Nachmittagssitzung.

[355] [Der Zeuge Schulte-Mönting im Zeugenstand.]


DR. SIEMERS: Herr Admiral! Als letzten Punkt dieser Frage bezüglich Rußland möchte ich Ihnen die von der Sowjetischen Delegation vorgelegte Urkunde geben, nämlich die Urkunde UK-45, gleich USSR-113. Es handelt sich um ein Schreiben der Seekriegsleitung vom 29 September 1941 an die Gruppe Nord, das ist Generaladmiral Carls. Und unter II wird als Ergebnis einer Unterhaltung zwischen Admiral Fricke und Hitler mitgeteilt:

»Der Führer ist entschlossen, die Stadt Petersburg vom Erdboden verschwinden zu lassen.«

Es ist gegen Raeder der Vorwurf erhoben worden, daß er gegen eine derartig ungeheuerliche Absicht nichts unternommen habe und daß die Seekriegsleitung dieses Schreiben weitergegeben hat.

Ich frage Sie, Herr Admiral, kannten Sie dieses Schreiben im Jahre 1941?

Verzeihung, Herr Präsident, ich darf bemerken, ich habe leider im Augenblick keine Photokopie zur Hand. Ich habe versucht, sie mir noch zu verschaffen.

Sie ist in diesem Moment da. Ich darf jetzt vielleicht die Photokopie übergeben statt der Abschrift.

SCHULTE-MÖNTING: Es scheint das Original zu sein, was ich hier habe?

DR. SIEMERS: Nein, Herr Admiral, das ist eine Abschrift, die genau nach der Photokopie mit allen Paragraphen und allen Namensbezeichnungen angefertigt wurde für meinen eigenen Gebrauch.

Kannten Sie dieses Schriftstück im Jahre 1941?


SCHULTE-MÖNTING: Ich kannte es nicht 1941, sondern ich bekomme es in diesem Augenblick zum erstenmal vorgelegt.


DR. SIEMERS: Glauben Sie, daß Großadmiral Raeder dieses Schreiben vor Abgang gesehen hat, obwohl Sie es nicht gesehen haben?


SCHULTE-MÖNTING: Das müßte mit einem Wunder zugegangen sein. Die Schreiben, die Großadmiral Raeder vorgelegt wurden, gingen durch meine Hand. Sie trugen den Vermerk entweder »der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine hat Kenntnis« und waren von mir persönlich abgezeichnet als Beglaubigung dieses Vermerks, oder sie trugen den Vermerk, »dieser Befehl oder diese Weisung ist dem Oberbefehlshaber vorzulegen«; sie trugen wiederum meine Chiffre. Diese Verfügung und diese Photokopie, die Sie mir in diesem Augenblick vorgelegt haben, habe ich vorher nicht [355] gesehen, kenne sie nicht, und ich halte es für un möglich, daß der Großadmiral Raeder sie gesehen hat, denn am 29. September 1941 war ich gesund und in Berlin im Amt.


DR. SIEMERS: Herr Admiral! Was wissen Sie über diese Frage Leningrad und Marine?


SCHULTE-MÖNTING: Ich entsinne mich, daß bei der sogenannten täglichen Lagebeurteilung und Lagebesprechung, die im Anschluß folgte...


DR. SIEMERS: Sie können weitersprechen, aber langsamer.


SCHULTE-MÖNTING:... einer der Herren der Seekriegsleitung vortrug die Absichten des Heeres, wo auf weite Sicht die Zukunft von Leningrad behandelt wurde – nicht Petersburg, Leningrad – worauf Raeder zum Ausdruck brachte, daß er wünsche, daß bei den Operationen berücksichtigt würde, daß unter allen Umständen Leningrad nach Möglichkeit unbeschädigt in unsere Hände fiele, denn er benötige Werften und Hintergelände für den Marinewerftbau; und er wünsche auch; daß dem Heere mitgeteilt würde, daß dieser Wunsch dringlich sei, weil wir beabsichtigten, auf Grund der drohenden Luftgefahr, die im Zunehmen begriffen war, Teile der Werftkapazitäten nach dem Osten zu verlagern. Wir hatten schon angefangen zu diesem Zeitpunkt, wenn ich mich recht erinnere, von Emden nach dem Osten zu verlegen und wollten weiter, wie Raeder das wünschte, sukzessive Wilhelmshaven evakuieren, soweit östlich wie irgend möglich. Er betonte auch ausdrücklich, daß deswegen die Stadt möglichst unbeschädigt bleiben müsse, weil ja sonst kein Hintergelände für die Arbeiter und keine Lebensmöglichkeit bestehen würde.

Das ist das, was ich Ihnen über den Fall Leningrad nach bestem Gewissen sagen kann.


DR. SIEMERS: Ist Ihnen bekannt, daß dieser Wunsch Raeders dann von Hitler abgelehnt wurde, weil er sagte, es sei nicht möglich.


SCHULTE-MÖNTING: Nein, ich entsinne mich nicht, daß dieser Fall wieder aufgegriffen wurde. Die Operationen kamen ja, meines Wissens, auch oben im Norden sehr schnell zum Stehen.


DR. SIEMERS: Haben Sie von anderen hohen Offizieren irgend etwas über dieses Dokument gehört?


SCHULTE-MÖNTING: Nein, ich habe von diesem Dokument weder etwas gehört noch habe ich einen Grund gesehen, mich mit jemand darüber zu unterhalten.


DR. SIEMERS: Herr Präsident! Wenn es dem Gericht genehm ist, darf ich in diesem Zusammenhang das mir genehmigte Dokument Raeder 111 wegen des Zusammenhanges mit diesem Komplex [356] vorlegen. Es befindet sich in meinem Dokumentenbuch 6 auf Seite 435. Es ist ein Affidavit des Konteradmirals Hans Bütow vom 21. März 1946. Ich darf es verlesen, da es ganz kurz ist.


VORSITZENDER: Auf welcher Seite ist es?


DR. SIEMERS: Auf Seite 435 im Dokumentenbuch 6, Raeder Nummer 111. Es lautet:

»In der Zeit vom 20. 6. 1941 bis 20. 10. 1941, das heißt also, in der für das Dokument USSR-113 (1), UK-45 in Betracht kommenden Periode, war ich Marinebefehlshaber in Finnland. Ich unterstand dem Oberbefehlshaber Gruppe Nord, Generaladmiral Carls. Ich versichere, daß mir das genannte Dokument USSR-113 (1), UK-45, Schreiben der Seekriegsleitung an die Gruppe Nord vom 29. September 1941 oder sein Inhalt nie zur Kenntnis gekommen sind, was zweifellos der Fall gewesen wäre, wenn Generaladmiral Carls das Schreiben an die ihm unterstehenden Stellen weitergegeben hätte. Soweit ich unterrichtet bin, hat das Schreiben auch sonst niemand in meinem Befehlsbereich erhalten.

Ich selbst habe von diesem Befehl Hitlers erst im November 1945 gelegentlich einer Rücksprache mit Herrn Dr. Siemers, dem Verteidiger von Großadmiral Raeder, Kenntnis erhalten.

Ich bin auch niemals von anderen Offizieren, insbesondere auch nicht von anderen Befehlsha bern in der Marine, auf diesen Befehl angeredet worden. Daraus folgt, daß auch die anderen Befehlshaber keineswegs von diesem Befehl Kenntnis erhielten.«

Und dann der Vermerk der eidesstattlichen Versicherung und des Marineoberstabsrichters, der sie aufgenommen hat.

Herr Admiral! Ich komme dann zu einem weiteren Thema, nämlich dem angeblichen Angriffskrieg, den Raeder gegen Amerika geplant haben soll.

Versuchte Raeder jemals, Japan zu einem Krieg gegen Amerika zu bewegen?

SCHULTE-MÖNTING: Nein, niemals. Wir haben überhaupt keine militärischen Besprechungen mit Japan vor dessen Kriegseintritt gehabt. Er hat auch, also im Gegenteil. Hitler vor jeglichem Krieg mit Amerika im Zusammenhang mit dem Zusammenwirken der englischen Überlegenheit zur See gewarnt?

DR. SIEMERS: Aus welchen Gründen hatten Sie und Raeder und das Oberkommando Hitler besonders gewarnt?


SCHULTE-MÖNTING: Das liegt ja erstens in der Linie, die ich vorhin skizzierte, mit dem gesamtstrategischen Rahmen, in der [357] Haltung, die Raeder während des ganzen Kriegsverlaufes eingenommen hat. Er sah ja den Hauptgegner auf dem Wasser und nicht auf dem Lande. Wenn ich zuzüglich noch die größte Seemacht der Welt zu der britischen Überlegenheit addiert hätte, müßte der Krieg für uns ja unerträgliche Maße annehmen. Im übrigen war Raeder auch durch die Berichte unseres Marine-Attachés in Washington, Vizeadmiral Witthöft, sehr gut unterrichtet über das ungeheure Potential, über das die USA verfügten.

Und ich möchte sagen, über den Umbau der Wirtschaft zur Kriegsindustrie, die gewaltige Planung von Werften und Hellingen, die, wie sich Witthöft einige Monate vor dem Kriege ausdrückte, zuließen, monatlich eine Million Brutto-Tonnen auf Stapel zu legen; diese Zahlen sprechen eine beredte Sprache, waren aber gleich selbstverständlich für uns eine ungeheuerliche Warnung, auf keinen Fall das Rüstungspotential der Vereinigten Staaten zu unterschätzen.


DR. SIEMERS: Die Anklage glaubt, ihre gegenteilige Meinung daraus schließen zu müssen, daß Raeder am 18. März 1941 laut Kriegstagebuch vorgeschlagen hat, daß Japan gegen Singapore vorgeht.


SCHULTE-MÖNTING: Das ist eine nach meiner Ansicht absolut richtige Maßnahme und ein richtiger Vorschlag, der in der gesamten Linie von Raeder lag, denn er ging ja dahin, Schläge auszuteilen gegen – ich will mal sagen – wichtige strategische Schwerpunkte Englands; daß er eine Entlastung suchte für uns, ist erklärlich und selbstverständlich. Aber niemals hat er vorgeschlagen, einen Eintritt Japans gegen Amerika, sondern in diesem Falle gegen England.


DR. SIEMERS: Haben zwischen Ihnen und Raeder einerseits und japanischen Militärstellen andererseits über diese strategischen Fragen Unterhaltungen zu dieser Zeit stattgefunden?


SCHULTE-MÖNTING: Nein, ich sagte schon, daß vor dem Kriegseintritt Japans überhaupt keine militärischen Gespräche mit Japan stattgefunden haben. Die japanische Haltung war sehr reserviert.


DR. SIEMERS: Hat Raeder jemals davon gesprochen, daß Japan Pearl Harbor angreifen müsse?


SCHULTE-MÖNTING: Nein, darüber haben wir durch den Rundfunk zuerst gehört.


DR. SIEMERS: Herr Admiral! Ist Ihnen aus der Zeit Ihrer Tätigkeit im Oberkommando der Kriegsmarine, beziehungsweise während Ihrer Tätigkeit als Kommandierender Admiral in Drontheim, etwas über die Behandlung kriegsgefangener alliierter Soldaten durch die deutsche Marine bekanntgeworden?


[358] SCHULTE-MÖNTING: Ich möchte andersherum erwidern; ich kenne keinen Fall, wo alliierte Kriegsgefangene, solange sie sich in dem Machtbereich der Marine befanden, anders als korrekt und ritterlich behandelt wurden.

Ich könnte mich berufen auf eine englische Aussage, nämlich des Kommandanten des Kleinst-U-Bootes, das den »Tirpitz« angegriffen hat im Alta-Fjord, der, nachdem er aus seiner Gefangenschaft nach England zurückgekehrt war, anläßlich seiner Auszeichnung mit dem Viktoria-Kreuz ein Presseinterview gab und in diesem die besonders korrekte und ritterliche Behandlung seitens des Kommandanten des »Tirpitz« zum Ausdruck brachte.

Ich könnte einen Fall nennen aus meinem Bereich Norwegen, wo die Angehörigen der norwegischen Widerstandsbewegung, die sich in Zivil in unserer Macht befanden, ebenso ritterlich und korrekt behandelt wurden. Ich habe diese Fälle in Gegenwart der britischen Behörden untersuchen müssen, und die korrekte Behandlung hat sich herausgestellt.


DR. SIEMERS: Wann haben Sie das im Auftrag der Britischen Militärregierung untersuchen müssen?


SCHULTE-MÖNTING: Nach der Kapitulation.


DR. SIEMERS: Verzeihung, wohl nicht Britische Militärregierung, sondern britische Marine?


SCHULTE-MÖNTING: Die britische Marine in Drontheim, während meiner Eigenschaft als Kommandierender Admiral.


DR. SIEMERS: Und die dort überprüften Fälle, die dort erst von Ihnen und dann von dem britischen zuständigen Admiral überprüft wurden, haben keine Beanstandungen ergeben?


SCHULTE-MÖNTING:... haben keine Beanstandungen ergeben. Sie wurden mir von dem Marineoffizier zur Aufbewahrung übergeben, und ich mußte die schriftliche kriegsgerichtliche Untersuchung vorlegen.


DR. SIEMERS: Und das Ergebnis legten Sie dem...


SCHULTE-MÖNTING: Und das Ergebnis war gut und korrekt und gab zu keiner Beanstandung Anlaß.


DR. SIEMERS: Und das Ergebnis legten Sie dem zuständigen britischen Offizier vor?


SCHULTE-MÖNTING: Jawohl, in dessen Auftrag mußte ich es ja machen.


DR. SIEMERS: Herr Admiral! Der Fall der »Athenia« ist ausführlich hier behandelt worden, und dem Gericht bekannt. Ich darf daher, um Zeit zu sparen, ganz schnell über diesen Fall hinweggehen.

[359] Ich bitte Sie nur zu sagen: wußte das Oberkommando, wußten Sie und Raeder am Anfang September 1939, daß die »Athenia« durch ein deutsches U-Boot versenkt war?

SCHULTE-MÖNTING: Nein, der Befehlshaber der U-Boote meldete am 3...., daß die »Athenia« nicht von einem deutschen U-Boot versenkt sein könne, da das nächste Boot, wenn ich mich recht erinnere, etwa 70 Meilen entfernt stand.


