Vormittagssitzung.

[85] [Der Zeuge Lammers im Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Bitte, Dr. Dix.

DR. DIX: Zeuge, es ist darauf hingewiesen worden, daß ich meine Fragen zu schnell nach Ihren Antworten stelle, und daß Sie zu schnell auf meine Fragen antworten.


JUSTICE ROBERT H. JACKSON, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Wenn der Gerichtshof es gestattet, möchte ich vor dem Verhör des Zeugen eine andere Angelegenheit behandeln.

Ich bedauere, sagen zu müssen, daß bei dem Druck von Dokumenten in solchem Ausmaß Mißbrauch getrieben worden ist, daß ich den Dokumentenraum für die Vervielfältigung von Dokumenten für die deutschen Verteidiger schließen muß. Es ist ein drastischer Schritt, aber meiner Meinung nach bleibt nichts anderes zu tun übrig, und ich bringe die Angelegenheit vor den Gerichtshof.

Wir haben vom Generalsekretariat einen Druckauftrag bekommen und haben ein Dokumentenbuch Nummer 1 für Rosenberg gedruckt. Das Dokumentenbuch enthält in seinen 107 Seiten nicht einen einzigen Punkt, der auch bei größter Einbildungskraft irgendwie für dieses Verfahren erheblich sein kann. Es ist wilder Antisemitismus, und es kann den Vereinigten Staaten nicht zugemutet werden, selbst nicht durch den Auftrag des Sekretariats des Gerichtshofs, ein Auftrag, der zweifellos unüberlegt war, reinen Antisemitismus zu drucken und an die Presse zu verteilen; denn nichts anderes stellt das Dokument dar. Ich bitte, diese Angelegenheit zu prüfen.

Ich möchte sagen, es besteht aus zweierlei: Antisemitismus und, was ich – mit größtem Respekt vor Vertretern einer anderen Auffassung – als Unsinn bezeichnen möchte. Hier ist ein Beispiel für den Unsinn, den wir auf Kosten der Vereinigten Staaten drucken sollen. Ich kann das nicht länger schweigend hinnehmen:

»Die der bürgerlichen Gesellschaft entsprechende philosophische Methode ist die kritische. Das gilt sowohl positiv wie negativ. Die Herrschaft der reinen rationalen Form, die Unterwerfung der Natur, die Befreiung der autonomen Persönlichkeit, das ist in dieser von Kant klassisch formulierten Denkmethode enthalten. Zugleich aber auch die Isolierung [85] des Einzelnen, die innere Entleerung der Natur und des Gemeinschaftslebens, die Bindung an die in sich geschlossene Welt der Form, um die sich alles kritische Denken bemüht.«

Nun, um alles in der Welt, warum sollen wir das drucken? Sehen wir uns einmal diesen Antisemitismus an.

Nun, sehen wir uns einmal an, was man uns tatsächlich zu verbreiten ersucht hat, Seite 47 dieses Dokumentenbuches:

»In der Tat stellen die Juden wie die Kanaaniter überhaupt, wie die Phönizier und die Karthager, eine bastardisierte Bevölkerung dar...«

und in dem Ton geht es weiter. Dann heißt es weiter:

»Die Juden sind »anmaßend, wenn sie Erfolg haben, unterwürfig im Mißerfolg, verschlagen und gaunerhaft, wo es nur geht, geldsüchtig und von bemerkenswerter Intelligenz, aber dennoch nicht schöpferisch«.

Ich möchte die Zeit des Gerichtshofs nicht unnötig in Anspruch nehmen, aber gestern abend erhielten wir einen neuen Auftrag, weitere 260 Exemplare von diesem Zeug zu drucken. Ich habe den Druck angehalten, weil wir die Verpflichtung, dieses Zeug zu drucken, nicht übernehmen können, bevor es nicht vom Gerichtshof überprüft worden ist.

Der überwiegende Teil dieses Buches, soweit wir in der Lage waren, es zu überprüfen, wurde bereits vom Gerichtshof zurückgewiesen. Aber niemand nimmt auf die Zurückweisung durch diesen Gerichtshof die geringste Rücksicht, und wir erhalten den Auftrag, es zu drucken. Ich darf bei allem Respekt sagen, daß die Vereinigten Staaten jedes Dokument drucken werden, welches von einem Mitglied dieses Gerichtshofs oder einem ihrer Vertreter gutgeheißen wird, aber wir sehen uns nicht mehr in der Lage, dieses Zeug zu drucken, weder auf Verlangen der deutschen Verteidiger noch auf Grund unüberlegter Anweisungen, die wir erhalten haben.

DR. THOMA: Ich möchte zunächst das eine erklären, daß mir in der Mitteilung vom 8. März 1946 des Hohen Gerichtshofs ausdrücklich bewilligt wurde, daß ich in meinem Dokumentenbuch Zitate aus philosophischen Büchern bringen darf. Ich bin daraufhin davon ausgegangen, daß die Ideologie Rosenbergs eine Auswirkung der sogenannten Neuromantik ist und habe aus neuromantischen, ernsten philosophischen Werken, von der Wissenschaft anerkannten Werken, philosophische Zitate gebracht.

Zweitens, meine Herren, ich habe mich ausdrücklich bemüht, keine antisemitischen Bücher zu bringen. Was mir eben verlesen worden ist, müssen glatte Übersetzungsfehler sein. Denn ich habe zitiert das Werk eines berühmten evangelisch-theologischen Kirchenlehrers Homan-Harling und habe zweitens zitiert ein Werk eines [86] anerkannten jüdischen Gelehrten, Isma Elbogen, und habe drittens zitiert ein Zitat aus der Zeitschrift »Kunstschatz« von einem jüdischen Universitätsprofessor Moritz Goldstein.

Ich habe mich bewußt ferngehalten, eine antisemitische Propaganda in diesen Saal hereinzubringen und ich bitte, daß die Dokumente, die ich zitiert habe, daraufhin nachgesehen werden, ob das tatsächlich Unsinn und sonstiger literarischer Schund ist.

Ich behaupte nach wie vor, daß die Werke, die ich zitiert habe, von amerikanischen, englischen und französischen anerkannten Gelehrten stammen, und die anderen Zitate, die eben Mr. Justice Jackson gebracht hat, über diese Bastardrasse und so weiter, stammen meines Wissens von nicht-deutschen Gelehrten. Aber ich müßte das jetzt neu nachprüfen; aber ich bitte auf jeden Fall, daß mein Zitatenschatz daraufhin nachzuprüfen ist, ob er irgendwie unsachlich oder unwissenschaftlich gehalten ist.


VORSITZENDER: Justice Jackson, der Gerichtshof ist der Ansicht, daß irgendwie ein Irrtum unterlaufen sein muß, als dieses Dokumentenbuch an die Übersetzungsabteilung geleitet wurde, ohne vorher der Anklagebehörde vorgelegt worden zu sein. Der Gerichtshof hat vor einiger Zeit verfügt, daß die Anklagebehörde berechtigt ist, gegen jedes Dokument Einspruch zu erheben, bevor es der Übersetzungsabteilung zugeleitet wird.

Es entstanden dann einige Schwierigkeiten, weil die Schriftstücke größtenteils in deutscher Sprache gehalten sind. Es war für die Anklagevertretung etwas schwierig, eine Entscheidung zu treffen, ehe die Dokumente übersetzt wurden. Diese Schwierigkeit wurde uns vor einigen Tagen vorgelegt. Ich glaube, Sie waren damals nicht anwesend, aber zweifellos waren andere Mitglieder der Anklagebehörde der Vereinigten Staaten hier. Wir haben dieses Thema gründlich behandelt und haben uns geeinigt, daß die Ankläger mit den Verteidigern zusammenkommen und soweit wie möglich diese Frage besprechen sollten. Sie sollten auch die Dokumente benennen, die nach Ansicht der Anklagebehörde nicht übersetzt werden brauchten; bei Uneinigkeit, so wurde angeordnet, sollte die betreffende Sache dem Gerichtshof vorgelegt werden. Soweit es dem Gerichtshof möglich war, wurde alles getan, um die Arbeit der Übersetzungsabteilung zu erleichtern. Natürlich, soweit Dokumente der Übersetzungsabteilung zur Übersetzung zugeleitet wurden, die der Gerichtshof bereits zurückgewiesen hatte, muß dies irrtümlich geschehen sein, weil das Büro des Generalsekretärs zweifellos die Weitergabe von Dokumenten, die der Gerichtshof bereits zurückgewiesen hat, an die Übersetzungsabteilung zu verweigern gehabt hätte. Die allgemeinen Grundregeln, die ich zu erklären versucht habe, scheinen dem Gerichtshof der einzige Weg zu sein, den wir beschreiten können, um die Arbeit der Übersetzungsabteilung zu[87] erleichtern. Mit anderen Worten, die Ankläger sollen sich mit den Verteidigern in Verbindung setzen und ihnen angeben, welche Dokumente so offensichtlich unerheblich sind, daß sie nicht übersetzt werden dürfen.


JUSTICE JACKSON: Wenn Sie erlauben, Herr Vorsitzender, ich denke nicht, daß dies ein Irrtum ist. Es ergibt sich aus einer grundlegenden Differenz, die der Gerichtshof meiner Meinung nach nicht klargemacht hat.

Es handelt sich um folgendes: Der Verteidiger erklärt, er glaube die Neuromantik von Rosenberg untersuchen zu müssen. Wirklagen Rosenberg des Mordes von vier oder fünf Millionen Juden an. Die Frage hier ist eine ideologische. Der einzige Zweck, bezieht man sich überhaupt auf antisemitische Gefühle, ist das Motiv. Es besteht nicht die Absicht, hier die Frage des Antisemitismus und der Überlegenheit von Rassen aufzurollen, den grundlegenden Unterschied der Gesichtspunkte. Sie glauben – und, natürlich, wenn ihnen dieser Prozeß als Sprachrohr hierfür dienen kann, fördert das ihre Absichten – sie halten es für richtig, diesen Punkt zum Gegenstand der Untersuchung zu machen.

Zuerst erhielten wir dieses Buch mit dem Auftrag, es zu drucken Wir können nicht sagen, wann sie etwas in dem Dokumentenraum vorlegen. Ich gebe mich einfach nicht als Werkzeug für diesen Geist des Antisemitismus her. Auch die Vereinigten Staaten können es nicht, tun. Die Anordnungen des Gerichtshofs an die Verteidigung werden einfach nicht beachtet.

Das ist die Schwierigkeit hier.


VORSITZENDER: Ich weiß nicht, ob Sie sich an die Anordnung erinnern, die wir am 8. März 1946 erlassen haben. Sie lautet: »Um unnötige Übersetzungen zu vermeiden, sollen die Verteidiger der Anklagevertretung die genauen Stellen in allen Dokumenten, die sie zu verwenden beabsichtigen, angeben, damit die Anklagevertretung die Möglichkeit hat, gegen unerhebliche Stellen Einspruch zu erheben. Im Falle einer Meinungsverschiedenheit zwischen Anklagevertretung und Verteidigung über die Erheblichkeit einer bestimmten Stelle wird der Gerichtshof die Entscheidung treffen, welche Stellen genügend erheblich sind, um übersetzt zu werden Nur die zitierten Stellen brauchen übersetzt zu werden, es sei denn, daß die Anklagebehörde die Übersetzung des gesamten Dokuments beantragt.«

Nun natürlich, wenn Sie dieser Verfügung im Prinzip widersprechen wollen, so ist es Ihr gutes Recht. Aber bis jetzt schien es dem Gerichtshof, daß es die zweckmäßigste Verfügung ist, die getroffen werden konnte. Erst vor wenigen Tagen kamen wir nach [88] einer ausführlichen Diskussion darüber wiederum zu derselben Lösung.


JUSTICE JACKSON: Ich möchte den Herrn Vorsitzenden darauf aufmerksam machen, daß die Anordnung des Gerichtshofs nicht befolgt wird, und daß uns diese Dokumente zum Druck gegeben werden ohne vorherige Verständigung. Die Angestellten in der Druckerei sind keine Advokaten. Sie sind nicht in der Lage, diese Dinge zu beurteilen. Ich habe dafür nicht das Personal. Mein Personal wurde, wie dem Gericht bekannt ist, beträchtlich herabgesetzt. Ich kann in der Druckerei keine Überprüfung vornehmen lassen, was gedruckt werden soll, wenn vom Büro des Generalsekretärs Aufträge kommen.


VORSITZENDER: Gut, aber haben Sie...


JUSTICE JACKSON: Die Anordnung ist nicht befolgt worden. Darin besteht die Schwierigkeit.


VORSITZENDER: Meinen Sie, daß keines dieser Dokumente den Anklägern vorgelegt worden ist?


JUSTICE JACKSON: Die Dokumente wurden den Anklagevertretern nicht vorgelegt. Sie kamen in die Druckerei mit dem Druckauftrag vom Büro des Generalsekretärs. Darüber argumentiere ich, das ist die Beschwerde, der ich Abhilfe schaffen muß. Herr Vorsitzender, wir befinden uns in der sonderbaren Lage, daß von uns verlangt wird, die Drucker für diese Angeklagten abzugeben. Wir erhielten den Auftrag, 260 Exemplare dieser Wachsmatrizen zu drucken. Die Vereinigten Staaten können unmöglich als Drucker an der Verbreitung dieser antisemitischen Literatur mitwirken, gegen die wir als einen der Fehler des Nazi-Regimes schon lange protestierten, und dies besonders, nachdem sie Gegenstand des Argumentierens waren und vom Gerichtshof abgelehnt worden sind. Meiner Meinung nach liegt ein flagranter Fall von Mißachtung des Gerichtshofs vor, wenn, diese Dokumente wieder vorgelegt werden, nachdem der Gerichtshof über sie entschieden und das ganze Dokumentenbuch des Angeklagten Rosenberg abgelehnt hat.


