Vormittagssitzung.

[7] GENERAL R. A. RUDENKO1, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Meine Herren Richter!


Sauckel.

Ich habe bereits in meiner Einführungsrede darauf hingewiesen, daß in der langen Reihe der gemeinen Verbrechen der deutsch-faschistischen Eindringlinge die Zwangsverschleppung friedlicher Bürger – Männer, Frauen und Kinder – zur Sklavenarbeit nach Deutschland einen besonderen Platz einnimmt.

Der Angeklagte Fritz Sauckel spielt eine entscheidende Rolle in diesen düsteren Verbrechen.

Beim Kreuzverhör vor dem Gerichtshof wurde der Angeklagte Sauckel gezwungen zuzugeben, daß während des Krieges in Deutschland in der Industrie und teilweise auch in der Landwirtschaft ungefähr zehn Millionen Zwangsarbeiter, teils Verschleppte aus den besetzten Gebieten, teils Kriegsgefangene beschäftigt wurden.

Während Sauckel die Verschleppung von Millionen Arbeitern aus den besetzten Gebieten nach Deutschland und ihre Verwendung in erster Linie in der Kriegswirtschaft Hitler-Deutschlands zugibt, hat er den verbrecherischen Charakter dieser Handlung geleugnet und behauptet, die Werbung der Arbeiter sei auf freiwilliger Grundlage erfolgt.

Das ist nicht nur eine Lüge, sondern eine Verleumdung der Millionen ehrlicher Patrioten aus der Sowjetunion und der Tschechoslowakei, aus Jugoslawien, Polen, Frankreich und Holland, die ihrem Vaterland treu blieben und nur unter Zwang zur Arbeit nach Hitler-Deutschland verschleppt wurden.

Der Versuch des Angeklagten Sauckel, seine Funktionen als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz nur als Koordinierung und Beaufsichtigung der anderen Reichsarbeitsbehörden hinzustellen, ist unhaltbar. Als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz war Sauckel von Hitler mit außerordentlichen und weitreichenden Vollmachten ausgestattet und unterstand in seiner Tätigkeit unmittelbar Göring persönlich.

Sauckel hat diese Vollmachten zur Einfuhr von Arbeitskräften aus den besetzten Gebieten nach Deutschland in vollstem Umfange ausgenutzt.

[7] Es ist nicht notwendig, auf die zahlreichen dem Gerichtshof vorgelegten Urkundenbeweise hinzuweisen, die unstreitig den verbrecherischen Charakter der Massenverschleppung der Bevölkerung der besetzten Gebiete in die Sklaverei sowie die organisatorische Rolle des Angeklagten Sauckel bei diesen Verbrechen feststellen.

Welches Ausmaß diese Verbrechen annahmen, beweist die von den Militär- und Zivilbehörden durchgeführte Aktion, die den Namen »Heu-Aktion« führte und die Zwangsverschleppung von Kindern im Alter von 10 bis 14 Jahren in die Sklaverei vorsah, sowie die Verschleppung ukrainischer Mädchen, die von Hitler zur Germanisierung vorbestimmt waren.

Der Angeklagte Sauckel sucht den Gerichtshof zu überzeugen, daß er sich streng an die Bestimmungen der Genfer und Haager Konventionen über den Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen gehalten habe. Seine eigenen Richtlinien strafen ihn jedoch Lügen.

Der Angeklagte Sauckel hat im voraus die zwangsweise Beschäftigung sowjetischer Kriegsgefangener in Rüstungsbetrieben in Deutschland geplant und keinen Unterschied zwischen ihnen und den zivilen Arbeitskräften gemacht. Zahlreiche Dokumente zeugen von den unmenschlichen Bedingungen, unter welchen die in die Sklaverei verschleppten Fremdarbeiter und Kriegsgefangenen lebten.

Der Angeklagte Sauckel hat selbst zugeben müssen, daß die Fremdarbeiter in Lagern hinter Stacheldraht gehalten wurden und besondere Erkennungsabzeichen trugen.

Der vom Verteidiger Sauckels vor den Gerichtshof geladene Zeuge Dr. Wilhelm Jäger hat jene schrecklichen Verhältnisse beschrieben, unter denen die Zwangsarbeiter der Krupp-Werke lebten.

Geradezu lächerlich klingt nach alldem die übertriebene Aussage des anderen Zeugen Fritz Wieshofer, der, um Sauckel reinzuwaschen, dem Gerichtshof erklärte, er habe selbst gesehen, wie Fremdarbeiter im Wiener Prater spazieren gegangen seien und sich amüsiert hätten.

Der Angeklagte Sauckel hat eine große Aktivität bei der Begehung all dieser Verbrechen entfaltet. Im April 1943 hat er zur Intensivierung des Abtransportes von Arbeitskräften persönlich die Städte Rowno, Kiew, Dnjepropetrowsk, Saporosche, Simferopol, Minsk und Riga besucht und im Juni desselben Jahres Prag, Krakau und wiederum Kiew, Saporosche und Melitopol.

Kurz nach dieser Reise in die Ukraine im Jahre 1943 hat Sauckel für die erfolgreiche Beschaffung von Arbeitskräften dem Reichskommissar für die Ukraine, Koch, der durch seine drakonischen, unmenschlichen Maßnahmen gegen die ukrainische Bevölkerung bekannt ist, seinen Dank ausgesprochen.

[8] Es ist kein Zufall, daß Sauckel für diese verbrecherische Handlungsweise in Hitler-Deutschland so hoch anerkannt wurde.

Am 6. August 1942 hat der Angeklagte Göring bei einer Besprechung mit den Reichskommissaren für die besetzten Gebiete gesagt:

»Ich will Gauleiter Sauckel nicht loben, das hat er nicht nötig. Aber was er in dieser kurzen Zeit geleistet hat, um in einer solchen Geschwindigkeit Arbeiter aus ganz Europa herauszuholen und in unsere Betriebe zu bringen, das ist einmalig. Ich möchte das allen Herren sagen: Wenn jeder auf seinem Gebiet nur ein Zehntel der Energie verwenden würde, die der Gauleiter Sauckel verwendet hat, dann würde es wirklich eine Leichtigkeit sein, die von Ihnen geforderten Aufgaben zu erfüllen....«

In dem Artikel, der im Reichsarbeitsblatt im Jahre 1944 zu Sauckels 50. Geburtstag erschien, heißt es:

»Getreu seiner politischen Aufgabe geht er mit Unermüdlichkeit, Folgerichtigkeit und Hartnäckigkeit, mit fanatischem Glauben seinen verantwortungsschweren Weg. Als einer der getreuesten Anhänger Hitlers schöpft er seine erbaulichen seelischen Kräfte aus dem Vertrauen des Führers.«

Bei der Beurteilung der verbrecherischen Tätigkeit Sauckels werden die Hohen Herren Richter zweifellos der Tränen gedenken, die Millionen in deutscher Sklaverei schmachtender Menschen vergossen haben, sich der Tausende in den unmenschlichen Verhältnissen der Arbeitslager zu Tode Gequälter erinnern und das entsprechende Urteil fällen.


Seyß-Inquart.

Der Angeklagte Arthur Seyß-Inquart ist von Hitler Anfang September 1939 zum Chef der Zivilverwaltung in Südpolen und am 12. Oktober desselben Jahres zum Stellvertreter des Generalgouverneurs in Polen ernannt worden. Auf diesem Posten ist er bis Mai 1940 verblieben.

Sieben Monate lang hat Seyß-Inquart persönlich unter der Leitung von Frank und mit ihm zusammen die Errichtung des Terror-Regimes in Polen betrieben. Er hat an der Vorbereitung und Durchführung der Pläne zur Vernichtung vieler Tausender von Menschen, zur wirtschaftlichen Ausplünderung und zur Versklavung der Völker des Polnischen Staates aktiv teilgenommen.

Am 17. November 1939 hat Seyß-Inquart eine Ansprache an die Abteilungs- und Verwaltungschefs des Gouvernements Warschau gehalten, in der er unter anderem ausführte, daß

»... oberste Richtschnur bei der Durchführung der deutschen Verwaltung im General-Gouvernement lediglich das Interesse des Deutschen Reiches sein müsse. Es müsse eine [9] harte und einwandfreie Verwaltung das Gebiet der deutschen Wirtschaft nutzbar machen; um sich vor übergroßer Milde zu be wahren, müsse man sich die Folgen des Hereinbruches des Polentums in den deutschen Raum vergegenwärtigen.«

Zwei Tage später hat Seyß-Inquart dem Gouverneur von Lublin, SS-Brigadeführer Schmidt, folgende Weisung erteilt:

»Die Schätze und die Bewohner dieses Landes müßten für das Reich nutzbar gemacht werden und könnten nur in diesem Rahmen ihr Fortkommen finden. Ein eigener politischer Gedanke dürfe sich nicht mehr entwickeln. Der Weichselraum sei vielleicht für das Deutschtum noch schicksalhafter wie der Rhein.« (Beweisstück US-706.)

Aus dem Bericht über eine Dienstreise Seyß-Inquarts geht hervor, daß der Gouverneur von Warschau, Fischer, den Angeklagten darüber unterrichtet hat, daß alle Bestände an Gold und Edelmetallen sowie alle Wechsel der Warschauer Banken der Reichsbank überwiesen worden seien, während die polnische Bevölkerung ihre Depositen in den Banken zu lassen hätte. Außerdem stellt dieser Bericht fest, daß die deutsche Verwaltung Zwangsarbeiter beschäftige und daß der Lubliner Gouverneur Schmidt in Gegenwart Seyß-Inquarts folgendes erklärte:

»Dieses Gebiet mit seinem stark sumpfigen Charakter könnte als Judenreservat dienen, welche Maßnahme womöglich eine starke Dezimierung der Juden herbeiführen könnte.«

Ich lenke die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die Tatsache, daß gerade in Maidanek bei Lublin die Hitler-Henker die riesige Todesfabrik errichteten, in der sie zirka anderthalb Millionen Menschen umgebracht haben.

Es ist ebenfalls bekannt, daß Seyß-Inquart in seiner Eigenschaft als Stellvertreter Franks in dessen Namen »Sonderaufträge« ausgeführt hat.

Am 8. Dezember 1939 hat Seyß-Inquart an einer Konferenz teilgenommen, auf der folgende Fragen behandelt wurden:

Die Ernennung Franks zum stellvertretenden Beauftragten für den Vierjahresplan; der Auftrag an den Generalgouverneur, »für das Reich aus der Wirtschaft des Generalgouvernements das Beste und Wertvollste herauszuholen«; die Tatsache, daß aus den neu angegliederten Gebieten viele Züge mit Polen und Juden angekommen waren und daß nach Mitteilung des SS-Obergruppenführers Krüger diese Transporte bis Mitte Dezember fortdauern würden: der Erlaß einer Ergänzungsverordnung, durch die die Arbeitspflicht auf die Altersstufen von 14 bis 18 Jahren ausgedehnt wurde.

[10] Am 21. April 1940 hat der Angeklagte an einer Besprechung teilgenommen, auf der Maßnahmen zur Zwangsverschleppung polnischer Arbeiter nach Deutschland ausgearbeitet wurden.

Am 16. Mai 1940 hat der Angeklagte an der Ausarbeitung der »AB-Aktion« teilgenommen, die nichts anderes war als ein vorbedachter Plan für die Massenvernichtung der polnischen Intelligenz.

Bei der Ernennung Seyß-Inquarts zum Reichskommissar für die Niederlande haben Frank und sein würdiger Stellvertreter Abschiedsansprachen gewechselt:

»Ich freue mich sehr« – sagte Frank –, »Ihnen versichern zu können, daß das Andenken an Ihre Tätigkeit im Generalgouvernement für immer bei der Bildung des neuen Deutschen Friedensreiches bewahrt bleibt.«

»Ich habe hier« – erwiderte Seyß-Inquart – »viel gelernt... und zwar auf Grund der initiativen entschlossenen Führung, wie ich sie von meinem Freund Dr. Frank gesehen habe.... Ich bin meiner ganzen Einstellung nach auf den Osten eingerichtet. Im Osten haben wir eine nationalsozialistische Mission, drüben im Westen haben wir eine Funktion.«

Welcher Art die Funktion Seyß-Inquarts im Westen sowie aller übrigen Reichsminister und Kommissare in allen von den Deutschen besetzten Gebieten war, ist bekannt. Es ist die Funktion des Henkers und des Plünderers.

Meine Kollegen haben ausführlich über die verbrecherische Rolle Seyß-Inquarts bei der Inbesitznahme Österreichs und bei der Durchführung anderer Angriffspläne der Hitler-Verschwörer berichtet. Sie haben anschaulich gezeigt, wie Seyß-Inquart die blutigen Erfahrungen, die er während seiner Zusammenarbeit mit Frank in Polen gesammelt hatte, in den Niederlanden verwandt hat. Diese Tatsachen veranlassen mich, die Anklage gegen Seyß-Inquart, wie sie in der Anklageschrift formuliert ist, in vollem Umfange zu unterstützen.


Von Papen.

Der Angeklagte Franz von Papen hat bereits im Jahre 1932 als Reichskanzler der Deutschen Republik aktiv zur Entwicklung der faschistischen Bewegung im Reich beigetragen.

Papen hat die Verordnung seines Vorgängers Brüning über das Verbot der SA aufgehoben. Er hat auch die sozialdemokratische Preußische Regierung Braun-Severing abgesetzt. Diese Maßnahmen haben im wesentlichen Umfange die Stellung der Faschisten gefestigt und ihnen den Weg zur Machtübernahme freigemacht.

