Nachmittagssitzung.

[592] DR. STAHMER: Ich komme nunmehr zu meinem Schlußwort.

Überschauen wir hiernach Persönlichkeit und Leben des Angeklagten Göring, so bleiben für die Würdigung seiner Taten folgende Gesichtspunkte maßgebend:

Vom Elternhaus mit einer guten Grundlage an Wissen und charakterlicher Haltung ausgestattet, erhielt er seine entscheidende Prägung als junger Offizier und Kampfflieger im ersten Weltkrieg, in dem er sich hervorragend bewährte und die höchste Kriegsauszeichnung, den Orden »Pour le mérite«, erhielt. Er erlebte den Zusammenbruch der deutschen Kriegsanstrengungen als – wie er es sah – Folge innerdeutschen Verrats.

Nachdem das Kaiserreich gestürzt war, wollte das deutsche Volk sich auf demokratischer Grundlage eine neue Verfassung geben und hoffte dann, mit Fleiß und Ausdauer sich wieder hocharbeiten zu können. Dabei spielte das Vertrauen in die Weitsicht der damaligen Siegermächte, insbesondere in die 14 Punkte Wilsons, eine große Rolle.

Als dann aber der Versailler Vertrag diese Hoffnung bitter enttäuschte, geriet die Weimarer Demokratie in eine schwere Krise, von der sie sich nicht wieder erholen sollte. Sie bildete zusammen mit der später noch hinzutretenden Weltwirtschaftskrise die nicht wegzudenkende Voraussetzung dafür, daß Hitler die Machtergreifung gelang.

Zunächst ermöglichte der »Kampf gegen Versailles« ihm den Aufstieg als Parteiführer. Göring hat als Zeuge geschildert, wie er sich bei der ersten Begegnung mit Hitler in der Überzeugung zusammenfand, daß mit papierenen Protesten nichts zu erreichen wäre.

Die Ohnmacht der deutschen Demokratie war nunmehr vor aller Welt offenbar geworden. Göring wie Hitler waren überzeugt, daß Deutschland unfehlbar ein Opfer des weltrevolutionären Bolschewismus werden mußte, wenn es nicht gelang, gegen diesen durch Wiederbefestigung des deutschen Selbstvertrauens im Innern genügend Abwehrkräfte zu wecken. Daß diese dabei auch gegen die Versailler Mächte kraftvoll auftreten mußten, verstand sich von selbst. Dabei ging Hitler aber fraglos davon aus, daß Deutschland mit dem Westen im Grunde kulturell, wirtschaftlich und auch politisch zusammengehörte. Er glaubte, daß die zunächst gegen Deutschland gerichtete bolschewistische Gefahr danach auch die westlichen Länder bedrohe. Deshalb meinte er, allmählich auch deren Anerkennung und Unterstützung finden zu können, wenn er den ideologischen Kampf gegen den Osten aufnähme.

Von dieser Grundeinstellung aus allein ist seine gesamte Politik bis zum faktischen Zusammenbruch zu erklären. Mag man sie heute [592] auch als von vornherein verfehlt mit Recht verurteilen, so ist doch nicht zu verkennen, daß zunächst mancherlei in der Entwicklung sichtbar für ihre Richtigkeit sprach. So ist zu erklären, wie es Hitler gelingen konnte, einen wachsend größeren Teil der Deutschen zu seiner Gefolgschaft zu machen.

Göring glaubte fest, daß nur durch Hitler die Rettung kommen konnte. Er erkannte in ihm den geborenen Volksführer, der die Massen zu beeinflussen und zu lenken verstand und dessen faszinierende Willenskraft sich durch kein Hindernis schrecken ließ. Er begriff, daß unter einer demokratischen Verfassung nur ein solcher Mann von gewiß dämonisch-demagogischer Begabung sich durchzusetzen vermochte. Deshalb schloß er sich ihm an.

Weil Göring ein ehrlich nur von Vaterlandsliebe erfüllter Deutscher war, dachte er nicht daran, Hitler nur als Werkzeug für den eigenen Wiederaufstieg benützen zu wollen. Er nahm es vielmehr von vornherein auf sich, ihn als den allein entscheidenden Mann, eben den Führer, anzuerkennen und sich selbst in nachgeordneter Rolle zu begnügen. Deshalb zögerte er, der berühmte Fliegerhauptmann und Pour-le-mérite-Träger nicht, dem bis dahin noch unbekannten Hitler den Treueid zu leisten – einen Eid, der fürs ganze Leben gelten sollte und gegolten hat.

Es ist tragisch, daß ein Kampf, wie Göring zusammen mit Hitler ihn führte, so von Grund auf verkannt werden konnte, daß man ihn bereits von Anfang an als Verschwörung zur Begehung von Verbrechen glaubt anklagen zu sollen.

Sein Ziel war zunächst darauf gerichtet, Deutschland aus den Fesseln des Vertrags von Versailles zu lösen. Die Weimarer Regierung hat zwar wiederholt Versuche unternommen, eine Befreiung von den sie besonders belastenden Bedingungen dieses Vertrags zu erreichen. Mit seinen Wünschen nach einer Revision drang Deutschland jedoch nicht durch.

Auf dem Wege der Verhandlung kam man nicht weiter.

Schien nicht das Völkerrecht nur ein Instrument in der Hand der Versailler Sieger zu sein, um Deutschland dauernd niederzuhalten? Galt nicht eben doch in der Welt nun einmal Macht vor Recht und würden die Deutschen nicht erst dann etwas erreichen, wenn sie sich den Mut nähmen, einmal kräftig mit der Faust auf den Tisch zu schlagen?

Solche Überlegungen erscheinen aus der damaligen Lage durchaus verständlich. Aus ihnen wohl gar einen Beweis für die von der Anklage behauptete Conspiracy herleiten zu wollen, würde ihre völlige Verkennung bedeuten. Tatsächlich schien die Entwicklung nach 1933 Hitler vollauf zunächst auch recht zu geben. Spielend erreichte er mit seinen Methoden das Vielfache von dem, was – [593] freiwillig gegeben – die Weimarer Regierung an der Macht zu erhalten vermocht hätte.

Aus der Bereitschaft des Auslandes, nicht nur mit Hitler Verträge zu schließen – so das Flottenabkommen 1935 und das Münchener Abkommen im September 1938 –, sondern auch an den Reichsparteitagen bis zuletzt teilzunehmen, konnte das deutsche Volk nur entnehmen, daß Hitler, gerade, um zu einer Völkerverständigung zu gelangen, den richtigen Weg gewählt hatte.

Dieser Eindruck und dieses Urteil waren auch durchaus zutreffend bis zum Herbst 1938. Hätte Hitler sich danach loyal an das Münchener Abkommen gehalten, so hätte er vermutlich der gegen ihn eingeleiteten Stop-Politik die Argumente aus der Hand genommen. Es wäre nicht nur der Frieden erhalten geblieben, sondern Hitler hätte auch die Früchte seiner bis dahin entfalteten, von allen Mächten anerkannten Innen- und Außenpolitik in Ruhe ernten können.

Im Grunde streitet man sich heute doch eigentlich nur darum, ob die seitherige Entwicklung mit ihren katastrophalen Folgen ihm allein zur Last zu legen oder wer für sie mitverantwortlich zu machen ist. Angeklagt werden alle Deutschen, die Hitler irgendwann und irgendwie Gefolgschaft geleistet haben. Denn, so sagen die Ankläger, vor allem diejenigen, die ihm von vornherein nichts Gutes zugetraut und seiner Regierung von Beginn an bereits die Legitimität abgesprochen haben: Das war ja vorauszusehen, daß er so enden würde! Jeder, der ihn irgendwann und irgendwie einmal unterstützte, machte sich also mitschuldig.

Dieser Anklage muß entgegengehalten werden, daß sie aus dem traurigen Erfolge heraus, rückwärts blickend, eine Zwangsläufigkeit konstruiert, die jeden Glauben zunichte machen müßte, nicht nur an die Freiheit, sondern auch an die Einsicht der Menschen. Selbstverständlich hat auch Hitler selbst das heutige Ende nicht gewollt. Oft genug hat er anfangs verkündet, daß ihn nicht nach Kriegslorbeer verlange, sondern, daß er den Rest seines Lebens friedlichem Aufbau widmen möchte.

Von wirklich objektiver Warte aus kann man ihm nur vorwerfen, daß er seine Ziele nicht begrenzte, als er an ihre Erreichbarkeit mit friedlichen und humanen Mitteln nicht mehr glauben konnte. Versteht man unter solchen Mitteln nur solche, die auf Gewalt in jedweder Form überhaupt verzichteten, so hätte er seinen eigenen Weg nicht gehen und nach einer neuen Lösung nicht zu suchen brauchen. Ein gewisses Spiel mit der Gewalt, solange es nur nicht ausartete, wird man ihm daher zugestehen müssen. Wo die Ausartung begann, kann man mangels anderer Anhaltspunkte nur ermessen an den Folgen, die er mit seiner Politik tatsächlich hervorrief. Sicher hat er die schlechten Folgen nicht vorausgesehen und [594] gewollt. Aber man wird es als seine Schuld ansehen müssen, daß er sich durch Mißerfolge nie belehren, sondern nur zu immer größeren Maßlosigkeiten verführen ließ. Wieviel von dieser Schuld aber kann und darf man nun auch seinen Gefolgsleuten zur Last legen?

Wer nicht Hitlers Methoden und damit ihn selbst von vornherein als illegitim ablehnte, hatte es sehr schwer zu erkennen, wo Hitlers politische Zielsetzung aufhörte, einen Rechtfertigungsgrund für seine Maßnahmen abzugeben und wo danach die Politik zum Verbrechen wurde. Dabei verlief diese Grenze vom Standpunkt rein deutschen Rechtsempfindens sicher wesentlich anders, als von dem anderer Völker oder gar der Menschheit. Denn letztere waren zum Beispiel an der Erhaltung der Weimarer Verfassung und der in ihr dem einzelnen Deutschen eingeräumten Grundrechte kaum interessiert. Ihre Verletzung hat daher bis zum zweiten Weltkriege andere Staaten auch nie veranlaßt, bei der Deutschen Regierung zu intervenieren. Umgekehrt sahen die Deutschen sich, nachdem der Krieg einmal ausgebrochen war, gezwungen, nun die deutschen Interessen ihrem Mitgefühl mit den Angehörigen anderer, insbesondere der gegnerischen Staaten, hintanzusetzen. Ein jeder von ihnen glaubte nun, genug zu tun, wenn er in seinem Bereich dafür sorgte, daß unnötige Härten vermieden wurden. Gegen die von höchster deutscher Stelle kommenden Befehle sich aufzulehnen, wäre nicht nur völlig sinnlos, weil aussichtlos, erschienen, sondern bis kurz vorm bitteren Ende auch noch als Verletzung der deutschen Legalität, mithin als strafbares Unrecht. Vorwürfe wegen unterbliebener Auflehnung können daher nur erhoben werden, wenn der Bruch formaler Legalität ohne Rücksicht auf die unmittelbar praktische Wirkung nur um des Prinzips willen, also die Haltung eines Revolutionärs, als Rechtspflicht festgestellt werden könnte.

