Nachmittagssitzung.

[625] [Der Zeuge von Brauchitsch im Zeugenstand.]


GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Der Angeklagte Heß ist abwesend.

DR. LATERNSER: Herr Feldmarschall! Wir waren in der Spannungszeit vor Kriegsausbruch stehengeblieben. Am 25. August 1939 wurde der erste Einmarschbefehl zurückgenommen. Ist Ihnen in jenen Tagen von Hitler eine Mitteilung gemacht worden, daß die Verhandlungen weitergingen?


VON BRAUCHITSCH: Er gab mir persönlich den Befehl zur Rücknahme des Einmarsches und sagte mir dabei, daß die Verhandlungen mit Polen im Gange wären.


DR. LATERNSER: Im Gegensatz zu den vorhergehenden Besetzungen fremder Gebiete waren aber die Vorbereitungen vor dem Polenfeldzug auf den Ernstfall abgestimmt? Hat Sie dieser Umstand zu dem Ergebnis geführt, daß es nun tatsächlich zum Krieg kommen werde?


VON BRAUCHITSCH: Nein, und zwar aus folgendem Grunde: Hitler hatte nach der Sudetenkrisis von den einzelnen militärischen Führern gehört, sie hätten die militärischen Vorbereitungen nicht als Ernst aufgefaßt, weil die Vorbereitungen in ihrem Umfange nicht der Schwere der Aufgabe entsprachen. Es ist aber selbstverständlich, daß, wenn man in politischen Verhandlungen mit militärischen Machtmitteln drohen will, diese den absoluten Eindruck des Ernstes sowohl bei dem Verhandlungspartner wie bei den eigenen Leuten erwecken mußten. Aus diesem Grunde war in der Polenfrage von Hitler mit allem Nachdruck auf die Vorbereitungen gedrungen worden, daß sie als ernsthaft anzusehen wären. Es kam aber noch ein zweites hinzu: Auf Befehl von Hitler war eine Zeittafel aufgestellt worden, auf der die einzelnen Abschnitte genau festgelegt waren. Es durfte nur auf seinen Befehl eine neue Phase angefangen werden. Auch hieraus war für mich ersichtlich, daß er die Vorbereitungen ganz dem Gange der politischen Verhandlungen anpassen wollte.


DR. LATERNSER: Wußten Sie bei Beginn des Polenfeldzuges, daß ein Abkommen mit der Sowjetunion über die Festlegung einer Demarkationslinie getroffen worden war?


VON BRAUCHITSCH: Nein, ich hatte keine Ahnung.


DR. LATERNSER: Nach Abschluß der kriegerischen Handlungen hatten Sie militärische Verwaltung in Polen vorgesehen. Warum kam es nicht dazu?


VON BRAUCHITSCH: Das Oberkommando des Heeres hatte die Vorbereitungen und Weisungen dahingehend getroffen, daß eine [625] möglichst baldige Befriedung des besetzten Gebietes herbeigeführt werden sollte. Anfang Oktober erfuhr ich von Übergriffen gegen die Polen, die von Persönlichkeiten, die nicht dem Heere unterstanden, ausgegangen waren. Ich meldete dieses dem Oberkommando der Wehrmacht und nahm die nächste Gelegenheit wahr, um Hitler persönlich darüber Vortrag zu halten. Ich bat ihn, dafür zu sorgen, daß eine derartige Handlungsweise ein für allemal unterbunden würde. Hitler ging auf diesen Vortrag nicht weiter ein. Frank war ursprünglich vorgesehen, als Zivilkommissar zu dem Militärbefehlshaber von Polen zu treten. In der zweiten Hälfte Oktober wurde er mit der Gesamtverwaltung beauftragt. Das Heer gab seine Befugnisse ab.


DR. LATERNSER: Traten nach dem Feldzug gegen Polen nicht Spannungen zwischen OKH und Hitler ein? Welches waren die Gründe dafür?


VON BRAUCHITSCH: Es waren dauernd Auseinandersetzungen mit der Leitung der Partei. Sie bezogen sich auf die verschiedensten Punkte. Sie alle aufzuzählen, würde zu weit führen. Ich will nur zwei Dinge herausgreifen. Das eine betraf die Seelsorge, die ich unter allen Umständen im Heere aufrechterhalten wissen wollte. Das zweite war der Einfluß, den die Parteileitung beanspruchte auf das Beschwerdewesen. Das dritte war der Erlaß des Reichsführer-SS Himmler über die Heirats- und Frauenfrage, den ich mit einem Erlaß an das Heer beantwortete.


DR. LATERNSER: Nun einige Fragen zu der Zeit vor der Westoffensive. War vom Oberkommando des Heeres im Anschluß an den polnischen Feldzug eine Offensive gegen die Westmächte vorgesehen?


VON BRAUCHITSCH: Es war in keiner Weise eine Offensive vorgesehen. Auf Grund des vorhin genannten Befehls waren sämtliche Vorbereitungen verboten worden. Es waren auch infolgedessen für die Offensive keine besonderen Maßnahmen vorher getroffen worden. Die ganzen Anordnungen, die nach dem Polenfeldzug an die nach dem Westen kommenden Truppen ergingen, waren rein defensiver Natur.


DR. LATERNSER: Von wem ging dann später der Plan anzugreifen aus?


VON BRAUCHITSCH: Am 27. September 1939 gab Hitler seinen Entschluß, im Westen anzugreifen, bekannt und befahl die entsprechenden Vorbereitungen, die bis zum 12. November abgeschlossen sein sollten.

DR. LATERNSER: Welche Stellung haben Sie und das OKH zu diesem Plan eingenommen?


[626] VON BRAUCHITSCH: England und Frankreich hatten an Deutschland den Krieg erklärt. Beide Mächte hatten den größten Schwächemoment Deutschlands im Monat September nicht ausgenutzt. Es war mir deshalb durchaus fraglich, ob sie jetzt, wo die Westfront täglich verstärkt wurde, zu einer Winteroffensive antreten würden. Darüber hinaus war es mir persönlich aber durchaus fraglich, ob die beiden Mächte ernsthaft entschlossen waren, den Krieg zu führen. Ich glaubte, nach dem Empfang, den Chamberlain nach dem Münchener Abkommen in London und Daladier in Paris erhalten hatten, daß in den betreffenden Völkern keine Neigung zu einem Kriege vorhanden sein würde. Die bisher von den Alliierten vorgenommenen Neutralitätsverletzungen glaubte ich, daß sie in den Augen der Welt nicht so ins Gewicht fallen würden. Mir waren seit dem Jahre 1914 die Folgen einer Neutralitätsverletzung in das Gedächtnis eingebrannt. Nach meiner Auffassung würde das auch in diesem Falle denjenigen treffen, der zuerst auf der Erde wirklich mit starken Kräften die Grenze überschritt. Wir haben im Oberkommando des Heeres sorgfältig die Frage geprüft, ob die Grenzüberschreitung aus Gründen der Erdoperation zuerst notwendig sei. Wir waren zu der Überzeugung gekommen, daß das nicht der Fall war, sondern daß wir, wenn es überhaupt notwendig war, im Nachzuge schlagen könnten.


DR. LATERNSER: Haben Sie Hitler darauf aufmerksam gemacht, daß mit einer Offensive im Westen die Länder Holland, Belgien und Luxemburg in die Kriegshandlungen hineingezogen würden?


VON BRAUCHITSCH: Ich habe die nächste Gelegenheit, wo ich Hitler allein sprach, nach dem 27. September 1939, benutzt, um ihm diese meine Auffassung vorzutragen. Er ging auf keine Diskussion ein, sondern blieb bei seiner bekannten Auffassung.


DR. LATERNSER: Haben Sie versucht, die Westoffensive zu verhindern?


VON BRAUCHITSCH: Ich war nach wie vor überzeugt, daß es möglich sein müsse, diesen ganzen Krieg politisch aus der Welt zu schaffen. Ich hielt es für einen Wahnsinn, daß Europa sich noch einmal wieder zerfleischen wollte, anstatt in gemeinsamer Arbeit friedensmäßig die Entwicklung vorzunehmen. Die Wehrmacht handelte nach dem Grundsatz: »Si vis pacem para bellum«. Der deutsche Soldat jeden Dienstgrades war dazu erzogen, seine Heimat zu verteidigen und sie zu schützen. Er dachte nicht an Eroberungskriege oder an die Ausdehnung deutscher Herrschaft über andere Völker. Es war mir klar, daß die gesamte Frage nur auf politischem Wege bereinigt werden konnte, wenn dazu der ernsthafte Wille vorhanden war. Jede politische Entwicklung braucht aber Zeit, und es kam mir nur darauf an, die Zeit für diese politischen Verhandlungen, auf die ich persönlich ja keinen Einfluß hatte, zu gewinnen.

[627] Ich erbat deshalb am 5. November 1939 eine Rücksprache beim Führer. Da ich nicht mit politischen Gründen mehr kommen konnte, so mußte ich das auf rein militärische Gründe abstellen und tat dies mit dem Zustande des Heeres. Hitler hörte zunächst meine Ausführungen in Ruhe an. Er bekam dann einen Wutanfall, so daß jedes weitere Sprechen unmöglich war, und ich ging. Am Abend desselben Tages kam der Befehl zum Angriff für den 12. November. Dieser Befehl wurde dann am 7. November wieder aufgehoben.


DR. LATERNSER: Haben Sie nicht sogar den Vorwand des schlechten Wetters benutzt, um eine Aufschiebung zu erreichen?


VON BRAUCHITSCH: Ich habe darauf hingewiesen, daß, wenn wir überhaupt antreten müßten, daß das bei den ganz schwierigen Geländeverhältnissen nur bei einer längeren Dauer guten Wetters möglich sei und daß vor allem der Einsatz der Luftwaffe von einer längeren Dauer guten Wetters abhängig wäre.

DR. LATERNSER: Sie haben nach der Ansprache Hitlers an die Generale am 23. November 1939, wie hier schon häufig erörtert worden ist, Ihren Rücktritt angeboten. Wie kam das?


VON BRAUCHITSCH: Ich wurde am 23. November abends noch einmal zum Führer befohlen. In einer längeren Unterredung unter vier Augen erhob er nochmals die ganzen Vorwürfe gegen das Heer. Im Verlauf dieser Unterredung bot ich meinen Rücktritt an. Er lehnte das ab, indem er sagte, ich hätte meine Pflicht und Schuldigkeit zu tun wie jeder Soldat. Durch diese Vorgänge war ein Riß entstanden, der jetzt verklebt, aber nie geheilt worden ist.


DR. LATERNSER: Inwieweit waren Sie als Oberbefehlshaber des Heeres an dem Entschluß zur Besetzung von Norwegen und Dänemark beteiligt?


VON BRAUCHITSCH: Gar nicht.


DR. LATERNSER: Haben Sie an der Vorbereitung und Durchführung mitgewirkt?


VON BRAUCHITSCH: Nein.


DR. LATERNSER: Dann kam der Westfeldzug: Wie war zu jener Zeit Ihr Verhältnis zu Hitler?


VON BRAUCHITSCH: Wie vorhin schon erwähnt, war es schwierig. Im Laufe des Westfeldzugs gab es eine Reihe von größeren und kleineren Differenzen. Ich will nur eine herausgreifen. Es betrifft das das Anhalten der deutschen Panzer vor Dünkirchen, das zu einer schweren Differenz und Auseinandersetzung geführt hat. Dies hatte zur Folge, daß die Masse des Personals des englischen Expeditionskorps über den Kanal nach England rüberkommen konnte.


[628] DR. LATERNSER: Sind von seiten des OKH nach Abschluß des Westfeldzugs Demobilmachungsmaßnahmen bearbeitet worden oder in Vorschlag gekommen?


VON BRAUCHITSCH: Es wurden damals zwei Maßnahmen getroffen. Es wurde eine Demobilmachungskommission eingesetzt, und es wurde zweitens an eine Anzahl von Generalen die Frage gestellt, ob sie nach Friedensschluß den Wunsch hätten, weiter im Heere zu verbleiben.


DR. LATERNSER: Wie war Ihre Mitwirkung an den Entschlüssen zum Eingreifen in Griechenland und Jugoslawien?


VON BRAUCHITSCH: An den Entschlüssen habe ich in keiner Weise mitgewirkt. Als ich mit dem Chef des Generalstabs, Generaloberst Halder, zum Führer befohlen wurde, empfing er uns mit den Worten: »Ich habe mich entschlossen, Jugoslawien niederzuschlagen« und führte dann die Gründe für seinen Entschluß aus, die, glaube ich, hier schon bekannt sind.


DR. LATERNSER: Bestand damals ein Plan für ein Eingreifen gegen Griechenland oder Jugoslawien?


VON BRAUCHITSCH: Nein, weder ein Plan noch irgendeine Vorbereitung, nicht mal Karten waren vorhanden.


DR. LATERNSER: Und wo mußten Sie überall die Divisionen herholen? Aus allen Teilen Deutschlands?