So hat Papen Hitler den Weg geebnet. Nachdem er den Nazis die Macht gesichert hatte, hat Papen das Amt des Vizekanzlers in [11] der Regierung Hitler übernommen. Während er dieses Amt innehatte, hat von Papen sich an dem Erlaß und der Durchführung einer Reihe von Gesetzen beteiligt, die den deutschen Faschismus festigen sollten.

In der Folgezeit ist von Papen viele Jahre hindurch bis zur Zerstörung Hitler-Deutschlands seinen faschistischen Freunden treu geblieben und hat sich nach Kräften an der Verwirklichung der verbrecherischen Verschwörung beteiligt.

Der Angeklagte von Papen versucht jetzt, seine Rolle bei dem Aufstieg der faschistischen Bewegung und bei der Machtergreifung Hitlers mit der damaligen politischen Lage des Landes zu erklären, die angeblich Hitlers Machtantritt unvermeidlich gemacht habe.

Der wirkliche Beweggrund für von Papens Handlungen war ein anderer: Er besteht darin, daß er selbst ein überzeugter, hitlerergebener Faschist war.

In einer Rede während des Reichstagswahlkampfes in Essen am 2. November 1933 hat Papen erklärt:

»Seitdem die Vorsehung mich dazu berufen hatte, der Wegbereiter der nationalen Erhebung und der Wiedergeburt unserer Heimat zu werden, habe ich versucht, das Werk der nationalsozialistischen Bewegung und ihres Führers mit allen meinen Kräften zu stützen, und wie ich damals bei der Übernahme der Kanzlerschaft dafür geworben habe, der jungen kämpfenden Freiheitsbewegung den Weg zur Macht zu ebnen, wie ich am 30. Januar durch ein gütiges Geschick dazu bestimmt war, die Hände unseres Kanzlers und Führers in die Hand des geliebten Feldmarschalls zu legen, so fühle ich heute wieder die Verpflichtung, dem deutschen Volk und allen, die mir ihr Vertrauen bewahrt haben, zu sagen: Der liebe Gott hat Deutschland gesegnet, daß er ihm in Zeiten tiefer Not einen Führer gab, der es über alle Nöte und Schwächen, über alle Krisen und Gefahrenmomente hinweg mit dem sicheren Instinkt des Staatsmannes zu einer glücklichen Zukunft führen wird.«

Der Internationale Militärgerichtshof wird die verbrecherische Tätigkeit des Angeklagten von Papen gebührend einschätzen, der eine entscheidende Rolle bei der Machtergreifung Hitlers gespielt und damit zur Erschaffung der dunklen Kräfte des Faschismus beigetragen hat, die die Welt in blutige Kriege stürzten und unaussprechliches Elend über sie brachten.


Speer.

Der Architekt Albert Speer war schon vor der Machtergreifung durch die Nazis ein persönlicher Freund des Bauzeichners Hitler gewesen und ist es bis zum Schluß geblieben. Die beiden waren [12] befreundet nicht nur wegen ihrer gemeinsamen beruflichen, sondern auch wegen ihrer politischen Interessen. Speers Aufstieg hat begonnen mit dem Umbau des »Braunen Hauses«, des Hauptquartiers der NSDAP in Berlin. Zehn Jahre später war er Leiter der ganzen Kriegs- und Rüstungsindustrie des faschistischen Deutschlands. Speer hat mit den Reichsparteitagsbau ten angefangen und mit dem Bau des »Atlantikwalles« abgeschlossen.

Speer hat eine führende Stellung in der Staats- und Kriegsmaschinerie Hitler-Deutschlands innegehabt und unmittelbar und aktiv an der Planung und Durchführung der verbrecherischen Verschwörung teilgenommen.

Wie verteidigt sich Speer vor Gericht? Speer stellt es so dar, als ob ihm der Ministerposten von Hitler aufgedrängt worden sei. Er sei zwar ein intimer Freund Hitlers gewesen, habe jedoch nichts von dessen Plänen gewußt. Er sei 14 Jahre lang Parteigenosse gewesen, habe jedoch der Politik ferngestanden und nicht einmal »Mein Kampf« gelesen. Als er überführt wurde, gab Speer allerdings zu, daß er während der Voruntersuchung gelogen habe.

Speer hat gelogen, als er leugnete, der SA und später auch der SS angehört zu haben. Dem Gerichtshof liegt die Originalakte des SS-Angehörigen Albert Speer vor, der zum persönlichen Stab Reichsführer-SS Himmler gehörte.

Speer hat auch in der faschistischen Partei einen ziemlich hohen Rang eingenommen. In der Parteikanzlei war er Beauftragter für alle technischen Fragen. Er war Leiter des Hauptamtes für Technik in der NSDAP, er leitete den Verein der deutschen nationalsozialistischen Ingenieure, er war Beauftragter des Stabes Heß und Leiter einer der größeren Abteilungen der Deutschen Arbeitsfront.

Kann man denn nach alldem Speers Behauptung, er sei ein unpolitischer Fachmann gewesen, noch ernst nehmen? In Wirklichkeit hat Speer als engster Mitarbeiter Hitlers, Heß', Leys und Görings die deutsche Technik nicht nur in seiner Eigenschaft als Reichsminister, sondern auch als faschistischer politischer Leiter dirigiert.

Nachdem er Todts Nachfolger geworden war, hat sich Speer, wie er selbst in seiner Rede vor den Gauleitern sagte, rückhaltlos für die Lösung der Kriegsaufgaben eingesetzt. Unter unbarmherziger Ausnutzung der Bevölkerung der besetzten Gebiete und der Kriegsgefangenen alliierter Staaten hat Speer auf Kosten der Gesundheit und des Lebens Hunderttausender von Menschen die Rüstungsproduktion und Munitionslieferungen an die deutsche Wehrmacht erhöht. Durch Plünderung von Rohstoffen und anderen Werten aus den besetzten Gebieten hat Speer das Kriegspotential Hitler-Deutschlands mit allen Mitteln gesteigert. Seine Macht wuchs mit jedem Kriegsmonat. Durch Hitlers Verordnungen vom 2. September 1943 ist Speer auch Bevollmächtigter und Verantwortlicher [13] für die Versorgung der Rüstungsindustrie mit Rohstoffen, für ihre Leitung und Produktion geworden. Ihm ist sogar die Regulierung des Warenumsatzes übertragen worden. Durch Hitlers Erlaß vom 24. August 1944 ist Speer zum tatsächlichen Diktator aller deutschen Stellen sowohl in Deutschland als auch in den besetzten Gebieten geworden, deren Tätigkeit in irgendeiner Weise in Zusammenhang mit der Erhöhung des deutschen Kriegspotentials stand.

Wenn die faschistischen Flieger friedliche Städte und Ortschaften bombardierten und dabei Frauen, Greise und Kinder töteten, wenn die schweren Geschütze der deutschen Artillerie Leningrad beschossen, wenn die Hitler-Piraten Lazarettschiffe versenkten, wenn die V-Waffen die Städte Englands zerstörten, so war das alles das Ergebnis der Tätigkeit Speers. Unter seiner Leitung ist die Produktion von Gas und anderen Waffen des chemischen Krieges stark entwickelt worden. Der Angeklagte hat bei seinem Verhör vor dem Gerichtshof durch Justice Jackson selbst eingestanden, daß drei Fabriken die Produktion für den Gaskrieg vorbereiteten und bis zum November 1944 mit Volldampf arbeiteten.

Speer hat nicht nur die Methoden gekannt, die Sauckel zur Verschleppung der Bevölkerung der besetzten Gebiete in die Sklaverei anwandte, sondern er hat auch mit Sauckel zusammen an den Beratungen bei Hitler und in der »Zentralen Planung« teilgenommen, wo Entscheidungen über die Verschleppung von Millionen von Menschen aus den besetzten Gebieten nach Deutschland gefällt worden sind.

Speer hat in engem Kontakt mit Himmler gestanden: Himmler hat ihm Häftlinge für den Arbeitseinsatz in Rüstungsbetrieben geliefert; in vielen Betrieben, die Speer unterstanden, sind Zweigstellen der Konzentrationslager errichtet worden. Für diese Dienste Himmlers hat Speer der SS seinerseits erfahrene Fachleute und zusätzliches Kriegsmaterial zur Verfügung gestellt.

Speer hat hier viel darüber gesprochen, daß er die engere Umgebung Hitlers heftig kritisiert, angeblich ernste Meinungsverschiedenheiten mit Hitler gehabt und in seinen Briefen an Hitler auf die Nutzlosigkeit einer Fortsetzung des Krieges hingewiesen habe. Als der Vertreter der Sowjetanklagebehörde Speer aber fragte, wen von der engeren Umgebung Hitlers er kritisiert habe und weshalb, hat der Angeklagte geantwortet: »Das werde ich Ihnen nicht sagen.«

Es ist ganz offensichtlich, daß Speer es nicht nur nicht sagen wollte, sondern daß er es tatsächlich nicht konnte, aus dem einfachen Grunde, daß er niemanden aus der engeren Umgebung Hitlers kritisiert hat und das auch nicht tun konnte, da er selbst ein überzeugter Nazi war und zu dieser engeren Umgebung gehörte. Was [14] die angeblichen »ernsten Meinungsverschiedenheiten« betrifft, so haben diese, wie Speer selbst zugab, erst begonnen, als ihm klar wurde, daß Deutschland den Krieg verloren hatte. Speers Briefe an Hitler sind vom März 1945 datiert. Zu dieser Zeit konnte Speer ohne großes Risiko die Lage Deutschlands als hoffnungslos bezeichnen. Diese Lage war bereits allen klar und stellte keinen Grund zu Meinungsverschiedenheiten dar. Es ist auch kein Zufall, daß auch nach diesen Briefen Speer bei Hitler weiter in Gnaden blieb. Es war gerade Speer, den Hitler am 30. März 1945 mit der Leitung der Maßnahmen zur totalen Zerstörung der Industrieanlagen beauftragt und allen Partei-, Staats- und Militärbehörden den Befehl erteilt hat, ihn, Speer, weitgehend zu unterstützen.

Dies ist das wahre Gesicht des Angeklagten Speer und die tatsächliche Rolle, die er in den Verbrechen der Hitler-Clique gespielt hat.


Neurath.

Konstantin von Neurath spielt eine hervorragende Rolle bei der Festigung der Macht der nazistischen Verschwörer, in Vorbereitung und Verwirklichung ihrer Angriffspläne.

Im Verlaufe vieler Jahre, jedesmal, wenn Spuren zu verwischen waren, oder wenn es notwendig war, mit diplomatischen Manipulationen die Angriffshandlungen zu tarnen, kam Neurath mit seiner jahrelangen Erfahrung auf dem Gebiet der Außenpolitik den Hitleristen zu Hilfe; er, der Nazi-Diplomat im Range eines SS-Generals.

Ich erinnere daran, wie hoch die Tätigkeit Neuraths offiziell eingeschätzt wurde, die in allen Zeitungen des faschistischen Deutschlands am 2. Februar 1943 zu lesen stand.

»Die auffallendsten politischen Ereignisse nach der Machtergreifung, bei denen Baron von Neurath als Reichsaußenminister eine entscheidende Rolle spielte und mit denen sein Name für alle Zeiten verbunden sein wird, sind: der Austritt Deutschlands aus der Abrüstungskonferenz in Genf am 14. Oktober 1933, die Rückgliederung des Saarlandes, die Verkündung und Denunzierung des Locarnovertrages...«

Als Reichsprotektor für Böhmen und Mähren repräsentierte Neurath für die Nazi-Verschwörer jene »feste und zuverlässige Hand«, von der General Friderici in seinem Memorandum schreibt und welche die Tschechoslowakische Republik zu einem »unabtrennbaren Teil Deutschlands« machen sollte. Um dieses Ziel zu erreichen, hat Neurath die berüchtigte »Neue Ordnung« vorbereitet, deren Sinn jetzt allgemein bekannt ist.

Neurath hat versucht, uns hier zu beteuern, daß alle Greueltaten von der Polizei und der Gestapo auf Himmlers direkten Befehl [15] verübt worden seien, während er selbst nichts davon gewußt habe. Man kann wohl verstehen, daß Neurath das jetzt behauptet, man kann ihm jedoch darin nicht beistimmen.

In seiner Vernehmung vom 7. März 1946 hat Karl Frank ausgesagt, daß Neurath regelmäßig vom Chef der Sicherheitspolizei und von Frank persönlich Berichte über die wichtigsten Ereignisse im Protektorat erhalten habe, soweit sie die Sicherheitspolizei betrafen, daß ferner Neurath die Möglichkeit gehabt habe, der Sicherheitspolizei Weisungen zu erteilen und daß er dies auch getan habe: beim SD seien seine Befugnisse sogar noch weitergehend und völlig unabhängig von der Genehmigung des Reichssicherheitshauptamtes gewesen.

Ich erinnere ebenfalls an die Paragraphen 11, 13 und 14 der Verordnung des Reichsverteidigungsrates vom 1. September 1939, in der bestimmt wird, daß der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei im Einvernehmen mit dem Reichsprotektor Verwaltungsvorschriften in Böhmen und Mähren erläßt und daß die Organe der Sicherheitspolizei im Protektorat gehalten sind, den Reichsprotektor und die ihm nachgeordneten Dienststellen zu unterrichten und sie über wichtige Feststellungen auf dem laufenden zu halten.