VORSITZENDER: Gewiß. Soweit diese Dokumente abgelehnt worden sind, hätten sie niemals der Übersetzungsabteilung übergeben werden sollen. Der Gerichtshof bittet um die Ansicht von Sir David Maxwell-Fyfe, der anwesend war, als wir uns zuletzt mit diesem Thema befaßten.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Soweit ich unterrichtet bin, liegt die Sache so, daß die Rosenberg-Dokumente vor der letzten Diskussion, die wir über diese Frage hatten, sich bereits im Geschäftsgang befanden – jedenfalls nach Mitteilungen,[89] die wir erhalten haben – und ich habe daher dem Gerichtshof vorgeschlagen, daß die praktische Anwendung des neuen Verfahrens mit den Dokumenten des Angeklagten Frank beginnen sollte. So lautete mein Vorschlag damals.


VORSITZENDER: Soweit ich mich erinnere, nachdem wir diese Verfügung vom 8. März 1946 getroffen hatten, haben die Anklagevertreter – ich glaube alle vier Ankläger und ich meine sogar, daß die Dokumente mit der Unterschrift der Vereinigten Staaten versehen waren, aber ich bin dessen nicht ganz sicher – darauf hingewiesen, daß große Schwierigkeiten für die Durchführung dieser Verfügung vom 8. März im Hinblick auf den Umstand beständen, daß diese Dokumente für die Anklagebehörde übersetzt werden müßten, um über die Erheblichkeit der Dokumente eine Entscheidung treffen zu können. Ist das so?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Diese Schwierigkeit ergab sich mit Dr. Horn bei den Ribbentrop-Dokumenten.


VORSITZENDER: Aber ein schriftlicher Antrag wurde an den Gerichtshof gestellt, diese Verfügung vom 8. März 1946 zu ändern, und nach einer darauf folgenden Diskussion im Gerichtssaal kamen wir zu dem Ergebnis, daß es besser wäre, diese Verfügung vom 8. März 1946 beizubehalten. Und ich sehe in Bezug auf Rosenberg, daß die Dokumente bereits vorher im Geschäftsgang waren.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Seit unserer letzten Diskussion haben wir natürlich versucht, diese Arbeitsmethode in Gang zu bringen. Dr. Dix hat sich mit Herrn Dodd und mit mir über die Schacht-Dokumente geeinigt. Ich weiß, daß andere Verteidiger Vorkehrungen treffen, um auch ihre Fälle zu besprechen. Aber vor diesem Zeitpunkt, bevor diese Frage bezüglich der Ribbentrop-Dokumente aktuell wurde, hat keine Unterredung mit der Anklagebehörde stattgefunden. Das ist die Sachlage.


VORSITZENDER: Worauf ich hinweisen möchte, ist jedoch der Umstand, daß die Anklagebehörde den Beschluß vom 8. März 1946 nicht durchgeführt hat. Vielleicht war es unmöglich, aber er ist jedenfalls nicht durchgeführt worden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich verstehe nicht ganz, was Euer Lordschaft damit meinen: »Die Anklagebehörde hat das nicht durchgeführt.«


VORSITZENDER: Beide, die Anklagebehörde wie die Verteidigung – ich nehme an, wegen des Antrags, der uns nach der Anordnung vom 8. März 1946 vorgelegt wurde, von seiten der Anklagebehörde kam und besagte, daß derartige Schwierigkeiten beständen, die Übersetzungen der Dokumente zu erlangen – schlugen eine andere Anordnung vor.


[90] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es tut mir leid, Euer Lordschaft, wenn wir etwas nicht durchgeführt haben. Es ist das erstemal, daß mir jemand dies gesagt hat...


VORSITZENDER: Ich möchte Sie nicht kritisieren.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir alle haben uns die größte Mühe gegeben und jeder hat sein möglichstes getan für eine Zusammenarbeit. Wir wußten nicht, daß der Fehler bei uns lag. Ich bitte daher zu entschuldigen, wenn das der Fall war.


VORSITZENDER: Ich habe das nicht gemeint, Sir David, aber ich glaube, es bestanden Schwierigkeiten bei der Durchführung und ich glaube, es lag ein Vorschlag vor, die Anordnung abzuändern. Ich werde mir das noch genauer ansehen, um festzustellen, ob ich recht habe. Ich erinnere mich, einen solchen Antrag gesehen zu haben, und danach in der folgenden Diskussion im Gerichtssaal haben wir beschlossen, diese Verfügung vom 8. März 1946 beizubehalten, und diese Schwierigkeit entstand, wie Sie hier bemerkt haben, aus dem Grunde, daß die Rosenberg-Dokumente vor dieser Diskussion behandelt worden waren. Das beste wäre wohl...


[Kurze Pause.]


Justice Jackson! Wäre es nicht das beste, wenn Sie Ihren Einspruch gegen die betreffenden Dokumente schriftlich erheben würden, und dann wird der Gerichtshof nach einer Verhandlung dazu Stellung nehmen.

JUSTICE JACKSON: Aber, Herr Vorsitzender, der Gerichtshof hat bereits einmal die Dokumente zurückgewiesen, und doch erhielten wir einen Auftrag, sie zu drucken. Die Anordnungen des Gerichtshofs werden nicht beachtet, und – ich will die Verteidiger nicht kritisieren – aber wir haben bisher keine Möglichkeit gehabt, diese Dokumente durchzusehen. Die Matrizen, deren Anfertigung ich gestern abend habe einstellen lassen, enthalten nichts von dem, was uns vorgelegt worden ist. Sie gehören in diesen Prozeß überhaupt nicht hinein und wir kommen zu keinem Ergebnis, wenn wir mit Dr. Thoma darüber diskutieren. Er ist der Ansicht, daß ihre Philosophie hier von Bedeutung ist.

Meiner Ansicht nach müßte der Gerichtshof, wenn ich das vorschlagen darf – ich bin vielleicht ein parteiischer Richter in diesem Fall und habe niemals behauptet, vollkommen unparteiisch zu sein –, daß der Gerichtshof einen Vertreter ernennt, der diese Dokumente auf ihre Erheblichkeit hin beurteilt. Wir können diese Frage nicht durch eine Besprechung mit Dr. Thoma beendigen. Mein Vorschlag ist, ein Beamter sieht die Dokumente durch bevor sie übersetzt werden. Falls dieser Beauftragte in einer Angelegenheit[91] Zweifel hat, kann er sie an Sie zurückverweisen. Natürlich können wir in diesem Stadium nicht über eine endgültige Annahme oder Ablehnung entscheiden. Ich sehe ein, daß es eine zu große Belastung für den Gerichtshof wäre, alle diese Dokumente im voraus durchzusehen, aber andererseits ist es für die Vereinigten Staaten eine zu große Belastung, sie weiterhin zu drucken. Papier ist heute ein seltener Artikel. Über 25000 Blätter eines Buches sind gedruckt worden, das abgelehnt worden ist. Ich glaube, es gibt hier keine andere Möglichkeit, außer daß ein Anwalt, der in der Lage ist, die Erheblichkeit zu beurteilen, den Gerichtshof in der Vorentscheidung über die Drucklegung dieser Schriftstücke vertreten soll. Das ist jedenfalls besser, als es den Verteidigern zu überlassen.

Ich möchte es nicht einmal unternehmen, mich mit Dr. Thoma zusammenzufinden, da wir von vollkommen verschiedenen Gesichtspunkten ausgehen. Er will den Antisemitismus rechtfertigen, während ich der Ansicht bin, daß dies hier nicht zur Diskussion steht. Die Ermordung von Juden, von menschlichen Wesen, ist hier der Gegenstand und nicht, ob die jüdische Rasse beim deutschen Volk beliebt ist oder nicht. Das interessiert uns nicht. Es handelt sich darum, daß wir diese Fragen einmal regeln.


OBERST Y. V. POKROWSKY, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Ich möchte mit Erlaubnis des Hohen Gerichtshofs ein paar Worte zu dem, was Herr Jackson soeben gesagt hat, hinzufügen. Auch ich habe nicht die Absicht, die Verteidiger zu kritisieren, aber der Gerichtshof hat bereits erklärt, daß ein Fehler vorliegen könnte. Und ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs darauf lenken, daß diese Irrtümer sich allzu oft wiederholten. Ich möchte mir erlauben, Sie an die Dokumente im Zusammenhang mit dem Versailler Vertrag zu erinnern, die vom Gerichtshof entschieden als unerheblich abgelehnt wurden. Der Gerichtshof wird sich daran erinnern, daß viel Zeit für die Verlesung der von Dr. Stahmer und Dr. Horn vorgelegten Dokumente verbraucht worden ist. Ich möchte den Gerichtshof an eine andere Tatsache erinnern, als ein anderer Beschluß des Gerichtshofs verletzt wurde. Vielleicht geschah es irrtümlich, vielleicht auch nicht. Es handelte sich um ein Dokument, das von Dr. Seidl vorgelegt wurde und in die Presse gelangte, bevor es vom Gerichtshof als Beweismaterial angenommen worden war. Ich glaube, daß es sehr zweckmäßig wäre, wenn der Gerichtshof, um Zeit zu sparen, die Beachtung seiner Anordnungen etwas stärker gewährleisten könnte, und zwar nicht nur seitens der Anklagebehörde, die sie alle stets gewissenhaft durchführt, sondern auch seitens der Verteidigung.


VORSITZENDER: Bitte, Dr. Thoma.


DR. THOMA: Hohes Gericht! Ich bin außerordentlich betroffen durch den Vorwurf, daß ich Anordnungen des Gerichts nicht [92] befolgt habe. In dem Verfahren, welche Dokumente zugelassen werden sollen, habe ich eingehend dargelegt, welche philosophischen Werke ich zitieren will und warum. In der Anklage ist behauptet worden, Rosenberg habe seine Philosophie erfunden zum Zwecke des Angriffskrieges und zur Begehung von Kriegsverbrechen und so weiter. Ich habe es für meine Pflicht gehalten, nachzuweisen, daß diese sogenannte völkische...


VORSITZENDER: Wollen Sie dem Gerichtshof sagen, wo die Anklage erklärt hat, er habe seine Philosophie erfunden, ob in der Anklageschrift oder im Verlauf des Anklagevorbringens.


DR. THOMA: Ich kann es nachweisen. Es kommt in der Churchill-Rede zum Ausdruck und auch in der Anklage von Justice Jackson sind ähnliche Ausdrücke enthalten, daß die Rosenbergsche Philosophie dazu geführt habe.


VORSITZENDER: Sie sagen, es erscheint in der Rede Churchills?


DR. THOMA: Ja.


VORSITZENDER: Was haben wir damit zu tun? Ich frage, ob die Anklagebehörde dies in der Anklageschrift oder im Verlauf des Anklagevorbringens behauptet hat, und Sie antworten mir, Churchill...


DR. THOMA: Nein, nicht Churchill, sondern Justice Jackson. In seinem Vortrag hat er ähnliche Dinge gesagt, die dem Sinn nach dasselbe bedeuten. Infolgedessen habe ich mich für verpflichtet gehalten, die Philosophie dem Gericht darzulegen, die schon vor Rosenberg ähnliche Argumente vorgebracht hat, und zwar die Philosophie aus der ganzen Welt.

Bezüglich der Vorlage des Dokumentenbuches hat sich folgendes ereignet: Ich wurde von der Übersetzungsabteilung aufgefordert, weil sie damals Zeit hatte, mein Dokumentenbuch möglichst bald einzureichen, noch bevor es dem Gericht überwiesen wird. So kam tatsächlich dieses Dokumentenbuch eher in die Übersetzungsabteilung, als es das Gericht hatte. Aber das Gericht hat mir ausdrücklich mit Beschluß vom 8. März 1946 bewilligt, daß ich Zitate aus diesen philosophischen Büchern bringen darf. Es hat mir nur alle antisemitischen Werke, den Goldstein, den Elbogen und den Homan-Harling nicht bewilligt. Daraufhin habe ich dem Gerichtshof sofort mitgeteilt, daß in meinem Dokumentenbuch Schriftstücke drin sind, Zitate drin sind, die mir der Gerichtshof nicht bewilligt hat.

Meine Hohen Herren, und jetzt etwas sehr Entscheidendes. Ich habe jetzt festgestellt, dieses Zitat, das Mr. Jackson gebraucht hat, das stammt von einem französischen Forscher M. Larouche.

Zweitens, ich habe in meinem Dokumentenbuch ausdrücklich die Stellen, die übersetzt werden sollen, mit Rotstift gekennzeichnet. [93] Dieses Zitat, das Herr Jackson gebraucht hat, war nicht rot gekennzeichnet und sollte in das Dokumentenbuch nicht aufgenommen werden. Es ist dies ein bedauerlicher Irrtum.

