Vormittagssitzung.

[583] VORSITZENDER: Ich glaube, ich sagte schon – jedenfalls möchte ich es nochmals feststellen – daß der Gerichtshof morgen bis 1.00 Uhr mittags in offener Sitzung verhandeln wird.

MAJOR ELWYN JONES: Zeuge! Gestern bin ich mit Ihnen die Auszüge aus Ihrem Tagebuch von 1944 durchgegangen. Haben Sie ein Exemplar zur Hand? Ich nehme Bezug auf das Dokument 3546-PS, das GB-551 wird.

Ich möchte feststellen, Euer Lordschaft, daß diese Auszüge, die hier in 3546-PS vorgelegt werden, nur sporadische Auszüge aus dem Tagebuch mit Bezug auf die medizinischen Experimente sind. Es befinden sich in dem Tagebuch noch viele andere Einträge, die sich auf andere Punkte der Tätigkeit des »Ahnenerbe« beziehen.

Wir sind gestern bis zum 2. Februar gekommen. Sehen Sie sich nun die Eintragungen vom 22. Februar an. Sie werden sehen, daß Sie eine Besprechung mit einem Dr. May hatten; und dann ist da eine Eintragung da über die Zusammenarbeit mit Dr. Plötner und Professor Schilling. Was war damals Dr. Plötners Arbeit?


SIEVERS: Ich höre die deutsche Übertragung nicht... Jetzt höre ich.


VORSITZENDER: Haben Sie die Frage gehört?


SIEVERS: Ja.

Dr. Plötner war tätig bei Professor Schilling. Es bezog sich auf die Mitteilung von Himmler am 23. Januar, wonach die Berichte Schillings Dr. May zugeleitet werden sollten. Diese Berichte sind nicht zugeleitet worden, weil Schilling eine Zusammenarbeit ablehnte.


MAJOR ELWYN JONES: Nun, blättern Sie weiter zum 25. Februar.


VORSITZENDER: Ist dies ein gesondertes Dokument, oder ist es in dem Buch?


MAJOR ELWYN JONES: Es ist im Dokumentenbuch, Euer Lordschaft, Seite 29 des Dokumentenbuches, Beweisstück 3546-PS.

Am 25. Februar haben Sie eingetragen:

»Befehl Reichsführer-SS wegen seiner Arbeiten in Dachau und Zusammenarbeit mit Rascher bekanntgegeben.«

»22. März... 18.30-21.00 Uhr SS-Hauptsturmführer Dr. Rascher:... Vorbereitung der Kälteversu che für Winterhalbjahr 44/45.«

[583] Sie waren doch an jenem Tag mit Rascher in Dachau, nicht wahr?

SIEVERS: Es handelt sich um die Versuche, die Himmler, wie ich bereits in der Kommissionssitzung sagte, wegen der Erfrierungen im Osten durchgeführt haben wollte. Diese Versuche ließen sich in Dachau nicht durchführen. Das wurde Himmler gemeldet, und er ordnete an, daß sie dann in dem nächsten Winterhalbjahr durchgeführt werden sollten. Sie sind nicht zur Durchführung gekommen, weil Rascher bereits im April verhaftet wurde.

MAJOR ELWYN JONES: Für wen führten Sie die Experimente aus, für die Wehrmacht?


SIEVERS: Diese Versuche sollten in Verbindung mit dem Reichsarzt-SS Grawitz durchgeführt werden.


MAJOR ELWYN JONES: Er war der Hauptarzt der SS, nicht wahr, Grawitz?


SIEVERS: Jawohl.


MAJOR ELWYN JONES: Diese Experimente wurden zum Vorteil der Waffen-SS durchgeführt, stimmt das?


SIEVERS: Grawitz hat die Durchführung dieser Experimente selbst abgelehnt, und durch die laufenden Verhandlungen sind sie auch – wie Himmler es haben wollte – vor dem Winter 1943/1944 nicht durchgeführt worden. Grawitz stand auf dem Standpunkt, daß, wenn solche Untersuchungen gemacht werden sollten, Herr Rascher sich an die Front begeben und in den Lazaretten arbeiten sollte.


MAJOR ELWYN JONES: Sie haben meine Frage nicht beantwortet, Zeuge. Für wen wurden die Experimente durchgeführt? Für die Waffen-SS?


SIEVERS: Der Durchführungsauftrag lag gar nicht vor. Die Arbeiten... die Zusammenarbeit bestand zwischen dem Reichsarzt-SS und der Wehrmacht. Im einzelnen bin ich da nicht informiert.


MAJOR ELWYN JONES: Bitte... Sehen Sie sich die nächste Eintragung an:

»14. April... Station Rascher: Stand der Arbeiten, zukünftige Arbeiten, Anweisungen für die vorläufige Fortführung, SS-Hauptsturmführer Dr. Plötner eingewiesen.«

Nun, das war doch die Zeit, als Rascher verhaftet wurde?

SIEVERS: Jawohl, als Rascher verhaftet war.

MAJOR ELWYN JONES: Und Hauptsturmführer Plötner war Raschers Nachfolger, nicht wahr?


SIEVERS: Jawohl.

[584] MAJOR ELWYN JONES: Und die Experimente in Dachau und anderen Orten wurden fortgeführt? Die Entfernung von Rascher machte keinen Unterschied, nicht wahr?


SIEVERS: Das waren ganz andere Arbeiten als die, die Rascher begonnen hat... als die, die Rascher durchgeführt hat.


MAJOR ELWYN JONES: Sie waren bei einigen Experimenten Raschers anwesend. Waren Sie das nicht?


SIEVERS: Ich bin mehrmals in Dachau gewesen, ja.


MAJOR ELWYN JONES: Und Sie waren verschiedene Male mit Himmler dort, wenn Rascher seine Experimente durchführte. Waren Sie das nicht?


SIEVERS: Nein, ich bin mit Himmler zusammen niemals in Dachau bei Rascher gewesen.


MAJOR ELWYN JONES: Sehen Sie sich das Dokument an, 2428-PS, GB-582, eine eidesstattliche Versicherung von Dr. Pacholegg, von dem Sie gestern gesprochen haben.

Euer Lordschaft! Sie finden es auf Seite 25 im englischen Dokumentenbuch und Seite 32 im deutschen Dokumentenbuch.


[Zum Zeugen gewandt:]


Sie sehen diese Frage samt Antwort, die an Pacholegg gestellt wurde, nachdem er die Experimente beschrieben hatte, bei denen man die Opfer in kaltes Wasser warf, und die Experimente mit Prostituierten, um die Wärme dieser Leute wiederherzustellen:

»Frage: Wer war bei einem solchen Experiment anwesend?

Antwort: Heinrich Himmler und sein Stab haben gewöhnlich diese wichtigen Experimente hier in Dachau beobachtet oder auch irgendwelche neuen Experimente.

Standartenführer Sievers war immer anwesend mit Himmler.«


SIEVERS: Das ist nicht wahr.

MAJOR ELWYN JONES: Das waren doch abscheuliche Experimente, nicht wahr, Zeuge?


SIEVERS: Sie erwähnen diese Versuche da, obwohl ich eben sagte, daß ich nicht dabeigewesen bin, als Himmler da war.


MAJOR ELWYN JONES: Waren Sie jemals anwesend wenn Himmler nicht da war?


SIEVERS: Ich habe zwei Experimente gesehen. Einen... es handelt sich um einen... wie ich gestern sagte, um einen Versuch, den ich teilweise gesehen habe, als Professor Hirth da war, und einen Versuch in der Unterdruckkammer.


[585] MAJOR ELWYN JONES: Ich bitte Sie, auf Seite 30 in dem deutschen Dokumentenbuch umzublättern. Seite 22 im englischen, damit Sie Ihr Gedächtnis auffrischen und sehen können, welche Leiden diese Opfer in diesen sogenannten Unterdruckkammern durchzumachen hatten.

Es ist die letzte Antwort auf Seite 22 im englischen Dokumentenbuch, Euer Lordschaft.

Pacholegg sagt dort:

»Ich habe persönlich durch das Beobachtungsfenster der Kammer mit angesehen, als ein Gefangener das Vakuum solange aushielt, bis ihm die Lungen platzten. Einige Versuche verursachten einen solchen Druck im Kopf, daß die Menschen verrückt wurden und sich die Haare ausrissen, um sich Erleichterung von dem Druck zu verschaffen. Sie haben sich Kopf und Gesicht mit ihren Fingern und Nägeln zerrissen in einem Versuch, sich in ihrer Verrücktheit zu verletzen. Sie schlugen und stießen mit ihren Händen und Köpfen gegen die Wände und schrieen in dem Bestreben, den Druck auf das Trommelfell zu erleichtern. Die Fälle von völligem Vakuum endeten im allgemeinen mit dem Tod der Versuchspersonen. Ein Experiment mit völligem Vakuum führte so sicher zum Tode, daß man in vielen Fällen die Kammer mehr als routinemäßige Hinrichtungsmethode benutzte, als für einen Versuch. Ich wußte von Raschers Versu chen, in denen man Gefangene einem Vakuum oder stärkstem Druck oder einer Kombination von beiden 30 Minuten lang aussetzte. Die Versuche wurden im allgemeinen in zwei Gruppen eingeteilt, die einen als die sogenannten lebenden Experimente und die anderen einfach als die X-Experimente, was soviel bedeutete wie Hinrichtungsexperiment.«

Solcher Art waren die Experimente, die Rascher für die Luftwaffe durchführte. Stimmt das, Zeuge?

SIEVERS: Es handelt sich um die Unterdruckkammerversuche. Ihre aktive Durchführung ist mir zum erstenmal bekanntgeworden durch diese Verlesung hier. Bei den Versuchen, die ich gesehen habe, ist ein solcher Verlauf...

MAJOR ELWYN JONES: Beantworten Sie nur meine Frage. Solche Experimente wurden für die Luftwaffe durchgeführt. Stimmt das?


SIEVERS: Jawohl.


MAJOR ELWYN JONES: In welchem Umfange nahm Göring an diesen Experimenten teil?


SIEVERS: Das ist mir nicht bekannt, weil die Experimente als solche ja 1941 begonnen haben und ich von ihnen erst erfahren [586] habe, als sie bereits begonnen hatten. Die Verbindungen zur Luftwaffe liefen über die Sanitätsinspektion der Luftwaffe. Inwieweit Göring davon unterrichtet war, ist mir nicht bekannt.


MAJOR ELWYN JONES: Durch wen wurde im Zusammenhang mit diesen wissenschaftlichen Experimenten die Verbindung mit der Marine gehalten?


SIEVERS: Das ist mir nicht bekannt.


MAJOR ELWYN JONES: Und mit dem Heer?


SIEVERS: Das ist mir auch nicht bekannt.


MAJOR ELWYN JONES: Hören Sie, Sie waren der Direktor dieses wissenschaftlichen Forschungsinstituts für militärische Zwecke? Sie müssen doch mit allen Wehrmachtsteilen Verbindungen gehabt haben, nicht wahr?


SIEVERS: Die Verbindung zwischen diesen Luftwaffenangelegenheiten liefen über den Obergruppenführer Wolff zu Generalfeldmarschall Milch.


MAJOR ELWYN JONES: Der Luftwaffenarzt, der an diesen Experimenten Raschers arbeitete, war doch Weltz, nicht wahr? Weltz, Oberfeldarzt der Luftwaffe, nicht wahr?


SIEVERS: Das kann sein. Also da sind mehrere Herren erwähnt und genannt worden, die ich im einzelnen nicht kenne, und es sind auch Briefe geschrieben worden im Auftrag von Rascher, dienstlich, an Persönlichkeiten. Aber ohne Unterlagen weiß ich jetzt auch nicht mehr, wer das war; das habe ich voriges Jahr hier ja schon zu Protokoll gegeben.


MAJOR ELWYN JONES: Bedeutet der Name Dr. Holzlöhner etwas für Sie? Er hat den Bericht über die Schillingschen Experimente unterzeichnet.


SIEVERS: Ja.


MAJOR ELWYN JONES: Er war Professor für Physiologie an der medizinischen Fakultät der Universität Kiel. Stimmt das?


SIEVERS: Ja, ich erwähnte in der Kommissionssitzung, daß ja Professor Holzlöhner bei den Versuchen mit Rascher in Dachau zusammengearbeitet hat.


MAJOR ELWYN JONES: War er der Vertreter der Marine bei diesen Experimenten?


SIEVERS: Nein, er war Luftwaffenarzt.


MAJOR ELWYN JONES: Erinnern Sie sich an die Experimente, die durchgeführt wurden, um Meerwasser trinkbar zu machen?


SIEVERS: Ja, ich habe davon gehört.


[587] MAJOR ELWYN JONES: Sie haben stattgefunden... sie begannen im Mai 1944, nicht wahr?


SIEVERS: Ja, das kann sein, Mai.


MAJOR ELWYN JONES: Und Sie erinnern sich, daß Sie am 20. Mai 1944 im Luftfahrtministerium an einer Besprechung teilnahmen, zu der Angehörige der Marine und der Luftwaffe eingeladen waren. Erinnern Sie sich an diese Konferenz?


SIEVERS: Ich erinnere mich an keine Konferenz im Luftfahrtministerium.


MAJOR ELWYN JONES: Erinnern Sie sich an eine Besprechung über diese Experimente, Meerwasser trinkbar zu machen, die anderswo stattgefunden hat?


SIEVERS: Ja. Es handelt sich um eine Besprechung bei dem Reichsarzt-SS Dr. Grawitz. Ich muß hierzu erklären, daß nach der Verhaftung von Rascher der Nachfolger Dr. Plötner die Durchführung von Menschenversuchen seinerseits ablehnte. Erst durch die Verhaftung von Rascher kam ja erst ans Licht, in welcher grausamen und weit über seinen Auftrag hinausgehenden Weise Rascher gearbeitet hat. Himmler erklärte...


MAJOR ELWYN JONES: Gut, einen Augenblick, darüber werde ich Sie sogleich verhören. Jetzt möchte ich, daß Sie sich erst einmal an diese Experimente, Meerwasser trinkbar zu machen, zu erinnern versuchen. Erinnern Sie sich an eine Besprechung, an der Vertreter der Luftwaffe und der Marine teilnahmen? Das ist alles, was ich im Augenblick wissen will. Ihre Erklärungen können Sie ja nachher geben.