Wenn man noch hinzufügt, daß der Angeklagte Neurath am 5. Mai 1939 den SD-Führer und Beauftragten der Sicherheitspolizei zu seinem politischen Referenten ernannte, wenn man sich die Aussagen des früheren tschechischen Ministerpräsidenten unter Neurath, Richard Bienert, ins Gedächtnis zurückruft, in denen es heißt, daß die Gestapo Verhaftungen auf Anordnung des Reichsprotektors durchgeführt hat, können dann wohl noch Zweifel darüber bestehen, daß Neurath Massenverhaftungen, Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren und andere unmenschliche Handlungen der Gestapo und Polizei in der Tschechoslowakei sanktioniert hat?

Ich gehe zu den Ereignissen des 17. November 1939 über, als neun Studenten ohne Gerichtsverfahren erschossen, mehr als 1000 Studenten in Konzentrationslager gesteckt und alle tschechischen Hochschulen auf drei Jahre geschlossen wurden.

Neurath sagte, daß er von diesen Terrormaßnahmen erst post factum erfahren habe. Wir haben jedoch dem Gerichtshof eine Bekanntmachung über die Erschießung und Verhaftung der Studenten vorgelegt, auf der die Unterschrift Neuraths zu finden ist. Neurath sucht einen anderen Ausweg zu finden: er behauptet, Frank habe die Bekanntmachung mit seinem, Neuraths, Namen unterzeichnet und setzt zur Bekräftigung noch hinzu, daß er später von einem Beamten erfahren habe, daß Frank seinen Namen oft auf Dokumenten mißbraucht hat. Sind diese Behauptungen glaubhaft?[16] Man braucht nur flüchtig die Tatsachen zu analysieren, um diese Frage zu verneinen.

Neurath sagt: Frank habe seinen Namen mißbraucht. Was hat Neurath dagegen unternommen? Hat er etwa die Entlassung Franks oder seine Bestrafung wegen Urkundenfälschung beantragt? Nein. Vielleicht hat er amtlich jemandem diese Urkundenfälschung gemeldet? Auch nicht. Im Gegenteil, er hat mit Frank weiterhin zusammengearbeitet wie vorher.

Neurath sagt, er habe von dem Mißbrauch seines Namens durch Frank von »einem Beamten« gehört. Wer war dieser Beamte? Wie heißt er? Warum wurde kein Antrag gestellt, ihn vor dem Gerichtshof als Zeugen zu vernehmen, warum wurde keine schriftliche eidesstattliche Erklärung vorgelegt? Die Sache ist die, daß niemand Neurath etwas von dem Mißbrauch seiner Unterschrift auf Dokumenten durch Frank erzählen konnte, weil gar kein Mißbrauch getrieben worden ist. Statt dessen steht dem Gerichtshof Beweismaterial zur Verfügung, aus dem hervorgeht, daß die Bekanntmachung vom 17. November 1939 mit Neuraths Unterschrift versehen war und die Terrormaßnahmen, von denen in dieser Bekanntmachung die Rede ist, von Neurath sanktioniert worden sind. Ich denke dabei an zwei Aussagen von Karl Frank, dem unmittelbaren Teilnehmer an diesen blutigen Ereignissen.

Karl Frank hat bei dem Verhör am 26. November 1945 ausgesagt:

»Dieses Dokument war vom 17. November 1939 datiert und von Neurath unterschrieben, welcher weder gegen die Erschießung der neun Studenten noch gegen die Zahl der Studenten, die in Konzentrationslager verbracht werden sollten, protestierte.«

Ich zitiere die zweite Aussage Karl Franks vom 7. März 1946 in dieser Angelegenheit:

»Der Reichsprotektor von Neurath hat mit seiner Unterschrift unter der öffentlichen Bekanntmachung über die Erschießung der Studenten diese Aktion genehmigt. Ich habe Neurath über den Verlauf der Ermittlungen genau informiert, und er hat die Kundmachung unterschrieben. Wäre er damit nicht einverstanden gewesen und hätte er eine Änderung, zum Beispiel eine Milderung verlangt, wozu er das Recht hatte, so hätte ich mich seiner Meinung anschließen müssen.«

Im August 1939 hat Neurath mit Rücksicht auf die »besondere Lage« eine sogenannte »Warnung« erlassen, in welcher er Böhmen und Mähren zum Bestandteil des Großdeutschen Reiches erklärte und bestimmte, daß

»die Verantwortlichkeit für alle Sabotageakte nicht nur die einzelnen Täter trifft, sondern die gesamte tschechische Bevölkerung« (Dokument USSR- 490),

[17] das heißt, er stellte den Grundsatz der kollektiven Verantwortlichkeit auf und führte das Geiselwesen ein. Wenn man die Ereignisse vom 17. November 1939 im Licht dieser Anordnung Neuraths betrachtet, so finden wir noch einen unwiderlegbaren Beweis gegen Neurath.

Nach dem 1. September 1939 sind in Böhmen und Mähren ungefähr 8000 Tschechen als Geiseln verhaftet worden; die meisten von ihnen wurden in Konzentrationslager geschickt, viele wurden hingerichtet oder starben an Hunger und unter den Foltern. Sie haben, meine Herren Richter, darüber die Aussagen Bienerts, Krejcís und Havelkas gehört.

Sind diese Terrorakte gegen die tschechische Intelligenz nicht auf Grund der sogenannten »Warnung« Neuraths durchgeführt worden?

Ich halte es nicht für notwendig, all das zu behandeln, was in Lidice geschehen ist und außerdem in der Ortschaft Lestraki; es ist allgemein bekannt. Haben dort die deutschen Eindringlinge nicht nach Neuraths »Warnung« und nach seinem Grundsatz gehandelt: »Die Verantwortlichkeit... trifft nicht nur die einzelnen Täter, sondern die gesamte tschechische Bevölkerung?«

Neurath hat im August 1939 mit dem Massenterror gegen die Bevölkerung der Tschechoslowakei begonnen, an seinen Händen klebt das Blut vieler Tausender hingemordeter und zu Tode gequälter Männer und Frauen, Greise und Kinder. Ich sehe keinen Unter schied zwischen dem Freiherrn von Neurath und den anderen Rädelsführern des verbrecherischen faschistischen Regimes.


Fritzsche.

Die Rolle des Angeklagten Hans Fritzsche in der gemeinsamen Verschwörung, bei den Kriegsverbrechen und den Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist zweifellos bedeutender, als sie auf den ersten Blick erscheinen mag.

Fritzsche war Goebbels' engster Mitarbeiter und hat systematisch, Tag für Tag, eine Tätigkeit ausgeübt, die ein wichtiges Glied in dem allgemeinen verbrecherischen Plan der Verschwörung ist und in wirksamster Weise dazu beigetragen hat, die Verhältnisse zu schaffen, unter denen die zahlreichen Verbrechen der Hitleristen keimen und ausreifen konnten.

Alle Bemühungen des Angeklagten Fritzsche und seiner Verteidigung, seine Bedeutung und Rolle in diesen Verbrechen zu bagatellisieren, sind völlig fehlgeschlagen.

Welche ganz besondere Rolle die Lügenpropaganda im Hitler-Deutschland zu spielen hatte, beschreibt Hitler in seinem Buch »Mein Kampf«.

[18] Er schrieb:

»Damit aber lautet die Frage einer Wiedergewinnung deutscher Macht nicht etwa: ›Wie fabrizieren wir Waffen?‹ sondern: ›Wie erzeugen wir den Geist, der ein Volk befähigt, Waffen zu tragen?‹ Wenn dieser Geist ein Volk beherrscht, findet der Wille tausend Wege, von denen jeder bei einer Waffe endet.«

Ich zitierte von Seite 365 bis 366, 64. Auflage, 1933.

Es war auch kein Zufall, daß auf dem Nürnberger Parteitag im Jahre 1936 folgende Schlagworte verkündet wurden:

»Die Propaganda hat uns zur Macht verholfen. Die Propaganda hilft uns, die Macht zu behalten. Die Propaganda wird uns helfen, die ganze Welt zu erobern.«

Der Angeklagte Fritzsche war zweifelsohne seiner Stellung nach einer der hervorragendsten Propagandisten und einer der bestinformierten Leute in Hitler-Deutschland, da er das besondere Vertrauen von Goebbels besaß.

Wie bekannt, war Fritzsche von 1938 bis 1942 Chef der wichtigsten Abteilung im Propagandaministerium, nämlich der Abteilung »Deutsche Presse«; und von 1942 bis zum Zerfall Hitler-Deutschlands Leiter des deutschen Rundfunknachrichtendienstes.

Als Journalist der reaktionären Presse Hugenbergs erzogen und der faschistischen Partei seit 1933 angehörend, hat Fritzsche als Rundfunkkommentator der Regierung durch seine persönliche Propaganda bei der Verbreitung des Faschismus' in Deutschland und der politischen und moralischen Zersetzung des deutschen Volkes eine bedeutende Rolle gespielt. Darüber haben Zeugen, der frühere Generalfeldmarschall des deutschen Heeres Ferdinand Schörner und der frühere Vizeadmiral der deutschen Marine Hans Voß in ihren schriftlichen Aussagen berichtet.

Die dem Gerichtshof unter Nummer 3064-PS und USSR-496 vorgelegten Texte der Rundfunkansprachen des Angeklagten Fritzsche, die von der britischen Radioabhörstation aufgefangen wurden, bestätigen vollauf diese von der Anklagebehörde gezogenen Schlußfolgerungen.

Die deutsche Propaganda und der Angeklagte Fritzsche persönlich haben von der Provokation, der Lüge und der Verleumdung weitgehenden Gebrauch gemacht. Dabei wurden diese Methoden besonders oft zur Rechtfertigung von Angriffshandlungen seitens Hitler-Deutschlands angewandt.

Bereits in »Mein Kampf« schrieb Hitler auf Seite 302:

»... daß durch kluge und dauernde Anwendung von Propaganda einem Volke selbst der Himmel als Hölle vorgemacht werden kann und umgekehrt das elendste Leben als Paradies....«

[19] Fritzsche erwies sich als der geeignetste Mann, diese schmutzige Rolle zu spielen.

In seiner dem Gerichtshof übergebenen Erklärung vom 7. Januar 1946 hat Fritzsche ausführlich die von der deutschen Propaganda und von ihm selbst weitgehend bei den Angriffen auf Österreich, das Sudetenland, Böhmen und Mähren, Polen und Jugoslawien angewandten Provokationsmethoden beschrieben.

Am 9. April und am 2. Mai 1940 hat Fritzsche über den Rundfunk lügenhafte Erklärungen über die Gründe der deutschen Besetzung Norwegens abgegeben. Er hat erklärt, daß

»... kein Mensch verwundet worden ist, kein Haus zerstört wurde, daß das Leben und die Arbeit normal fortlaufen.«

Demgegenüber heißt es in dem vorgelegten offiziellen Bericht der Norwegischen Regierung:

»Der deutsche Angriff auf Norwegen am 9. April 1940 hat das Land zum erstenmal seit 126 Jahren in einen Krieg gestürzt. Zwei Monate lang wurde im ganzen Land gekämpft, was Zerstörungen mit sich brachte. Mehr als vierzigtausend Häuser wurden beschädigt oder völlig zerstört und zirka tausend Zivilpersonen wurden getötet.«

Eine unverschämte Lüge wurde von der deutschen Propaganda, und zwar durch Fritzsche persönlich, über die Versenkung des britischen Dampfers »Athenia« in die Welt verbreitet.

Aber eine besondere Aktivität hat die deutsche Propaganda bezüglich des verräterischen Angriffs Hitler-Deutschlands gegen die Sowjetunion entwickelt.

Der Angeklagte Fritzsche hat zu behaupten versucht, daß er von dem Angriff auf die Sowjetunion angeblich erst um 5.00 Uhr früh am 22. Juni 1941 erfahren habe, als er zu einer Pressekonferenz zum Reichsaußenminister Ribbentrop zitiert wurde. Über die Angriffsziele dieses Überfalls habe er sogar erst im Jahre 1942 durch seine eigenen Beobachtungen etwas erfahren.

Derartige Behauptungen werden durch Urkundenmaterial, wie zum Beispiel den Bericht des Angeklagten Rosenberg, widerlegt. Dieses Dokument stellt fest, daß Fritzsche bereits lange im voraus über die Vorbereitungen zum Angriff auf die USSR auf dem laufenden war, da er als Vertreter des Propagandaministeriums im Ministerium für die besetzten Ostgebiete an der Ausarbeitung der Propagandamaßnahmen im Osten mitgearbeitet hat.

In seinen Antworten auf die Fragen der Sowjetischen Anklagebehörde im Kreuzverhör hat Fritzsche erklärt, daß, wenn ihm die verbrecherischen Befehle der Hitler-Regierung, von welchen er erst hier vor dem Gerichtshof erfahren habe, bekanntgewesen wären, [20] er Hitler nicht gefolgt wäre. Auch in diesem Falle hat Fritzsche dem Internationalen Militärgerichtshof die Unwahrheit gesagt.

Er mußte zugeben, daß ihm die verbrecherischen Befehle Hitlers zur Vernichtung der Juden und zur Erschießung der Sowjetkommissare bereits im Jahre 1942 bekannt waren. Dennoch ist er auf seinem Posten geblieben und hat seine Lügenpropaganda fortgesetzt.

In seinen Rundfunkreden vom 16. Juni und 1. Juli 1944 hat Fritzsche die Anwendung neuer Waffen durch Deutschland propagiert und mit allen Mitteln versucht, die Wehrmacht und das Volk zum weiteren aussichtslosen Widerstand aufzupeitschen.

Noch kurz vor dem Zusammenbruch Hitler-Deutschlands, und zwar am 7. April 1945, hat Fritzsche über den Rundfunk das deutsche Volk zum weiteren Kampf gegen die alliierten Armeen und zum Eintritt in die »Werwolf«-Organisation aufgerufen.