Drittens möchte ich darauf Bezug nehmen, daß... Ich bekomme eben einen neuen Hinweis, der wörtliche Ausdruck lautet: »Rosenberg hat die philosophische Technik der Verschwörung ausgearbeitet und hat damit ein Erziehungssystem für einen Angriffskrieg vorbereitet«. Das war der Ausdruck in der Rede von Herrn Jackson. Deshalb habe ich geglaubt, darauf hinweisen zu dürfen, daß diese ganze Philosophie bereits in der Luft lag und sogar als eine philosophische Notwendigkeit, die in Erscheinung treten mußte. Ich glaube also, daß ich mich von dem Vorwurf, daß ich irgendwie Anordnungen des Gerichts nicht befolgt habe, gereinigt habe.


VORSITZENDER: Dr. Thoma, sind diese Dokumente zum Presseraum geschickt worden oder zur Übersetzungsabteilung?


DR. THOMA: Sie sind meines Erachtens in die Übersetzungsabteilung geschickt worden, weil die Übersetzungsabteilung erklärt hat, sie habe jetzt Zeit, und es komme aber bald ein furchtbarer Ansturm. Ich war mit meinen Dokumenten fertig, ich habe sie eingereicht.


VORSITZENDER: Justice Jackson hatte erklärt, daß anscheinend diese Dokumente in den Presseraum geschickt wurden und auf diese Art an die Öffentlichkeit gelangten. Auf jedem Dokumentenbuch findet sich außen der Vermerk, daß es nicht veröffentlicht werden dürfe, bevor es dem Gerichtshof in öffentlicher Sitzung vorgelegt worden ist, und dann nur der Teil, der tatsächlich zum Beweis benützt wurde. Daher werden Dokumente, die der Übersetzungsabteilung zugehen, nicht verbreitet oder sollten nicht verbreitet werden an die Presse, sie sollten nicht veröffentlicht werden, bevor sie dem Gerichtshof vorgelegt sind.

Es scheint, daß hier eine Anzahl von Mißverständnissen entstanden ist, und zwar vor allem aus dem Grund, weil Sie Ihre Dokumente der Übersetzungsabteilung übergeben haben, bevor sie dem Gerichtshof vorgelegt waren, und deshalb wurden einige Stücke übersetzt, die später vom Gericht abgelehnt wurden. Ist das richtig?


DR. THOMA: Nein, meine Herren, das stimmt nicht, sondern erstens war das tatsächlich ein interner Vorgang bei den verschiedenen Stellen der Übersetzungsbehörde. Ich habe dieses Dokumentenbuch, weil sie mich darum bat, der Übersetzungsabteilung übergeben und dann habe ich beim Generalsekretariat...


VORSITZENDER: Ich habe nicht gefragt, wer wen gefragt hat. Ich sage, daß die Übersetzungsabteilung diese Dokumente zur Übersetzung bekam, bevor sie dem Gerichtshof vorgelegt worden waren, [94] und infolgedessen hat sie gewisse Dokumente übersetzt, die hernach vom Gericht abgewiesen wurden.


DR. THOMA: Abgewiesen wurden bekanntlich nur die drei antisemitischen Werke. Daß diese Dokumente irgendwie aus dem Gerichtssaal an die Presse kommen, habe ich natürlich nicht gewußt, sondern ich dachte, die Arbeit der Übersetzungsabteilung zu erleichtern. Ich habe dann auch dem Herrn Generalsekretär mitgeteilt, daß ich das Dokumentenbuch eingereicht hätte und habe ihn darauf hingewiesen. Aber die Zitate aus meinen philosophischen Büchern wurden mir ja dann später genehmigt. Ich möchte nochmals darauf hinweisen, daß ich immer der Meinung war, daß das alles ein interner Vorgang bleibt und daß keineswegs die Dokumente so an die Presse kommen dürfen. Über diese Vorgänge war ich nicht unterrichtet.

Ich bin mir sehr bewußt, daß diese Zitate aus Büchern, die nicht in dem Sitzungssaal hier vorgetragen worden sind, auch nicht in die Presse kommen dürfen. An das habe ich mich auch gehalten. Es ist auch noch nichts vorgetragen worden in der Sitzung. Es dürfte auch noch nichts in die Presse kommen.


VORSITZENDER: Wie Sie doch sicher wissen, ist die erste Zulassung von Dokumenten, wenn sie unterbreitet werden, nur provisorisch. Dann müssen Sie Ihre Dokumente dem Gerichtshof in öffentlicher Sitzung unterbreiten, wie das Dr. Horn getan hat, dann entscheidet der Gerichtshof über ihre Zulässigkeit. Und diese andere Anordnung wurde zu dem Zweck getroffen, unnötige Übersetzungen zu vermeiden. Es wurde damals beschlossen, daß erst nach der provisorischen Entscheidung des Gerichtshofs über die provisorische Erheblichkeit eines Dokuments Sie jene Stellen, die Sie zitieren wollten, dann der Anklagebehörde vorlegen müßten, um ihr eine Möglichkeit zu geben, Einspruch zu erheben, so daß die Übersetzungsabteilung nicht unnötig belastet wird. Das wurde, wie Sie und auch Sir David Maxwell-Fyfe erklärt haben, in Ihrem Fall nicht ausgeführt, teilweise, weil, wie Sie sagen, die Übersetzungsabteilung bereit war, gewisse Arbeiten zu übernehmen. Aus diesem Grund wurden ihr Dokumente übergeben, die der Gerichtshof später für unzulässig erklärte.


JUSTICE JACKSON: Darf ich vielleicht einen Irrtum aufklären. Ich wollte nicht sagen, daß die Verteidiger die Dokumente zur Druckerei geschickt hatten, im Sinne einer Zeitungsdruckerei. Sie wurden in unsere Druckerei geschickt. So wurden sie natürlich gedruckt. Die 260 Exemplare, die wir Anweisung hatten, zu drucken, trugen den Vermerk, daß sie nicht veröffentlicht werden dürften vor ihrer Verwendung. Sie haben nicht die Presse erreicht, sondern nur die Druckerei, und ich wollte nicht sagen, daß sie an die Zeitungsdruckerei gingen.


[95] VORSITZENDER: Ja, Dr. Dix?


DR. DIX: Hoher Gerichtshof! Bevor ein Beschluß gefaßt wird in der eben behandelten Diskussion, darf ich bitten, einige Bemerkungen von mir, nicht für den Fall Rosenberg, sondern allgemein für die Verteidigung entgegennehmen zu wollen. Es sind generell außerordentlich schwere Vorwürfe gegen die Gesamtverteidigung erhoben worden. Es ist der Ausdruck gefallen, die Anklagebehörde wäre nicht der Pressechef der Verteidigung. Es ist der Vorwurf gemacht worden, es würde von der Verteidigung versucht, Propaganda zu machen, und dann haben sich diese Vorwürfe sogar in den schwersten Vorwurf gesteigert, den man einem Mitwirkenden an einer Gerichtsverhandlung überhaupt machen kann, nämlich den Vorwurf des »Contempt of Court«.

Ich kann für die Gesamtverteidigung diesen schweren Vorwürfen das Beste und Stärkste entgegensetzen, was man Vorwürfen entgegensetzen kann, nämlich ein absolut reines und gutes Gewissen auf diesem Gebiete. Wer die Debatte der letzten halben Stunde mit angehört hat, hat erkannt, daß auch die Meinungsverschiedenheiten, die jetzt hier entstanden sind und über die das Gericht jetzt einen Beschluß verkünden wird, auch wiederum auf Mißverständnisse im Gerichtssaal zurückzuführen waren.

Mr. Jackson hat eben loyalerweise richtiggestellt, daß er unter Presse nicht die Zeitungspresse, sondern die Druckerpresse gemeint hat und mein Kollege Dr. Thoma hat dann auch aufgeklärt, daß diese Dokumente nur in die Übersetzungsabteilung gekommen sind, weil die Übersetzungsabteilung sehr verständig, sehr fleißig und vernünftig von ihrem Standpunkt aus gesagt hat, wir haben jetzt gerade mal nicht viel zu tun, gib mal her, dann können wir schon anfangen zu übersetzen. Ich glaube, wir könnten alle diese Schwierigkeiten vermeiden, wenn wir gegenseitig voraussetzen, daß wir beide Seiten, Prosecution und Verteidigung, mit dem besten Willen loyal ans Werk gehen und uns der Gedanke, die Befehle des Gerichts bewußt nicht zu befolgen, vollkommen fernliegt. Irrtümer und Mißverständnisse können immer vorkommen. Ich darf daran erinnern, daß dieses »Leakage« an die Presse, daß irgendwelche Veröffentlichungen an die Presse herausgegangen sind, bevor sie hier Gegenstand der Gerichtsverhandlung geworden sind, daß das zu Beginn des Verfahrens häufig vorgekommen ist. Ich will keine Beispiele bringen, das Gericht weiß das ja, es kam nicht von der Verteidigung, ich weiß nicht von wem, jedenfalls nicht von der Verteidigung, aber ich erhebe keine Vorwürfe. So etwas kommt vor, so ein Apparat muß sich erst einspielen. Böser Wille hat auch damals nicht vorgelegen. Aber ich darf daran erinnern, daß wir es gewesen sind, und zwar durch meinen Mund, die ganz energisch unterstrichen haben, daß doch nur das an die Presse kommen sollte, was hier in [96] öffentlicher Verhandlung in den Prozeß eingeführt worden ist, und erst dann die Regelung des Gerichts in diesem Sinne erfolgte. Vorher war es eben anders.

Ich habe das aber nie als Beleidigung empfunden, sondern eben nur als eine gottgewollte Abhängigkeit der Menschen. Zum Beispiel war es für mich unmöglich, zu Beginn des Prozesses die Charter, die Grundlage unseres Prozesses, zu bekommen, aber schließlich wurde sie mir gegeben von der Presse, liebenswürdigerweise.

Also, wenn so ein schwieriger Apparat aufgezogen wird, gibt es natürlich immer wieder Fehler und Irrtümer. Wir haben doch nun mit Sir David bereits angefangen, in nützlicher Weise diese Fragen der Dokumente möglichst praktisch zu gestalten, indem wir uns erst unterhielten mit der Anklagebehörde, solange nur der deutsche Text vorlag, um herauszufinden, gegen welche Stellen die Anklagebehörde glaubt, Einwände erheben zu können. Da war die technische Schwierigkeit, war die sprachliche Schwierigkeit, lag nur der deutsche Text vor oder die verschiedenen Sprachen der Verhandlungspartner. Ich sprach dann mit der Anklagebehörde, und wir begriffen das Problem der anderen Verhandlungspartner. Aber auch das konnte man mit gutem Willen lösen, notfalls zog man einen Dolmetscher hinzu. Also es war ein ausgezeichneter und praktischer Weg, erstens, einmal der Übersetzungsabteilung unnötige Übersetzungen zu sparen, und zweitens, dem Gerichtshof unnötige Entscheidungen zu sparen. Und es ging ausgezeichnet, es lief gut an. Ich muß für die Verteidigung in Anspruch nehmen – ich glaube, das wird Sir David nicht bestreiten –, daß wir bei diesem Gedanken, erstmals inoffiziell vorher durch Unterhaltung mit der Anklagebehörde zu klären, eigentlich mitführend gewesen sind, also mitgearbeitet haben.

Die Verteidigung ist in diesem Prozeß in einer sehr schwierigen Lage. Ich glaube, jeder von Ihnen wird mir zugeben, daß ein menschliches Können beinahe übersteigendes Ausmaß an politischem Taktgefühl dazu gehört, in diesem Prozeß zu verteidigen, ohne jemals einen kleinen Fehler zu begehen. Jedenfalls, ich für mich nehme nicht in Anspruch, auf diesem Gebiet total sicher zu sein, und auch nicht einmal der Täter eines kleinen faux pas zu werden. Also eine sehr schwierige Situation, schwierig der Welt gegenüber, schwierig dem Gericht gegenüber, schwierig der deutschen Öffentlichkeit gegenüber.

Ich bitte Justice Jackson doch dringend, für diese schwierige Aufgabe Verständnis zu haben und nicht noch seinerseits Vorwürfe zu unterstreichen, die wir leider in der Presse, in der deutschen Presse des öfteren lesen müssen. Wir können nicht jedesmal wegen uns angreifender Artikel in den Zeitungen, wo unberechtigte Vorwürfe gegen uns erhoben werden, zu dem Gericht laufen und sagen: »Bitte [97] hilf uns!« Das Gericht hat Wichtigeres zu tun, als nur dauernd die Verteidigung zu schützen.

Aber gerade der Vorwurf, daß hier nationalsozialistische Propaganda gemacht wird, oder gerade der Vorwurf, daß hier antisemitische Propaganda gemacht wird: Ich glaube, ich kann mit bestem Gewissen versichern, daß es keinem der Verteidiger, gleichgültig welcher weltanschaulichen oder politischen Überzeugung in der Vergangenheit, auch nur in den Sinn kommt, diesen Gerichtssaal dazu zu benützen, um für die begrabene Welt, ich unterstreiche die begrabene Welt des Dritten Reiches, ideologisch Propaganda zu machen. Es wäre nicht nur unrecht, sondern es wäre schlimmer als ein Unrecht, ich möchte sagen, um mit Talleyrand zu sprechen, es wäre eine untragbare Dummheit, das zu tun.

