht oder nur in der Hauptrede in Swinemünde?
DÖNITZ: Dem Sinne nach sicher. Den einzelnen Wortlaut kann ich nicht mehr unterscheiden, war es vorher oder bei der Hauptrede. Jedenfalls bei der Hauptrede hat er es unbedingt gesagt.
DR. SIEMERS: Danke schön.
DR. LATERNSER: Herr Großadmiral! Am 30. Januar 1943 wurden Sie Oberbefehlshaber der Kriegsmarine und damit auch Mitglied der hier angeklagten Gruppe Generalstab und OKW?
DÖNITZ: Ja.
[343] DR. LATERNSER: Ich wollte Sie fragen, ob Sie nach Ihrer Ernennung mit irgendeinem der Gruppenmitglieder über Pläne oder Ziele im Sinne der Anklage gesprochen haben?
DÖNITZ: Nein, mit keinem.
DR. LATERNSER: Sie haben nun nach Ihrem Amtsantritt alle rangälteren Oberbefehlshaber abgelöst. Welches waren die Gründe für diese Ablösung?
DÖNITZ: Da ich etwa sieben bis zehn Jahre jünger als die anderen Oberbefehlshaber in der Kriegsmarine war, zum Beispiel Admiral Carls, Admiral Boehm und so weiter, so war es selbstverständlich für beide Teile schwierig, und die Ablösung erfolgte aus diesen Gründen trotz, ich glaube, gegenseitiger Hochachtung und Verehrung.
DR. LATERNSER: Um wie viele Oberbefehlshaber hat es sich in diesem Falle gehandelt?
DÖNITZ: Ich denke drei oder vier.
DR. LATERNSER: Hat nun eine enge persönliche und dienstliche Verbindung zwischen der Kriegsmarine einerseits und Heer und Luftwaffe andererseits bestanden?
DÖNITZ: Nein, gar keine.
DR. LATERNSER: Kannten Sie die Mehrzahl der Mitglieder der angeklagten Gruppe?
DÖNITZ: Nein. Vor meiner Zeit als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine nur die, mit denen ich zufällig örtlich im selben Raume war. Zum Beispiel, als ich in Frankreich saß, kannte ich den Feldmarschall von Rundstedt. Nach meiner Ernennung als Oberbefehlshaber nur die, die ich zufällig bei meinem Aufenthalt im Hauptquartier dort auch antraf, weil sie irgendeine Heeressache vorzutragen hatten von der großen militärischen Lage.
DR. LATERNSER: Sie werden also die Mehrzahl der Gruppenmitglieder nicht kennen?
DÖNITZ: Nein.
DR. LATERNSER: Hatten nun die Ihnen bekannten Oberbefehlshaber eine gemeinsame politische Linie?
DÖNITZ: Das kann ich für Heer und Luftwaffe nicht sagen. Für die Kriegsmarine muß ich das verneinen. Denn wir waren Soldaten. Mir kam es darauf an, was leistete der Soldat, wie war seine Persönlichkeit, und ich kümmerte mich nicht im wesentlichen um eine politische Linie, soweit es seine soldatische Tätigkeit nicht beeinflußte.
Ich will als Beispiel erwähnen, daß mein engster Mitarbeiter, [344] der mich vom Jahre 1934 bis zum Jahre 1945 bis Schluß immer begleitet hat als mein Adjutant und später Chef des Stabes, dem Nationalsozialismus außerordentlich kritisch – gelinde gesagt – gegenübergestanden ist, ohne daß dadurch meine dienstliche Zusammenarbeit, wie diese lange Zeit der Zusammenarbeit zeigt, oder meine persönliche Stellungnahme zu ihm gelitten hat.
DR. LATERNSER: Darf ich nach dem Namen des Chefs des Stabes fragen, den Sie eben erwähnt haben?
DÖNITZ: Es ist der Admiral Godt.
DR. LATERNSER: Admiral Godt?
Sind Ihnen Bemerkungen Hitlers bekannt, die er über die Einstellung der Heeresgenerale gemacht hat? Die Frage bezieht sich nur auf solche, die in die angeklagte Gruppe fallen.
DÖNITZ: Ich habe natürlich bei der militärischen Lage gelegentlich mal ein rasches Wort über einen Heeresbefehlshaber gehört, ohne heute noch näher sagen zu können, warum und wer es gewesen ist.
DR. LATERNSER: Sie waren häufig bei Lagebesprechungen im Führerhauptquartier? Haben Sie es bei dieser Gelegenheit bemerkt, daß Oberbefehlshaber mit Nachdruck abweichende Meinungen Hitler gegenüber vertreten haben?
DÖNITZ: Ja, das ist durchaus vorgekommen.
DR. LATERNSER: Können Sie sich eines bestimmten Beispiels erinnern?
DÖNITZ: Ich entsinne mich, als die Frage der Zurücknahme des Nordabschnittes im Osten ventiliert wurde, daß der zuständige Heeresbefehlshaber dieses Frontabschnittes anderer Ansicht war als der Führer und daß es darüber zu Auseinandersetzungen kam.
DR. LATERNSER: Hatte dieser Oberbefehlshaber Erfolg mit seinen Einwendungen?
DÖNITZ: Ich glaube, zum Teil ja. Ich möchte aber bitten, das lieber einen Heeresoffizier zu fragen, weil mir im einzelnen diese Zusammenhänge natürlich nicht so authentisch klar sind.
DR. LATERNSER: Hatten die hohen militärischen Führer der Kriegsmarine irgend etwas mit den Einsatzgruppen des SD zu tun?
DÖNITZ: Die Kriegsmarine nicht, nein. Vom Heer, bitte – glaube ich nicht, ich nehme an, nein, ich bitte, mich nur zur Kriegsmarine zu fragen.
DR. LATERNSER: Ja, darauf bezog sich allein diese Frage.
Nun einige Fragen über Marineoberbefehlshaber. Hatten die [345] Oberbefehlshaber der Marinegruppenkommandos territoriale Befugnisse?
DÖNITZ: Nein. Gemäß der berühmten KG-40, das heißt Kriegsgliederung 1940, hatte die Marine an Land keine territorialen Befugnisse, sondern ihre Aufgabe war eben, wenn sie an Land saß, die Verteidigung der Küste unter Heeresbefehl, und zwar bereits abschnittsweise unter dem Befehl der dort liegenden Division. Und außer diesem beteiligten sie sich an dem Krieg auf dem Wasser, das vor der Küste lag.
DR. LATERNSER: Die Marineoberbefehlshaber waren also reine Truppenbefehlshaber?
DÖNITZ: Ja.
DR. LATERNSER: Hatten nun diese Oberbefehlshaber dieser Marinegruppenkommandos irgendeinen Einfluß auf die Gestaltung der Befehle über den U-Bootkrieg?
DÖNITZ: Nein, gar keinen.
DR. LATERNSER: Hatten sie einen Einfluß auf die Festlegung, welche Schiffe versenkt werden durften?
DÖNITZ: Nein.
DR. LATERNSER: Und auf die Befehle, in denen die Behandlung Schiffbrüchiger festgelegt wurde?
DÖNITZ: Nein.
DR. LATERNSER: Nun fallen in die Gruppe auch die Inhaber der Dienststellung Chef der Seekriegsleitung. Welches waren die Aufgaben eines Chefs der Seekriegsleitung?