VON BRAUCHITSCH: Die Divisionen mußten aus allen Teilen Deutschlands und der besetzten Gebiete herangezogen werden.


DR. LATERNSER: Trifft die Behauptung des Feldmarschalls Paulus zu, daß die Besetzung des Balkans eine Vorbedingung des Feldzugs gegen die Sowjetunion gewesen wäre?


VON BRAUCHITSCH: Das ist ein Irrtum des Feldmarschalls Paulus. Die jugoslawische Frage war eine absolute Folge des dortigen Umsturzes, denn Jugoslawien war vorher ja erst dem Dreibund beigetreten, und sie war eine Folge der englischen Landung in Griechenland und der katastrophalen Lage der Italiener in Albanien.


DR. LATERNSER: Nun zum Ostfeldzug: Wie standen Sie zum Handelsabkommen mit der Sowjetunion?


VON BRAUCHITSCH: Wir hatten das Handelsabkommen im September 1939 mit der Sowjetunion freudig begrüßt. Wir sahen darin die Vorbedingung, daß nunmehr eine Periode des Mißtrauens beendet sei und daß darüber hinaus Deutschland die ihm im Herzen Europas zukommende Aufgabe der Brücke wieder aufnehmen könne.


DR. LATERNSER: Hat irgendein militärischer Führer den Gedanken angeregt, die Sowjetunion anzugreifen?


[629] VON BRAUCHITSCH: Nein, niemals.


DR. LATERNSER: Wann hat Hitler Ihnen gegenüber zum erstenmal von der Möglichkeit gesprochen, daß ein Krieg mit der Sowjetunion in Frage käme?


VON BRAUCHITSCH: Im August 1940 machte er mir gegenüber eine Bemerkung, daß er Sorge habe, daß die Haltung Rußlands sich ändern könne. Ich habe daraufhin mit dem Chef des Generalstabs gesprochen und ihm gesagt, wir müßten uns die Unterlagen verschaffen, da wir in dieser Hinsicht bisher nichts getan hatten.


DR. LATERNSER: Waren denn Karten vorhanden?


VON BRAUCHITSCH: Weder Karten noch sonst etwas anderes. Im Monat September befahl Hitler dann, daß die Frage Rußland geprüft werden sollte. Nach meiner Auffassung war kein Entschluß zur Durchführung vorhanden, jedenfalls wurde er nicht geäußert. Die ganzen Arbeiten waren generalstabsmäßige Vorbereitungsbeziehungsweise Vorsichtsmaßnahmen, wie man sie überall in einem solchen Falle treffen muß.


DR. LATERNSER: Stand die von Ihnen nach dem Westfeldzug angeordnete Verlegung einiger Divisionen in das Generalgouvernement damit im Zusammenhang, also mit dem Beginn des Ostfeldzugs, oder welche Gründe waren für diese Verlegung maßgeblich?


VON BRAUCHITSCH: Die Verlegung der Divisionen war bereits vorher in die Wege geleitet. Sie hatte ganz andere Gründe. Die Sicherheit an der russisch-deutschen Demarkationslinie in Polen wurde in der Hauptsache vom Zolldienst ausgeübt. Zahllose Übertritte über die Grenze hatte er festgestellt. Der Zollgrenzschutz wurde an anderer Stelle dringend gebraucht. Die SS beabsichtigte, diesen Grenzschutz des Zolldienstes zu übernehmen. Sie wollte deshalb neue Verbände aufstellen. Das aber wollte ich verhindern, und aus diesen Gründen wurde bei Hitler die Verlegung von Divisionen nach dem Osten beantragt. Es kam hinzu, daß wir überhaupt Frankreich von den zahlreichen Divisionen, die dort lagen, entlasten wollten.


DR. LATERNSER: Hat das Oberkommando des Heeres in der Besprechung vom 3. Februar 1941 Bedenken gegen einen Krieg mit der Sowjetunion vorgebracht?


[Zum Gericht gewandt:]


Ich beziehe mich dabei auf die Urkunde 872-PS, US-134, Euer Lordschaft.

VON BRAUCHITSCH: Nach den Ausführungen von Hitler handelte es sich im Falle Rußland, wenn es überhaupt zum Kriege kam, um einen Präventivkrieg. In der Besprechung habe ich mich [630] beschränkt auf die rein militärischen Bedenken. Generaloberst Halder und ich trugen über drei Dinge vor. Das eine war die Weite des russischen Raumes, die man auch heute noch nicht mit dem Motor allein überbrücken kann. Das zweite war die hohe Bevölkerungszahl und damit die große Zahl zur Verfügung stehender, ausgewählter Reserven, das ganz andere Bildungsniveau und die ganz andere Aufgeschlossenheit der russischen Bevölkerung gegenüber den Jahren 1914/1918, wovon ich mich selbst überzeugen konnte, als ich in Rußland Gast der Roten Armee im Jahre 1931 war. Und das dritte war das hohe Rüstungspotential Rußlands. Nach unserer Schätzung verfügte Rußland damals über rund 10000 Panzer. Hitler mußte sich mit diesen Fragen auch schon beschäftigt haben, denn er antwortete sofort und widerlegte die beiden ersten Punkte damit, daß er sagte, die Herrschaft der Sowjets sei bei den russischen Völkern derart unbeliebt, daß sie zusammenbrechen würde. Es käme nur darauf an, daß die ersten Erfolge durchschlagend wären. Für den letzten Punkt der Rüstung führte er an Hand von umfangreichem Zahlenmaterial, das er wie immer auswendig wußte, aus, daß die Rüstung Rußlands nicht auf dem Standpunkt sein könne, wie wir sie mutmaßten. Genaue Unterlagen hatten wir nicht zur Verfügung.

DR. LATERNSER: Hitler war also auf die von Ihnen vorgetragenen Bedenken nicht, eingegangen?


VON BRAUCHITSCH: Auf eine weitere Auseinandersetzung oder Diskussion ließ er sich nicht ein.


DR. LATERNSER: Wann haben Sie dann die Ihnen unterstellten Oberbefehlshaber der Heeresgruppen und der Armeen von den Rußlandplänen unterrichtet?


VON BRAUCHITSCH: Am 18. Dezember 1940 war vom Oberkommando der Wehrmacht der Befehl herausgegangen. Anschließend, Ende Dezember, gingen die ersten Weisungen an die Heeresgruppen.


DR. LATERNSER: Wie gestaltete sich Ihr Verhältnis zu Hitler während des Rußlandfeldzugs?


VON BRAUCHITSCH: Während des Rußlandfeldzugs steigerten sich die Schwierigkeiten zunehmend. Aus der Fülle dieser Ereignisse will ich nur zwei herausgreifen. Das Heer hatte in den von ihm besetzten Gebieten die Kirchen der Bevölkerung, soweit wie das erwünscht war, wieder zur Verfügung gestellt. Die deutschen Geistlichen hatten auf Wunsch der Bevölkerung vielfach Amtshandlungen vorgenommen. Dies wurde von Hitler verboten. Es ergab sich jetzt das eigenartige Bild, daß die Geistlichen der rumänischen, ungarischen, italienischen und so weiter Divisionen amtierten, die deutschen nicht.

[631] Das zweite und schwerwiegende war die Frage über die operative Führung des Krieges. Wenn man nun schon einmal den Krieg angefangen hatte, dann mußte man sich die Voraussetzungen für die Fortführung des Krieges im nächsten Jahr in diesem schaffen. Nach meiner Auffassung und der des Oberkommandos des Heeres spielte hier der Raum um Moskau, nicht die Stadt, eine entscheidende Rolle. Dort läuft das gesamte Verkehrsnetz zusammen. Dort war dementsprechend die Voraussetzung für die Aufstellung und Verteilung der Hauptreserven gegeben. Dort befanden sich auch zahlreiche Rüstungseinrichtungen, die die Ausrüstung dieser aufzustellenden Verbände ermöglichten. Das Oberkommando des Heeres war deshalb der Auffassung, daß, nachdem die Linie Dnjepr-Smolensk-Peipussee erreicht war, daß man dann sich in den Besitz des gesamten Gebietes Moskau setzen müsse. Hitler war anderer Auffassung. Er legte entscheidenden Wert auf Leningrad, forderte nachher die Offensive bei Kiew. Die Entscheidung darüber traf er. So wurde es dann später zu spät. Die Offensive auf dem Moskauer Gebiet wurde unter dem Einfluß der Witterung zum Scheitern verurteilt.


DR. LATERNSER: Hinsichtlich des Ostfeldzugs möchte ich gewisse Unterstellungsverhältnisse klären. Ist Ihnen ein Abkommen zwischen dem Generalquartiermeister des Heeres, General Wagner, und Heydrich über die Einsatzgruppen gemeldet worden?


VON BRAUCHITSCH: Mir ist gemeldet worden, daß eine Besprechung zwischen dem General Wagner und dem Chef des SS-Hauptamtes, Heydrich, stattgefunden hat. Diese Besprechung sollte entsprechend dem Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht die Fragen regeln, die notwendig waren, um den von Hitler befohlenen Einsatz von Kommandos in dem Operationsgebiet des Heeres zu regeln. Es ist mir gemeldet worden, daß es sich dabei handelte um die Fragen des Grenzübertrittes, die Fragen der wirtschaftlichen Versorgung und die Fragen des Vorfahrtsrechtes auf den Straßen. Weiter ist mir darüber nichts gemeldet worden. Ob etwas anderes noch besprochen worden ist, weiß ich nicht; es kann sich aber höchstens nur darum handeln, daß vielleicht die Frage besprochen worden ist, daß, wenn solche Kommandos in der vorderen Kampflinie irgendwie in das Kampfgebiet hineingezogen würden, daß sie dann unter den Befehl des örtlich führenden Führers treten. Sämtliche Anordnungen für diese Kommandos erfolgten befehlsgemäß durch den Reichsführer-SS; den Heeresgruppen, den Armeen waren auf Wunsch des Heeres Verbindungskommandos zugeteilt worden. Sie hatten aber nur die Aufgabe, diese Kommandos über Zielrichtung und so weiter der Operationen, soweit es für sie in Frage kam, zu unterrichten. In dem Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht heißt es hinsichtlich des Zweckes und der Aufgaben dieser Kommandos: »Es ist beabsichtigt, die besetzten Gebiete sobald als möglich zu politischen Staaten auszugestalten.«

[632] Zur Vorbereitung dieser Maßnahmen sollten diese Kommandos eingesetzt werden. Etwas anderes ist dem Oberkommando des Heeres nicht bekanntgeworden.


DR. LATERNSER: Hat General Wagner Ihnen gemeldet, daß durch diese Einsatzgruppen Massenvernichtungen durchgeführt werden sollten?


VON BRAUCHITSCH: Nein.


DR. LATERNSER: Der Zeuge SS-Führer Schellenberg ist hier vernommen worden, und er hat angegeben, daß er der Überzeugung sei, daß das OKH von Massenvernichtungen gewußt und dies auf dem Dienstwege den Oberbefehlshabern mitgeteilt habe.

Stimmt diese Überzeugung des Zeugen Schellenberg?


VON BRAUCHITSCH: Er spricht von einer Überzeugung, nicht von einer Gewißheit, und diese Überzeugung trifft nicht zu.


DR. LATERNSER: Wie war die Unterstellung geregelt?


VON BRAUCHITSCH: Die Unterstellung dieser Einsatzkommandos, wie schon erwähnt, war derartig geregelt, daß sie alle Befehle allein vom Reichsführer-SS erhielten. Sie unterstanden dem Heere in keiner Weise.


DR. LATERNSER: Aber hinsichtlich der Versorgung unterstanden sie doch?


VON BRAUCHITSCH: Nein, unterstanden sie auch nicht, sondern sie waren angewiesen, vom Heere ihre Versorgung zu erhalten, weil ja kein anderer Versorgungsweg für Verpflegung und Betriebsstoff vorhanden war.


DR. LATERNSER: Sind Ihnen dienstliche Berichte dieser Einsatzgruppen zugegangen?


VON BRAUCHITSCH: Nein.


DR. LATERNSER: Nun müßte noch die Unterstellung der Waffen-SS klargemacht werden. Wie war die Unterstellung einer Division der Waffen-SS unter das Heer?


VON BRAUCHITSCH: Die Waffen-SS unterstand dem Heere nur für den taktischen Einsatz. Sie unterstand dem Heere weder in disziplinarer noch in gerichtlicher Hinsicht. Das Heer hatte keinerlei Einfluß auf Beförderungen oder Absetzungen von Persönlichkeiten und so weiter.


DR. LATERNSER: Wem unterstand eine Waffen-SS-Division, wenn sie sich außerhalb einer taktischen Aufgabe, also nicht im Kampf und nicht im Operationsgebiet befand?


VON BRAUCHITSCH: Jedenfalls nicht dem Heer. Sie unterstand dem Reichsführer-SS oder dem Oberkommando der Wehrmacht.


[633] DR. LATERNSER: Und wem unterstand sie, wenn sie im Heimatgebiet war?