SIEVERS: Ich sagte, ich erinnere mich daran, daß diese Besprechung bei Dr. Grawitz stattgefunden hat und später eine Besprechung in Dachau mit Herren der Luftwaffe. Ob welche der Marine dabei waren, weiß ich nicht mehr.


MAJOR ELWYN JONES: Aber ich möchte, daß Sie versuchen, sich zu erinnern, weil es sehr wichtig ist. Es handelte sich um Experimente mit Meerwasser. Man sollte doch annehmen, daß sich die Marine dafür interessierte. Die Marine war auch interessiert und schickte deshalb einen Vertreter. War es nicht so?


SIEVERS: Ich glaube nicht, daß ein Vertreter der Marine dabei war.


MAJOR ELWYN JONES: Kennen Sie Dr. Laurenz, im Zusammenhang mit U-Booten in Kiel, Laurenz?


SIEVERS: Nein, den kenne ich nicht.


MAJOR ELWYN JONES: Wurde im Zusammenhang mit diesen Meerwasserexperimenten beschlossen, Zigeuner für diese Versuche zu verwenden?


[588] SIEVERS: Ja, ich muß hierzu die vorhin begonnene Erklärung fortsetzen, weil das sehr entscheidend ist.

Dr. Plötner hatte die Fortsetzung von Menschenversuchen abgelehnt; Himmler verlangte sie auch nicht von ihm. Infolgedessen bekam Grawitz den Auftrag, sich dieser Sachen anzunehmen. Es zeigt sich also, daß immer die Bereitschaft des Arztes Voraussetzung war, wenn ein Menschenversuch gemacht werden sollte. Grawitz teilte mit, daß die Luftwaffe, und zwar ein Professor aus Wien, den Antrag gestellt habe, Häftlinge seitens... also Häftlinge zur Verfügung zu stellen – es kann dabei im Zusammenhang von Zigeunern gesprochen worden sein – für die Untersuchungen über Verträglichkeit von Meerwasser. Über die Einzelheiten der Durchführung weiß ich nichts. Es wurde damals nur befohlen, daß die chemischen und physiologischen Untersuchungen durchgeführt werden sollten, und es mußte dafür in dem Institut von Dr. May, in dem Entomologischen Institut, mußten dann für drei Wochen zwei Räume zur Verfügung gestellt werden, in denen dann diese Luftwaffenärzte arbeiteten. Sonst haben mit diesen Versuchen...


MAJOR ELWYN JONES: Sie hatten doch einen Stab für diese Experimente in Dachau arbeiten, der aus einem Leiter, drei medizinischen Chemikern, einem weiblichen Gehilfen und drei Unteroffizieren bestand, nicht wahr, für diese Meerwasserversuche von Grawitz?


SIEVERS: Ja, das kann sein, denn das unterstand ja Grawitz und seinen Anordnungen, von deren Durchführung ich nichts erfahren habe. Es handelte sich... Von uns wurden einfach die Räume beschlagnahmt. Alles Weitere wurde von Grawitz veranlaßt. Ich weiß nicht, wer dann dort gearbeitet hat und ob auch Personal von der SS mitgearbeitet hat, zusammen mit den Herren von der Luftwaffe aus Wien.


MAJOR ELWYN JONES: Warum hat dieser Stab in Dachau gearbeitet? Warum hat man gerade Dachau als Ort für die wissenschaftlichen Versuche zur Trinkbarmachung von Meerwasser gewählt? Es geschah, weil sie diese menschlichen Versuchskaninchen dort hatten, nicht wahr?


SIEVERS: Ich sagte ja, daß die Luftwaffe bei Himmler für diesen Zweck Häftlinge beantragt hatte. Infolgedessen wurden diese Arbeiten über Grawitz in Dachau durchgeführt.


MAJOR ELWYN JONES: Nun kommen wir zurück auf Ihr Tagebuch. Seite 30 im englischen Dokumentenbuch, Euer Lordschaft. Sie sehen die Eintragung vom 14. April: »Politische Abteilung wegen Flucht Pacholegg.«

Der Häftling Pacholegg entfloh, nicht wahr?


[589] SIEVERS: Jawohl, er war jedenfalls verschwunden.

MAJOR ELWYN JONES: Warum wandten Sie sich in dieser Angelegenheit an die Politische Abteilung?


SIEVERS: Weil ich zuletzt mit Rascher und Pacholegg in Vorarlberg gewesen war und man mir Fluchtbegünstigung in diesem Fall vorgeworfen hat. Es handelte sich um die ganze Verhaftungsangelegenheit, als die ganze Bombe Rascher platzte in dieser Zeit.


MAJOR ELWYN JONES: Sie müssen außerordentlich aufgeregt gewesen sein, als Pacholegg entkam. Er wußte sehr viel über Ihre Tätigkeit, nicht wahr, und Sie waren äußerst bemüht, ihn wieder einfangen zu lassen?


SIEVERS: Ich war vor allen Dingen persönlich besorgt, denn es dürfte ja nicht schwer zu erklären sein, wenn... was mir passiert wäre in diesem Fall, da Pacholegg viel wußte, wenn mir nachgewiesen worden wäre, wie behauptet wurde, ich hätte seine Flucht begünstigt.


MAJOR ELWYN JONES: Wenn Sie sich die Eintragung vom 23. Mai ansehen, werden Sie finden, daß Sie eine Zusammenkunft mit dem Reichsarzt-SS Grawitz, mit Poppendiek und Plötner hatten. Dann kommt: »Abgrenzung gegenüber Arbeitsbereich Schilling«, und dann hatten Sie am Nachmittag eine zweistündige Besprechung mit Plötner. Es handelt sich dabei doch um diese Versuche, Meerwasser trinkbar zu machen, nicht wahr?


SIEVERS: Nein. Es handelte sich hierbei um das völlige Ausscheiden von Plötner bei Schilling, der bewegte Klage über die Art der Arbeit von Schilling führte und erklärte, daß er dort nicht mehr weiterarbeiten könnte. Er war dort hinkommandiert als der Waffen-SS angehörender Arzt.


MAJOR ELWYN JONES: Sie selbst müssen doch zu dieser Zeit auch Gewissenskonflikte hinsichtlich der Verwendung von Häftlingen gehabt haben, denn Ihre militärische Lage war doch ziemlich heikel, nicht wahr?


SIEVERS: Ich habe diese Gewissenskonflikte nicht erst damals empfunden, sondern ich habe sie schon viel früher empfunden und habe auch deshalb auf Grund der jetzt vorgelegten Dokumente und der dabei gegen mich persönlich erhobenen Vorwürfe... bin ich gezwungen zu einem persönlichen Geständnis, der Abgabe einer grundsätzlichen Erklärung, wofür ich das Gericht um Gehör bitte.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Sie in dieser Hinsicht alles sagen dürfen, was Sie wollen.


MAJOR ELWYN JONES: Ich möchte sagen, Euer Lordschaft, daß ich noch einige Fragen an den Zeugen zu stellen habe.


[590] VORSITZENDER: Das können Sie zuerst tun.


MAJOR ELWYN JONES: Wenn er seine Erklärung auf das Ende des Verhörs verschieben will, kann er das tun, aber es dürfte für mich zweckdienlich sein, wenn er sein Geständnis jetzt ablegt. Aber ich füge mich natürlich ganz der Entscheidung des Gerichtshofs.


VORSITZENDER: Lassen Sie es ihn dann jetzt machen.


MAJOR ELWYN JONES: Jawohl, Euer Lordschaft. Wollen Sie dann Ihr Geständnis jetzt vor dem Gerichtshof ablegen.


SIEVERS: In der Kommissionssitzung vom 27. Juni habe ich gemäß der Fragestellung sachliche Feststellungen zur Sache zu machen gehabt. Schon dabei wiederholt zur Kürze aufgefordert, habe ich mich auch auf das rein Sachliche beschränken müssen und meine Person und persönliche Einstellung zu den Fragen ausgeschaltet. Wie ich sehe, hat das jetzt zur Folge gehabt, meine Glaubwürdigkeit einmal anzuzweifeln, zu unterstellen, ich hätte persönlich an den inkriminierten Forschungsarbeiten mitgewirkt und wolle nicht die Wahrheit sagen. Ich muß mich deshalb nach Klärung der Sachlage nunmehr persönlich rechtfertigen. Ich bin sowohl in die Partei wie in die SS als führendes Mitglied einer Geheimorganisation der Widerstandsbewegung und in deren Auftrag eingetreten. Gerade die Position im »Ahnenerbe« bot besondere Möglichkeiten für uns, illegale Arbeit gegen das Nazi-System...


MAJOR ELWYN JONES: Zeuge! Wenn Sie »Widerstandsbewegung« sagen, habe ich Sie nicht ganz verstanden. Was für eine Widerstandsbewegung ist das, die Sie geführt haben?


SIEVERS: In der Geheimorganisation, die von Dr. Hilscher geleitet wurde, der im Zusammenhang mit dem 20. Juli verhaftet wurde, längere Zeit von der Gestapo festgehalten war und im Gefängnis saß. Ich habe deshalb auch gegen die Experimente mehrmals protestiert, was schließlich zur Folge hatte, daß Himmler die auch hier in den Dokumenten bekannte Anordnung erließ, wonach Widerstand gegen diese Arbeiten als Landesverrat betrachtet wurde; demgemäß stand Hinrichtung darauf. Er sagte mir unter anderem, daß von mir persönlich ja niemand die Durchführung der Versuche fordere, für die er allein die Verantwortung trage. Im übrigen seien solche Menschenversuche, wie ich dann auch selbst las, in der ärztlichen Wissenschaft wiederholt erfolgt und auch nicht zu umgehen. Es beweisen das die berühmt gewordenen Menschen versuche im Jahre 1900 von Dieth und später Goldberger in Amerika; trotzdem hat das meinen Gewissenskonflikt...


MAJOR ELWYN JONES: Euer Lordschaft! Ich weiß nicht, ob der Gerichtshof mehr davon hören will. Es scheint mir, daß es sich [591] weniger um ein Geständnis und vielmehr um eine Umgehung handelt. Ich habe dem Zeugen noch eine Menge Fragen zu stellen.


SIEVERS: Ich komme ja jetzt zu meinem Geständnis.


VORSITZENDER: Herr Elwyn Jones! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Sie jetzt mit dem Kreuzverhör fortfahren sollten. Wenn der Zeuge am Schluß noch etwas hinzufügen will, kann er das tun.


MAJOR ELWYN JONES: Nun sehen Sie sich wieder Ihr Tagebuch an. Am 27. Juni hatten Sie eine Besprechung mit SS-Stabsführer Dr. Brandt und SS-Hauptsturmführer Dr. Berg über die »Errichtung einer wissenschaftlichen Forschungsstätte in einem Konzentrationslager. Bericht über Besprechung vom 15. Juni 1944 mit SS-Obergruppenführer Pohl.« Das war am 27. Juni 1944, wie Sie wissen. Am 25. Juli hatten Sie eine »Besprechung bei SS-Stabsführer Maurer, Oranienburg, über Häftlingseinsatz für wissenschaftliche Aufgaben«. Das war, als Sie in der Widerstandsbewegung führend tätig waren! Am 26. Juli »SS-Hauptsturmführer Dr. Fischer... Anweisung laut Rücksprache mit SS-Stabsführer Maurer vom 25. Juli 1944 schnellstens sämtliche Lager zu bereisen zur endgültigen Feststellung der Personen«. Am 21. Oktober hatten Sie eine andere Besprechung »Weiterführung der Untersuchungen SS-Sturmbannführer Prof. Dr. Hirth, Wiederfreigabe dazu vom Stabsarzt Dr. Wimmer und Bereitstellung des Chemikers SS-Obersturmführer Martinek...« Am 23. Oktober hatten Sie eine Besprechung mit Poppendiek. An dem Tag notieren Sie in Ihrem Tagebuch: »Übernahme von biologischen Untersuchungen durch SS-Hauptsturmführer Dr. Plötner in Dachau.«

Zeuge! Erinnern Sie sich an Ihre Experimente über die Beschleunigung der Blutgerinnung?


SIEVERS: Nein.


MAJOR ELWYN JONES: Haben Sie an derartigen Experimenten teilgenommen?


SIEVERS: Ich habe an solchen Experimenten nie teilgenommen, weil ich kein Forscher bin. Ich erinnere mich an diese Arbeiten sehr genau. Dr. Plötner hat, wie ich ausführte, die Durchführung von Menschenversuchen abgelehnt. Diese Erprobung des Blutstillmittels...


MAJOR ELWYN JONES: Ich muß Sie leider unterbrechen, Zeuge, aber ich möchte, daß Sie berichten, was Sie persönlich über diese Versuche wissen. Was war zum Beispiel ihre Form?


SIEVERS: Die Erprobung dieses Blutstillmittels erfolgte in den Universitätskliniken von Innsbruck unter Leitung von Professor Breitner und in der Universitätsklinik Wien unter der Leitung von Professor Denk.


[592] MAJOR ELWYN JONES: Der Vorgang war doch so, daß Kugeln auf Gefangene, KZ-Häftlinge, abgeschossen wurden? Das war die Form dieser Experimente, nicht wahr?


SIEVERS: Dieses Experiment hat Rascher gemacht und nicht Dr. Plötner. Sie kamen erst zutage, als Rascher verhaftet worden ist.


MAJOR ELWYN JONES: Es interessiert mich nicht, wer die Experimente ausführte. Sie kennen ihre Form, daß man Kugeln abschoß auf Konzentrationslagerinsassen, und dann wurde versucht, das Bluten zu stillen. So haben sich doch die Experimente abgespielt, stimmt das etwa nicht?


SIEVERS: Es kam aber erst heraus, als Rascher verhaftet war. Vorher hatte er behauptet, daß diese Experimente im Krankenhaus in Schwabing gemacht wurden unter anderem.