DÖNITZ: Er war im Oberkommando die Stelle, die die rein militärischen, taktischen und operativen Angelegenheiten der Kriegsmarine zu bearbeiten hatte.
DR. LATERNSER: Hatte der Chef der Seekriegsleitung Kommandogewalt?
DÖNITZ: Nein.
DR. LATERNSER: Er hatte also eine ähnliche Stellung wie der Generalstabschef der Luftwaffe oder des Heeres?
DÖNITZ: Verzeihung, ich muß erst nochmal den Begriff richtigstellen.
Ich nehme an, daß Sie unter Chef der Seekriegsleitung den Chef des Stabes der Seekriegsleitung meinen?
Denn zur Zeit des Großadmirals Raeder war der Name »Chef der Seekriegsleitung« dasselbe wie »Oberbefehlshaber der Kriegsmarine«, und das Organ, nach dem Sie tragen, hieß »Chef des Stabes der [346] Seekriegsleitung«, wohingegen als ich »Oberbefehlshaber der Kriegsmarine« war, der Name »Chef des Stabes der Seekriegsleitung« in »Chef der Seekriegsleitung« umgeändert war, aber dieselbe Person also unter der Verantwortung des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine war.
DR. LATERNSER: Hat es in der Kriegsmarine einen Admiralstab entsprechend dem Heeresgeneralstab gegeben?
DÖNITZ: Nein, den hat es nicht gegeben. Eine solche Korporation gab es nicht. Die notwendigen Führungs gehilfen, wie wir sie nannten, kamen aus der Front, taten Dienst im Stab und kamen dann wieder zur Front zurück.
DR. LATERNSER: Nun habe ich noch eine letzte Frage:
Der Zeuge Gisevius hat hier ausgesagt, daß die höchsten militärischen Führer dadurch in eine Korruption geraten seien, daß sie Dotationen angenommen hätten. Haben Sie selbst eine Dotation in irgendeiner Form erhalten?
DÖNITZ: Ich habe außer meinen mir zustehenden Gebührnissen keinen Pfennig erhalten, kein Geschenk und keine Schenkung. Dasselbe gilt für alle Offiziere der Kriegsmarine.
DR. LATERNSER: Danke schön. Ich habe keine weiteren Fragen.
DR. NELTE: Herr Zeuge! Sie waren anwesend als der Zeuge Gisevius hier vernommen wurde. Dieser Zeuge hat ohne konkrete Angaben urteilsmäßig folgendes ausgesagt: »Keitel hatte eine der einflußreichsten Stellungen im Dritten Reich inne.« Und an anderer Stelle sagte er: »Ich habe sehr genau erfahren, welchen ungeheuren Einfluß Keitel auf die gesamten Dinge der Armee hatte und dadurch auch auf die Vertreter der Armee vor dem deutschen Volk.«
Sie, der Sie diese Dinge ja beurteilen können, Sie bitte ich, mir zu sagen, ob diese Beurteilung der Stellung, der Funktion des Angeklagten Keitel richtig ist?
DÖNITZ: Ich finde sie weit übertrieben. Ich glaube, daß die Stellung des Feldmarschalls Keitel hier so eindeutig klargestellt ist, daß eigentlich klar sein müßte, daß von diesem sehr großen Inhalt dieser Worte eigentlich nichts richtig ist.
DR. NELTE: Darf ich daraus entnehmen, daß Sie die Darstellung der Stellung und Funktionen, wie sie Reichsmarschall Göring und Feldmarschall Keitel selbst gegeben hat, bestätigen, als richtig bestätigen?
DÖNITZ: Jawohl, sie ist vollkommen richtig.
DR. NELTE: Der Zeuge Gisevius hat sich bei seiner Beurteilung auch nicht auf eigene Kenntnis, sondern auf Informationen des Admirals Canaris gestützt.
[347] Kennen Sie den Admiral Canaris?
DÖNITZ: Ich kenne den Admiral Canaris aus der Zeit als er noch zur Kriegsmarine gehörte.
DR. NELTE: Hatten Sie später, als er die Stellung als Chef des Amtes Ausland/Abwehr im OKW innehatte, nicht auch Berührung mit ihm in Aussprachen? Ist er nicht zu Ihnen gekommen in seiner Eigenschaft als Abwehr?
DÖNITZ: Nachdem ich neu Oberbefehlshaber der Kriegsmarine geworden war, kam er zu mir und hielt mir einen Vortrag über die Nachrichten, Dinge, die er glaubte, der Marine – was mich ja interessierte – liefern zu können. Das war aber sein letzter Vortrag. Ich habe dann selbstverständlich von ihm oder seinem Amt, seiner Abteilung, schriftlich die Nachrichten bekommen, die die Marine angingen.
DR. NELTE: Ist es richtig, wenn ich sage, daß die Stellung des Admirals Canaris als Chef des Amtes Abwehr, also die Spionage, Gegenspionage, Sabotage, Nachrichtendienst, für die gesamte Kriegsführung sehr bedeutsam und wichtig war?
DÖNITZ: Also sein Amt oder seine Abteilung...
DR. NELTE: Er war ja der Chef des gesamten Amtes, nicht wahr?
DÖNITZ: Das galt natürlich und...arbeitet natürlich für die gesamte Wehrmacht, für alle drei Wehrmachtsteile, wobei ich sagen muß, wenn Sie mich nach der Wichtigkeit fragen, daß ich der Ansicht war, daß die Nachrichten, die die Kriegsmarine interessierten, außerordentlich mager waren, die wir von ihm bekamen.
DR. NELTE: Nun, hat Canaris jemals Ihnen gegenüber Klage geführt, daß er von Feldmarschall Keitel zum OKW in Ausführung seiner Tätigkeit irgendwie gehemmt, gehindert würde und daß er seine Nachrichten und seine Berichte nicht anbringen könne?
DÖNITZ: Das hat er nie getan, das hätte er ja nur beim ersten Vortrag machen können. Nein, das hat er nicht getan.
DR. NELTE: Nun möchte ich bezüglich Canaris noch wissen, ob Sie mir über seinen Charakter und damit auch über seine Glaubwürdigkeit als Informationsquelle etwas sagen können, ob Sie ihn für zuverlässig halten.
DÖNITZ: Der Admiral Canaris war in der Zeit, als er in der Kriegsmarine war, ein Offizier, dem wenig Vertrauen entgegengebracht wurde. Er war ein ganz anderer Mensch wie wir; wir sagten, er hätte sieben Seelen in seiner Brust.
VORSITZENDER: Dr. Nelte! Wir wollen nichts über Admiral Canaris wissen als er noch zur Marine gehörte. Ich glaube nicht, daß es Sinn hat, uns zu erzählen, daß Admiral Canaris bei der Marine [348] war. Das einzig Erhebliche wäre sein Charakter, als er später Chef des Nachrichtendienstes war.
DR. NELTE: Glauben Sie nicht, Herr Präsident, daß, wenn jemand als Kapitän zur See in der Marine unzuverlässig und unglaubwürdig ist, daß er es dann auch als Admiral im OKW sein wird? Glauben Sie, daß sich das in diesen Jahren noch ändern kann?
[Zum Zeugen gewandt:]
Ich danke Ihnen aber jedenfalls für die weitere Beantwortung der Frage und bitte Sie, mir folgende Frage zu beantworten:
Ist es richtig, daß Hitler allen Wehrmachtsteilen die Berichterstattung über alle politischen Angelegenheiten verboten und vielmehr verlangt hat die Beschränkung auf das eigene Aufgabengebiet des Betreffenden?