VON BRAUCHITSCH: Dem Reichsführer-SS.


DR. LATERNSER: Ist die Waffen-SS aus dem Haushalt der Wehrmacht bezahlt worden?


VON BRAUCHITSCH: Aus dem Haushalt des Heeres sicher nicht.


DR. LATERNSER: Und die Haushalte der Luftwaffe und Marine kämen noch weniger in Frage als...?


VON BRAUCHITSCH: Ich glaube, ebensowenig. Soweit ich orientiert bin, hatte die SS nicht nur ihren eigenen Haushalt, sondern sie hatte ihr eigenes Rüstungsamt, Bekleidungsamt und Verwaltungsamt und so weiter.


DR. LATERNSER: Es bestand also zu einer Waffen-SS-Division nur dann eine nähere und taktische Verbindung, wenn sich diese Waffen-SS-Division im Kampf befunden hat?


VON BRAUCHITSCH: Sie unterstanden dem Heer in dem Moment, wo sie im Operationsgebiet eingesetzt wurden oder wenn sie zum Abtransport zur Verfügung gestellt wurden.


DR. LATERNSER: Wäre es ein richtiger Vergleich, daß also zwischen einer Waffen-SS-Division und dem Heer keine nähere Verbindung bestanden hat, wie wenn zum Beispiel eine italienische oder spanische Division dem Heer für den Kampf unterstellt worden ist?


VON BRAUCHITSCH: Eine ähnliche Weise.


DR. LATERNSER: Wie war überhaupt das Verhältnis der Führerschaft der Waffen-SS zu der des Heeres, Marine oder Luftwaffe? War das besonders harmonisch?


VON BRAUCHITSCH: In Kampfverhältnissen, klar. Sonst war wenig Verbindung.


DR. LATERNSER: Herr Feldmarschall! Können Sie die näheren Umstände angeben, unter denen Hitler den berüchtigten Kommissarbefehl gegeben hat?


VON BRAUCHITSCH: Im März 1941 hatte Hitler die militärischen Führer befohlen. In einer längeren Ansprache setzte er ihnen nochmals die Gründe für die Beurteilung der Haltung gegenüber Rußland auseinander. Er führte dann aus, daß es sich hier um einen Kampf handle, der weltanschaulicher Natur sei und der nicht mit den ritterlichen Methoden, die das Heer gewohnt sei, zu führen wäre. Er wisse, daß die Offiziere sich diese Anschauung nicht zu eigen machen könnten, er verlange aber unbedingte Durchführung der von ihm erteilten Befehle. Im Zusammenhang damit gab er dann den Befehl für die Behandlung der Kommissare.


[634] DR. LATERNSER: Was haben Sie getan, um die Ausführung dieses Befehls und Ausschreitungen der Truppen im Osten zu unterbinden?


VON BRAUCHITSCH: Nach Beendigung der Besprechung, als Hitler weggegangen war, kam ein Teil der Oberbefehlshaber zu mir. Ich entsinne mich insbesondere der Oberbefehlshaber der drei Heeresgruppen, Generalfeldmarschall von Rundstedt, Feldmarschall von Bock und Feldmarschall von Leeb, sowie noch einer Anzahl von Armeeführern, die zu mir kamen und in erregter Form sich darüber aussprachen, daß eine derartige Kriegführung für sie untragbar sei. Ich gab ihrer Auffassung recht und sagte ihnen, daß von seiten des Oberkommandos des Heeres kein Befehl in dieser Hinsicht ergehen würde. Ich müsse mir aber erst überlegen, welche Schritte ich tun könne.

Ich hatte Hitler inzwischen so weit kennengelernt, daß, wenn er einen Entschluß gefaßt hatte, und wenn er ihn, wie in diesem Fall, öffentlich, das heißt unter militärischen Führern, ausgesprochen hatte, er jetzt gleich nachher um keinen Preis der Welt davon abzubringen war. Ich mußte aber dem Heere die Handhabe geben, sich von diesem Befehl abzusetzen. Aus diesem Grunde gab ich einen Befehl über die Handhabung der Disziplin heraus.


DR. LATERNSER: Welches war der ungefähre Wortlaut dieses Disziplinarbefehls?


VON BRAUCHITSCH: Den Wortlaut vermag ich nicht mehr anzugeben. Der Inhalt des Befehls war rund kurz folgender:

Die Disziplin im Heere sei mit aller Schärfe in den alten bisher gepflogenen Richtungen und Regeln durchzuführen. Das Verhalten gegenüber der Bevölkerung hat aber durchaus korrekt zu sein, jede Übergriffe seien zu bestrafen.


DR. LATERNSER: Wäre eine offene Weigerung Hitler gegenüber erfolgreich gewesen oder eine Androhung Ihres Rücktritts?


VON BRAUCHITSCH: Wie ich schon vorhin ausgeführt habe, nein.


DR. LATERNSER: Nun noch eine Frage zum Ostfeldzug.

Hat das deutsche Heer 1941 auf seinem Vormarsch in Rußland erhebliche Zerstörungen vorgefunden, die die sowjetrussische Armee bei ihrem Rückzug selbst vorgenommen hatte?


VON BRAUCHITSCH: Es war das Bild so, wie wir es erwartet hatten. Schon aus den Zeiten von hundert Jahren vorher war die Auffassung und die Rücksichtslosigkeit Rußlands im eigenen Lande in dieser Hinsicht bekannt. Wir fanden zahlreiche zerstörte Brücken und Bahnen, zerstörte Kraftwerke, zerstörte Fabrikanlagen in großem Umfange. Die Bergwerke im Donezgebiet waren derartig zerstört, daß sie trotz monatelanger Arbeit von uns kaum in Benutzung genommen werden konnten. In den Städten trafen wir auf[635] Extrakommandos junger russischer Truppen, die den Auftrag zum Teil durchgeführt hatten, die Ortschaften in Brand zu setzen. In Kiew und in verschiedenen anderen Orten fanden wir vorbereitete Minen mit Zeitzünder vor, die uns erhebliche Verluste beigebracht haben.


DR. LATERNSER: Sind Sie vorher über den Kriegseintritt Italiens oder über die Kriegserklärung an Amerika unterrichtet worden?


VON BRAUCHITSCH: Nein. Wir haben sie beide in höchstem Grade bedauert.


DR. LATERNSER: Sind Ihnen militärische Abmachungen mit Japan bekanntgewesen?


VON BRAUCHITSCH: Ich kenne sie heute noch nicht.


DR. LATERNSER: Die Protokolle über die Vernehmung des Zeugen Gisevius sind Ihnen dadurch bekanntgeworden, daß ich sie Ihnen zur Durchsicht gegeben habe. Kennen Sie den Zeugen Gisevius?


VON BRAUCHITSCH: Ich habe die Existenz von Herrn Gisevius im April 1946 zum erstenmal aus der Zeitung erfahren. Ich las in der Zeitung, daß er als Zeuge hier auftreten würde. Ich hätte darüber weggelesen, wenn mir nicht der Name aufgefallen wäre, der mir bekannt war, weil ein Dr. Gisevius in den neunziger Jahren Hausarzt bei meinen Eltern war.


DR. LATERNSER: Der Zeuge hat aber verschiedene, und zwar ganz detaillierte Angaben über Ihre Person gemacht und insbesondere darüber, daß er mit Ihnen über einen gemeinsamen Putsch gesprochen habe. Wie erklären Sie sich das?


VON BRAUCHITSCH: Ich glaube, jeder, der mich nur etwas kennt, wird bei dem Gedanken lachen, daß ich mit einem jungen Menschen, der mir gänzlich fremd ist, über Putschpläne gegen das Staatsoberhaupt sprechen würde.


DR. LATERNSER: Diese Angaben...


VON BRAUCHITSCH: Ich kann mir nur ein Bild aus dem Protokoll machen und kann aus dieser Niederschrift nur den Eindruck gewinnen, daß es sich um vollkommen haltlose Kombinationen handelt, und zwar von einem Mann, der glaubt, daß die Erde sich allein um ihn dreht.


DR. LATERNSER: Gisevius hat weiter behauptet, die Generale hätten sich bereichert. Stimmt das?


VON BRAUCHITSCH: Ich wüßte nicht auf welchem Wege?


DR. LATERNSER: Haben Sie selbst eine Dotation bekommen?


VON BRAUCHITSCH: Nein.


[636] DR. LATERNSER: Sie haben der Anklagebehörde, Herr Feldmarschall, zwei Affidavits ausgestellt, und zwar das Affidavit Nummer 2, US-532, und Affidavit Nummer 4, US-535; beide mit dem Datum vom 7. November 1945. Befanden Sie sich damals in Haft?


VON BRAUCHITSCH: Ich war von zwei amerikanischen Offizieren gebeten worden, ihnen die Gliederung des Heeres und so weiter auseinanderzusetzen.


DR. LATERNSER: Herr Feldmarschall! Ich glaube, ich bin mißverstanden worden. Ich habe Sie gefragt, ob Sie zur Zeit der Ausstellung dieser Affidavits in Haft waren?


VON BRAUCHITSCH: Ich befinde mich seit dem 19. Oktober vorigen Jahres als Zeuge hier in Nürnberg im Gefängnis.

DR. LATERNSER: Nun zu den Affidavits. Wer hat diese Erklärungen aufgesetzt?


VON BRAUCHITSCH: Aufgesetzt sind sie von zwei amerikanischen Offizieren.


DR. LATERNSER: Von wem sind diese Erklärungen einverlangt worden?


VON BRAUCHITSCH: Das weiß ich nicht, das ist mir nicht gesagt worden.


DR. LATERNSER: Wurde Ihnen gesagt, zu welchem Zweck diese Erklärungen verwendet werden sollen?


VON BRAUCHITSCH: Nein. Auf Grund der vorhergehenden Unterhaltungen nahm ich an, daß sie zur Orientierung über die Organisationen für Fachleute bestimmt wären.


DR. LATERNSER: Haben Sie Verbesserungen auf den Erklärungen vorgenommen?


VON BRAUCHITSCH: Ich habe eine Reihe von Verbesserungen vorgenommen. Die Zahl kann ich nicht mehr nennen.


DR. LATERNSER: Waren diese Erklärungen, zunächst nach Ihrer Meinung natürlich, mißverständlich?


VON BRAUCHITSCH: Sie waren noch zum Schluß nach den Verbesserungen nach meiner Auffassung nur klar in Verbindung mit den Unterredungen, die vorher stattgefunden hatten. Es waren eine ganze Reihe von Unterredungen, die, wie mir ausdrücklich gesagt wurde, nicht unter dem Zeugeneid standen, was für mich an sich gleichgültig ist, und die den Zweck hatten, die Gliederung klarzulegen. Die ganzen Probleme und Fragen waren oft von verschiedenen Seiten beleuchtet und besprochen worden.


DR. LATERNSER: Haben Sie bei Unterschrift des Affidavits Nummer 2, dem die Skizze angefügt ist, darauf verwiesen, daß diese Skizze unrichtig oder mißverständlich sei?


[637] VON BRAUCHITSCH: Ich habe darauf hingewiesen, daß diese Skizze zu Mißverständnissen Anlaß geben könnte. Ich erhielt darauf die Antwort, daß die Dinge klar wären und daß es auf die Skizze nicht besonders ankäme.


DR. LATERNSER: Das Affidavit Nummer 1, US-531, das Generaloberst Halder am gleichen Tage unterzeichnet hat, stimmt mit Ihrem Affidavit Nummer 2 mit Ausnahme des letzten Absatzes wörtlich völlig überein. Wurden Sie gemeinsam mit Generaloberst Halder vernommen?


VON BRAUCHITSCH: Nein.

DR. LATERNSER: Wie Sie vorhin angegeben haben, haben Sie bei der Unterzeichnung des Affidavits Nummer 2 darauf hingewiesen, daß die Skizze nicht richtig sei. Ich lasse Ihnen nunmehr diese Skizze vorlegen und möchte Sie fragen, was an dieser Skizze unzutreffend ist?


VON BRAUCHITSCH: Die Skizze gibt zu Mißverständnissen Anlaß und...


VORSITZENDER: Würden Sie nicht lieber Ihren Zeugen fragen – wenn es Ihr Zeuge ist – ob irgend etwas mit dem Affidavit nicht stimmt?


DR. LATERNSER: Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe nicht verstanden, da inzwischen falsch eingestellt war.


VORSITZENDER: Wollen Sie ihn nicht lieber fragen, ob nicht irgend etwas in seinem Affidavit falsch ist? Er hat noch nicht gesagt, daß irgend etwas falsch sei.


DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich werde im Anschluß daran Fragen in dieser Richtung stellen. Ich wollte zunächst den Zeugen über die Skizze befragen. Die weiteren Fragen kommen noch.


VON BRAUCHITSCH: Die Skizze gibt zu Mißverständnissen Anlaß mit Rücksicht auf die Striche. Und wenn man in der Skizze die Hierarchie zum Ausdruck bringen wollte, dann gehörten nach meiner Auffassung die ganzen Stäbe vom Oberkommando der Wehrmacht und der einzelnen Wehrmachtsteile nicht hinein.