MAJOR ELWYN JONES: Sehen Sie sich das Dokument NO-065 an, Seite 8 im englischen Dokumentenbuch. Es wird GB-583. Das ist eine eidesstattliche Erklärung von Oswald Pohl, dem Chef des WVHA. Sehen Sie sich Absatz 4 an, Seite 11 im deutschen Dokumentenbuch, Absatz 4, in dem er über Sie einiges aussagt; ich lese nur einen Teil dieses Absatzes 4:

»Sievers (Ahnenerbe). Hiervon habe ich erstmalig bei einem Besuch Sievers' bei mir in Berlin gehört, als die Versuche scheinbar schon abgeschlossen waren; denn er kam, um von mir eine Herstellungsmöglichkeit (Fabrikationseinrichtung) zu erfahren. Ich nannte ihm die Deutsche Heilmittel G. m. b. H. in Prag, die zu den Deutschen Wirtschaftsbetrieben gehörte, welche der Oberführer Baierin meinem Stabe verwaltete. An diesen verwies ich Sievers. Das Mittel ist dann später in Schlachters (Schwarzwald) hergestellt worden.

Sievers erzählte mir folgendes: Das ›Ahnenerbe‹, dessen Geschäftsführer Sievers war, habe im Auftrage Himmlers in Dachau ein Medikament entwickelt, welches das Blut schnell zum Gerinnen brächte. Es sei enorm wichtig für unsere Kampftruppen, weil es das schnelle Verbluten verhindere. Die Versuche in Dachau, bei denen man einen Häftling beschossen habe, hätten das ergeben. An der Entdeckung des Mittels sei ein Dachauer Häftling, der Fachmann sei, hervorragend beteiligt.«

Nun, diese Tatsachen stimmen doch, nicht wahr?

SIEVERS: Ja, der Bericht ist nur vollkommen unvollständig; als diese Besprechung stattfand, war Rascher ja längst verhaftet, und da war bekannt, daß er diesen Versuch selbst gemacht hatte. Ich [593] habe Pohl aber eingehend erzählt, weil es sich ja um die Herstellung des von Dr. Plötner erst zur Vollendung gebrachten Mittels handelte, von den Versuchen unter Vorlage der Gutachten der Professoren Breitner und Denk aus Wien. So gibt es ein vollkommen schiefes Bild, was hier niedergeschrieben ist.

MAJOR ELWYN JONES: Zeuge! Rascher ist tot. Es ist bequem, ihm alle Schuld zuzuschreiben, nicht wahr?


SIEVERS: Es handelt sich ja hier darum, die Tatsachen aufzuklären. Ich kann deshalb nur das sagen, was wahr ist und was ich genau weiß.


MAJOR ELWYN JONES: Hatten Sie irgend etwas mit der Erforschung der Ursache der ansteckenden Gelbsucht zu tun?


SIEVERS: Nein, ist mir nicht bekannt.


MAJOR ELWYN JONES: Sehen Sie sich das Dokument NO-010 an, Seite 4 des englischen Dokumentenbuches, GB-584. Das ist, wie Sie sehen, ein Brief von Grawitz an Himmler. Er ist datiert vom 1. Juni 1943 und überschrieben »Geheime Kommandosache. Betreff: Erforschung der Ursache der ansteckenden Gelbsucht. Reichsführer!«


VORSITZENDER: Was ist die Unterschrift?


MAJOR ELWYN JONES: Es ist die Unterschrift von Grawitz, nicht wahr, des Reichsarztes der SS und der Polizei?


SIEVERS: Jawohl.


MAJOR ELWYN JONES:

»Reichsführer! Der Generalkommissar des Führers, SS-Brigadeführer Prof. Dr. Brandt...«

Ich unterbreche, er war der Reichskommissar für Gesundheit und Hygiene, stimmt das?

SIEVERS: Jawohl.

MAJOR ELWYN JONES:

»Der Generalkommissar des Führers... ist an mich herangetreten mit dem Ersuchen, bei der von ihm wesentlich geförderten Erforschung der Ursachen der ansteckenden Gelbsucht durch Zur-Verfügung- Stellung von Häftlingsmaterial behilflich zu sein.

Die Arbeit ist bisher durchgeführt von einem Stabsarzt Dr. Dohmen im Rahmen der Forschungsstätte der Heeres-Sanitäts-Inspektion unter Beteiligung des Robert-Koch-Instituts. Sie hat bisher in Übereinstimmung mit den Ergebnissen anderer deutscher Forscher zu dem Ergebnis geführt, daß die ansteckende Gelbsucht nicht durch Bakterien, sondern durch ein Virus übertragen wird. Zum Vorantreiben der Erkenntnisse, die sich bisher nur auf Überimpfungsversuche von [594] Mensch auf Tier stützen, wäre nunmehr der umgekehrte Weg, nämlich die Überimpfung der erzüchteten Virusstämme auf den Menschen erforderlich. Mit Todesfällen muß gerechnet werden. Die therapeutischen, vor allem aber prophylaktischen Folgerungen sind naturgemäß von diesem letzten experimentellen Schritt weitgehend abhängig.

Benötigt würden 8 zum Tode verurteilte Häftlinge, möglichst jüngeren Alters im Rahmen des Häftlings-Lazaretts K.L. Sachsenhausen.

Ich bitte gehorsamst um Entscheid, Reichsführer,

1. ob ich die Versuche in der beschriebenen Form anlaufen lassen darf,

2. ob die Versuche im Häftlings-Lazarett des K.L. Sachsenhausen von Herrn Stabsarzt Dr. Dohmen selbst durchgeführt werden dürfen.

Obwohl Herr Dohmen nicht der Schutzstaffel angehört (er ist SA-Führer und Parteigenosse), würde ich es in diesem Falle im Interesse der Kontinuität der Versuchsreihe und damit der Exaktheit des Ergebnisses ausnahmsweise befürworten.

Die praktische Bedeutung der angeschnittenen Frage für unsere Truppen, vor allem in Süd-Ruß land, ergibt sich aus der Tatsache, daß sowohl bei uns in der Waffen-SS und Polizei wie auch beim Heer diese Krankheit in den vergangenen Jahren sehr umfangreiche Ausbreitung angenommen hat, so daß Kompanien in sechs Wochen bis zu 60 % an Ausfall hatten.«

Dann kommen noch weitere Erklärungen über die Krankheit, und unterschrieben ist es von Grawitz. Grawitz war Vizepräsident des Deutschen Roten Kreuzes, nicht wahr?

SIEVERS: Ja.

MAJOR ELWYN JONES: Nun blättern Sie um zum nächsten Dokument NO-011 auf Seite 5 des englischen Dokumentenbuches, GB-585. Das ist die Antwort Himmlers auf den Brief von Grawitz. Er ist datiert vom 16. Juni 1943.

»Betr.: Erforschung der Ursache der ansteckenden Gelbsucht.«

Himmler schreibt:

»1.) Ich genehmige, daß 8 zum Tode verurteilte Verbrecher in Auschwitz (8 zum Tode verurteilte Juden der polnischen Widerstandsbewegung) für die Versuche verwendet werden.

2.) Ich bin einverstanden, daß Dr. Dohmen diese Versuche in Sachsenhausen macht.

[595] 3.) Ich bin mit Ihnen der Ansicht, daß eine wirkliche Bekämpfung der ansteckenden Gelbsucht von unerhörtem Wert wäre.«

Das ist von Himmler unterzeichnet und zeigt folgenden Vermerk am Ende:

»SS-Obergruppenführer Pohl, Berlin, durchschriftlich mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt.«

Diese Experimente über die Ursache der ansteckenden Gelbsucht wurden für die Waffen-SS und die Wehrmacht ausgeführt, nicht wahr?

SIEVERS: Ich erfahre heute zum erstenmal davon. Es ist mir nichts bekannt, und ich weiß nicht, was ich damit zu tun haben soll.

MAJOR ELWYN JONES: Gut. Nun, dann möchte ich, daß Sie sich jetzt mit Ihren Versuchen über Fleckfieberserum beschäftigen. Vielleicht sind Ihnen diese Experimente vertrauter. Wußten Sie darüber etwas? Professor Haagen könnte Ihnen Aufschluß geben?


SIEVERS: Jawohl, Professor Haagen hat Schutzimpfungen gegen Fleckfieber durchgeführt in Natzweiler auf Antrag des Lagers, weil dort Fleckfieber war.


MAJOR ELWYN JONES: Wer beauftragte Haagen mit dieser Aufgabe?


SIEVERS: Eine Abstellung ist gar nicht erfolgt; Haagen war Hygieniker an der Universität Straßburg.


MAJOR ELWYN JONES: Ich habe Sie gefragt, wer ihn mit dieser Arbeit beauftragte und nicht, welche Qualifikationen er dafür hatte.


SIEVERS: Ja, soviel ich mich entsinne, sind diese Arbeiten durchgeführt worden von Haagen im Auftrag der Sanitätsinspektion der Wehrmacht und der Luftwaffe.


MAJOR ELWYN JONES: Er wurde von Göring beauftragt, nicht wahr?


SIEVERS: Wer die Beauftragung seitens der Luftwaffe ausgesprochen hat, das weiß ich nicht.


MAJOR ELWYN JONES: Gut. Sehen Sie Ihr eigenes Schreiben dazu an, NO-008, das erste Dokument im englischen Dokumentenbuch, GB-586. Es ist überschrieben: »Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung« und datiert vom 19. Mai 1944. Das war nach Raschers Entfernung. Es ist gerichtet an den »SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Pohl, Chef des SS-Wirtschaftsverwaltungs-Hauptamtes, Berlin«.

»Betr.: Herstellung eines neuartigen Fleckfieber- Impfstoffes.

[596] Lieber Obergruppenführer! Auf unseren Antrag vom 30. 9. 1943 haben Sie am 25. 10. 1943 die Genehmigung zur Durchführung von Versuchen zur Herstellung eines neuartigen Fleckfieberimpfstoffes gegeben und für diesen Zweck 100 geeignete Häftlinge nach Natzweiler überstellt. Mit Hilfe des von Ihnen beauftragten Chefs des Amtes D III, SS-Standartenführer Dr. Bolling, konnten die bisherigen Versuche bestens durchgeführt werden.«

Dann folgen einige Sätze über die medizinischen und wissenschaftlichen Aspekte. Ein paar Zeilen tiefer heißt es dann:

»Ich bitte Sie deshalb, nach Natzweiler nochmals zu diesem Zweck Impflinge abzustellen. Um möglichst genaue, auch statistisch verwertbare Resultate zu erhalten, müßten diesmal 200 Personen zur Impfung zur Verfügung gestellt werden, wobei jedoch wiederum notwendig ist, daß diese sich körperlich möglichst in demselben Zustande befinden müssen, wie dieser bei Wehrmachtsangehörigen angetroffen wird. Sollten zwingende Gründe erfordern, daß 200 Versuchspersonen nach Natzweiler nicht überstellt werden können, so könnten die Versuche, wenn auch mit großen Schwierigkeiten, in einem andern Konzentrationslager vorgenommen werden. Die Überwindung dieser Schwierigkeiten müßte gegebenenfalls von den eingesetzten Wissenschaftlern, obwohl sie gleichzeitig durch ihre Vorlesungstätigkeit an die Universität Straßburg stark angebunden sind, in Kauf genommen werden, da die sicher zu erzielenden Ergebnisse von weittragender Bedeutung für die Gesunderhaltung unserer Soldaten sind.

Wie ich Ihnen berichtete, liegt die leitende Durchführung der Versuche in den Händen des Direktors des hygienischen Instituts der Reichsuni versität Straßburg, Professor Dr. Haagen, Oberstabsarzt und beratender Hygieniker bei der Luftflotte, der dazu durch den Reichsmarschall, Präsident des Reichsforschungsrates, beauftragt wurde. Den Bestimmungen gemäß muß Dr. Haagen über seine Arbeiten dem Chef des Sanitätswesens der Luftwaffe Bericht erstatten, wobei zu erwähnen ist, mit wessen Unterstützung die Arbeiten durchgeführt werden; das sind erstens der Reichsforschungsrat und zweitens die SS. Ich bitte Sie um Entscheidung, ob als unterstützende Dienststelle der SS genannt werden soll:

a) der Reichsführer-SS oder

b) das SS-Wirtschafts-Verwaltungs-Hauptamt oder

c) das Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung der Waffen-SS.«

Wollen Sie immer noch sagen, daß Göring Haagen nicht beauftragt hat?

[597] SIEVERS: Ja, das sage ich immer noch, es steht ja dabei »Präsident des Reichsforschungsrates«. Das besagt keineswegs, daß Herr Göring von diesen einzelnen Aufträgen Kenntnis hatte, von denen Zehntausende in seinem Namen und auf seinem Briefbogen erteilt wurden. Zuständig waren dafür die einzelnen Bevollmächtigten sowie die betreffenden Fachstellen. Es geht ja aus diesem Dokument auch hervor: Der Chef des Sanitätswesens der Luftwaffe.

MAJOR ELWYN JONES: Dem Gerichtshof liegt dieses Dokument vor, daher möchte ich nicht weiter mit Ihnen darüber diskutieren.


VORSITZENDER: Wer hat diesen Brief unterschrieben?


MAJOR ELWYN JONES: Den Brief haben Sie unterschrieben, stimmt das?


SIEVERS: Jawohl.


MAJOR ELWYN JONES: Und Sie haben ausdrücklich Göring namentlich erwähnt und nicht nur den Reichsforschungsrat. Bitte sehen Sie sich das Dokument NO-009 an, das sich auf Ihr Schreiben bezieht. Es wird GB-587. Es ist auf Seite 3 des Dokumentenbuches. Das behandelt die Frage, wem die Ehre zukommen sollte, die Führung bei diesen Experimenten gehabt zu haben. Es ist vom »Reichsführer-SS, Personal-Abteilung«. Wessen Unterschrift ist unter dem Brief?


SIEVERS: Der persönliche Referent des Reichsführers, Dr. Brandt.


MAJOR ELWYN JONES: Er ist vom 6. Juni 1944 datiert, »Betr.: Herstellung eines neuartigen Fleckfieber-Impfstoffes.«

»Lieber Kamerad Sievers!