DR. SIEMERS: Wann erfuhren Sie, daß ein deutsches U-Boot die »Athenia« versenkt hatte?


SCHULTE-MÖNTING: Ich glaube, zwei bis drei Wochen später, nach der Rückkehr dieses U-Bootes.


DR. SIEMERS: Herr Präsident! Ich darf an die Urkunde erinnern, wonach dies am 27. September war.

Sie wissen, daß eine Erklärung abgegeben war von dem Staatssekretär von Weizsäcker, daß es kein deutsches U-Boot gewesen wäre, und zwar am 3., 4. oder 5. September? Als sich nun herausstellte, daß es doch ein deutsches U-Boot gewesen war, was hat daraufhin Raeder unternommen?


SCHULTE-MÖNTING: Die Annahme, daß es kein deutsches U-Boot war, war ja zunächst berechtigt, also Staatssekretär von Weizsäcker hat ja, wie wir, im besten Glauben gehandelt.

Nachdem sich der bedauerliche Irrtum herausstellte, machte Raeder Hitler davon Meldung, und Hitler ordnete daraufhin an, er wünsche nicht, daß die einmal gegebene Aussage des Auswärtigen Amtes desavouiert würde. Er ordnete an, daß die Teilnehmer, beziehungsweise Mitwisser, ich glaube bis zu Kriegsende, auf Stillschweigen hin vereidigt werden müßten.


DR. SIEMERS: Sind Sie auf Stillschweigen vereidigt worden?


SCHULTE-MÖNTING: Ich persönlich bin auf Stillschweigen nicht vereidigt worden, genau so nicht wie der Großadmiral Raeder. Wir waren im Oberkommando, ich glaube, mit Ausnahme von Admiral Fricke die einzigen, die davon Kenntnis hatten, und wir hätten uns wohl selbst vereidigen müssen.


DR. SIEMERS: Sie wurden auf Befehl Hitlers verpflichtet, die übrigen Mitwisser zu vereidigen?


SCHULTE-MÖNTING: Ja, ich bin der Ansicht, es handelte sich um die Besatzung des U-Bootes, soweit sie davon Kenntnis hatte, daß dieser Irrtum vorgelegen hatte.


DR. SIEMERS: Warum... Die Anklage hat Großadmiral Raeder vorgeworfen, daß er nun nicht zu Herrn von Weizsäcker ging und ihm sagte, es ist doch ein deutsches U-Boot gewesen und daß er nun nicht dem amerikanischen Marine-Attaché sagte: Es ist leider doch ein deutsches U-Boot gewesen.


[360] SCHULTE-MÖNTING: Derartige Gedanken haben uns auch bewegt, nur lag es in unserem Sinne, möglichst alle, ich möchte sagen, auftretenden Diskrepanzen, die zu einer politischen Mißstimmung in Amerika führen könnten, zu vermeiden. Ein nochmaliges Aufrühren dieses Falles hätte ja die Gemüter sehr erheblich bewegt. Ich erinnere zum Beispiel an den »Lusitania«-Fall im ersten Weltkriege. Diesen Fall nach ein paar Wochen wieder aufzurühren und die öffentliche Meinung drüben zu erregen und gar einen Kriegseintritt zu forcieren, hätte wenig Sinn gehabt.


DR. SIEMERS: Das waren die Gedanken, die Hitler zu dem Befehl veranlaßten?


SCHULTE-MÖNTING: Das waren auch die Gedanken, die letzten Endes die gleichen waren wie die unsrigen.


DR. SIEMERS: Sie sagten eben »nicht wieder aufzurühren« Leider ist er, wie Ihnen wohl bekannt, doch wieder aufgerührt worden, und zwar erschien am 23. Oktober 1939 im »Völkischen Beobachter« ein sehr unerfreulicher Artikel, nämlich: »Churchill versenkt die ›Athenia‹«. Erinnern Sie sich an diesen Artikel?


SCHULTE-MÖNTING: Ja, natürlich. Dieser Artikel ist ohne Kenntnis von Raeder und ohne Wissen und Zutun der Marine entstanden. Wer der Urheber ist, weiß ich heute noch nicht. Er stammt aus dem Propa gandaministerium; er hat bei Raeder und auch bei uns im Oberkommando – ich möchte sagen – tiefste Empörung hervorgerufen, weniger wegen der Tatsache, daß dieses Thema nochmal wieder aufgerührt wurde, sondern wegen des Tones, in dem nun – sei es bewußt oder unbewußt, denn das wußten wir ja nicht – eine Entstellung da war.

Wir waren zu Stillschweigen verpflichtet. Wie weit das Propagandaministerium von Hitler angewiesen war oder eingeweiht, entzog sich unserer Kenntnis. Wir hatten auch nicht die Möglichkeit, über diesen Fall mit dem Propagandaministerium zu sprechen, und wir waren völlig überrascht über diesen Artikel, der Wochen später im »Völkischen Beobachter« stand. Die Empörung war deswegen so groß, in erster Linie auch bei Raeder, weil es grundsätzlich gegen seine Natur war, daß führende auswärtige Staatsmänner in einer so scharfen Weise angegriffen wurden; und noch dazu mit diesen völlig entstellten Tatsachen, Und das spielt vielleicht auch mit eine Rolle, daß es sich in diesem Fall noch dazu um den Gegenspieler von Raeder handelte an dessen Herabsetzung in der deutschen Öffentlichkeit ihm auch gar nicht gelegen war; denn er nahm ihn ernst genug, es war nämlich kein anderer als Churchill.


DR. SIEMERS: Eine Schlußfrage dazu: Hat das Propagandaministerium bei Ihnen oder Raeder vorher angerufen, bevor der Artikel kam?


[361] SCHULTE-MÖNTING: Nein, nein.


DR. SIEMERS: Ich komme dann zur Schlußfrage meines ganzen Verhörs; das ist der letzte Punkt.


VORSITZENDER: Dr. Siemers! Dies ist ungefähr die sechste Schlußfrage, die Sie stellen.


DR. SIEMERS: Verzeihung, Herr Präsident, dann muß es nicht richtig übersetzt sein. Es war vorher die Endfrage zu dem Komplex der »Athenia«. Es ist jetzt aber tatsächlich die letzte Frage, die ich überhaupt zu stellen habe.

Die Anklage hat Großadmiral Raeder vorgeworfen, daß er sich nicht für Generaloberst Freiherrn von Fritsch eingesetzt habe, nachdem dieser durch ein Gerichtsverfahren rehabilitiert war, freigesprochen war und wirft Raeder vor, er hätte sich nicht dafür eingesetzt, daß Fritsch wieder in Amt und Würden eingesetzt wurde. Ist das richtig?


SCHULTE-MÖNTING: Nein, das trifft nicht zu. Mir übergab Raeder etwa – ich will sagen – in den ersten Monaten des Jahres 1939 die gesamten Akten des Prozesses von Generaloberst von Fritsch zur Aufbewahrung im Safe und teilte mir damals mit, in welcher Form... erstens, wie er beeindruckt war von dem Verlauf des Prozesses, zweitens, von der Tatsache, daß er Generaloberst von Fritsch gegenüber sich angeboten hat, für eine völlige Rehabilitierung zu sorgen, die so weit ging, daß er in sein bisheriges Amt wieder eingesetzt würde. Generaloberst von Fritsch hat ihm dafür gedankt und hat ihm persönlich zum Ausdruck gebracht, daß er es niemals wieder annehmen würde, nach diesen Vorfällen in das bisherige Amt zurückzukehren, infolgedessen er Raeder darum bäte, von diesem Bemühen Abstand zu nehmen.

Im übrigen waren Fritsch und Raeder vielleicht, befreundet ist zuviel gesagt, sie standen sich aber persönlich sehr nahe und ich habe Fritsch auch nach seiner Verabschiedung noch mehrfach im Hause von Raeder erlebt.


DR. SIEMERS: Ich danke Ihnen, Herr Admiral!

Herr Präsident! Ich habe keine weiteren Fragen.


VORSITZENDER: Will ein anderer Verteidiger Fragen stellen?


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN DÖNITZ: Admiral Schulte-Mönting! Sie sprechen eben von der korrekten Behandlung von Gefangenen, die anläßlich eines U-Bootangriffs auf den »Tirpitz« gemacht wurden. Meinen Sie dabei den Angriff November 1943 im Alta-Fjord?


SCHULTE-MÖNTING: Den meine ich.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Es handelte sich um ein Zwei-Mann-U-Boot?


[362] SCHULTE-MÖNTING: Ob es zwei Mann oder drei Mann waren, kann ich nicht sagen; es handelte sich um ein Kleinst-U-Boot, wo mehrere U-Boote gleichzeitig angegriffen haben, einige versenkt wurden; und der Kommandant, der mit Erfolg, ich glaube, seine Magnetmine angebracht hatte, der ist in Gefangenschaft gekommen.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Und dieser Kommandant ist entsprechend der Genfer Konvention behandelt worden?


SCHULTE-MÖNTING: Absolut.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich danke Ihnen.


VORSITZENDER: Wünscht die Anklagevertretung ein Kreuzverhör zu führen?


MAJOR ELWYN JONES: Zeuge! Ich möchte Sie zuerst über den »Athenia«-Fall fragen. Ich glaube, daß Sie mit mir darin übereinstimmen, daß der Artikel im »Völkischen Beobachter« durchaus unehrenhaft, unwahr und abträglich war.


SCHULTE-MÖNTING: Ich habe nichts in deutsch gehört.


MAJOR ELWYN JONES: Ich werde meine Frage wiederholen über die »Athenia«. Hören Sie mich jetzt?


SCHULTE-MÖNTING: Ich kann jetzt verstehen.


MAJOR ELWYN JONES: Stimmen Sie mit mir überein, daß dieser Artikel im »Völkischen Beobachter« eine völlig ehrlose Veröffentlichung gewesen ist?


SCHULTE-MÖNTING: Ja, ich stimme darin überein, daß es eine unehrenhafte Veröffentlichung war, eine unwahre, unehrenhafte Veröffentlichung.


MAJOR ELWYN JONES: Vielleicht wollen Sie Ihren Kopfhörer aufbehalten, ich habe noch eine Reihe von Fragen an Sie zu stellen. Ich glaube, es mag für unsere Aufgabe passender sein.

Sie sagen, daß der Angeklagte Raeder auch dachte, daß es unehrenhaft gewesen sei.


SCHULTE-MÖNTING: Genau so.


MAJOR ELWYN JONES: Was hat er unternommen, um seine Mißbilligung darüber zum Ausdruck zu bringen?


SCHULTE-MÖNTING: Er hat in diesem Fall die Staatsinteressen höher geschätzt als einen Zeitungsartikel; die Staatsinteressen, die darin lagen, auf keinen Fall es zu irgendwelchen Komplikationen mit den Vereinigten Staaten kommen zu lassen.


MAJOR ELWYN JONES: Das scheint charakteristisch für Raeder zu sein während der ganzen Geschichte von 1928 bis 1938, daß er immer das, was er für die Interessen des Nazi-Staates hielt, den Forderungen der Moral, der Ehre und der öffentlichen Anständigkeit vorangestellt hatte. Ist das nicht so?


[363] SCHULTE-MÖNTING: Das glaube ich nicht. Ich glaube, er hat in diesem Falle immer gehandelt, wie es ein guter Patriot immer tun würde.


MAJOR ELWYN JONES: Sie sehen doch, daß Sie zum Beispiel bezüglich der Invasion Rußlands dem Gerichtshof gesagt haben, daß Raeder aus moralischen und strategischen Gründen gegen die Invasion Rußlands gewesen sei. Warum ist er dann nicht zurückgetreten?


SCHULTE-MÖNTING: Ich muß Ihnen darauf erst erwidern die Antwort von Hitler auf seine Vorstellungen gegen einen Krieg mit Rußland, die dahin gingen, erstens, er sehe keine Möglichkeit mehr, einem Konflikt auszuweichen, und zwar aus folgenden Gründen:

Erstens, auf Grund der persönlichen Einstellung, die er, Hitler, von dem Besuch Molotows gehabt habe, der inzwischen gewesen war. »Inzwischen«, meine ich, zwischen der Weisung und der Ausführung.

Zweitens die Tatsache, daß angeblich die Wirtschaftsverhandlungen von russischer Seite nicht nur schleppend ausgeführt wurden, sondern wie Hitler sich ausdrückte, in erpresserischer Form.

Und drittens, daß, wie ihm gemeldet sei vom deutschen Generalstab, der russische Aufmarsch so bedrohliche Ausmaße angenommen hätte und er, Hitler, den Zeitpunkt des Zuschlagens von der anderen Seite nicht abwarten könne auf Grund der Luftgefährdung von Brandenburg mit der Hauptstadt und der schlesischen Industrie.

Da mußte Raeder selbstverständlich einsehen, daß er diese Argumente weder widerlegen konnte noch dazu in der Lage war, das Gegenteil zu beweisen.


MAJOR ELWYN JONES: Sie wollen doch nicht sagen, daß Sie den Krieg zwischen Deutschland und Rußland für einen Verteidigungskrieg hielten, soweit er Deutschland betraf?


SCHULTE-MÖNTING: Nein, wir waren der Ansicht, daß die Forcierung und Ansammlung der Truppenmassen auf beiden Seiten eine solche Zuspitzung erfahren hatte, daß der Zeitpunkt zur Entladung dieses Gewitters nicht mehr in allzu weiter Ferne lag und daß selbstverständlich vom soldatischen Standpunkt aus jeder, wenn er einen Konflikt für unvermeidlich ansieht, die Vorteile des ersten Zuschlagens auf seiner Seite haben will.


MAJOR ELWYN JONES: Die Invasion Rußlands war ein brutaler Angriff von selten Nazi-Deutschlands, das geben Sie doch jetzt zu, nicht wahr?


SCHULTE-MÖNTING: Ja, das gebe ich zu.


MAJOR ELWYN JONES: Ich möchte, daß Sie sich, wenn Sie wollen, einen Augenblick dem Dokument L-79 zuwenden, Seite 74 [364] im britischen Dokumentenbuch 10. Es handelt sich um das Protokoll der Hitler-Konferenz vom 23. Mai 1939, welches Sie während Ihres Verhörs heute morgen behandelt haben. Ich glaube, daß Sie dieses Protokoll gelesen haben, Zeuge?