DÖNITZ: Ja, das ist richtig.
DR. NELTE: Nun hat der Zeuge Gisevius ausgesagt, der Feldmarschall Keitel habe die ihm unterstellten Offiziere damit bedroht, daß er sie der Gestapo übergeben würde, wenn sie sich mit politischen Dingen befassen würden, und ich frage Sie: Ist es richtig, daß nach den für die Wehrmacht maßgeblichen Bestimmungen die Polizei, einschließlich der Gestapo, Kripo und SD, gegenüber Wehrmachtsangehörigen, ganz gleich welchen Ranges, keinerlei Exekutivgewalt hatte?
DÖNITZ: Es ist richtig.
DR. NELTE: Ferner, daß die Wehrmachtsteile und auch das OKW peinlich dieses Vorrecht gegenüber der Polizei wahrten?
DÖNITZ: Jawohl.
DR. NELTE: Dadurch hätte also eine angebliche Drohung, von der Gisevius gesprochen hat, die Überstellung an die Gestapo, tatsächlich gar nicht verwirklicht werden können?
DÖNITZ: Nein.
DR. NELTE: Und ist es richtig, wenn ich sage, daß alle Offiziere des OKW, denen gegenüber diese Äußerung hätte fallen können, das natürlich auch wußten?
DÖNITZ: Selbstverständlich. Der Soldat unterstand ja der Militärgerichtsbarkeit. In die Wehrmacht konnte niemand hineinreichen.
DR. NELTE: Darüber hinaus, hatte der Feldmarschall Keitel als Chef des OKW überhaupt das Recht, über die im OKW diensttuenden Offiziere ohne Kenntnis und ohne Zustimmung des Oberbefehlshabers des Wehrmachtsteiles, dem der Betreffende angehörte, zu verfügen, zum Beispiel zu versetzen oder zu verabschieden oder dergleichen?
[349] DÖNITZ: Der betreffende Offizier des Wehrmachts teiles, zum Beispiel der Marine, wurde ja ins OKW für eine bestimmte Dienststelle kommandiert und damit abgegeben aus der Marine an das OKW. Es war eine Selbstverständlichkeit, daß bei einer anderen Verwendung dieses Offiziers im OKW der Wehrmachtsteil hätte gehört werden müssen.
DR. NELTE: War es nicht so, daß diese Offiziere persönlich nach wie vor bei ihrem Wehrmachtsteil geführt wurden, weil das OKW kein Wehrmachtsteil und auch keine Formation in diesem Sinne war, also daß, wenn zum Beispiel eine Beförderung erfolgte, sie von der Marine kommandiert wurde? Wenn Canaris hätte versetzt werden sollen, hätten Sie als Oberbefehlshaber der Marine diese Versetzung vornehmen müssen, natürlich, wenn Sie mit dem Vorschlag einverstanden waren? Es handelt sich bloß um die Frage des eigentlichen Befehls einschließlich des Personals.
DÖNITZ: Diese Offiziere waren zum OKW abkommandiert. Sie standen meiner Erinnerung nach noch in der Marinerangliste darin, unter dem Titel »Aus der Marine abkommandiert an das OKW«.
DR. NELTE: Aber sie verließen die Marine als Wehrmachtsteil nicht?
DÖNITZ: Eine Beförderung dieser Offiziere wurde, glaube ich, vom Marinepersonalamt im Einvernehmen mit dem OKW ausgesprochen, und ich glaube auch, daß eine Abkommandierung, das halte ich für selbstverständlich, nicht ohne Zustimmung des betreffenden Wehrmachtsteils hätte geschehen können.
DR. NELTE: Der Zeuge Gisevius hat dem Sinne nach ausgesagt, daß gewisse Männer um Hitler, darunter war auch Feldmarschall Keitel, für den militärischen Bereich gemeint, einen engen Ring, einen Ring des Schweigens, um Hitler gebildet hätten, so daß keiner an Hitler herankommen konnte, den sie nicht wünschten.
Ich frage Sie: Hatte Keitel die Möglichkeit, Sie als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine Hitler fernzuhalten, wenn Sie ihm Vortrag zu halten wünschten?
DÖNITZ: Nein.
DR. NELTE: Hatte Feldmarschall Keitel die Möglichkeit, den Oberbefehlshaber der Luftwaffe in gleicher Weise fernzuhalten, wenn dieser dem Führer Bericht erstatten wollte?
DÖNITZ: Nein.
DR. NELTE: Und wie war es mit dem Oberbefehlshaber des Heeres?
DÖNITZ: Das habe ich nicht erlebt; wie ich Oberbefehlshaber der Kriegsmarine war, gab es das nicht mehr.
[350] DR. NELTE: Dann frage ich Sie: Wie war es mit dem Generalstabschef des Heeres? Konnte der jederzeit über und ohne den Feldmarschall Keitel Hitler Vortrag halten?
DÖNITZ: Die Möglichkeit eines Fernhaltens hatte der Feldmarschall Keitel nicht, hätte er auch nie getan.
DR. NELTE: Der Zeuge Gisevius hat hier, auf die Frage der Anklagebehörde bezugnehmend, ausgesagt, daß seine Gruppe auf dem Wege über Admiral Canaris dem Feldmarschall Keitel Berichte zuleitete, die sich mit den hier von der Anklage vorgetragenen Verbrechen gegen die Humanität befaßten. Diese Berichte hat man als Auslandsberichte getarnt. Ich frage Sie, ist Ihnen jemals ein solcher getarnter Auslandsbericht von Canaris vorgelegt oder zugesandt worden?
DÖNITZ: Nein, niemals.
DR. NELTE: Halten Sie es mit Ihrer Kenntnis der Persönlichkeit des Feldmarschalls Keitel für möglich, daß er einen wichtigen Bericht, der ihm zugeleitet wurde, Hitler vorenthalten würde?
DÖNITZ: Das halte ich für ganz ausgeschlossen.
VORSITZENDER: Ich halte diese Frage nicht für zu lässig.
DR. NELTE: Ich wollte mit dieser Frage meine diesbezüglichen Nachforschungen beenden, habe nur noch eine andere Frage, die aber rasch erledigt sein wird.
Herr Präsident! Sie haben mir mit Schreiben vom 26. 3. 1946 gestattet, daß ich ein Affidavit des Großadmirals Dönitz vorlegen dürfe, welches ich über die Funktion und Stellung des Chefs des OKW erhielt. Ich habe dieses Affidavit am 13. April der Anklagebehörde zur Prüfung überreicht und habe gehört, daß Bedenken gegen dieses Affidavit nicht bestehen. Das Original habe ich aber noch nicht wieder zurückerhalten seit dem 13. April und weiß nicht, ob es dem Gericht von der Anklagebehörde inzwischen vorgelegt worden ist.
VORSITZENDER: Ich weiß nichts von dem Affidavit, von dem Sie sprechen.
DR. NELTE: Ich würde nun gezwungen sein, die Fragen an Großadmiral Dönitz zu richten, die aber zu einem großen Teil die enthalten, die ich schon an Feldmarschall Keitel selber gerichtet habe.
VORSITZENDER: Hat die Anklagebehörde überhaupt Einwände gegen das Affidavit?