Besten Dank für die Übersendung der Durchschrift Ihres Schreibens vom 19. 5. 1944 an SS- Obergruppenführer Pohl. Ich habe den Reichsführer-SS, da mir die Sache wichtig genug erschien, unterrichtet. Zu der Frage, wer als unterstützende Dienststelle der SS genannt werden solle, meinte der Reichsführer-SS, daß sowohl das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt als auch das Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung der Waffen-SS erwähnt werden sollte. Zusätzlich könnte dann ruhig gesagt werden, auch der Reichsführer-SS hat persönlich die Versuche gefördert.«

Nun, in welchem Zusammenhang standen Sie mit den Sterilisierungsversuchen? Zeuge, ich möchte Sie nur daran erinnern, daß es drei Arten gab. Da waren die Experimente mit dem Satt einer Pflanze, Caladium Seguinum, mit Röntgenstrahlen und schließlich Klaubergs Versuche ohne Operationen. Ich zweifle nicht, daß Sie sich daran erinnern.

[598] SIEVERS: Nein, da erinnere ich mich nicht daran. Sie sind mir nicht bekannt.

MAJOR ELWYN JONES: Wissen Sie, wer sie durchgeführt hat?


SIEVERS: Nein, das weiß ich nicht.


MAJOR ELWYN JONES: Schauen Sie sich das Dokument NO-035 an, GB-588, Seite 7 im englischen Dokumentenbuch, Seite 8 im deutschen Dokumenten buch. Es ist ein Brief an den »Reichsbeauftragten zur Festigung des deutschen Volkstums, SS Himmler, Chef der Polizei, Berlin«. Das war ein anderer Zweig der SS, der an diesen medizinischen Versuchen interessiert war, nicht wahr? Haben Sie meine Frage verstanden?


SIEVERS: Ja, die Anschrift ist vollkommen falsch. Es muß heißen Reichskommissar zur Festigung deutschen Volkstums.


MAJOR ELWYN JONES: Ich habe Sie gefragt, ob das nicht eine weitere Abteilung der SS war, die mit solchen medizinischen Versuchen zu tun hatte?


SIEVERS: Nein, hat damit nichts zu tun gehabt.


MAJOR ELWYN JONES: Ich lese in diesem Fall nur das Schreiben. Es trägt oben die Initialen von Himmler, nicht wahr, H.H.? Sie sind Ihnen sehr vertraut?


SIEVERS: Jawohl.


MAJOR ELWYN JONES: Der Text des Briefes lautet wie folgt:

»Ich bitte, nachstehenden Ausführungen Ihre Aufmerksamkeit zuwenden zu wollen. Ich habe Herrn Professor Höhn gebeten, Ihnen den Brief zu überreichen und damit den direkten Weg zu Ihnen gewählt, um den langsameren Dienstweg zu vermei den und die Möglichkeit einer Indiskretion im Hinblick auf die unter Umständen enorme Wichtigkeit der vorgelegten Idee auszuschalten.

Getragen von dem Gedanken, daß der Feind nicht nur besiegt, sondern vernichtet werden muß, fühle ich mich verpflichtet, Ihnen, als dem Reichsbeauftragten zur Festigung des deutschen Volkstums folgendes zu unterbreiten:

Dr. Madaus veröffentlicht das Ergebnis seiner Forschungen über eine medikamentöse Sterilisierung (beide Arbeiten lege ich bei). Bei der Lektüre dieses Artikels ist mir die ungeheuere Wichtigkeit dieses Medikamentes für den jetzigen Kampf unseres Volkes eingefallen. Wenn es gelänge, auf Grund dieser Forschungen sobald als möglich ein Medikament herzustellen, das nach relativ kurzer Zeit eine unbemerkte Sterilisierung bei Menschen erzeugt, so stände uns eine neue wirkungsvollste Waffe zur Verfügung. Allein der Gedanke, daß die 3 Millionen momentan in deutscher Gefangenschaft [599] befindlichen Bolschewisten sterilisiert werden könnten, so daß sie als Arbeiter zur Verfügung stünden, aber von der Fortpflanzung ausgeschlossen wären, eröffnet weitgehendste Perspektiven.

Madaus fand, daß der Saft des Schweigrohrs (caladium seguinum) durch den Mund eingenommen oder als Injektion verabreicht, besonders bei männlichen aber auch weiblichen Tieren nach einer gewissen Zeit eine dauernde Sterilität erzeugt. Die Abbildungen, die der wissenschaftlichen Arbeit beigefügt sind, sind überzeugend.

Woferne der von mir ausgesprochene Gedanke Ihre Zustimmung findet, wäre folgender Weg einzuschlagen:

1.) Dr. Madaus dürfte keine Publikation dieser Art mehr veröffentlichen (Feind hört mit!).

2.) Vermehrung der Pflanze (in Glashäusern leicht züchtbar!).

3.) Sofortige Versuche an Menschen (Verbrecher!), um die Dosis und Dauer der Behandlung festzustellen.

4.) Rascheste Ergründung der Konstitutionsformel des wirksamen chemischen Körpers, um

5.) diesen womöglich synthetisch herzustellen.

Ich selbst als deutscher Arzt und Oberarzt d.R.a.D. der deutschen Wehrmacht verpflichte mich zur absoluten Verschwiegenheit über den von mir in diesem Brief angeregten Verwendungszweck.

Dr. Ad. Pokorny, Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, Komotau.«

Wissen Sie, daß anschließend daran Glashäuser errichtet und diese Pflanzen gezogen worden sind?

SIEVERS: Nein, das weiß ich nicht. In dem Zusammenhang erinnere ich mich nur an folgendes: daß diese Veröffentlichung von dem Dr. Madaus zur Stellungnahme übersandt wurde, ohne Hinweis auf diesen merkwürdigen Vorschlag von Dr. Pokorny und zur Stellungnahme durch den Dr. von Wünzelburg, der ein eingehender Kenner tropischer Pflanzen ist, der uns sofort erklärte, daß eine solche Pflanze hier nicht zu züchten sei und gar nicht zur Verfügung stünde.

MAJOR ELWYN JONES: Ich gebe zu, daß es schwierig war, solche tropische Pflanzen in Deutschland zu züchten, aber immerhin wurde doch versucht, sie zu züchten, nicht wahr?


SIEVERS: Ich weiß es nicht, ob es versucht worden ist.


MAJOR ELWYN JONES: Der Reichsarzt-SS Dr. Grawitz hatte doch die Oberaufsicht über diese Sterilisierungsversuche, nicht wahr?


SIEVERS: Das ist mir auch nicht bekannt, das kann sein.


[600] MAJOR ELWYN JONES: Nun, abgesehen von diesen Experimenten, diesem wissenschaftlichen Mord, wurde das »Ahnenerbe« auch für politische Zwecke verwendet, stimmt das?


SIEVERS: Politische Aufgaben, was verstehen Sie in diesem Zusammenhang darunter?


MAJOR ELWYN JONES: Tätigkeiten der Fünften Kolonne im Ausland, zum Beispiel die Durchdringung des wissenschaftlichen Denkens anderer Länder als eine Methode politischen Einflusses.

SIEVERS: Nein.


MAJOR ELWYN JONES: Sehen Sie das Dokument 1698-PS an. Es ist eingefügt vor Seite 20 des englischen Dokumentenbuches. Es ist nur eine Seite davon da. 1698-PS wird GB-589. Es ist ein Jahresbericht vom 17. November 1944.

»Das Ahnenerbe Germanischer Wissenschaftseinsatz – Außenstelle Flandern – SS-Untersturmführer (F) Dr. Augustin.

Jahresbericht –... Ziel der Arbeit ist eine geistige Tiefen- und Breitenwirkung besonders in den Intelligenzschichten Flanderns und Walloniens. In Befolgung der von der SS allein vertretenen germanischen Linien ist

1. ein Einbruch zu schaffen in die liberalistisch- humanistische Bildungsfront durch Gewinnung von Inhabern geistiger Schlüsselstellungen,

2. anzugehen gegen den großdeutschen Mythos mit dem Gedanken der großgermanischen Reichsgemeinschaft.

3. Die Wiederbelebung des germanischen Volks- und Kulturbewußtseins zu fördern mit dem äußerst wirkungsvollen, weil neutral getarnten politischen Propagandamittel der Wissenschaft, angesichts des anmaßenden französischen Bildungsanspruches und des flämischen Minderwertigkeitskomplexes.

Somit sind Intelligenzschichten erfaßbar, die der offiziellen Presse- und Schulungspropaganda nicht zugänglich sind... Es handelt sich um die Universitäts-Hochschul- und Wissenschaftspolitik, um die Studentenförderung und Stipendiengewährung, d.h. um die akademische Auslese- und Begabtenförderung, in die unsere Arbeit u. a. einzuschalten ist. Die Erfassung, Beeinflussung und Bindung der Inhaber geistiger Schlüsselstellungen (u. a. Universitätsprofessoren, Juristenvereinigungen, Erzieher, Studenten, Künstler) ist eine Aufgabe...«


VORSITZENDER: Nun, Herr Elwyn Jones, behaupten Sie, daß das ein Verbrechen ist?

MAJOR ELWYN JONES: Jawohl, Euer Lordschaft. Ich behaupte, daß dies ein wesentlicher Teil der Maschinerie dieser Einrichtung [601] ist. Zunächst die Perversion der Wissenschaft, und zweitens die Verwendung dieser Perversion zum Eindringen nach anderen Ländern. Aber ich will auf diesem Punkt nicht unbedingt bestehen.

Nun, Zeuge, das »Ahnenerbe« war einer der Teile, die die SS zusammensetzte, nicht wahr?


SIEVERS: Ich habe darüber in der Kommissionssitzung eingehende Ausführungen gemacht. Zu dieser Frage ist zu erklären, daß der germanische Wissenschaftseinsatz dem SS-Hauptamt unterstand, daß der Dr. Augustin abgestellt wurde als Wissenschaftler für die Arbeit, und daß es eine Fortsetzung der Arbeit war, die... Jahrzehnte vorausgeht... Ich kann darin keine Tätigkeit einer Fünften Kolonne oder politischen Mißbrauch wissenschaftlicher Arbeit erblicken.


MAJOR ELWYN JONES: Ich fragte Sie im allgemeinen bezüglich des »Ahnenerbe«; war es nicht ein Teil der SS? Sehen Sie sich das Dokument 488-PS an, Seite 19 des englischen Dokumentenbuches. Es ist eine Anordnung von Himmler bezüglich des »Ahnenerbe«. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit nur auf den ersten Absatz lenken:

»Hiermit bestätige ich, der unterzeichnete Reichsführer-SS Heinrich Himmler, daß

1.) die Forschungs- und Lehrgemeinschaft ›Das Ahnenerbe‹, Berlin-Dahlem, Pücklerstraße 16, und

2.) die ›Ahnenerbe‹-Stiftung, Berlin-SW 68, Wilhelmstraße 28, Bestandteile meines Persönlichen Stabes und damit Abteilungen der SS sind.«

Die Fonds des wissenschaftlichen Forschungs-Institutes stammten doch aus Geldern der Waffen-SS? Stimmt das?

SIEVERS: Ich habe beides ausgesagt in der Kommissionssitzung. Erstens: das »Ahnenerbe« wurde 1942 ein Amt im persönlichen Stab des Reichsführer-SS. Ich habe erklärt, daß seine Struktur als eingetragener Verein dadurch unberührt blieb. Ich habe erklärt, daß die Finanzierungsmittel des »Ahnenerbe« durch die »Ahnenerbe«-Stiftung kamen, aus Geldern der Deutschen Forschungsgemeinschaft, von Mitgliedsbeiträgen, Reichsmitteln und Zuwendungen der Wirtschaft. Waffen-SS-Gelder, Wehrmachtsgelder sind lediglich, wie ich erklärt habe, für das Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung zur Verfügung gestellt worden.

MAJOR ELWYN JONES: Die Mitglieder des »Ahnenerbe«, die diese Experimente durchgeführt haben, waren doch alle SS-Leute, nicht wahr? Sehen Sie sich die Namensliste des »Ahnenerbe« an, das Dokument D-962. Es ist das letzte, das ich Ihnen vorlege, es wird GB-591. Da sehen Sie die Namen: Professor Dr. Walter Wust, SS-Oberführer Professor Hans Brandt, und dann, wenn Sie die [602] ganze Liste durchgehen, sehen Sie, daß alle mit einer Ausnahme SS-Offiziere waren, stimmt das?


SIEVERS: Ja, bloß mit dem Unterschied, daß nicht hervorgeht, zu welchem Zweck die Liste erstellt ist. Sie umfaßt nämlich lediglich die SS-Führer im »Ahnenerbe« im Hinblick auf ihren Verheirateten- und Kinderstand. Ich habe ja erklärt, daß etwa die Hälfte der Mitarbeiter des »Ahnenerbe« zur SS gehörten, die andere aber keineswegs.


MAJOR ELWYN JONES: Es sind mehr als 100 Namen von Professoren und deutschen Ärzten, die mit Ihrer Arbeit zu tun hatten. Sie alle, mit einer einzigen Ausnahme, gehörten der SS an. Taten Sie das nicht?


SIEVERS: Das sind keineswegs alles Wissenschaftler, es handelt sich um das Personal bis zum Kraftfahrer hinunter in dieser Liste. Ich kann dazu erst eingehend Stellung nehmen, wenn ich sie mir durchgesehen habe.


MAJOR ELWYN JONES: Ich möchte nicht, daß Sie die ganze Liste durchgehen, aber sie waren alle SS-Leute, nicht wahr, und alle waren sie in der Arbeit des »Ahnenerbe« tätig?


SIEVERS: Nein. Das waren sie eben nicht; da sind auch die ehrenamtlichen Mitarbeiter dabei, die nur einen Forschungsauftrag gehabt haben.


MAJOR ELWYN JONES: Ich habe keine weiteren Fragen mehr, Euer Lordschaft!


SIEVERS: Ich bitte, meine Erklärung abgeben zu dürfen... zu Ende führen zu dürfen.


VORSITZENDER: Vielleicht führen wir besser zuerst das Rückverhör durch.


RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Was war der Zweck des »Ahnenerbe«-Instituts? Fassen Sie sich bei der Antwort bitte kurz. War der Zweck des »Ahnener be«-Instituts medizinische Forschung oder andere Forschung?


SIEVERS: Der Zweck war geisteswissenschaftliche Forschung, wie durch die Satzung des »Ahnenerbe« festgelegt ist.