SCHULTE-MÖNTING: Ich darf es mir eben einmal ansehen! Ich kenne dieses Protokoll bis zu diesem Augenblick nicht. Wenn ich dazu gefragt würde, müßte ich es erst ganz durchlesen.


MAJOR ELWYN JONES: Nun, Sie brauchen es nicht durchzulesen, Zeuge. Sie haben heute morgen über Raeders Besprechung mit Ihnen, die diese Konferenz betraf, ausgesagt. Hat Ihnen Raeder zum Beispiel gesagt, daß Hitler am 23. Mai 1939 erklärt hatte:

»Es entfällt also die Frage, Polen zu schonen und bleibt der Entschluß, bei erster passender Gelegenheit Polen anzugreifen. An eine Wiederholung der Tschechei ist nicht zu glauben. Es wird zum Kampf kommen.«

Und dann weiter auf Seite 76 des Berichts:

»Der Führer zweifelt an der Möglichkeit einer friedlichen Auseinandersetzung mit England. Es ist notwendig, sich auf die Auseinandersetzung vorzubereiten.... England ist daher unser Feind, und die Auseinandersetzung mit England geht auf Leben und Tod.«

Und dann der übernächste Absatz:

»Die holländischen und belgischen Luftstützpunkte müssen militärisch besetzt werden. Auf Neutralitätserklärungen kann nichts gegeben werden.«

Nun, ich behaupte, daß diese Erklärungen Hitlers die überlegte Politik Hitlers darstellten und daß diese Politik auch wirklich in die Tat umgesetzt worden ist. Ist das nicht so?

SCHULTE-MÖNTING: Ich muß zunächst einen Irrtum berichtigen. Ich dachte, Sie hätten mir ein Protokoll vorgelegt von Rußland und nicht dasselbe von Polen. Ich habe es heute in einer anderen Schrift gesehen und meinte, es wäre ein anderes Protokoll. Wenn es dasselbe Protokoll ist, das ich heute morgen er wähnte, muß ich dazu nochmal ausführen, daß Raeder ja diese Auffassung der Niederschrift von Schmundt nicht geteilt hat in dieser kriegerischen Form.

MAJOR ELWYN JONES: Nur einen Augenblick bitte, Zeuge. Ich habe Ihnen verschiedene Auszüge aus diesem Dokument vorgelesen, deren Übersetzung Sie doch gehört haben. Stimmen Sie mit mir überein, daß diese Auszüge Hitlers wohlüberlegte Politik zu jener Zeit darstellten und daß diese Politik auch tatsächlich in die Tat umgesetzt worden ist?

Wollen Sie Ihren Kopfhörer aufbehalten – ich weiß, daß es schwierig ist; wenn Sie sprechen wollen, rücken Sie ihn etwas zurück.

[365] Nun sehen Sie, ob Sie meine Frage beantworten können.


SCHULTE-MÖNTING: Ich möchte dazu sagen, daß Hitler ja mit seinen Ansprachen einen besonderen Zweck verfolgte. Er sah in der Kriegsvorbereitung ein politisches Druckmittel und er hat seinerzeit mit diesem Wort »Nervenkrieg«, das ja nicht nur in Deutschland gebraucht wurde, sondern durch den Äther über alle Grenzen Europas ging, versucht, ein Mittel der Kriegsverhinderung wie des Druckes zu finden. Dieses Dokument enthält an sich schon die Widersprüche, die darauf schließen lassen, daß er es selbst gar nicht ernst gemeint haben kann, daß es zu einer kriegerischen Entwicklung kommen kann. Ich könnte Ihnen nachweisen, indem ich zum Beispiel sage, er erklärt, der Generalstab oder die Generalstäbe dürfen mit dieser Frage nicht befaßt werden. Zum Schluß heißt es aber, die Wehrmachtsteile müssen sich zusammentun zum Studium. Er sagt, ein Krieg mit Polen darf auf keinen Fall einen Krieg mit England zur Folge haben. Die Politik muß dafür sorgen... aber in dem nächsten Absatz heißt es, »wenn es aber zu einem Krieg kommt, führe ich kurze harte Schläge durch für die Entscheidung«. Im nächsten Absatz heißt es wieder: »Aber 10 bis 15 Jahre muß ich mich vorbereiten« und zum Schluß heißt es: »An dem Bauprogramm der Marine wird aber nichts geändert«.

Wenn also damals Hitler an den Ernst seiner Ansprache geglaubt hätte, die dahinging, daß in kurzer Zeit eine kriegerische Auseinandersetzung mit Polen bevorstände, dann hätte er nicht argumentieren dürfen, erstens: es hat Zeit bis 1943, zweitens, für die Marine ändert sich überhaupt nichts daran, sondern dann hätte er zu Raeder zumindest unter vier Augen sagen müssen: Bereiten Sie mir ganz hastig und ganz schnell ein starkes U-Bootprogramm vor, ich weiß nicht, wie die Dinge laufen.


MAJOR ELWYN JONES: Aber es ist doch Tatsache, daß ungefähr um diese Zeit die Operation Fall »Weiß« bis in die kleinsten Einzelheiten vorbereitet wurde, nicht wahr? Das war die Operation gegen Polen.


SCHULTE-MÖNTING: Die Operation wurde sogar so weit vorbereitet, daß sie so spät zurückgepfiffen wurde, daß wir nicht einmal glaubten, daß unsere Seestreitkräfte durch Funkspruch erreicht werden könnten, und wir hielten dies für eine auf die Spitze getriebene Politik des »Unterdrucksetzens« in der Form eines Nervenkrieges. Da in der letzten Sekunde alles zurückgemacht wurde, haben wir zweifelsohne geglaubt, daß es tatsächlich sich nur um ein Druckmittel handelt und nicht an einen effektiven Kriegseintritt geglaubt. Erst als die Kanonen sprachen, waren wir davon überzeugt, daß nunmehr der Krieg nicht aufzuhalten sei. Ich persönlich glaube auch...


[366] MAJOR ELWYN JONES: Wenn Sie Ihre Antwort möglichst kurz fassen wollten, wäre das sehr gut.

Ich will jetzt von Polen zu Norwegen übergehen. Sie sagten uns, daß die erste Konferenz des Angeklagten Raeder über Norwegen am 10. Oktober stattfand. Ich möchte, daß Sie den Bericht über diese Konferenz in Admiral Aßmanns Stichworte-Tagebuch hören. Er ist datiert vom 10. Oktober 1939:

»Ob.d.M. erklärt, Eroberung belgischer Küste bringt keinen Vorteil für U-Krieg; weist hin auf Wert Gewinnung von norwegischen Stützpunkten (Drontheim)...«

Ich behaupte, daß zu diesem Zeitpunkt sich die Interessen der deutschen Marine in Norwegen vom Standpunkt der Gewinnung von Unterseebootbasen aus bemerkbar machten. Stimmt das nicht?

SCHULTE-MÖNTING: Darf ich um Einsicht in dieses Protokoll... Ich kenne es nicht.

MAJOR ELWYN JONES: Sie können das Originaltagebuch sehen, wenn Sie sich vergewissern wollen, daß ich es richtig verlese.


SCHULTE-MÖNTING: In diesem Satz erblicke ich keine kriegerische Absicht. Es lautet ausdrücklich..., er weist auf den Wert der Gewinnung von norwegischen Stützpunkten hin.


MAJOR ELWYN JONES: Das ist alles, was ich Ihnen im Augenblick vorhalte. Wissen Sie, daß am 3. Oktober der Angeklagte Raeder einen Fragebogen aussandte über die Möglichkeit, die Operationsbasis nach dem Norden auszuweiten und auch über Stützpunkte, deren Erlangung für das deutsche Machtbereich wünschenswert wäre?

Ich beziehe mich auf Dokument C-122, Euer Lordschaft. Das Dokument C-122 ist im Dokumentenbuch 10 a auf Seite 91.

Wenn Sie sich dieses Dokument ansehen, Zeuge, so werden Sie sehen, daß es im zweiten Satz von Punkt 5 heißt:

»Es ist zu prüfen, ob unter dem gemeinsamen Druck Rußlands und Deutschlands die Möglichkeit zur Gewinnung von Stützpunkten in Norwegen besteht, mit dem Ziel einer grundsätzlichen Verbesserung unserer strategischen und operativen Lage. Folgende Fragen sind zu überprüfen:«

Dann folgen diese Fragen:

»a) Welche Orte in Norwegen kommen als Stützpunkte in Frage?

b) Kann die Gewinnung der Stützpunkte, sofern es kampflos nicht möglich ist, gegen den Willen Norwegens militärisch erzwungen werden?

c) Wie ist die Verteidigungsmöglichkeit nach Inbesitznahme?

[367] d) Müssen die Häfen voll ausgebaut werden als Stützpunkte, oder bringen sie evtl. schon als Versorgungsplätze entscheidende Vorteile? (B.d.U. hält derartige Häfen schon für vorübergehendes Anlaufen als Ausrüstungs- und Versorgungsbasen für äußerst wertvoll für Atlantik- U-Boote.)

e) Welche entscheidenden Vorteile würde die Gewinnung eines Stützpunktes in Nord-Dänemark – zum Beispiel Skagen – für die Seekriegführung besitzen?«

Ich halte Ihnen vor, daß dieses Dokument der Schlüssel für die deutsche Invasion Norwegens ist. Stimmen Sie mir zu?

SCHULTE-MÖNTING: Nein, ich kann diesen rein operativen Überlegungen keine aggressiven Absichten entnehmen, wenn ich mir gedanklich klarmache, welche Stützpunkte für die Kriegführung überhaupt in Frage kommen. Ich hatte heute morgen gesagt, daß meines Wissens Generaladmiral Carls bereits im September an Großadmiral Raeder einen entsprechenden Brief geschrieben hatte, wo er seinen sorgenden Gedanken und seinen strategischen Überlegungen im Falle einer alliierten Besetzung Norwegens Ausdruck verlieh.

MAJOR ELWYN JONES: Die Quellen, aus welchen der Angeklagte Raeder Informationen erhielt, haben Sie heute morgen besprochen. Eine Quelle, die Sie nicht angaben, war der norwegische Verräter Quisling. Die Beziehungen zwischen dem Angeklagten Raeder und ihm waren doch sehr enge, nicht wahr?


SCHULTE-MÖNTING: Es haben zwischen Raeder und Quisling überhaupt keine Beziehungen bestanden bis zum Dezember des Jahres 1939. Raeder hat Quisling überhaupt erst an diesem Tage zum ersten Male in seinem Leben gesehen und nie wieder.


MAJOR ELWYN JONES: Aber nach dem Dezember war Quislings Agent Hagelin ein sehr häufiger Besucher bei dem Angeklagten Raeder, nicht wahr?


SCHULTE-MÖNTING: Ich glaube nicht, daß Hagelin ein einziges Mal vorher, vor dem Besuch Quislings, bei Raeder war. Ich müßte mich sehr irren. Ich glaube, er war das erste Mal in Begleitung von Quisling bei Raeder.


MAJOR ELWYN JONES: Nun später stand doch Raeder in sehr enger Verbindung mit der Quisling-Bewegung, dem Quisling-Verrat, nicht wahr?


SCHULTE-MÖNTING: Nein. Raeder hatte mit der Quisling-Bewegung überhaupt nichts zu tun.


MAJOR ELWYN JONES: Kennen Sie einen, Mann Erich Giese – Walter Georg Erich Giese –, der ein Verwaltungsangestellter in der Adjutantur des Oberkommandos der Marine in Berlin war?...


[368] SCHULTE-MÖNTING: Ich habe den Namen nicht verstanden.


MAJOR ELWYN JONES: Der Name ist Giese. Ein Teil seiner Pflichten war es, die Besucher des Oberkommandos zu empfangen. Er war ein Gehilfe des Adjutanten des Oberbefehlshabers, und er wurde aus seiner Stellung im April 1942 entlassen. Sie werden sich bestimmt dieses Mannes erinnern.


SCHULTE-MÖNTING: Darf ich nochmal um den Namen bitten, ich habe ihn trotz des Buchstabierens nicht verstanden. Handelt es sich um einen Norweger?


MAJOR ELWYN JONES: Es ist ein deutscher Staatsangehöriger, ein Angestellter des Oberkommandos der Marine. Ein Teil seiner Pflichten war, alle Besucher des Oberbefehlshabers zu empfangen, Ansuchen für Interviews entgegenzunehmen und die Besucherliste für den Oberbefehlshaber zu führen. Sehen Sie sich das Affidavit von diesem Manne an, Dokument D-722, GB-479.


VORSITZENDER: Hat der Zeuge die Frage schon beantwortet?


MAJOR ELWYN JONES: Noch nicht, Euer Lordschaft.


SCHULTE-MÖNTING: Ich habe jetzt den Namen mitbekommen. Dieser Herr, von dem Sie sprechen, saß im Vorzimmer der Adjutantur. Wie weit die Betreffenden zum Großadmiral vorgelassen waren, lag nicht bei dem Amtsrat Giese, sondern das lag bei mir. Und bei mir wurden die Herren erst gefragt, aus welchem Anlaß sie kamen. Herr Hagelin ist nicht vor Quisling, also nicht vor Anfang Dezember 1939, bei Raeder gewesen.