Gerade aber, weil wir angegriffen werden, weil wir uns nicht wehren können und weil wir anständigerweise nicht das Gericht bei jedem Angriff bitten können, uns in Schutz zu nehmen, bitte ich Justice Jackson, die Atmosphäre doch etwas zu bereinigen und uns eine Erklärung abzugeben, daß diese schwerwiegenden Vorwürfe, Mißachtung des Gerichts, antisemitische Propaganda, oder nationalsozialistische Propaganda und so weiter, nicht ernstlich erhoben werden sollen.

Ich glaube, in dem kameradschaftlichen Zusammenarbeiten, in dem wir bisher mit der Anklagebehörde gestanden haben... Ich jedenfalls muß offen bekennen, daß ich dankbar an diese Zusammenarbeit zurückdenke und außerordentlich die Förderung und Kameradschaftlichkeit, wie mir die Herren entgegengekommen sind, anerkenne. Das soll doch erhalten bleiben. Wo kämen wir denn hin, wenn wir hier in einem Kampfstadion wie Kampfhähne uns gegenüberstehen. Wir verfolgen doch alle dasselbe Ziel.

Also, ich bitte Justice Jackson nicht nur darum, sondern so wie ich ihn kenne, wird er es auch ohne meine Bitte tun, eine Erklärung abzugeben, um diese höchst peinliche und nicht nur die Verteidigung, sondern sicher den ganzen Saal drückende Beschuldigung zu – sagen wir mal – zu bereinigen.

Ich danke Ihnen, meine Herren Richter, daß Sie mir so lange Ihr Gehör geschenkt haben, aber ich glaube, die Sache war bedeutungsvoll genug, um ein weiteres reibungsloses und die Sache förderndes Zusammenarbeiten zwischen der Anklagebehörde und der Verteidigung zu gewährleisten.


DR. THOMA: Hohes Gericht! Ich bitte, mir nochmals ganz kurz zur tatsächlichen Berichtigung das Wort zu geben.

Ich möchte genau zitieren, aus welcher Stelle hervorgeht, daß Rosenberg allein verantwortlich gemacht wird hier für die falsche Ideologie. Es heißt in der amerikanischen Sonderanklage (Band V, [98] Seite 53 des deutschen Protokolls): Rosenberg hat das deutsche Erziehungssystem umgestaltet, um das deutsche Volk dem Willen der Verschwörung gefügig zu machen und um das deutsche Volk für einen Angriffskrieg psychologisch vorzubereiten.

Das ist ein Zitat, das mir augenblicklich zur Verfügung steht.

Zweitens, nur noch ein Wort. Ich bin gezwungen, gegen den Vorwurf von Justice Jackson noch persönlich Stellung zu nehmen und ich muß hier etwas sagen, was ich in diesem Gerichtssaal nicht gesagt hätte, nämlich, daß ich Herrn Rosenberg wiederholt gesagt habe: Herr Rosenberg, ich kann Ihren Antisemitismus nicht verteidigen, das müssen Sie selbst machen! Ich habe mich deshalb sehr beschränkt in den Dokumenten, habe es aber für meine Pflicht gehalten, Rosenberg alle Hilfsmittel zu geben, daß er sich in diesem Punkt selbst verteidigen kann.

Ich möchte nochmals hinweisen, diese Stelle, die Justice Jackson vorhin zitiert hat, war nicht rot angestrichen in dem Dokumentenbuch und ist aus Versehen in die Übersetzung gekommen.


JUSTICE JACKSON: Ich will auf keinen Fall ungerecht sein gegen die Gegenseite, denn ich weiß, daß Sie eine schwierige Aufgabe haben. Ich hoffe jedoch, daß sie dem Gerichtshof vorliegt – ich werde alle Charakterisierungen fortlassen und mich nur auf die Tatsachen beziehen, nämlich auf die Verfügung vom 8. März 1946, dritter Absatz. Ich verweise das Gericht auf die Tatsache, daß er wie folgt lautet: »Die folgenden Dokumente sind als unerheblich abgelehnt worden: Rosenberg: ›Kunstwart‹, ›Geschichte der Juden in Deutschland‹, ›Geschichte des jüdischen Volkes‹.« Dies sind die einzigen drei, die zu nennen ich mir jetzt die Zeit nehmen möchte.

Zwei Tage nach dieser Anordnung, am 10. März 1946, hat der Verteidiger des Angeklagten Rosenberg dem Gerichtshof ein ziemlich langes Schriftstück vorgelegt, in dem er neuerlich das Ansuchen stellte, ihm die Zitate aus den genannten Büchern zu gestatten.

Am 23. März 1946 hat dieser Gerichtshof diesen Antrag wieder als unerheblich abgelehnt.

Ich werde jetzt die Matrizen vorlegen, die wir laut Auftrag vom 8. April 1946 drucken sollten. Sie sind ein bißchen schwierig zu lesen. Das erste ist ein Zitat aus der ›Geschichte des jüdischen Volkes‹, eines der abgelehnten Bücher. Das nächste ist ein Zitat aus dem ›Kunstwart‹, ein anderes der abgelehnten Bücher. Und das dritte ist aus der ›Geschichte der Juden in Deutschland‹, aus dem dritten von diesen Büchern, die ich genannt habe.

Wir haben keine Zeit gehabt, alle diese Matrizen zu prüfen, aber eine kurze Prüfung hat ergeben, daß es sich meistenteils, wenn nicht sogar ausschließlich, um Zitate aus den abgelehnten Büchern handelt.

[99] Ich gebe dazu keine Charakterisierung ab. Ich verweise ganz einfach auf diese Tatsachen.


VORSITZENDER: Justice Jackson! Hängt nicht alles davon ab, an welchen Daten diese Dokumente in die Übersetzungsabteilung gegeben wurden? Da, wie Dr. Thoma sagt, die Übersetzungsabteilung ihm angeboten habe, Dokumente anzunehmen, übergab er sie, bevor sie vom Gericht abgelehnt waren. Und falls das so ist, dann würde daraus folgen, nicht wahr...


JUSTICE JACKSON: Euer Lordschaft! Ich weiß nicht, was er gesagt hat. Ich hatte nicht verstanden, daß die Dokumente vor dem 8. März 1946 übergeben wurden. Jedenfalls, selbst wenn sie übersetzt wurden, der Druckauftrag an uns ist vom 8. April 1946 und wurde uns zusammen mit den Dokumenten gegeben. Nach der Zurückweisung war bestimmt Zeit genug, den Aufwand an Geld und Arbeit aufzuhalten, nämlich Dokumente zu drucken, die sogar zweimal abgelehnt worden waren.

Ich möchte es nicht weiter charakterisieren, die Tatsachen sprechen für sich selbst.


VORSITZENDER: Dr. Thoma, können Sie uns über die Daten Aufklärung geben? Können Sie uns in diesem Punkt helfen? Justice Jackson hat behauptet, daß, nachdem diese drei Dokumente das erstemal abgelehnt wurden, Sie erneut einen Antrag für diese am 10. März 1946 gemacht haben, und daß am 23. März 1946 dieser endgültig abgelehnt wurde.

Sagen Sie uns jetzt, wann haben Sie diese Dokumente der Übersetzungsabteilung übergeben?


DR. THOMA: Die Dokumente wurden meines Erachtens vor dem 8. März in die Übersetzungsabteilung gegeben. Es war eine Sitzung über die Zulässigkeit von Dokumenten und um diese Zeit, bevor darüber entschieden war, war die Übersetzungsabteilung bei meiner Sekretärin und hat sie gebeten, das Dokumentenbuch einzureichen, weil sie erfahren hatten, daß es fertig sei. Dann habe ich hier in diesem Sitzungssaal um diese philosophischen Zitate gekämpft und hatte den Eindruck, daß das Gericht auf diese Dokumente nicht eingehen will. Daraufhin habe ich noch einmal ein schriftliches Ersuchen an das Gericht gerichtet, damit mir die Dokumente bewilligt werden. Als mir dann mitgeteilt wurde, daß die antisemitischen Bücher nicht genehmigt würden – und das war einige Tage später als das Datum dieses Beschlusses –, habe ich dem Gericht die Mitteilung gemacht, ich machte darauf aufmerksam, daß Bücher in der Übersetzung seien, die nicht bewilligt waren.


VORSITZENDER: Dr. Thoma, natürlich sind Sie nicht imstande, uns jetzt die genauen Daten zu geben, und wir werden uns noch näher mit der Sache befassen.


[100] DR. THOMA: Ich bitte nochmals zur Kenntnis zu nehmen, daß ich ja selbst darauf hingewiesen habe, daß in dem Dokumentenbuch Zitate sind, die nicht genehmigt worden sind. Ich bitte daraus zu entnehmen, daß ich nichts Unberechtigtes tun wollte.


VORSITZENDER: Dr. Thoma, ich glaube, wenn die Dokumente abgewiesen worden sind, dann wäre es doch richtig gewesen, sie aus Ihrem Dokumentenbuch zu entfernen, oder mit der Übersetzungsabteilung in Verbindung zu treten und sie davon zu unterrichten, daß die Dokumente zurückgenommen werden sollten.

Der Gerichtshof hält es jedenfalls für das beste, den Vorschlag von Justice Jackson zu erwägen. Das heißt, um der Anklagebehörde ihre Aufgabe der Entscheidung oder des Einspruchs gegen Dokumente zu erleichtern, die der Übersetzungsabteilung zugeleitet werden, soll diese Angelegenheit von einem Beauftragten des Gerichtshofs als Sachkundiger geprüft werden.

Der Gerichtshof ist der Auffassung, daß Justice Jackson oder ein Ausschuß der Anklagevertreter einen schriftlichen Antrag stellen sollten auf Streichung aller unerheblichen Dokumente im Dokumentenbuch des Angeklagten Rosenberg, gegen die sie Einspruch erheben.

Gegenwärtig wird der Gerichtshof das System beibehalten, das mit dem Einverständnis der Ankläger eingerichtet wurde.

Ich möchte nur noch hinzufügen, daß ich meiner Ansicht nach recht hatte, als ich sagte, daß der Verbindungsausschuß der Anklagebehörde mit dem Gerichtshof am 29. März 1946 – ich habe das Dokument vor mir – den Wunsch aussprach, die Anordnung, die vom Gerichtshof getroffen worden war, zu ändern, nämlich die Anordnung Nummer 297, die am 8. März 1946 erlassen wurde.


DR. THOMA: Ich bin tatsächlich zu dem Offizier gegangen und habe ihm gesagt, die Dokumente müßten heraus, die dürfen nicht drinnenbleiben. Dann hat sich aber herausgestellt, daß sie schon zu Hunderten von Exemplaren gebunden und gerichtet waren, und dann hat man gesagt, ja sie werden hier nicht zitiert, die können schon drinbleiben, weil sie hier nicht zitiert werden. Ich habe ausdrücklich darum gebeten, daß sie aus dem Dokumentenbuch heraus müssen.


VORSITZENDER: Natürlich, ich wollte damit nicht sagen, daß der Gerichtshof von der Anklagebehörde verlangt, schriftliche Anträge zu stellen, daß Dokumente entfernt werden, die bereits schon abgelehnt sind. Diese sind auch ohne Antrag zu entfernen; aber soweit andere Dokumente enthalten sind im Rosenbergschen Dokumentenbuch, gegen welche die Anklagebehörde Einspruch erhebt, kann sie nach Belieben Einspruch einlegen, über den in offener Sitzung verhandelt werden müßte.

[101] Wie ich schon gesagt habe, die Zulassung eines Dokuments ist nur eine vorläufige und die Anträge betreffend der endgültigen Zulassung der Dokumente müssen in offener Sitzung gestellt werden.

Der Gerichtshof wird sich vom Generalsekretär einen Bericht geben lassen über diese Daten und diese Sachen. Und jetzt werden wir zehn Minuten Pause eintreten lassen.


[Pause von 10 Minuten.]


VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist zu dem Beschluß gekommen, daß es Zeit sparen wird, wenn die Angeklagten als erste Zeugen in der Sache jedes Angeklagten aufgerufen werden. Deshalb muß in Zukunft der Angeklagte zuerst aufgerufen werden, wenn nicht besondere Ausnahmegründe vorliegen. In diesem Falle kann der Verteidiger beim Gericht einen Antrag einbringen. Der Gerichtshof wird die Gründe prüfen, warum der Angeklagte irgendwann später als der erste Zeuge vernommen werden soll.

Ja, Dr. Dix?


[Zum Zeugen Lammers gewandt:]


DR. DIX: Herr Zeuge! Ich sagte oder ich begann zu sagen..., ich bin darauf aufmerksam gemacht worden, daß ich zu schnell frage, nachdem Sie Ihre Antworten gegeben haben, und daß Sie zu schnell antworten, nachdem ich gefragt habe. Die Dolmetscher kommen nicht nach und die Stenographen auch nicht. Ich bitte Sie deshalb, genau so werde ich verfahren, nach jeder Frage von mir eine kurze Pause zu machen. Das Gericht wird bestimmt nicht diese Pause dahin auslegen, daß Sie Ihrer Antwort nicht sicher sind.