Somit ist Fritzsche bis zum Schluß dem verbrecherischen Regime Hitlers treu geblieben.

Mit ganzer Seele hat er sich für die Verwirklichung der Faschisten-Verschwörung und all ihrer geplanten und ausgeführten Verbrechen eingesetzt.

Er ist ein aktiver Teilnehmer an allen Hitlerschen Verbrechen und muß für diese die schwerste Verantwortung tragen.

Meine Herren Richter! So stehen diese Angeklagten vor Ihnen als Männer ohne Ehre und ohne Gewissen. Männer, die die Welt in einen Abgrund von Unglück und Leiden gestürzt und über ihr eigenes Volk unermeßliche Not gebracht haben. Politische Abenteurer, die vor keiner Greueltat zurückgeschreckt sind, wenn es galt, ihre verbrecherischen Ziele zu erreichen; erbärmliche Demagogen, die ihre räuberischen Pläne in gleisnerische Lügen kleideten; Henker, die Millionen Unschuldiger ermordeten. Sie haben sich zu einer Verschwörerbande zusammengeschlossen, die Macht ergriffen und die deutsche Staatsmaschinerie zu einem Werkzeug für ihre Verbrechen gemacht.

Nun ist die Stunde der Abrechnung gekommen!

Neun Monate lang haben wir die früheren Herren des faschistischen Deutschlands beobachtet. Im Angesicht des Gerichtshofes ist ihnen auf der Anklagebank ihre laute Arroganz vergangen. Einige von ihnen haben sogar über Hitler den Stab gebrochen. Aber sie werfen Hitler jetzt nicht vor, daß er den Krieg entfesselt hat, nicht den Völkermord und die Ausplünderung anderer Länder; Das einzige, was sie ihm nicht verzeihen können, ist die Niederlage. Zusammen mit Hitler waren sie bereit, Millionen von Menschen zu vernichten, die Elite der ganzen Menschheit zu versklaven, um ihr verbrecherisches Ziel zu erreichen: die Weltherrschaft.

[21] Aber die Geschichte hat anders entschieden: Greueltaten brachten keine Siege. Die freiheitsliebenden Völker haben gesiegt, die Wahrheit hat triumphiert, und wir sind stolz darauf, daß der Internationale Militärgerichtshof das Gericht der siegreichen, gerechten Sache der friedliebenden Völker ist.

Die Verteidiger der Angeklagten sprachen von Humanität. Wir wissen, daß Zivilisation und Humanität, Demokratie und Humanität, Friede und Humanität unzertrennlich sind. Aber als Vorkämpfer der Zivilisation, der Demokratie und des Friedens verwerfen wir eine Humanität, die Rücksicht auf die Menschenschlächter nimmt, aber den Opfern gleichgültig gegenübersteht. Sogar der Verteidiger Kaltenbrunners sprach hier von Nächstenliebe. In Verbindung mit dem Namen und den Taten Kaltenbrunners klingen Worte von Liebe zum Menschen wie eine Lästerung.

Herr Vorsitzender und meine Herren Richter! Mit meiner Rede beschließe ich den Vortrag der Anklage.

Als Vertreter der Völker der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken vor diesem Gerichtshof halte ich alle gegen die Angeklagten erhobenen Vorwürfe für vollauf erwiesen.

Und im Namen der wahren Liebe zur Menschheit, die die Völker erfüllt, welche für die Rettung der Welt, der Freiheit und Kultur die größten Opfer gebracht haben – in Erinnerung an Millionen unschuldiger Menschen, die von dieser Verbrecherbande zugrunde gerichtet worden sind, einer Bande, die heute vor den Richtern der fortschrittlichen Menschheit steht; im Namen des Glücks und der friedfertigen Arbeit kommender Geschlechter beantrage ich, der Gerichtshof möge über alle Angeklagten ohne Ausnahme die Höchststrafe verhängen, die Todesstrafe.

Solch einem Urteilsspruch sieht die ganze fortschrittliche Menschheit mit Genugtuung entgegen.

DER VORSITZENDE, LORD JUSTICE SIR GEOFFREY LAWRENCE: Wir werden uns jetzt mit den Anträgen auf Zeugen und Dokumente des Verteidigers für die SA beschäftigen.

MAJOR J. HARCOURT BARRINGTON, HILFSANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Hoher Gerichtshof! Anfänglich waren sieben Zeugen für die SA beantragt, vier für die allgemeine SA, zwei für den »Stahlhelm« und einer für das SA-Reiterkorps. Seither ist ein achter Antrag gestellt worden auf einen Zeugen für den »Stahlhelm«, der, wie ich es verstehe, die beiden anderen für den »Stahlhelm« ersetzen soll. Dies würde die Gesamtzahl der Zeugen, die für die SA beantragt sind, auf sechs vermindern.

Alle diejenigen, für die anfänglich Anträge gestellt wurden, sind bereits von der Kommission verhört worden; der zuletzt beantragte [22] Zeuge mit dem Namen Gruß ist noch nicht vor der Kommission vernommen worden. Wenn der Gerichtshof diesen Zeugen genehmigt, müßte er jetzt vor der Kommission vernommen werden.

Ich weiß, daß der Gerichtshof die Empfehlung der Kommission vor sich liegen haben wird, wenn er dies entscheidet. Unter diesen Umständen wünscht die Anklagevertretung nur zu sagen, daß sie gegen diesen Antrag keinen Einwand hat.


VORSITZENDER: Sie meinen, keinen Einwand gegen alle diese Zeugen?


MAJOR BARRINGTON: Keinen Einwand; dieser letzte Zeuge Gruß ist als Ersatz für die beiden anderen »Stahlhelm«-Zeugen Waldenfels und Hauffe gedacht.


VORSITZENDER: Ja, Herr Böhm.


RECHTSANWALT GEORG BÖHM, VERTEIDIGER FÜR DIE SA: Ich habe beantragt zu vernehmen für die SA den Zeugen Jüttner, den Zeugen Bock, die Zeugen Klähn, Schäfer, von der Borch und primär die Zeugen Waldenfels und Hauffe. Der Zeuge Hauffe war beantragt, weil es nicht möglich war, einen an sich vorgesehenen Zeugen nach Nürnberg zu bekommen, und zwar den Zeugen Gruß. Bezüglich des Zeugen Gruß möchte ich beantragen, ihn vor der Kommission zu vernehmen, damit er auch hier vor dem Tribunal vernommen werden kann. Gruß konnte erst vor einigen Tagen geladen werden, obwohl mein Antrag, ihn zu vernehmen, bereits im Mai gestellt wor den ist und er zwei Monate lang gesucht werden mußte. Er ist ein wichtiger Zeuge für den »Stahlhelm« in der SA, kennt als Bundeskämmerer im »Stahlhelm« die Verhältnisse in ganz Deutschland, besonders auch für die Zeit nach 1935. Nachdem ich aber den Antrag, den Zeugen hier zu vernehmen, erst stellen kann, wenn der Zeuge vor der Kommission vernommen ist, bitte ich zu gestatten, daß dieser Zeuge vor der Kommission vernommen wird. Es soll deshalb auf den Zeugen Waldenfels nicht verzichtet werden, so daß sich die Situation so gestaltet, daß für die SA nicht sechs sondern sieben Zeugen vernommen werden sollen, wie das ursprünglich auch vorgesehen war.


VORSITZENDER: Gut, wie lauten die Namen? Wie heißen sie?


RA. BÖHM: Jüttner, Bock, Klähn, Schäfer, von der Borch, Waldenfels und Gruß. Ich möchte aber bitten, Herr Vorsitzender, nachdem ich den Umfang der Aussagen des Zeugen Gruß noch nicht kenne, mir die Wahl zu lassen zwischen den beiden Zeugen Gruß und Hauffe. Ich möchte also nach Vernehmung des Zeugen Gruß vor der Kommission mich entschließen können, ob ich neben dem Zeugen Waldenfels den Zeugen Hauffe oder den Zeugen Gruß hier vor Gericht zu vernehmen beantragen werde.

VORSITZENDER: Ist das alles, was Sie sagen wollen, Herr Böhm?


[23] RA. BÖHM: Im Zusammenhang mit den Zeugen schon. Ich möchte aber weitersprechen im Zusammenhang mit dem Dokumentenbuch für die SA, wenn Sie gestatten.


VORSITZENDER: Herr Barrington! Wünschen Sie noch etwas über den Antrag zu sagen, den Herr Böhm jetzt für sieben, nicht für sechs, stellt?


MAJOR BARRINGTON: Die Anklagebehörde glaubt, daß ein Zeuge für den »Stahlhelm« genügen würde, aber Euer Lordschaft wird natürlich die Empfehlung der Kommission erhalten. Sie werden gehört worden sein. Zu der Frage der Wahl zwischen den beiden Zeugen, nachdem Gruß verhört worden ist, würde natürlich kein Einwand erhoben werden.


RA. BÖHM: Herr Präsident! Darf ich dazu erwähnen, daß der »Stahlhelm« in der SA ungefähr der vierte Teil der SA-Angehörigen war. Es waren rund eine Million Menschen, die aus dem »Stahlhelm« in die SA gekommen sind, und ich glaube, der Beweis müßte angesichts der hohen Zahl der Mitglieder durch zwei Zeugen vor Gericht erhärtet werden.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird diese Angelegenheit erwägen. Wollen Sie jetzt zu Ihren Dokumenten gehen?


MAJOR BARRINGTON: Euer Lordschaft! Würde es jetzt passen, wenn ich mit den Dokumenten beginne?


VORSITZENDER: Ja.


MAJOR BARRINGTON: Ein Einverständnis über die Dokumentenbücher ist erreicht worden mit Ausnahme einer Gruppe von fünf Dokumenten, gegen die die Anklagebehörde Einspruch erhebt.

Bevor ich zu dieser Gruppe übergehe, sollte ich erwähnen, daß sich unter den Dokumenten, die auf Grund unserer Übereinkunft ausgeschlossen wurden, eine größere Anzahl Photographien von Mitgliedern der Reiter-SA in Zivil befindet. Die große Mehrzahl dieser Photographien ist ausgeschlossen worden. Einige wurden eingeschlossen. Ich möchte sagen, daß die Photographien zeigen sollten, daß das Ziel des Reiterkorps ausschließlich sportlicher Art ist. Die Anklage gibt natürlich zu, daß das Ziel des Reiterkorps auch ein sportliches war, aber natürlich behauptet die Anklage, es war nicht das einzige Ziel.

Was diese Gruppe von fünf Dokumenten anbetrifft, glaube ich, daß ich mich da kurz fassen kann. Ich habe eine kurze Zusammenfassung vorbereitet, die der Gerichtshof auf der Rückseite dieses Aktenstückes finden wird.


VORSITZENDER: Ja.


MAJOR BARRINGTON: Diese fünf Dokumente sind alle Auszüge aus Schriften englischer Schriftsteller und Publizisten aus der [24] Zeit 1936 bis 1939, und ich glaube, sie stellen die nichtamtlichen Meinungen und Argumente der Autoren dar. Euer Lordschaft, Sie können ungefähr sehen, worüber sie handeln.

Das erste Dokument, SA-236, von Herrn Dawson, »Das 19. Jahrhundert« soll zeigen, daß Hitlers Politik gegenüber den Staatsmännern Europas friedlich und nicht kriegerisch war und daß Hitler Deutschland vor dem Chaos und Zusammenbruch gerettet hat und daß er dasselbe mit seinen Friedensvorschlägen für ganz Europa im Sinne hatte.

Und dann Dokument SA-237 von Dr. A. J. McDonald, das Buch »Warum ich an Hitler-Deutschland und das Dritte Reich glaube«. Er sagt: »Vielleicht ist die beste Garantie für die Stabilität des Hitler-Regimes seine eigene moralische Reinheit und das, was er Deutschland auferlegt hat. Er hat das Problem der Jugend aufgegriffen« und so weiter.

SA-242 ist ein Auszug aus dem »Archiv«. Es zitiert Professor Conwell Evans und wieder Professor Dawson: »Hitlers Zurückziehen von Locarno und die Besetzung des Rheinlandes waren gut.« »Hitlers Friedensvorschläge sind sehr wertvoll.« »Der Versailler Vertrag war ungerecht« und so fort.

SA-246 ist ein anderer Auszug aus dem Buch »Das 19. Jahrhundert« und betont, daß »die Deutschen in Teile ihres eigenen Landes marschieren« und erklärt dies für gerechtfertigt.

SA-247, ein Auszug aus dem Buch von A. P. Lorry »Der Fall für Deutschland«, wo es heißt: »Die Beschwerde, daß Deutschland Gewalt anwendet, ist falsch, und der Angriff auf Österreich kann nicht als Angriff bezeichnet werden.«

Nun, Euer Lordschaft, soweit diese Auszüge Tatsachen beweisen sollen, geben sie ganz klar keinen direkten Beweis von Tatsachen, sondern sie sind nur Folgerungen von Tatsachen, und somit präjudizieren sie die Fragen, die der Gerichtshof selbst entscheiden soll.

Wenn sie andererseits, wie wohl möglich ist, zeigen sollen, daß diese Schriften die SA dazu brachten, das Nazi-Regime als bewunderungswürdig anzusehen oder zu glauben, daß es im Ausland gut angesehen sei, dann möchte ich nur zwei Dinge dazu bemerken: erstens waren dies nichtamtliche Schriftstücke, zweitens ist kein Beweis dafür vorhanden, daß sie überhaupt die SA beeinflußt haben, falls sie gelesen worden sind. Das ist alles, was ich zu sagen habe.