MAJOR ELWYN JONES: Das sage ich auch nicht, aber was ich behaupte ist, daß nach Dezember 1939 eine sehr enge Verbindung zwischen Raeder und der Quisling-Bewegung bestand. Ich möchte Ihnen nur diesen Auszug aus dem Affidavit dieses Mannes vorlesen. Seite 3, Herr Vorsitzender, der englischen Übersetzung:

»Über die Vorbereitungen, die zum Unternehmen gegen Dänemark-Norwegen führten, kann ich das Folgende sagen: Durch einen Parteibeamten des Außenpolitischen Amtes Rosenberg wurde des öfteren ein Herr Hagelin und ein weiterer Herr (der Name ist mir im Augenblick entfallen) beim Oberbefehlshaber angemeldet und grundsätzlich sofort empfangen. Ich hatte auch entsprechend Weisung, falls ein Herr Hagelin sich persönlich melden sollte, diesen sofort stets zum Oberbefehlshaber zu führen. Aus Protokollbuch und Unterhaltungen bei mir im Zimmer erfuhr ich dann nach kurzer Zeit, daß es sich um einen norwegischen Vertrauensmann handelte. Auch der oftmals begleitende Herr vom Außenpolitischen Amt... kam mit mir ins Gespräch und schenkte mir Vertrauen, so daß ich über die Besprechungen Raeder-Rosenberg und die Vorbereitungen des Norwegen-Unternehmens... Kenntnis [369] erhielt. Nach allem, was ich erfuhr, kann ich sagen, daß die Idee dieses Unternehmens von Raeder ausging und Hitlers freudigste Zustimmung fand. Getarnt wurde das ganze Unternehmen dadurch, daß man eine Unternehmung gegen Holland-England vorgab. Eines Tages wurde auch Quisling durch Hagelin beim Oberbefehlshaber angemeldet und sofort empfangen. Eine weitere Rolle spielte bei diesen ganzen Verhandlungen der Korvettenkapitän der Reserve Schreiber, der als späterer Marine-Attaché in Oslo saß und die Verhältnisse in Norwegen sehr genau kannte. Er arbeitete in Oslo mit der Quisling-Partei und dessen Vertrauensmännern zusammen.«


SCHULTE-MÖNTING: Es trifft nicht zu, daß Herr Hagelin von Großadmiral Raeder empfangen wurde. Das kann Herr Giese auch gar nicht wissen, denn er saß zwei Zimmer weiter. Wenn er vielleicht geschrieben hätte in seinen Niederschriften, daß er von mir empfangen wurde, dann könnte es in gewisser Hinsicht seine Richtigkeit haben. Die Tatsache ist die, daß ich seinerzeit nach dem Besuch von Quisling und Hagelin gesagt habe, wenn ihn seine Wege weiter nach Berlin führen würden und er auf diesem Gebiet marine-politische Nachrichten hätte, bäte ich ihn, mir sie zugänglich zu machen.

MAJOR ELWYN JONES: Sagen Sie, daß der Angeklagte Raeder mit Hagelin niemals zusammengekommen ist?


SCHULTE-MÖNTING: Er hat ihn... ich habe gesagt, er hat ihn nicht kennengelernt, bevor Quisling im Dezember zu Raeder kam, und er hat ihn später auch nicht mehr empfangen.


MAJOR ELWYN JONES: Er hat aber Hagelin tatsächlich empfangen und ging mit ihm am 14. Dezember 1939 zu Hitler. Nicht wahr?


SCHULTE-MÖNTING: Er war in der Begleitung von Quisling, das trifft zu. Er hatte aber keine besonderen Verhandlungen unter vier Augen mit Raeder geführt.


MAJOR ELWYN JONES: Sie sagten... Sie sprachen heute morgen von der Konferenz zwischen Quisling und Raeder am 12. Dezember 1939 und gaben an, daß über Politik in dieser Konferenz nicht gesprochen wurde.


SCHULTE-MÖNTING: Mit dem Wort Politik meine ich: im nationalsozialistischen gleichgerichteten Fahrwasser, also nationalsozialistische Politik auf norwegischer Seite, und nationalsozialistische Politik auf unserer Seite. Besprochen worden sind nur marine-politische Fragen.


MAJOR ELWYN JONES: Ich will mich mit Ihnen über die Frage der Politik nicht in eine Debatte einlassen. Ich halte mich an die gebräuchliche deutsche Definition, daß Politik die Fortsetzung von [370] Krieg mit anderen Mitteln ist. Aber wenn Sie das Dokument C-64 betrachten, werden Sie sehen, daß am 12. Dezember politische Probleme besprochen wurden. Sie sehen, daß es sich um einen Bericht von Raeder an Hitler handelt. Er befindet sich auf Seite 31 des Dokumentenbuches 10a, in welchem Raeder in Absatz 2 schreibt:

»Stimmung in Norwegen sehr stark gegen Deutschland eingestellt, infolge Konfliktes Finnland-Rußland in noch höherem Maße als bisher, Einfluß Englands sehr groß, vor allem durch Storthing-Präsident Hambro (Jude und Freund von Hore Belisha), der in Norwegen z. Zeit allmächtig. Abmachung zwischen England und Norwegen betreffs ev. Besetzung Norwegens besteht nach Quislings Überzeugung. Dann würde auch Schweden sich gegen Deutschland stellen. Gefahr der Besetzung Norwegens durch England sehr drohend: in Kürze möglich. Vom 11. 1. 40 an ist Storthing und damit Regierung Norwegens illegal, da der Storthing seine Verlängerung um 1 Jahr selbst beschlossen hat gegen die Verfassung.«

In dieser Besprechung wurde über Politik sogar sehr viel gesprochen, nicht wahr? Sie sagten, der Angeklagte Raeder sei sehr um den Frieden mit Norwegen bemüht gewesen. War er für einen Frieden mit einem Norwegen, das von dem Verräter Quisling regiert wurde?

SCHULTE-MÖNTING: Ich darf auf die erste Frage noch erwidern, in dem Protokoll lautet es:

»Ob.d.M. weist darauf hin, daß man bei solchen Angeboten nie wissen kann, wieviel die betreffenden Personen die eigenen Parteiabsichten fördern wollten und wie weit ihnen die deutschen Interessen am Herzen lägen. Daher Vorsicht geboten.«

Aus diesem Vermerk in dem Dokument, das Sie mir eben vorgelegt haben, erhellt meiner Einsicht das, was ich damit sagen wollte, daß nämlich zwischen Großadmiral Raeder und Quisling keine – sagen wir einmal – Parteigeschäfte oder keine Geschäfte auf Grund gleicher weltanschaulicher Einstellung geschlossen werden sollten. Deswegen sagte ich, hat Raeder sich nicht mit ihm über Politik unterhalten, sondern über die Tatsachen. Daß Quisling zu seiner Einführung als Präambel gewisse Dinge nennt, war selbstverständlich. Er weist aber auf die Vorsicht hin und fragt: Was will der Mann? Will er mitmachen in der Partei oder will er wirklich über den Dingen, stehen?

MAJOR ELWYN JONES: Auf jeden Fall zog der Angeklagte Raeder die Berichte Quislings denen des deutschen Gesandten in Oslo vor, die von den Berichten des Verräters Quisling gänzlich verschieden waren. Das ist doch so, nicht wahr?

[371] SCHULTE-MÖNTING: Ich glaube, daß Raeder die Berichte des Deutschen Gesandten in Oslo niemals gesehen hat. Ich kenne sie jedenfalls nicht.


MAJOR ELWYN JONES: Dem Gerichtshof liegen die Dokumente zu dieser Angelegenheit vor. Ich will nicht weiter darauf eingehen.

Nun möchte ich Sie als nächstes über die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika fragen. Wann erlangte die deutsche Admiralität zuerst Kenntnis von der Absicht Japans, die Vereinigten Staaten anzugreifen?


SCHULTE-MÖNTING: Meines Wissens – ich kann also nur von der Person Raeders sprechen und von meiner Person – meiner Ansicht nach erst mit dem Augenblick des Überfalls von Pearl Harbor.


MAJOR ELWYN JONES: Sie haben aber eine Mitteilung des deutschen Marine-Attachés in Tokio vor dem Angriff auf Pearl Harbor erhalten, die anzeigte, daß ein Angriff auf die Vereinigten Staaten bevorstehe, nicht wahr?


SCHULTE-MÖNTING: Auf Pearl Harbor? Nein.


MAJOR ELWYN JONES: Aber gegen die Streitkräfte der Vereinigten Staaten. Betrachten Sie doch Dokument D-872, das Beweisstück GB-480 wird. Sie sehen, daß es Auszüge aus dem Kriegstagebuch des deutschen Marine-Attachés in Tokio sind. Die erste Eintragung ist vom 3. Dezember 1941 datiert:

»3. 12. 41:

18.00 Einladung des Marine-Attachés für mehrere Offiziere des japanischen Marineministeriums. Aus der Unterhaltung geht hervor, daß die Ver handlungen in Washington als restlos gescheitert anzusehen sind und ganz offensichtlich mit baldiger Einleitung von Aktionen in südlicher Richtung durch die jap. Wehrmacht zu rechnen ist.«

Und dann am 6. Dezember 1941: »Rücksprache mit Frg.-Kpt. Shiba.« Das Ergebnis der Unterhaltung wird in folgendem Telegramm nach Berlin berichtet:

»1. Amerika anbot letzte Woche Nichtangriffspakt USA England Rußland Japan. Japan ablehnte in Hinblick auf Dreierpakt und hohen Gegenforderungen. Verhandlungen daher völlig festgefahren.

2. Wehrmacht voraussah Entwicklung und gab Zustimmung zur Entsendung Kurusus, nur um im Volk Eindruck zu erwecken, daß kein Mittel unversucht.

3. Wehrmacht hat sich bereits seit drei Wochen dahin festgelegt, daß Konflikt unvermeidlich, selbst wenn USA in letzter Minute noch größere Zugeständnisse mache. Entsprechende Maßnahmen im Anrollen.«

[372] Und dann, ich will nicht das ganze Dokument verlesen, heißt es am Schluß:

»Zu Weihnachten wäre jedoch der Kriegszustand mit England und Amerika hergestellt.«

Angenommen, daß Sie dieses Telegramm vor dem 8. Dezember erhielten, wären Sie doch mit den Plänen des perfiden japanischen Angriffs auf die Vereinigten Staaten bekanntgeworden. Nicht wahr?

SCHULTE-MÖNTING: Ich verstehe den Sinn nicht ganz, ob ich... ich habe ja gesagt, daß wir in Berlin mit den japanischen Referenten oder Attachés keine Beziehung gehabt haben. Ich habe behauptet, daß wir von Pearl Harbor erst Kenntnis erhalten haben aus dem Rundfunk, und ich verstehe nicht den Unterschied, ob nun am 6. Dezember der Attaché in Tokio Vermutungen mitteilt oder aus irgendwelchen Nachrichtenquellen, die wir nicht kontrollieren können, Vermutungen zieht auf einen zukünftigen Konflikt. Der hat ja doch nichts damit zu tun, daß wir in Berlin den Japanern geraten hätten, einen Angriffskrieg gegen Amerika zu führen.

MAJOR ELWYN JONES: Sie sagen also, daß Sie in Berlin mit den japanischen Attachés keine Besprechungen hatten?


SCHULTE-MÖNTING: Keine. Meines Wissens keine offiziellen Absprachen von Admiralstab zu Admiralstab, habe ich damit gemeint. Also, offizielle operative Besprechungen zwischen der Seekriegsleitung und dem japanischen Admiralstab.


VORSITZENDER: Herr Elwyn Jones! Bevor Sie dieses Dokument verlassen, sollten Sie, glaube ich, den Absatz 5 verlesen.


MAJOR ELWYN JONES: Absatz 5, Euer Lordschaft, lautet:

»5. Zusatz M. Att:

Über Zeitpunkt Beginn Südunternehmen keine genauen Angaben erhältlich. Alle Anzeichen deuten jedoch darauf hin, daß Start innerhalb drei Wochen zu erwarten, und zwar gleichzeitig Angriff auf Thai, Philippinen und Borneo.

6. Botschafter von Abgabe Telegramm keine Kenntnis, jedoch inhaltlich unterrichtet.«

Nun möchte ich...

VORSITZENDER: Mit Bezugnahme auf das, was der Zeuge soeben sagte, weiß ich nicht, ob ich ihn vorhin recht verstanden habe. Aber wie ich es auffaßte, sagte er, die deutsche Admiralität erfuhr zum erstenmal von Japans Absicht anzugreifen nach Pearl Harbor, und nicht, daß sie zum erstenmal von Pearl Harbor durch den Rundfunk erfuhr. Es war der erste Hinweis, den sie von der Angriffsabsicht hatte.

MAJOR ELWYN JONES: Das ist so, Euer Lordschaft.

[373] Ich behaupte, Zeuge, daß Ihnen vor dem Überfall auf Pearl Harbor die Absichten der Japaner, die Vereinigten Staaten anzugreifen, vollständig bekannt waren.


SCHULTE-MÖNTING: Ich weiß nicht, worauf Sie die Betonung legen, auf Pearl Harbor oder auf die Tatsache, daß wir zwei Tage vor dem Angriff auf Pearl Harbor ein Telegramm aus Tokio bekommen haben, daß man mit Streitigkeiten zu rechnen hätte. Ich bin gefragt worden, ob wir von der Tatsache des Angriffs von Pearl Harbor Kenntnis gehabt hätten. Darauf habe ich gesagt: Nein. Ich habe gesagt, daß wir in Berlin auch keine Besprechungen gehabt hätten zwischen Seekriegsleitung und dem japanischen Admiralstab. Hier, was Sie mir hier vorlegen...


MAJOR ELWYN JONES: Ich möchte mich sogleich damit befassen, vorher aber will ich Ihnen vorlesen, was Ihr Oberbefehlshaber darüber gesagt hat, denn, wissen Sie, es ist nicht das, was Sie aussagen.

Bei dem Verhör des Admirals Raeder am 10. November 1945 (D-880, GB-483) wurde er gefragt:

»Frage: Wurden Verhandlungen bezüglich der Intervention Japans ausschließlich durch das deutsche Außenamt geführt, oder geschah dies in Zusammenarbeit mit dem Oberkommando der Marine und dem Oberkommando der Wehrmacht?«

Die Antwort des Admirals Raeder lautete:

»Verhandlungen zwischen dem Außenamt und den japanischen Diplomaten fanden nicht statt. Der Gesandte Oshima war ein Offizier. Er verhandelte mit dem Außenamt in seiner Eigenschaft als Delegierter. Aber abgesehen davon war er selbst genügend Sachverständiger, um die ganze Sache vom militärischen Standpunkt zu beurteilen. Mili tärische Behörden haben schon lange vorher Verhandlungen mit Militär- und Marine-Attachés über die für Japan wesentlichen Angelegenheiten geführt. Alles das wurde mit den Militär- und Marine-Attachés besprochen und durchgearbeitet.«

Das ist eine sehr verschiedene Darstellung der Tatsachen im Vergleich zu der Ihrigen, Zeuge, nicht wahr? Ich möchte mich dann noch mit zwei weiteren Angelegenheiten befassen.

Ich weiß nicht, Euer Lordschaft, ob jetzt passen würde, eine kurze Pause einzuschalten.


[Pause von 10 Minuten.]