Die Konsequenzen solcher Auffassung sind derart abwegig, daß sie ernstlich gar nicht erörtert werden können. Denn das bisherige Völkerrecht beruhte vor allem auf dem Grundsatz der uneingeschränkten Souveränität der Staaten. Kein Staat war bereit gewesen, sich in lebensentscheidenden Fragen dem Urteilsspruch anderer zu unterwerfen, sei es auch einer noch so großen Mehrheit, sei es einem als unabhängig verbürgten Gericht. Und nun sollte jeder einzelne Bürger eines solchen souveränen Staates den anderen Völkern oder der Menschheit gegenüber nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet gewesen sein, sich gegen den legalen Machtapparat seines eigenen Staates zu erheben, weil dieser Menschen- und Menschheitsrechte verletzte? Eine derartige Zumutung, mit rückwirkender Kraft gestellt, richtet sich selbst. Sie würde die Autonomie des Individuums noch über die staatliche Souveränität stellen. Damit würde nicht nur die Kraft des Einzelmenschen unendlich überschätzt, sondern dies müßte zur Zerreißung auch der letzten Bande überlieferter [595] Ordnung, zur Anarchie führen. Gegenüber solcher Denkweise stellt Göring geradezu den bewußten Gegenpol dar. Wie andere in den Krieg zogen, um den Krieg als solchen zu bekämpfen, so wurde er zum Revolutionär, um das Ideal der Treue wieder zur Ehre zu bringen. So hat er an der Seite des einmal erwählten Führers ausgehalten, auch als er dessen Vertrauen längst eingebüßt hatte, ja, als er von Hitler sogar zum Tode verurteilt worden war. Er blieb dennoch und bis heute treu, indem er Hitler immer wieder vor sich selbst entschuldigte. Das mag vielen unverständlich erscheinen, es mögen manche darin mehr eine Schwäche als eine Stärke sehen. Aber in dieser Treue offenbart sich der ganze Mann. Göring ist gelegentlich als der Typ eines späten Renaissancemenschen geschildert worden. Daran ist wohl manches richtig. Er hat sich, obwohl von hoher Intelligenz, in seinem Handeln doch stets weniger von Vernunftserwägungen leiten lassen als von den Gefühlen seines heißen Herzens. Ein solcher Mensch äußert sich notwendig vorzüglich subjektiv. Er begreift seine Umwelt und die anderen Menschen nicht nur kühl-sachlich als feste Größen, mit denen es zu rechnen gilt. Vielmehr erlebt er vor allem, wie sie auf ihn wirken und seine Zustimmung oder Ablehnung herausfordern, so daß er schließlich sein persönliches Reagieren auf sie wohl gar zur Grundlage seines Gesamturteils macht.

Dabei zeigte er, wie aus den Erklärungen des Generaloberstabsrichters Dr. Lehmann hervorgeht, sich doch immer bemüht, gerecht zu bleiben und besinnlichen Erwägungen Gehör zu schenken. Stets hielt er sich frei von doktrinärer Voreingenommenheit. Er sucht soldatisch-sachlich das im Einzelfall Richtige zu treffen. Seine gerichtsherrlichen Entscheidungen, wie auch seine unter anderem von General Bodenschatz bezeugte soziale Einstellung, zeigen sein ernstes sittliches Verantwortungsbewußtsein. Sein Verhalten gegenüber allen gegen die Frauenehre gerichteten Straftaten sind ein Beweis seiner Ritterlichkeit. Aber maßgebend ist dabei für ihn nicht irgendein Dogma, sondern sein spontanes Gefühlsurteil, nicht der Geist also, sondern das Leben. Aus ihm erst gewinnt er seine Ideen und die ihn bestimmenden Werte.

Deshalb bedeutete für ihn der Führer und sein diesem geleisteter Treueid alles und machte den Inhalt seines Lebens aus. Botschafter Henderson hatte Göring schon richtig gesehen als er über ihn schrieb:

»Er war der vollkommene Diener seines Herrn, und ich habe nie eine größere Treue und Ergebenheit gesehen, als die seinige zu Hitler. Er war anerkanntermaßen die zweite Macht im Land und hatte mir immer zu verstehen gegeben, daß er Hitlers natürlicher Nachfolger als Führer sei. Männer an zweiter Stelle sind oft geneigt, ihre eigene Wichtigkeit zu betonen. In all den offenen Gesprächen, die ich mit Göring [596] führte, sprach er niemals von sich oder der großen Rolle, die er in der Nazi-Revolution gespielt hatte: Alles hatte Hitler getan, alles Vertrauen war Vertrauen zu Hitler, jede Entscheidung war die Hitlers, und er selbst war nichts.«

Dieses Urteil hat auch heute noch seine Geltung. Aber seine Treue wurde ihm zum Verhängnis. Eine Welt sank für ihn in Trümmer. Wohl hat er manchen Fehler der Vergangenheit erkannt. Aber die Reue, die mancher gern bei ihm sehen möchte, zeigte er nicht. Er bleibt damit treu, auch gegen sich selbst. Damit schließt sich sein Charakterbild.

In einer Zeit, die – vom Chaos noch immer bedroht – wieder nach festen Grundlagen des Lebens sucht, sollte der positive Wert auch solcher Treue nicht verkannt werden.

VORSITZENDER: Dr. Seidl! Wie ich höre, liegt die Übersetzung Ihrer Rede in die anderen Sprachen noch nicht vor. Ist das so?

DR. SEIDL: Herr Präsident! Ich habe gestern bereits dem Herrn Generalsekretär die Gründe mitgeteilt, die es unmöglich machten, daß die Rede übersetzt wurde.

Ich habe aber den Übersetzern den Text in deutscher Sprache gegeben, und es wurde mir gesagt, daß der deutsche Text schon eine große Erleichterung wäre, um die Übersetzung so gut wie möglich und so schnell wie möglich durchzuführen.


VORSITZENDER: Gut, der Gerichtshof hat Ihnen schon vor vielen Tagen gesagt, daß es für den Gerichtshof sehr unangenehm ist, kein Exemplar der Rede vor sich zu haben. Wenn Sie Ihre Rede jetzt halten wollen, dann wird der Gerichtshof sein Bestes tun, um ihr zu folgen. Es ist sehr viel schwieriger und viel unbequemer, keine Übersetzung der Rede zu haben.


DR. SEIDL: Ich werde dann für den Angeklagten Frank veranlassen, daß die Übersetzung so schnell wie möglich hergestellt wird.


VORSITZENDER: Sehr gut. Beginnen Sie!


DR. SEIDL: Herr Präsident, meine Herren Richter!

Als im Jahre 1918 die deutschen Armeen nach mehr als vierjährigem heldenhaften Kampf die Waffen niederlegten, geschah dies im Vertrauen auf die Zusicherung des Präsidenten Wilson, die dieser wiederholt im Jahre 1918 gegeben hat. In der Kongreßrede vom 8. Januar 1918 hatte der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika in 14 Punkten unter anderem offene, öffentlich vereinbarte Friedensverträge verlangt.


VORSITZENDER: Dr. Seidl! Der Gerichtshof hat, wie Sie wissen müssen, bereits zu verstehen gegeben, daß die Frage der 14 Punkte und die Frage der Gerechtigkeit des Versailler [597] Vertrags unerheblich sind. Wir haben nicht die Absicht, dies anzuhören. Das ist Ihnen vorher gesagt worden, und viele Dokumente, die diese Gegenstände behandeln, sind zurückgewiesen worden.


DR. SEIDL: Herr Präsident! Ich beabsichtige nicht, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob der Versailler Vertrag gerecht ist oder nicht. Es handelt sich bei mir um folgendes: Die Anklage hat den Versailler Vertrag als Beweisstück vorgelegt. Sie hat den Versailler Vertrag in den Mittelpunkt der Anklage gestellt, insbesondere, soweit der Anklagepunkt 1 in Frage kommt. Meine Untersuchungen zielen darauf ab: Erstens, ist der Versailler Vertrag rechtsgültig zustande gekommen?, zweitens, hat...


VORSITZENDER: Ich habe nur von der Ungerechtigkeit des Versailler Vertrags gesprochen. Aber es ist noch unerheblicher zu fragen, ob der Versailler Vertrag ein rechtsgültiges Dokument ist oder nicht. Wir haben nicht die Absicht, Ihre Darlegung, der Vertrag sei kein legales Dokument, anzuhören. Es gibt viele, für Ihren Klienten wichtige Punkte, die Sie vor uns erörtern müßten, und dieser gehört nicht dazu.


DR. SEIDL: Herr Präsident! Ich kann das Gericht nicht im unklaren darüber lassen, daß der Versailler Vertrag und die von ihm ausgehenden Auswirkungen, insbesondere der ursächliche Zusammenhang zwischen der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus als Folge der Wirkungen des Versailler Vertrags mit ein wesentlicher Bestandteil meines ganzen Vortrags sind, und es wird für mich...


VORSITZENDER: Dr. Seidl! Ich habe Ihnen gesagt, daß der Gerichtshof Sie nicht anhören wird, wenn Sie darlegen, daß der Versailler Vertrag nicht rechtsgültig oder irgendwie ungerecht gewesen sei. Zu diesen Punkten wollen wir Sie nicht hören.


DR. SEIDL: Dann muß ich die Stellungnahme des Gerichts dahin auffassen, daß es mir nicht gestattet sein soll, über die Folgen des Versailler Vertrags zu sprechen und insbesondere von dem Zusammenhang, den diese Folgen hatten, mit dem Aufstieg der Nationalsozialistischen Partei, mit der Machtübernahme durch Adolf Hitler und durch die Mitangeklagten.


VORSITZENDER: Sehen Sie, der Versailler Vertrag ist natürlich eine historische Tatsache, und der Gerichtshof kann Sie nicht daran hindern, auf ihn als eine historische Tatsache Bezug zu nehmen. Aber hinsichtlich seiner Gerechtigkeit oder der Frage, ob er, der von Deutschland unterzeichnet wurde, ein rechtsgültiger Vertrag ist, werden Sie nicht angehört werden.

[598] Da Sie Ihre Rede uns nicht vorgelegt haben, wissen wir nicht, was Sie sagen wollen; aber dieses Argument werden wir nicht anhören.


DR. SEIDL: Ich beginne dann auf Seite 6 des deutschen Manuskripts mit dem zweiten Absatz:

So begann der Kampf um die Revision des Friedensdiktats von Versailles schon im Augenblick der Unterzeichnung. Im Programm der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei Adolf Hitlers hat dieser Kampf gegen das Versailler Friedensdiktat und seine Revision einen alle anderen Forderungen weit überragenden Platz eingenommen. Er war der Leitgedanke, an dem sich die gesamte innenpolitische Tätigkeit der Partei ausrichtete und der nach der Machtübernahme die Grundlage für alle außenpolitischen Überlegungen und Entscheidungen bilden sollte.

Einer der ersten Mitkämpfer Adolf Hitlers war der Angeklagte Rudolf Heß. Wie Hitler war auch Rudolf Heß Frontkämpfer im ersten Weltkrieg. Als Freiwilliger bei Ausbruch des Krieges eingerückt, brachte er es bis zu seiner Verwundung in Rumänien bis zum Leutnant der Infanterie. Als die erlittene Verwundung weiteren Frontdienst bei der Infanterie unmöglich machte, meldete er sich zur Fliegertruppe. Nach dem Waffenstillstand nahm er noch an verschiedenen Freikorpskämpfen teil, um dann im Jahre 1919 nach dem Abschluß des Versailler Friedensvertrags erkennen zu müssen, daß die Sieger keinen Frieden der Gerechtigkeit und des Ausgleichs der Interessen gewollt hatten.

Denn, wie nicht anders zu erwarten, mußten sich die Friedensbedingungen von Versailles und insbesondere die Last der Reparationen auf die an sich schon stark in Mitleidenschaft gezogene deutsche Volkswirtschaft...


VORSITZENDER: Dr. Seidl! ES mag für Sie schwierig sein, die verschiedenen Bezugnahmen auf die Themen, die ich erwähnt habe, aus Ihrer Rede auszuscheiden. Aber Sie müssen es freundlicherweise versuchen, denn wenn Sie fortfahren, auf die Themen Bezug zu nehmen, die ich eben erwähnt habe, nämlich die Gerechtigkeit oder Rechtsgültigkeit des Vertrags von Versailles, dann ist der Gerichtshof gezwungen, Ihre Rede anzuhalten und zu einem der anderen Angeklagten überzugehen.