DR. NELTE: Nein, die Anklage hat keinerlei Ein wände erhoben, und ich würde es deshalb, wenn es zurückgekommen wäre, der Anklage als Beweisstück zu den Akten überreichen, ohne es zu verlesen.
VORSITZENDER: Gut.
[351] DR. NELTE: Danke.
DR. DIX: Herr Zeuge! Sie haben bekundet, daß der SD, die Geheime Staatspolizei, überhaupt die Polizei, keine Exekutivgewalt über Angehörige der Wehrmacht gehabt habe, also insbesondere Angehörige der Wehrmacht nicht habe verhaften können. Habe ich Sie richtig verstanden?
DÖNITZ: Jawohl.
DR. DIX: Ist Ihnen, Herr Zeuge, nicht bekannt, daß die Offiziere, die unter dem Verdacht standen, mit dem 20. Juli verwickelt zu werden, sämtliche oder jedenfalls zum größten Teil von Angehörigen des SD verhaftet, vom SD und ihrer jeweiligen Stelle, wo sie verhaftet wurden, zur Kontrolle der unter dem SD stehenden Gefängnisse transportiert wurden und dort auch weiter unter der Haftobhut des SD standen und unter keinerlei Haftobhut irgendeiner militärischen Instanz?
DÖNITZ: Nein, ist mir nicht bekannt, denn nach dem 20. Juli war meiner Erinnerung nach ausdrücklich eine Bestimmung erlassen, daß der SD den Wehrmachtsteilen die Soldaten zu nennen hätte, die an dem Putsch beteiligt waren und daß diese Soldaten dann aus dem Wehrmachtsteil zu entlassen seien, gerade weil der Grundsatz des Eingriffs in den Wehrmachtsteil nicht verletzt werden sollte und daß dann der SD das Zugriffsrecht hat.
DR. DIX: Diese Verordnung ist erlassen worden, aber vielleicht kommen wir durch die Beantwortung weiterer Fragen, die ich an Sie stellen möchte, zur Klärung dieser Verordnung.
Ist Ihnen, Herr Zeuge, bekannt, daß die Untersuchung, also insbesondere das Verhör der im Rahmen des 20. Juli verhafteten Offiziere ausschließlich durch Beamte des SD beziehungsweise der Geheimen Staatspolizei, geführt worden ist und nicht durch Offiziere beziehungsweise Angehörige der Militärjustiz?
DÖNITZ: Ich kann nur urteilen über die beiden Fälle, die ich dabei in der Kriegsmarine hatte. Ich bekam die Angabe, diese beiden Offiziere waren beteiligt. Ich habe sie fragen lassen, sie haben es bestätigt. Darauf wurden die Offiziere aus der Marine entlassen. Dann ist selbstverständlich das Verhör nicht mehr von der Marine erfolgt, aber ich weiß, daß meine Marinekriegsgerichtsräte sich noch um die Offiziere und das Verhör bekümmert haben.
DR. DIX: Wer entließ sie?
DÖNITZ: Die Kriegsmarine.
DR. DIX: Also Sie?
DÖNITZ: Ja.
[352] DR. DIX: Ist Ihnen bekannt, Herr Zeuge, daß im Verfolg der Untersuchung über den 20. Juli ein Ausschuß gebildet worden ist von Generalen, denen der Feldmarschall von Rundstedt vorsaß?
DÖNITZ: Ja, ich habe davon gehört.
DR. DIX: Und daß dieser Ausschuß, und zwar auf Grund der Protokolle des SD entschied, ob der betreffende Offizier aus dem Heer auszustoßen sei, beziehungsweise aus dem Heer ausscheiden müsse, damit er dann der zivilen Gerichtsbarkeit, nämlich dem Volksgerichtshof, übergeben werden konnte?
DÖNITZ: Das ist mir nicht bekannt.
DR. DIX: Ich darf vorhalten, daß ich der Meinung bin, daß die von Ihnen vorhin richtig bekundete Verordnung...
VORSITZENDER: Dr. Dix! Sie sind an seine Antwort gebunden. Er sagte, er wisse nichts davon. Sie können ihm dann nicht vorhalten, was nach Ihrer Meinung vorgefallen ist. Wenn er sagt, er weiß nichts darüber, müssen Sie sich mit seiner Antwort zufriedengeben.
DR. DIX: Ich wollte ihm nur vorhalten, daß die Verordnung, auf die ich vorhin Bezug genommen habe und die tatsächlich besteht, und die davon ausgeht, daß entschieden wird, ob jemand auszuscheiden hat aus dem Heer, um ihn dann den zivilen Behörden übergeben zu können, zusammenhängt mit diesem Ausschuß, präsidiert von Generalfeldmarschall von Rundstedt, der zu entscheiden hätte darüber, ob der betreffende Offizier die Uniform auszuziehen hat und damit nicht mehr der Militärjustiz, sondern dem Volksgerichtshof zu übergeben ist.
VORSITZENDER: So wie ich den Zeugen verstanden habe, sagte er, er hätte nichts davon gewußt, und ich glaube, Sie sind an diese Antwort gebunden.
DR. DIX: Darf ich noch etwas vortragen?
VORSITZENDER: In wessen Namen stellen Sie diese Frage? Sie sind doch der Verteidiger des Angeklagten Schacht?
DR. DIX: Die Fragen meines Kollegen betreffend Keitel wurden gestellt zur Erschütterung der Glaubwürdigkeit des Zeugen Gisevius. Die Verteidigung Schachts ist an der Glaubwürdigkeit des Zeugen Gisevius selbstverständlich interessiert. Die Verteidigung hat wegen der Glaubwürdigkeit Gisevius drei Fragen gestellt, also im Komplex Schacht. Darf ich noch etwas sagen?
VORSITZENDER: Gut.
DR. DIX: Diese Fragen, die Euer Lordschaft beanstandeten – ich frage nur deshalb, weil ich mit der Möglichkeit rechnete, daß die [353] Antwort des Zeugen auf einer Verwechslung beruht, daß er nämlich die von ihm angenommene generelle Vorschrift, erst muß der betreffende Soldat entlassen werden bevor der SD sich seiner bemächtigen kann, von ihm selbstverständlich verwechselt ist mit der Verordnung, daß der Ausschuß von Rundstedt darüber zu entscheiden hat, ob der betreffende Offizier aus dem Heer ausgestoßen wird, damit er dann dem Volksgerichtshof, nicht dem SD – der SD führt die Vorerörterung, die Untersuchung – übergeben werden könnte.
VORSITZENDER: Was wollen Sie ihn also fragen?
DR. DIX: Herr Großadmiral! Sie haben doch meine Frage verstanden oder soll ich sie wiederholen?
DÖNITZ: Ich kann Ihnen nicht mehr sagen als ich bereits gesagt habe.
DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Als Befehlshaber der U-Boote hatten Sie sich einmal dienstlich mit Sauckel zu befassen?
DÖNITZ: Nein, dienstlich nicht, aber privatim.
DR. SERVATIUS: Was war Ihre Veranlassung?
DÖNITZ: Es wurde von einem U-Boot gemeldet, das sechs Wochen in den Atlantik gehen sollte, daß nach dem Auslaufen festgestellt war, daß der Gauleiter Sauckel sich dort eingeschlichen hatte und ich sofort durch Funkspruch befahl, daß das Boot umzukehren und ihn auf den nächsten Vorpostendampfer abzusetzen hätte.