MAJOR ELWYN JONES: Hoher Gerichtshof! Bezüglich des von mir verlesenen Auszugs aus dem Verhör des Angeklagten Raeder [374] möchte ich klarstellen, daß der Angeklagte sich zu der Zeit hauptsächlich mit dem allgemeinen Verhältnis, das zwischen den deutschen Behörden in Berlin und den japanischen Vertretern bestand, beschäftigte. Ich will bei dem Gerichtshof nicht den Eindruck erwecken, daß es sich hier direkt um Verhandlungen hinsichtlich eines Eingreifens gegen Amerika selbst handelte. Ich möchte den Gerichtshof in dieser Sache nicht irgendwie irreführen.


[Zum Zeugen gewandt.]


Wußten Sie, daß eine Einheit der deutschen Marine, die dem deutschen Marinebefehlshaber in Bordeaux unterstellt war, im Dezember 1942 zwei königlich britische Marinesoldaten erschossen hat, die an einem Unternehmen gegen Schiffe in der Gironde-Mündung teilgenommen haben?

SCHULTE-MÖNTING: Ich habe davon später Kenntnis bekommen.

MAJOR ELWYN JONES: Haben Sie die Eintragung über diese Erschießung im Kriegstagebuch der Skl gesehen?


SCHULTE-MÖNTING: Nein, ich habe hier in Nürnberg durch den Verteidiger eine Eintragung gesehen. Ich weiß nicht, ob das das Kriegstagebuch der Seekriegsleitung ist.


MAJOR ELWYN JONES: Es ist behauptet worden von beiden Verteidigern, sowohl von dem Verteidiger des Angeklagten Dönitz wie von dem Verteidiger des Angeklagten Raeder, daß die Eintragung in D-658, die den Satz enthält:

»Maßnahme würde dem besonderen Befehl des Führers entsprechen, bildet jedoch, da die Soldaten Uniform trugen, ein völkerrechtliches Novum«,

daß diese Eintragung nicht aus dem Kriegstagebuch der Skl stammt. Nun, Sie kennen doch die Initialen des Angeklagten Raeder, nicht wahr?

Ich möchte nun, daß Sie sich das Original von D-658 ansehen, um ohne Zweifel festzustellen, daß diese Eintragung in das Kriegstagebuch der Skl eingesetzt wurde.

Ich will eine Photokopie des Originals vorlegen, wenn es der Gerichtshof gestattet, da das Original für andere Zwecke benötigt wird. D-658 war GB-229. Vielleicht wäre es passend, die Photokopien der Originale als D-658a und GB-229a zu bezeichnen.

Das ist das Kriegstagebuch der Skl, nicht wahr?

SCHULTE-MÖNTING: Ja, ich erkenne es als solches an.

MAJOR ELWYN JONES: Und die Skl war mit dieser furchtbaren Ermordung der Leute in Bordeaux vollständig vertraut, nicht wahr?


[375] SCHULTE-MÖNTING: Aus dem Kriegstagebuch entnehme ich, genau so, wie es mein Eindruck ist, daß sie hinterher, am 9. Dezember, von der Tatsache der Erschießung Kenntnis bekommen hat.


MAJOR ELWYN JONES: Und der lakonische Vermerk der Skl war...


SCHULTE-MÖNTING:... und zwar durch den Wehrmachtsbericht. Es lautet hier wörtlich: »Nach Wehrmachtsbericht sind die beiden Soldaten inzwischen er schossen worden.« Das steht hier in dem Tagebuch der Skl. Das erkenne ich an.


MAJOR ELWYN JONES: Und die so menschliche Bemerkung der Skl ist: »... da die Soldaten Uniform trugen, ein völkerrechtliches Novum.«

Ich habe noch eine letzte Angelegenheit, über die ich Sie befragen möchte. Ist es Ihre Behauptung, daß die deutsche Marine einen einwandfreien Seekrieg geführt hat?


SCHULTE-MÖNTING: Ich behaupte, daß die deutsche Kriegsmarine einen sehr sauberen Krieg geführt hat, und dies hat ja auch nichts zu tun mit dieser Tatsache, die in dem Tagebuch der Skl steht und die sie aus dem Wehrmachtsbericht entnommen hat, daß nämlich zwei Soldaten erschossen wurden, daß dies zwar dem besonderen Befehl, der angeführt ist, entsprechen würde, den der Führer gegeben hat, aber wie die Seekriegsleitung hinzufügt, ein Novum in der Geschichte der Seekriegführung sei. Auch diese...


MAJOR ELWYN JONES: Ich gehe jetzt zu einer anderen Frage über, aber Sie sagen im allgemeinen...


SCHULTE-MÖNTING: Darf ich abschließend nur noch sagen, daß dieses post festum festgestellt ist und daß die Marine, in diesem Falle Raeder, ja auf diese Dinge keinen Einfluß hatte. Wenn Sie mich fragen, ob ich diesen Befehl billigen würde oder so etwas Ähnliches, würde ich Ihnen meine persönliche Ansicht geben über die Dinge, die Raeder und ich besprochen haben.


MAJOR ELWYN JONES: Aber Sie wissen doch, daß Raeder der Oberbefehlshaber der Marine war, und wer sollte denn in Deutschland Einfluß ausüben, wenn nicht die Oberbefehlshaber? Hier handelt es sich um eine Angelegenheit, die direkt die Ehre der Deutschen Wehrmacht angeht, und trotz dieser bewußten Verweigerung des durch das Genfer Abkommen diesen beiden englischen Marinesoldaten zustehenden Schutzes, blieb er weiter in seiner Stellung, nachdem die beiden vorsätzlich ermordet worden waren.


SCHULTE-MÖNTING: Das ist eine Entstellung. Ich darf dazu wie folgt Stellung nehmen: Die Tatsache ist die, daß in diesem Kriege zum erstenmal mit einer Form von Sabotage, sei es im Hinterland aus der Luft gelandet oder sonstwie hinter die Front gebracht, gearbeitet wurde.


[376] MAJOR ELWYN JONES: Einen Augenblick! Es waren Marinesoldaten in Uniform. Ihr eigener Bericht im Kriegstagebuch der Skl besagt das.


SCHULTE-MÖNTING: Ich muß ja etwas zu dem Befehl sagen, der vorher gegeben ist. In der Präambel des Befehls heißt es: Da aus Beutebefehlen bekannt ist, daß den alliierten Soldaten oder... ich weiß jetzt nicht mehr genau den Wortlaut... es im Befehl nahegelegt ist, sich bei Ausführung ihrer Arbeit, bei diesen sogenannten Commando-Raids, nicht mit deutschen Gefangenen abzugeben, sondern, damit sie sich nicht belasten, sie vorher zu erschießen, müßten folgende Weisungen gegeben werden.

Ich habe damals mit Raeder über diesen Fall selbstverständlich auch gesprochen, und ich kann nur sagen die Ansicht, die ich persönlich vertreten habe. Ich habe diese Präambel deswegen für glaubwürdig empfunden, weil ich der Ansicht bin, daß, wenn ich schon einmal zu diesem Mittel der, sagen wir, Sabotage im Hintergelände der Truppe greife, ich mich selbstverständlich nicht mit Gefangenen belasten kann, weil dann das Moment der Überraschung, in diesem Falle bei uns, ausgeschlossen wäre.

Wenn also ein Trupp von drei bis fünf Mann ein sogenanntes Kommandounternehmen unternimmt, um hinter der Front der Truppe Zerstörungen anzurichten, können sie sich praktisch auch nicht mit solchen Gefangenen belasten, ohne in Gefahr zu laufen, vorzeitig selbst erschossen oder erkannt zu werden.

Infolgedessen habe ich diese Präambel für glaubwürdig gehalten und habe diese meine Stellungnahme auch seinerzeit zum Ausdruck gebracht.


MAJOR ELWYN JONES: Und Sie glauben, daß die Erschießung jener zwei Marinesoldaten deshalb vollständig gerechtfertigt war? Das ist Ihre Stellung zu dieser Angelegenheit, nicht wahr? Sagen Sie einfach ja oder nein. Ich möchte mit Ihnen nicht argumentieren.


SCHULTE-MÖNTING: Ich habe das in keiner Weise behauptet, sondern ich habe gesagt, hier ist festgestellt eine Tatsache, von der wir erst erfahren haben durch den Wehrmachtsbericht und daß Raeder und das Oberkommando hierzu nicht gehört worden sind. Das habe ich festgestellt.


MAJOR ELWYN JONES: Nun, die letzte Sache, die ich fragen wollte. Sie haben angegeben, daß nach Ihrer Meinung Deutschland einen sauberen Seekrieg führte. Ich möchte Ihnen D-873 vorlegen, ein neues Dokument, das GB-481 wird. Es ist das Logbuch des U-Bootes U-71, unter dem Datum des 21. Juni 1941, als der Angeklagte Raeder Oberbefehlshaber der deutschen Kriegsmarine war. Sie sehen die Eintragung lautet:

[377] »1 Rettungsboot des norwegischen Motor-Tankers – John P. Pederson – unter Segel treibend gesichtet. Drei Überlebende lagen erschöpft unter einer Persenning und machten sich erst bemerkbar, als das U-Boot wieder ablief. Sie gaben an, daß ihr Schiff vor 28 Tagen torpediert worden sei. Ihre Bitte, sie an Bord zu nehmen, habe ich abgelehnt, das Boot mit Proviant und Wasser versorgt und Kurs und Entfernung zur Island-Küste herübergegeben. Boot und Besatzung befanden sich in einem Zustand, der bei der herrschenden Wetterlage kaum noch Rettungsaussicht bot.

(gez.) Flachsenberg.«

Ist das Ihre Auffassung vom sauberen Seekrieg?

SCHULTE-MÖNTING: Ich stelle fest, daß der Kommandant tat, was er tun konnte bei dieser Wetterlage, die er ja selbst schildert, daß bei dem herrschenden Unwetter eine Rettungsaussicht nicht bestand, daß er ihnen Proviant hinübergeworfen hat durch einen Depeschenbeutel und ihnen ja den Kurs auf die Küste gegeben hat. Ich wüßte nicht, was dabei unmenschlich ist. Wenn er weggefahren wäre, ohne Proviant und ohne ihnen einen Anhalt zu geben, könnten Sie vielleicht diesen Vorwurf konstruieren.

MAJOR ELWYN JONES: Aber, wie Sie wissen, hätte er sie doch an Bord nehmen können. Es waren nur drei Mann, die taten...


SCHULTE-MÖNTING: Nein, ich glaube, das können Sie nicht beurteilen, das kann nur der Kommandant selbst beurteilen, der das Boot führt. Ich müßte mir das Wetter ansehen, denn hier steht »mittelhohe Dünung«. Das könnte hier auch...


MAJOR ELWYN JONES: Aber Sie sehen doch hier, daß der U-Bootkommandant zu diesen Leuten gesprochen haben mußte, und es mußte physisch möglich gewesen sein, sie an Bord zu nehmen; er aber überließ sie ihrem Schicksal, obwohl er ganz gut wußte, daß er sie sterben ließ. Das wissen Sie ja!


SCHULTE-MÖNTING: Nein, in keiner Weise, dann hätte er ihnen ja keinen Proviant zu geben brauchen, und dann brauchte er ihnen ja nicht noch den Kurs anzugeben auf die Küste.

Woraus entnehmen Sie denn, daß die sterben mußten? Im übrigen...


MAJOR ELWYN JONES: Der letzte Satz zeigt klar an, daß der U-Bootkapitän wußte, daß er sie dem Tod überließ. Ich behaupte, er hätte sie an Bord nehmen können und es auch hätte tun sollen, wenn auch nur eine Spur Menschlichkeit in ihm gewesen wäre.


SCHULTE-MÖNTING: Nein, ich kenne den Zustand des Bootes nicht und weiß nicht, ob das Boot in der Lage gewesen ist, zusätzlich noch hier Gefangene an Bord zu nehmen. Ich glaube, Sie haben [378] die Verhältnisse auf einem U-Boot noch nicht gesehen, sonst würden Sie das nicht so beurteilen können. Eine Besatzung eines U-Bootes, das wochen- und wochenlang unter Wasser ist, wo jeder Raum bis aufs letzte ausgenutzt wird und Tag und Nacht den größten Gefahren ausgesetzt ist, da kann man nicht ohne weiteres sagen, daß das eine Menschlichkeit wäre, diese Männer noch zu übernehmen. Im übrigen sagt er ja selber, daß kaum eine Rettungsaussicht bestand auf Grund der herrschenden Wetterlage.


MAJOR ELWYN JONES: Euer Lordschaft, ich habe keine Fragen mehr.


DR. SIEMERS: Herr Admiral! Ich habe zu ein paar Punkten, die Mr. Elwyn Jones gefragt hat, meinerseits Rückfragen. Es ist Ihnen vorgehalten worden aus dem Dokument von Aßmann vom 10. Oktober 39 eine Eintragung unter 10. Oktober mit dem Hinweis, daß sich hieraus ergeben soll, daß Raeder Norwegen nur besetzen wollte, um norwegische Stützpunkte zu haben. Ich lese Ihnen die volle Eintragung vor und bitte Sie dann, zu der gesamten Eintragung Stellung zu nehmen.

»Führer stimmt zu, daß vom vollen Einsatz der beiden zur Zeit noch einzigen Schlachtschiffe vorläufig abzusehen sei. Rußland hat Stützpunkte bei Murmansk angeboten...

Frage Belagerung England: Führer und Ob.d.M. stimmen überein, daß alle Einsprüche Neutraler zurückgewiesen werden müssen, auch bei Gefahr Kriegseintritt USA, der bei Fortdauer des Krieges sicher erscheint. ›Je brutaler der Krieg geführt würde, desto früher die Wirkung, desto kürzer der Krieg.‹

Kapazität für großes U-Bauprogramm – Führer lehnt Antrag, bei Rußland U-Boote zu bauen oder zu kaufen, aus politischen Gründen ab – Ob.d.M. erklärt, Eroberung belgischer Küste bringt keinen Vorteil für U-Krieg; weist hin auf Wert Gewinnung von norwegischen Stützpunkten (Drontheim) mit Hilfe russischen Druckes. Führer will Frage erwägen.« (D-879, GB-482.)

Herr Admiral! Ist dies nach dem Gesamtinhalt eine vollständige Klärung des norwegischen Problems?