VORSITZENDER: Herr Böhm.


RA. BÖHM: Ich habe ursprünglich nicht vorgehabt, den Inhalt so umfangreich hier vorzutragen, wie es der Vertreter der Anklage gemacht hat. Ich möchte mir nicht zum Vorwurf machen lassen, daß ich möglicherweise nationalsozialistische Propaganda treibe. Aber es [25] handelt sich hier um kurze Zitate aus der englischen und amerikanischen Literatur, die keine Übersetzungsschwierigkeiten bedeuten und aus denen ich auch nicht vorhatte, hier zu verlesen. Ich habe auch nicht vor, im Rahmen der Beweisaufnahme den Inhalt dieser Schriftstücke vorzulegen. Aber ich wollte wenigstens Gelegenheit haben, in meinem Plädoyer darauf zurückkommen zu dürfen. Diese Zitate sind in deutschen Zeitungen erschienen. Sie sind in Sammelwerken, wie zum Beispiel im »Archiv« erschienen und waren auf diese Weise der deutschen Öffentlichkeit zugänglich und auch bekannt. Es ist nicht so, daß diese Ausschnitte jetzt übersetzt und vorher keinem Menschen in Deutschland bekanntwerden konnten. Sie sind im »Völkischen Beobachter« und im »Archiv« erschienen, und es konnte jeder Deutsche sie dort lesen und sie kennenlernen. Sie haben nun einmal ohne Rücksicht auf die Bedeutung der Schriftsteller selbst oder der Leute, die die Ausführungen gemacht haben, in ihrem eigenen Lande für den Deutschen insofern eine Bedeutung, weil es doch Männer sind, die aus führenden Staaten der Welt zu Themen, die in Deutschland akut waren, ihre Stellung dargelegt haben. Und ich würde es bedauern, wenn das Gericht sich nicht entschließen könnte, diese Dokumente mit in mein Dokumentenbuch zu bringen. Denn sie machen wenig Arbeit in der Übersetzung, sind nicht umfangreich und stellen in dieser Richtung kein Hindernis dar.


VORSITZENDER: Sind alle Dokumente übersetzt?


RA. BÖHM: Ich glaube nicht, daß sie bereits übersetzt sind. Eine beträchtliche Anzahl wurde beantragt.


VORSITZENDER: Sind sie sehr lang?


RA. BÖHM: Diese fünf sind nicht sehr lang. Der größte Teil sind kurze Auszüge.


VORSITZENDER: Ich meine nicht die fünf, ich meine die anderen.


MAJOR BARRINGTON: Sie sind verschieden, aber meistens sind es kurze Auszüge.


RA. BÖHM: Von meinem Dokumentenbuch sind die allerwenigsten Dokumente ganz übersetzt worden, sondern nur Auszüge, auf die ich mich im Rahmen der Beweisaufnahme und in meinem Plädoyer besonders stützen werde. Also die gesamte Übersetzung meines Dokumentenbuches wird wenig Arbeit machen, und durch die Dokumente, die ich heute mitübersetzen lasse, entstehen ganz bestimmt keine besonderen Schwierigkeiten.


VORSITZENDER: Wünschen Sie noch etwas zu bemerken, Herr Böhm?


RA. BÖHM: Herr Präsident! Ich habe bedauerlicherweise noch einen Antrag zu stellen, den ich mir lieber erspart hätte. Aber die [26] Verhältnisse liegen so, daß er gestellt werden muß. Ich bitte nämlich, die Zeugen Fust, Lucke, Waldenfels, von Alvensleben, Dr. Geyer und Dr. Meder noch vor der Kommission vernehmen zu dürfen. Diese Zeugen wurden von mir beantragt, der Zeuge Fuß am 25. April, der Zeuge Lucke am 7. Mai, der Zeuge Waldenfels am 21. Mai, der Zeuge von Alvensleben am 20. Mai, der Zeuge Dr. Geyer am 25. April und der Zeuge Dr. Meder am 25. April dieses Jahres. Diese Zeugen sind wichtige Zeugen, und wenn ich nur ein Beispiel sagen darf, die Einvernahme der Zeugen Fuß und Lucke würde eine Widerlegung eines der bedeutendsten Dokumente in diesem Prozeß bedeuten, des Dokuments 1721-PS, in dem der Brigade 50 der Vorwurf gemacht wird, daß von dem Brigadeführer an den Gruppenführer Vollzugsmeldung erstattet wurde über ungefähr 38 Synagogen, die niedergebrannt worden sind. Auch die anderen Zeugen, über deren Beweisthemen ich mir jetzt zur Abkürzung des Verfahrens weitere Ausführungen erspare und die zu vernehmen mir auch Oberst Neave zugesagt hat, sind noch nicht gekommen. Ich glaube, gestern gehört zu haben, daß Dr. Geyer vor einigen Tagen gekommen sein soll. Die Beweisthemen für die Zeugen sind wichtig, und die Zeit für die Einvernahme vor der Kommission wird ganz kurz sein. Ich kann auf diese Zeugen, die ich im übrigen seit dem Tage der Antragstellung auf ihre Einvernahme in jeder Woche gemahnt habe, unmöglich verzichten; die Zeugen müssen gehört werden, und ich glaube auch, daß sie beigebracht werden können, noch so, daß sie innerhalb der Beweisaufnahme dieses Prozesses vernommen werden können.


VORSITZENDER: Wieviel Zeugen verlangen Sie?


RA. BÖHM: Sieben Zeugen, die vor der Kommission vernommen werden sollen, nein sechs Zeugen.


VORSITZENDER: Wie viele haben Sie schon vor der Kommission verhört? Man sagt mir 16, stimmt das?


RA. BÖHM: 16. Ich kann die genaue Zahl aber noch nicht angeben, bin aber bereit, sie alsbald festzustellen.


VORSITZENDER: Wie viele sind nach Nürnberg gebracht worden, um von Ihnen verhört zu werden?


RA. BÖHM: Die Zeugen, die nach Nürnberg gekommen sind, um von mir verhört zu werden, waren zum größten Teil falsche Zeugen. Eine Reihe von Zeugen mußten zwei- oder dreimal hierherkommen, um dann endlich den richtigen zu bekommen, wie zum Beispiel der Zeuge Wolff.


VORSITZENDER: Ich fragte wie viele.


RA. BÖHM: Insgesamt, alle Zeugen, die gekommen sind, nur um eine eidesstattliche Versicherung abzugeben oder nur die Zeugen, die vor der Kommission vernommen worden sind?


[27] VORSITZENDER: Wie viele Zeugen sind hierhergebracht worden? Wie viele Personen sind nach Nürnberg gebracht worden, um vernommen zu werden?


RA. BÖHM: Herr Präsident! Ich glaube, da liegt eine Sache dazwischen, die erst einer Erklärung bedarf. Hierher sind Zeugen gekommen, um vor der Kommission beziehungsweise vor dem Gericht vernommen zu werden. Es sind aber auch Zeugen hierhergekommen, nur zu dem Zweck, eine eidesstattliche Versicherung abzugeben über irgendein Thema, über einen Beweis, der wichtig erschien. Also Zeugen, die nicht eigentlich vor der Kommission oder vor dem Tribunal gehört zu werden brauchten. Diese Zeugen sind wieder weggeschickt worden, nachdem sie eine eidesstattliche Versicherung abgegeben hatten.

VORSITZENDER: Ich frage Sie, wie viele? Wie viele? Können Sie nicht antworten?


RA. BÖHM: Insgesamt? Mich würde interessieren, ob die Frage abgestellt ist auf die Leute, die vor der Kommission vernommen worden sind, oder auf alle Zeugen, die hierhergekommen sind.


VORSITZENDER: Gut, von den Leuten, die hierhergekommen sind, sind einige vor der Kommission vernommen worden, andere haben Affidavits abgegeben, andere wieder haben vielleicht weder das eine noch das andere gemacht. Ich möchte wissen, wie viele insgesamt?


RA. BÖHM: Ich glaube 16. Alle kann ich sie nicht genau angeben, weil ich sie nicht alle vernommen habe. Ich bitte, mir die Möglichkeit zu geben, dies nach der Pause feststellen zu können.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird jetzt eine Pause einschalten.


[Pause von 10 Minuten.]


VORSITZENDER: Ich werde mich zuerst mit den Dokumenten beschäftigen. Die Dokumente, gegen die kein Einwand erhoben wurde, werden übersetzt und zugelassen werden, vorbehaltlich von Einwänden hinsichtlich ihrer Zulässigkeit. Dokumente, gegen die bereits Einwände erhoben worden sind, nämlich SA-236, 237, 242, 246 und 247, werden alle zurückgewiesen und dürfen nicht übersetzt werden.

Mit Bezug auf die beantragten Zeugen dürfen die folgenden Zeugen, die vor der Kommission verhört worden sind, vor dem Gerichtshof verhört werden: Der Zeuge Schäfer, der Zeuge Jüttner, entweder der Zeuge Bock oder der Zeuge Klähn, je nach der Entscheidung des Verteidigers der SA, und einer der drei Zeugen: Waldenfels, Hauffe und Gruß wird vor der Kommission verhört werden.

[28] Von der Borch ist nicht genehmigt, aber seine Aussage kann in Form eines Affidavits vorgelegt werden.

Mit Bezug auf die anderen sechs Zeugen, die beantragt worden sind, ist jede Anstrengung gemacht worden, sie aufzufinden, und wenn sie innerhalb einer Woche von heute hier eintreffen sollten, das heißt am oder vor dem Dienstag der nächsten Woche, werden sie vor der Kommission verhört werden. Das ist alles.


RA. BÖHM: Herr Präsident! Darf ich noch eine kurze Erklärung abgeben? Das Gericht hat eben genehmigt, daß die Zeugen Waldenfels, Hauffe und Gruß vor der Kommission vernommen werden dürfen.


VORSITZENDER: Nein, die Zeugen Waldenfels, Hauffe und Gruß sind bereits vor der Kommission vernommen worden, nicht wahr?


RA. BÖHM: Ja.


VORSITZENDER: Was ich gesagt habe, war, daß Sie einen der drei Zeugen: Waldenfels, Hauffe und Gruß auswählen sollen, nachdem Gruß vor der Kommission vernommen worden ist. Einer von den dreien, so daß Sie also im ganzen vier Zeugen haben: Schäfer, Jüttner, entweder Bock oder Klähn und entweder Waldenfels, Hauffe oder Gruß, insgesamt vier. Außerdem werden Sie ein Affidavit von von der Borch vorlegen können.


RA. BÖHM: Ja.


VORSITZENDER: Herr Barrington! Bezüglich des Reichskabinetts sehe ich, daß ein Zeuge noch nicht zugelassen worden ist, und zwar der Zeuge Schlegelberger, der noch nicht vor der Kommission erschienen ist.

Ja, Dr. Kempner?


DR. ROBERT M. KEMPNER, HILFSANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Schlegelberger ist gestern vor der Kommission befragt worden.


VORSITZENDER: Hat jemand einen Einwand...


DR. KEMPNER: Nein.


VORSITZENDER: Sind noch andere Zeugen für das Reichskabinett da?


DR. KEMPNER: Nicht daß ich wüßte.


VORSITZENDER: Dann würde es wohl Zeit sparen, wenn wir ihn jetzt zulassen und zu den Dokumenten übergehen. Gibt es Dokumente für das Reichskabinett, über die keine Übereinstimmung erzielt wurde?


DR. KEMPNER: Wir haben schon alle Dokumente geprüft.


VORSITZENDER: Sie stimmten zu? Gut, sehr gut.


[29] DR. KEMPNER: Ich danke Ihnen.


VORSITZENDER: Und jetzt werden wir die Zeugen für die Politischen Leiter hören.


DR. ROBERT SERVATIUS, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SAUCKEL, VERTEIDIGER FÜR DAS KORPS DER POLITISCHEN LEITER: Herr Präsident! Nach dem Beschluß vom 25. Juli und 26. Juli soll ich zunächst die Dokumente und Affidavits anbieten, damit sie Gegenstand des Protokolls werden. Soll ich das tun oder zunächst den Zeugen vernehmen?

Dem Beschluß entsprechend werde ich es vorher machen; ich habe es so vorbereitet.


VORSITZENDER: Sehr gut, machen Sie es so.


DR. SERVATIUS: Nach dem Beschluß vom 25. Juli soll das Beweismaterial zunächst eingereicht werden. Die Würdigung des Beweismaterials soll erst beim Schlußvortrag erfolgen, so daß ich jetzt das Beweismaterial nur überreiche, ohne einen besonderen Kommentar dazu zu geben. Ich halte mich dabei an den vorliegenden Beschluß. Demnach überreiche ich zunächst eine Liste der Zeugen, die vor der Kommission vernommen worden sind und die ich als Beweismaterial anführen werde. Das sind 20 Zeugen, und zwar, wenn ich sie verlesen soll, sind es folgende... Hält das Gericht es für nötig, daß ich die Zeugen verlese?


VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß Sie die Namen der Zeugen verlesen müssen. Es wird genügen, wenn Sie formell die Protokolle ihrer Aussagen vor der Kommission überreichen.


DR. SERVATIUS: Jawohl, gut. Ich überreiche zum Beweis die Abschriften der Protokolle, die der Kommission ja im Original vorliegen. Es fehlt noch das Protokoll des Zeugen Mohr, das in der Liste als Nummer 7 erscheint. Ich habe das Protokoll noch nicht bekommen. Ich werde es nachher einreichen.


VORSITZENDER: Dann wird der Generalsekretär das Original der Protokolle zu den Akten legen.