Sie haben gestern dem Tribunal eingehende Bekundungen gemacht über die verschiedenen Entlassungsgesuche von Schacht an Hitler und über verschiedene Friedensschritte und Friedensvorstellungen, mündliche und schriftliche, die Schacht während des Krieges über Sie Hitler unterbreitet hat oder unterbreiten wollte. Wir hielten zuletzt bei einer solchen Denkschrift vom Sommer 1941, und ich hatte das Empfinden, daß das Gericht verfahrensgemäß Bedenken hatte, daß ich den Inhalt dieser Denkschrift, die ich nicht mehr habe – die Kopie liegt in der schon öfters erwähnten Kassette, die beschlagnahmt worden ist auf dem Gut von Schacht, während des Einmarsches der Roten Armee, und trotz größten Bemühens konnte die Russische Delegation diese Kassette bisher nicht beschaffen –, also kurz, ich hatte den Eindruck, daß das Gericht verfahrensmäßige Bedenken hatte, wenn ich den Inhalt dieser Denkschrift durch Vorhaltung mir vom Zeugen bestätigen ließe.

Obgleich noch einige sehr hübsche Stellen drin sind, bin ich gern bereit, hier abzubrechen und diese Fragen Herrn Schacht [102] vorzulegen, wenn das Gericht dies vorziehen würde. Ich bitte diesbezüglich um eine Entscheidung, dann würde ich aufhören, die Denkschrift zu befragen.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof hatte keine Einwände dagegen, daß Sie den Zeugen darüber fragen, der Gerichtshof ist jedoch der Ansicht, daß Sie keine führenden Fragen stellen sollen, und daß Sie den Zeugen fragen sollen, ob er sich an das Dokument erinnert, und was der Inhalt des Dokuments war; Sie sollten ihm nicht vorhalten, daß es so und so in dem Dokument hieß, sondern nur fragen, was der Inhalt dieses Dokuments war.


DR. DIX: Die Grenze zwischen Suggestivfragen und Vorhalt des Inhalts eines Dokuments, was dem Zeugen nicht mehr genau in Erinnerung ist, ist ja sehr flüssig, und dann ziehe ich es vor mir den weiteren Inhalt der Denkschrift lieber von Herrn Schacht sagen zu lassen, und dann sind wir über diese Schwierigkeit hinweg. Ich breche dann zu diesem Punkt ab und komme zu einem anderen Gebiet.

Herr Zeuge! Sie haben gestern durchaus richtig, als Sie darüber befragt wurden, und zwar im Rahmen des Verteidigungskomplexes von Funk durch meinen Herrn Kollegen Sauter, ausgeführt wie im Jahre 1939 die diesbezügliche Praxis war daß Hitler ganz einfach dekretierte: Die Reichsbank hat soundso viel Kredit zu geben. Ich möchte aber vermeiden, daß hier ein falscher Eindruck über die frühere Stellung der Reichsbank zu dieser Frage beim Gericht entsteht. Sie wissen ja, daß die Reichsbank im Januar 1939 durch ein Dekret Hitlers ihre frühere Selbständigkeit verloren hat, ein Dekret, in welchem Hitler anordnete, daß er die Kredite bestimme, die die Reichsbank zu geben habe, und daß dieser interne Erlaß von Hitler dann durch ein Gesetz vom Juni 1939 verkündet und zur Gesetzeskraft erhoben wurde.

Ich möchte deshalb, so daß das Gericht einen richtigen Eindruck über die Gesamtstellung, auch die frühere Einstellung der Reichsbank, bekommt, an Sie die Frage richten: Wie war es denn vor dem Januar 1939, also in der Schacht-Periode, der bekanntlich im Januar gegangen ist als Reichsbankpräsident? Konnte da Hitler auch einfach dekretieren: Wir geben soundso viel Kredit! Oder war da die Reichsbank noch selbständig und konnte diesen Kredit verweigern beziehungsweise kündigen?


LAMMERS: Die gesetzlichen Vorschriften, die in dieser Hinsicht bestanden, sind mir nicht so in der Erinnerung, daß ich darüber eine erschöpfende Auskunft geben kann, wann sie und wie sie geändert worden sind. Ich kann aber nur das eine bestätigen, daß zu der Zeit, als Herr Schacht Reichsbankpräsident war, Herr Schacht bezüglich der Bewilligung der Kredite dem Führer irgendwelche Schwierigkeiten gemacht haben muß. Ich bin bei den Unterredungen [103] zwischen dem Führer und Schacht nicht zugegen gewesen. Ich weiß aber aus Äußerungen, die der Führer getan hat, daß er bei Schacht hinsichtlich der Kreditbewilligung auf große Schwierigkeiten und Hemmungen gestoßen ist, Hemmungen, die ja letzten Endes zum Rücktritt von Schacht als Reichsbankpräsident geführt haben. Dagegen weiß ich, daß mit dem Augenblick, als Herr Funk Reichsbankpräsident wurde, diese Schwierigkeiten nicht mehr vorhanden waren. Sie waren also offenbar durch die gesetzlichen Bestimmungen ausgeräumt und sie waren durch die Befehle ausgeräumt, die der Führer erteilt hat; denn als Herr Funk Reichsbankpräsident war, vollzogen sich die Kreditbewilligungen lediglich in der Form, wie ich sie gestern geschildert habe, bei der ich das technische Verfahren dargelegt habe, das im wesentlichen darin bestand, daß die Aufträge für Reichsanleihen und andere Kre ditbewilligungen für den Führer nur eine reine Unterschriftsangelegenheit waren. Sie waren eine Angelegenheit...


VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß der Zeuge Ihre Fragen richtig beantworten kann. Ich glaube nicht, daß er Ihre Frage, wie Sie sie gestellt haben, nämlich nach der Lage vor 1939, beantworten kann. Sie müssen sich, glaube ich, auf die Erlasse und Dokumente stützen.


DR. DIX: Einen Moment, Herr Lammers, ich werde das gleich klarstellen. Sie haben jetzt Bekundungen gemacht, wie es praktisch gehandhabt wurde 1939 in den Büchern. Ist Ihnen nicht mehr in Erinnerung, daß die Reichsbank früher selbständig war gegenüber der Reichsregierung?


LAMMERS: Das ist mir in Erinnerung. Es ist mir auch in Erinnerung, daß gesetzliche Änderungen erfolgt sind, ich weiß nur nicht mehr, wann sie erfolgt sind. Ich kann auch ohne Einsicht der Gesetzbücher nicht genau sagen, welchen Inhalt diese gesetzlichen Bestimmungen hatten, namentlich welche zahlenmäßigen Begrenzungen. Ich weiß nur, daß die Stellung des Reichsbankpräsidenten später erheblich herabgedrückt worden ist gegenüber den Befehlen des Führers.


DR. DIX: Das genügt hierzu. Dann aus der gleichen Sparte: Es ist ja sehr schwer, und zwar auch schon für einen Deutschen, der hier die ganze Zeit gelebt hat, besonders aber für einen Ausländer, die Machtapparatur des Dritten Reiches zu verstehen, und ich glaube, daß nach Ihren gestrigen Bekundungen auf die Fragen des Kollegen Sauter doch noch nicht alles gesagt ist, und daß Sie auch noch mehr sagen können zur Aufklärung des Tribunals. Wenn ich nicht wüßte was Sie wissen, sondern ein dritter Außenseiter wäre, würde ich aus Ihren gestrigen Bekundungen den Eindruck mitnehmen, ja das war also so: Der Reichsinnenminister hatte der Polizei nicht zu befehlen, der Reichswirtschaftsminister leitete nicht selbständig [104] die Wirtschaft, sämtliche Reichsminister hatten keine Amtsgewalt und keine Anweisungsbefugnisse gegenüber den Reichskommissaren für die besetzten Gebiete.


MR. DODD: Hoher Gerichtshof! Ich möchte respektvoll bemerken, daß tatsächlich Dr. Dix hier Zeugnis ablegt. Ich glaube, daß er vielleicht die Fragen etwas präziser stellen könnte, wir würden schneller vorwärtskommen und die Antworten würden klarer sein.


DR. DIX: Ich werde meine Fragen schon präzise stellen. Ich kann aber diese Frage nicht präzise stellen, wenn ich nicht erst durch Vorhalt feststelle, was bisher noch nicht gesagt worden ist; sonst kann die präziseste und kürzeste Frage nicht gestellt werden, sonst wird namentlich auch vom Gericht nicht verstanden, worauf ich hinauswill. Also, ich kann Mr. Dodd versichern, ich werde nichts Ungewisses fragen, sondern ich werde eine sehr präzise Frage stellen. Fahren wir sogleich fort.


[Zum Zeugen gewandt:]


Und hinsichtlich des Reichsbankpräsidenten haben wir ja schon gesprochen. Nun möchte ich an Sie die Frage richten: Wenn nun diese ganzen Minister so behindert waren in ihren Zuständigkeiten, was waren denn nun die Männer und die Instanzen, die in die Ressorts hineinregierten und die die eigentliche Amtsgewalt hatten?

Das ist meine Frage. Ich darf erwähnen, daß im Komplex Frank die Einmischungen von Himmler ja bereits erwähnt waren, aber diese Frage muß noch vertieft werden, damit das Tribunal klarsieht. Bitte?

LAMMERS: Die Eingriffe in die Machtstellung der einzelnen Minister war gegeben durch eine Reihe Institutionen, die der Führer, ich möchte sagen, als Gegenspieler für die einzelnen Minister offenbar bewußt geschaffen hat. Das ist das eine Moment, und zweitens durch höhere Stellen, die im Interesse einer gewissen Einheit auf gewissen Gebieten allein die Macht haben sollten. Um bei der letzteren Kategorie zu bleiben, ist das typischste Beispiel dafür in erster Linie der Vierjahresplan. Der Führer wünschte hier eine umfassende einheitliche Lenkung die nicht abhängig war von den Wünschen der Ressortminister und hat infolgedessen den Vierjahresplan geschaffen. Auf anderen Gebieten wurde den Ministern ein Gegenspieler gesetzt, zum Beispiel dem Arbeitsminister wurde durch Einsetzung eines Reichswohnungskommissars in der Person von Herrn Ley das wichtige Gebiet des Wohnungswesens einfach abgenommen. Es wurde ihm eine Hauptaufgabe abgenommen durch Einsetzung des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, Herrn Sauckel, auf dem Gebiete des Arbeitseinsatzes. In der Wirtschaft war der Wirtschaftsminister, wie ich schon erwähnt habe, stark beschränkt durch die Einsetzung, durch die Befugnisse des [105] Vierjahresplans, nachher aber auch durch die Befugnisse, die auf den Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion übergingen. Im Innenministerium war die tatsächliche Gewalt des Chefs der Deutschen Polizei...

VORSITZENDER: Dr. Dix! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß, wenn die allgemeinen Seiten dieser Frage von den Zeugen einmal erklärt worden sind, sie durch die Angeklagten selbst von ihren besonderen Gesichtspunkten aus erklärt werden können. Der Zeuge erklärt uns jetzt, und vermutlich wird er dazu einige Zeit brauchen, zum Beispiel mit Bezug auf den Vierjahresplan, daß dort eine einheitliche Führung eingerichtet werden sollte, in die die Minister sich nicht einzumischen hatten. Damit wird das allgemeine System erklärt, und wenn es sich jetzt um die einzelnen Angeklagten handelt, können sie doch selbst erklären, in welcher Beziehung sie selbst betroffen waren. Deshalb ist es nicht nötig, dies lange und in allzugroßen Einzelheiten zu verhandeln.


DR. DIX: Ich werde das berücksichtigen und nur noch einige wenige konkrete Fragen stellen.

Es handelt sich nicht nur darum, Euer Lordschaft, daß der Minister gewisse Gebiete seines Ressorts abgeben mußte an Dritte, sondern es handelt sich auch darum, daß dritte Stellen in ein Gebiet, wofür er zuständig war, kraft eigener Zuständigkeit tatsächlich hineinregierten. Und nun gebe ich dem Zeugen das Stichwort.

Wie war es denn zum Beispiel mit der Stellung des Reichsleiters Bormann?


LAMMERS: Der Reichsleiter Bormann war der Nachfolger des Reichsministers Heß...


DR. DIX: Also nur unter dem Gesichtspunkt: Einmischung in die Ressorts.


LAMMERS:... und wurde vom Führer zum Sekretär des Führers ernannt, womit er auch in den staatlichen Sektor unmittelbar eingeschaltet war. Denn als Leiter der Parteikanzlei war er ja lediglich Nachfolger des Reichsministers Heß, der die Wünsche und Auffassungen der Partei vertreten sollte. Dadurch, daß der Führer ihn zum Sekretär des Führers ernannte und insonderheit bestimmte, daß auch auf staatlichem Sektor ein großer Teil der Dinge durch die Hand von Bormann gehen sollte, erfolgte seine starke Einschaltung in das staatliche Gebiet. Das habe ich persönlich reichlich erfahren müssen, indem ich, der ich früher wenigstens gelegentlich allein zum Vortrag kommen konnte, nachher das nicht mehr erreichen konnte, sondern nur auf dem Weg über Bormann. Die Mehrzahl meiner Vorträge fand nur im Beisein von Bormann statt, und alles, was früher abgegeben werden konnte an den Führer auf dem unmittelbaren Wege, mußte nunmehr auch in rein staatlichen [106] Angelegenheiten den Weg über den Sekretär des Führers, über Bormann, gehen.


DR. DIX: Damit ergab sich ein Einfluß Bormanns in die einzelnen Ressorts?