SCHULTE-MÖNTING: Nein, niemals.

DR. SIEMERS: Sehe ich richtig, daß hier zahllose Fragen behandelt sind und dahin nur eine strategische Frage auch hinsichtlich Norwegens...


MAJOR ELWYN JONES: Euer Lordschaft! In der Übersetzung kam durch: »keinen Vorteil der Besetzung norwegischer Stützpunkte« und die Übersetzung des Dokuments ist: »Raeder unterstreicht die Bedeutung des Erwerbs norwegischer Stützpunkte.«

[379] Wenn wir vielleicht eine sorgfältige Übersetzung – ich sage dies nicht, um zu kritisieren – eine sehr sorgfältige Übersetzung der Eintragung hätten, könnte dies wichtig sein.


VORSITZENDER: Wie ist die... Gaben Sie eine Beweisstücknummer an?


MAJOR ELWYN JONES: Nein, Euer Lordschaft, das ist die Eintragung aus Aßmanns Stichworte-Tagebuch.


VORSITZENDER: Ja, ich weiß, aber ich möchte die Beweisstücknummer wissen.


MAJOR ELWYN JONES: Ich werde einen Auszug machen lassen und ihm heute abend eine Beweisstücknummer geben, Euer Lordschaft.


VORSITZENDER: Es wäre dann GB-482, nicht wahr?


MAJOR ELWYN JONES: Ja, Euer Lordschaft, so ist es, GB-482.


DR. SIEMERS: Herr Präsident! Es ist dasselbe Datum, und ich bitte um Verzeihung, wenn es nicht übereinstimmt, aber ich hatte diese Unterlage, aus der ich vorlas, durch die Liebenswürdigkeit von Mr. Elwyn Jones.


VORSITZENDER: Sie sollten sich mit der Frage der Übersetzung befassen und sie regeln.


MAJOR ELWYN JONES: Ja, Euer Lordschaft.


DR. SIEMERS: Jedenfalls, Herr Admiral, sind beide Eintragungen vom 10. Oktober, also von derselben Besprechung. Sehe ich richtig, daß es sich folglich um zahlreiche strategische Fragen handelte, so daß man bei keiner von diesen strategischen Fragen sagen kann, diese Frage ist vollständig und endgültig behandelt.


SCHULTE-MÖNTING: Nein, ich glaube, dieser Fragenkomplex hat mit der umfangreichen Besprechung über Besetzung Norwegens zwischen Raeder und Hitler nichts zu tun. Es wurden berührt die Frage Norwegen, die Besetzung für sich, und im Anschluß einige Punkte, die sich Raeder meistens im Notizbuch oder schriftlich mitnahm. Unabhängig von dieser Frage, ob einmal eine Besetzung Norwegens notwendig sei oder nicht, ist angeschnitten worden – in diesem Falle durch Zufall am selben Tage – die Möglichkeit der Eroberung von Stützpunkten außerhalb des deutschen Gebietes.


DR. SIEMERS: Und daher wurde gesprochen von Murmansk, das Rußland anbot.


SCHULTE-MÖNTING: Von Rußland herunter bis nach Belgien, von der gesamten Küste, wo sich Möglichkeiten für unsere U-Bootkriegführung abzeichneten.


DR. SIEMERS: Wenn im Kriegstagebuch bei einer Besprechung zwischen Raeder und Hitler ein Satz in Anführungsstrichen [380] verzeichnet ist, sind es dann Worte, die Hitler gebraucht hat, die nun von ihm zitiert werden. Ist das zu vermuten?


SCHULTE-MÖNTING: Wenn es lautet...


MAJOR ELWYN JONES: Herr Vorsitzender! Die Übersetzung ist nun nachgeprüft worden und das Original: »Raeder betont die Wichtigkeit, norwegische Stützpunkte zu erhalten« scheint eine vollständig richtige Übersetzung zu sein.


VORSITZENDER: Fahren Sie fort, Dr. Siemers.


SCHULTE-MÖNTING: Ich habe es verstanden, Herr Doktor, soll ich mich wieder dazu äußern?


DR. SIEMERS: Ja, wollten Sie zu dem Punkt noch etwas sagen?


SCHULTE-MÖNTING: Ja, ich habe verstanden, daß der andere Herr eben darauf hinwies, daß Raeder angeblich auf die Notwendigkeit der Erwerbung von Stützpunkten für U-Boote Hitler aufmerksam gemacht hat und in diesem Zusammenhang einmal gesprochen hat von einer russischen Hilfe und andererseits von der Möglichkeit der Erwerbung bei Norwegen. Ich sehe darin keine Angriffsabsichten.


DR. SIEMERS: Herr Präsident! Um keine Zeit zu verlieren, habe ich Herrn Kranzbühler gebeten, die Übersetzung eben nachzuprüfen. Der deutsche Text lautet, worauf ich schon jetzt hinweisen möchte: »Ob.d.M. weist hin auf Wert Gewinnung von norwegischen Stützpunkten.« Das ist etwas anderes als die englische Übersetzung, ich darf aber vielleicht hinterher darauf zurückkommen.

Herr Admiral! Mr. Elwyn Jones hat dann das Affidavit von Walter Giese vorgelegt. Ich wäre dankbar, wenn Sie dies noch einmal zur Hand nehmen würden, es ist D-722. Es lautet:

»Ich wurde am 24. November 1900 als Sohn des Maurerpoliers Ernst Giese zu Stettin geboren.«

Dann sagt es nachher:

»Ich saß im Vorzimmer des Oberbefehlshabers als Hilfskraft des Adjutanten.«

Dann heißt es im selben Absatz:

»Mittags nach Beendigung der Vorträge erhielt ich das Protokollbuch vom Adjutanten, um es in den gemeinsamen Panzerschrank zu verschließen.«

Dann heißt es weiter auf der zweiten Seite:

»Persönlich hatte ich keinen größeren Verkehr mit dem Oberbefehlshaber – dieser bestand vielmehr darin, daß ich Geheim-Kommando-Schriftwechsel bei ihm vorlegte, bezw. von ihm holte.«

Herr Admiral! Sehe ich richtig, daß Giese demnach eine Art Bote gewesen ist?

[381] SCHULTE-MÖNTING: Ja, wir haben seinerzeit, um Offiziersstellen einzusparen, einen großen Teil nichtwichtiger Stellen zivilmäßig besetzt mit Menschen, von denen wir glaubten, daß sie unseres Vertrauens würdig seien. Diese Tatsache, ein Safe zu verwalten oder den Schlüssel an sich zu nehmen, war an und für sich Sache des zweiten Adjutanten, der später eingespart wurde. Der Giese war ein langdienender Feldwebel in der Marine, hat zwölf Jahre bei der Marine gedient als Schreiber und hatte infolgedessen eine gewisse Praxis für die Briefbuchführung.

VORSITZENDER: Alles das steht in dem Dokument. Wenn etwas in dem Dokument nicht richtig ist, dann können Sie es ihm zeigen; aber es ist alles in dem Dokument niedergelegt, genau wie es der Admiral sagte. Sie verschwenden die Zeit des Gerichtshofs mit Ihrer Wiederholung.


DR. SIEMERS: Herr Präsident! Ich glaube, was Mr. Elwyn Jones vorgetragen hat, stand auch im Dokument. Es kommt ja auf die Frage der Auslegung an, und der Zeuge ist auf ganz bestimmte Punkte hingewiesen worden, und ich glaubte – ich bitte um Verzeihung, wenn ich mich irre – ich glaubte das Recht zu haben, daß ich im Rückverhör auch meinerseits auf gewisse Punkte des Dokuments hinweise.


VORSITZENDER: Wenn Sie wünschen, können Sie uns auf die Absätze verweisen.

SCHULTE-MÖNTING: Ich kann mich insofern kurz fassen.

Giese hatte keinerlei Einsicht in die tatsächlichen Dinge, und selbst wenn er unbefugterweise in das Protokoll des Adjutanten geschaut hat, das kein Stenogramm war, sondern eine persönliche Notiz zur Erinnerung des Adjutanten, konnte er sich niemals, ohne an einer Sitzung teilgenommen zu haben, einen richtigen Eindruck verschaffen. Er hatte im Vorzimmer auch nicht die Entscheidung darüber gehabt, wer zum Oberbefehlshaber vorgelassen wurde, sondern der Adjutant, beziehungsweise ich. Er wußte nicht einmal, wer Zutritt hatte, und es ist eine kühne Behauptung oder eine Vermutung, wenn er meint, ein Mann wie Hagelin wäre nun jedesmal bei Raeder gewesen an Stelle bei mir. Im übrigen war Hagelin vielleicht vier oder fünf Male bei mir.


DR. SIEMERS: Glauben Sie, daß Giese zugegen war, wenn Raeder mit Hitler sprach?


SCHULTE-MÖNTING: Giese? Nein, nie. Giese saß im Vorzimmer und bediente das Telephon von Raeder.


VORSITZENDER: Dr. Siemers! Kein Mensch hat gesagt, daß er da war. Mr. Elwyn Jones hat nicht behauptet, daß dieser Mann Giese bei Unterhaltungen zwischen Raeder und dem Führer oder Raeder und Hagelin zugegen war.


[382] DR. SIEMERS: Herr Präsident! Es ist ein Affidavit und in dem Affidavit steht, worauf ich jetzt hinweisen möchte, auf Seite 5:

»Nach allem, was ich erfuhr, kann ich sagen, daß die Idee dieses Unternehmens von Raeder ausging und Hitlers freudigste Zustimmung fand.«

Woher kann Giese das wissen?

SCHULTE-MÖNTING: Ich darf betonen, daß selbst ich als Chef des Stabes bei diesen persönlichen Besprechungen nicht zugegen war und Herr Giese an sein Telephon gehalten war, ist festzuhalten, und keine andere Einblicksmöglichkeit hatte, als seiner Phantasie freiesten Raum zu lassen.

DR. SIEMERS: Das genügt, danke.

Ich komme zu dem Dokument D-872. Das ist das Kriegstagebuch des Marine-Attachés in Japan, aus dem Ihnen vorgehalten worden ist, daß Sie demnach gewußt haben müssen, daß Japan am 7. Dezember Amerika angreift. Das Telegramm, von dem hier die Rede ist, ist demnach vom 6. Dezember. Wann kann das Telegramm bei Ihnen vermutlich eingegangen sein?


SCHULTE-MÖNTING: Sie meinen bei mir persönlich?


DR. SIEMERS: Beziehungsweise bei Raeder.


SCHULTE-MÖNTING: Nicht vor dem nächsten Morgen.


DR. SIEMERS: Also am 7. Dezember?


SCHULTE-MÖNTING: Das ist der früheste Termin. Es lag ja in diesem Falle bei dem Chef des Stabes der Seekriegsleitung, und der entschied, ob aus operativen Gründen eine unmittelbare sofortige Vorlage notwendig sei oder nicht.


DR. SIEMERS: Herr Admiral! Sie erinnern sich dieses Dokuments noch?


SCHULTE-MÖNTING: Jawohl.


DR. SIEMERS: Ist in diesem Telegramm Pearl Harbor erwähnt?


SCHULTE-MÖNTING: Nein. Das versuchte ich ja auszuführen, daß Pearl Harbor mit dieser Tatsache, mit dem Telegramm, von dem Admiral Wennecker überhaupt nicht identisch ist und daß Wennecker ja auf Nachrichtenquellen angewiesen war und zu Vermutungen, oder seine Vermutungen auf Grund seiner Nachrichten in einem Telegramm formulierte, ohne dafür sicherste Unterlagen zu haben. Derartige Telegramme gingen laufend ein. Mal waren die Vermutungen richtig, mal unrichtig.

DR. SIEMERS: Herr Admiral! Die Anklage hat es vorgelegt zum Beweis dafür, daß militärische Besprechungen mit Japan stattgefunden haben. Ich sehe doch wohl richtig, daß dies nur eine Mitteilung über Eventualitäten ist?


[383] SCHULTE-MÖNTING: Selbstverständlich, ich hatte vorhin versucht, zum Ausdruck zu bringen, daß dies keine militärischen Besprechungen sind zwischen Admiralstäben, sondern der Attaché ist angehalten, alle bei ihm eingehenden Nachrichten von Wert zu sondieren und zu übermitteln.


DR. SIEMERS: Es ist Ihnen dann vorgelegt worden ein Dokument, das nicht überreicht wurde, und zwar eine Vernehmung Raeders vom 10. November 1945. Ich darf Sie bitten, sich von diesem Dokument, das ich überreichen lasse, Seite 5 unten anzusehen und die Stelle, die von Seite 6 vorgelesen worden ist.


VORSITZENDER: Herr Elwyn Jones! Das Dokument sollte doch eine Nummer haben, nicht wahr?


MAJOR ELWYN JONES: Das wird GB-483, Euer Lordschaft.


DR. SIEMERS: Ist auf dem Dokument Seite 5 unten das Dokument C-75 erwähnt?


SCHULTE-MÖNTING: Nein.

DR. SIEMERS: Ich glaube, Herr Admiral, dann müssen Sie sich irren, oder ich habe mich geirrt.


SCHULTE-MÖNTING: Ich habe eine englische Ausführung – meinen Sie die englische Ausführung?


DR. SIEMERS: Jawohl, die englische Fassung, in deutsch liegt es nicht vor.


SCHULTE-MÖNTING: Sie meinen den letzten Absatz?


DR. SIEMERS: Ich glaube auf der vorletzten oder letzten Zeile. Die Seitenzahlen sind sehr schlecht zu lesen. Vielleicht haben Sie eine falsche Seite.

Es handelt sich, Herr Präsident, bei dieser Vernehmung um das Dokument C-75. Ich glaube, der Zeuge wird es gleich finden können. Über dieses Dokument ist hier neulich schon gesprochen worden, und dem Wunsche des Gerichts entsprechend, der neulich geäußert wurde, überreiche ich C-75, das ist die Weisung Nummer 24 über Zusammenarbeit mit Japan im vollen Text. als Dokument Raeder Nummer 128. Das Hohe Gericht wird sich erinnern, daß die von der Britischen Delegation...


VORSITZENDER: Ist es schon vorgelegt worden, C-75, ist es schon vorgelegt worden?


DR. SIEMERS: Ich überreiche es jetzt, M5.