VORSITZENDER: Nun, der Gerichtshof möchte gerne wissen, ob der Zeuge sagt, daß mit dem Affidavit irgend etwas nicht in Ordnung sei, ob es unwahr sei.


DR. LATERNSER: Ja, Herr Präsident!

Herr Feldmarschall! In dem Affidavit Nummer 2 gebrauchen Sie das Wort »Gruppe« viermal. Stimmt dieser Ausdruck oder...


VORSITZENDER: Ich sagte: der Gerichtshof möchte jetzt gerne wissen, ob der Zeuge behauptet, daß irgend etwas Unwahres in seinen Affidavits stehe, und wir möchten das jetzt wissen. Sie wissen doch, was »jetzt« heißt?


[638] DR. LATERNSER: Ja, freilich.


VORSITZENDER: Gut, ich werde den Zeugen selbst fragen.

Feldmarschall von Brauchitsch! Behaupten Sie, daß in Ihren beiden Affidavits irgend etwas unrichtig oder unwahr ist?


VON BRAUCHITSCH: Nein, nicht unwahr, sondern daß es mißverständlich...


VORSITZENDER: Etwas, das Sie für irreführend halten?


VON BRAUCHITSCH: Es sind verschiedene Fragen, die zu Mißverständnissen Anlaß geben. Einmal ist es die Skizze, das zweite ist der Ausdruck »Gruppe«. Der Ausdruck »Gruppe«, den ich genauso verstehe wie Zahl oder Anzahl, aber nicht eine Zusammenfassung einer bestimmten Anzahl... einer bestimmten Serie von Dienststellen in organisatorischer oder in geistiger Hinsicht. Denn es bestand zwischen den Wehrmachtsteilen überhaupt keine Verbindung. Eine Verbindung hier war in der Spitze des Obersten Befehlshabers der Wehrmacht, Adolf Hitler, und Hitler persönlich spielte einen Wehrmachtsteil gegen den anderen aus. Wiederholt hat er mir gegenüber sich in dieser Hinsicht über die Marine und Luftwaffe und ihre Oberbefehlshaber geäußert, und ich weiß, daß er dasselbe über das Heer und mich getan hat. Also der Ausdruck »Gruppe« ist mißverständlich in seiner Fassung hier. Er war nur verständlich im Zusammenhang mit den ganzen Besprechungen, die vorher geführt worden sind.


DR. LATERNSER: Herr Feldmarschall! Haben Sie diesen Ausdruck »Gruppe« bei den Besprechungen mit der Anklagebehörde selbst gebraucht?


VON BRAUCHITSCH: Das kann ich nun nicht mehr so genau sagen. Es ist wohl möglich, weil ich unter »Gruppe«, wie gesagt, nichts anderes verstehe als eine Zahl von Persönlichkeiten oder eine Anzahl, nicht eine organisatorische, nicht eine festgefügte Verbindung.


DR. LATERNSER: Und diesen Sinn, den Sie eben gesagt haben, wollten Sie bei Unterzeichnung der Erklärung diesem Wort »Gruppe« geben?


VON BRAUCHITSCH: Jawohl.


DR. LATERNSER: Haben Sie vorher schon mal, also vor der Vernehmung durch die Anklagebehörde über diesen Punkt, das Wort »Gruppe« in Verbindung mit der höchsten militärischen Führung gebraucht?


VON BRAUCHITSCH: Nein, denn eine derartige Gruppe gab es nicht. Es gab sie weder organisatorisch noch gab es sie geistig. Wir kennen in der deutschen Armee nur die Gliederung nach der Kriegsgliederung einer Division, Korps, Armee oder sonst was.


[639] DR. LATERNSER: Ich komme jetzt zu den letzten Fragen, Herr Feldmarschall. Sie traten im Jahre, und zwar zu Ende des Jahres 1941, zurück. Welches waren die Gründe für Ihren Rücktritt?

VON BRAUCHITSCH: Im Sommer 1941 war die immer stärker werdende Einflußnahme Hitlers auf alle Fragen des Heeres, die völlige Einflußlosigkeit des Oberkommandos des Heeres auf allen Gebieten der politischen und wirtschaftlichen Verwaltung der besetzten Gebiete und die innere Gegensätzlichkeit gegen die von Hitler betriebene Politik immer schärfer und stärker geworden. Im Herbst 1941 nahm diese Spannung weiter zu. Daneben liefen die dauernden Kämpfe mit der Parteileitung, die ihren Einfluß auf das Heer immer weiter ausdehnen wollte. Ich sah keine Möglichkeit mehr, hier irgendeine Änderung herbeizuführen. So schwer mir der Entschluß war, in diesem Zeitpunkt von dem Heere, in dem Millionen gefallen waren, mich zu trennen, so entschloß ich mich doch, den entscheidenden Schritt zu tun. Am 7. Dezember 1941 bat ich Hitler unter vier Augen, mich von meinem Amt zu entheben. Er antwortete mir, daß er sich das überlegen müsse und daß er mich vorläufig über diese Frage nicht sprechen wolle. Am 17. Dezember teilte er mir wieder alleine mit, daß er sich entschlossen habe, den Oberbefehl über das Heer persönlich zu übernehmen. Er gab als Grund an, daß er das ganze Vertrauen, das er im Heere genieße, bei der Schwere des Winterfeldzugs in die Waagschale werfen müsse. Am 19. Dezember – auch hier befahl er mir wieder Stillschweigen – am 19. Dezember erhielt ich den Befehl, am 20. Dezember abends fuhr ich nach Hause und habe Hitler nicht wieder gesehen. Hitler war das Schicksal Deutschlands, und dieses Schicksal war nicht aufzuhalten.


DR. LATERNSER: Ich habe keine weiteren Fragen mehr an diesen Zeugen.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich jetzt.


[Pause von 10 Minuten.]


VORSITZENDER: Wünscht die Anklagevertretung ein Kreuzverhör?

OBERST TAYLOR: Zeuge Brauchitsch! Der Verteidiger für den Generalstab hat zwei Affidavits erwähnt. – Können Sie mich hören? – Kann mich der Zeuge hören?


VON BRAUCHITSCH: Geht jetzt.


OBERST TAYLOR: Der Verteidiger für den Generalstab hat zwei von Ihnen unterzeichnete Affidavits erwähnt. Hatten Sie Gelegenheit, Änderungen an den Affidavits vorzunehmen, ehe Sie sie unterzeichnet haben?


[640] VON BRAUCHITSCH: Jawohl, die habe ich gehabt.


OBERST TAYLOR: Ich werde Ihnen eine Kopie des Originals des Affidavits Nummer 2 zeigen lassen. Haben Sie tatsächlich an den Affidavits vor deren Unterzeichnung Änderungen vorgenommen?


VON BRAUCHITSCH: Ich habe die Frage nicht verstanden.


OBERST TAYLOR: Haben Sie an den Affidavits Änderungen vorgenommen, bevor Sie sie unterzeichneten?


VON BRAUCHITSCH: Ich habe einige Änderungen vorgenommen.


OBERST TAYLOR: Wollen Sie bitte in dem Ihnen soeben übergebenen Affidavit den letzten Satz ansehen? Ist dieser Satz...


VON BRAUCHITSCH: Von welchem Teil?


OBERST TAYLOR: Den allerletzten Satz auf Seite 2. Ist dieser letzte Satz vollkommen in Ihrer eigenen Handschrift geschrieben?


VON BRAUCHITSCH: Jawohl.


OBERST TAYLOR: Wollen Sie bitte diesen letzten Satz vorlesen? Den letzten Satz in Ihrer eigenen Handschrift, bitte.


VON BRAUCHITSCH: »In der Hand der in der Skizze aufgeführten Dienststellen lag die tatsächliche Führung der Wehrmacht.«


OBERST TAYLOR: Ist dieser Satz so richtig, wie Sie ihn geschrieben haben?


VON BRAUCHITSCH: In Ergänzung dessen, was ich vorhin gesagt habe: Ich hatte darauf hingewiesen, daß die Skizze mißverständlich sein könnte, worauf mir erklärt wurde, daß das bekannt wäre. Ich habe deshalb die Skizze darauf bezogen, auf die Dienststellen der Hierarchie.


OBERST TAYLOR: Die Skizze ist dem von Ihnen gezeichneten Affidavit beigeschlossen, und der letzte von Ihnen verlesene Satz lautet: »In der Hand der in der Skizze aufgeführten Dienststellen lag die tatsächliche Führung der Wehrmacht.« Gibt es kein Mißverständnis oder eine Einschränkung dieses Satzes?


VON BRAUCHITSCH: Herr General! Insofern nur, als ich darauf hingewiesen habe, daß in der Skizze die einzelnen Teile der Stäbe nicht so, wie sie gezeichnet sind, hineingehören, sondern unmittelbar, und daß eigentlich hinzugehören die ganzen anderen Teile der Arbeitsstäbe auch.


OBERST TAYLOR: Herr Vorsitzender! Bezüglich der Fragen über die Ostfront halte ich mir vor Augen, daß der nächste Zeuge, von Manstein, an der Ostfront tätig war und bis 1944 dort blieb, während der Zeuge von Brauchitsch im Jahre 1941 in den Ruhestand trat. Die Anklagevertretung zieht daher vor, Fragen über dieses [641] Thema an den nächsten Zeugen, von Manstein, zu richten. Fragen über den Angriffskrieg stützen sich fast völlig auf die dem Gerichtshof seit langem vorliegenden Dokumente. Die Amerikanische Anklagevertretung glaubt nicht, daß mit der Vorlage dieser Dokumente an den Zeugen etwas erreicht würde. Das ist Sache der reinen Argumentation, die zu geeigneter Zeit vorgebracht werden wird. Demgemäß hat die Amerikanische Anklagevertretung an diesen Zeugen keine weiteren Fragen.


VORSITZENDER: Haben andere Hauptanklagevertreter Fragen zu stellen?


GENERALMAJOR G. A. ALEXANDROW, HILFSANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Herr Zeuge! Sie haben heute hier vor dem Gerichtshof erklärt, daß ein Plan für einen Angriff auf die Tschechoslowakei nicht bestand, jedenfalls war Ihnen davon nichts bekannt. Habe ich Sie richtig verstanden?


VON BRAUCHITSCH: Ja.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: War Ihnen denn der Fall »Grün« nicht bekannt?

VON BRAUCHITSCH: Der Fall »Grün« war mir bekannt. Er bezieht sich aber auf etwas ganz anderes. Der Plan »Grün« ist bereits vorher aufgestellt worden in dem Gedankengang, daß ein gemeinsamer Angriff Frankreichs und der Tschechoslowakei auf Deutschland erfolgen solle. So waren damals diese Fragen vor meiner Zeit bearbeitet worden. Ich selber habe den Fall »Grün« nicht im einzelnen gekannt.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Aber der Fall »Grün« hat doch die Eroberung der Tschechoslowakei vorgesehen, nicht wahr? Ich wiederhole, der Fall »Grün« hat die Eroberung der Tschechoslowakei vorgesehen?


VON BRAUCHITSCH: Soweit ich den Fall »Grün« kenne, war es nur im Zusammenhang eines Angriffes, einer Kriegserklärung Frankreichs und der Tschechoslowakei an Deutschland. Etwas anderes...


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Dann möchte ich Sie in diesem Zusammenhang an ein anderes Schriftstück erinnern. Es ist ein Erlaß Hitlers vom 30. Mai 1938, dessen erste Abschrift Ihnen als Oberbefehlshaber des Heeres übermittelt wurde. Dieser Erlaß wurde zu dem Zweck der Verwirklichung des Falles »Grün« herausgegeben. Ich werde Punkt 1 aus dem zweiten Teil dieses Erlasses verlesen:

»Es ist mein unabänderlicher Entschluß, die Tschechoslowakei in absehbarer Zeit durch eine militärische Aktion zu zerschlagen.« (388-PS.)

Haben Sie diese Weisung gekannt?

[642] VON BRAUCHITSCH: Diese Weisung kenne ich.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Bestand demnach eigentlich ein Plan für die Eroberung der Tschechoslowakei oder nicht?


VON BRAUCHITSCH: Ich verstehe den Sinn der Frage nicht.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich frage Sie, ob tatsächlich ein solcher Plan zur Eroberung der Tschechoslowakei bestand, oder war kein derartiger Plan vorhanden?


VON BRAUCHITSCH: Im Mai 1938 ist dieser Gedanke von Hitler mir zum ersten Male mitgeteilt worden. Man muß aber dabei berücksichtigen, daß Hitler, wie ja allgemein bekannt ist, immer in sehr starken Ausdrücken sprach, und es war für einen außerordentlich schwer, aus seinen Ansprachen den eigentlichen Willen Hitlers zu erkennen.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Die nächste Frage: Herr Zeuge! Sagen Sie bitte, auf welche Weise erfuhren Sie von den Unterredungen General Wagners mit dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Heydrich? Wieso erfuhren Sie davon?