DR. SERVATIUS: Ja.


VORSITZENDER: Und Sie werden ihm eine Nummer geben, nehme ich an, eine Beweisstücknummer?


DR. SERVATIUS: Ja, ich werde es nach Rücksprache mit dem Generalsekretär tun, da es noch unklar ist, wie die Dokumente hereinkommen.


VORSITZENDER: Sehr gut.


DR. SERVATIUS: Ich übergebe dann eine Liste...


VORSITZENDER: Einen Augenblick. Sie werden es mit dem Generalsekretär abmachen, ob es notwendig ist, diesen Protokollen [30] der Aussagen vor der Kommission eine Beweisstücknummer zu geben oder nicht.


DR. SERVATIUS: Jawohl, ich werde es vereinbaren. Dann werde ich eine Liste der Affidavits überreichen, welche von der Kommission genehmigt sind. Es sind 52 Stück. In der Liste sind die Dokumente angegeben, deren Übersetzung als besonders wichtig von der Kommission zugebilligt wurde. Die Affidavits selbst befinden sich bei der Kommission, und ich werde auch hier mit dem Herrn Generalsekretär besprechen, in welcher Form sie als Exhibits eingeführt werden sollen.

Dem Beschluß entsprechend habe ich dann eine Zusammenfassung dieser Affidavits schriftlich vorbereitet. Wenn das Gericht es wünscht, lese ich diese Zusammenfassung vor, die eine Erklärung enthält zu diesem Dokument; aber ich glaube nicht, daß es jetzt von großem Nutzen ist, sondern besser, wenn es später vorgetragen wird, wenn man die Sache im Zusammenhang vor sich liegen hat.


VORSITZENDER: Sehr gut.


DR. SERVATIUS: Dann möchte ich weitere Affidavits einreichen, die aber noch nicht vorliegen und noch nicht vor der Kommission behandelt sind. Das sind 139000 Affidavits, die in folgender Art zusammengefaßt sind: Sie sind aufgeteilt in bestimmte Gruppen; diese Gruppen sind durchgesehen von Mitgliedern der Organisationen, die hier im Gefängnis sind, und zu jeder Gruppe ist ein Sammelaffidavit abgegeben worden. Diesen Sammelaffidavits sind drei besonders wichtige und typische beigefügt worden. Die große Menge der jeweils dazugehörigen Dokumente könnte ich überreichen, und ich biete sie dem Gericht an, wenn mir Gelegenheit gegeben wird. Ich möchte mit dem Herrn Generalsekretär vereinbaren, wie sie übergeben werden sollen. Es geht praktisch hinaus auf zwölf verschiedene Gruppen; das wären zwölf Affidavits mit jeweils drei Anlagen; die jeweils wichtigsten, also zur Kirchenfrage, zur Frage der Tiefflieger und zur Frage der Konzentrationslager. Das sind neun Gruppen.

Dann habe ich zwei Gruppen, das ist ein Durchschnitt durch zwei Lager, in denen sich viele Tausende befinden, so daß man dort ein geschlossenes Bild von der Ansicht der Lagerinsassen hat. Auch sie sind zusammengefaßt durch ein Affidavit mit wenigen Anlagen. So habe ich versucht, das ganze Material so zusammenzufassen, daß das Gericht in der Lage ist, davon Kenntnis zu nehmen, und ich würde es begrüßen, wenn ich es gesamt übergeben könnte, so daß das Gericht eventuell Stichproben machen und sich von der Richtigkeit überzeugen kann.


VORSITZENDER: Wie ich es verstehe, liegen 139000 Affidavits vor. Sie haben sie in zwölf Gruppen eingeteilt?


[31] DR. SERVATIUS: Ja.


VORSITZENDER: Mit zwölf Sammelaffidavits für diese zwölf Gruppen.


DR. SERVATIUS: Ja.


VORSITZENDER: Und beigefügt haben Sie jedem dieser zwölf Sammelaffidavits zwei oder drei...


DR. SERVATIUS: Es sind drei. Es ist, wie ich jetzt erst gesehen habe, eine größere Zahl beigefügt, und ich würde sie noch einmal durchsehen und sie verringern, so daß es grundsätzlich bei jeder Gruppe drei sind.


VORSITZENDER: Dr. Servatius! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß alle 139000 Affidavits bei dem Gerichtshof hinterlegt werden sollten. Zweifellos werden die zwölf Sammelaffidavits mit den beigefügten Affidavits von großer Bedeutung für den Gerichtshof sein. Sie sind der Kommission zu übergeben und von ihr zu billigen, und dann werden sie dem Gerichtshof vorgelegt werden.


DR. SERVATIUS: Ich habe dann zu übergeben die Dokumentenbücher, die dem Tribunal vorliegen. Die Originale der Dokumente habe ich hier und übergebe sie. Eine Reihe von Dokumenten kann ich nicht im Original übergeben, und zwar sind dies zwei Dokumente, die sich bei der Universität Erlangen befinden. Das eine Dokument PL-15 ist das Buch »Die Amtsträger der Partei«, und das Dokument PL-78 ist das Buch »Das Recht der NSDAP« von Dr. Hein und Fischer. Alle anderen Dokumente habe ich übergeben. Ein großer Teil der Dokumente sind aus Schriftensammlungen und Büchern entnommen, die sich bereits in der Bibliothek der Anklagebehörde befinden. Der Titel dieser Schriftensammlungen ergibt sich jeweils aus dem Kopf des betreffenden Dokuments im Dokumentenbuch. Ich bitte, diese Schriftensammlung und Bücher als Originale bezeichnen zu dürfen, befindlich in der Bibliothek der Anklagebehörde.


VORSITZENDER: Jawohl, vorbehaltlich von Einwänden.


DR. SERVATIUS: Ich bin dann mit dem Vortrag des vor der Kommission niedergelegten Beweismaterials zu Ende und würde jetzt mit Erlaubnis des Hohen Gerichts die Zeugen rufen.

Ich rufe mit Erlaubnis des Hohen Gerichts den Zeugen Gauleiter Kaufmann.


[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Wollen Sie Ihren vollen Namen angeben?

ZEUGE KARL KAUFMANN: Karl Otto Kurt Kaufmann.


[32] VORSITZENDER: Wollen Sie folgenden Eid ablegen und mir nachsprechen: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.«


[Der Zeuge wiederholt die Eidesformel.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Sie waren Gauleiter von 1925 bis 1928 im Gau Ruhr und von 1928 bis 1945 im Gau Hamburg?


KAUFMANN: Jawohl.


DR. SERVATIUS: Wie viele Menschen lebten in diesen Gauen?


KAUFMANN: Im Gau Ruhr schätzungsweise sieben bis acht Millionen und im Gau Hamburg 1,8 Millionen.


DR. SERVATIUS: Haben Sie einen Überblick über die Verhältnisse in anderen Gauen?


KAUFMANN: Etwas, ja.


DR. SERVATIUS: Sie sind 1921 in die Partei eingetreten und nach der Auflösung der Partei erneut im Jahre 1925?


KAUFMANN: Jawohl.


DR. SERVATIUS: In der Zwischenzeit waren Sie Arbeiter von 1921 bis 1925 im Ruhrgebiet und in Oberbayern?


KAUFMANN: Nein, von 1923 bis 1925.

DR. SERVATIUS: Wann ist nach der nationalsozialistischen Terminologie jemand ein Politischer Leiter?


KAUFMANN: Ein Politischer Leiter ist er dann, wenn er dazu ernannt ist, im Besitze einer entsprechenden Urkunde ist und das Recht zum Tragen der Uniform besitzt.


DR. SERVATIUS: Gehörten die Block- und Zellenleiter zu den Politischen Leitern?


KAUFMANN: Jawohl.


VORSITZENDER: Dr. Servatius! Wollen Sie den Zeugen nach seinem Geburtsdatum fragen.


DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Wann wurden Sie geboren?


KAUFMANN: Ich bin geboren am 10. Oktober 1900.


DR. SERVATIUS: Waren die Block- und Zellenleiter nicht eine andere Art Politischer Leiter als die Politischen Leiter einer höheren Stelle?


KAUFMANN: Die Block- und Zellenleiter waren kleine ausführende Organe der Ortsgruppenleiter.


DR. SERVATIUS: Stand die Tätigkeit der Block-und Zellenleiter an Bedeutung unter der Tätigkeit der Amtsleiter in der Ortsgruppe, im Stab der Ortsgruppe?


[33] KAUFMANN: Unter den Amtsleitern der Ortsgruppe gab es wesentliche Aufgaben und unwesentliche Aufgaben. Die Amtsträger der wesentlichen Aufgaben waren wichtiger als die Amtsträger der nicht so wesentlichen Aufgaben.


DR. SERVATIUS: Waren die Block- und Zellenleiter nicht Hoheitsträger und besonders wichtige Politische Leiter?


KAUFMANN: loh habe bereits gesagt, sie waren zwar Hoheitsträger, aber lediglich kleine ausführende Organe des Ortsgruppenleiters.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Euer Lordschaft! Darf ich dem Gerichtshof einen Vorschlag zur Erwägung machen. Ich glaube, es wäre besser, wenn der Übersetzer den deutschen Ausdruck benützen würde, da wir in diesem Zusammenhang alle daran gewöhnt sind, und das Wort »Ortsgruppenleiter« benützen würde an Stelle von »local group«. Denn wenn wir einen Ausdruck wie »local group« benützen, könnte es schwierig werden zu verstehen, worauf sich das bezieht. Dies ist nur ein Vorschlag. Es würde mir auch persönlich helfen. Ich weiß nicht, ob der Gerichtshof zustimmt.


VORSITZENDER: Ja, sicherlich.


DR. SERVATIUS: Worin bestand die allgemeine praktische Tätigkeit der Politischen Leiter? Wie war es vor dem Kriege und nach Beginn des Krieges?


KAUFMANN: Die Tätigkeit der Politischen Leiter richtete sich nach ihrem Amt. Es gab Politische Leiter, die rein fachlich ausgerichtet waren, und es gab Politische Leiter, die mehr politische Führungsaufgaben hatten. Die Aufgabe vor der Machtübernahme bestand wie bei jeder Partei im wesentlichen darin, für die Idee zu werben, die Partei zu organisieren und bei Wahlkämpfen in der Bevölkerung Stimmen für den Erfolg der Partei zu werben. Nach der Machtübernahme bestand die wesentliche Tätigkeit der Politischen Leiter zunächst in der sozialen Betreuung der Bevölkerung und in der Verwirklichung gestellter sozialer Ziele, daneben in Organisationsfragen, Schulungsaufgaben und Propagandafragen. Im Kriege wurden diese Aufgaben durch die Tatsachen des Krieges bestimmt und zu den sozialen Aufgaben des Friedens kamen die großen Betreuungsaufgaben, die der Krieg und seine Ereignisse bedingten.


DR. SERVATIUS: Wie groß war die Zahl der Politischen Leiter vor dem Kriege und im Kriege?

KAUFMANN: Darüber kann ich nur Zahlen aus meinem Gau nennen. Ich schätze die Zahl der Politischen Leiter in Hamburg vor [34] dem Krieg auf etwa 10000 ohne Gliederungen. Diese Zahl ist durch die Einberufungen im Kriege wesentlich beschränkt worden.


DR. SERVATIUS: Wie groß war in Ihrem Gau der Prozentsatz der Politischen Leiter, die zum Wehrdienst einberufen wurden?


KAUFMANN: Wenn ich von der Rüstung absehe – denn viele Politische Leiter waren ja nur ehrenamtlich tätig –, waren von der Partei bei Beginn des Krieges im höchsten Fall zehn Prozent unabkömmlich gestellt.


DR. SERVATIUS: Die also im Gau geblieben sind?


KAUFMANN: Jawohl. 1944 betrug diese Zahl der Jahrgänge 1900 und jünger für die Gesamtpartei in Hamburg noch zwölf, ausgenommen Verwaltung und Rüstung.


DR. SERVATIUS: Wollen Sie sagen zwölf Prozent?


KAUFMANN: Nein, zwölf Mann.


DR. SERVATIUS: Wie in Prozenten ausgedrückt?


KAUFMANN: Ich schätze 6000 Politische Leiter.


DR. SERVATIUS: Zum Stab der Gau-, Kreis- und Ortsgruppenleiter gehörten auch die Leiter der Fachämter. Hatten diese Amtswalter der Fachämter politische Führungsaufgaben?


KAUFMANN: Nein, die große Masse der Politischen Leiter in Fachämtern war ausschließlich mit fachlichen Aufgaben ihrer Organisation beschäftigt.


DR. SERVATIUS: Nahmen die Amtsträger der Fachämter an allen Stabsbesprechungen teil, oder wurde zwischen engerem und weiterem Stab unterschieden?


KAUFMANN: Das richtete sich nach dem Besprechungsgegenstand. War er von politisch allgemeinem Interesse, wurde der Kreis groß gezogen, war es eine Besprechung, die nur spezielle Ämter anging, wurde der Kreis auf diese beschränkt.


DR. SERVATIUS: Erfolgte die Übernahme eines Amtes als Politischer Leiter freiwillig oder auf Grund einer Verpflichtung oder eines Zwanges?


KAUFMANN: Auch da muß man zwei Zeiten unterscheiden. Vor der Machtübernahme selbstverständlich freiwillig. Nach der Machtübernahme bestand an sich für jeden Parteigenossen die Verpflichtung, grundsätzlich mitzuarbeiten. Ich persönlich habe darauf Wert gelegt, das Prinzip der Freiwilligkeit im Gau unter allen Umständen aufrechtzuerhalten, weil ich mir verständlicherweise von einer erzwungenen Mit arbeit keinerlei politische Erfolge versprach. Ich weiß, daß es in anderen Gauen ähnlich gehandhabt worden ist.