VORSITZENDER: Nein, ist es schon vorgelegt worden? Ist es bereits zum Beweis angeboten worden?


DR. SIEMERS: Ich darf daran erinnern, daß die Anklagebehörde das Dokument C-75 überreicht hatte als US-151...


[384] VORSITZENDER: Gut, das ist alles, was ich wissen wollte. Wenn es schon vorgelegt worden ist, braucht es keine neue Nummer. Ist das nicht so?


DR. SIEMERS: Herr Präsident! Sie werden sich erinnern, daß es eine neue Nummer deshalb braucht, weil es nur im ersten Teil überreicht war von der Anklage.


MAJOR ELWYN JONES: Es ist schon als US-151 überreicht worden, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Gut, Dr. Siemers, ich glaube wir geben Teilen von solchen Dokumenten, die bereits vorgelegt worden sind, keine neuen Nummern. Wenn das Dokument vorgelegt worden ist und wenn Sie einen neuen Teil des Dokuments einführen wollen, dann trägt er dieselbe Nummer, das ist alles.


DR. SIEMERS: Herr Präsident! Wenn aber die Anklagebehörde in Ihrem Dokument nur die ersten drei Absätze bringt, dann kann ich ja nicht...


VORSITZENDER: Ja, ich weiß, ich weiß das sehr gut. Aber Sie sind vollständig berechtigt, jeden Teil des Dokuments vorzulegen. Die Frage ist nur, welche Nummer ihm gegeben werden soll, und ich denke – vielleicht irre ich mich –, daß wir bis heute Dokumenten, wenn sie bereits vorgelegt worden sind, keine neuen Nummern gegeben haben, obwohl neue Teile des Dokuments eingereicht werden.


MAJOR ELWYN JONES: Euer Lordschaft! Hinsichtlich des Dokuments C-75 ist die Lage so, daß das vollständige Original als US-151 bereits eingeführt wurde, aber nur ein Auszug des Originals ist in dem englischen Dokument enthalten, das dem Gerichtshof vorgelegt wurde.


VORSITZENDER: Ja, ich verstehe. Alles, was ich wollte, war die Nummer des Dokuments. Es hat die Nummer US-151 erhalten, und ich dachte, unsere Praxis sei die, daß es die Nummer beibehält. Sie können jeden Teil, den Sie wollen, vorlegen und, wenn es eine Frage der Übersetzung ist, wird es die Anklagebehörde ohne Zweifel der Übersetzungsabteilung übergeben und es für Sie übersetzen lassen. Aber Sie wollen ihm ja eine neue Nummer geben. Das ist alles.


DR. SIEMERS: Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Ich wurde nur neulich gebeten, das Dokument neu einzureichen, und dadurch ist mein Mißverständnis gekommen. Ich kann dies unter diesen Umständen, da ich jetzt höre, daß es ganz vorliegt, zurückziehen und wäre nur dankbar, wenn das Hohe Gericht auch in englischer Sprache die vollständige Übersetzung des Dokuments bekäme und nicht nur die ersten zwei Absätze.

[385] Herr Admiral! Haben Sie inzwischen gefunden...


SCHULTE-MÖNTING: Ja, es steht auf Seite 7, wie Sie meinten, und nicht auf Seite 5. Also die Anspielung des Dokuments...


DR. SIEMERS: Ich bitte auch Ihnen gegenüber um Entschuldigung. Es ist also richtig, daß die Vernehmung das Dokument C-75 betrifft?


SCHULTE-MÖNTING: Jawohl.


DR. SIEMERS: Das Dokument C-75, Herr Admiral, ist die Weisung Nummer 24 über Zusammenarbeit mit Japan, und dort steht:

»Hierfür gelten folgende Richtlinien:

a) Als gemeinsames Ziel der Kriegführung ist herauszustellen, England rasch niederzuzwingen und USA dadurch aus dem Kriege herauszuhalten.«

Und im übrigen ist im Dokument die Rede von dem, was ich. neulich schon sagte, daß Singapore von Japan besetzt werden müßte.

Nun hat Raeder am 10. November 1945 hierzu Stellung genommen und hat nach der nächsten Seite des Dokuments das gesagt, was Ihnen eben von Mr. Elwyn Jones vorgelegt wurde? Ich darf Sie bitten, nochmal hineinzusehen. Dort steht auf Seite, ich dachte, 6 oben, vielleicht ist es dann Seite 8 oben...

SCHULTE-MÖNTING: Auf Seite 8 oben. Ich kann es nicht.. Ich beherrsche die englische Sprache nicht so wie die deutsche, aber ich würde es übersetzen »... das, was Japan brauchte...«

DR. SIEMERS: Wenn ich mich richtig erinnere, steht da das Wort »need«?


SCHULTE-MÖNTING: Ja, er gebrauchte das Wort »need«, »... the needs and other things that the Japanese needed...«


DR. SIEMERS: Also, Bedürfnisse von Japan und andere Dinge, die Japan benötigte. Dann haben sich also die hier von Raeder erwähnten Unterhaltungen nicht auf strategische Unterhandlungen erstreckt?


SCHULTE-MÖNTING: Zwei vollkommen verschiedene Dinge.


DR. SIEMERS: Sondern die Antwort von Raeder betrifft reine Materialfragen?


SCHULTE-MÖNTING: Reine Materialfragen...


DR. SIEMERS: Danke schön.


SCHULTE-MÖNTING:... die wir übrigens mit allen Marinen hatten, nicht nur mit der japanischen.


DR. SIEMERS: Dann komme ich zu dem Kommandobefehl, zu dem Sie schon Stellung genommen haben.

[386] Ich möchte Ihnen nur folgendes vorhalten:

Ihnen wurde Dokument D-658 gezeigt, wo geschrieben steht, daß nach Wehrmachtsbericht die Soldaten erschossen worden sind, und wo die Rede davon ist, daß die Soldaten Uniform trugen und daß der Befehl des Führers ein völkerrechtliches Novum ist. Ich glaube, dies hat der Marinebefehlshaber Westfrankreich gemeldet, und dies ist eine Mitteilung des Wehrmachtsberichts. Der Verfasser des Kriegstagebuches hat geschrieben: ein völkerrechtliches Novum.

Ich bin nicht Militär, aber ich frage Sie: Wissen... Würden Sie einen solchen Hinweis bereits als Kritik ansehen an diesem Befehl?


SCHULTE-MÖNTING: Ich glaube, die Frage so beantworten zu müssen: Normalerweise wird ja eine Exekution nicht in ein Operatives Kriegstagebuch aufgenommen.


VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß dies eine Angelegenheit ist, auf die wir weiter eingehen können, ob er glaubt, daß diese Eintragung eine Kritik des Befehls darstellt.


SCHULTE-MÖNTING: Ich glaube, er wollte das Novum auch festlegen...


DR. SIEMERS: Lassen Sie, Herr Admiral.

Eine tatsächliche Frage: Die Anklage behauptet wiederum, daß es sich um Soldaten in Uniform gehandelt habe. Der Wehrmachtsbericht hat am 9. Dezember die Erschießung gemeldet. Die Erschießung ist, wie ich bereits früher in anderem Zusammenhang nachgewiesen habe, überhaupt erst am 11. Dezember erfolgt.

Ich lasse Ihnen vorlegen jetzt die Urkunde UK-57 und bitte Sie, unter Ziffer 4 sich den zweiten Absatz anzusehen. Die Überschrift Ziffer 4 lautet: »Sabotageanschläge an deutschen Schiffen vor Bordeaux«. Dann kommt »Am 12. 12. 42«. Und weiter unten steht:

»Die Teilnehmer waren je zu zweit von einem U- Boot aus in Paddelbooten die Gironde-Mündung aufwärtsgefahren. Sie trugen eine olivgrüne Spezialuniform. Nach Durchführung von Sprengungen haben sie die Boote versenkt und versucht, mit Hilfe der französischen Zivilbevölkerung in Zivilkleidern nach Spanien zu entkommen.«

Haben sich diese Soldaten demnach korrekt, entsprechend den völkerrechtlichen Bestimmungen verhalten?

SCHULTE-MÖNTING: Meines Erachtens, nein.

DR. SIEMERS: Ich habe dann keine weiteren Fragen mehr.

SCHULTE-MÖNTING: Wenn sie ein reines Gewissen gehabt hätten, brauchten sie keine Zivilkleider zu tragen.


[387] DR. SIEMERS: Verzeihung, nur diese Schlußfrage:

Haben Sie persönlich im Oberkommando vor dieser Erschießung, die auf Befehl des Führers direkt erfolgte, eine Anfrage erhalten oder Kenntnis erhalten?


SCHULTE-MÖNTING: Nein, weder Anfrage noch Kenntnis.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Herr Präsident! Es ist vorhin die Frage aufgetaucht, ob ein Dokument betreffend Norwegen richtig übersetzt war. Ich lasse gleich feststellen, um welche Nummer es sich handelt. Die englische Übersetzung, die mir hier vorliegt, stimmt mit dem deutschen Original nicht überein, sie weicht sogar sehr erheblich ab. Es ist das Dokument GB-482.

Ich lese den deutschen Text vor, der der englischen Übersetzung meiner Ansicht nach nicht entspricht:

»Ob.d.M. erklärt: Eroberung belgischer Küste bringt keinen Vorteil für unseren U-Krieg; weist hin auf Wert Gewinnung von norwegischen Stützpunkten (Drontheim) mit Hilfe- russischen Druckes. Führer will Frage erwägen.«

VORSITZENDER: Dr. Kranzbühler! Würden wir nicht, wirklich Zeit sparen, wenn wir den Satz von dem gesagt wird, er sei falsch übersetzt worden, einem Ausschuß von Fachleuten in der Übersetzungsabteilung überlassen? Es handelt sich wirklich um eine Sache, für die Zeit zu verschwenden nicht der Mühe wert ist.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Entschuldigung, Herr Präsident, mir war nicht bekannt, daß es nochmals geprüft werden sollte.


VORSITZENDER: Wir werden es prüfen und dann die Übersetzung beglaubigen lassen.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich bitte um Entschuldigung, Herr Präsident, ich habe selbst noch eine Frage an den Zeugen.

Herr Admiral! Ihnen ist das Dokument D-873 vorhin vorgelegt worden. Das war ein Kriegstagebuch vom U-71 und betraf die Versorgung von drei Norwegern in einem Rettungsboot. Die Eintragung war vom 21. Juni. Ich habe dem Gericht bereits unter der Nummer Dönitz 13 vorgelegt, auf Seite 23 meines Dokumentenbuches, eine Erklärung des hier genannten Kommandanten Flachsenberg. Danach ist dieses U-Boot am 14. Juni ausgelaufen. Es befand sich westlich Norwegen.

Können Sie mir sagen, ob dieses U-Boot demnach am 21. Juni auslaufend zur Operation war oder rückkehrend, von Operation?


SCHULTE-MÖNTING: Sie meinen aus der Erinnerung?


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Nein, wenn Sie die Daten hören: Am 14. Juni auslaufend, am 21. Juni diese Eintragung?


SCHULTE-MÖNTING: Auslaufend.


[388] FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Auslaufend. Wie Sie wissen, war dieses U-Boot ein 500-Tonnen-Boot. Ist ein Boot dieser Größe in der Lage, eine Operation über mehrere Wochen durchzuführen mit drei zusätzlichen Menschen an Bord?


SCHULTE-MÖNTING: Ich glaube nicht. Ich bin nicht genügend Spezialist, um restlos beurteilen zu können, was eine zusätzliche Gewichtszunahme von Personal an Bord für Trimmversuche und so weiter zu bedeuten hätte. Aber davon abgesehen, glaube ich auch nicht, daß so ein kleines Boot, das auf Operation geht, das sich auf dem Aufmarsch befindet, sich nun noch zwischendurch mit Gefangenen belasten kann; das halte ich nicht für möglich.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Danke.


VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.


DR. SIEMERS: Dann kann mit Erlaubnis des Gerichts der Zeuge gehen.

Herr Präsident! Meiner Ankündigung zu Beginn meines Falles entsprechend habe ich den größten Teil meiner Dokumente bereits während der Vernehmungen überreicht.

Mit Erlaubnis des Gerichts darf ich jetzt so schnell wie möglich die restlichen Dokumente mit ein paar begleitenden Worten einreichen.

Ich überreiche Raeder-Exhibit Nummer 18, einen Auszug aus dem Buch »Große Zeitgenossen« von Churchill; Dokumentenbuch 2, Seite 105, ein Auszug aus dem Buche, welches Churchill im Jahre 1935 geschrieben hat. Ich bitte, von dem Inhalt Kenntnis zu nehmen. Churchill weist darauf hin, daß es zwei Möglichkeiten gibt, daß man nicht weiß, ob Hitler der Mann sein wird, der noch einmal einen Weltkrieg entfesselt oder, ob er der Mann sein wird, der die Ehre und den Friedenssinn für die große deutsche Nation wieder hergestellt und sie heiter, hilfreich und stark in die erste Reihe der europäischen Völkerfamilie zurückgeführt hat.

Als Raeder-Exhibit Nummer 20 überreiche ich einen kurzen Auszug aus Adolf Hitlers »Mein Kampf« mit Rücksicht darauf, daß die Anklage gesagt hat, man könne aus diesem Buch sehen, daß Hitler Angriffskriege führen wollte. Ich glaube, man... ich werde im Plädoyer zeigen, wieviel man aus diesem Buch sehen kann.

Ich bitte, von diesen kurzen Auszügen Kenntnis zu nehmen. Auf Seite 154 steht:

»Für eine solche Politik allerdings gab es in Europa nur einen einzigen Bundesgenossen: England.«

Raeder-Exhibit Nummer 21, eine Rede Hitlers vor dem Deutschen Reichstag vom 26. April 1942, ist Beweismittel dafür, wie die Rechte in Deutschland immer stärker eingeschränkt und die Diktatur immer mächtiger wurde.

[389] Im Dokumentenbuch 3, Verzeihung 4, Raeder-Exhibit Nummer 65, lediglich zur Erleichterung meiner Argumentation, ist das Haager Abkommen über die Rechte und Pflichten der Neutralen im Falle eines Seekrieges. Ich benötige dies in meinem Plädoyer, im Zusammenhang mit Raeder-Exhibit Nummer 66, dem Gutachten von Dr. Mosler, im Dokumentenbuch 4, Seite 289, das erste Dokument.