DR. SEIDL: Herr Präsident! Was ich jetzt behandelt habe, ist nicht Gegenstand einer Frage der Gerechtigkeit und Legalität, sondern ist eine Frage der Folgen und bezieht sich auf Untersuchung des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn die Anklagevertretung in wochenlangen Beweisführungen dargetan hat, wie der Aufstieg der Nationalsozialistischen Partei zustande gekommen ist, wie die Zahl ihrer Mandate emporgeschnellt ist, dann muß ich...


[599] VORSITZENDER: Dr. Seidl! Das sind alles Tatsachen, die zu beweisen die Anklage völlig berechtigt ist. Aber worauf Sie sich nun beziehen, das ist ein Argument, daß bestimmte Klauseln im Versailler Vertrag ungerecht waren. Und das ist ein Argument, das zu hören der Gerichtshof nicht bereit ist. Das ist keine Feststellung von Tatsachen, sondern ein Argument.


DR. SEIDL: Selbstverständlich ist es ein Argument...


VORSITZENDER: Ich habe gesagt, daß es ein Argument ist, und wir werden es nicht anhören. Wenn Sie nicht verstehen, was ich meine, dann müssen Sie mit Ihrer Rede aufhören. Verstehen Sie das?


DR. SEIDL: Ich bitte, dann Seite 8 vorzunehmen.

Als im Jahre 1925 die Partei wieder gegründet wurde, war Rudolf Heß wieder einer der ersten...

Es ist unmöglich, Herr Präsident, meinen Vortrag fortzuführen, weil die ganzen folgenden Ausführungen sich mit der Frage beschäftigen: Was hat der Angeklagte Heß bis zur Machtübernahme getan, und ich muß feststellen, und ich habe festgestellt, daß der wesentliche Leitgedanke seiner ganzen Tätigkeit darin bestanden hat, innerhalb der Partei und innerhalb des deutschen Volkes sich dafür einzusetzen, eine Revision des Versailler Vertrags in seinen untragbarsten Bestimmungen zu erreichen. Diese Frage ist die Frage der ganzen nationalsozialistischen Bewegung bis 1933 überhaupt gewesen.


VORSITZENDER: Wenn Sie sich auf Erklärungen über Tatsachen beschränken, darüber, was der Angeklagte Heß getan hat, wird überhaupt nichts dagegen einzuwenden sein. Aber, wie ich schon sagte, wenn Sie Argumente vorbringen, daß der Versailler Vertrag ungerecht oder unrechtmäßig sei, wird Sie der Gerichtshof nicht anhören.


DR. SEIDL: Ich werde fortfahren, und ich bitte den Herrn Präsidenten, nachdem mir die Grenze nicht genau bewußt ist, mich dann unterbrechen zu wollen, wenn ich wieder einen Gegenstand erörtern sollte, der nach Ansicht des Gerichts sich auf die Gerechtigkeit des Versailler Vertrags bezieht und...


VORSITZENDER: Dr. Seidl! Sie kennen ganz genau die Grenzen, die vom Gerichtshof schon vor mehreren Wochen bezüglich der Frage der Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit des Versailler Vertrags festgelegt worden sind. Es ist eine große Anzahl von Dokumenten deshalb zurückgewiesen worden, weil sie die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit des Versailler Vertrags zum Gegenstand hatten, und Sie müssen das ganz genau gewußt haben.


DR. SEIDL: Dann bitte ich das Gericht, mir zu sagen, ob es mir gestattet ist, Ausführungen darüber zu machen, daß die wirtschaftlichen Verfallserscheinungen, insbesondere die große Arbeitslosigkeit, bedingt waren durch die Reparationsvorschriften des Versailler [600] Vertrags und die Weigerung der Siegermächte von 1919, diese Reparationspolitik entsprechend abzuändern.


VORSITZENDER: Sie können selbstverständlich feststellen, wie die Verhältnisse in Deutschland waren. Das ist eine Tatsachenfrage.


DR. SEIDL: Ich beginne dann nochmals auf Seite 8:

Als im Jahre 1925 die Partei wieder gegründet wurde...


VORSITZENDER: Dr. Seidl! Dem Gerichtshof ist diese Art von Argumenten durchaus vertraut. Ich meine, wir werden dieses Argument nicht außer acht lassen. Wir wissen alles über das Argument; wir wollen es nicht hören. Wir halten es für völlig unerheblich. Können Sie nicht zu anderen Teilen Ihrer Rede übergehen, die für die Verteidigung des Angeklagten Heß wichtig sind? Wie ich schon gesagt habe, gibt es eine ganze Reihe von Punkten, die von der Anklagebehörde bewiesen sind und denen von der Verteidigung entgegnet worden ist. Und zu diesen Punkten möchten wir Sie hören.


DR. SEIDL: Ich beginne dann auf Seite 10 mit dem zweiten Absatz:

Wenn daher in den Reichstagswahlen vom 14. September 1930 die Nationalsozialistische Partei einen großen Wahlsieg errungen hat und mit nicht weniger als 107 Abgeordneten in den neuen Reichstag eingezogen ist, dann ist das nicht zuletzt eine Folge der damaligen Wirtschaftskrise, der großen Arbeitslosigkeit und damit unmittelbar auch der jeder wirtschaftlichen Vernunft widersprechenden Regelung der Reparationen durch den Versailler Vertrag und der Weigerung der Siegerstaaten, trotz eindringlichster Warnungen in eine Neuregelung einzuwilligen. Es ist zwar richtig,...


VORSITZENDER: Dr. Seidl! Wissen Sie, daß das wieder ein Argumentieren ist, daß der Vertrag von Versailles unfair gewesen sei und daß die Siegermächte die berechtigten Forderungen Deutschlands nicht anerkannt hätten oder etwas von dieser Sorte. Wenn Sie Ihre Rede nicht dem, was ich angeordnet habe, anpassen können, werden wir Sie bitten, die ganze Rede neu zu fassen.


DR. SEIDL: Ich gehe dann über zu Seite 11, Absatz 2. Nein, ich gehe über auf Seite 12.

Als das deutsche Volk in Erfüllung des Friedensvertrags von Versailles abgerüstet hatte, konnte es mit Recht erwarten, daß auch die Siegermächte entsprechend ihrer...

Ich möchte nun, Herr Präsident...


VORSITZENDER: Einen Augenblick, Dr. Seidl. Dr. Seidl, da Sie anscheinend nicht fähig sind, Ihre Rede so neu zu fassen, daß sie den Anordnungen des Gerichtshofs entspricht, wird der Gerichtshof Sie in diesem Stadium nicht weiter anhören. Es wird mit dem Fall des nächsten Angeklagten fortsetzen.

[601] Sie haben dann Gelegenheit, Ihre Rede umzuformen. Und Sie wollen die Rede dann zur Übersetzung vorlegen, ehe Sie sie vortragen, und ich möchte erklären, daß dies der Grund ist, warum der Gerichtshof nicht beabsichtigt, Sie zu diesen Sachen zu hören. Sie sind unerheblich für die Fragen, die der Gerichtshof zu verhandeln hat. Wenn sie in irgendeiner Weise für die in der Anklageschrift gegen die Angeklagten erhobenen Beschuldigungen erheblich wären, würden wir sie natürlich anhören, aber sie sind nach wohlerwogener Ansicht des Gerichtshofs in keiner Weise für die Beschuldigungen erheblich, wegen welcher die Angeklagten hier vor Gericht stehen, und deshalb hat der Gerichtshof nicht die Absicht, sie anzuhören. Die Gerechtigkeit des Versailler Vertrags hat nichts damit zu tun, ob der von Deutschland geführte Krieg ein Angriffskrieg war oder nicht. Sie hat nichts mit den Kriegsverbrechen zu tun, deren die Angeklagten beschuldigt werden, und deshalb ist es unerheblich, und aus diesem Grund wollen wir davon auch nichts hören. Nun, wie ich sagte, da Sie nicht in der Lage sind, Ihre Rede umzugestalten, wird Ihnen Gelegenheit gegeben, sie privat umzuformen. Dann wollen Sie sie zur Übersetzung vorlegen, und dann können Sie sie vortragen.

Und nun wollen wir mit dem Fall gegen den Angeklagten Ribbentrop fortfahren.

Dr. Horn! Können Sie jetzt beginnen?


DR. HORN: Herr Präsident! Ich habe gerade gehört, daß die Übersetzungen heruntergeholt werden. Vielleicht darf ich beginnen, bis wir sie hier haben?


VORSITZENDER: Ich denke, Sie können beginnen. Wir können hören, was Sie sagen und es niederschreiben lassen.


DR. HORN: Herr Präsident! Meine Herren Richter!

»Alle großen Erschütterungen der Geschichte der Welt, und besonders im modernen Europa, sind zu gleicher Zeit Kriege und Revolutionen gewesen1

In einer derartigen Erschütterung stehen wir mitten drin. Sie ist noch keineswegs abgeschlossen. Einzelne Vorgänge aus ihr herauszugreifen, um sie einer rechtlichen Würdigung zu unterziehen, ist nicht nur fast unmöglich, sondern birgt die, Gefahr verfrühten Urteils in sich. Täuschen wir uns nicht; wir urteilen hier nicht über eine lokale Krisis, deren Ursachen auf einen bestimmten Teil Europas beschränkt sind. Wir müssen uns ein Urteil bilden über eine Katastrophe, die an die tiefsten Wurzeln unserer Zivilisation rührt.

Die Anklage hat einen strengen Maßstab an die Beurteilung staatlicher und zwischenstaatlicher Vorgänge gelegt. Deutschland hat alles Interesse an der Entwicklung der Idee des Rechtes, wenn [602] sie durch allgemeine Anwendung eine Besserung der internationalen Moral herbeiführt. Dieses Gericht hat die hohe Aufgabe, nicht nur über bestimmte Angeklagte zu entscheiden und die Ursachen der gegenwärtigen Katastrophe aufzudecken, sondern es wird zugleich Normen schaffen, die allgemein verbindlich werden sollen. Es darf kein Recht geschaffen werden, das nur auf den Schwachen Anwendung findet. Es würde sonst der Gefahr Vorschub geleistet, daß wieder alle staatlichen Anstrengungen darauf abgestellt werden, die Widerstandskraft noch totaler und damit den Krieg noch unerbittlicher als den zu gestalten, über den hier geurteilt werden soll.

Unter Zugrundelegung dieser Gedanken darf ich dem Tribunal den von mir vertretenen Fall unterbreiten.

Herr von Ribbentrop gilt als der Hauptverantwortliche unter den Konspiratoren für die außenpolitisch-diplomatische Seite einer angeblichen Verschwörung, die sich die Vorbereitung und Durchführung von Angriffskriegen zum Ziel gesetzt haben soll. Meine Aufgabe besteht nun zunächst darin, an Hand des Beweisergebnisses festzustellen, wann ein Angriff im Sinne des Völkerrechts vorliegt und in welchen Fällen Angriffskriege geführt worden sind.

Der Angriffskrieg erschöpft sich nicht in der von den Herren amerikanischen und britischen Hauptanklagevertretern vorgeschlagenen formaljuristischen Definition, sondern hat vor allem reale Voraussetzungen.

Nur die Kenntnis dieser Prämissen erlaubt eine Stellungnahme, die der Entscheidung des Gerichts als Grundlage dienen kann. Ich stelle daher die Erörterung der Problematik des Angriffs und des Angriffskrieges zurück, bis ich nach Darlegung der deutschen Außenpolitik und der Mitwirkung des Herrn von Ribbentrop an ihr dem Gericht die Unterlagen zur Würdigung unterbreitet habe.

Da das Tribunal eine strafrechtliche Würdigung des Sachverhalts beabsichtigt, untersuche ich insbesondere, inwieweit Herr von Ribbentrop hemmend oder fördernd an außenpolitischen Entscheidungen während der Zeit seiner Tätigkeit mitgewirkt hat.