RA. PELCKMANN: Ist es richtig, daß das »Ahnenerbe« etwa 50 verschiedene Forschungsaufträge hatte?


SIEVERS: Das »Ahnenerbe« hatte 50 verschiedene Forschungsabteilungen. Das waren Institute. Darüber hinaus aber führte es oder ließ es durchführen etwa über 100 umfangreiche Forschungsaufträge.


RA. PELCKMANN: Fallen nun unter die von Ihnen eben genannten Forschungsaufträge oder die eben genannten verschiedenen [603] Institute auch das Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung?


SIEVERS: Das war eine gesonderte Gruppe innerhalb des »Ahnenerbe«, auch daraus hervorgehend, daß seine Finanzierung aus...


RA. PELCKMANN: Sprechen Sie... Bitte beantworten Sie mir das alles nicht... Ich frage Sie nur, war das eine Abteilung von diesen eben genannten... Ich frage Sie noch weiter, Sie haben Gelegenheit, noch zu sprechen.

SIEVERS: Von diesen eben genannten, nein.


RA. PELCKMANN: Gut, Sie haben aber gehört, daß das Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung Experimente ausführte. Stimmt das?


SIEVERS: Jawohl.


RA. PELCKMANN: Die Aufträge, die Forschungsaufträge und die Institute des »Ahnenerbe« wurden auf welche Weise finanziert?


SIEVERS: Finanzträger war die »Ahnenerbe«-Stiftung, bei der alle Mittel zusammenflossen, die dann von der »Ahnenerbe«-Stiftung dem »Ahnenerbe« zugewiesen wurden.


RA. PELCKMANN: Wo kamen die Mittel her?


SIEVERS: Aus Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft, aus Mitgliedsbeiträgen, aus Reichsmitteln.


RA. PELCKMANN: Was heißt: Mitgliedsbeiträgen, Beiträge welcher Mitglieder?


SIEVERS: Der teilnehmenden Mitglieder. Es konnte jeder Deutsche Mitglied, Vereinsmitglied des »Ahnenerbe« werden.


RA. PELCKMANN: Waren das SS-Mitglieder?


SIEVERS: Nein, das konnte jeder werden, Voraussetzung war weder Partei- noch SS-Mitgliedschaft.


RA. PELCKMANN: Also Sie sagten, es waren Mitgliederbeiträge. Woraus setzten sich die Mittel noch weiter zusammen?


SIEVERS: Und aus Zuwendungen der Wirtschaft.


RA. PELCKMANN: Und woraus setzen sich die Mittel zusammen, mit denen das sogenannte Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung arbeitete?


SIEVERS: Ausschließlich aus Wehrmachtsmitteln; das mußte auch ganz besonders abgerechnet werden nach den Vorschriften der... die Abrechnung dieser Gelder bestanden...


VORSITZENDER: Dr. Pelckmann! Ich habe das Beweismaterial aus den Kommissionsverhandlungen über all das in Händen. Dies [604] alles ist im Beweismaterial der Kommission enthalten, nicht wahr? Ich habe es hier vorliegen.


RA. PELCKMANN: Sehr richtig, Euer Lordschaft, aber diese Dinge sind von dem Anklagevertreter hier ebenfalls angeschlagen worden und in einer Weise, daß der Zeuge sich darüber nicht erschöpfend äußern konnte.


VORSITZENDER: Es ist nicht nötig, über diesen Punkt zu argumentieren. Glauben Sie nicht, daß Sie Ihr Rückverhör kürzer machen könnten angesichts der Tatsache, daß all dies vor der Kommission erörtert worden ist und wir das Kommissionsprotokoll vor uns liegen haben?


RA. PELCKMANN: [zum Zeugen gewandt] Von den Mitgliedern, vielmehr den Mitarbeitern und den Inhabern von Forschungsaufträgen des »Ahnenerbe«, wieviel Prozent etwa von ihnen gehörten der SS an?


SIEVERS: Ungefähr die Hälfte.


RA. PELCKMANN: Waren die übrigen Parteigenossen?


SIEVERS: Das war nicht Voraussetzung.


RA. PELCKMANN: Waren im Gegenteil Mitarbeiter dabei, die durchaus unpolitisch waren?


SIEVERS: Es waren sogar solche dabei, die aus politischen Gründen von Partei und Staat abgelehnt wurden.


RA. PELCKMANN: Gehörte zu den Mitgliedern, die dort arbeiteten, auch Professor Seibt, ein Norweger?


SIEVERS: Jawohl, Professor Seibt hat einen Forschungsauftrag des »Ahnenerbe« gehabt, nachdem ich veranlaßt habe, daß er aus dem Konzentrationslager herauskam.


RA. PELCKMANN: Ich habe hier die Urschrift Ihres Tagebuches, das Ihnen vorgehalten wurde, in Auszügen. Es umfaßt für die Zeit, für die Ihnen die Auszüge vorgelegt wurden, 330 Seiten. Der Auszug umfaßt nur drei Seiten. Können Sie mir allein auf Grund dieser Gegenüberstellung sagen, daß die Dinge, die hier besprochen worden sind, nur einen ganz geringen Bruchteil der tatsächlichen Arbeit des »Ahnenerbe« ausmachten? Bitte ganz kurz.


SIEVERS: Jawohl, das kann ich bestätigen, und deswegen warte ich auch darauf, um meine Erklärung dazu abzugeben. Ich habe ja meine Aufzeichnungen nicht deshalb aufgehoben, um hier Dinge zu verschweigen, deren wahrheitsgemäße Erklärung im allgemeinen Interesse liegt.


RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Sind Sie in der Lage, wenn Ihnen solche Bruchstücke aus diesem Tagebuch vorgehalten werden, [605] wie es dort geschehen ist mit dem Auszug, erschöpfende und wahrheitsgemäße Erklärungen abzugeben, ohne die Zusammenhänge auf Grund des vollständigen Tagebuches zu erläutern?


SIEVERS: Das ist mir unmöglich, weil Sie aus dem Umfang des Tagebuches allein feststellen können, welch großen Umfang meine eigentlichen Gesamtar beiten überhaupt eingenommen haben, wie weit am Rande dabei die hier diskutierten Dinge lagen; und dann ist es bei dem Zeitraum, über die sie sich erstreckten, schlechterdings unmöglich, sie ohne Unterlagen zu rekonstruieren und wahrheitsgemäße vollständige Aussagen zu machen. Ich habe da bei meinen früheren Vernehmungen immer wieder darauf hingewiesen, um meine geheimen Aufzeichnungen und Unterlagen gebeten, um eingehende Berichte machen zu können, denn mir selbst lag ja infolge meiner politischen Einstellung daran, Unrecht festzustellen und begangene Untaten ahnden zu helfen. Meine Bitten waren immer vergeblich, meine schriftliche Eingabe vom 20. Dezember blieb unbeantwortet. Damit ist auf wesentliches Beweismaterial verzichtet worden.


RA. PELCKMANN: Das genügt, Herr Zeuge.

Ich will nur ein Beispiel herausgreifen für die völlig falschen... das völlig falsche Bild, das hier entstehen kann, wenn der Zeuge nur auf Bruchstücke des Tagebuches beschränkt ist. Ich lasse ihm überreichen das Tagebuch, Blatt 103, Eintragung vom Freitag, den 14. April, 13.00 Uhr. »Überschrift: Station Rascher; Stand der Arbeiten, zukünftige Arbeiten, Anweisung für die vorläufige Fortführung Dr. Plötner eingewiesen.« Was jetzt kommt, fehlt in dem Auszug, und das bitte ich den Zeugen durchzulesen und daraufhin seine Erklärung abzugeben. Herr Zeuge! Lesen Sie sich das bitte durch und sagen Sie, ob sich aus dieser Tagebucheintragung ergibt, daß Dr. Plötner, wie die Anklagebehörde behauptet, die Arbeiten Raschers fortgeführt hat.


SIEVERS: Es ergibt sich daraus klar, daß Dr. Plötner die Menschenversuche Dr. Raschers nicht fortgeführt hat. Auf Grund dieser Notizen könnte ich jetzt ein eingehendes Bild entwickeln. Die Zeit dazu würde mir aber nicht zur Verfügung stehen.


RA. PELCKMANN: Bitte tun Sie es.


SIEVERS: Dr. Plötner hat in dramatischer Weise geschildert...


VORSITZENDER: Wir wollen kein Drama, wir wollen die Eintragung!


RA. PELCKMANN: Ich bin leider nicht in der Lage, Euer Lordschaft, denn ich habe ja das Dokument nur in einem einzigen Exemplar.


VORSITZENDER: Hat es der Zeuge nicht? Warum kann er es nicht vorlesen?


[606] SIEVERS: Jawohl, ich lese es vor:

»Hauptscharführer Dr. Plötner eingewiesen. Dringendste Aufgabe: Polygal-Prüfung.«

Das war das Blutstillmittel.

RA. PELCKMANN: Kommentare geben Sie bitte später.

SIEVERS:

»Anweisung wegen Fortführen der Arbeiten Putzengruber. P. Rottw. Neff berichtet, daß Polygal- Fabrikation in Schlachters für drei Monate gesichert ist. Feix berichtet über Fabrikationserfahrung und legt erste Ergebnisse aus Schlachters vor. In Schlachters soll durch Gauwirtschaftsberater die Betriebsbuchhaltung angelegt werden. Maschineneinkäufe.«


RA. PELCKMANN: Das bedeutet also nun: Dr. Plötner eingewiesen.

SIEVERS: Eingewiesen in die ganzen verwaltungsmäßigen und geschäftlichen Dinge der Polygal-Herstellung.


RA. PELCKMANN: Sie wollten doch nun schildern, wie sich das damals abspielte.


SIEVERS: Jawohl. Dr. Rascher hatte mit der Polygal-Entwicklung begonnen. Das Mittel entsprach aber den gestellten Anforderungen nicht. Dr. Plötner, der...


VORSITZENDER: Die Frage, die Sie ihm stellten, war: Ist aus dieser Untersuchung nicht ersichtlich, daß Dr. Plötner die Experimente von Dr. Rascher nicht fortgesetzt hat? Wie beweist die Eintragung das? Er hat uns nicht gesagt, wie die Eintragung das beweist.

RA. PELCKMANN: Euer Lordschaft! Die Frage war von mir nach meiner Erinnerung nicht so gestellt.


VORSITZENDER: Herr Pelckmann –


RA. PELCKMANN: Ich wollte etwas ganz anderes von dem Zeugen wissen. Darf ich das klarstellen, nachdem der Zeuge diese Notizen gelesen und seine Erinnerung aufgefrischt hat?


VORSITZENDER: Herr Pelckmann! Meiner Erinnerung nach und nach der Erinnerung der anderen Mitglieder des Gerichtshofs war die Frage, die Sie gestellt haben, folgende: Hat die Eintragung in Ihrem Tagebuch nicht gezeigt, daß Dr. Plötner die Arbeit Dr. Raschers nicht fortgeführt hat? So lautete die Frage, die Sie gestellt haben. Und wir wollen eine Antwort darauf und keine andere!


RA. PELCKMANN: Dann habe ich mich nicht korrekt ausgedrückt, Euer Lordschaft.


[607] [Zum Zeugen gewandt.]


Ich wollte wissen, ob jetzt, nachdem Sie diesen Eintrag gelesen haben, Ihre Erinnerung an diese Vorgänge damals zurückkommt.

SIEVERS: Jawohl.

RA. PELCKMANN: Und dann schildern Sie sie bitte.


SIEVERS: Die Tätigkeit der Abteilung...


VORSITZENDER: Einen Augenblick. Herr Pelckmann! Sie müssen sich vor allen Dingen darüber klar sein, daß der Zweck des Rückverhörs ist, Dinge, die im Kreuzverhör vorgekommen sind, klarzustellen oder zu widerlegen. Das ist doch der einzige Zweck des Rückverhörs. Zweitens: Aus der Tatsache, daß der Zeuge ins Kreuzverhör genommen worden ist, um zu beweisen, daß gewisse brutale und ungesetzliche Experimente von dieser Institution ausgeführt worden sind, folgert der Gerichtshof nicht, daß diese Institution nichts anderes tat. Wir haben nicht die Absicht, hier lange Zeit zu sitzen, um noch alles andere zu erfahren, was dieses Institut noch getan hat. Alles, was Ihr Rückverhör bezwecken sollte, ist, die Tatsache, daß gesetzwidrige Experimente gemacht wurden, zu widerlegen, oder Zweifel, die bezüglich dieser ungesetzlichen Experimente auftauchen könnten, zu beseitigen, nicht aber uns hier zu zeigen, daß man noch andere Sachen getan hat.


RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Sind, nachdem Rascher verhaftet worden ist, nach Ihrer Kenntnis weiterhin unmenschliche Experimente vorgenommen worden?

SIEVERS: Nein.


RA. PELCKMANN: Nicht?


SIEVERS: Nein, Dr. Plötner hat sie ja, wie ich vorhin ausführte, ausdrücklich abgelehnt.


RA. PELCKMANN: Ja, wissen Sie nach dieser Zeit von anderen unmenschlichen Experimenten?


SIEVERS: In dem Zusammenhang mit dem Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung, also da, wo ich Einblick hatte, nicht.


RA. PELCKMANN: Sie sagen, Sie hatten in das Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung Einblick? Welche Persönlichkeiten der SS hatten in diese Experimente Einblick?


SIEVERS: Nur solche, die von Himmler dazu persönlich beauftragt waren, ganz wenige...


RA. PELCKMANN: Wie viele mögen es etwa gewesen sein? Es kommt auf fünf oder zehn nicht an.


SIEVERS: Ich will es hoch schätzen, zehn bis zwanzig.


[608] RA. PELCKMANN: Liefen diese Anordnungen unter Geheimschutz, das heißt unter dem höchsten Geheimschutz, teilweise als »Geheime Kommandosache« oder als »Geheime Reichssache«?

SIEVERS: Jawohl. Unter diesen beiden höchsten Geheimhaltungsstufen.


RA. PELCKMANN: Können Sie daher aus eigener Kenntnis sagen, ob Sie es für möglich halten, daß die Masse der SS-Leute von diesen Dingen gewußt hat?


SIEVERS: Es ist ganz unmöglich, daß sie davon gewußt haben können.