LAMMERS: Ja, er bekam damals den Einfluß, denn all die Dinge aus den Ressorts, die ich nicht unmittelbar durch Vortrag beim Führer oder durch Entscheidung des Führers erledigen konnte, mußte ich schriftlich auf dem Wege über Bormann leiten und bekam von Bormann eine Nachricht, der Führer habe so oder so entschieden. Die Möglichkeit des persönlichen Vortrags, bei der ich mich für den mich angehenden Minister hätte einsetzen können, die fehlte. Meine eigenen Angelegenheiten waren es ja nicht, es waren ja immer Beschwerden, Proteste und Meinungsverschiedenheiten unter den Kabinettsmitgliedern, die konnte ich aber dann letzten Endes nicht mehr persönlich vortragen.


DR. DIX: Danke schön, das genügt. Und was Sie von Bormann ausführen, gilt das nicht in einem gewissen Grade auch für die Gauleiter, die auch hineinregierten in die Ministerien?


LAMMERS: Die Gauleiter hatten als solche selbstverständlich den Weg über die Parteikanzlei. Das war der für sie vorgeschriebene Weg. Da die Gauleiter aber in der Regel in Personalunion gleichzeitig Reichsstatthalter oder Oberpräsident waren, wurden diese beiden Stellungen natürlich miteinander verwischt und es gingen viele Angelegenheiten statt den vorgeschriebenen Weg über den zuständigen Minister und über mich unmittelbar von dem Gauleiter an Reichsleiter Bormann; ja, es gibt Fälle, in denen dieser Weg absichtlich gewählt worden ist.

DR. DIX: Danke schön. Über die Stellung Himmlers in der gleichen Richtung, der Errichtung einer neuen Macht, haben Sie Bekundungen gemacht bei dem Komplex Frank und Frick. Kann diese Bekundung nicht erweitert werden eigentlich auf alle Spitzenressorts, hinsichtlich einer Steigerung der Macht Himmlers, seiner Polizei und der SS?


LAMMERS: Ich habe die Frage nicht vollständig verstanden.


DR. DIX: Sie haben physisch nicht verstanden, was ich gefragt habe?


LAMMERS: Ich habe nicht vollständig verstanden.


DR. DIX: Also Schlagwort, Überschrift: Hineinregieren in die Ressorts. Sie haben jetzt Bormann behandelt, Sie haben Gauleiter behandelt, Sie behandelten gestern Himmler, seine Polizei, seine SS im Komplex Frick und Frank; nun frage ich Sie: Diese wachsende Macht Himmlers und der SS, wirkte sich diese nicht auch auf andere Ressorts in ähnlicher Richtung aus?


[107] LAMMERS: Zum großen Teil auf den verschiedensten Gebieten.


DR. DIX: Damit ist diese Frage erschöpft.

Dann gehe ich zurück zu Schacht. Über die Entlassungsgesuche haben wir gesprochen. Nun kommen wir zu der tatsächlichen Entlassung. Solche Minister, die entlassen wurden, bekamen doch meistens ein Entlassungsschreiben von Hitler?


LAMMERS: Jawohl.


DR. DIX: Und dieses Entlassungsschreiben, nehme ich an, wurde von Ihnen entworfen und mit Hitler besprochen?


LAMMERS: Ja.


DR. DIX: Wurde auf die Textierung dieses Dankschreibens aus Anlaß der Entlassung eine besondere Sorgfalt verwendet – von Ihnen selbstverständlich –, ich meine jetzt von Hitler?


LAMMERS: Hitler sah sich diese Schreiben meist genau an und hat häufig auch persönliche Verbesserungen, Verschärfungen oder Milderungen in die Schreiben hineingebracht.


DR. DIX: Die beiden Entlassungsschreiben, meine Herren Richter die die Entlassung Schachts als Reichsbankpräsident und als Minister ohne Portefeuille betreffen, werden Sie in meinem Dokumentenbuch als Beweis finden. Ich will sie deshalb auch in extenso dem Zeugen nicht vorhalten. Nur zwei Sätze: In dem Entlassungsschreiben Hitlers an Schacht aus Anlaß seiner Entlassung als Reichsbankpräsident steht: »Ihr Name wird vor allem für immer mit der ersten Epoche der nationalen Wiederaufrüstung verbunden sein.« Schacht hat diesen Satz damals als eine Bewußtheit, einen leisen Tadel, eine einschränkende Feststellung des Lobes empfunden. Wie stellen Sie sich zu dieser Frage, der Sie doch den Entwurf dieses Entlassungsschreibens mit erledigt haben?


LAMMERS: Soweit ich mich entsinne, habe ich formuliert gehabt, daß Herrn Schacht der Dank ganz allgemein und generell ausgesprochen wird und diese Zufügung beruht auf einer persönlichen Einfügung des Führers, soweit ich mich dessen entsinne, denn mir hätte es nicht gelegen, hier eine Distanzierung zu machen.


DR. DIX: Und nun in einem weiteren späteren Entlassungsschreiben vom 22. Januar 1943, da steht, nicht mehr von Hitler unterschrieben, sondern von Ihnen im Auftrage: »Der Führer hat sich mit Rücksicht auf Ihre Gesamthaltung im gegenwärtigen Schicksalskampf des deutschen Volkes entschlossen, Sie zunächst aus Ihrem Amt als Reichsminister zu verabschieden.« Herr Schacht hat seinerzeit, glaube ich, keine sehr angenehmen Gefühle hinsichtlich seiner persönlichen Sicherheit gehabt, als er diesen Satz las.

Darf ich an Sie die Frage richten, nachdem Sie dieses Schreiber damals im Auftrag Hitlers textiert haben: War das so unberechtigt?


[108] LAMMERS: Über die näheren Gründe, die den Führer bewogen haben, Schacht zu entlassen, weiß ich nur das eine, daß ein Brief von Herrn Schacht an den Reichsmarschall Göring dem Führer den Anlaß gegeben hat, Schacht aus seinem Amt zu entlassen. Der Führer hat mir nähere Gründe nicht mitgeteilt, war sehr heftig und hat mir diese Fassung befohlen, mit der Gesamthaltung; ja, ich möchte sagen, die Fassung, die der Führer wünschte, war noch etwas schärfer, ich habe sie dann noch in der in dem Schreiben enthaltenen Art in eine einigermaßen erträgliche Form gebracht; und was für weitere Maßnahmen gegenüber Schacht beabsichtigt waren, hat mir der Führer nicht gesagt, aber das Wort »zunächst« hatte er mir ausdrücklich aufgetragen.


DR. DIX: Nun eine letzte Frage: Ich hatte ursprünglich die Absicht, Sie als den besten Kenner der Entwicklung im einzelnen zu befragen nach der langsamen Entwicklung vom Jahre 1933 bis zur vollständigen Autokratie Hitlers. Diese Fragen sind durch Ihre Antworten, die Sie gestern meinen Kollegen gegeben haben, zum allergrößten Teil erledigt. Ich möchte sie nicht wiederholen. Nur zwei Fragen möchte ich zur Klarstellung stellen. Das Ermächtigungsgesetz vom Jahre 1933 – wir nennen Ermächtigungsgesetz das Gesetz, durch welches sich der Reichstag der Macht entkleidete –, ich frage Sie, erteilte dieses Gesetz die Ermächtigung – daher der Name – Hitler oder dem Reichskabinett, der Reichsregierung, glaube ich?


LAMMERS: Das Ermächtigungsgesetz gab die Ermächtigung zur Gesetzgebung, zur verfassungsändernden Gesetzgebung an die Reichsregierung, und die Reichsregierung ihrerseits hat von der Befugnis zur Verfassungsänderung Gebrauch gemacht, sowohl ausdrücklich wie auch stillschweigend, indem sie ein Staatsgewohnheitsrecht sich bilden ließ, das das bisherige Recht...


DR. DIX: Ja, danke schön, Herr Zeuge, das haben Sie gestern ausgeführt, das brauchen Sie nicht mehr zu sagen. Dann haben Sie schon darauf hingewiesen, daß die Reichsregierung durchaus nicht nur aus Nationalsozialisten bestand, sondern sogar in ihrer Mehrheit aus Angehörigen anderer Parteien. Sie nannten gestern nur Deutschnationale, wie Hugenberg, Dr. Dorpmüller und Gürtner und den Stahlhelm – der Chef davon war Seldte –, aber sie haben vergessen, und darum frage ich Sie, die Zentrumspartei zu nennen. Ist es richtig, daß Herr von Papen vom Zentrum herkam?


LAMMERS: Ja, ich will das durchaus zugeben, das ist richtig; ich weiß allerdings nicht, ob Herr von Papen Zentrumsmitglied war.


DR. DIX: Sie sprechen nach meiner Ansicht sehr gelehrt und euphemistisch von einem staatlichen Gewohnheitsrecht. Ich würde es anders nennen, aber darüber wollen wir uns nicht unterhalten. [109] Ich möchte nur von Ihnen wissen, ob noch ein Gesetz oder mehrere auf dieser Bahn der langsamen Entwicklung zur völligen Autokratie Hitlers ergangen ist, das ein wichtiges Gesetz war und als solches Bedeutung hatte.

Betrachten Sie nicht das Gesetz nach Hindenburgs Tod, die Vereinigung der Ämter des Reichskanzlers und des Reichspräsidenten mit der gleichzeitigen Folge, daß der Träger dieses Amtes zugleich auch oberster militärischer Befehlshaber wurde, auf den die Wehrmacht den Eid leistete, betrachten Sie dieses Gesetz nicht als einen weiteren Markstein in der Entwicklung?


LAMMERS: Dieses Gesetz war einer der wichtigsten Marksteine auf dieser Entwicklung, und zwar ganz besonders deshalb, weil es ja nach einem Erlaß der Reichsregierung durch eine Volksabstimmung, die fast hundert Prozent erreicht hat, ausdrücklich bestätigt worden ist.


DR. DIX: Und weitere Gesetze wurden dann nicht erlassen zur Stützung dieser Entwicklung?

LAMMERS: Nein, ich kenne keine.


DR. DIX: Ich kenne auch keine. Das andere, ob man das ein Gewohnheitsrecht des Staates nennen kann, oder ob man es eine Vereinigung von List und Terror nennen will, das ist eine Frage, die ich in diesem Moment nicht aufwerfen will; ich glaube, unsere Auffassungen gehen da auseinander.

Euer Lordschaft! Ich bin jetzt mit meinen Fragen an den Zeugen Lammers für meinen Klienten fertig. Aber mein Kollege Dr. Kubuschok ist abwesend wegen einer Dienstreise. Ich glaube nicht, daß das Flugzeug gestern abgeflogen ist; und deshalb glaube ich auch nicht, daß er zurück sein kann. Er hat mich aber gebeten, Fragen für Herrn von Papen an den Zeugen zu stellen, und ich wollte das Gericht fragen, ob ich dem Zeugen die Frage, es ist nur eine kurze Frage, stellen darf, oder ob ich warten soll, bis die Verteidigung von Papen in der Reihenfolge dran ist.


VORSITZENDER: Nein, jetzt, denn der Zeuge wird nicht wieder aufgerufen werden, außer aus besonderen Gründen.


DR. DIX: Nein, ich meinte nur, ob Sie mich heute, später, wenn von Papen an der Reihe ist in der Reihenfolge der Angeklagten, den Zeugen befragen lassen?


VORSITZENDER: Es ist besser, Sie fragen jetzt. Fahren Sie fort.


DR. DIX: Ich bitte Sie, sich an den Röhm-Putsch zu erinnern. Die Erlebnisse Papens während des Röhm-Putsches werden später erörtert werden. Erinnern Sie sich, daß von Papen, der damals Vizekanzler war, am 3. Juli 1934 seine Demission von Hitler gefordert und sie auch erhalten hat?


[110] LAMMERS: Ja, ob das Datum richtig ist, da kann ich mich nicht festlegen, aber es war ungefähr um diese Zeit.


DR. DIX: Erinnern Sie sich ferner, ob einige Zeit danach, es sollen nur wenige Tage gewesen sein, nämlich zwischen dem 7. und 10 Juli, Sie im Auftrag Hitlers zu Herrn von Papen gekommen sind und ihn gefragt haben, ob er bereit sei, den Posten eines Botschafters am Vatikan anzunehmen?


LAMMERS: Ich kann mich entsinnen, daß ich bei Herrn von Papen damals gewesen bin und ihm im Auftrage des Führers eine weitere Verwendung in Aussicht stellen sollte, und daß dabei an eine Verwendung beim Heiligen Stuhl gedacht war. Aber ob ich Auftrag hatte, ihm unmittelbar ein Angebot dafür zu machen, daran kann ich mich nicht erinnern.


DR. DIX: Wissen Sie noch, was von Papen darauf geantwortet hat?


LAMMERS: Er hatte damals nicht viel Neigung zur Annahme eines solchen Postens.


DR. DIX: Danke, ich bin nun zu Ende.


DR. ROBERT SERVATIUS, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SAUCKEL, VERTEIDIGER FÜR DAS KORPS DER POLITISCHEN LEITER: Herr Zeuge, Sauckel ist am 21. März 1942 zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz ernannt worden. Was waren die Gründe dafür, daß Sauckel für diese Stellung gewählt wurde?


LAMMERS: Der Führer war der Auffassung, daß der Arbeitseinsatz vom Reichsarbeitsminister nicht mit der nötigen Intensität gefördert worden war, und daß er diese Aufgabe deshalb in eine besonders energische Hand legen müsse.


DR. SERVATIUS: Hat der Führer den Einsatz der ausländischen Arbeiter mit Nachdruck verlangt?