Herrn von Ribbentrops erster Schritt in die Welt des Interessenausgleichs und damit des internationalen Kräftespiels war erfolgreich getan, als er im Jahre 1935 den Abschluß des Flottenvertrags zwischen Deutschland und England zustande brachte.

Die Begleitumstände, unter denen dieser Vertrag zustande kam, sind ebenso aufschlußreich für die politischen Probleme jener Jahre, wie sie bezeichnend sind für die Beurteilung der Person von Ribbentrops und seiner weiteren politischen Entwicklung. Dieser Vertrag – das ist eingeweihten Kreisen bekannt – kam zustande unter Ausschaltung der offiziellen deutschen Diplomatie. Der damalige Deutsche Botschafter in London, von Hösch, und die Wilhelmstraße [603] standen diesem Projekt mit größter Skepsis gegenüber. Beide, Hösch und die Wilhelmstraße, glaubten einmal nicht daran, daß England zu einem derartigen Vertrag, der gegen die Bestimmungen des Teiles V des Versailler Vertrags wie auch gegen seine bisherige Einstellung auf den verschiedenen Abrüstungskonferenzen verstieß, geneigt sei. Sie glaubten ferner nicht daran, daß ein derartiges Abkommen wenige Wochen, nachdem der Rat des Völkerbundes die Wiederherstellung der deutschen Wehrhoheit als Verstoß gegen deutsche Verpflichtungen festgestellt hatte und England, Frankreich und Italien in Stresa zusammengetreten waren, um diesem deutschen Schritt zu begegnen, zustande käme. Sie glaubten schon gar nicht daran, daß die Aushandlung eines in seiner grundsätzlichen Bedeutung derartig weitreichenden Vertrags einem Außenseiter wie Herrn von Ribbentrop gelingen würde.

Die Folgen dieses Vertragsabschlusses waren ebenso einleuchtend wie weittragend. Das Ansehen des aus der Partei hervorgegangenen Herrn von Ribbentrop bei Hitler stieg. Das Verhältnis Herrn von Ribbentrops zur konservativen Diplomatie wurde dafür zunehmend diffiziler. Man mißtraute diesem Titularbotschafter, der es verstanden hatte, sich Hitlers Vertrauen zu erwerben, ohne daß man seine Tätigkeit vom Auswärtigen Amt aus kontrollieren konnte.

Hitler begann seit dem Abschluß des Flottenvertrags in Herrn von Ribbentrop den Mann zu sehen, der ihm bei Erreichung seines – und man darf wohl sagen des deutschen Volkes – Lieblingswunsches entscheidend behilflich sein könnte, nämlich dem Zustandebringen eines allgemeinen politischen Bündnisses mit England. Die Neigung zur Verwirklichung dieser Absichten entsprang sowohl realen wie idealen Beweggründen.

Die realen lassen sich in der kurzen Betrachtung zusammenfassen, daß es das Unglück unserer Nation und ganz Europas ist, daß Deutschland und England nie imstande waren, sich gegenseitig zu verstehen, trotz ernster Versuche beider Länder während der letzten 50 Jahre.

Die idealen Beweggründe lagen in der unbestreitbaren Vorliebe Hitlers für manche bewährten innerstaatlichen Einrichtungen des Empire.

Politisch stellte der Flottenvertrag die erste wesentliche Durchbrechung der Politik von Versailles dar, die von England unter schließlicher Billigung Frankreichs sanktioniert wurde. Damit war zugleich die erste praktisch brauchbare Rüstungsbegrenzung nach vielen Jahren fruchtlosester Verhandlungen zustande gekommen.

Mit all diesen Faktoren war zugleich eine allgemein günstige politische Atmosphäre geschaffen worden. Der Flottenvertrag und seine Auswirkungen dürften wohl auch der Grund dafür gewesen [604] sein, daß nach dem Tode Höschs Hitler Herrn von Ribbentrop im folgenden Jahr zum Botschafter am Hof von St. James ernannte.

So überraschend schnell Herrn von Ribbentrop der Abschluß des Flottenvertrags gelungen war, so wenig Erfolg hatte er mit einem allgemeinen Bündnisangebot an England. War daran Herrn von Ribbentrops Diplomatie oder die Grundverschiedenheit der Interessenlagen schuld?

Wer die angelsächsische Psychologie kennt, weiß, daß es nicht ratsam ist, diese Menschen sofort mit Vorschlägen oder Anliegen zu überfallen. Mag man im ersten Augenblick gerade von deutscher Seite manches Gemeinsame mit den Engländern feststellen, so wird man doch bei näherem Umgang erkennen, daß tiefgehende Unterschiede vorhanden sind. Beide wurzeln in einem verschiedenen Boden.

Ihr geistiges Land wird von verschiedenen Flüssen gespeist. Je tiefer der Deutsche und der Engländer gehen, um so größer wird sich die Verschiedenheit ihres Glaubens und ihres Geistes erweisen. Je tiefer der Engländer und der Franzose in die Natur des anderen eindringt, um so mehr Gemeinsames wird er finden. Diese Gemeinsamkeiten zwischen Engländern und Franzosen sind während der letzten 50 Jahre noch durch politische Interessenverquickungen vertieft worden.

England hat im Laufe der neueren Geschichte jederzeit das Bedürfnis der Verbindung mit einer kontinentalen Militärmacht gehabt und die Befriedigung dieses Interesses, je nach dem Standpunkt der englischen Ziele, früher bald in Wien, bald in Berlin und von Beginn des 20. Jahrhunderts an in Paris gesucht und gefunden.

Englands Interessenlage gebot auch zur Zeit von Herrn Ribbentrops Botschaftertätigkeit kein Abgehen von dieser Linie. Dazu kam die grundsätzliche englische Einstellung, daß Großbritannien sich auf dem Kontinent nicht festzulegen wünschte. Man sah von der Themse aus die unter der Oberfläche des Kontinents schlummernden Komplikationen. Dazu kam, daß maßgebliche Männer im Foreign Office noch viel zu sehr in der Politik des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts dachten. Dieses Denken war nach wie vor auf Anlehnung an Frankreich abgestellt.

Die Stimmen derjenigen, die einen engeren Anschluß an Deutschland befürworteten, waren gering, ihr politisches Gewicht der Opposition unterlegen. Zu diesen Tatsachen kamen noch die Schwierigkeiten, die sich für Herrn von Ribbentrop aus Deutschlands Beteiligung am Nichteinmischungsausschuß ergaben, der damals in London zur Heraushaltung der Mächte aus dem spanischen Bürgerkrieg tagte.

Es ist von der Anklage die Frage angeschnitten worden, wie Herr von Ribbentrop das deutsch-englische Verhältnis bei seinem Abgang [605] als Botschafter aus London ansah. Die Antwort gibt uns am besten die Urkunde TC-75, die Herrn von Ribbentrops Ansichten über die damalige außenpolitische Lage Deutschlands und über die zukünftigen Gestaltungsmöglichkeiten der deutsch-englischen Beziehungen enthält.

Herr von Ribbentrop geht von der Voraussetzung aus, daß Deutschland sich an den Status quo in Mitteleuropa nicht binden will. Er ist der Überzeugung, daß die Durchführung derartiger außenpolitischer Ziele Deutschland und England zwangsläufig »in getrennte Lager führen wird«.

Für diesen Fall gibt er den Rat, eine zunächst lose Bündniskonstellation mit Mächten gleicher Interessenlage – Italien und Japan – anzustreben. Durch diese Politik hofft er einerseits, England an den Gefahrenpunkten seines Empires zu binden und die Möglichkeit zu einer Verständigung mit Deutschland doch noch offen zu lassen.

Herr von Ribbentrop geht dann auf die österreichische und die Sudetenfrage ein. Nach seiner damaligen Überzeugung wird England zu einer Modifizierung des Status quo in diesen beiden Fragen nicht seine Zustimmung geben, aber durch die Macht der Verhältnisse gezwungen werden können, eine Lösung dieser Fragen zu dulden.

Eine Änderung des Status quo im Osten wird dagegen durch die Berührung vitaler französischer Interessen stets England zum Gegner Deutschlands in einer derartigen Auseinandersetzung machen. Diese Auffassung hat Herr von Ribbentrop nicht nur im Jahre 1938, als diese Urkunde niedergeschrieben wurde, vertreten, sondern, entgegen den Behauptungen der Anklage, auch vor und bei Ausbruch des zweiten Weltkrieges Hitler diese Gefahr warnend vor Augen geführt.

Aus diesem Dokument geht ebenfalls einwandfrei hervor, daß Herr von Ribbentrop nicht, wie hier behauptet worden ist, Hitler die Engländer als ein degeneriertes Volk hingestellt hat, sondern er sagt in dieser Urkunde ganz klar, daß England ein harter und scharfer Gegner bei Verfolgung der deutschen Interessen im mitteleuropäischen Raum werden würde.

Diese Auffassung in TC-75 über Deutschlands damalige außenpolitische Lage müsse sich offenbar mit Hitlers Ansichten so weit gedeckt haben, daß im Zuge der Fritsch-Krise Herr von Ribbentrop das Außenministerium an Stelle des zurücktretenden Herrn von Neurath übernahm.

Nach Herrn von Ribbentrops Aussagen hat Hitler ihn bei Übernahme seines Amtes gebeten, ihn bei der Lösung von vier Problemen zu unterstützen. Es handelte sich um die österreichische, die sudetendeutsche, die Memel-, sowie die Danzig- und Korridorfrage. Wie die [606] Beweisaufnahme ergeben hat, war das keine geheimnisvolle Abrede, die durch die beiden Staatsmänner getroffen wurde.

Das Parteiprogramm enthält in Punkt 3 die Forderung nach Revision der Friedensverträge von 1919. Hitler hatte in einer Reihe von Reden immer wieder auf die Notwendigkeit der Erfüllung dieser deutschen Ansprüche hingewiesen. Reichsmarschall Göring hat hier ausgesagt, daß er im November 1937 die Notwendigkeit der Lösung dieser Fragen Lord Halifax auseinandergesetzt und gesagt hat, daß sie ein integrierender Bestandteil der deutschen Außenpolitik seien. Auch dem französischen Minister Bonnet hat er diese Ziele offen dargelegt. Herr von Ribbentrop lieh also hier seine grundsätzliche Unterstützung Zielen, die bekannt waren und die sich darüber hinaus zwangsläufig aus der damaligen Dynamik im mitteleuropäischen Raum durch Erstarkung des Reiches ergaben.

Wie weit Herrn von Ribbentrops Handlungsfreiheit oder Unfreiheit als Minister bei Lösung dieser Fragen ging, werde ich im Zusammenhang mit meinen Ausführungen über die dem Angeklagten zur Last gelegte Teilnahme an der Verschwörung darlegen. An dieser Stelle sei nur soviel gesagt, daß, wie die Beweisaufnahme ergeben hat, mit der Entlassung des Freiherrn von Neurath auch auf dem Gebiet der Außenpolitik die Vereinigung der entscheidenden Machtbefugnisse in der Hand Hitlers ihren Abschluß gefunden hatte. Herr von Neurath war der letzte Außenminister, der sich unter dem Regime des Nationalsozialismus zunächst als Außenminister eine entscheidende Mitwirkung an der Außenpolitik bewahrt hatte, die er allerdings mit Festigung der Macht des Regimes mit der Zeit mehr und mehr Hitlers Totalitätsstreben preisgeben mußte.

Mit Herrn von Ribbentrop wurde nun ein Mann Außenminister, den sich Hitler nach seinem eigenen Geschmack gewählt hatte.

Neben allen Formen des Staatsrechts und der Kompetenzen hat das Regieren ohne Zweifel eine starke Komponente in den rein persönlichen Beziehungen der Herrschenden untereinander. Von diesem Gesichtspunkt aus gesehen, ist es zum Verständnis bestimmter Handlungen und der Geschichte erforderlich, einen Blick auf das Verhältnis Hitlers zu Herrn von Ribbentrop zu werfen.