RA. PELCKMANN: Können Sie sich erinnern, daß der Freiherr von Eberstein, als er von diesen Experimenten Raschers erfuhr, ganz empört und entsetzt war, daß so etwas vorkommen konnte? Haben Sie daran eine persönliche Erinnerung?


SIEVERS: Jawohl, denn ich mußte mich bei ihm in dieser Angelegenheit persönlich melden. Er war außerordentlich aufgebracht bei dieser Unterredung und erzählte von Dingen, die er im Zusammenhang mit der Verhaftung Raschers gehört habe und die auch mich auf das tiefste erschütterten. Er begann in seiner Erregung mir Vorwürfe zu machen und war dann sehr erstaunt, daß Himmler engste persönliche Beziehung allein zu Rascher hatte und daß all die Anweisungen von Himmler unmittelbar kamen.


RA. PELCKMANN: Das genügt, danke.


VORSITZENDER: Nun, können Sie die Bemerkung, die Sie machen wollten, in fünf Minuten abschließen?


SIEVERS: Ich brauche nicht länger.


VORSITZENDER: Gut, dann fahren Sie fort.


SIEVERS: In dem vorigen Kreuzverhör wurde mir vorgeworfen, ich hätte natürlich persönlich gar keine Bedenken gehabt bezüglich dieser Menschenversuche. Ich muß dem energisch widersprechen. Mein Gewissenskonflikt war außerordentlich groß und nicht beruhigt durch die vorhin im Eingang meiner Erklärung bereits gegebenen Versicherungen von Himmler. Ich besprach mich deshalb mit dem Leiter unserer Geheimorganisation mit dem Ergebnis, daß weitere Weigerung erstens mir persönlich den Kopf gekostet hätte, da nur noch eine offene Demonstration übriggeblieben wäre; zweitens, daß dies die davon Betroffenen in keiner Weise geschützt oder ihnen geholfen hätte. Die Arbeiten wären auf jeden Fall so oder so durchgeführt worden. Ich habe jedoch dann, was ein anderer nicht getan und gewagt hätte, insgeheim, wo es immer nur möglich war, durch stille Sabotage verhindert, was zu verhindern war. Meine mehrfachen Angebote an Hand meiner geheimen Aufzeichnungen und Unterlagen, die vorliegen in [609] mehreren hundert Seiten Eintragungen, die Dr. Pelckmann eben hier nachgewiesen hat, sind vergeblich gewesen. Auch jetzt verbietet mir die Zeit, hier ein weiteres Bild der Zusammenhänge davon zu entwickeln und die Hintergründe darzustellen. Ich habe diese Versuche persönlich abgelehnt und nicht gefördert. Ich habe die Rolle gespielt, wie sie etwa ein Syndikus einer Universität auszuführen hat, der allen Professoren und Institutsleitern gleicherweise in allen wirtschaftlichen, finanziellen und verwaltungsmäßigen Fragen zur Verfügung zu stehen hat und muß deshalb die Frage nach meiner Glaubwürdigkeit und meiner persönlichen Einstellung zurückweisen. Gerade die vorgelegten Dokumente erweisen, was ich zu diesen Dingen in der Kommissionsvernehmung ausgesagt habe, wie Dr. Pelckmann eben noch einmal feststellte, Wenn meine Glaubwürdigkeit angezweifelt werden sollte hinsichtlich meiner illegalen Tätigkeit, so steht dazu der Leiter der Geheimabteilung, Dr. Hilscher, zur Verfügung, der jetzt in Nürnberg anwesend ist. Ich danke.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird jetzt eine Pause einschalten.


[Pause von 10 Minuten.]


MAJOR ELWYN JONES: Euer Lordschaft! Ich habe für das Verfahren gegen die SS drei kurze Dokumente vorzulegen. Das erste ist das Dokument 4043-PS, GB-606, das ich im Namen der Polnischen Delegation überreiche. Es zählt die Namen der 846 polnischen Priester und Mönche der polnischen Geistlichkeit auf, die im Konzentrationslager Dachau ermordet worden sind.

VORSITZENDER: Ist das ein staatlicher Bericht?


MAJOR ELWYN JONES: Es ist ein Affidavit eines polnischen Priesters, dem die Namen der Priester beigefügt sind. Die Namen sind in einer polnischen Veröffentlichung in einer polnischen Zeitung erschienen.

Ich stelle eben fest, daß die Erklärung von einem römisch-katholischen Priester unterzeichnet ist, der die folgende Erklärung unter Eid abgibt. Ich habe mich geirrt, als ich sagte, es sei eine Erklärung unter Eid; aber jedenfalls ist eine Liste der Priester von der Abteilung »Presse und Kultur« beigefügt, die in der katholischen Wochenschrift »Polska Wierna« veröffentlicht wurde.

Wenn bei dem Gerichtshof Zweifel hinsichtlich des Dokuments auftauchen, werde ich nicht darauf dringen. Ich wurde von der Polnischen Delegation gebeten, es vorzulegen.

Mit Erlaubnis von Euer Lordschaft lege ich an Stelle des letzten Dokuments das Dokument NO-007 vor, das GB-592 wird. Es handelt sich um einen Befehl von Himmler an den Höheren SS- und [610] Polizeiführer Ukraine in Kiew und ist datiert vom 7. September 1943. Es lautet:

»Lieber Prützmann!

Der General der Infanterie Stapf hat bezüglich des Donez-Gebietes besondere Befehle. Nehmen Sie mit ihm sofort Fühlung auf. Ich beauftrage Sie, mit allen Kräften mitzuwirken. Es muß erreicht werden, daß bei der Räumung von Gebietsteilen in der Ukraine kein Mensch, kein Vieh, kein Zentner Getreide, keine Eisenbahnschiene zurückbleiben; daß kein Haus stehen bleibt, kein Bergwerk vorhanden ist, das nicht für Jahre gestört ist, kein Brunnen vorhanden ist, der nicht vergiftet ist. Der Gegner muß wirklich ein total verbranntes und zerstörtes Land vorfinden. Besprechen Sie diese Dinge sofort mit Stapf, und tun Sie Ihr menschenmöglichstes. Heil Hitler! Ihr gez. H. Himmler.«

Beigefügt ist noch folgendes:

»SS-Obergruppenführer Berger hat die Durchschrift mit der Bitte um Unterrichtung des Reichs- Ostministers erhalten.«

Abschriften gingen an:

»2.) Chef der Ordnungspolizei,

3.) Chef der Sicherheitspolizei und des SD,

4.) SS-Obergruppenführer Berger,

5.) Chef der Bandenkampfverbände

durchschriftlich mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt.«

Und schließlich das Dokument NO-022 bezieht sich auf Befehle Himmlers.

VORSITZENDER: Wer war zu jener Zeit Reichs-Ostminister?

MAJOR ELWYN JONES: Soweit ich es weiß, Euer Lordschaft, war das der Angeklagte Rosenberg.

Schließlich Dokument NO-022, das GB-593 wird. Es ist eine Weisung Himmlers, datiert vom 10. Juli 1943, gerichtet an den »1) Chef der Bandenkampfverbände, 2) Höheren SS- und Polizeiführer Ukraine, 3; Höheren SS- und Polizeiführer Rußland-Mitte«.

Der erste Absatz:

»1. der Führer hat entschieden, daß die bandenverseuchten Gebiete der Nordukraine und von Rußland-Mitte von jeder Bevölkerung zu räumen sind.

2. Die gesamte arbeitsfähige männliche Bevölkerung wird gemäß noch der abzumachenden Bestimmungen dem Reichskommissar für den Arbeitseinsatz zugewiesen, jedoch unter den Bedingungen von Kriegsgefangenen.

3. Die weibliche Bevölkerung wird dem Reichskommissar für den Arbeitseinsatz zur Arbeit im Reich zugewiesen.

[611] 4. Ein Teil der weiblichen Bevölkerung und alle elternlosen Kinder kommen in unsere Auffanglager.

5. Die bevölkerungsmäßig evakuierten Gebiete sind tunlichst nach noch zu treffender Abmachung mit dem Reichsernährungsminister und dem Minister für die besetzten Ostgebiete von den Höheren SS- und Polizei-Führern in Bewirtschaftung zu nehmen und dort zum Teil mit Kok-Sagys zu bebauen und, soweit es möglich ist, landwirtschaftlich auszunutzen. Die Kinderlager sind an den Rand dieser Gebiete zu legen, so daß die Kinder als Arbeitskräfte für den Kok- Sagys-Anbau und für die Landwirtschaft zur Verfügung stehen.

Die endgültigen Vorschläge sind mir baldigst einzureichen.

gez. H. Himmler.«

Darunter stehen die Namen Berger und Backe.

RA. PELCKMANN: Euer Lordschaft, darf ich mir eine formelle...

VORSITZENDER: Einen Augenblick... Ja, Dr. Pelckmann?


RA. PELCKMANN: Darf ich mir eine formelle Frage erlauben zum Verfahren? Ich sehe, der Zeuge ist noch anwesend. Sollten dem Zeugen diese Dokumente vorgelegt werden?


VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat dem Zeugen noch einige Fragen zu stellen.


RA. PELCKMANN: Aber wenn diese Dokumente nicht dem Zeugen vorgelegt werden sollen, dann möchte ich ihrer Verwertung widersprechen aus der alten Begründung, die ich schon früher gegeben habe: der Beweisvortrag der Anklage ist beendet.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat bereits entschieden, daß neue Dokumente auf diesem Weg vorgelegt werden können.


DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich bitte, eine Frage an den Zeugen richten zu dürfen zur Klarstellung eines von ihm gebrauchten Namens.

Herr Zeuge! Sie erwähnten das Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung. Ist das der gesamte Name dieses Instituts? Geben Sie den vollständigen Namen an!


VORSITZENDER: Wollen Sie Ihre Antwort wiederholen.


SIEVERS: Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung der Waffen-SS und Polizei.


DR. LATERNSER: Danke schön.


MR. BIDDLE: Zeuge! Sie haben gesagt, daß die Luftwaffe sich mit Himmler in Verbindung gesetzt habe, um Konzentrationslagerhäftlinge zu erhalten. Wer von der Luftwaffe nahm Fühlung mit ihm?


[612] SIEVERS: Daß die Luftwaffe auf Himmlers Befehl Konzentrationslager angegriffen hat, habe ich nicht gesagt.


MR. BIDDLE: Warten Sie, Zeuge, hören Sie meine Fragen. Ich habe nicht behauptet, daß Sie das gesagt haben. Ich sagte, daß Sie gesagt haben, irgend jemand von der Luftwaffe hätte sich mit Himmler in Verbindung gesetzt, um Insassen aus den Konzentrationslagern zu erhalten. Haben Sie das gesagt?


SIEVERS: Nein, das habe ich auch nicht gesagt. Ja, Dr. Grawitz, der Reichsarzt-SS teilte mir mit, daß die Luftwaffe – ich weiß nicht, welche Stelle – die Durchführung der Meerwasserversuche beantragt habe und deswegen um Bereitstellung von Häftlingen gebeten habe.


MR. BIDDLE: Sie erwähnten den Namen von General Milch in Ihrer Aussage. In welchem Zusammenhang – wenn überhaupt – stand General Milch mit diesen Experimenten?


SIEVERS: Lediglich mit den hier behandelten Höhenflugversuchen und den Unterkühlungsversuchen, die ja 1941 begannen und von Luftwaffenärzten durchgeführt wurden. Wenn ich... den Professor Holzlöhner, Stabsarzt Dr. Rascher, Stabsarzt Dr. Finke und einem dritten Herrn der Luftfahrtversuchsanstalt Adlershof, dessen Name mir nicht mehr erinnerlich ist...


MR. BIDDLE: Und welche Verbindung hatte General Milch mit diesen Versuchen? Hat er die Vorbereitungen für sie getroffen?


SIEVERS: Nein, die fachlichen Vorbereitungen lagen meines Wissens in den Händen der Sanitätsinspektion der Luftwaffe.


MR. BIDDLE: In welchem Zusammenhang stand Genera! Milch mit dieser Sache? Hat er die Verbindung hergestellt?


SIEVERS: Er hat sich... Das geht aus dem Briefwechsel hervor, der zwischen Generalfeldmarschall Milch und Obergruppenführer Wolff geführt wurde, der mir hier bereits vorgelegt wurde bei früheren Vernehmungen.


MR. BIDDLE: Sie wissen dann also nichts weiter über General Milch, außer was aus dem vorgelegten Briefwechsel hervorgeht?


SIEVERS: Nein, weiter weiß ich nichts.


MR. BIDDLE: In wie vielen Lagern außer Dachau waren Versuchsstationen oder Stationen für biologische Forschungen?


SIEVERS: Das kann ich nicht sagen, weil mir nur die Arbeiten von Rascher und Hirth bekannt sind, nicht andere, also solche Versuche, die im Bereich des Reichsarztes-SS durchgeführt wurden. Darüber war nichts zu erfahren, weil auch diese unter der...


MR. BIDDLE: Also Sie wissen nichts?


SIEVERS: Nein.


[613] MR. BIDDLE: Eine letzte Frage noch: Sie sagten, nach Raschers Verhaftung seien in Verbindung mit dem Institut keine weiteren ungesetzlichen Versuche durchgeführt worden. Wissen Sie von irgendwelchen anderen Versuchen, die nicht mit diesem Institut zusammenhingen?


SIEVERS: Das bezieht sich auf die vorige Frage und steht mit ihr im Zusammenhang. Man hörte davon, zum Beispiel von den Arbeiten von Professor Schilling, die mir aber nie näher bekanntgeworden sind.


VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


KORVETTENKAPITÄN HARMS: Hoher Gerichtshof! Während der Vernehmung des Zeugen D...

VORSITZENDER: Wünschen Sie, daß ich den Zeugen zurückbehalte?


KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Nein. Während der Vernehmung des Zeugen Dr. Best gestattete der Gerichtshof der Anklagevertretung, noch ein Dokument vorzulegen, das seinerzeit noch nicht verfügbar war. Mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich es jetzt vorlegen. Es ist Dokument 4057-PS und wird Beweisstück US-924. Dieses Dokument wurde dem Zeugen Best in Anwesenheit des Verteidigers für die Gestapo, Dr. Merkel, gezeigt, und der Zeuge hat es identifiziert. Das Dokument zeigt, daß der Zeuge nicht nur Kenntnis von dem Gegenterrorprogramm für Dänemark hatte, sondern daß er selbst Gegenterrormaßnahmen anordnete und daß er bei einer Gelegenheit die Hinrichtung eines Studenten befahl.