DR. SERVATIUS: Was war das Motiv von Sauckel?
DÖNITZ: Zweifellos ein kriegerisches; er wollte wieder einmal zur See fahren.
DR. SERVATIUS: Nun war er doch Gauleiter, hatte er nicht besondere Gründe, um zu zeigen, daß er nun auch einsatzbereit war im Kriege und sich nicht hinten zurückhielt?
DÖNITZ: Das hat mich überrascht, daß er sich als Gauleiter das leisten konnte, zur See zu fahren, aber immerhin habe ich geglaubt, es ist ein Mann, wo das Herz auf dem richtigen Fleck sitzt.
DR. SERVATIUS: Sie glauben, daß es idealistische Gesichtspunkte waren?
DÖNITZ: Aber sicher, denn zu erben ist ja nichts bei einer U-Bootfahrt.
DR. SERVATIUS: Ich habe keine Fragen mehr.
DR. STEINBAUER: Herr Großadmiral! Erinnern Sie sich, daß Sie in Ihrer Eigenschaft als Staatsoberhaupt am 1. Mai 1945 den Reichskommissar für die besetzten Niederlande nach Flensburg zur Berichterstattung gerufen haben?
[354] DÖNITZ: Jawohl.
DR. STEINBAUER: Erinnern Sie sich ferner, daß bei dieser Gelegenheit mein Klient Sie gebeten hat, den früher an den Oberbefehlshaber der Niederlande ergangenen Befehl, sämtliche Schleusen und Deiche im Falle eines Angriffs zu sprengen, zu widerrufen und ferner auch den Befehl zu geben, die vorgesehenen Sprengstellen wieder zu entladen?
DÖNITZ: Das hat er getan und lag in meiner Linie, denn sowie ich Staatsoberhaupt geworden war, habe ich befohlen, daß alle Zerstörungen, auch in den besetzten Gebieten, zum Beispiel einschließlich der Tschechoslowakei, sofort aufzuhören hätten.
DR. STEINBAUER: Hat er Sie dann am Ende dieser Berichterstattung gebeten, statt in Deutschland bleiben zu dürfen, wieder an seinen Dienstort in den Niederlanden zurückkehren zu können?
DÖNITZ: Jawohl, das hat er wiederholt getan und versucht – die Wetterlage war schwierig –, mit einem Schnellboot wieder nach den Niederlanden zu kommen.
DR. STEINBAUER: Danke schön.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Ich möchte, daß Sie zunächst einige Fragen über Ihre Vergangenheit beantworten, nachdem Sie am 30. Januar 1943 Oberbefehlshaber der Kriegsmarine geworden sind. Als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine hatten Sie doch einen Rang, der dem eines Reichsministers entsprach?
DÖNITZ: Jawohl, das stimmt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie hatten auch das Recht, an Sitzungen des Reichskabinetts teilzunehmen. Haben solche Sitzungen stattgefunden?
DÖNITZ: Ich war befugt teilzunehmen, falls eine solche Sitzung oder meine Teilnahme an einer solchen Sitzung vom Führer angeordnet wurde. So lautete die Verordnung, obwohl zu sagen ist, daß eine Sitzung der Reichsregierung zu meiner Zeit ab 1943, wo ich Oberbefehlshaber war, überhaupt nicht mehr getagt hat.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Von der Zeit, da Sie Oberbefehlshaber der Kriegsmarine wurden, wurde Deutschland sozusagen von Hitlers Hauptquartier aus regiert? Nicht wahr?
DÖNITZ: Das ist richtig.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es war eine Militärdiktatur, in der der Diktator die Leute, die er sehen wollte, in seinem militärischen Hauptquartier empfing? Das stimmt doch?
DÖNITZ: Ja, Militärdiktatur kann man nicht sagen, das war überhaupt keine Diktatur. Es war ein militärischer Sektor und ein [355] ziviler Sektor, und beide Komponenten waren in der Hand des Führers vereinigt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Schön. Nehmen wir den letzten Teil Ihrer Antwort, den ersten wollen wir nicht erörtern.
Sie besuchten ihn also an 119 Tagen in etwas mehr als zwei Jahren? Stimmt das?
DÖNITZ: Jawohl, wobei zu sagen ist, daß vom 30. 1. 1943, als ich also Oberbefehlshaber der Kriegsmarine wurde, bis Ende Januar 1945, also in etwa zwei Jahren, die Zahl, glaube ich, 57mal war und daß die große Zahl dadurch entsteht, daß ich in den letzten Kriegsmonaten bei den mittägigen Lagebesprechungen, die täglich stattfanden in der Voßstraße in Berlin, teilnahm.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich will Sie über einige bestimmte Sitzungen befragen. Bei einigen war doch der Angeklagte Speer anwesend?
DÖNITZ: Ich kann mich nicht entsinnen, daß er bei den militärischen Lagebesprechungen selbst dabei gewesen ist. An sich hatte der Minister Speer als Zivilist bei der militärischen Lage nichts zu tun. Es kann aber sein, daß er dann und wann dabei war, wenn es sich zum Beispiel um die. Panzerproduktion handelte, Dinge die im unmittelbaren Zusammenhang mit irgendwelchen militärischen Überlegungen des Führers standen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Danach wollte ich Sie gerade fragen. Der Angeklagte Speer war anwesend, wenn Sie Versorgungsfragen besprachen, nämlich Versorgung der verschiedenen Waffengattungen einschließlich Nachschub für die Marine.
DÖNITZ: Versorgungsfragen der Flotte sind nie in der großen militärischen Lage besprochen worden, sondern die habe ich mit dem Führer allein, wie ich schon gesagt habe, persönlich besprochen, in Gegenwart meistens von Keitel und Jodl, und habe die Dinge dem Führer dann vorgetragen, wenn ich vorher mit dem Minister Speer ins reine gekommen war, dem ich ja, als ich Oberbefehlshaber der Kriegsmarine wurde, die gesamte Rüstung der Kriegsmarine überantwortet habe. Das ist generell der Zustand, wie er gewesen ist.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie mußten sich aber, wie der Chef jeder Waffengattung, über bevorzugte Zuteilungen und Rohstoffe und Arbeitskräfte informieren. Sie wollten doch wissen, wie Arbeitskräfte während des nächsten Zeitabschnittes zugeteilt werden würden. Nicht wahr?
DÖNITZ: Ich versuchte zu erreichen, daß durch Entscheidung des Führers der Minister Speer den Auftrag bekam, zum Beispiel soviel wie möglich von der neuen U-Bootwaffe zu bauen, um die es sich ja damals handelte, daß aber die Grenze eben darin gesetzt war, wie [356] die Kapazität auf die einzelnen Wehrmachtsteile beim Minister Speer verteilt worden war.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aus diesem Grunde würde es doch von größtem Interesse für Sie gewesen sein herauszufinden, wieviele Arbeiter für die Flottenrüstung und für die andere Versorgung zur Verfügung standen und zu trachten, den Ihnen zukommenden Anteil zu bekommen?