Herr von Ribbentrop als wohlsituierter Mann aus dem nationalen Lager sah in Hitler und seiner Partei Bestrebungen, die seinen Ansichten und seinem Fühlen entsprachen. Herrn von Ribbentrops Anschauungen über das von ihm bereiste Ausland erweckten Hitlers Interesse. Hitlers Persönlichkeit und politische Anschauungen ließen in Herrn von Ribbentrop eine Form der Gefolgschaftstreue groß werden, deren letzte Erklärungen man vielleicht in den Wirkungen der Suggestivkraft und der Hypnose finden kann.

Wir wollen uns nicht verhehlen, daß dieser Wirkung nicht nur Herr von Ribbentrop, sondern ungeheuer viele Menschen diesseits [607] und auch jenseits der Grenze zum Opfer gefallen sind. Was hier in diesem Saal unter den Formen des Rechts erfaßt werden soll, findet schließlich seine letzte Erklärung doch nur unter dem Gesichtspunkt der Massenwirkung und der Psychologie, um nicht von den pathologischen Formen dieser Phänomene zu sprechen. Diese Aufgabe soll den betreffenden Wissenschaften überlassen bleiben.

Als Anwalt – und nur als solcher habe ich das Beweisergebnis zu würdigen – darf ich mit Erlaubnis des Tribunals nach Klärung dieses Tatbestandes zunächst Herrn von Ribbentrops Rolle im Rahmen der angeblichen Verschwörung zur Planung von Angriffskriegen und Angriffshandlungen unter Bruch von Verträgen darlegen.

Als Herr von Ribbentrop von Hitler aufgefordert wurde, an der Besprechung mit dem österreichischen Bundeskanzler und dessen Außenminister am 12. und 13. Februar 1938 in Berchtesgaden teilzunehmen, war er noch nicht zehn Tage Außenminister. Das Beweisergebnis hat bestätigt, daß gerade die mit Österreich verbundenen Fragen eine ausschließliche Domäne Hitlers waren. Der damalige Botschafter von Papen berichtete direkt an das Staatsoberhaupt. Auf die Tätigkeit der Partei in Österreich, wie überhaupt im Südostraum, hatte Herr von Ribbentrop keinerlei Ein fluß. Mein Mandant behauptet, daß er über deren dortige Tätigkeit nur selten und nicht offiziell Kenntnis erhielt.

Der frühere österreichische Außenminister Dr. Guido Schmidt hat hier bekundet, daß Herr von Ribbentrop an der entscheidenden Berchtesgadener Besprechung zwischen Hitler und Schuschnigg nicht teilgenommen hat. Bei den übrigen Besprechungen hat er sich nicht in Hitlers damaligem Stil verhalten und auf den Zeugen einen nicht informierten Eindruck gemacht, den seine bisherige Tätigkeit in London und die soeben erst erfolgte Ernennung zum Außenminister mitbedingte.

Die Anklage hat aus diesem einwandfreien Verhalten Herrn von Ribbentrops den Schluß gezogen, daß es sich hierbei um ein zwischen Hitler und ihm verabredetes Manöver gehandelt habe. Sie sieht überhaupt grundsätzlich in Herrn von Ribbentrops Verhalten ein typisches Zeichen dessen, was sie als »double talk« charakterisiert. Müssen nicht die unbestreitbaren Daten und Fakten in der Person von Ribbentrops, der sich daraus ergebende Eindruck des Zeugen Schmidt, meine Darlegung über Herrn von Ribbentrops Ministerstellung, seine Nichtunterrichtung über die lange vorher angesetzten Planungen in Bezug auf Norwegen und Dänemark und andere einwandfrei erwiesene Tatsachen die Frage aufwerfen, ob Herr von Ribbentrop nicht doch ungleich weniger an außenpolitischen Entscheidungen beteiligt war, als von der Anklage behauptet wird?

An der Anschlußfrage hat er jedenfalls – das ergibt die Beweisaufnahme einwandfrei – keinen entscheidenden Anteil genommen. [608] Für ihn war Österreich ein durch St-Germain verstümmeltes, nach gesunden Grundsätzen kaum lebensfähiges Land, das einst in einem größeren Reich mit den Deutschen einen gemeinsamen Weg in der Geschichte zurückgelegt hatte. Nicht erst die Nationalsozialisten hatten den Anschlußgedanken in Österreich wachgerufen. Seit der großdeutsch und demokratisch eingestellten Revolution von 1848 hatte dieser Gedanke in dem deutschen Element der Habsburger Monarchie gekeimt. Nach Zerschlagung dieser Monarchie war er von der Sozialdemokratie aus ideologischen und realen Gründen weiterverfochten worden. Gerade sie sah im Weimarer Staat so etwas wie ihr Geisteskind. Die wirtschaftliche Notlage, die sich aus der Zerschlagung des Donauraumes als wirtschaftliche Einheit in der Nachkriegszeit ergab, nährte den Anschlußgedanken an das wirtschaftlich günstiger gelagerte Reich. Auf diesem Nährboden des Anschlußgedankens konnten die Nationalsozialisten weiterbauen. Als die Unterstützung Österreichs durch Italien durch Annäherung dieses Staates an das Reich auf Grund des Abessinienkon flikts wegfiel, waren die Voraussetzungen zum Anschluß jedenfalls gegeben. Die weiteren Gründe, die zum Anschluß und zu seiner Rechtfertigung beitrugen, wird mein Kollege Dr. Steinbauer eingehend darlegen.

Reichsmarschall Göring hat hier ausgesagt, daß der Anschluß in der engen Form, wie er im Wiedervereinigungsgesetz vom 13. März 1938 zum Ausdruck kam, das auch von Herrn von Ribbentrop unterzeichnet wurde, zunächst nicht einmal Hitlers Absichten entsprach, sondern von ihm durchgesetzt wurde.

Als weitere Vertragsverletzung der österreichischen Frage bezeichnet die Anklage die Verletzung des Artikels 80 des Versailler Vertrags und des entsprechenden Artikels des Vertrags von St-Germain, sowie die Verletzung des deutsch-österreichischen Vertrags vom 11. Juli 1936.


VORSITZENDER: Ich glaube, die Übersetzung kam durch, als hätten Sie gesagt »... daß der Anschluß... nicht einmal Hitlers Absichten entsprach, aber man erreichte ihn« – es hätte wohl heißen sollen: »von Göring selbst«.


DR. HORN: Jawohl, das ist vergessen worden, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Gut, fahren Sie fort.


DR. HORN: Man könnte als Rechtfertigungsgründe dieser Vertragsverletzungen anführen, daß schon die betreffenden Bestimmungen eine Verletzung des den Friedensverträgen zugrunde gelegten Selbstbestimmungsrechtes darstellten. Das Wahlergebnis nach dem Anschluß bestätigt jedenfalls eindeutig die damalige österreichische Einstellung.

Man könnte diese Vertragsverletzung ferner unter dem Gesichtspunkt der Clausula rebus sic stantibus rechtfertigen. Man könnte [609] sich auf die Erklärung des Unterstaatssekretärs Butler im Unterhaus beziehen, der nach dem Anschluß auf Anfrage feststellte, daß England keine Sondergarantie für die im Vertrag von St-Germain übernommene Unabhängigkeit Österreichs übernommen habe.

Diese rechtlichen Wertungen werden den Tatsachen kaum gerecht. Das positive Recht bleibt immer hinter dem Ideal der Gerechtigkeit zurück. Das ist nicht nur so im innerstaatlichen Recht, sondern auch im Völkerrecht. Lassen Verträge kein Ventil zu ihrer Änderung offen, so zeigt die Entwicklung, daß die Geschichte revolutionierend über sie hinweggeht, um sie auf einer neu zu schaffenden Grundlage wieder aufzubauen.

Ob die Beteiligung an einem solchen Vorgang rechtlich bewertet werden kann, muß füglich bestritten werden. Auf die allgemeinen Gesichtspunkte der Anpassung des Rechtes an die Gewalt der Tatsachen werde ich später noch zurückkommen.

Ein Engländer hat festgestellt: »Wir haben der hartnäckigen Tatsache ins Auge zu sehen, daß Zentraleuropa von einem nahezu gefestigten Block von 80 Millionen eines hochbegabten, hoch organisierten und im höchsten Maße selbstbewußten Volkes bewohnt wird. Die Mehrheit davon hat das starke und offensichtlich unausrottbare Bestreben, in einem einzigen Staat vereint zu werden.«

Der Anschluß Österreichs und die völkischen Theorien des Nationalsozialismus hatten diesen durch die Friedensverträge von 1919 künstlich aufgesplitterten Block in Bewegung gebracht. Den Auswirkungen des Anschlusses auf die benachbarten Staaten konnte sich kein aufmerksamer Beobachter entziehen.

Ich habe nicht die Absicht, die Zeit des Tribunals mit den Einzelheiten der nun einsetzenden Angliederungsbestrebungen der verschiedenen deutschen Volksgruppen der Nachbarländer in Anspruch zu nehmen. Die Tatsachen, die nun schon Geschichte geworden sind, sind ausführlich bekannt. Ich habe hier zu untersuchen, ob es sich bei diesem Geschehen um einen von einem einzelnen oder von einer Personengruppe vorgefaßten Plan handelt oder ob nicht vielmehr eine lange und künstlich aufgestaute Kraft mithalf, die Ziele zu verwirklichen, die Hitler Herrn von Ribbentrop bei dessen Amtsantritt als zu lösen bezeichnet hatte.

Der Anschluß Österreichs war für die Sudetendeutsche Partei das Signal, nunmehr auch ihrerseits den Anschluß zu forcieren.

Es ist Herrn von Ribbentrop von der Anklage vorgeworfen worden, daß er sich in seiner Eigenschaft als Außenminister mit dem Inszenieren von Schwierigkeiten unter dem Sudetendeutschen Henlein beschäftigt habe. Sie wirft ihm weiter vor, daß er die Sudetendeutsche Partei veranlaßt habe, statt in die Tschechoslowakische Regierung einzutreten, schrittweise ihre Forderungen auszudehnen und so eine Lösung der Gesamtfrage verhindert zu haben, [610] ohne daß dabei die Deutsche Regierung als Schrittmacher in Erscheinung trat.

Aus der von der Anklage vorgelegten Urkunde 3060-PS ergibt sich das Gegenteil. Zwar war auch Herrn von Ribbentrop bekannt, daß die Anschlußbestrebungen der Sudetendeutschen durch die Partei gefördert wurden. Er hatte auf diese Parteipolitik aber weder Einfluß noch eingehende Kenntnis von ihr. Auf Grund der Schwierigkeiten, die durch die Abtrennungsbestrebungen der Sudetendeutschen und durch ihre zum Teil unkontrollierbare Politik mit der Tschechischen Regierung entstanden waren, sah sich Herr von Ribbentrop veranlaßt, auf Verwirklichung der sudetendeutschen Ziele im Rahmen einer vertretbaren Politik Sorge zu tragen.


VORSITZENDER: Dr. Horn! Ich glaube, das dürfte ein günstiger Zeitpunkt sein, abzubrechen.


[Pause von 10 Minuten.]


DR. HORN: Durch das Münchener Abkommen trat zunächst eine vorübergehende Beruhigung der außenpolitischen Lage ein. Sie wurde erst wieder durch Hitlers, für Herrn von Ribbentrop in dieser weitgehenden Form völlig überraschenden Schritt des Besuches von Hacha in Berlin und die damit verbundenen Ereignisse kompliziert.

Wie Reichsmarschall Göring bekundet hat, hat Hitler entgegen allen Warnungen nach Lösung der Slowakei sich zur Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren entschlossen. Es dürfte auf Grund des vorhandenen Materials schwierig sein, die letzten Gründe für diesen Schritt Hitlers festzustellen. Nach Aussagen des Angeklagten Göring entsprangen sie der bei Hitler stets verfangenden Befürchtung, daß durch Verbindungen des tschechischen Offizierkorps mit Rußland eine nochmalige Komplizierung der Lage im Südostraum eintreten könne. Dieser und die daraus resultierenden strategischen und historischen Gründe dürften Hitler zu diesem auch für Herrn von Ribbentrop überraschenden Schritt vom 16. März 1939 veranlaßt haben.