[35] DR. SERVATIUS: Warum lehnten Parteimitglieder die Übernahme von ehrenamtlichen Stellen als Politische Leiter ab? Geschah dies aus politischen Gründen oder aus persönlichen Gründen?


KAUFMANN: Die Gründe sind verschieden. Die einen lehnten ab, weil sie beruflich überlastet waren. Das galt vor allem für manche Berufe im Kriege. Andere lehnten ab, weil sie sich politisch nicht exponieren wollten.


DR. SERVATIUS: Worin bestand die Tätigkeit der Blockleiter?


KAUFMANN: Die Blockleiter waren die Assistenten der Ortsgruppenleiter. Wenn sich die Notwendigkeit erwies, im Frieden und im Kriege an die Bevölkerung heranzutreten – und das war im wesentlichen der Fall bei Betreuungsmaßnahmen –, bediente sich der Ortsgruppenleiter der Blockleiter. Im Gau Hamburg waren die Block- und Zellenleiter wie die ganze Partei im Krieg und Frieden mit dem Schwerpunkt auf soziale Arbeit und Betreuungstätigkeit ausgerichtet.


DR. SERVATIUS: Woher bekamen die Gauleiter ihre Anweisungen?

KAUFMANN: Die Gauleiter erhielten ihre Anweisungen vom Führer. Sie waren dem Führer direkt unterstellt. In seinem Auftrag vom Stellvertreter des Führers und in manchen Fällen von der Parteikanzlei im Auftrag des Führers.


DIR. SERVATIUS: Konnten die Reichsleiter den Gauleitern ebenfalls Anweisungen geben?


KAUFMANN: Nein, die Reichsleiter waren beschränkt auf ihre in den Gauen befindlichen Fachämter. Der Gauleiter hatte das Recht, Maßnahmen, die von den Reichsleitern auf diesem Wege kamen, anzuhalten, wenn er sie für unzweckmäßig hielt. Im Differenzfall entschied der Stellvertreter des Führers oder der Führer selbst.


DR. SERVATIUS: Wie erfolgte die Unterrichtung der Gauleiter über die politischen Absichten und Maßnahmen?


KAUFMANN: Die grundsätzlichen politischen Absichten und Maßnahmen des Führers waren uns durch Parteiprogramme und teilweise durch sein Buch »Mein Kampf« bekannt. In dieser Beziehung erfolgte auch die propagandistische und schulungsmäßige Unterrichtung unserer Mitarbeiter. Nach der Machtübernahme sind die Gauleiter von beabsichtigten politischen Aktionen, vor allen Dingen außenpolitischer, aber auch innenpolitischer Art, nur immer nach erfolgten Aktionen unterrichtet und informiert worden.


DR. SERVATIUS: Gab es Anordnungen, Anweisungen, Besprechungen; was können Sie darüber sagen?


KAUFMANN: Es gab Besprechungen, die verhältnismäßig sehr selten stattfanden.


[36] DR. SERVATIUS: In welcher Form fanden diese Besprechungen statt?


KAUFMANN: Für die Parteiführung in der Form von Reichsleiter- und Gauleiterbesprechungen. Ich muß berichtigen: nicht Besprechungen sondern Tagungen.


DR. SERVATIUS: Worin bestand der Unterschied zwischen Besprechung und Tagung?


KAUFMANN: In der Besprechung sehe ich die Möglichkeit der Diskussion. Diese Diskussionsmöglichkeit auf Führerbesprechungen hat etwa bestanden uneingeschränkt bis zum Weggang von Strasser 1932, beschränkt bis zum Weggang von Heß und war ausgeschlossen, nachdem Heß nicht mehr da war. Von diesem Zeitpunkt an waren die Tagungen ausschließlich Befehlsausgaben, auf denen Möglichkeiten zur Diskussion oder zu Anfragen nicht mehr gegeben waren. Diese Tagungen wurden von Bormann geleitet.

Der andere Weg war der Weg der Rundschreiben. Auf diesem Wege der Rundschreiben, die zuerst über den Weg des Stellvertreters des Führers kamen, später über den Weg der Parteikanzlei, wurden uns entweder direkte Anordnungen des Führers oder solche im Namen des Führers übermittelt. Das war im wesentlichen der Befehlsweg, der bei uns üblich war.


DR. SERVATIUS: Fanden Besprechungen mit den Reichsleitern statt?


KAUFMANN: Ich entsinne mich keiner Besprechung, auf der alle Gauleiter anwesend waren, mit allen Reichsleitern.


DR. SERVATIUS: Hatten führende Politische Leiter besondere Aufgaben, die außerhalb ihrer Tätigkeit als Politische Leiter lagen?


KAUFMANN: Es gab höhere Funktionäre der Partei, die neben ihrem Parteiamt staatliche und andere Ämter hatten. Es gab auch solche, die ausschließlich auf ihr Parteiamt beschränkt waren.


DR. SERVATIUS: Welches war der Inhalt der Weisung, die die Politischen Leiter auf dem parteiamtlichen Wege erhielten? Muß man hier verschiedene Zeiten unterscheiden: Bis zur Machtergreifung, bis zum Krieg und im Krieg?


KAUFMANN: Die Frage habe ich zum Teil bereits beantwortet. Ich kann kurz zusammenfassen: Vor dem Krieg organisatorischer, propagandistischer Art, und im Krieg bedingt durch die Aufgaben des Krieges, im wesentlichen Betreuungsaufgaben.


DR. SERVATIUS: Haben die Politischen Leiter Anweisungen zu Punkt 1 des Parteiprogramms erhalten, das praktisch den Anschluß Österreichs an Deutschland mitenthielt, und bezogen sich solche Anweisungen auf die Vorbereitung des Angriffskrieges?


[37] KAUFMANN: Die Politischen Leiter sind über den Anschluß Österreichs, über den Weg, wie er geschah, und über den Termin in keiner Weise unterrichtet gewesen. Der Anschluß Österreichs war natürlich ein Ziel der Partei, und zwar deshalb, weil der Anschlußwille Österreichs seit 1918 durch das Gesetz des damaligen Kanzlers Renner, durch das Abstimmungsergebnis 1921 der Bundesstaaten Salzburg und Tirol und dann später durch die österreichische Reaktion auf den Einmarsch beziehungsweise Anschluß den Politischen Leitern bekannt war oder geworden ist.


DR. SERVATIUS: Haben Sie Anweisungen zu Punkt 2 des Parteiprogramms erhalten, die sich auf die Kündigung des Versailler Vertrags bezogen? Bezogen sich diese Anweisungen auf die Vorbereitung eines Angriffskrieges?

KAUFMANN: Die Revision des Versailler Vertrags, und ich betone Revision, war ein Bestandteil der politischen Zielsetzung. Die Politischen Leiter waren vor dem Krieg und auch vor der Machtübernahme der festen Überzeugung, daß dieses Ziel auf revisionistischem Weg, daß heißt auf dem Verhandlungsweg erreicht werden müsse. Eine andere Instruktion über Methoden, dieses Ziel zu erreichen, haben die Politischen Leiter in der ganzen Zeit vor dem Krieg nie bekommen.


DR. SERVATIUS: Haben Sie Anweisung zu Punkt 3 des Parteiprogramms erhalten, der Land und Boden zur Ansiedlung fordert? Bezogen sich solche Anweisungen auf die Vorbereitung eines Angriffskrieges?


KAUFMANN: Dieser Programmpunkt – ich glaube, es ist ein Programmpunkt – ist von den Politischen Leitern verstanden worden, und sie sind auch dahingehend belehrt worden, daß hiermit verstanden sein soll die Rückgabe der deutschen Kolonien. Die Diskussionen über andere Gebiete sind nicht vor dem Krieg, sondern im Krieg entstanden. Ich betone: Diskussionen.


DIR. SERVATIUS: Welche Anweisungen haben Sie zur Judenfrage erhalten, die in den Punkten 4 bis 8 des Parteiprogramms behandelt wird. Bezogen sich solche Anweisungen auf Beseitigung der Juden, weil sie einem Angriffskrieg hinderlich waren?


KAUFMANN: Die Programmpunkte in der Judenfrage standen fest. Die Auffassungen über die Judenfrage waren sehr verschieden. Die Politischen Leiter, mit denen ich Verbindung gehabt habe, sind jedenfalls von mir in der Auslegung dieses Programmpunktes dahingehend unterrichtet worden, daß diese Frage nur auf einem konstruktiven Weg zu lösen sei, das heißt, durch eine grundsätzliche Änderung des bestehenden Systems. Mit Angriffskriegen haben Schulung und Propaganda über diesen Punkt nie etwas zu tun gehabt.


[38] DR. SERVATIUS: Welche Anweisung erhielten Sie zur Kirchenfrage, Punkt 24 des Parteiprogramms? Bekamen Sie Anweisungen, die Kirche als Kriegsgegner auszuschalten?


KAUFMANN: Eine solche Anweisung und auch mit solcher Begründung habe ich niemals erhalten, auch meine Politischen Leiter nicht. Für meine Politischen Leiter ist bis zum Schluß trotz der Auslegung, die verschiedene Persönlichkeiten der Partei diesem Punkt gegeben haben, der Programmpunkt des Bekenntnisses zum positiven Christentum verbindlich gewesen. Das beweist, daß selbst die Masse der Politischen Leiter Mitglieder der Kirche waren und blieben.

DR. SERVATIUS: Welche Anweisungen erhielten Sie zu Punkt 25 des Parteiprogramms für die Auflösung der Gewerkschaften? Sollten diese als Kriegsgegner beseitigt werden?


KAUFMANN: Nein. Wir haben, das heißt meine Politischen Leiter auch, in der Auflösung der Gewerkschaften nur einen demonstrativen Akt einer organisch vor sich gehenden Entwicklung gesehen. Die Masse der Gewerkschaftsmitglieder war bereits vor Auflösung der Gewerkschaften Mitglieder der NSBO und damit der nationalsozialistischen Arbeiterorganisation geworden.


DR. SERVATIUS: Ich bitte, hier abbrechen zu dürfen. Der Zeuge Hupfauer wird zu diesem Thema näher vernommen werden.

Ist nicht tatsächlich der Anschluß Österreichs durch Einmarsch der deutschen Truppen erfolgt, und haben die Politischen Leiter diesen gebilligt?


KAUFMANN: Ich habe bereits erwähnt, daß die Politischen Leiter weder informiert noch befragt worden sind über den Einmarsch deutscher Truppen in Österreich, daß sie den Anschluß begrüßt haben, um so mehr als geschichtlich offenkundig der Wille der österreichischen Bevölkerung sich mit dieser Tatsache deckte.


DR. SERVATIUS: Ist nicht tatsächlich Elsaß-Lothringen wieder dem Deutschen Reich angegliedert worden, und haben die Politischen Leiter dies gebilligt?


KAUFMANN: Die Frage der Eingliederung von strittigen Gebieten ist eine Frage der Friedensverträge. Die Politischen Leiter waren der Überzeugung, daß Elsaß-Lothringen für die Dauer des Krieges unter einer besonderen deutschen Zivilverwaltung stand und daß nach siegreichem Krieg durchaus im Bereich der deutschen Forderungen die Angliederung dieses Gebietes an das Deutsche Reich ebenso erwogen werden könnte oder würde, wie dies nach dem ersten Weltkrieg im umgekehrten Falle geschehen war.


DR. SERVATIUS: Sind nicht tatsächlich im Osten die besetzten Gebiete als Lebensraum beansprucht worden, und haben die Politischen Leiter dies gebilligt?


[39] KAUFMANN: Der Krieg gegen Rußland ist den Politischen Leitern von der Politischen Führung als Präventivkrieg geschildert worden. Aus dieser Tatsache geht hervor, daß eine solche Begründung, jedenfalls zu Beginn dieses Krieges, in der Information an die Politischen Leiter mit Annexionsabsichten nicht verbunden war.


DR. SERVATIUS: Sind nicht tatsächlich die Kirchen verfolgt worden, und haben die Politischen Leiter dies gebilligt?


KAUFMANN: Es ist durchaus möglich, daß trotz des Programmpunktes, daß sich die Partei zum positiven Christentum bekennt, in einzelnen Gauen von diesem Programmpunkt abgewichen wurde und die Kirche in diesen Gauen einigen Verfolgungen ausgesetzt war. Der Führer selbst ist in seinen Verlautbarungen von diesem Programmpunkt nie abgekommen.


DR. SERVATIUS: Sie haben daher diese Verfolgungen nicht gebilligt?


KAUFMANN: Ich habe diese Verfolgungen nicht nur nicht gebilligt, sondern für meinen Gau verboten.


DR. SERVATIUS: Sind nicht tatsächlich die Gewerkschaften beseitigt worden, und haben die Politischen Leiter dies gebilligt?


KAUFMANN: Die Politischen Leiter haben mit mir in der DAF die Entwicklung zu einer großen Einheitsgewerkschaft gesehen, und wenn irgendwelche Zweifel waren, da haben die sozialen Leistungen für den deutschen Arbeiter die Zweifler beruhigt.


DR. SERVATIUS: Waren die politischen Ziele, die so verwirklicht wurden, nicht bereits als Ziele in dem Buch »Mein Kampf« enthalten und somit als Ziele den Politischen Leitern allgemein bekannt und von ihnen gebilligt?