VORSITZENDER: Können Sie uns die Seite angeben?

DR. SIEMERS: Seite 289, Herr Präsident. Es ist die erste Seite des Dokumentenbuches 4.


VORSITZENDER: Ja.


DR. SIEMERS: Ich bitte dann um die Liebenswürdigkeit, das Dokumentenbuch 5 zur Hand zu nehmen, da die übrigen Dokumente bereits erledigt sind. Ich überreiche als Raeder-Exhibit Nummer 100, Dokumentenbuch 5, Seite 437, eine Urkunde aus dem Weißbuch, betreffend die Sitzung des französischen Kriegsausschusses vom 9. April 1940, »Streng geheim«, anwesend: Reynaud, Daladier, Gamelin, General Georges, der Luftfahrtminister, der Minister für die Kriegsmarine, der Kolonialminister. Es betrifft den Antrag des Admirals Darlan, in Belgien einzurücken. Der Antrag wurde von General Gamelin unterstützt und ebenso vom Landesverteidigungs- und Kriegsminister. Auf Seite 442 ist dann von dem Einmarsch in Holland und endlich von dem luxemburgischen Staatsgebiet die Rede. Da dem verehrlichen Gericht aus der Debatte über die Dokumente der einzelne Inhalt bekannt ist, möchte ich keine Einzelheiten verlesen, sondern bitte das Gericht, davon Kenntnis zu nehmen und darf nur noch darauf hinweisen, daß auf Seite 443 dieses sehr langen Dokuments von der Besetzung des Hafens Narvik die Rede ist und von der Absicht, die Bergwerke von Gallivare in die Hand zu bekommen.

Ich überreiche dann Raeder-Exhibit Nummer 102 in dem gleichen Dokumentenbuch auf Seite 449. Es handelt sich hier um den Befehl des 2. belgischen Grenadierregiments vom 13. April 1940, betreffend Angaben über befreundete Truppen und Anlage einer befestigten Stellung. Das Dokument ergibt, daß die befreundeten Truppen die Alliierten sind.

Ich überreiche sodann Raeder-Exhibit 103, auf Seite 452. Ein französisches Dokument aus dem Großen Hauptquartier vom 16. April 1940, betreffend Maßnahmen vom Eisenbahntransport französischer Truppen nach Belgien. Ich bitte, von all diesen Dokumenten, die ich nicht im einzelnen verlese, Kenntnis zu nehmen, ebenso von Raeder-Exhibit 104, Dokumentenbuch 5, Seite 455, wo es sich um den Befehl der 2. englischen Division, betreffend Sicherheitsmaßnahmen in Belgien vom 19. April 1940 handelt, wo sich eine ähnliche Anordnung findet, wie in einem von der Anklage [390] überreichten Dokument, nämlich die Anordnung der Fühlungnahme mit belgischen Zivilbehörden.

Raeder-Exhibit 105, Dokumentenbuch 5, Seite 459, die Aussage eines luxemburgischen Staatsangehörigen, aus der sich ergibt, daß 200 Mann französische Soldaten in Uniform sieben Tage vor Ausbruch der deutsch-belgischen Feindseligkeiten in Belgien mit Panzern eintrafen.

Hohes Tribunal! Ich hatte ursprünglich die Absicht, bezüglich der Persönlichkeit meines Klienten in diesem Prozeß nichts zu unterbreiten, da ich der Meinung war, daß Großadmiral Raeder im Ausland und Inland allgemeine Achtung und Anerkennung besaß. Der erste Trialbrief gegen Raeder ließ mich auch noch bei meinem Vorsatz bleiben. Kurz vor der Vorlage des Trialbriefs wurde dieser verändert und erhielt eine wesentlich schärfere Form mit wesentlichen moralischen Vorwürfen, die Raeder stark in seiner Ehre gekränkt und beleidigt haben. Ich habe keinen Zweifel, daß das Hohe Gericht verstehen wird, daß ich unter den Umständen bitte, einige von den genehmigten Dokumenten einzureichen, welche die Persönlichkeit Raeders betreffen.

Ich überreiche Raeder-Exhibit 119, aus dem Dokumentenbuch 4, Seite 514. Es ist ein Schreiben von Frau von Poser an mich. Es ist kein Affidavit, ich habe absichtlich das Original eingereicht, weil es meines Erachtens einen ursprünglicheren Eindruck macht als ein Affidavit, um das ich meinerseits erst als Anwalt bitte. Ähnlich liegt es bei einem längeren Brief des Professors Dr. Seibt, der sich auch von sich aus an mich gewandt hatte.

Ich überreiche Raeder-Exhibit Nummer 120 als Dokument aus dem Dokumentenbuch Nummer 6, Seite 517. Ich wäre dem Gericht dankbar, wenn es von diesem Schreiben Kenntnis nehmen würde. Um Zeit zu sparen, möchte ich, da es immerhin sechs Seiten lang ist, absehen, es vorzulesen.

Ich überreiche dann Raeder-Exhibit Nummer 122, Dokumentenbuch 6, Seite 526. Ein Brief des Herrn Erich Katz, den ich vorlege mit den dazugehörigen Anlagen, von denen ich Kenntnis zu nehmen bitte, um einen der Fälle zu unterbreiten, in denen sich Raeder eingesetzt hat in rein persönlicher Weise, und zwar unter Verwendung seines Einflusses und seiner Stellung, indem er die Briefbogen »Oberbefehlshaber der Kriegsmarine« verwendete und sich in dieser Stellung für Herrn Katz, der als Jude angegriffen wurde, energisch verwandte und ihn tatsächlich vor allem schützen, erfreulicherweise schützen konnte. Herr Katz hat von sich aus mir diese Unterlagen geschickt lediglich um damit seine Dankbarkeit zu zeigen.

Als Raeder-Exhibit Nummer 123 überreiche ich einen Brief von Günter Jacobsen. Dies betrifft einen ähnlichen Fall. Jacobsen ist auch nicht von mir aufgefordert worden, sondern hat sich selbständig [391] an mich gewandt, um zu bekunden, daß Raeder seinen Vater, der als Jude wegen Rassenschande angeklagt war und vom Konzentrationslager Fuhlsbüttel – es war übrigens damals noch ein Gefängnis meines Erachtens – ihn rettete, so daß Jacobsen nach England auswandern konnte, wo er jetzt lebt.

Ich überreiche als Raeder-Exhibit 124 ein Affidavit...


GENERAL RUDENKO: Herr Vorsitzender! Ich möchte folgende Erklärung abgeben: Alle vier Beweisstücke, die soeben von Herrn Dr. Siemers erwähnt worden sind, sind persönliche Briefe von verschiedenen Personen an Dr. Siemers. Es sind weder eidesstattliche Erklärungen noch Befragungen. Diese Dokumente haben daher wenig Beweiswert, und ich bin der Ansicht, daß sie als Beweismaterial nicht zugelassen werden sollten. Auch wir erhalten viele Briefe, und wenn wir sie alle als Beweisstück übergeben würden, so würde der Gerichtshof große Schwierigkeiten haben, die Wahrheit herauszufinden und festzustellen, wie groß die Beweiskraft dieser Dokumente ist. Ich persönlich bin daher der Ansicht, daß diese Urkunden nicht als Beweismittel im Falle Raeder angenommen werden sollten.


DR. SIEMERS: Herr Präsident, darf ich...


VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist nicht der Ansicht, daß die Angelegenheit so wichtig ist, daß diese Beweisstücke unter Eid vorgelegt werden müßten. Die Dokumente sind zugelassen.


DR. SIEMERS: Ich werde mich darum bemühen und darf es dann dem Gericht vorlegen. Also... Ja, ich verstehe schon.

Als Raeder-Exhibit Nummer 122, Verzeihung 124, überreiche ich ein Affidavit von Konrad Lotter. Das Affidavit ist ganz kurz, und mit Erlaubnis des Gerichts möchte ich diese eine Seite gern vorlesen:

»Großadmiral Raeder ist mir stets als ein Mann erschienen, der die besten Traditionen der alten Kaiserlichen Marine in sich verkörperte. Dies ganz besonders in weltanschaulicher Beziehung. Als Mensch und als Offizier war er stets das denkbar beste Vorbild.

Im Jahre 1941, als die antichristliche Politik des Hitler-Regimes in Bayern mit voller Wucht einsetzte, Klöster gesperrt wurden und in der Jugenderziehung die Intoleranz gegen jedes gläubige Bekenntnis kraß zutage trat, sandte ich dem Herrn Großadmiral eine zwölfseitige Denkschrift, in welcher ich ihm meine Einwände gegen diese Politik dargelegt habe. Großadmiral Raeder griff sofort ein. Ich wurde durch seine Vermittlung zu dem Gauleiter und Innenminister Wagner nach München gerufen. Nach einer Reihe von Besprechungen zwischen den kirchlichen, staatlichen und Parteistellen kam [392] es zu einer Abmachung, die zur Folge hatte, daß das Schulgebet bestehen blieb, das Kruzifix in den Schulen verbleiben durfte usw., ferner daß 59 Geistliche, die zu je 500 Mark Geldstrafe verurteilt worden waren, begnadigt wurden.

Auch die Klosteraufhebungen wurden damals eingestellt. Gauleiter Wagner mußte sich in Berlin...«


VORSITZENDER: Herr Dr. Siemers! Wir haben alle diese Dokumente vor kurzem gelesen.

DR. SIEMERS: Schön. Ich bitte, dann lediglich von dem Rest Kenntnis zu nehmen. Ich überreiche dann noch als die beiden letzten Dokumente Raeder-Exhibit 125 und Raeder-Exhibit 126.

125 ist eine eidesstattliche Versicherung von dem früheren Reichswehrminister Dr. Otto Geßler, und Raeder 126 ein Affidavit des Marinedekans Ronneberger. Ich bitte, von dem letzteren Dokument Kenntnis zu nehmen.

Das kurze Affidavit von Dr. Geßler bitte ich, verlesen zu dürfen, da es nicht nur einen rein persönlichen Teil, sondern auch einen Teil enthält, der die Anklage betrifft.

»Ich, Geßler, kenne den früheren Großadmiral Dr. Raeder persönlich seit etwa Mitte der Zwanzigerjahre, als ich Reichswehrminister war. Raeder war damals Inspekteur des Bildungswesens bei der Marine. Ich habe Raeder stets als einen Mann von untadeliger, ritterlicher Gesinnung, als einen Pflichtmenschen kennengelernt. Zum Gegenstand der Anklage weiß ich nur wenig:

Raeder hat mich, als ich nach meiner Entlassung aus der Haft der Gestapo im März 1945 im Hedwigkrankenhaus in Berlin lag, wiederholt besucht und sich auch um meine Heimbeförderung bemüht, da ich krank und völlig entkräftet war. Ich habe ihm dabei auch von der mir zuteilgewordenen Mißhandlung, insbesondere der Folterung, erzählt. Er war darüber sichtlich überrascht und empört. Er sagte, er werde das dem Führer melden. Ich bat ihn sofort, das zu unterlassen, war mir doch vor der Folterung gesagt worden, und zwar offiziell, alles dies geschehe auf ausdrücklichen Befehl Hitlers. Zudem wußte ich genau, daß ich sofort wieder verhaftet würde, da ich bei meiner Entlassung den bekannten Revers unterschrieben hatte und nicht einmal eine Bestätigung meiner Haft erlangen konnte, um eine Fahrkarte zur Heimreise zu erhalten.

Von geheimen Rüstungen bei der Marine ist mir weder während meiner Amtszeit noch nachher etwas bekanntgeworden. Für meine Amtszeit (bis Januar 1928) wäre Großadmiral Raeder auch nicht verantwortlich, weil er damals nicht Chef der Marineleitung war.

[393] Aus der Zeit des nationalsozialistischen Regimes wurde ich von meinem früheren Ressort teils ignoriert, teils geschnitten. Zu den wenigen Ausnahmen hiervon gehörte auch Dr. Raeder. Er hat mich u. a. vor 1939 dreimal zu einem Besuch auf dem Kreuzer Nürnberg eingeladen, obwohl ich zweimal abgesagt hatte. Bei dem Besuch im Juni 1939 kam er selber nach Kiel, um mich zu begrüßen. Dabei unterhielten wir uns auch über die politische Lage. Ich äußerte die Befürchtung, daß ein Angriff auf Polen den europäischen Krieg bedeuten würde. Raeder erklärte bestimmt, er halte es für ausgeschlossen, daß Hitler Polen angreifen werde. Als es später doch dazu kam, erklärte ich mir dies daraus, daß Hitler es liebte, auch die höchsten Militärs vor vollendete Tatsachen zu stellen.«

Dann die eidesstattliche Versicherung und die Unterzeichnung des Notars.

Von dem letzten Raeder-Exhibit 126 von dem Marinedekan Ronneberger, bitte ich, mit Rücksicht darauf, daß die Zeit so weit fortgeschritten ist, lediglich Kenntnis zu nehmen. Es ist eine sachliche und übersichtliche Darstellung über die kirchlichen Fragen und Marineseelsorge.

Herr Präsident! Ich kann damit bis auf drei Punkte meinen Fall abschließen. Erstens und zweitens, es fehlen noch zwei Fragebogen, die noch nicht zurückgekommen sind. Ich bitte, mir zu gestatten, daß ich sie nachreichen darf, sobald sie beim Gericht eingehen. Es fehlt dann noch der mir genehmigte Zeuge Generaladmiral Boehm, der infolge Krankheit bisher nicht erschienen ist. Die Britische Delegation durch Sir David hatte sich freundlicherweise damit einverstanden erklärt, notfalls diesen Zeugen zu einem späteren Zeitpunkt vernehmen zu lassen. Ich darf das Hohe Gericht bitten, diesen Punkt noch dementsprechend offenzuhalten und eventuell zu erlauben, daß Generaladmiral Boehm zu einem späteren Zeitpunkt vernommen wird. Ich betone schon jetzt, daß die Vernehmung sich nicht etwa auf einen so großen Komplex erstreckt wie bei Admiral Schulte-Mönting, was ja dem Gericht aus meinen Beweisanträgen bekannt ist.

Ich darf damit meinen Fall Raeder abschließen.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich nunmehr.


[Das Gericht vertagt sich bis

23. Mai 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 14, S. 355-395.
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