Dieser Entschluß, der nur bei Hitlers zu überraschenden Entscheidungen neigenden Natur selbstverständlich ist, brachte eine völlige Veränderung der deutschen außenpolitischen Lage mit sich.

Herr von Ribbentrop hat damals Hitler die zu erwartende Reaktion der Westmächte, insbesondere Englands, auf diesen Schritt warnend vor Augen geführt.

Die Folgen zeigten sich auch sofort in der seit Oktober 1938 angeschnittenen Danzig- und Korridorfrage. Während bis dahin die Polen auf Grund der deutschen Politik seit 1934 und der Rückgabe des Olsagebietes an Polen die Verhandlungen über diese Frage nicht abgelehnt hatten, trat Ende März die Reaktion auf die [611] Protektoratserrichtung sofort in Erscheinung. England sah die Errichtung des Protektorats als einen Bruch des Münchener Abkommens an und leitete Konsultationen mit einer Reihe von Staaten ein. In der gleichen Zeit fuhr Minister Beck, statt nochmals nach Berlin zu kommen, nach London und kehrte von dort mit der Zusicherung zurück, daß England gegen jede Veränderung des Status quo im Osten eintreten würde. Diese Erklärung war auch im Unterhaus nach vorheriger Rücksprache mit der Französischen Regierung abgegeben worden. Am 26. März 1939 erschien der Polnische Botschafter Lipski in der Wilhelmstraße und erklärte Herrn von Ribbentrop, daß jede weitere Verfolgung der Revisionsabsichten gegenüber Polen – insbesondere soweit sie eine Rückkehr Danzigs zum Reich beträfen – Krieg bedeute.

Damit war die polnische Frage zu einer europäischen geworden. Herr von Ribbentrop erklärte damals dem Polnischen Botschafter, daß Deutschland sich mit dieser Entscheidung nicht begnügen könne.

Nur eine klare Rückgliederung Danzigs und eine exterritoriale Verbindung mit Ostpreußen könnten zu einer endgültigen Bereinigung führen.

Ich habe dem Gericht in Form eines Dokumentenbeweises einen Überblick über den nun einsetzenden Verlauf der polnischen Krise unterbreitet. Ich kann daher den tatsächlichen Ablauf der Ereignisse als bekannt unterstellen, auch soweit sie sich auf die Angliederung des Memellandes beziehen, das durch einen Vertrag mit Litauen zum Reich zurückkam. Ich beschränke mich, um die Zeit des Tribunals nicht unnötig in Anspruch zu nehmen, auf die Hervorhebung der Tatsachen, die geeignet sind, die Rolle Herrn von Ribbentrops zu klären.

Die Anklage wirft Herrn von Ribbentrop vor, daß er während der Sudetenkrise und während der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren, Polen durch Vorspiegelung freundschaftlicher Gefühle eingelullt habe. Zur Widerlegung dieser Behauptung darf ich darauf hinweisen, daß die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen seit der Einigung von 1934 gut und sogar freundschaftlich waren und daß diese Haltung selbstverständlich dadurch noch günstiger wurde, daß Polen den Erwerb des Olsagebietes der deutschen Außenpolitik verdankte. Es hatte daher alle Veranlassung, seinerseits freundschaftliche Gefühle gegenüber Deutschland zum Ausdruck zu bringen, ohne daß es dazu eines täuschenden Verhaltens Herrn von Ribbentrops bedurfte. Wie die Beweisaufnahme ergeben hat, hat Herr von Ribbentrop diese freundschaftliche Politik gegenüber Polen auch nach der Auflösung der Tschechoslowakei weiter verfolgt, da kein Grund vorlag, von dieser bisherigen Haltung abzuweichen.

[612] Die Anklage wirft Herrn von Ribbentrop weiter vor, daß er gewußt habe, daß Hitler bereits im Frühjahr 1939 entschlossen gewesen sei, gegen Polen Krieg zu führen und daß Danzig nur als Vorwand zu diesem Konflikt gedient habe. Sie schließt dies aus den Urkunden US-27 und US-30. Es handelt sich um die bekannten Ansprachen Hitlers vom 23. Mai und 22. August 1939. Ich darf zunächst darauf aufmerksam machen, daß Herr von Ribbentrop bei diesen für die Militärs bestimmten Besprechungen nicht anwesend war.

Es ist hier eingehend über eine Reihe von Schlüsseldokumenten gesprochen worden. Ich nenne nur die bekanntesten, wie zum Beispiel das Hoßbach-Dokument, die beiden Schmundt-Akte und die vorerwähnten Ansprachen. Eine ganze Reihe von Erklärungen über diese Dokumente sind Gegenstand der Beweisaufnahme geworden. Kenner Hitlers führten an, daß sie an ihm extravagante Ideen in Form von sich bisweilen wiederholenden überraschenden Vorträgen gewöhnt gewesen seien und sie in Anbetracht seiner Eigenart nicht ernst genommen hätten.

Man kann diesen Dokumenten auch eine ganze Reihe von Reden gegenüberstellen, in denen Hitler das Gegenteil behauptet hat. Man wird dagegen einwenden, daß Hitler dann eben jeweils einen bestimmten Zweck mit den Verlautbarungen verbunden habe. Das ist sicher zutreffend. Ebenso zutreffend ist aber, daß selbst die wenigen der zum Beweis des Angriffskrieges vorgelegten Schlüsseldokumente in sich selbst so viele Widersprüche hinsichtlich daraus hergeleiteter Angriffsabsichten enthalten, daß aus ihnen allenfalls ein retrospektiv urteilender Kritiker derartige Vorhaben erkennen kann. Der Inhalt dieser Dokumente wurde übrigens in Übereinstimmung mit den strengen Geheimhaltungsvorschriften nur denen bekannt, die an den Besprechungen teilnahmen.

So dürfte es zu erklären sein, daß Herr von Ribbentrop von ihnen erst hier im Gerichtssaal Kenntnis erhalten hat.

Die ihm von Hitler damals erteilten außenpolitischen Richtlinien erstreckten sich lediglich auf die Rückgliederung Danzigs und auf die Schaffung einer exterritorialen Straße durch den Korridor, um eine direkte Landverbindung mit Ostpreußen herzustellen. Diese Absichten hatte, wie sich das Gericht erinnern wird, Hitler Herrn von Ribbentrop bereits bei seiner Ernennung zum Außenminister als erstrebenswert bezeichnet. Diese Forderung war ebenso geschichtlich berechtigt, wie die Lösung durch die vorangehenden Anschlüsse deutsch besiedelter Gebiete auch in diesem Falle zwangsläufiger wurde. Das Statut der rein deutschen Stadt Danzig, das durch den Versailler Vertrag im Zuge der Errichtung eines polnischen Staates geschaffen worden war, hatte stets zu Reibungen zwischen Deutschland und Polen Anlaß gegeben. Polen hatte diese Lösung in [613] Versailles erreicht mit der Begründung, daß es einen Zugang zum Meer brauche. Aus den gleichen Gründen war der Korridor entgegen allen ethnologischen Bedürfnissen geschaffen worden. Schon Clemenceau hatte in einem Memorandum auf die Gefahrenquelle dieser künstlichen Schöpfung hingewiesen, insbesondere darauf, daß die in diesem Gebiet vereinten Völker durch lange Jahre bitterer Feindschaft getrennt gewesen seien. Es war unschwer vorauszusehen, daß als Folgen dieser Tatsache nicht nur laufend Beschwerden über polnische Verstöße gegen das Minderheitenabkommen den Völkerbund und den Internationalen Gerichtshof im Haag beschäftigten. Der gleichen Ursache entsprangen die im größten Stile durchgeführten Enteignungen deutschen Grundbesitzes bis zu einer Million Hektar und Ausweisungen von weit über einer Million Deutscher im Laufe von 20 Jahren. Nicht umsonst hatte daher Lord d'Abernon von dem Danzig-Korridor-Problem als dem Pulvermagazin Europas gesprochen. Wenn jetzt eine Lösung dieser Fragen unter Anerkennung des polnischen Anspruches auf Aufrechterhaltung eines Zugangs zum Meer angestrebt wurde, so war dieses Bestreben ebenso vernünftig wie historisch begründet.

Die Beweisaufnahme hat keinerlei Unterlagen dafür geliefert, daß es sich bei dieser Frage nur um einen Vorwand gehandelt habe, den Herr von Ribbentrop gekannt haben müsse. Sie hat keine Beweise geliefert, daß Herrn von Ribbentrop Ziele Hitlers bekannt gewesen seien, die weit über diese Forderungen hinausgingen. Ebensowenig ist bewiesen worden, daß Herr von Ribbentrop vor dem 1. September 1939 – wie ebenfalls von der Anklage behauptet wurde – alles getan habe, was er nur konnte, um die Aufrecht erhaltung des Friedens mit Polen zu vermeiden, obwohl er gewußt habe, daß Krieg mit Polen Großbritannien und Frankreich in den Konflikt hereinziehen würde. Die Anklage stützte sich bei dieser Behauptung auf das Dokument TC-73. Es handelt sich dabei um einen Bericht des Polnischen Botschafters in Berlin, Lipski, an seinen Außenminister. Das Dokument enthält überhaupt nichts, was diese Behauptung begründen könnte.

Ich glaube darüber hinaus nicht, daß Lipski nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme als besonders klassischer Zeuge gewertet werden kann. Ich darf daran erinnern, daß Lipski es war, der in dem entscheidenden Stadium der Verhandlungen vor Ausbruch des Krieges äußerte, daß er nicht die geringste Veranlassung habe, sich für Noten oder einen Vorschlag von der deutschen Seite zu interessieren. Er kenne die Lage in Deutschland genau nach dieser Zeit von fünfeinhalb Jahren als Gesandter. Er sei überzeugt davon, daß im Falle eines Krieges Unruhen in Deutschland ausbrächen und daß die polnische Armee siegreich nach Berlin marschieren würde.

[614] Nach der Aussage des Zeugen Dahlerus war es gerade Lipski, der bei den Schweden bei der entscheidenden Besprechung in der Polnischen Botschaft den Eindruck hervorrief, daß Polen jede Möglichkeit zu Verhandlungen sabotierte.

Gegen die obigen Behauptungen der Staatsanwaltschaft sprechen auch weitere Ergebnisse der Beweisaufnahme. So die Tatsache, daß Herr von Ribbentrop nach Kenntnis von der Unterzeichnung des englisch-polnischen Garantievertrags durch seine Intervention Hitler zur Zurücknahme des Marschbefehls für die Wehrmacht veranlaßte, weil nach seiner Auffassung durch einen Konflikt mit Polen die Westmächte mit hineingezogen würden. Diese Auffassung deckt sich auch mit den Schlußfolgerungen, die Herr von Ribbentrop aus der Beurteilung der europäischen Lage in der bereits behandelten Urkunde TC-75 vertreten hatte.

Der Gesandte Schmidt hat hier bekundet, daß Herr von Ribbentrop es war, der ihn am 25. August 1939 nach der Zusammenkunft Hitler-Henderson mit dem als TC-72/69 vorgelegten Verbal-Kommuniqué, das den Inhalt der Hitlerschen Vorschläge zusammenfaßte, zu Sir Nevile Henderson sandte. Herr von Ribbentrop verband damit die inständige Bitte, Hitlers Vorschlag sofort persönlich der Britischen Regierung ans Herz zu legen. Sir Nevile Henderson konnte laut englischem Blaubuch nicht umhin, diese und später unterbreitete Vorschläge als außerordentlich vernünftig und aufrichtig zu bezeichnen. Sie stellten auch nicht die üblichen Hitler-Vorschläge, sondern reine »Völkerbundsvorschläge« dar.