Wie sich der Gerichtshof erinnern wird, wurde während der Vernehmung von Dr. Best eine Reihe von Dokumenten, Beweisstücke US-911 bis einschließlich 915 vorgelegt, um zu zeigen, daß die Gestapo einen französischen General ermordet hat. Zu jener Zeit hatten wir nur die Photokopien dieser Dokumente, und ich habe dem Gerichtshof erklärt, daß wir versuchen würden, die Originale zu erhalten. Wir haben jetzt die Originale, und sie werden an Stelle der Photokopien vorgelegt.

Ich habe damals auch den Zeugen Best gefragt, ob er wisse, daß zu der Zeit, als dieser behauptete Mord stattgefunden haben soll, ein französischer General, General Mesny, getötet worden ist, und er erklärte, daß er davon nichts wisse. Die Französische Anklage hat uns den dokumentarischen Beweis dafür jetzt geliefert, daß General Mesny damals unter Umständen getötet wurde, die zweifelsohne beweisen, daß dieser Mord in Übereinstimmung mit den hier bereits aufgezeigten Plänen ausgeführt worden ist. Zu diesem Zweck möchte ich jetzt als nächstes das Dokument 4069-PS vorlegen, das [614] US-925 wird. Dieses Dokument ist von der Delegation des Französischen Justizministeriums beglaubigt.

Ich möchte den Gerichtshof bitten, seine Aufmerksamkeit auf Seite 2 zu richten. Dort handelt es sich um ein Schreiben des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in Genf, datiert vom 5. April 1945, an Madame Mesny. Ich möchte die Tatsache noch betonen, daß dieses Dokument lange vor dem gegenwärtigen Zeitpunkt datiert ist und zu einer Zeit geschrieben wurde, als die anderen Dokumente, über die der Gerichtshof verfügt, natürlich noch ganz unbekannt waren.

Dieser Brief erklärt, daß der Attaché der Schweizerischen Gesandtschaft in Berlin, Herr Denzler, bestimmte Nachrichten über General Mesny übersandt habe, und ich darf Ihre Aufmerksamkeit auf den zweiten Absatz dieses Berichts lenken, wo es heißt, daß die Generale Flavigny, de Boisse und Buisson vom Oflag IV B in Königstein nach dem Oflag IV C in Colditz verlegt worden sind.

»Die Generale Mesny und Vauthier haben ebenfalls Königstein in einem Privatwagen verlassen, um sich nach Colditz zu begeben. Gemäß einer Nachricht des Kommandanten Prawill wurde General Mesny bei einem Fluchtversuch in der Nähe von Dresden erschossen.«

Dies war der Bericht, den das Internationale Rote Kreuz an Madame Mesny gesandt hat.

Ich möchte aber die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs ganz besonders auf das zweite Dokument vom 29. April 1945 lenken, das von General Buisson an den Kriegsminister über den Fall General Mesny geschrieben wurde. General Buisson führt in diesem Brief folgendes aus: »Am 18. Januar 1945...« – und nebenbei möchte ich die Erinnerung des Gerichtshofs dahin auffrischen, daß das letzte Dokument, das wir vorlegten, vom 12. Januar 1945 stammte. Es zeigt, daß zu jener Zeit zu diesem Mord schon alle Vorbereitungen getroffen waren. Ich fahre in dem Dokument fort:

»Am 18. Januar 1945 wurden die folgenden sechs Generale aus dem Lager Königstein, Oflag IV B, dazu bestimmt, das Lager am 19. Januar morgens zu verlassen, Bestimmungsort unbekannt.

Erster Wagen: 6 Uhr die Generale Daine und de Boisse.«

Wieder, in Parenthese gesagt, der Gerichtshof dürfte sich erinnern, daß General de Boisse der General war, den man zuerst ermorden wollte, wie aus dem Dokument hervorgeht. Und, wenn Sie sich erinnern wollen, es war entschieden worden, daß General de Boisse nicht getötet werden sollte, weil sein Name zu oft am Telephon erwähnt worden war, und daß deshalb an seine Stelle [615] ein anderer General genommen werden sollte. So sehen wir, daß General de Boisse im ersten Wagen war.

»Zweiter Wagen: 6.15 Uhr die Generale Flavigny und Buisson.

Dritter Wagen: 6.30 Uhr die Generale Mesny und Vauthier.

Während am 19. Januar der erste Wagen zur festgesetzten Stunde abfuhr, war es bei den anderen beiden Wagen nicht so, da sowohl der Abmarschbefehl als auch die Zeit abgeändert wurden.

Zweiter Wagen: 7 Uhr General Mesny allein, denn es war auf Grund einer Nachricht, die dem General Buisson durch den deutschen Dolmetscher Rosenberg übermittelt wurde, ein Befehl des OKW während der Nacht eingetroffen, der die Abreise des Generals Vauthier rückgängig machte...

In jedem Wagen war ein deutscher Offizier mit einer Maschinenpistole auf den Knien und den Finger am Abzug.

Bei unserer Ankunft im Vergeltungslager Colditz (Oflag IV C) gegen Mittag des 19. Januar stellten wir fest, daß General Mesny nicht ange kommen war. Wir dachten, daß er in ein anderes Lager gebracht worden sei, obwohl sich sein Gepäck auf dem Lastwagen befand zusammen mit dem der anderen vier Generale.

Am 20. Januar morgens kam der Kommandant Prawitt, Chef des Oflag IV C, in die Räume der französischen Generale und machte uns die folgende Mitteilung: ›Ich teile Ihnen offiziell mit, daß General Mesny gestern in Dresden bei einem Fluchtversuch erschossen wurde. Er wurde in Dresden begraben, und eine Abteilung der Wehrmacht hat ihm die letzte Ehre erwiesen‹.«

Dann, Hoher Gerichtshof, fährt General Buisson in seiner Beschreibung fort, und wir sollten uns daran erinnern, daß er, als er das Schreiben verfaßte, keine Ahnung von diesem Komplott hatte, wie wir es heute kennen. Er schrieb:

»Zwei Tatsachen waren beunruhigend in dieser düsteren Tragödie.

1. Der Alleintransport des Generals Mesny (zweiter Wagen). Die Bestimmung des Generals Vauthier, und dann die Aufhebung dieses Befehls sind uns, mit Rücksicht auf die Haltung dieses Generals, der ja in Deutschland freiwillig arbeitete, sehr verdächtig vorgekommen und seine Überführung in ein Vergeltungslager erschien uns daher unerklärlich.

2. General Mesny, dessen ältester Sohn sich in einem Lager für politische Deportierte in Deutschland befindet, sagte mir [616] mehrmals wäh rend unserer Gespräche: ›Wenn ich auch bis 1944 immer versucht habe, meine Flucht vorzubereiten, habe ich doch später darauf verzichtet, selbst wenn mir alle Möglichkeiten für einen Erfolg gegeben gewesen wären.

Vor allem ist das Ende des Krieges nur noch eine Frage von Wochen, ferner und in erster Linie hätte ich zu sehr die Furcht, daß mein ältester Sohn meine Flucht mit dem Leben zu bezahlen hätte!‹

Eine Stunde vor seiner Abreise von Königstein am 19. Januar hat General Mesny diese Worte mir gegenüber wiederholt.«


VORSITZENDER: Dr. Laternser?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich bitte, mir zu gestatten, bevor Dr. Laternser beginnt, noch einen Punkt vorzubringen. Euer Lordschaft, zufolge des allgemeinen Beweismaterials, das der Kommission vorgelegt wurde, und der Ankündigung, daß eine Anzahl von zusammenfassenden Affidavits von bestimmten Organisationen vorgelegt werden würden, hat sich die Anklage elf Affidavits von allgemeiner Bedeutung verschafft, die von Staatsministern, örtlichen Funktionären und von einem Zeitungsherausgeber abgegeben worden sind und die die gleichen Themen behandeln wie die zusammengefaßten Affidavits, die die Verteidigung nun vorlegen will. Sie könnten natürlich im Kreuzverhör den Zeugen für die SA vorgelegt werden, aber ich stelle es dem Gerichtshof anheim, daß es in diesem Stadium des Prozesses wahrscheinlich angebrachter wäre, wenn sie einfach dann angeboten würden, wenn die Verteidiger der Organisationen ihre Dokumente behandelt haben.

Wenn dieser Vorschlag dem Gerichtshof zusagt, sollten der Verteidigung sofort deutsche Übersetzungen überreicht werden, so daß sie Gelegenheit erhält, sie durchzusehen. Andernfalls würde ich sie natürlich zurückhalten, um sie im Kreuzverhör vorzulegen und das Überraschungsmoment zu wahren.

Euer Lordschaft, das liegt natürlich in Händen des Gerichtshofs, aber das schien mir eine geeignetere Methode zu sein, als noch mehr Zeit im Kreuzverhör zu brauchen in diesem Stadium, da so viele Tatsachen bekannt sind.


DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich habe diesen Vorschlag von Sir David Maxwell-Fyfe nicht verstanden in der Übersetzung, und ich bitte, ihn noch einmal wiederholen zu lassen, damit eventuell die Verteidigung dazu Stellung nehmen könnte.


VORSITZENDER: Wollen Sie Ihren Vorschlag nochmals machen?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich habe elf Affidavits, die von verschiedenen Herren, einschließlich von [617] ehemaligen Staatsministern der sozialdemokratischen und anderen nicht-nationalsozialistischen Parteien, von örtlichen Beamten und von dem Herausgeber einer Zeitung stammen. Sie sollen sich allgemein mit vor der Kommission behandelten Angelegenheiten befassen, die, wie ich es verstehe, in den zusammengefaßten Affidavits, den Affidavits, die eine große Menge von Affidavits zusammenfassen, behandelt werden sollen.

Ich habe dem Gerichtshof vorgeschlagen, daß ich, statt Zeit zu gebrauchen und den Inhalt der Affidavits den Zeugen für die SA vorzulegen, dem Zeugen Jüttner und anderen, die vermutlich die meisten dieser Punkte behandeln werden, daß ich sie vorlegen möchte, nachdem die Verteidigung ihre Dokumente angeboten hat.

Und um die Verteidiger in keiner Weise zu benachteiligen, habe ich vorgeschlagen, falls dieser Weg gewählt wird, ihnen Abschriften in deutscher Sprache von diesen Affidavits sofort zu überreichen, so daß sie die Möglichkeit haben, sich mit dem Inhalt vertraut zu machen.

Der Zweck der Sache ist, die Dokumente zusammenzuhalten, und ich hoffe, auch damit dem Gerichtshof in diesem Stadium des Prozesses beim Kreuzverhör Zeit zu ersparen.

Ich hoffe, daß das jetzt klar ist, Euer Lordschaft.


VORSITZENDER: Dem Gerichtshof erscheint diese Regelung passend. Es wird den deutschen Verteidigern dadurch mehr Zeit gegeben, die Affidavits noch durchzusehen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich werde das so machen, Euer Lordschaft.


VORSITZENDER: Herr Dr. Laternser?


DR. LATERNSER: Mit Erlaubnis des Gerichts rufe ich als ersten Zeugen den Feldmarschall von Brauchitsch.


OBERST TELFORD TAYLOR, BEIGEORDNETER ANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Euer Lordschaft! Darf ich eine kurze Bemerkung machen, bevor der Zeuge erscheint?


VORSITZENDER: Ja, Marschall, halten Sie den Zeugen noch für einen Moment draußen.


OBERST TAYLOR: Euer Lordschaft! Ich wollte eine ganz kurze Bemerkung hinsichtlich der Reichweite der Aussagen des Zeugen Feldmarschall von Brauchitsch machen.

Die anderen beiden Zeugen, die Dr. Laternser rufen wird, Feldmarschall von Manstein und Feldmarschall von Rundstedt, wurden erstmalig von Dr. Laternser vorgeladen und haben vor der Kommission fast über alle Fragen, die Generalstab und Oberkommando betreffen, ausgesagt. Dies geht aus den Zusammenfassungen ihrer Aussagen hervor, die, wie ich glaube, dem Gerichtshof vorliegen.

[618] Der Fall des Zeugen Brauchitsch liegt etwas anders. Der Zeuge von Brauchitsch hat zwei Affidavits unterschrieben, die die Anklage dem Gerichtshof angeboten hat, und zwar als Beweisstücke US-532 und US-535. Diese Affidavits behandeln ausschließlich die Frage der Zusammensetzung und Organisation der Gruppe Generalstab und Oberkommando.

Vor der Kommission ist der Zeuge von Brauchitsch im Kreuzverhör durch Dr. Laternser nur im Rahmen dieser Affidavits befragt worden. Vor der Kommission wurden keine anderen Themen berührt. Soviel ich jetzt verstehe, hat Dr. Laternser vor, den Zeugen von Brauchitsch vor dem Gerichtshof über eine große Anzahl oder wenigstens mehrere andere Fragen, die von den Affidavits nicht gedeckt sind, zu verhören.

Die Anklagebehörde möchte nur darauf hinweisen, daß in dem Ausmaß, in welchem der Zeuge von Brauchitsch andere Angelegenheiten behandelt, die nicht in den Affidavits erwähnt sind, er ein Zeuge für die Verteidigung wird und daß die Anklagebehörde ihn möglicherweise, aber nicht notwendigerweise, über diese bestimmten Dinge in das Kreuzverhör nehmen müssen wird.

Wir dürfen auch vorschlagen, daß, wenn der Zeuge nicht andere Themen bespricht als die, die Manstein und Rundstedt ausführlich behandelt haben, es völlig fair und beschleunigend wäre, wenn sich die Aussagen von Brauchitsch auf die Themen der Affidavits beschränkten, es sei denn, wie ich eben sagte, Brauchitsch sollte die Punkte erörtern, die von den Zeugen von Rundstedt und von Manstein nicht behandelt werden.