LAMMERS: Er hat verlangt, daß alle Arbeitskräfte herangezogen werden, die nur irgendwie verfügbar gemacht werden konnten.


DR. SERVATIUS: Gerade die ausländischen Arbeitskräfte?


LAMMERS: Auch das Ausland ist dabei erwähnt worden, denn im Inland hatten wir ja alles ausgeschöpft.


DR. SERVATIUS: Erhielten Sie den Auftrag, die obersten Dienststellen in den besetzten Gebieten besonders zu unterrichten, mit der Aufforderung, sie möchten die Aufgabe Sauckels eingehend unterstützen?


LAMMERS: Das war erst viel später der Fall. Zunächst erfolgte der Einsatz des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, und das ist bekanntgegeben worden in allen maßgeblichen Dienststellen.[111] Daran habe ich, glaube ich, eine besondere Aufforderung nicht geknüpft. Aber Anfang des Jahres 1944 fand eine Besprechung beim Führer statt, in der das Arbeitseinsatzprogramm für das Jahr 1944 besprochen wurde. Am Schluß dieser Besprechung, in der Sauckel eine ganze Reihe von Auflagen in bestimmten Zahlen für die Arbeitsbeschaffung bekommen hatte, habe ich den Auftrag erhalten, an alle beteiligten Stellen zu schreiben, sie möchten den Auftrag, den Sauckel bekommen hatte, mit allen zur Verfügung stehenden Kräften unterstützen.


DR. SERVATIUS: Sie sprechen von einer Sitzung Anfang Januar 1944. Darüber liegt ein größeres Protokoll vor, das von Ihnen gefertigt ist. Danach hat Sauckel in der Sitzung angegeben, daß er das Programm nur schwer oder vielleicht gar nicht erfüllen könne bezüglich der Zahlen der ausländischen Arbeiter. Was hat er als Grund dafür angegeben?


LAMMERS: Die Erklärung ist richtig und als Grund hat er angegeben, daß die nötige Exekutive für die Durchführung dieses Auftrages in den verschiedensten Gebieten fehle. Wenn er seinen Auftrag erfüllen solle, dann müsse er vor allen Dingen nicht angewiesen sein auf eine ausländische Exekutive, wie es zum Beispiel in Frankreich der Fall war, sondern dann müßte eine deutsche Exekutive einsetzen, die seine Aktion unterstütze.


DR. SERVATIUS: Sprach er nicht davon, daß die Erfüllung unmöglich sei, wegen der Partisanen- und Bandengefahr?


LAMMERS: Er hat auf diese Schwierigkeiten vielfach hingewiesen, namentlich auf die Partisanen- und Bandengefahr, und das wurde ja auch als selbstverständlich betrachtet, daß er Arbeitsanwerbungen nicht vornehmen kann in Gebieten, in denen noch Partisanenkämpfe stattfanden.


DR. SERVATIUS: Verlangte er die Befriedung dieser unruhigen Partisanen- und Bandengebiete? Verlangte er dafür Exekutivkräfte?

LAMMERS: Ja, das ist richtig.


DR. SERVATIUS: Wurde der Schutz der Behörden vor diesen Widerstandsbewegungen verlangt?


LAMMERS: Ja, er wünschte, daß die örtlichen Stellen sich dafür einsetzen, daß er eine freie Hand zum Arbeiten bekomme.


DR. SERVATIUS: Ich lese Ihnen aus dem Protokoll einen Satz vor und bitte um Ihre Erklärung, wie dieser Satz zu verstehen ist. Es heißt dort:

»Der Reichsführer-SS legte dar, daß die ihm zur Verfügung gestellten Exekutivkräfte außerordentlich gering seien, daß er aber versuchen werde, durch ihre Vermehrung und erhöhte Anspannung der Aktion Sauckel zum Siege zu verhelfen.«

[112] Wie war das zu verstehen?

LAMMERS: Das hat sich in der Hauptsache bezogen auf die russischen Gebiete, in denen Partisanen da waren, und Herr Sauckel glaubte, daß er da ohne eine Säuberung dieser Gebiete nicht tätig werden könne.

Der anwesende Himmler sagte zu, er würde sein möglichstes tun, hatte aber Bedenken, ob er die genügenden Polizeibataillone oder anderen Kräfte zur Verfügung hätte.


DR. SERVATIUS: Verstehe ich Sie richtig, wenn es so zu verstehen ist, daß es sich um die Sicherung der Behörden handeln sollte, um die Sicherung der Gebiete, aber nicht um einen Übergang der Erfassung auf die SS.


LAMMERS: Ein Übergang der Erfassung auf die SS war an sich nicht vorgesehen, sondern mit der von Sauckel geforderten deutschen Exekutive war in jedem Fall gemeint die jeweilige Exekutive, die gerade verfügbar ist, das war zum Beispiel in Frankreich nicht die SS, sondern die Feldkommandantur, die das besorgen mußte, und in Rußland mußten zum Teil die Polizeibataillone die Partisanengegenden erst befrieden.


DR. SERVATIUS: Ich habe nun für die Politischen Leiter eine Frage. Es ist hier ein Dokument vorgebracht worden, das eingeführt worden ist als D-720. Es ist unterzeichnet von dem Gauleiter Sprenger, trägt kein Datum, aber es ist offenbar aus dem Frühjahr, also Anfang 1945. In diesem Schreiben ist die Rede von einem neuen Reichsgesundheitsgesetz, und zwar soll dies enthalten eine Anordnung über Lungen- und Herzkranke, die beseitigt werden sollen.

Es heißt hier, daß dieses Gesetz vorerst noch geheimgehalten wird. Auf Grund dieses Gesetzes werden diese Familien nicht mehr in der Öffentlichkeit bleiben können und dürfen keine Nachkommen mehr erzeugen. Ist Ihnen über ein solches Gesetz etwas bekannt?


LAMMERS: Ich habe das Wort nicht verstanden. Waren das Geisteskranke oder welche Kranke?


DR. SERVATIUS: Ein Reichsgesundheitsgesetz, das sich auf Lungen- und Herzkranke erstreckt.


LAMMERS: Mir ist nicht das geringste davon bekannt.


DR. SERVATIUS: Ich habe Sie nicht verstanden.


LAMMERS: Mir ist davon nicht das geringste bekannt.


DR. SERVATIUS: Hätte Ihnen das bekannt sein müssen?


LAMMERS: Ja, an sich müßte es dem Innenminister bekannt gewesen sein, denn Gesundheitssachen sind beim Innenminister bearbeitet worden. Es ist nie an mich gegangen.


DR. SERVATIUS: Danke, ich habe keine Frage mehr.


[113] DR. GUSTAV STEINBAUER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SEYSS-INQUART: Herr Zeuge! Einen Tag nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich ist ein Gesetz am 13. März 1938 erschienen, das die Überschrift trägt: »Gesetz zur Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich.« Seyß-Inquart und seine Regierung waren über den Inhalt dieses Gesetzes sehr überrascht. Ich stelle nun die Frage an Sie, ob Ihnen etwas Näheres bekannt ist, wieso dieses in Linz am 13. März 1938 erschienene Gesetz erlassen wurde?


LAMMERS: Ich habe den Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich wie jeder Rundfunkhörer durch den Rundfunk gehört und bin infolgedessen, weil ich glaubte, daß ich benötigt werden könnte, nach Wien gefahren. Da war dieses Gesetz bereits fertig, unterschrieben und verkündet. Ich habe an diesem Gesetz nicht mitgewirkt. Dagegen hat wohl... also der Reichsinnenminister und der Staatssekretär Stuckart, die haben das Gesetz ausgearbeitet. Ich habe an dem Gesetz in keiner Weise mitgewirkt, weil ich ja auch nichts davon wußte, daß diese Aktion erfolgte.


DR. STEINBAUER: Haben Ihnen die Herren, die Sie jetzt genannt haben, vielleicht Mitteilung gemacht, warum dieses Gesetz in so überstürzter und rascher Weise publiziert wurde.


LAMMERS: Das war der Wunsch des Führers.


DR. STEINBAUER: Danke. Gleichzeitig wurde damals Dr. Seyß-Inquart zum SS-Obergruppenführer, nicht, wie die Anklage behauptet, SS-General, er nannt und ihm außerdem vom Führer in Aussicht gestellt, daß er innerhalb Jahresfrist zum Mitglied der Reichsregierung ernannt werden würde. Tatsache ist, daß er auch dann im Jahre 1939 zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich ernannt wurde. Frage: Hat Seyß-Inquart in seiner Eigenschaft einerseits als SS-Obergruppenführer und andererseits als Minister ohne Geschäftsbereich irgendeine Funktion ausgeübt?


LAMMERS: Meines Wissens ist Seyß-Inquart damals nicht Obergruppenführer, sondern erst Gruppenführer geworden. Das war ein bloßer Ehrenrang, den er bekam. Er hatte in der SS keine Befehlsgewalt, hatte in der SS, soviel ich weiß, keinerlei Dienst getan und hat lediglich diese Uniform getragen und ist später dann Obergruppenführer geworden.


DR. STEINBAUER: Also eine reine Etikette- und Uniformfrage, wie Sie richtig sagen.


LAMMERS: Eine Art Ehrenrang.


DR. STEINBAUER: Danke. Ein Jahr später wurde dann Seyß-Inquart zum Reichskommissar für die Niederlande ernannt, und im Verordnungsblatt für die Niederlande wurde auch diese Ernennung [114] publiziert, gleichzeitig mit dem Reichsgesetzblatt. Ist Ihnen bekannt, ob nicht neben diesem publizierten Erlaß, womit er zum Reichsstatthalter bestellt wurde, ihm auch im Rahmen des Vierjahresplanes ein Auftrag gegeben wurde?


LAMMERS: Seyß-Inquart hat, mit dem Augenblick seiner Ernennung zum Reichskommissar in den Niederlanden, dieselben Einschränkungen erfahren, die ich gestern schon geschildert habe bei Herrn Frank und bei Herrn Rosenberg. Also, es war ein Vorbehalt da für den Beauftragten für den Vierjahresplan, der ja überall die umfassenden Weisungsbefugnisse hatte. Insofern war seine Stellung von vornherein beschränkt.


DR. STEINBAUER: Wie war denn die Stellung der deutschen Polizei in den Niederlanden? Ist die deutsche Polizei der direkten Befehlsgewalt des Angeklagten Seyß-Inquart unterstanden oder dem Reichsführer-SS Himmler?


LAMMERS: Hier sind die Verhältnisse genau so oder ähnlich, wie ich es gestern schon für das Generalgouvernement geschildert habe. Der Höhere SS-und Polizeiführer stand zwar dem Reichskommissar zur Verfügung, aber er erhielt seine fachliche Weisung von Himmler.


DR. STEINBAUER: Danke. Erinnern Sie sich, Herr Zeuge, daß Sie anfangs 1944 dem Angeklagten, in der damaligen Eigenschaft als Reichskommissar der Niederlande, einen Befehl des Führers übermittelt haben, daß er aus den Niederlanden 250000 Arbeiter beizustellen hat, und daß dies Seyß-Inquart Ihnen gegenüber abgelehnt hat?


LAMMERS: Es handelt sich hier um das Schreiben, das ich vorhin schon bei meiner Vernehmung für Sauckel erwähnt habe, ein Rundschreiben, in dem alle aufgefordert wurden, die Aktion Sauckel zu unterstützen und den einzelnen Stellen wurden Auflagen gemacht in der Zahl der zu beschaffenden Arbeiter. Aber daß es bei Seyß-Inquart 250000 Arbeiter gewesen sind, die Zahl, an die kann ich mich nicht erinnern. Das weiß ich nicht. Ich weiß aber, daß Herr Seyß-Inquart mir gegenüber gegen die Aufbringung dieser ihm auferlegten Zahl schwere Bedenken erhoben hat. Er hatte den Willen, sie an den Führer zu bringen.


DR. STEINBAUER: Danke. Ich habe keine weitere Frage mehr.


DR. HANS LATERNSER, VERTEIDIGER FÜR GENERALSTAB UND OBERKOMMANDO: Herr Zeuge! Ist Hitler 1933 mit Hilfe der Reichswehr an die Regierung gekommen, das heißt, hat irgendein militärischer Druck in dieser Zeit stattgefunden?


LAMMERS: Ich selbst habe an der Machtergreifung nicht unmittelbar mitgewirkt, kann also ganz Genaues nicht sagen. Mir ist aber nichts darüber bekannt, daß die damalige Reichswehr auf die [115] Machtergreifung irgendwelchen Einfluß ausgeübt hat. Ich nehme an, wenn das der Fall gewesen wäre, so würde man das erfahren haben.


DR. LATERNSER: Im Jahre 1934 erfolgte die Zusammenlegung der Dienststellungen des Staatsoberhauptes und Reichskanzlers in der Person Hitlers. Hätten nun die militärischen Führer den Eid auf Hitler verweigern können, ohne gegen ein Gesetz zu verstoßen?


LAMMERS: Das Gesetz zum Übergang auf das Staatsoberhaupt ist verfassungsmäßig ergangen, damit war der Führer Oberster Befehlshaber der Wehrmacht. Irgendeine Möglichkeit, sich dagegen zu widersetzen, gab es gar nicht. Das wäre eine glatte Revolte gewesen, Meuterei.


DR. LATERNSER: Ist Ihnen etwas davon bekanntgeworden, daß militärische Führer Vorschläge gemacht hätten, Angriffskriege zu entfesseln oder vorzubereiten?