DÖNITZ: Das tut mir schrecklich leid, daß ich Ihnen darauf keine Antwort geben kann. Das habe ich nie gewußt und weiß ich heute auch nicht, nämlich wieviele Arbeiter Speer in die Rüstung für die Kriegsmarine hineingesteckt hat. Ich weiß auch nicht, ob der Minister Speer Ihnen eine Antwort darauf geben kann. Nämlich, der Bau der U-Boote zum Beispiel erfolgte verteilt über das ganze Deutsche Reich in der ganzen Industrie, und die Teile wurden erst in den Werften zusammengestellt. Also über die Arbeitskapazität, die die Marine hatte, habe ich keine Ahnung.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wissen Sie noch, daß Sie Speer als den Mann bezeichneten, der die Produktion ganz Europas in der Hand hatte? Das war am 17. Dezember 1943. Ich werde Ihnen das Dokument bald zeigen. Aber Sie erinnern sich, ihn so beschrieben zu haben?
DÖNITZ: Jawohl, das weiß ich sehr genau.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und wußten Sie nicht ebenso gut, daß Speers Arbeitskräfte Fremdarbeiter waren, die in das Reich gebracht worden waren?
DÖNITZ: Ich habe selbstverständlich gewußt, daß ausländische Arbeiter in Deutschland waren. Genau so selbstverständlich ist, daß ich mich als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine wohl nicht hinstelle und mich kümmere, wie diese Arbeiter verpflichtet wor den sind. Das ging mich ja gar nichts an.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hatte Ihnen Gauleiter Sauckel nicht anläßlich jener Reise mitgeteilt, daß er fünf Millionen Fremdarbeiter in das Reich gebracht hätte, von denen nur 200000 freiwillig gekommen waren?
DÖNITZ: Ich habe mit dem Gauleiter Sauckel nicht eine einzige Besprechung gehabt. Ich habe mit keinem Menschen über Arbeiterfragen überhaupt eine Besprechung gehabt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, Angeklagter, Sie waren während des fünften und sechsten Kriegsjahres Chef einer Waffengattung. Hat nicht Deutschland so wie jedes andere Land versucht, die letzte Arbeitskraft für seine Bedürfnisse herauszuholen? Brauchte Deutschland nicht, wie jedes andere kriegführende Land, dringend Arbeitskräfte?
[357] DÖNITZ: Das glaube ich auch, daß wir Arbeitskräfte brauchten.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie dem Gericht erzählen, daß Sie nach Ihren Besprechungen mit Hitler und Speer nicht gewußt hätten, daß Sie diese Arbeitskräfte dadurch beschafft haben, daß Sie die Fremdarbeiter gezwungen haben, ins Reich zu kommen?
DÖNITZ: Bei meinen Konferenzen mit Hitler-Speer ist der Modus über die Arbeiterfrage überhaupt nicht zur Sprache gebracht worden. Die Methode interessierte mich gar nicht. In Konferenzen ist überhaupt nicht die Arbeiterfrage erörtert worden. Es ist für mich nur interessant gewesen, wie viele U-Boote bekomme ich gebaut, das heißt, wie groß ist nach der Anzahl der Schiffe, die gebaut wurden, die Kapazität, die mir zugeteilt wird.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie erzählen dem Gericht, Sie hätten mit Speer Besprechungen gehabt, und er hat Ihnen nie gesagt, wo er seine Arbeiter hernahm? Ist das Ihre Antwort?
DÖNITZ: Ja, das ist meine Antwort, das stimmt so.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Erinnern Sie sich, bevor wir die industrielle Seite des Problems verlassen, daß bei gewissen Besprechungen die Vertreter für Kohle und Transport und Gauleiter Kaufmann, der Reichskommissar für Seeschiffahrt, bei den Besprechungen anwesend waren, die Sie mit dem Führer hatten?
DÖNITZ: Nein.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie können es sich von mir sagen lassen, Sie sind bei diesen Besprechungen unter den Anwesenden angeführt. Befaßten Sie sich mit allgemeinen Schiffahrts- und Transportfragen?
DÖNITZ: Nie. Ich habe mich...was die Seetransporte anbelangt, das ist richtig, ich habe eben an Landdinge gedacht, Ihre Frage für Landdinge aufgefaßt. Ich habe ja bereits gesagt, daß ich zum Schluß des Krieges ein ganz brennendes Interesse bekam an der Handelsschifftonnage, weil diese Handelsschifftonnage mir nicht unterstand, sondern dem Gauleiter Kaufmann, Reichskommissar See, die ich brauchte, um die militärischen Transporte von Norwegen und vom Osten und nach dem Osten und die Flüchtlingstransporte militärisch durchzuführen. Also an Sitzungen und Besprechungen, was die Seetransportlage anbelangt, habe ich selbstverständlich teilgenommen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenden wir uns einem anderen Gegenstand dieser 119 Tage zu. An 39 Tagen war der Angeklagte Keitel ebenfalls im Hauptquartier anwesend und der Angeklagte Jodl ungefähr ebensooft.
DÖNITZ: Verzeihung, ich habe das Datum nicht verstanden.
[358] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich werde die Frage wiederholen. An 39 Sitzungen zwischen Januar 1943 und April 1945 war der Angeklagte Keitel anwesend und der Angeklagte Jodl ungefähr ebensooft. Stimmt es, daß Sie in ihrer Gegenwart die allgemeine strategische Lage erörterten oder der Unterhaltung darüber zuhörten?
DÖNITZ: Ich darf sagen, daß das Wort »Sitzung« erstmals die Sache nicht genau trifft, sondern es war, wie ich...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, wählen Sie das Wort; geben Sie uns das Wort.
DÖNITZ: Es war, wie ich es geschildert habe, die große militärische Lage, und bei dieser Lage habe ich selbstverständlich zugehört, wie auch die Heereslage vorgetragen worden ist. Das habe ich ja schon erklärt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich will nur ganz klar festhalten, daß Sie während dieser zwei Jahre jede Gelegenheit hatten, die militärisch-strategische Lage kennenzulernen und abzuschätzen. Ist das nicht so?
DÖNITZ: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun war der Angeklagte Göring bei zwanzig Gelegenheiten anwesend. Der Angeklagte Göring trat in zwei Funktionen auf: als Oberbefehlshaber der Luftwaffe und als Politiker. Was hat er bei diesen zwanzig Sitzungen getan?
DÖNITZ: Reichsmarschall Göring war bei der militärischen Lage da als Oberbefehlshaber der Luftwaffe.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und so erhielten Sie von dem Angeklagten Göring volle Kenntnis und Abschätzung der Luftlage und der Lage der Luftwaffe während dieser Zeit?
DÖNITZ: Soweit war es bei meiner gelegentlichen Teilnahme bei den Lagen, wo ja immer nur Ausschnitte behandelt wurden, es wurde ja bei keiner Lage ein generelles Bild gegeben, soweit ich mir also aus diesen Ausschnitten ein Urteil bilden konnte, was natürlich immer Stückwerk war; das war ja der Grund, warum ich mich ganz streng nie zu militärischen Dingen außerhalb der Kriegsmarine geäußert habe.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Lassen Sie mich noch eine weitere Frage zu diesem Thema stellen. Im Anschluß an das, was Dr. Laternser gefragt hat, wären am 29. Juni 1944 neben den Angeklagten Keitel, Jodl und Göring auch Feldmarschall von Rundstedt und Feldmarschall Rommel anwesend. Ich darf Sie erinnern, daß dies drei Wochen nach der Landung der Alliierten im Westen war. Sie erhielten damals Gelegenheit, die strategische Lage nach der Landung der Alliierten in der Normandie zu beurteilen, nicht wahr?