VON BRAUCHITSCH: Durch Meldung des Generals Wagner.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Unterstand General Wagner Ihnen?


VON BRAUCHITSCH: Er unterstand dem Chef des Generalstabs und insofern mir.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Demnach fanden die Besprechungen zwischen General Wagner und Heydrich mit Ihrem Wissen statt?


VON BRAUCHITSCH: Es ist mir nachträglich gemeldet worden.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie behaupten also, es sei Ihnen weder die Taktik bekanntgewesen, die als Ergebnis dieser Übereinkunft für die Einsatzgruppen der Polizei festgelegt wurde, noch die Tatsache, daß der SD sehr eng mit der Wehrmacht zusammenarbeitete? Behaupten Sie das?


VON BRAUCHITSCH: Ich wiederhole das, was ich vorhin ausgesagt habe. Es war vom Oberkommando der Wehrmacht befohlen worden, daß von der SS, vom Reichsführer-SS, Kommandos eingesetzt würden, die die Vorbereitungen treffen sollten, um die Überführung der Staaten in politische Staaten vorzubereiten. Etwas anderes ist mir niemals bekanntgeworden. Der General hat mir darüber nichts gemeldet. Ich habe auch sonst keinerlei Meldung von der Art jemals erhalten. Wenn ich sie erhalten hätte, würde ich, genauso wie im Fall Polen, dagegen eingeschritten sein und hätte nicht irgendwie zugesehen, wenn ich davon Kenntnis gehabt hätte.


[643] GENERALMAJOR ALEXANDROW: Und Sie wußten nicht, daß diese Einsatzkommandos mit den Kommandos der Wehrmacht eng zusammenarbeiteten?


VON BRAUCHITSCH: Nein, sie haben mit den Kommandos der Wehrmacht, des Heeres, nicht zusammengearbeitet.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich möchte Ihnen jetzt einen Auszug aus dem Dokument L-180, US-276, vorlesen; es ist ein Bericht der Einsatzgruppe des SD vom 15. Oktober 1941. In dem Bericht dieser Einsatzgruppe heißt es, ich zitiere:

»Die Einsatzgruppe A marschierte befehlsgemäß am 23. 6. 1941, dem zweiten Tag des Ostfeldzuges, nachdem die Fahrzeuge in einsatzfähigen Zustand versetzt worden waren, in den Bereitstellungsraum ab. Die Heeresgruppe Nord mit der 16. und 18. Armee und der Panzergruppe 4 hatte tags zuvor den Vormarsch angetreten. Es handelte sich nun darum, in aller Eile persönlich mit den Armeeführern wie auch mit dem Befehlshaber des rückwärtigen Heeresgebietes Fühlung aufzunehmen. Von vornherein kann betont werden, daß die Zusammenarbeit mit der Wehrmacht im allgemeinen gut, in Einzelfällen, wie zum Beispiel mit der Panzergruppe 4 unter Generaloberst Höppner, sehr eng, ja fast herzlich war.«

Ferner:

»Für die Sicherheitspolizei zeigte sich bei diesem militärischen Vorgehen in den ersten Tagen des Ostfeldzuges, daß die spezifisch sicherheitspolizeiliche Arbeit nicht nur, wie in den ursprünglichen Abmachungen mit dem OKH vorgesehen, im rückwärtigen Heeres- und Armeegebiet, sondern auch im Gefechtsgebiet geleistet werden mußte.«

War Ihnen von einer derartigen engen Zusammenarbeit dieser Einsatzgruppen mit dem OKW nichts bekannt?

VON BRAUCHITSCH: Mir ist keinerlei Meldung darüber gekommen. Infolgedessen weiß ich gar nichts darüber.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie haben hier erklärt, daß Sie Hitlers Befehl für die Erschießung kriegsgefangener sowjetischer Kommissare aufgehoben hätten. Habe ich Sie richtig verstanden?


VON BRAUCHITSCH: Jawohl.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Wie reagierte Hitler auf diese Nichtbefolgung seines Befehls?

VON BRAUCHITSCH: Er hat mir darüber nie etwas gesagt, daß... ich weiß es nicht. Er hat nicht reagiert.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Und Sie haben ihn nicht davon in Kenntnis gesetzt, daß Sie seinen Befehl aufgehoben haben?


VON BRAUCHITSCH: Nein.


[644] GENERALMAJOR ALEXANDROW: Wie ging das zu, daß dieser Befehl doch befolgt wurde, da die Mehrzahl der kriegsgefangenen sowjetischen Kommissare von deutschen Truppen vernichtet wurde?


VON BRAUCHITSCH: Dazu bin ich nicht in der Lage, denn ich habe darüber keinerlei Meldung bekommen. Ich habe nur immer die Meldung bekommen, daß der Befehl nicht durchgeführt worden ist.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Eine letzte Frage: Auf die Frage des Verteidigers, aus welchem Grunde Sie das Heer verließen, haben Sie erklärt, daß das infolge Meinungsverschiedenheiten mit Hitler geschehen sei. Weil Sie mit Hitlers Politik nicht einverstanden waren, haben Sie um Ihren Abschied nachgesucht und schließlich erhalten. Stimmt das?


VON BRAUCHITSCH: Jawohl.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: So hatten also diejenigen Generale der deutschen Armee, die mit Hitlers Politik und seiner Regierungsform nicht einverstanden waren, die Möglichkeit, ihren Abschied zu nehmen und diese Politik nicht mitzumachen? Stimmt das?


VON BRAUCHITSCH: Leider nein. Denn Hitler hatte ausdrücklich befohlen, daß keiner gehen dürfe, und außerdem konnte man ja nicht gehen, wie man wollte. In meinem Fall paßte es ihm, denn er brauchte einen Sündenbock für das Mißlingen des russischen Winterfeldzugs. Das sprach sich nachher aus in der Propaganda, die in Deutschland getrieben wurde, wobei mir die Schuld für diese Dinge in die Schuhe geschoben wurde.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich habe keine weiteren Fragen mehr.


DR. LATERNSER: Ich möchte nur noch ganz wenige Fragen stellen, die sich aus dem Kreuzverhör ergeben haben.


[Zum Zeugen gewandt:]


Es wird in dieser Urkunde L-180, die Ihnen soeben von dem russischen Ankläger vorgehalten worden ist, der Generaloberst Höppner erwähnt. Kannten Sie Generaloberst Höppner gut?

VON BRAUCHITSCH: Ich kannte ihn seit dem Jahre 1914. Er war der Chef bei mir in Ostpreußen, ich kannte ihn also sehr genau.

DR. LATERNSER: Sie kennen dann sicher auch seine Einstellung zu solchen Gewaltmethoden, wie sie sich jetzt nachträglich bei den Einsatzgruppen herausgestellt haben.


VON BRAUCHITSCH: Höppner war eine gerade, ehrliche Soldatennatur, die alles ablehnte, was in dieser Hinsicht nicht in dem Gedankengang lag, in dem er aufgewachsen und erzogen war.


[645] DR. LATERNSER: Lebt Generaloberst Höppner noch?


VON BRAUCHITSCH: Er ist ein Opfer des 20. Juli geworden.


DR. LATERNSER: Er ist also wegen seiner Stellungnahme gegen diese Methode zum Tode verurteilt worden?


VON BRAUCHITSCH: Jawohl.


DR. LATERNSER: Können Sie irgendeine Erklärung dafür geben, daß nach dem Bericht eine, wie der Berichterstatter sagt, fast herzliche Zusammenarbeit zwischen Einsatzgruppe einerseits und Generaloberst Höppner andererseits geherrscht haben soll?

VON BRAUCHITSCH: Ich kann mir das nur so denken, wie ich vorhin bei meinen Aussagen über die Verhandlungen mit dem General Wagner und dem Führer des SS-Hauptamtes, Heydrich, schon gesagt habe, daß es sich dort vielleicht um eine Zusammenarbeit handelte im Kampfgebiet selbst, das heißt da, wo es zum Kampf kam. Im übrigen waren die Verhältnisse eben im Norden außerordentlich schwierig. Die Panzerwagen vorne, dazwischen Teile der russischen Armee, dahinter die deutschen Divisionen. Es herrschten dort Schwierigkeiten im Nachschub, und ich könnte mir denken, daß diese Gruppen mit zum Schutz der Sicherung der Nachschubstraßen mit eingesetzt worden sind. Weiter weiß ich nichts. Ich habe, wie gesagt, keinerlei Meldung jemals darüber bekommen.


DR. LATERNSER: Sie kannten General Wagner gut?


VON BRAUCHITSCH: Jawohl.


DR. LATERNSER: Wie war dessen Einstellung zu solchen Gewaltmethoden?


VON BRAUCHITSCH: In dem Verlauf des 20. Juli 1944 hat er sich selbst das Leben genommen. Er war unter allen Umständen gegen jede Maßnahme, die gegen Recht und Billigkeit, Humanität oder gegen die bestehenden Bestimmungen der Haager und Genfer Konvention war.


DR. LATERNSER: Dann wäre aber doch anzunehmen, daß, wenn ihm in der Besprechung mit Heydrich bekanntgegeben worden wäre, daß durch diese Einsatzgruppen Massenvernichtungen vorgenommen werden sollen, daß er dann bei seiner Einstellung Ihnen darüber Meldung erstattet hätte?


VON BRAUCHITSCH: Unter allen Umständen.


DR. LATERNSER: Danke sehr, ich habe keine weiteren Fragen.


VORSITZENDER: Zeuge! Haben Sie die Aussagen des Zeugen Gisevius gelesen?


VON BRAUCHITSCH: Jawohl.


VORSITZENDER: Und Sie sagen dem Gerichtshof, daß sie, soweit Sie darin erwähnt sind, vollständig unrichtig seien?


[646] VON BRAUCHITSCH: Jawohl.


VORSITZENDER: Ich möchte Ihnen nun eine andere Frage stellen: Als Ihnen der Kommissarbefehl gegeben wurde, noch bevor der Krieg gegen die Sowjetunion begann, welche Befehle haben Sie da gegeben?


VON BRAUCHITSCH: Ich habe den Befehl gegeben, den ich vorhin erwähnt habe, über die Aufrechterhaltung der Disziplin und über die Behandlung, die korrekte Behandlung der Bevölkerung durch den deutschen Soldaten und daß alle Übergriffe zu bestrafen seien.


VORSITZENDER: Das heißt, daß Sie keinen Befehl, der sich direkt auf den Kommissarbefehl bezog, gegeben haben?


VON BRAUCHITSCH: Nein, ich konnte ja den Befehl nicht direkt aufheben, aber ich gab einen Befehl, der unmißverständlich war und meine Auffassung festlegte.


VORSITZENDER: Sie haben diesen Befehl schriftlich gegeben, nicht wahr?


VON BRAUCHITSCH: Jawohl.


VORSITZENDER: Wollen Sie dem Gerichtshof weismachen, Sie hätten während des Restes des Jahres 1941 niemals erfahren, daß der Kommissarbefehl wirklich ausgeführt wurde?


VON BRAUCHITSCH: Herr Präsident! Ich will nichts weismachen; ich will nur die Wahrheit sagen, daß ich keinerlei Meldung darüber bekommen habe und infolgedessen auch nichts darüber aussagen kann. Da, wo ich mich erkundigt habe, habe ich nur die Mitteilung bekommen, daß der Befehl nicht durchgeführt würde.


VORSITZENDER: Dann behaupten Sie also, daß, soweit Sie wissen, dieser Befehl nicht ausgeführt wurde bis zu der Zeit, als Sie Ihren Abschied nahmen?


VON BRAUCHITSCH: Ja. Mehr kann ich nicht sagen, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Ich versuche nur herauszufinden, was Sie eigentlich sagen.

Der Zeuge kann sich jetzt zurückziehen.


VON BRAUCHITSCH: Herr Präsident...


VORSITZENDER: Zeuge! Wollten Sie noch etwas sagen?


VON BRAUCHITSCH: Nein.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Nun, Dr. Laternser.

DR. LATERNSER: Ich rufe als zweiten Zeugen den Feldmarschall von Manstein.


[647] [Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Zeuge! Bitte nennen Sie Ihren vollen Namen.

ZEUGE ERICH VON MANSTEIN: Erich von Manstein.


VORSITZENDER: Bitte sprechen Sie mir diesen Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. LATERNSER: Herr Feldmarschall! Welches war Ihre letzte Dienststellung?


VON MANSTEIN: Meine letzte Dienststellung war Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd.


DR. LATERNSER: Wie kamen Sie in diese Stellung?


VON MANSTEIN: In diese Stellung bin ich gekommen im November 1942 auf Grund eines Befehls von Hitler.


DR. LATERNSER: Die übrigen Oberbefehlshaber sind auf die gleiche Weise in ihre Stellungen gekommen?


VON MANSTEIN: Ja.


DR. LATERNSER: Sie waren lange Jahre in wichtigen Stellungen des Generalstabs. In welcher Eigenschaft?