Wer die Verhandlungen der folgenden schicksalsschweren Tage studiert, wird nicht leugnen können, daß auf deutscher Seite alles geschah, um wenigstens Verhandlungen auf brauchbarer Grundlage in Gang zu bringen. Die Gegenseite hat es nicht dazu kommen lassen, weil man entschlossen war, diesmal zu handeln. Die guten Dienste Englands endeten mit Abbruch jeglicher Vermittlung, ohne daß Polen an den Verhandlungstisch gebracht werden konnte.

Es ist gegen Herrn von Ribbentrop der Vorwurf erhoben worden, daß er den Zweck der letzten entscheidenden Besprechungen mit dem Britischen Botschafter Henderson praktisch dadurch vereitelt habe, daß er die deutschen Vorschläge an Polen in einer jedem diplomatischen Brauch und jedem internationalen Takt widersprechenden Weise so schnell verlesen habe, daß Sir Nevile Henderson sie nicht habe verstehen und demzufolge auch nicht habe übermitteln können. Der Dolmetscher, Gesandter Schmidt, war bei dieser entscheidenden Unterredung zugegen. Er hat hier unter Eid ausgesagt, daß diese Behauptung nicht zutrifft. Man mag den Befehl Hitlers, das Memorandum nur der Substanz nach Sir Nevile Henderson bekanntzugeben, für unklug halten. Tatsache ist, daß Herr von Ribbentrop nicht nur den gesamten Inhalt dem Britischen [615] Botschafter in einem normalen Tempo verlas, sondern durch die Gegenwart des Dolmetschers auch Sir Nevile Henderson die Möglichkeit gab, von seinem vollen Inhalt Kenntnis zu nehmen und sich noch dazu Erläuterungen geben zu lassen. Im übrigen wurde es in der gleichen Nacht durch die Initiative des Reichsmarschalls Göring der Britischen Botschaft durch Diktat an Botschaftsrat Forbes mitgeteilt. Die Britische Regierung wäre also in der Lage gewesen, ihre angebotenen guten Dienste für die Aufnahme von Verhandlungen auf Grund positiver Vorschläge zur Verfügung zu stellen.

Man wird auf Grund dieser hier bekundeten Tatsachen füglich bezweifeln müssen, daß die Behauptung zutreffend ist, der Angeklagte habe alles getan, um den Frieden mit Polen zu vermeiden.

Ich habe zu Eingang meines Plädoyers betont, daß Rechtsbetrachtungen über den Angriffskrieg ohne Kenntnis der Voraussetzungen, die zu einem bewaffneten Konflikt führen, nicht möglich sind. Ehe ich zur rechtlichen Würdigung des Konflikts mit Polen übergehe, sei es mir gestattet, noch einige Ausführungen über die Ursachen, die zum Kriege führten, zu machen.

Die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen wird charakterisiert durch die gegenseitigen Reaktionen der befriedigten und unbefriedigten Mächte. Es scheint ein zwangsläufiges Gesetz nach großen kriegerischen Erschütterungen zu sein, daß die Siegerstaaten eine möglichst weitgehende Wiederherstellung des Vorkriegszustandes und -denkens anstreben, während die Besiegten gezwungen werden, durch neue Mittel und Methoden einen Ausweg aus den Folgen der Niederlage zu finden. So kam es nach den napoleonischen Kriegen zur Heiligen Allianz, die unter Metternichs Führung versuchte, unter dem Zeichen der Legitimität die Auswirkungen der Französischen Revolution zu ignorieren.

Was die Heilige Allianz nicht erreichte, gelang auch dem Völkerbund nicht. Geschaffen in einer Stimmung brennenden Glaubens an menschlichen Fortschritt, wurde er schnell in ein Werkzeug der saturierten Staaten umgewandelt. Jeder Versuch, den Völkerbund »zu stärken«, bedeutete ein neues Bollwerk zur Aufrechterhaltung des Status quo. Die Machtpolitik wurde unter den geschliffenen Diktionen juristischer Formen weiterbetrieben. Dazu nahm die Besessenheit von der »Sécurité« dem neu geschaffenen Körper bald jeden Hauch von Frische und Leben. Auf diese Weise konnte natürlich niemals eine Lösung der Probleme, die durch den Ausgang des ersten Weltkrieges geschaffen waren, gefunden werden. In den internationalen Beziehungen zeichnete sich immer mehr ein Zusammenschluß der Interessen konservativer Mächte ab, die sich mit dem Status quo zufrieden gaben, und der revolutionären Mächte, die versuchten, ihn zu beseitigen. Es konnte nur eine Frage der Zeit sein, wann unter diesen Bedingungen politisch die Initiative auf die [616] unbefriedigten Mächte überging. Die Bildung dieser Fronten hing einzig und allein von der Stärke des revolutionären Geistes ab, der sich im Gegensatz zur politischen Selbstgefälligkeit und Heimweh nach der Vergangenheit herauskristallisierte. Auf diesem Nährboden wuchsen die in vielen Programmpunkten obskuren, elastischen und manchmal zusammenhanglosen Doktrinen des Nationalsozialismus, Faschismus und Bolschewismus. Ihre Werbekraft lag nicht so sehr in ihren Programmen, sondern in der Tatsache, daß sie eingestandenermaßen etwas Neues zu bieten hatten und ihre Anhänger nicht aufforderten, ein politisches Ideal anzubeten, das in der Vergangenheit versagt hatte.

Die wirtschaftlichen Krisen der Nachkriegszeit, die Kontroversen über die Reparationen und die Ruhrbesetzung, die Unfähigkeit der demokratischen Regierungen, etwas für ihre in Not befindlichen Völker bei den anderen Demokratien zu erreichen, führte zwangsläufig dazu, die noch unerprobten Doktrinen auf die Probe zu stellen. Die praktischen Auswirkungen dieser Revolution, wie wir sie nach 1933 in Deutschland erlebten, konnten neben dem Sozialprogramm nur darin bestehen, die Friedensregelung von 1919 zu beseitigen, die ein klassisches Beispiel des Fehlschlags darstellt, den revolutionären Charakter einer Weltkrise zu verstehen. Diese Aufgaben waren für diese Revolution keine Rechtsfragen, sondern Doktrinen, genau so wie es für die saturierten Staaten schon längst zur Doktrin geworden war, den Status quo um jeden Preis – schließlich um den eines neuen Weltkrieges – aufrechtzuerhalten.

Nur wer sich diesen Tatsachen nicht verschließt, kann über die politischen Krisen des vergangenen Jahrzehnts urteilen.

Jede Revolution hat nur zwei Möglichkeiten, entweder sie stößt auf so geringen Widerstand, daß mit der Zeit konservative Tendenzen aufkommen und ein Amalgam mit der alten Ordnung zustande kommt, oder die Gegenkräfte sind so stark, daß schließlich die Revolution durch Überspitzung ihrer eigenen Mittel und Methoden zerbricht.

Den zweiten Weg ging der Nationalsozialismus, der so unblutig und mit zum Teil beachtlichen Neigungen zur Tradition begann. Aber auch er konnte geschichtlichen Eigengesetzlichkeiten nicht entgehen. Die Ziele waren zu weit gesteckt für eine Generation, die revolutionäre Essenz zu stark. Die Anfangserfolge verblüfften; sie machten aber auch kritiklos gegenüber Methoden und Zielen.

Der Prozeß des Zusammenschlusses aller größeren deutschen Gruppen im zentraleuropäischen Raum wäre höchstwahrscheinlich geglückt, wenn man zum Schluß – ich meine bei Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren und bei Verfolgung der Danzig-Korridorfrage – das revolutionäre Tempo und Methoden nicht auf [617] Grund früherer Erfolge übersteigert hätte. Kein nüchtern urteilender Mensch wird die Berechtigung zur Lösung der Danzig-Korridor-Frage in Abrede stellen, so heikel sie auch war.

Wenn die Anklage behauptet, daß in Wirklichkeit Danzig nur ein Vorwand gewesen sei, so ist das, vom Jahre 1939 aus gesehen, kaum zu beweisen. Sicher ist aber, daß es auf der Gegenseite um etwas anderes ging als um die Erhaltung des Status quo im Osten. Der Nationalsozialismus und mit ihm das erstarkte Deutsche Reich waren in den Augen der anderen eine derartige Gefahr geworden, daß man nach Prag fest entschlossen war, aus jedem weiteren Vorgehen Deutschlands, wo immer es auch erfolgen würde, einen »Test case« zu machen.

Ich habe schon gesagt, daß der revolutionäre Protest in Zentraleuropa in erster Linie wirtschaftliche Ursachen hatte, die in den Bedingungen von Versailles begründet waren, wo man Deutschland einen Frieden auferlegte, von dem man genau wußte, daß er in seinen wirtschaftlichen Bestimmungen nicht von dem Besiegten erfüllt werden konnte.


VORSITZENDER: Dr. Horn! Der Gerichtshof hält diesen Satz auf jeden Fall aus dem von mir schon angeführten Grunde für unzulässig.


DR. HORN: Ich wollte nicht den Versailler Vertrag, sein Zustandekommen, sondern nur gewisse notwendige Auswirkungen, die ja allgemeinkundige Tatsachen sind, unterstreichen. Ich bin auch bereits damit fertig, ich habe auf diesem Gebiet nichts weiter zu sagen.


VORSITZENDER: Fahren Sie fort, Dr. Horn.


DR. HORN: Es ist hier manches über das Schlagwort »Lebensraum« gesagt worden. Ich bin überzeugt, dieses Wort wäre nie zu einem politischen Programm geworden, wenn man Deutschland nach dem ersten Weltkrieg statt der wirtschaftlichen Abdrosselung die Möglichkeit gegeben hätte, wieder Anschluß an die Weltmächte zu finden. Durch die systematische Abschneidung von den Rohstoffbasen der Welt – alles unter dem Gesichtspunkt der »Sécurité« – nährte man einmal das Streben nach der Autarkie, dem unvermeidlichen Ausweg aus der Abschnürung von den Weltmärkten, und ließ zugleich mit zunehmender wirtschaftlicher Zwangslage den Schrei nach Lebensraum auf fruchtbaren Boden fallen.

So hat Stalin recht, wenn er sagt:

»Es wäre falsch zu denken, daß der zweite Weltkrieg zufällig oder als Folge von Fehlern dieser oder jener Staatsmänner entstanden ist, obwohl diese Fehler ohne Zweifel gemacht worden sind. In Wirklichkeit entstand der Krieg als ein unvermeidliches Ereignis der Entwicklung der internationalen [618] wirtschaftlichen und politischen Kräfte auf der Grundlage des modernen monopolitischen Kapitalismus2

Wie Professor Jahrreiss in seinen grundlegenden Ausführungen über die rechtliche und tatsächliche Bedeutung des Kellogg-Paktes bereits eingehend bewiesen hat, kann diesem Kriegsverhütungsprogramm die ihm von der Anklage beigelegte Bedeutung von der Verteidigung nicht zugebilligt werden3.

Wenn auch der Krieg vorher schon als internationales Verbrechen bezeichnet worden war, insbesondere auf der achten Völkerbundsversammlung von 1927, so war man sich doch bei den vorausgehenden Besprechungen, wie bereits durch dem Gericht vorliegende Urkunden bewiesen worden ist, darüber im klaren, daß es sich bei dieser Deklaration um kein Verbrechen in einem juristisch erfaßbaren Sinn handeln kann, sondern um den Ausdruck des Wunsches, Völkerkatastrophen vom Ausmaß des ersten Weltkrieges in Zukunft zu vermeiden. An der Völkerbundsresolution von 1927 waren übrigens die Vereinigten Staaten und Rußland nicht beteiligt.