[359] DÖNITZ: Jawohl, ich bekam daraus einen Eindruck, wie ist die Lage in der Normandie, nachdem der Gegner da Fuß gefaßt hatte, und ich war in der Lage, nun dem Führer zu melden, welche meiner neuen kleinen Kampfmittel ich in der Lage wäre, in diesem Raum einzusetzen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gehen wir nun auf eine andere Sparte der Regierung im allgemeinen über. Der Reichsführer-SS Himmler war mehrfach bei diesen Konferenzen – wenn ich sie so nennen soll – anwesend, nicht wahr?
DÖNITZ: Ja, wenn der Reichsführer-SS Himmler da war, was meiner Erinnerung nach ein- oder zweimal gewesen ist, dann war er da wegen seiner Waffen-SS.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie können mir glauben, daß er dort mindestens siebenmal als anwesend verzeichnet ist und daß Fegelein, der sein Vertreter im Hauptquartier des Führers war, fünfmal als anwesend aufgeführt ist. Was hat Himmler über die Waffen-SS, über die Taten der Totenkopf-Division, erzählt?
DÖNITZ: Das kann nicht stimmen. Der Fegelein ist immer bei der Lagebesprechung dagewesen, stets, ständig, weil er ein ständiger Vertreter war. Wenn der Reichsführer bei den Lagebesprechungen war, hat er nur zu seiner Waffen-SS gesprochen, und zwar nur zu diesen Divisionen der Waffen-SS, die im Rahmen des Heeres irgendwo eingesetzt waren. Wie sich die einzelnen Divisionen nannten, weiß ich nicht, Totenkopf glaube ich aber nicht, das habe ich nie gehört, es gab Wiking, oder...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Deshalb, weil sie hauptsächlich in Konzentrationslagern beschäftigt waren. Und Sie sagen, daß Himmler dies nie erwähnt hat?
DÖNITZ: Daß Totenkopf-Divisionen in Konzentrationslagern eingesetzt waren, habe ich hier erfahren, hier in Nürnberg. Erwähnt worden ist es dort nicht. Ich habe schon gesagt, daß bei militärischen Lagen nur militärische Dinge besprochen wurden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der Angeklagte Kaltenbrunner wird nur einmal als anwesend genannt, und zwar am 26. Februar 1945, als eine ganze Reihe von hohen SS-Führern zusammenkam. Was besprachen Sie denn damals mit ihm?
DÖNITZ: Das stimmt nicht, daß Kaltenbrunner nur einmal da war, denn meiner Erinnerung nach war er zwei- oder drei- oder viermal da. Ich habe ihn jedenfalls in den letzten Monaten des Krieges zwei- oder drei- oder viermal gesehen. Gesprochen hat Kaltenbrunner da überhaupt nicht. Er hat meiner Erinnerung nach nur zugehört und dabeigestanden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte, daß Sie dem Gerichtshof über folgendes Auskunft geben: Was war das Gesprächsthema, wenn Sie nicht nur den Angeklagten Kaltenbrunner dort [360] hatten, sondern auch den SS-Obergruppenführer Steiner, Ihren eigenen Kapitän vom Dienst und Generalleutnant Winter. Warum waren diese Herren dort, und was haben Sie von ihnen gehört?
DÖNITZ: Wer ist der eine Kapitän, und wer ist Generalleutnant Günther?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Kapitän von Aßmann. Ich nahm an, daß er Ihr Kapitän vom Dienst war, obwohl ich mich auch getäuscht haben mag, Kapitän zur See von Aßmann. Außerdem waren Generalleutnant Winter, SS-Obergruppenführer Steiner und SS-Obergruppenführer Kaltenbrunner anwesend. Was haben Sie am 26. Februar 1945 besprochen?
DÖNITZ: Dazu muß ich eine Tatsache sagen: Erstens, der Kapitän Aßmann war bei jeder Lage dabei, er war immer dabei.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Einen Augenblick, bitte. Sie können später darüber sprechen. Hören Sie erst auf meine Frage. Was haben Sie mit diesen Leuten der SS am 26. Februar 1945 besprochen?
DÖNITZ: Das weiß ich nicht mehr. Ich entsinne mich aber, daß Steiner den Befehl bekam über die Heeresgruppen, die in Pommern den Stoß von Norden nach Süden machen wollten, um Berlin zu entlasten. Ich glaube, es kann sein, wenn Steiner dabei war, daß diese Frage besprochen worden ist, die mich nicht betraf.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte aber, daß Sie darüber noch nachdenken, bevor ich diesen Punkt verlasse.
Sie stimmten mit mir überein, daß bei einer großen Anzahl von Besprechungen Keitel und Jodl anwesend waren, weniger häufig Göring, von denen Sie die Lage des Heeres und der Luftwaffe in Deutschland erfuhren. Der Angeklagte Speer war anwesend, von dem Sie die Produktionslage erfuhren. Himmler war anwesend oder sein Vertreter Fegelein, von dem Sie die Sicherheitslage erfuhren. Und schließlich waren Sie selbst anwesend und erklärten die Lage der Marine. Bei allen Zusammenkünften war der Führer anwesend, der die Entscheidungen traf.
Ich halte Ihnen vor, Angeklagter, daß Sie eine genau so große Rolle in der Regierung Deutschlands spielten wie irgend jemand, abgesehen von Adolf Hitler selbst.
DÖNITZ: Meiner Ansicht nach ist diese Darstellung nicht richtig. Bei diesen Lagen wurde ja weder von Speer noch von sonst jemand eine Übersicht über ihr Arbeitsgebiet gegeben, im Gegenteil, es wurden nur die akuten Tagesfragen – ich habe ja erklärt, die letzten 24 Stunden – besprochen, was zu tun wäre. Also etwa, daß nun ein Kollegium da ist, das durch einen Vortrag ein allgemeines Bild gab, kam überhaupt gar nicht in Frage, so ist die [361] Sache ja gar nicht gewesen, sondern der einzige, der die gesamte Übersicht hatte, war der Führer, und bei diesen militärischen Lagen wurden die Zeitläufe der letzten 24 Stunden, möchte ich sagen, die Maßnahmen, die zu treffen waren, durchgesprochen; das ist die Tatsache. Man kann also von keinem dieser Teilnehmer annehmen, daß sie eine gesamte Übersicht hatten, sondern jeder übersah klar sein Ressort, für das er verantwortlich war. Von einer gesamten Übersicht irgendeines dieser Teilnehmer ist gar keine Rede. Die hatte allein der Führer.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich will mit Ihnen nicht streiten, doch nehme ich an, Angeklagter, daß Sie ebenfalls sagen, so wie wir von so vielen anderen Angeklagten bereits gehört haben, daß Sie nichts vom Zwangsarbeiterprogramm wußten; Sie wußten nichts von der Ausrottung der Juden, und Sie wußten nichts von den schlimmen Zuständen in den Konzentrationslagern. Vermutlich werden Sie uns erzählen, daß Sie von allem nichts wußten.
DÖNITZ: Das ist selbstverständlich, nachdem wir hier gehört haben, in welcher Weise diese Dinge geheimgehalten worden sind; und wenn man sich darüber klar ist, daß jeder in diesem Krieg seinen angespannten Aufgabenkreis hatte, dann ist das gar kein Wunder. Ich habe zum Beispiel, um das Beispiel zu nehmen, von den Konzentrationslager-Verhältnissen erfahren...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jetzt will ich nur Ihre Antwort, und die haben Sie mir bereits gegeben.