KAUFMANN: Das Buch »Mein Kampf« ist sicher einem Teil der Politischen Leiter bekannt, ebenso das Parteiprogramm. Die Auffassung zu beiden ist auch in der NSDAP so gewesen wie in allen anderen Parteien: Die einen Punkte bejaht man, sie sind der Grund des Beitrittes, die anderen Punkte interessieren nicht, und eine dritte Reihe von Programmpunkten können sogar abgelehnt werden. In jeder Partei und auch in der NSDAP ist um die letzte Zielsetzung und auch um die Wege geistig gerungen worden, und dieser Prozeß war keineswegs beendet.


DR. SERVATIUS: Gab es also in der Partei verschiedene Richtungen?


KAUFMANN: In wesentlichen Fragen der Auslegung der Programmpunkte, jawohl.


DR. SERVATIUS: Was für Gruppen waren das?


[40] KAUFMANN: Ich möchte drei große Gruppen unterscheiden. Die sozialistische Gruppe, die nach meiner Auffassung die Masse der Mitglieder und Anhänger ausmachte. Eine mehr nationalistische Gruppe und eine negativ-antisemitische Gruppe.


DR. SERVATIUS: Was verstehen Sie unter der nega tiv-antisemitischen Gruppe? Ist das die Richtung Streicher?


KAUFMANN: Wenn Sie mich fragen, jawohl.


DR. SERVATIUS: Welcher politischen Richtung gehörten Sie an in der Partei?


KAUFMANN: Ich war und bin Sozialist.


DR. SERVATIUS: Und welcher Gruppe gehörten die Reichsleiter in der überwiegenden Mehrheit an?


KAUFMANN: Das ist sehr schwer zu sagen.


DR. SERVATIUS: Welcher Gruppe die Gauleiter?


KAUFMANN: Die Gauleiter aus den betonten Industriegebieten waren zum größten Teil Sozialisten.


DR. SERVATIUS: Welcher Gruppe die Kreisleiter?


KAUFMANN: Das hing im wesentlichen von der Struktur ihres Heimatgebietes ab.


DR. SERVATIUS: Dasselbe gilt auch für die Ortsgruppenleiter, Block- und Zellenleiter?


KAUFMANN: Das gilt für die Masse der Politischen Leiter und für die Masse der Parteigenossen.


DR. SERVATIUS: Welches war der politische Einfluß der verschiedenen Gruppen, und wo lag das Schwergewicht?


KAUFMANN: Das ist sehr schwer zu sagen. Wenn Sie von Einfluß sprechen, so unterstelle ich, daß die Masse der Parteigenossen wie ich an das sozialistische Wollen des Führers geglaubt hat. Daß in seiner Umgebung auch Männer waren, denen der Sozialismus weniger am Herzen lag als andere Ziele, das scheint mir wahrscheinlich.


DR. SERVATIUS: Waren Sie mit der Parteiführung einverstanden als Sozialist?


KAUFMANN: Ich war mit den sozialistischen Zielsetzungen des Führers durchaus einverstanden, dagegen mit manchen Männern in führenden Stellungen und deren Auffassungen nicht.


DR. SERVATIUS: Warum sind Sie und andere Politische Leiter, die mit diesen Zielen in manchen Belangen nicht einverstanden waren, im Amt verblieben, als Sie sahen, daß der Schwerpunkt der Politik von den sozialen Gebieten wegging und Kirchen- und Judenverfolgung einsetzte?


[41] KAUFMANN: Ich habe zunächst in keinem Zeitpunkt bis zum Zusammenbruch und mit mir meine Mitarbeiter bemerkt, daß die sozialistische Zielsetzung aufgegeben war. Ich habe bereits betont, daß, wenn ein alter Nationalsozialist 25 Jahre fast für seine Partei gewirkt hat, es seine Pflicht ist, für die Durchsetzung der Ziele in seinem Sinn bis zur letzten Möglichkeit zu kämpfen. Und das ist nicht möglich außerhalb der Partei, sondern nur innerhalb der Partei. Das ist einer der bestehenden Gründe, warum ich in der Partei geblieben bin.


DR. SERVATIUS: Wie erfolgte die Unterrichtung der unterstellten Kreis- und Ortsgruppenleiter?


KAUFMANN: In der Beantwortung dieser Frage muß man einen Unterschied machen zwischen den Stadtgauen auf der einen Seite und den Provinzgauen auf der anderen Seite. Im Stadtgau Hamburg wurden die Politischen Leiter sehr häufig zusammengerufen und erhielten mündlich ihre Instruktionen und Ausrichtungen. Im Provinzgau geschah dies meist wegen seiner Ausdehnung schriftlich, das heißt ihre Ausrichtung und Unterrichtung geschah mündlich und schriftlich.


DR. SERVATIUS: Wurden die Kreisleiter im gleichen Umfange unterrichtet wie die Gauleiter, oder erhielten sie nur Kenntnis von weniger wichtigen Dingen?


KAUFMANN: Bis zum Beginn des Krieges entsinne ich mich auf keinen Fall, wo meine Kreisleiter – und ich nehme an, daß es bei den anderen Gauen ähnlich war – nicht alles erfahren haben, was ich wußte. Im Krieg war das aus Geheimhaltungsgründen etwas anderes.


DR. SERVATIUS: Haben die Politischen Leiter Anweisung erhalten, Kriegsverbrechen zu begehen oder zu dulden? Wie verhält es sich mit dem Lynchen von Tieffliegern?


KAUFMANN: Solche Befehle, wie Sie, Herr Rechtsanwalt, sie hier ansprechen, sind mir in direkter Form, das heißt in einer direkten Aufforderung nicht bekannt. Ich nehme an, Sie sprechen

  • 1. von dem Zeitungsartikel des ehemaligen Reichsministers Dr. Goebbels,

  • 2. von dem bekannten Erlaß des Reichsführer-SS an die Polizei und

  • 3. von dem hier wiederholt erwähnten Rundschreiben des Reichsleiters Bormann.

DR. SERVATIUS: Jawohl.

KAUFMANN: Diese Befehle erhielten keine klare Formulierung im Sinne Ihrer Frage. Ich gebe zu, daß sie in ihrer Auslegung zu einer Entwicklung führen konnten, die dann zu den hier in Frage [42] stehenden Taten im einzelnen geführt haben. Diese Befehle kamen über das Gaustabsamt und wurden dann vom Gaustabsamt an die zuständigen Kreisleiter weitergegeben. Der Befehl von Bormann beziehungsweise das Rundschreiben von Bormann ist in meinem Gau – ich nehme an, auch in anderen Gauen – von mir angehalten worden, und zwar im Hinblick darauf, daß ich angesichts des verschärften Luftkrieges und seiner Folgen meine Politischen Leiter vor einer gefährlichen Auslegung dieser Anordnung bewahren wollte. Außerdem habe ich im Hinblick auf den Goebbels-Artikel und auf den Himmlerschen Erlaß an die Kreisleiter und an den Polizeipräsidenten klare Gegenbefehle erteilt. Ich hoffe, daß das in anderen Gauen ähnlich geschehen ist.


DR. SERVATIUS: Wie verhält es sich mit der Behandlung von ausländischen Arbeitern? Haben Sie dort Anweisungen erhalten, die auf Kriegsverbrechen hinausgingen?


KAUFMANN: Alle Anweisungen, die ich auf diesem Gebiete kenne, beziehen sich ausschließlich auf eine geforderte Unterstützung der Betreuungsarbeit. Für mich war es als Sozialist selbstverständlich, meine Organe, das heißt in diesem Fall die Arbeitsfront und die Kreisleiter, auf positive Betreuungsarbeit, von der ich mich persönlich durch Lagerbesuche überzeugte, auch für die Ausländer auszurichten.


DR. SERVATIUS: Wie verhält es sich mit den Vorgängen in den Konzentrationslagern bezüglich der Ausländer? Hatten Sie Anweisungen, Ausländer in Konzentrationslager einzuliefern oder dabei behilflich zu sein? Kannten Sie die Vorgänge in den Konzentrationslagern?


KAUFMANN: Ich setze voraus, daß die Zuständigkeitsfrage für die Konzentrationslager dem Hohen Gericht bekannt ist. Als höchster Politischer Leiter des Gaues...


VORSITZENDER: Dr. Servatius! Ich weiß nicht, was der Zeuge meint, wenn er sagt, daß die Zuständigkeitsfrage für die Konzentrationslager dem Gerichtshof bekannt ist.


DR. SERVATIUS: Er wollte nicht so weit ausholen und darstellen, daß er an und für sich als Gauleiter nicht verantwortlich ist für das Konzentrationslager selbst, sondern er wollte nur erklären, daß er gleich zu seiner Verantwortung übergehen will und nicht eine lange Schilderung geben will über die Kompetenzen. Er sagt deshalb: Ich nehme an, daß das Gericht darüber unterrichtet ist.


VORSITZENDER: Also, sagen Sie, daß Sie mit den Konzentrationslagern beauftragt oder für sie verantwortlich waren?


KAUFMANN: Nein, keineswegs.


VORSITZENDER: Gut, was meinen Sie mit der Zuständigkeit für die Konzentrationslager?


[43] KAUFMANN: Ich wollte damit andeuten oder aussprechen, ob ich voraussetzen darf, daß das Gericht diese Zuständigkeit kennt. Wenn nicht, bin ich bereit, das kurz zu tun.


VORSITZENDER: Gut, wollen Sie es kurz erklären?


KAUFMANN: Jawohl.

Die Konzentrationslager sind in ihrer ganzen Entstehungsgeschichte und ihrer Handhabung völlig außerhalb jeder Orientierung und jedes Einflusses der Politischen Leiter gewesen. Diese hatten also keinerlei Befugnisse gegenüber den Konzentrationslagern und keinerlei Einblick, was in denselben tatsächlich geschah. Ich selbst mußte, wenn ich ein Lager betreten wollte, eine besondere schriftliche Genehmigung des Reichssicherheitshauptamtes haben. Ich glaube, daß das ja als Erklärung genügt.


DR. SERVATIUS: Sind nicht tatsächlich Flieger gelyncht worden, und war das nicht so offenkundig, daß jeder Politische Leiter dies wußte und durch sein Verbleiben im Amt dies billigte?


KAUFMANN: Ich habe bereits erklärt, daß im Gaugebiet Hamburg solche Dinge nicht passiert sind. Und da ich selbst erst während meiner Gefangenschaft von solchen Fällen erfahren habe, muß ich ohne weiteres annehmen, daß meine Politischen Leiter gleich mir von diesen Dingen erst in der Gefangenschaft erfahren haben.


DR. SERVATIUS: War nicht die schlechte Behandlung der Fremdarbeiter im ganzen Reich so offenkundig, daß jeder Politische Leiter es wissen mußte und durch sein Verbleiben im Amt billigte?


KAUFMANN: Die Politischen Leiter waren, vor allen Dingen im Krieg, ortsgebunden. Sie konnten also ausschließlich nur ihren Tätigkeitsbereich übersehen, und das, was ich von diesen Lagern gesehen habe und meine Politischen Leiter in Hamburg, ist nur positiv gewesen. Die Kreisleiter waren ja verpflichtet, da, wo Mängel und Mißstände waren, mit der Arbeitsfront und den Betriebsführern dies sofort abzustellen.


DR. SERVATIUS: Wie war das Verhältnis der Politischen Leiter zu den Staatsorganisationen, -verwaltungen und -einrichtungen?


KAUFMANN: Die Funktionen waren, soweit nicht Personalunion für einzelne bestand, vollkommen voneinander verschieden und getrennt.


DR. SERVATIUS: In welchem Verhältnis standen die Politischen Leiter zur SA und zur Allgemeinen SS?


KAUFMANN: SA und Allgemeine SS waren selbständige Gliederungen mit eigenen Befehlsverhältnissen. Sie konnten von den Politischen Leitern zur Unterstützung ihrer Arbeit angefordert werden.


[44] DR. SERVATIUS: Hatten die Politischen Leiter eine eigene Exekutivgewalt?


KAUFMANN: Keineswegs. Soweit sie keinerlei staatliche Funktionen hatten, waren sie, wie gesagt, ausschließlich auf das Parteigebiet beschränkt.


DR. SERVATIUS: Konnten die Politischen Leiter der Gestapo oder dem SD Weisungen geben?


KAUFMANN: Das ergibt sich schon aus der Beantwortung der vorigen Frage. Daß aber bei der Staatspolizei und dem SD die Wachsamkeit über die eigene Organisation noch stärker war als bei den übrigen Verwaltungen, war für alle selbstverständlich.


DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Wie standen Sie zum Führer?


KAUFMANN: Ich habe den Führer in den ersten Jahren verehrt, später verehrt, aber in vielem nicht mehr verstanden, und das, was heute als Maßnahmen dem Führer unterstellt wird, früher nicht für möglich gehalten.

DR. SERVATIUS: Kann man die Politischen Leiter im wesentlichen als gutgläubig bezeichnen, die an Hitler als ein Idealbild geglaubt haben und keine Kenntnis von den Judenausrottungen und anderem hatten?


KAUFMANN: In richtiger Beurteilung ihrer Funktionen, ihrer Gesinnung und dessen, was sie wissen mußten beziehungsweise wissen konnten, muß den Politischen Leitern diese Gutgläubigkeit nach meiner Auffassung unbeschränkt unterstellt werden.


DR. SERVATIUS: Ich habe keine Fragen mehr an den Zeugen.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich jetzt.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


1 Die Zitate im Plädoyer des Hauptanklägers der Sowjetunion konnten teilweise nicht mit den deutschen Originaldokumenten verglichen werden; sie sind daher nachfolgend aus der russischen Version rückübersetzt.


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 20.
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