VON MANSTEIN: Ich war zuerst, im vorigen Kriege, im Truppengeneralstab und bin dann im Jahre 1929 in das Reichswehrministerium gekommen, in die erste Abteilung des Truppenamtes.


DR. LATERNSER: War der Generalstab eine Elite, die in der Wehrmacht den Ton angab?


VON MANSTEIN: Die Generalstabsoffiziere waren insofern eine Elite, als sie auf Grund ihrer taktischen Befähigung ausgewählt wurden und auf Grund ihres Charakters. Tonangebend im Heere waren sie insofern nicht, als sie in ihren Auffassungen ja genau mit allen anderen Offizieren übereinstimmten. In der Wehrmacht kann von einem Tonangeben durch den Generalstab an sich überhaupt keine Rede sein. Die Marine hatte keinen Generalstab. Bei der Luftwaffe haben, soweit ich es beurteilen kann, die Generalstabsoffiziere vielleicht weniger eine Rolle gespielt als »Outsider« wie Milch, Udet und so weiter, und die Wehrmacht hatte ja zunächst keinen Wehrmachtsgeneral stab; also von einem Tonangeben des Generalstabs innerhalb der Wehrmacht kann man kaum sprechen.


DR. LATERNSER: Hatte der Generalstab auf alle militärischen Pläne einen maßgeblichen Einfluß? Und war er sozusagen das geistige Zentrum der Armee?


[648] VON MANSTEIN: Der Generalstab hat in der Zentrale, also im Reichswehrministerium, in verschiedenen Abteilungen die zentralen Fragen bearbeitet, soweit sie die Führung der Truppen anging und ihre Verwendung. Dagegen waren alle anderen Gebiete in Händen der Ämter oder der Waffeninspektionen. Die Ämter standen gleichberechtigt neben dem Generalstab und alles, was das eigentliche Leben der Truppe anging, wurde eigentlich in diesen Ämtern bearbeitet.


DR. LATERNSER: So hat sich dann der Generalstab wohl gutachtlich geäußert?


VON MANSTEIN: Der Generalstab konnte sich zu den Fragen, die die Ämter bearbeiteten, also zum Beispiel Bewaffnungsfragen, Ausbildungsfragen, natürlich äußern; aber die Chefs der Ämter standen neben den Chefs des Truppenteils völlig gleichwertig, und insbesondere die wichtigen Personalfragen wurden völlig gesondert vom Generalstab bearbeitet.


DR. LATERNSER: War der Chef des Generalstabs der entscheidende Berater Hitlers oder der betreffen den Oberbefehlshaber des Heeres oder der Luftwaffe?


VON MANSTEIN: Davon, daß der Chef des Generalstabs entscheidender Berater gewesen wäre bei Hitler, kann man absolut nicht sprechen. Es unterscheidet sich die Stellung des Chefs des Generalstabs in der Wehrmacht des Dritten Reiches völlig von der Stellung, wie sie früher der Chef des Generalstabs in der kaiserlichen Zeit gehabt hatte. Damals hatte der Chef des Generalstabs das Immediatrecht, also unmittelbar dem Kaiser konnte er direkt Vortrag halten.

In der Wehrmacht des Dritten Reiches und auch schon der Weimarer Republik war das völlig anders. Der Chef des Generalstabs des Heeres zum Beispiel war nichts anderes als der Berater des Oberbefehlshabers des Heeres für die militärischen Führungsfragen. Zwischen ihm und Hitler standen also einmal der Oberbefehlshaber des Heeres, dann aber, solange wir einen Reichskriegsminister hatten in Gestalt von Blomberg, auch noch der Reichskriegsminister.

Insofern war also von einer Beratung Hitlers durch den Generalstabschef ohnehin keine Rede. Aber auch in der Beratung des Oberbefehlshabers des Heeres teilte er sich, zum mindesten im Frieden, mit den ihm gleichberechtigten Amtschefs, also den Chefs des Personalamtes, des Waffenamtes, des Wehramtes und so weiter.


DR. LATERNSER: Gab es einen Generalstabs-Sonderdienstweg noch?


VON MANSTEIN: Einen Generalstabs-Sonderdienstweg gab es nicht; im Gegenteil, er war streng verpönt. Es hatte sich gegen Ende [649] des ersten Weltkrieges etwas ähnliches gebildet, als Ludendorff praktisch die Zügel militärisch in der Hand hatte und sich immer an die Generalstabschefs, die unter ihm standen, hielt, nicht an die Oberbefehlshaber selber. Mit dieser – ich möchte sagen – Entartung der militärischen Befehlsführung ist radikal durch den Generaloberst von Seeckt wieder gebrochen worden, und es gab einen eigenen Generalstabsdienstweg in dem Sinne, wie er hier gemeint ist, nicht.


DR. LATERNSER: Und wie stand es mit dem Recht, abweichende Meinungen aktenkundig zu machen?


VON MANSTEIN: In der alten Armee hatte jeder Chef des Generalstabs das Recht, wenn er anderer Ansicht war wie sein Befehlshaber, diese abweichende Ansicht aktenkundig zu machen, wenn er auch den Befehl seines Befehlshabers natürlich ausführen mußte. In der Wehrmacht des neuen Dritten Reiches ist das abgeschafft worden, und zwar ausdrücklich mit Einverständnis des Chefs des Generalstabs, des Generals Beck.


DR. LATERNSER: War das OKW sozusagen das Zentralhirn der Wehrmacht?


VON MANSTEIN: Das OKW ist ja in der Form, wie es hier genannt wird, ja erst 1938 als Arbeitsstab von Hitler entstanden. Vorher war Blomberg Reichskriegsminister. Und er hatte in seinem Ministeramt eine Stelle, die – sagen wir mal – die gesamten Belange der Wehrmacht gegenüber dem Staat und der Partei zu vertreten hatte. In seiner Hand war auch die Verteilung der Geldmittel auf die einzelnen Wehrmachtsteile und der Rüstungskapazität auf die Wehrmachtsteile. Allmählich wollte Blomberg zweifellos eine stärkere Wehrmachtsführung schaffen. Er geriet aber dabei sehr bald in starke Schwierigkeiten, namentlich mit dem OKH, und zwar deswegen, weil nach Ansicht des OKH Blomberg gegenüber der Partei zu nachgiebig war. Er ist dann bei seinem... er hat dann... er hat dann selbst versucht, sich eine Art taktischen Führungsstab, den späteren Wehrmachtführungsstab, zu schaffen. Das war aber noch in den Anfängen, dann kam sein Sturz, und anschließend wurde dann der Wehrmachtführungsstab unter Hitler geschaffen. Derselbe ist aber nicht als ein – sagen wir mal – eine Spitze der drei Wehrmachtsgeneralstäbe anzusehen oder als eine Dachorganisation, sondern er war eben nichts anderes als der praktische Führungsstab des Führers.

DR. LATERNSER: Trafen sich trotzdem die Oberkommandos der Wehrmachtsteile oder die Generalstäbe mit dem OKW im Ziel ihres Wollens?


VON MANSTEIN: Natürlich waren die drei Wehrmachtsteile auch mit dem OKW sich darüber einig, daß sie das nationale Element [650] hochhielten, ferner, daß sie den Gedanken der nationalen Ehre, der Gleichberechtigung und vor allen Dingen der Sicherheit Deutschlands als ihre Aufgabe ansahen. Darüber hinaus kann man aber von einer einheitlichen Willensbildung nicht sprechen. Ich möchte als Beispiel sagen: Das Heer hatte einen Grundgedanken, der war der: Deutschland kann unter gar keinen Umständen noch einmal einen Zweifrontenkrieg führen. Die Marine hatte meines Erachtens immer als leitenden Gedanken: Bloß keinen Krieg mit England noch mal! Was Göring als Herrscher der Luftwaffe persönlich wollte, kann ich nicht beurteilen. Ich glaube aber nicht, daß er Lust hatte, die Position des Dritten Reiches und seine Position in einem neuen Krieg aufs Spiel zu setzen.


DR. LATERNSER: Und das OKW?


VON MANSTEIN: Das OKW – wenn es überhaupt eine eigene Willensbildung gehabt hat – hatte meines Erachtens gar nicht die Möglichkeit, sie gegenüber Hitler ernstlich zur Wirkung zu bringen.

DR. LATERNSER: Welche Bedeutung hatte der Schlieffen-Verein, und was waren seine Ziele?


VON MANSTEIN: Der Schlieffen-Verein war im großen gesehen eine Vereinigung von alten Herren, die früher dem Generalstab angehört hatten. Es waren außerdem die Generalstabsoffiziere und Führergehilfen der jungen Wehrmacht auch Mitglieder. Man traf sich einmal im Jahre zu einem Essen, und davor war eine sogenannte Geschäftsversammlung, in der ein Kassenbericht gemacht wurde, und das war eigentlich das Wesentliche. Dann hatte der Schlieffen-Verein noch einen Ehrenrat, der sich meistens damit beschäftigen mußte, die Zwistigkeiten zwischen den älteren Mitgliedern, die aus der Haltung Ludendorffs gegen Hindenburg resultierten, zu schlichten. Wir jüngeren sind da... zu diesen Auseinandersetzungen sind wir gar nicht mehr hingegangen; außerdem unterstanden wir diesem Ehrenrat nicht.

Irgendwelche politische und militärische Ziele hatte dieser Verein nicht; und also vor allen Dingen kann man ihn nicht etwa als eine geistige Schulung oder geistige Förderung anstatt des Generalstabs ansehen.


DR. LATERNSER: In welcher Beziehung stehen die betroffenen 129 militärischen Führer zu OKW und Generalstab?


VON MANSTEIN: Die Masse von ihnen stand ihrer Stellung nach in gar keiner Beziehung dazu. Zum...


DR. LATERNSER: Etwas langsamer, Herr Feldmarschall.


VON MANSTEIN: Zum OKW gehörten ja davon nur vier, nämlich Keitel, Jodl, Warlimont und Winter, und zum Generalstab gehörten nur die Chefs des Generalstabs von Luftwaffe und Heer, [651] die ja mehrfach gewechselt haben. Es sind wohl von jedem Wehrmachtsteil fünf; alle anderen gehörten weder zum OKW noch zum Generalstab.


DR. LATERNSER: Was sind denn diese militärischen Führer sonst?


VON MANSTEIN: Sie sind die Inhaber der obersten Stellen der militärischen Hierarchie, wie sie das in jedem Lande sind.


DR. LATERNSER: Stellten diese militärischen Führer aber nicht nach Ihren Auffassungen eine einheitliche Gruppe dar mit einheitlicher Willensbildung?


VON MANSTEIN: Natürlich waren sich diese Führer in ihrer Berufsauffassung einig, das ist ja selbstverständlich, auch in ihrer Auffassung von der Notwendigkeit, daß Deutschland stark sein müsse, weil es von drei Nachbarn umgeben war, von denen man ja immerhin einiges erwarten konnte. Darüber hinaus aber kann man von einer solchen einheitlichen Gedankenbildung eigentlich nicht reden. Ich möchte sagen, es standen horizontal nebeneinander die drei Wehrmachtsteile, und jeder Wehrmachtsteil hatte andere militärische Gedanken und Ziele, die oft sogar sehr gegeneinander waren; und vertikal gesehen gliederten sich diese 129 Offiziere in die militärische Hierarchie, also sagen wir mal in vier Stufen, die das Verhältnis vom Befehlen zum Gehorchen waren. Die oberste Stufe war der Führer, dazu sein Arbeitsstab, das OKW. Bei dieser Stufe lag die gesamte politische und militärische Verantwortung, die ja nach militärischen Grundsätzen nur immer bei dem wirklich obersten Führer liegen kann.

Die nächste Stufe waren die drei Oberbefehlshaber der Wehrmachtsteile. Sie waren verantwortlich für die militärischen Aufgaben des Teils der Wehrmacht, der ihnen unterstellt war und hatten da in diesem Bereich natürlich die Gesamtverantwortung. Sie waren auch, wenn Hitler sie auf ihren militärischen Gebieten zu Rate zog, natürlich in gewisser Hinsicht seine Berater. Die dritte und vierte Stufe, die es in der Form der 129 Offiziere ja nur im Kriege gab, waren die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen, und darunter als vierte Stufe die Oberbefehlshaber der Armeen. Die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen hatten die Verantwortung für die operative Führung der Operationen, die ihnen aufgetragen wurden. Darunter hatten die gleiche Teilverantwortung für ihre Armee die Oberbefehlshaber der Armeen, die auch die territoriale Gewalt im Operationsgebiet ausübten. Aber diese dritte und vierte Stufe stand in keinem Konnex – sagen wir mal – gedanklich zu Hitler, zum Führer, denn dazwischen war die Stufe der Oberbefehlshaber. Sie empfing Befehle und hatte zu gehorchen, wie überhaupt ja im militärischen Leben das Verhältnis ist: Befehlender und Ausführender.