Alle weiteren Kriegsächtungsabsichten, die in die Epoche zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg fallen, sind, wie der Herr britische Anklagevertreter in seinen bedeutsamen Ausführungen zugeben mußte, Entwürfe geblieben, weil die praktische Politik diesen moralischen Postulaten nicht folgen konnte.

Aus allen diesen Versuchen – und sie sind nicht wenig zahlreich – wird deutlich, daß die Problematik der Definition in der Schwierigkeit liegt, einen politischen, von einer Unzahl von Komponenten abhängigen Vorgang in einen rechtlichen Begriff zusammenzufassen, der alle vielgestaltigen Fälle der Praxis decken kann. Der Mißerfolg der Formulierung einer völkerrechtlich brauchbaren Definition führte dazu, statt der Herausarbeitung allgemeiner, in jedem Fall anwendbarer Merkmale, die Bestimmung des Angreifers der Entscheidung eines über den streitenden Parteien stehenden Organes zu überlassen. Die Frage der Definition des Angreifers wurde somit zur Frage »quis judicavit«, das heißt: »Wer bestimmt den Angreifer«. Aus dieser Entscheidung ergibt sich dann als erneute Schwierigkeit das Problem: Was geschieht gegen den Angreifer?

[619] Vor dem Versuch zu einer allgemeinen Regelung des Angriffsbegriffes und der Sanktionen gegen den Angreifer waren die politischen Bündnisse für die Verpflichtung der Parteien, zum Kriege zu schreiten, maßgebend. Um diese unbefriedigende, anarchische Situation zu bessern, ergriffen die Vereinigten Staaten in einer Reihe von Einzelverträgen unter dem Staatssekretär Bryan...

VORSITZENDER: Behandeln Sie nicht dieselben Fragen, die Dr. Jahrreiss schon behandelt hat?

DR. HORN: Herr Präsident! Ich habe mich bemüht, die Dinge, die Professor Jahrreiss dargelegt hat, auszulassen. Professor Jahrreiss hat seine Ausführungen hauptsächlich auf den Kellogg-Pakt beschränkt. Ich befasse mich nur mit den Fragen, die zu dem Rechtsgebiet des Angriffskrieges gehören.


VORSITZENDER: Ja, aber der Gerichtshof hat nur im Hinblick darauf, daß die anderen Verteidiger sich nicht mit derselben Rechtsfrage befassen würden, gestattet, daß sich ein zusätzlicher Anwalt mit den allgemeinen Rechtsfragen befassen kann. Natürlich verwenden Sie nicht die Worte von Dr. Jahrreiss. Das hätte ich auch gar nicht von Ihnen erwartet, aber Sie werfen die gleichen Fragen auf.


DR. HORN: Herr Präsident! Es wurde zunächst ursprünglich vereinbart – und wie der Professor Ihnen als Fachmann dartat –, daß jeder Anwalt berechtigt ist, eine andere Einstellung zu dem von ihm aufgerissenen Problem einzunehmen. Professor Jahrreiss hat sich hauptsächlich auf den Kellogg-Pakt und seine Folgen beschränkt. Ich persönlich habe hier Stellung zu nehmen zum Angriffskrieg, und wie der Herr Präsident letzthin hervorhob...


VORSITZENDER: Einen Augenblick! Die Folge hiervon wäre, daß der Gerichtshof 20 verschiedene Argumente über allgemeine Rechtsfragen zu hören bekäme, und die Verteidigung kann doch kaum annehmen, der Gerichtshof habe vor, 20 Argumente über allgemeine Rechtsfragen und dazu noch Dr. Jahrreiss anzuhören. Durch die Entscheidung, nur einen Anwalt zu hören, wurde einzig und allein der Zweck verfolgt, die allgemeine Rechtsfrage von nur einem einzigen Verteidiger behandelt zu sehen, so daß die anderen sie nicht aufgreifen sollten.


DR. HORN: Herr Präsident! Darf ich nochmals betonen...


VORSITZENDER: Einen Augenblick.


[Der Gerichtshof zieht sich zurück.]


DR. RUDOLF DIX, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SCHACHT: Euer Lordschaft! Darf ich das Tribunal bitten, eine ganz kurze Erklärung zu dem Problem entgegenzunehmen, das soeben das Tribunal beschäftigt hat und das von sehr genereller und grundsätzlicher Bedeutung für die meisten von uns Verteidigern ist.

[620] Ich darf daran erinnern, daß die Anregung und die Initiative, gewisse allgemeine Rechtsthemen herauszunehmen und durch Professor Jahrreiss vorauszubehandeln, seinerzeit von der Verteidigung ausgegangen ist, und zwar hatte diese Anregung das ausschließliche Motiv, dem mehrfach geäußerten Wunsch des Tribunals auf Abkürzung Rechnung zu tragen. Nun muß ich das Tribunal sehr bitten, uns davor zu schützen und zu bewahren, daß dieser von uns dem Tribunal seinerzeit unterbreitete und vom Tribunal angenommene Vorschlag nicht zu unserer eigenen Fallgrube wird, indem man nämlich einen Beschluß, der gefaßt worden ist, allzu streng auslegt. Ich habe den Beschluß nicht vor mir, ich habe auch nicht die Absicht, über ihn zu sprechen. Ich möchte nur das eine sagen, Jahrreiss hat gesprochen und sollte sprechen nur über zwei wichtige Themen, allerdings sehr genereller Natur, das ist nämlich a) die individuelle Penalisierung des Angriffskrieges also: nulla poena sine lege, und b) die rechtliche Natur der Führerbefehle. Nur über diese beiden Probleme sollte er auftragsgemäß sprechen und hat er gesprochen. Nun hat ja aber dieses Verfahren noch eine ganze Reihe rechtlicher Probleme, welche genereller Natur sind und jeden Angeklagten mehr oder minder betreffen. Ich erinnere nur an die Auslegung der Conspiracy-Tatbestände, ich er innere an die verschiedenen Völkerrechtsfragen, die Geiselfrage, die Zwangsarbeiterfrage, die Seekriegsnotrechtsfrage und andere allgemeine Fragen. Es sind eine ganze Menge genereller Fragen und namentlich an erster Stelle das, worüber unser verehrter Kollege Horn soeben gestoppt worden ist, das ist die Frage: »Was ist ein Angriffskrieg?« Es gibt also die großen grundsätzlichen Unterschiede zwischen militärischem Angriffskrieg, politischem Angriffskrieg und juristischem Angriffskrieg, und so weiter, darüber hat Jahrreiss kein Wort gesprochen und sollte auch nicht sprechen. Und bitte... wollen Sie es mir nicht übel nehmen, aber ich habe ihn so verstanden; das ist überhaupt der Ausgangspunkt seiner ganzen Ausführungen.

Es liegt mir nicht zu rechten und mich auf einen Beschluß zu beziehen, sondern ich bitte das Tribunal, uns nicht in die kaum zu verantwortende Lage zu bringen, daß wir, um der Sache einen Dienst zu erweisen, um zu kürzen, einen Komplex Rechtsfragen dem Herrn Professor Jahrreiss delegiert haben, nun in eine Lage kommen, die wir gar nicht verantworten könnten, nämlich über gewisse Themen, die wir rechtlich als von ausschlaggebender Bedeutung für die angeklagten Herren betrachten, nun nicht sprechen können und über die Jahrreiss selbst gar nicht gesprochen hat.

Nur noch einen Satz. Es wäre doch auch möglich – ich glaube da auch Ihrer Zustimmung, meine Herren Richter, sicher zu sein –, daß man eine ganz gegenteilige Auffassung haben kann als die, die Professor Jahrreiss besprochen hat. Ich habe sie nicht, ich werde auch [621] Professor Jahrreiss nicht widersprechen, aber rein theoretisch betrachtet... Ja, sollte nun, weil in einer ganz wichtigen Sache der Vorausredner diese Frage behandelt hat, aber in einem Sinne, den vielleicht ein einzelner Verteidiger für absolut unmöglich, den von ihm vertretenen Interessen abträglich hält, soll er nun gezwungen sein, darüber zu schweigen? Das kann nicht die Absicht des Tribunals gewesen sein.

Der langen Rede kurzer Sinn:

Diese Rede Jahrreiss diente Abkürzungszwecken. Dabei soll es bleiben. Aber wir bitten – ich glaube, ich kann »wir« sagen, ich glaube, daß keiner der Herren anderer Auffassung ist – wir bitten, das nicht so formal auszulegen und uns, daß wenn jemand von uns mit guten Gründen sagt: »Das muß ich erörtern, das ist wesentlich aus den und den Gründen«, wenn Jahrreiss die Themen in einem Sinne behandelte, den wir nicht billigen, die Möglichkeit zu geben, das zu tun und nicht formal von vornherein einen Riegel vorzuschieben, wenn irgendeine allgemeine Rechtsfrage von den einzelnen Verteidigern angestimmt wird.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat über diese Angelegenheit beraten und ist sich natürlich der Schwierigkeiten völlig bewußt, die sich möglicherweise aus Meinungsverschiedenheiten über die Fragen, die von Dr. Jahrreiss behandelt worden sind, unter den Verteidigungsanwälten ergeben könnten. Der Gerichtshof hat dies auch erwartet, als er die Verfügung erließ, daß Dr. Jahrreiss über Rechtsfragen sprechen sollte, die sich aus der Anklageschrift und dem Statut ergeben und die für alle Angeklagten zutreffen. Nach dem Wortlaut der Verfügung sollte er sich mit allen Fragen beschäftigen, die alle Angeklagte gemeinsam betreffen würden, und falls keine Meinungsverschiedenheiten aufträten, wären die anderen Angeklagten bereit, seine Argumentation anzuerkennen. Der Gerichtshof ist aber der Ansicht, daß die Rechtsfragen in gewisser Hinsicht sehr verschieden und schwierig sind und daß als einzig mögliche Regel zu diesem Zeitpunkt festgelegt werden kann, daß seitens der Verteidigungsanwälte keine tatsächliche Wiederholung erfolgen darf. Der Gerichtshof nimmt an, daß die Verteidigung die Notwendigkeit einer solchen Regelung einsehen wird. Es kann nicht im Interesse einer Beschleunigung des Prozesses liegen, daß Argumente immer wieder von neuem vorgebracht werden, und der Gerichtshof möchte die Verteidiger darauf hinweisen, daß solche Wiederholungen allgemeiner Fragen nur dazu führen, die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs von der wirklichen Verteidigung der von ihnen vertretenen Klienten abzulenken. Der Gerichtshof hofft daher, daß die Verteidiger sich bemühen werden, in dieser Angelegenheit zusammenzuarbeiten und sich nur auf solche Rechtsfragen zu beschränken, die ihrer Meinung nach mit Recht dem Gerichtshof vorzutragen sind, [622] also Argumente, die von vorhergehenden Verteidigern, wie Dr. Jahrreiss oder anderen, dem Gerichtshof noch nicht unterbreitet worden sind.

Das ist alles, was ich im Augenblick zu sagen habe.

Da es bereits 17.00 Uhr ist, wird sich der Gerichtshof jetzt vertagen.


[Das Gericht vertagt sich bis

8. Juli 1946, 10.00 Uhr.]


1 Halévy.


2 Rede Stalins am Vorabend der Sowjet-Wahlen vom Februar 1946.


3 Herr Richter Jackson versucht, sich in diesem Zusammenhang auf Artikel 4 der Weimarer Verfassung von 1919 zu berufen. Danach gelten die allgemein an erkannten Regeln des Völkerrechts als bindende Bestandteile des deutschen Reichsrechts. Infolge der Unterschiede in der rechtlichen Wertung des Kellogg-Paktes durch die Großmächte kann man die Auslegung, die ihm die Anklage gibt, nicht als deutsches Reichsrecht ansehen.

Vgl. Reichsgerichtsentscheidungen in Zivilsachen Band 103, Seite 276.

Anschütz: »Die Verfassung des Deutschen Reiches«; 10, Auflage, Seite 58 ff.


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 17.
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