VORSITZENDER: Dr. Laternser! Der Gerichtshof wünscht, daß Sie fortfahren und den Zeugen Feldmarschall von Brauchitsch vernehmen. Wir hoffen, daß Sie sich so kurz als möglich fassen, soweit sich seine Aussagen auf dieselben Angelegenheiten beziehen wie die der anderen beiden Zeugen, die zu laden Sie vorschlagen.


DR. LATERNSER: Ich rufe sodann den Feldmarschall von Brauchitsch als ersten Zeugen auf.


[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Wollen Sie bitte Ihren vollen Namen angeben. Können Sie jetzt hören?

ZEUGE WALTER VON BRAUCHITSCH: Walter von Brauchitsch.


VORSITZENDER: Bitte sprechen Sie mir diesen Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

[619] DR. LATERNSER: Herr Feldmarschall! Welche Dienststellung haben Sie zuletzt bekleidet?


VON BRAUCHITSCH: Oberbefehlshaber des Heeres.


DR. LATERNSER: Während welchen Zeitraumes waren Sie Oberbefehlshaber des Heeres?


VON BRAUCHITSCH: 1938 bis 1941.


DR. LATERNSER: Sie wurden am 4. Februar 1938 Nachfolger des Generaloberst von Fritsch in der Stellung als Oberbefehlshaber des Heeres. Hat Fritsch Sie bei Ihrer Amtsübernahme über die von Hitler in der Besprechung vom 5. November 1937 geäußerten Absichten unterrichtet?


VON BRAUCHITSCH: Nein.


DR. LATERNSER: Hat Sie etwa Hitler selbst über diese Absichten orientiert?

VON BRAUCHITSCH: Nein.


DR. LATERNSER: Oder hat Sie Generaloberst Beck, der damalige Generalstabschef des Heeres, darüber orientiert?


VON BRAUCHITSCH: Nein, auch nicht.


DR. LATERNSER: Bei Bestehen solcher Pläne wäre Ihre Orientierung bei der Übernahme der Dienststellung des Oberbefehlshabers des Heeres erforderlich gewesen?


VON BRAUCHITSCH: Nach meiner Auffassung, sicher.


DR. LATERNSER: Wann haben Sie von dem Inhalt der Besprechung vom 5. November 1937 Kenntnis erhalten?


VON BRAUCHITSCH: Erst hier in Nürnberg.


DR. LATERNSER: Sind Sie als Oberbefehlshaber des Heeres vor der Besetzung Österreichs von Hitler gehört worden?


VON BRAUCHITSCH: Nein.


DR. LATERNSER: Bestand ein Plan für ein militärisches Eingreifen gegen Österreich?


VON BRAUCHITSCH: Nein, mir jedenfalls ist nichts bekannt.


DR. LATERNSER: Kam das Eingreifen überraschend für Sie?


VON BRAUCHITSCH: Es kam für mich vollkommen überraschend. Ich bin nicht, wie der Zeuge Gisevius angibt, aus einer Sitzung herausgerufen worden. Ich war überhaupt nicht in Berlin, sondern auf Dienstreise abwesend. Erst nach meiner Rückkehr habe ich von den befohlenen Anordnungen erfahren.


DR. LATERNSER: Waren Sie damals nicht bedenklich?


VON BRAUCHITSCH: Ich fürchtete den Bruderkampf, und ich fürchtete ferner, daß aus diesem Eingreifen weitere Konflikte sich ergeben würden.


[620] DR. LATERNSER: Hat Sie Papen nicht in der Reichskanzlei im Laufe des 11. März 1938 getroffen und Sie beglückwünscht, nachdem der Einmarschbefehl im Laufe des 11. März wieder zurückgenommen worden war?


VON BRAUCHITSCH: Die Zurücknahme des Einmarschbefehls hatte ich sehr begrüßt. Ich war in der Reichskanzlei, und es ist sehr wohl möglich, daß Papen mich dabei beglückwünscht hat.


DR. LATERNSER: Sind Sie vor der Besetzung des Sudetenlandes zu den politischen Dingen gehört worden?


VON BRAUCHITSCH: Nein, niemals.


DR. LATERNSER: Bestand in diesem Falle ein Plan für ein militärisches Eingreifen?


VON BRAUCHITSCH: Für Österreich?


DR. LATERNSER: Nein, für Besetzung des Sudetenlandes.


VON BRAUCHITSCH: Nein, auch nicht.


DR. LATERNSER: Haben Sie nicht vor Ablauf der Sudetenbesetzung Feldmarschall Keitel gebeten, seinen ganzen Einfluß dafür einzusetzen, daß auf keinen Fall über die vereinbarten Linien hinausgegangen werden dürfe?


VON BRAUCHITSCH: Das trifft zu.


DR. LATERNSER: Der Zeuge Gisevius hat hier ausgesagt, Generaloberst Beck habe seit Mai 1938 die Geschäfte des Generalstabschefs nicht mehr geführt. Stimmt das?


VON BRAUCHITSCH: Das ist ein Irrtum. General Beck hat bis zum 1. September 1938 die Geschäfte des Chefs des Generalstabs voll und ganz geführt.


DR. LATERNSER: Generaloberst Beck hat eine Denkschrift verfaßt, die hier schon erörtert worden ist, auf die ich deswegen nicht mehr eingehen will. In dieser Denkschrift hat er sich gegen die Sudetenbesetzung ausgesprochen und vor einem Zweifrontenkrieg gewarnt. Was haben Sie mit dieser Denkschrift unternommen?


VON BRAUCHITSCH: Ich hatte sehr ernste Bedenken gegen eine Politik, die mit militärischen Maßnahmen unterstützt wurde. Generaloberst Beck hatte eine Denkschrift aufgestellt, in der er kurz militärisch zu dem Ergebnis kam, daß ein Krieg im Herzen Europas zu einem Weltkonflikt führen würde. Da ich diese Gedanken für unbedingt grundlegend hielt, nahm ich Gelegenheit, sie den Kommandierenden Generalen vorzutragen. Diese hatte ich zu anderem Zwecke – es handelte sich um Besprechung innerer Fragen des Heeres – nach Berlin befohlen. Ich habe anschließend jeden einzelnen um seine Auffassung gefragt. Wir haben einstimmig den Gedankengängen zugestimmt. Diese Denkschrift bekam nachher Hitler. Es kam darüber zu einer erregten Auseinandersetzung, [621] indem er mir dem Sinne nach sagte unter anderem, er wisse alleine, was er zu tun habe.


DR. LATERNSER: Wann war das ungefähr?


VON BRAUCHITSCH: Das ist gewesen Ende Juli, in der zweiten Hälfte Juli 1938.


DR. LATERNSER: In welchem Zusammenhang ist Generaloberst Adam verabschiedet worden?


VON BRAUCHITSCH: Im August hatte beim Führer eine Besprechung mit Generalstabsoffizieren, die er befohlen hatte, stattgefunden. Bei dieser Besprechung hatte der Chef des Generals Adam, der damals Gruppenbefehlshaber in Wiesbaden war, ähnliche Gedankengänge geäußert wie in der Denkschrift. Er hatte damals sich auf seinen Befehlshaber berufen. Dies war der erste Anstoß zur Verabschiedung, die aber erst im Oktober 1938 nach einem Vortrag des Generals Adam erfolgte. Es handelte sich dabei um eine Reise zur Besichtigung des Westwalls, bei der General Adam seine Auffassung zum Ausdruck brachte.


DR. LATERNSER: Welche militärischen Vorbereitungen haben Sie vor der Besetzung der Tschechoslowakei angeordnet?


VON BRAUCHITSCH: Von mir aus sind überhaupt keine Anordnungen ausgegangen. Hitler hatte damals befohlen, daß die Truppen der umliegenden Wehrkreise in erhöhter Bereitschaft zu halten wären.


DR. LATERNSER: Bestand ein militärischer Plan für die Besetzung der Tschechoslowakei?


VON BRAUCHITSCH: Ein Plan hat nicht bestanden. Es ist nur das, was von Hitler nachher befohlen war, in die Tat umgesetzt worden.


DR. LATERNSER: Nun spitzte sich die Lage allmählich zu. Haben Sie im Laufe des Jahres 1939 Hitler vor einem Kriege gewarnt?


VON BRAUCHITSCH: Auf Grund der Anordnungen, die in der Polenfrage gegeben worden waren. Ich hatte sehr ernste Bedenken, daß wir gegen den Willen von Hitler und des deutschen Volkes in einen Krieg hineinschlittern könnten. Aus diesem Grunde habe ich im Juli 1939 in einem Vortrag bei Hitler allein noch einmal auf die Denkschrift hingewiesen. Ich habe ferner zum Ausdruck gebracht, daß Hitler die ganzen Errungenschaften, die er auf friedlichem Weg erreicht hatte, aufs Spiel setzen würde. Hitler ließ sich auf keine Diskussion ein, wie er dies meistens nicht tat, sondern antwortete mir nur, das wäre eine Angelegenheit der politischen Führung, die mich nichts anginge.


[622] DR. LATERNSER: Hatten Sie damals nicht auch ein Gespräch mit Lutze, dem damaligen Stabschef der SA?


VON BRAUCHITSCH: Ich habe mit dem Stabschef der SA mich unterhalten und in dieser Unterhaltung dieselben Bedenken zum Ausdruck gebracht, die ich Ihnen deshalb nicht zu wiederholen brauche.

Der Stabschef Lutze teilte meine Auffassung. Ich hatte das getan in der Hoffnung, daß er gelegentlich diese Auffassung beim Führer zum Ausdruck bringen würde.


DR. LATERNSER: Herr Feldmarschall! Haben Sie in dieser Spannungszeit Fühlung mit dem Auswärtigen Amt gehabt?


VON BRAUCHITSCH: Nein, denn das Auswärtige Amt hatte Verbot, das Oberkommando des Heeres irgendwie zu orientieren.


DR. LATERNSER: Mit anderen politischen Spitzenstellen?


VON BRAUCHITSCH: Auch nicht.


DR. LATERNSER: Die Besprechung am 23. Mai 1939 ist von besonderer Wichtigkeit. Hatten Sie damals den Eindruck, daß der Krieg eine beschlossene Sache sei?


VON BRAUCHITSCH: Nein, und zwar sind es eine ganze Reihe von Umständen und Tatsachen, die in mir den klaren Eindruck erhielten, daß es sich nicht um eine Kriegsabsicht handelte. Ich darf darauf hinweisen, daß seit dem Herbst 1938 Verhandlungen mit Polen liefen zur Bereinigung der schwebenden Fragen. Hitler hatte im Reichstag über dieses Problem gesprochen. Er hatte dabei zum Ausdruck gebracht, daß das die einzige noch zu bereinigende Frage wäre. Er hatte in den Reden vorher zum Ausdruck gebracht, daß der Aufbau der Wehrmacht nur zum Schutz der eigenen Heimat erfolge. Ende Dezember 1938 oder in den ersten Tagen des Januar 1939 hatte das Oberkommando des Heeres folgenden Befehl vom Oberkommando der Wehrmacht erhalten: Das Heer habe bis zum Jahre 1945 den vorgesehenen planmäßigen Aufbau durchzuführen. Jede Vorbereitung für einen Aufmarsch oder für eine Operation wurde verboten.

In der Sitzung am 23. Mai 1939 sagte Hitler damals wörtlich: Ich müßte ein Idiot sein, wenn ich wegen Polen in einen Krieg schlittern würde wie die Unfähigen vom Jahre 1914! Er befahl hernach, daß die Aufrüstung in dem vorgesehenen Zeitmaß, also bis zu den Jahren 1942/1943 und so weiter laufen sollte. Das knüpfte für mich an den Befehl, den ich bekommen hatte am Anfang des Jahres an, und schließlich befahl er, daß Kommissionen eingesetzt werden sollten, um die anderen angeschnittenen Probleme zu prüfen. Dieser ganze Tatsachenkreis war für mich die klare Unterlage, es handele sich im Falle Polen auch nur um eine durch militärische Maßnahmen unterstützte Politik.


[623] DR. LATERNSER: Haben Sie bei jener Besprechung am 23. Mai, von der Sie ja soeben gesprochen haben, auch Bedenken irgendwelcher Art vorgetragen?


VON BRAUCHITSCH: Es war keine Besprechung. Es war die Ansprache des Führers an die von ihm befohlenen Untergebenen. Eine Aussprache fand nicht statt.


DR. LATERNSER: Herr Feldmarschall! Ich glaube, daß Sie mich mißverstanden haben.


VON BRAUCHITSCH: Nein.


DR. LATERNSER: Ich frage Sie jetzt, ob Sie in der Besprechung vom 23. Mai Bedenken irgendwelcher Art vorgetragen haben?


VON BRAUCHITSCH: Es stimmt das, was ich gesagt habe.


DR. LATERNSER: War nun bis zu jenem Zeitpunkt, also Mai 1939, jemals vorher ein Angriffsaufmarsch gegen Polen bearbeitet worden?


VON BRAUCHITSCH: Nein, niemals.


DR. LATERNSER: Hatten Sie am 22. August 1939 noch die Hoffnung, daß es nicht zum Kriege kommen werde?


VON BRAUCHITSCH: Die bisher von mir erwähnten Gründe blieben unverändert bestehen. Es kam weiter hinzu aber, daß der Handelsvertrag mit der Sowjetunion nach der Auffassung von mir auf Polen dahin wirken würde, auf den Verhandlungsweg einzugehen. Es kam ferner hinzu, daß die Isolierung, von der Hitler gesprochen hatte, nach meiner Auffassung auch dazu führen müßte, um Polen bereit zum Verhandeln zu machen. Das Entscheidende war, daß Hitler ausdrücklich sagte, daß die Verhandlungen mit Polen weitergingen.


DR. LATERNSER: Was war überhaupt der Zweck dieser Ansprache am 22. August, so wie Sie ihn gesehen haben?


VON BRAUCHITSCH: Nach meiner Auffassung war diese Besprechung einmal eine Folge der Vorstellungen, die ich gegenüber Hitler erhoben hatte; zweitens war es nach meiner Auffassung die Absicht Hitlers, bei den befohlenen Führern das Vertrauen zu der von ihm geführten Politik zu bestärken und sie absolut von der Folgerichtigkeit seiner Absichten zu überzeugen.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich nunmehr.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 20, S. 583-625.
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