LAMMERS: Mir ist davon nicht das geringste bekannt.


DR. LATERNSER: Es ist bekannt, daß Hitler den militärischen Führern keinerlei Einfluß auf seine politischen Entschlüsse gewährte. Sind Ihnen Äußerungen Hitlers bekannt, daß er den Generalen ein politisches Urteil überhaupt absprach?


LAMMERS: Der Führer hat sich über die Persönlichkeiten der Generalität und auch einzelner Generale vom militärischen Gesichtspunkt aus sehr lobend geäußert, sehr günstig. In politischer Hinsicht war er immer der Auffassung, daß Generale von Politik nichts verstehen und daß man sie möglichst nicht an eine Stelle setzen soll, wo es politische Dinge zu entscheiden gibt.


DR. LATERNSER: Es ist weiter bekannt, daß Hitler keinerlei Widerspruch duldete. War nicht der tiefere Grund für die Entlassung Blombergs, Fritschs und Becks der, daß diese wiederholt widersprochen hatten?


LAMMERS: Ja, ich möchte annehmen, daß hier solche persönliche Differenzen letzten Endes den Ausschlag gegeben haben für die Entlassung von Schacht, von Blomberg, von Neurath und auch von Fritsch. Ich bin aber nie bei solchen Unterredungen dabeigewesen. Also inhaltlich kann ich nichts bekunden. Ich glaube aber, daß die Herren dem Führer häufig widersprochen haben.


DR. LATERNSER: Hegte überhaupt Hitler gegenüber den Generalen, insbesondere des Heeres, Mißtrauen?


LAMMERS: Das kann man nicht allgemein beantworten. Der Führer hatte gegen die meisten Leute eine gewisse Zurückhaltung gehabt, indem er immer jedem nur sagte, was ihn anging. Wenn man also darin ein Mißtrauen erblicken will, dann hat dieses Mißtrauen gegenüber fast allen Ministern und Generalen vorgelegen [116] denn es hat keiner mehr erfahren, als er erfahren sollte und erfahren durfte nach dem Willen des Führers.


DR. LATERNSER: Gab es überhaupt in demjenigen Personenkreis, der das uneingeschränkte Vertrauen Hitlers besessen hat, irgendeinen militärischen Führer?


LAMMERS: Das glaube ich nicht, ich kenne keinen.


DR. LATERNSER: Nun habe ich noch eine letzte Frage. Was war der Grund, die Masse der besetzten Gebiete unter Reichskommissare und nur wenige unter Militärverwaltung zu stellen?


LAMMERS: Der Führer wünschte in der Regel, daß besetzte Gebiete politisch verwaltet würden und hat Generale dafür für ungeeignet gehalten, weil er ihnen, na, ich möchte sagen, ihnen auf diesem Gebiete eine politische Instinktlosigkeit zur Last legte.


DR. LATERNSER: Sollte nicht schon vor 1944 die Militärverwaltung in Belgien durch einen zivilen Kommissar ersetzt werden?


LAMMERS: Das war schon lange vorgesehen. Die Vorbereitung dafür war schon getroffen, aber der Führer konnte sich nicht entschließen, sie in Kraft zu setzen, weil ihm auch immer gesagt wurde, es sprechen hier bei Belgien doch sehr starke militärische Gründe dagegen, dort eine Zivilverwaltung aufzumachen, da Belgien möglicherweise in irgendeiner Weise wieder Operationsgebiet werden könnte. Da ist das hinausgezögert worden, über ein Jahr und länger.


DR. LATERNSER: Danke schön. Ich habe keine weitere Frage.


VORSITZENDER: Wünscht die Anklagebehörde den Zeugen im Kreuzverhör zu vernehmen?


MAJOR F. ELWYN JONES, HILFSANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Herr Zeuge! Ich möchte Sie über eine Sache befragen, und zwar über die Machtbefugnisse der Reichsminister nach der Verfassung Nazi-Deutschlands. Aus Ihrer Aussage geht hervor, daß sie Männer mit sehr geringer Machtbefugnis oder irgendeiner Befehlsgewalt überhaupt, daß sie Strohmänner waren. Ist das tatsächlich der Fall?


LAMMERS: Ja, keine ist zuviel. Ich meine die große Politik...


MAJOR ELWYN JONES: Aber die Machtbefugnisse waren äußerst begrenzt, wollen Sie das sagen?


LAMMERS: Sie waren im wesentlichen Verwaltungschefs ihrer Ressorts. Sie waren aber keine politischen Minister, die in den großen politischen Fragen zur Mitbestimmung berufen waren.


MAJOR ELWYN JONES: Sie hatten weniger Befehlsgewalt, als Minister in Deutschland unter der vorhergehenden Verfassung besaßen?


[117] LAMMERS: Das ist zweifellos der Fall, denn in der früheren Verfassung wurde ja abgestimmt und zumindest konnte der Minister dadurch, daß er im Kabinett seine Stimme gegen irgend etwas kundgab, seine Machtbefugnis zum Ausdruck bringen.


MAJOR ELWYN JONES: Ich lege Ihnen nunmehr einige Bemerkungen vor, die Sie im Jahre 1938 über die Machtbefugnisse der Minister im Führerstaat gemacht haben. Ich beziehe mich auf das Dokument 3863-PS:

»Aus dieser grundsätzlichen Totalkonzentration der obrigkeitlichen Gewalt in der Person des Führers folgt aber keinesfalls in der Staatspraxis eine übertrieben starke und unnötige Zentralisierung der Verwaltung in der Hand des Führers. Ich habe bereits in meinen allgemeinen Ausführungen über die Grundgedanken des Führerstaates darauf hingewiesen, daß die Wahrung der Autorität des Unterführers nach unten hin es verbietet, in jede einzelne seiner Handlungen und Maßnahmen hinein zu befehlen. Dieser Grundsatz wird vom Führer in seiner Regierungsführung in einer Weise gehandhabt, daß zum Beispiel die Stellung der Reichsminister tatsächlich eine viel selbständigere ist als früher, obgleich die Reichsminister heute der uneingeschränkten Befehlsgewalt des Führers für ihren gesamten Amtsbereich und hinsichtlich jeder einzelnen Maßnahme und Entscheidung auch in den nebensächlichsten Fällen unterworfen sind. Verantwortungsfreudigkeit, Entschlußkraft, vorwärtsdrängende Energie und wirkliche Autorität, das sind die Eigenschaften, die der Führer in erster Linie von seinen Unterführern verlangt. Er läßt ihnen daher größte Freiheit in der Führung ihrer Geschäfte und in der Art der Erfüllung ihrer Aufgaben. Nichts liegt ihm ferner als kleinliche oder gar nörgelnde Kritik.«

Dieses Bild der Machtbefugnisse der Reichsminister ist sehr verschieden von dem Bild, das Sie dem Gerichtshof gegeben haben, oder nicht?

LAMMERS: Ich bin der Ansicht, daß das nicht im geringsten widerspricht, denn ich habe hier nichts anderes gesagt, als daß jeder Minister in der großen Politik normalerweise nicht mitzureden hatte, dagegen in seinem Gebiet der oberste Verwaltungschef war, und hier ist es ausgeführt, daß er als Unterführer, soweit ihm der Führer Befugnisse gelassen hatte, auch andererseits die größten Machtvollkommenheiten hatte und daß ihm da der Führer in diese Machtvollkommenheiten nicht kleinlich hineingeredet hat. Das hat dem Führer ferngelegen. Es handelt sich hier nur um Angelegenheiten zweiter und dritter Ordnung, die große Politik ist hier nicht erörtert.

MAJOR ELWYN JONES: Sehen Sie, Ihr Bild von der Verwaltung dieses riesigen Staates Nazi-Deutschland ist ein Bild von [118] einem Mann, der in allen grundsätzlichen Fragen selbst aus seinen intuitiven Kräften entscheidet. Wollten Sie dem Gerichtshof ein derartiges Bild entwerfen?


LAMMERS: Ja, der Minister war der oberste Führer seiner Sache und soweit er nicht beschränkt war, hat er da größere Machtvollkommenheiten gehabt als früher je ein Minister, weil der Führer in Kleinigkeiten nicht hineingeredet hat.


MAJOR ELWYN JONES: Im Falle des Angeklagten Funk zum Beispiel sagen Sie, daß er ein kleiner Mann ohne Machtbefugnisse, ohne Einfluß auf Entscheidungen war. Ist das richtig?

LAMMERS: Auf die großen politischen Entscheidungen hatte er keinen Einfluß gehabt. Aber in seinem Ressort hatte er einen großen Einfluß gehabt. Das waren aber die Dinge zweiter Ordnung und die Dinge dritter Ordnung.


MAJOR ELWYN JONES: Aber Entscheidungen... hinsichtlich wichtiger wirtschaftlicher Fragen, wie zum Beispiel die Höhe des Vermögens, das aus den besetzten Gebieten herausgezogen werden sollte, diese Entscheidungen des Führers stützten sich auf Vorstellungen oder Empfehlungen von Ministern wie Funk, oder nicht?


LAMMERS: Das ist mir nicht bekannt. Die Finanzpolitik in den besetzten Gebieten, die hat ja der Ostminister gemacht, beziehungsweise die Reichskommissare mit dem Finanzminister zusammen.


MAJOR ELWYN JONES: Aber bei Entscheidungen über wirtschaftliche Angelegenheiten, die die besetzten Gebiete betrafen, wie zum Beispiel Vorschläge über Besatzungskosten und die Technik der Aufkäufe auf dem schwarzen Markt, hatten Männer wie Funk Vorschläge für die Entscheidung der Politik in diesen Angelegenheiten abzugeben, oder nicht?


LAMMERS: Da hat er mitgewirkt. Er hatte ja als Reichskommissar in den besetzten Gebieten keine Befehlsgewalt. Der Reichskommissar unterstand ja dem Führer unmittelbar.


MAJOR ELWYN JONES: Aber alle diese Minister arbeiteten in ihrer Sphäre und waren unerläßlich für die Führung, des Nazi-Staates, oder nicht?


LAMMERS: Ja, selbstverständlich war eine Mitarbeit nötig. Aber daraus folgt ja noch nicht, daß Herr Funk in den besetzten Gebieten eine Befehlsgewalt hatte. Die hat er sicher nicht gehabt.


MAJOR ELWYN JONES: Soweit Funk in Frage kommt, haben Sie versucht, seine Stellung im Staat klarzustellen. Erinnern Sie sich, ob Funk dem Führer direkt unterstand oder nicht? Erinnern Sie sich daran?


[119] LAMMERS: Ja, Funk war dem Führer unterstellt; selbstverständlich als Minister.


MAJOR ELWYN JONES: Und er hat den Führer selbst beraten oder nicht?


LAMMERS: Er ist sehr selten zum Führer gekommen.


MAJOR ELWYN JONES: Aber auf dem lebenswichtigen Gebiet der Finanzierung der Wiederaufrüstung zum Beispiel hatte er wichtige Entscheidungen dem Führer mitzuteilen und den Führer hierüber zu beraten, oder nicht?

LAMMERS: Ich weiß nicht, in welchem Umfange der Führer ihn hat kommen lassen, denn ich bin bei Unterredungen über Rüstungskredite und Aufrüstung nie zugegen gewesen.


MAJOR ELWYN JONES: Ich möchte noch eine weitere Frage mit Bezug auf ministerielle Angelegenheiten an Sie richten. Haben Minister ohne Geschäftsbereich immer die Mitteilungen des Reichskabinetts erhalten?


LAMMERS: Sie bekamen alle Vorlagen zugeschickt.


MAJOR ELWYN JONES: Der Angeklagte Frank, beispielsweise, war ein Minister ohne Geschäftsbereich?


LAMMERS: Ja.


MAJOR ELWYN JONES: Er erhielt alle Mitteilungen in seiner Eigenschaft als Minister ohne Geschäftsbereich?


LAMMERS: Er erhielt alle Vorlagen, die auch andere Minister bekommen haben, soweit eine Gesamtverteilung stattgefunden hat.


MAJOR ELWYN JONES: Und als er Generalgouverneur des Generalgouvernements war, unterhielt er ein Ministerialbüro, um sich mit den eingehenden Sachen des Reichskabinetts zu befassen?

LAMMERS: Wen meinen Sie jetzt, Frank?


MAJOR ELWYN JONES: Ich spreche jetzt von dem Angeklagten Frank, ja.


LAMMERS: Frank hatte ein Büro in Berlin, wo die Ministersachen für ihn abgeliefert wurden.


MAJOR ELWYN JONES: Das heißt, das Reichskabinett hat tatsächlich nicht getagt, aber es hat weiterhin bestanden?


LAMMERS: Das Reichskabinett existierte nur für das schriftliche Gesetzgebungsverfahren und für schriftliche Verwaltungssachen, die im Umlaufwege gemacht werden konnten.


MAJOR ELWYN JONES: Und die Mitglieder des Reichskabinetts wie Frank, erhielten Mitteilungen über Gesetzgebungsfragen und [120] die Tätigkeit des Reichskabinetts, obwohl sie für Konferenzen oder Zusammenkünfte nicht zur Verfügung standen?


LAMMERS: Sie bekamen alles das zugestellt, was alle Minister bekamen.


MAJOR ELWYN JONES: Ich glaube, es ist Zeit abzubrechen.


VORSITZENDER: Ja.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 11, S. 85-122.
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