[652] DR. LATERNSER: Wie war nun innerhalb der von Ihnen geschilderten Verantwortlichkeit die Möglichkeit gegeben, zu Plänen von Hitler Stellung zu nehmen?


VON MANSTEIN: Zu Plänen von Hitler Stellung zu nehmen war für die dritte und vierte Gruppe an sich völlig ausgeschlossen, denn sie erfuhren ja alles erst in der Form eines Befehls. Wenn in einzelnen Fällen Hitler die Oberbefehlshaber zu Besprechungen zusammenrief, dann war das eben auch die Bekanntgabe einer feststehenden Entscheidung, an der gar nichts mehr zu ändern war. Die Oberbefehlshaber der Wehrmachtsteile konnten natürlich, wenn sie von Hitler vorher gefragt wurden, was ich im einzelnen Fall nicht beurteilen kann, natürlich ihre Ansichten zur Geltung bringen. Wie weit sie dabei durchkommen konnten, das steht auf einem anderen Blatt.


DR. LATERNSER: Nun stammten diese militärischen Führer fast sämtlich aus dem Generalstab, und bildeten diese Führer nicht dadurch eine Gemeinschaft?


VON MANSTEIN: Gewiß, also ein gewisser Teil der Führer stammte aus dem Generalstab. Beim Heer, sagen wir mal, von den 94 Offizieren des Heeres, die zu der angeblichen Organisation gehören, waren 74 früher mal Generalstabsoffiziere; 20 dagegen waren es nicht. Bei der Luftwaffe waren, soviel ich weiß, von 17 nur 9 im Generalstab, und die Marine hatte ja überhaupt keinen. Die Einheitlichkeit, sagen wir mal, soweit sie überhaupt gegeben war, lag also darin, daß sie dieselbe militärische Ausbildung, dieselben militärischen Lehrgänge im Generalstab gehabt haben, aber in nichts anderem.


DR. LATERNSER: Also, es sind der Begriff OKW und Generalstab auf der einen Seite, und diese 129 Offiziere etwas völlig Verschiedenes?


VON MANSTEIN: Ja, selbstverständlich sind sie völlig verschieden. Es waren eben die militärischen Führer und nicht der Generalstab und nicht das OKW in der Masse, und als eine einheitliche Organisation kann man das weder ideell, noch materiell, noch praktisch, noch theoretisch ansehen.


DR. LATERNSER: Nun befanden sich auch einige SS-Führer in dieser Gruppe? War die SS ein vierter Wehrmachtsteil?


VON MANSTEIN: Nein, sie war bestimmt kein vierter Wehrmachtsteil. Sicherlich hat ein großer Teil der vernünftigen Führer der Waffen-SS und im Kriege auch die Masse der Verbände der Waffen-SS den Wunsch gehabt, in die Armee eingegliedert zu werden.

Daran war naturgemäß bei dem entgegengesetzten Willen des Führers und Himmlers gar nicht zu denken. Die Verbände der [653] Waffen-SS haben im Kriege als Kameraden neben uns an der Front sehr tapfer gekämpft, aber ein vierter Wehrmachtsteil waren sie nicht, denn ganz im Gegenteil wollte... hat ja Himmler alles verhindert, was irgendeine Einflußnahme der Wehrmacht auf die SS hätte sein können. Daß nun einzelne Führer der SS mit zu der Gruppe rechnen, das ist bezüglich der Person von Himmler... ich muß das als grotesk bezeichnen, denn wenn jemand ein Todfeind des Heeres zumindest war, dann ist das Himmler gewesen.


DR. LATERNSER: Inwiefern war Himmler Todfeind des Heeres?


VON MANSTEIN: Himmler wollte ganz zweifellos seine SS an die Stelle des Heeres setzen, und er hat insbesondere die Generale des Heeres meiner Ansicht nach mit seinem Haß und seiner Verleumdung verfolgt. Ich weiß es jedenfalls von mir aus einer völlig einwandfreien Quelle, daß meine Entlassung sehr stark auf das Betreiben von Himmler zurückzuführen ist, der dabei mit üblen Verleumdungen gearbeitet hat. Von den anderen Führern weiß ich nur, daß einige früher mal in der Reichswehr waren, dort gegen ihren Willen ausgeschieden sind, und daß die nicht gerade besonders für uns eingenommen waren und sich nicht zu uns rechnen können, das ist wohl klar.


DR. LATERNSER: Arbeiteten die Partei und Wehrmacht denn nicht im Interesse des Reiches zusammen an einem Plan?


VON MANSTEIN: Die Partei arbeitete auf dem politischen Gebiet, und wir arbeiteten auf dem soldatischen Gebiet. Ein gemeinsamer Plan Wehrmacht-Partei, davon kann keine Rede sein, denn dazu fehlten völlig die Voraussetzungen. Erstens mal fehlte als wichtigste Voraussetzung die gemeinsame Grundeinstellung. Wir waren mit sehr vielen Methoden der Partei ja bekanntlich in keiner Weise einverstanden, und wenn man so in grundlegenden Fragen, wie es zum Beispiel – sagen wir mal – das Christentum ist, differiert, dann kann man nicht sagen... dann fehlt eben die geistige Grundlage auch für einen einheitlichen Plan.

Das zweite, was dem entgegenstand, war der totale Machtanspruch der Partei, der sich ja auch immer wieder auf die Einflußnahme auf die Wehrmacht erstreckte, und ich kann wohl sagen, daß wir Offiziere immer in einem Kampf dagegen gestanden haben, daß Parteieinflüsse Gewalt über unsere Soldaten gewannen und damit das soldatische Element, das wir vertraten, beiseiteschoben.

Und als drittes ist festzustellen, daß von einem Plan unter Hitler überhaupt keine Rede sein konnte. Wenn jemand einen Plan machte, dann war es Hitler allein, und unter ihm hatte kein Mensch Pläne zu machen, sondern sie hatten zu gehorchen. Im übrigen wußte ja auch in dem politischen und praktischen Leben des Dritten Reiches die eine Sparte nie, was die andere tat, was sie für Aufträge hatte, [654] so daß auch da von einer Einheitlichkeit gar nicht die Rede sein konnte. Es fehlten also alle Voraussetzungen für einen solchen einheitlichen Plan.


DR. LATERNSER: In welcher Eigenschaft waren Sie im Generalstab des Heeres?


VON MANSTEIN: Im Generalstab des Heeres – also in der Zentrale – war ich von 1929 bis 1932 als erster Generalstabsoffizier, sozusagen in der ersten Abteilung des Truppenamtes. Dann war ich von... wurde ich im Jahre 1935 Chef der Operationsabteilung des Heeres und 1936 Oberquartiermeister I, das heißt also Stellvertreter des Chefs des Generalstabs des Heeres.


DR. LATERNSER: Und als Oberquartiermeister I hat Ihnen die Operationsabteilung unterstanden?


VON MANSTEIN: Ja, da unterstand mir die Operationsabteilung, die Organisationsabteilung und noch verschiedene andere.


DR. LATERNSER: Sie hätten also als Chef der Operationsabteilung mit der Verwendung der Truppen im Kriegsfalle zu tun gehabt?


VON MANSTEIN: Ja, selbstverständlich.


DR. LATERNSER: Dann müssen Sie aber doch über Ziel und Umfang der Aufrüstung gewußt haben?


VON MANSTEIN: Ja.


DR. LATERNSER: Ganz kurz bitte, Herr Feldmarschall.


VON MANSTEIN: Ja, das Ziel unserer Aufrüstung zunächst in den zwanziger Jahren oder in den Jahren vor der Machtergreifung war die primitivste Sicherheit gegen den unprovozierten Angriff auch nur eines unserer Nachbarn. Wir mußten ja letzten Endes, da alle unsere Nachbarn Wünsche auf deutsches Gebiet hatten, immer mit solcher Möglichkeit rechnen. Wir waren uns vollkommen klar, daß wir gegen einen solchen Angriff bestenfalls einige Wochen einen vorübergehenden Widerstand leisten konnten. Das wollten wir aber erreichen, um zu verhindern, daß zum Beispiel bei einem polnischen Angriff durch die Besetzung von Oberschlesien ein Fait accompli geschaffen wurde. Wir wollten sicherstellen, daß wir so lange kämpfen konnten, bis der Völkerbund eingriffe. Wir verließen uns also praktisch auf den Völkerbund und konnten das nur, wenn wir selbst unter gar keinen Umständen als Angreifer bezeichnet werden konnten. Wir mußten also immer alles das vermeiden, was als eine Verletzung des Versailler Vertrags oder als eine Provokation anzusehen war. Und wir hatten deswegen in der ersten Abteilung des Truppenamtes eine besondere Gruppe von Offizieren, deren einzige Aufgabe es war, bei allen Befehlen, die vom OKH oder damals der Heeresleitung [655] herausgingen, darüber zu wachen, daß keine derartigen Verstöße passierten.


DR. LATERNSER: Haben Sie Mobilmachungspläne gehabt in der Zeit, als Sie Oberquartiermeister I waren?


VON MANSTEIN: Ja, wir haben den ersten Mobilmachungsplan überhaupt gehabt; er trat in Kraft am 1. April 1930, das heißt, das war eben die Überführung des Hunderttausendmann-Heeres in den Kriegszustand, der Plan dafür. Diese Mobilmachung ist dann jährlich bearbeitet worden ab 1930.


DR. LATERNSER: Bis dahin?


VON MANSTEIN: Bis dahin gab es überhaupt keine Mobilmachung.


DR. LATERNSER: Gab es Aufmarschpläne?


VON MANSTEIN: Aufmarschpläne hat es von Ende des ersten Weltkriegs an bis zum Jahre 1935 überhaupt nicht gegeben. Im Jahre 1935 ist der erste Aufmarschplan bearbeitet worden, der sogenannte Aufmarsch »Rot«. Das war ein Defensivaufmarsch am Rhein beziehungsweise an unserer Westgrenze und gleichzeitiger Aufmarsch zur Defensive an der tschechischen und an der polnischen Grenze. Dann ist ein zweiter Aufmarschplan »Grün« bearbeitet worden, 1937. Er sah für den Fall, daß Deutschland von der Tschechoslowakei...


VORSITZENDER: Einen Augenblick, Zeuge. Meinen Sie mit »Aufmarsch« Entfaltung? Was nennen Sie einen Aufmarschplan? Meinen Sie Entfaltung?


VON MANSTEIN: Unter Aufmarschplan verstehe ich einen Plan, nach dem die Truppen im Falle, daß ein Krieg droht, an der Grenze bereitgestellt werden sollen, also einen Plan für den Fall, daß eine politische Konflagration droht. Ob er zum Kriege führt, ob aus dieser Versammlung zum Kriege angetreten wird, das hat mit dem Aufmarschplan an sich noch nichts zu tun. Es steht da drin nur, wie die Truppen versammelt werden sollen, und was für den Fall eines Krieges die ersten Aufträge von den Heeresgruppen und Armeen sind.


DR. LATERNSER: Waren das alle Aufmarschpläne, die Sie eben geschildert haben?


VON MANSTEIN: Diese beiden... Das waren die beiden Aufmarschpläne, die ich als Oberquartiermeister erlebt habe. Der Aufmarschplan »Weiß« gegen Polen ist zu meiner Zeit nicht bearbeitet worden, der muß erst 1939 bearbeitet worden sein.


DR. LATERNSER: Wann sind Sie als Oberquartiermeister I aus dem OKH ausgeschieden?


[656] VON MANSTEIN: Ich bin ausgeschieden mit dem 4. Februar 1938, gleichzeitig mit der Beseitigung des Generaloberst von Fritsch.


DR. LATERNSER: Und zu jener Zeit hat ein Aufmarschplan gegen Polen noch nicht bestanden?


VON MANSTEIN: Nein, da bestand nur der Aufmarschplan »Rot«, der eine defensive Sicherung der polnischen Grenze im Kriegsfall vorsah.


DR. LATERNSER: Welches war die Stellung des OKH zur Erklärung der Wehrhoheit im Jahre 1935? Zu dieser Zeit waren Sie doch noch im OKH?


VON MANSTEIN: 1935... 1935, nein, da war ich noch Chef des Generalstabs des Wehrkreiskommandos III, bei der Erklärung der Wehrhoheit. Ich weiß aber aus meiner Kenntnis des Generalstabs, daß uns alle diese Erklärung damals völlig überrascht hat. Ich persönlich und mein Kommandierender General in Berlin haben sie erst durch das Radio gehört. Der Generalstab hätte, wenn er gefragt worden wäre, 21 Divisionen als das für uns zunächst praktisch zweckmäßig und erreichbare Maß der Heeresverstärkung vorgeschlagen. Die Bestimmung von 36 Divisionen ist auf Grund eines spontanen Entschlusses von Hitler erfolgt.


DR. LATERNSER: War die Besetzung des Rheinlands von militärischer Seite gefordert und als Vorbereitung eines Krieges gedacht?


VON MANSTEIN: Nein, wir haben die militärische Besetzung nicht gefordert und sie vor allen Dingen nicht als Vorbereitung eines Krieges gedacht. Im Gegenteil, ich war damals – wie die Operation erfolgte – Chef der Operationsabteilung und habe selbst die Befehle für diese Besetzung machen müssen. Ich habe dazu, da wir völlig von dem Entschluß des Führers überrascht wurden, nur einen Nachmittag Zeit gehabt, denn am nächsten Morgen kamen schon die betreffenden Generale, um ihre Befehle in Empfang zu nehmen. Ich weiß, daß sich damals der Reichskriegsminister und der Generaloberst von Fritsch insofern bedenklich geäußert haben, als sie Hitler vor einer solchen einseitigen Lösung dieser Frage gewarnt haben. Daraus... oder ich möchte sagen, diese Warnung ist meines Erachtens die erste Quelle des Mißtrauens gewesen, das den Führer nachher in zunehmendem Maße gegenüber den Generalen beseelt hat. Er hat mir das selbst einmal später in einer Besprechung unter vier Augen zugegeben. Vor allen Dingen, daß damals Blomberg, als Frankreich 13 Divisionen mobil machte, vorgeschlagen hat, die drei Bataillone, die wir über den Rhein hinaus aufs Westufer geschoben hatten, wieder zurückzunehmen. Die Absichten, die wir dann für die Befestigung des Rheinlandes hatten, waren rein [657] defensiv. Der Westwall war gedacht, genau wie die Maginot-Linie, als eine möglichst unübersteigbare Mauer gegen Angriffe.


DR. LATERNSER: Inwieweit waren die militärischen Führer bei Österreich beteiligt? Darüber wer den Sie sicher genau Bescheid wissen, Herr Feldmarschall.


VON MANSTEIN: Ich wurde eines Vormittags völlig überraschend mit dem Chef des Generalstabs, dem General Beck, zum Führer befohlen. Ich glaube, gegen 11.00 Uhr. Der Oberbefehlshaber des Heeres war nicht in Berlin. Hitler eröffnete uns, daß er sich entschlossen habe, die österreichische Frage zu lösen auf Grund der tags zuvor bekanntgegebenen Absichten von Schuschnigg. Er forderte unsere Vorschläge für ein Einrücken in Österreich, falls das notwendig sein würde. Der Chef des Generalstabs trug ihm daraufhin vor, daß wir dazu die Korps, die dafür in Frage kämen, nämlich das VII. und XIII. bayerische Korps und eine Panzerdivision mobilmachen müßten, daß aber eine solche Mobilmachung, überhaupt eine solche Maßnahme in keiner Weise vorbereitet sei, weil die politische Leitung uns nie auch nur andeutungsweise einen solchen Auftrag gegeben hatte. Es müßte also alles improvisiert werden. Der Führer wollte erst nicht recht an diese Mobilmachung heran, sah aber ein, daß, wenn man überhaupt einrücken wollte, man die Truppen eben auch beweglich haben müßte und stimmte zu und sagte, er müßte am kommenden Sonnabend, am Tage vor der beabsichtigten Abstimmung einrücken, wenn er überhaupt einrücken wolle. Es ergab sich daraus, daß der Befehl zur Mobilmachung dieser Korps noch am selben Tage gegeben werden mußte, wenn die Mobilmachung und die Versammlung der Kräfte an der Grenze rechtzeitig fertig werden sollten. Die Besprechung hat etwa um 11.00 Uhr angefangen, hat so etwa bis 1.00 Uhr gedauert, und nachmittags um 6.00 Uhr mußten die Befehle herausgehen. Mit 20 Minuten Verspätung sind sie herausgegangen. Ich habe da... ich mußte zu diesem Aufmarsch die Befehle selber machen. Ich habe also vier bis fünf Stunden im ganzen Zeit gehabt. Vorher war an diese Sache gar nicht gedacht worden. Der sogenannte Fall »Otto« hatte mit dieser ganzen Angelegenheit gar nichts zu tun.


DR. LATERNSER: Sie hatten also als der damals für die Ausarbeitung dieses Befehls Verantwortliche von der Nichtkenntnis bis zur Durchführung Ihrer Bereitstellung insgesamt nur wenige Stunden Zeit?


VON MANSTEIN: Ja, vier bis fünf Stunden.


DR. LATERNSER: Haben Sie als der für Kriegspläne zuständige Oberquartiermeister I etwas über die Besprechung Hitlers, die am 5. November 1937 stattgefunden hat, erfahren?


VON MANSTEIN: Nein, ich habe nichts davon erfahren.


[658] DR. LATERNSER: Sie waren Teilnehmer an der Besprechung vom 10. August 1938?


VORSITZENDER: Dr. Laternser,... Zeuge, der Gerichtshof möchte wissen, welchem Zweck der Plan »Otto« diente. Wofür wurde der Plan ausgearbeitet?


VON MANSTEIN: Beim Heer haben wir einen ausgearbeiteten Plan »Otto« nicht gehabt. Ich weiß nur, daß es ein Stichwort war für irgendwelche Maßnahmen des OKW für den Fall einer... eines Restaurationsversuches der Habsburger in Österreich in Verbindung mit Italien. Diese Möglichkeit schwebte ja immer, und ich möchte noch nachholen, daß damals, wie Hitler uns die Anordnungen über Österreich gab, seine Hauptsorge nicht etwa ein Eingreifen der Westmächte gewesen ist, sondern seine einzige Sorge war die Haltung Italiens, weil Italien immer mit Österreich und auch mit den Habsburgern anscheinend zusammengesteckt hatte.


VORSITZENDER: Sie sagen also dem Gerichtshof, daß Sie nicht wissen, ob der Plan »Otto« ein Plan für das deutsche Heer oder einen Teil des deutschen Heeres war, in Österreich einzumarschieren?


VON MANSTEIN: Nein, der Plan »Otto« ist mir überhaupt erst hier durch das Protokoll von der Vernehmung Jodls wieder klargeworden. Einen Einmarschplan in Österreich hatten wir jedenfalls beim OKH nicht, denn ich habe die Befehle damals ja alle erst in ein paar Stunden nach der Besprechung bei Hitler machen müssen.


VORSITZENDER: Aber wenn der Plan »Otto« kein Einmarschplan für Österreich war, welchem Zweck diente er dann?


VON MANSTEIN: Ich kann es eben nicht sagen, weil ich... Ich weiß nur, daß es irgendwelche Pläne des OKW waren, die mit einem Restaurationsversuch in Österreich zusammenhingen, aber wir selber haben Maßnahmen dazu meines Erinnerns überhaupt nie getroffen; ich weiß auch gar nicht, ob ich selber seinerzeit mit diesem Decknamen überhaupt befaßt worden bin; es kann sein, aber ich weiß es nicht.


VORSITZENDER: Fahren Sie fort.


DR. LATERNSER: Herr Feldmarschall! Sie waren Teilnehmer an der Besprechung am 10. August 1938. Was war der Zweck und Inhalt dieser Besprechung?


VON MANSTEIN: Diese Besprechung war etwas ganz Außergewöhnliches. Der Führer hatte zu sich bestellt auf den Berghof die Chefs der Generalstäbe derjenigen Armeen, die im Falle eines Einrückens in die Tschechoslowakei an der Grenze aufmarschieren sollten. Er hat aber nicht, wie es natürlich gewesen wäre, die Oberbefehlshaber zu sich bestellt, sondern nur die jüngere Generation, [659] möchte ich sagen, der Chefs. Er wußte damals wohl aus der Denkschrift des Generaloberst Beck und deren Überreichung durch Generaloberst von Brauchitsch, daß die Oberbefehlshaber und die Kommandierenden Generale jede Politik ablehnten, die zu einem Kriege führen konnte, und er hatte sich deswegen uns bestellt, um uns von der Notwendigkeit und der Richtigkeit seines Entschlusses zu überzeugen. Es ist das auch das einzige Mal gewesen und auch das letzte Mal, muß ich sagen, wo er bei einer solchen Versammlung nachher Fragen in einer Art Unterhaltung oder Diskussion gestattet hat. Er hatte sich insofern getäuscht, als ihm auch aus dem Kreise der Generalstabschefs Bedenken entgegengetragen wurden hinsichtlich der Möglichkeit des Eingreifens der Westmächte und überhaupt der Gefahren eines daraus entstehenden Krieges, und es kam zu einem sehr schweren und sehr unerfreulichen Zusammenstoß zwischen dem Führer und dem General von Wietersheim über diese Fragen. Seither hat er bei solchen Versammlungen nicht noch ein einziges Mal irgendeine Frage oder Diskussion zugelassen.


DR. LATERNSER: Waren die Unternehmungen Österreich, Sudetenland militärisch als Vorproben für einen Krieg anzusehen?


VON MANSTEIN: Nein, das waren sie bestimmt nicht, denn weder waren unsere Truppen voll mobil – diese Mobilmachung der Korps bei dem Einrücken in Österreich zeigte überhaupt, daß alles noch keineswegs so weit war, daß man eine Mobilmachung wirklich vernünftig durchführen konnte. Und wir hätten, wenn es zu einem Krieg gekommen wäre, weder unsere Westgrenze noch die polnische Grenze wirklich wirksam verteidigen können, und wir wären auch ganz zweifellos, wenn die Tschechoslowakei sich zur Wehr gesetzt hätte, an ihren Befestigungen hängen geblieben, denn wir hatten praktisch nicht die Mittel, sie zu durchbrechen. Also von einer militärischen Probe kann man dabei bestimmt nicht reden. Es war wohl eine Probe auf die politischen Nerven.


DR. LATERNSER: Hatten Sie, als Sie über die militärischen Vorbereitungen gegen Polen unterrichtet wurden, den Eindruck, daß ein Angriffskrieg beabsichtigt sei?


VON MANSTEIN: Ich war für den Polenkrieg bei der Mobilmachung als Chef des Generalstabs der Heeresgruppe Süd vorgesehen. Als ich die Aufmarschpläne bekam, war mir klar, daß das an sich ein Angriffsaufmarsch war. Aber es gab verschiedene ganz wesentliche Punkte, die gegen eine Angriffsabsicht sprachen. Der erste war, daß im Frühjahr 1939 auf Befehl des Führers plötzlich angefangen wurde, die ganze Ostgrenze stärkstens zu befestigen. Es sind da nicht nur viele Tausende von Arbeitern, sondern ganze Divisionen zum Schanzen eingesetzt worden, und das ganze Material aus den tschechischen Befestigungen ist dahin geschleppt und eingebaut worden. Ein breiter Streifen des fruchtbarsten Landes in [660] Schlesien wurde durch diese Befestigung weggenommen. Das ließ jedenfalls auf alles andere als auf eine Angriffsabsicht schließen. Das zweite, was dagegen sprach, war, daß die Ausbildung völlig in dem friedensmäßigen Turnus weiterlief. Ich bin selbst – ich war damals Divisionskommandeur im Frieden – mit meiner Division bis Mitte August auf dem Übungsplatz gewesen in der Lausitz, also weitab von der Gegend, in der meine Division aufmarschieren sollte. Dann kam dazu, daß wir wußten von der Unterhausrede von Chamberlain, in der er den Polen den Beistand Englands zugesagt hatte, und da Hitler bei jeder Gelegenheit – solange ich im OKH gewesen war – immer erklärt hatte, er würde es nie auf einen Zweifrontenkrieg ankommen lassen, konnte man nicht annehmen, daß angesichts dieses Versprechens er sich auf eine abenteuerliche Politik einlassen würde.

Andererseits lag uns aber eine völlig zuverlässige Nachricht vor, die nachher auch in der Praxis bestätigt worden ist, nämlich die, daß die Polen in der Provinz Posen zu einer Offensive Richtung Berlin aufmarschieren wollten. An sich war uns diese Absicht völlig unverständlich nach der ganzen Lage, aber die Polen sind tatsächlich später so auch aufmarschiert. Man konnte also wohl mit dem Eventualfall eines Krieges rechnen, aber sehr wohl mit der Möglichkeit, daß die Polen, in der Hoffnung auf englische Hilfe, und wenn die politischen Verhandlungen sich aufs äußerste zugespitzt hätten, selbst eine Unvorsichtigkeit begehen und angreifen würden, wenn sie schon so in Offensive aufmarschieren, und dann wäre es natürlich zum Kriege gekommen. Aber nach all diesen Anzeichen konnte man nicht annehmen, daß Hitler einen Angriffskrieg gegen Polen sozusagen vom Zaune brechen wollte.

Ich habe auch aus der Besprechung auf dem Obersalzberg am 22. August nicht den Eindruck mitgenommen, daß es unbedingt zum Krieg kommen würde, und dieser Eindruck hat sich bei mir und bei dem Oberbefehlshaber, dem Feldmarschall von Rundstedt, erhalten bis in die Nacht vom 31. August zum 1. September, nachdem schon am 25. ein Einmarschbefehl wieder zurückgenommen worden war.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich nunmehr.


[Das Gericht vertagt sich bis

10. August 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 20, S. 625-662.
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