Ich komme nun auf eine Sache zu sprechen, die Sie wohl kannten, und zwar den Befehl zur Erschießung von Kommandos, der am 18. Oktober 1942 gegeben wurde. Sie sagten uns, Sie hätten denselben erhalten als Sie Befehlshaber der U-Boote waren. Erinnern Sie sich an das Dokument, mit welchem die Seekriegsleitung ihn weitergab? Erinnern Sie sich, daß es folgendes beinhaltete:
»Dieser Befehl ist nicht schriftlich über die Flottillen- und gleichgestellten Stäbe der anderen Wehrmachtsteile hinaus zu verteilen. Nach Bekanntgabe sind die über die Rgt.- und gleichgestellten Stäbe der anderen Wehrmachtsteile hinaus ausgegebenen Stücke wieder einzuziehen und zu vernichten.« Erinnern Sie sich dessen?
DÖNITZ: Ja, das habe ich hier wieder gelesen als ich den Befehl hier wieder gesehen habe. Auf der anderen Seite steht aber auch drin, daß diese Maßnahme bereits im Wehrmachtsbericht verkündet ist.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was ich von Ihnen wissen will, ist: Warum wurde dieser Befehl bei der Verteilung an die Marine so unerhört geheimgehalten?
[362] DÖNITZ: Ich habe diese Frage nicht verstanden. Ich weiß nicht, ob eine unerhörte Heimlichkeit gehalten wurde. Ich bin der Ansicht, daß im Jahre 1942 alle Marinedienststellen darüber unterrichtet worden sind.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das war am 28. Oktober, zehn Tage nach der Ausgabe des Befehls. Ich will nicht mit Ihnen über Eigenschaftsworte streiten, Angeklagter. Lassen Sie mich die Frage so stellen:
Warum hat die Verteilung innerhalb der Marine diesen Grad von Geheimhaltung notwendig gemacht?
DÖNITZ: Das weiß ich nicht. Ich habe den Verteiler nicht gemacht. Ich habe als Frontoffizier diesen Befehl seinerzeit bekommen. Ich weiß das nicht.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Drei Monate später waren Sie Oberbefehlshaber der Kriegsmarine. Haben Sie dann nicht Untersuchungen hierüber angestellt?
DÖNITZ: Bitte?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie niemals Untersuchungen angestellt?
DÖNITZ: Nein, das habe ich nicht. Ich habe Ihnen erklärt, daß ich diesen Befehl als Befehlshaber der U-Boote gesehen habe und daß erstens mich für meinen Aufgabenkreis dieser Befehl damals gar nichts anging und zweitens, daß ausdrücklich die im Seekampf Gefangengenommenen ausgenommen waren, und insofern hatte dieser Befehl damals eine tatsächliche, also wirkliche Bedeutung gar nicht. Insofern bin ich bei der Fülle der Dinge, die ich in die Hand zu nehmen hatte, als ich Oberbefehlshaber der Kriegsmarine wurde...bin ich ganz naturgemäß nicht auf den Gedanken gekommen, nun diesen Befehl aufzunehmen. Ich habe nicht an diesen Befehl gedacht.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn wir so weit sind, werde ich Ihnen ein Memorandum von der Seekriegsleitung vorhalten, das Ihnen vorgelegt wurde. Erinnern Sie sich daran?
DÖNITZ: Wenn Sie diese Aktennotiz meinen, die in meinem Trial-Brief ist, da kann ich nur sagen, daß diese Aktennotiz mir nicht vorgelegt worden ist, wie genau aus dieser Notiz hervorgeht.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Bevor sich der Gerichtshof vertagt, will ich Sie noch folgendes fragen: Haben Sie diesen Befehl gebilligt oder nicht?
DÖNITZ: Ich habe Ihnen schon erklärt, da ich...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, Sie haben das nicht. Ich möchte, daß Sie dem Gerichtshof das jetzt sagen, und Sie können [363] antworten entweder »ich billigte ihn« oder »ich billigte ihn nicht«. Haben Sie diesen Befehl an Ihre Schiffskommandanten gebilligt oder nicht?
DÖNITZ: Ich bin heute mit diesem Befehl nicht einverstanden, nachdem ich hier erfahren habe, daß die Unterlagen nicht so stichhaltig sind...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Billigten Sie ihn als Sie zu Beginn des Jahres 1943 Oberbefehlshaber der deutschen Kriegsmarine waren? Haben Sie ihn damals gebilligt?
DÖNITZ: Ich bin als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine mit dem Befehl nicht befaßt gewesen. Wie ich Befehlshaber der U-Boote war, habe ich Ihnen schon erklärt, habe ich diesen Befehl als reinen Vergeltungsbefehl aufgefaßt. Es stand mir gar nicht zu, nun in eine Prüfung oder in eine Rechenschaft einzutreten bei der Stelle, die den Befehl herausgegeben hat: Stimmen die Unterlagen oder nicht. Es stand mir auch eine völkerrechtliche Prüfung gar nicht zu. Es stand ja im ersten Punkt ganz klar drin, hier hat der Feind, der Gegner, sich außerhalb der Genfer Konvention gestellt, weil sie Gefangene umbringen, und folgedessen müssen wir als Vergeltung die und die Dinge machen. Ob diese Vergeltungsmaßnahmen notwendig oder im vollen Maße durch die Ziffer 1 bedingt waren, das wußte ich nicht und konnte ich auch nicht wissen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist meine letzte Frage. Versuchen Sie, mir gerade heraus zu antworten, wenn Sie dies können!
Haben Sie zu Beginn des Jahres 1943 diesen Befehl gebilligt oder nicht?
DÖNITZ: Die Antwort kann ich Ihnen nicht geben, weil ich zu Beginn 1943 an diesen Befehl nicht gedacht habe und nicht mit ihm befaßt war. Ich kann also nicht sagen, wie damals dieser Befehl auf mich gewirkt hätte. Ich kann Ihnen nur sagen, wie der Befehl auf mich gewirkt hat, als ich ihn als Befehlshaber der U-Boote gelesen habe. Und ich kann Ihnen weiter dazu sagen, daß ich heute den Befehl ablehne, nachdem ich erfahren habe, daß die Unterlagen dieses Befehls eben nicht so stichhaltig waren, und ich kann Ihnen drittens nur sagen, daß ich persönlich im Seekrieg jede Art von Vergeltung, von »Reprisals«, abgelehnt habe, jede Art, in jedem Fall, auf jeden Vorschlag.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich werde morgen an Sie noch weitere Fragen darüber stellen, da wir jetzt abbrechen müssen.
[Das Gericht vertagt sich bis
10. Mai 1946, 10.00 Uhr.]
Buchempfehlung
E.T.A. Hoffmanns zweiter Erzählzyklus versucht 1817 durch den Hinweis auf den »Verfasser der Fantasiestücke in Callots Manier« an den großen Erfolg des ersten anzuknüpfen. Die Nachtstücke thematisieren vor allem die dunkle Seite der Seele, das Unheimliche und das Grauenvolle. Diese acht Erzählungen sind enthalten: Der Sandmann, Ignaz Denner, Die Jesuiterkirche in G., Das Sanctus, Das öde Haus, Das Majorat, Das Gelübde, Das steinerne Herz
244 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro