Nachmittagssitzung.

[114] [Der Angeklagte Sauckel im Zeugenstand.]


M. HERZOG: Herr Vorsitzender! Ich glaube, Herr Dodd hat dem Gerichtshof eine Erklärung abzugeben.

GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Ich teile mit, daß der Angeklagte Jodl der Sitzung nicht beiwohnen wird.


MR. DODD: Das Dokument 3057-PS, über das Herr Herzog den Angeklagten in der heutigen Vormittagssitzung befragt hat, war in dem Dokumentenbuch enthalten, das von den Vereinigten Staaten über das Zwangsarbeitsprogramm vorgelegt wurde. Es wurde jedoch nicht als Beweismittel vorgelegt. Ich fand die Verweisung darauf im Protokoll vom 13. Dezember 1945 (Band III, Seite 551).

Der Präsident des Gerichtshofs fragte insbesondere, warum wir das Dokument 3057-PS nicht verlesen haben; ich antwortete, daß wir die Absicht gehabt hatten, es vorzulegen; da aber Sauckels Verteidiger mir mitgeteilt hat, daß sein Mandant die Behauptung, wonach er zu der Erklärung gezwungen worden sei, aufrechterhält, haben wir vorgezogen, es nicht zu tun.


VORSITZENDER: Ich möchte bekanntgeben, daß der Gerichtshof die Sitzung heute nachmittag um 4.30 Uhr beenden wird, um eine geschlossene Sitzung abzuhalten.


SAUCKEL: Darf ich bitten, zu diesem Dokument eine Erläuterung abgeben zu dürfen.


M. HERZOG: Von welchem Dokument sprechen Sie?


SAUCKEL: Ich spreche von dem Brief des Herrn Feldmarschalls von Rundstedt. Es handelt sich bei diesem Dokument um einen Brief, der zwar an mich adressiert ist...


VORSITZENDER: Einen Augenblick, bitte, ich habe Sie keine Frage stellen hören. Hatten Sie eine Frage gestellt?


M. HERZOG: Doch, Herr Vorsitzender! Es ist das Dokument, das ich ihm vor der Vertagung der Vormittagssitzung vorgelegt habe und welches feststellt, daß der Beauftragte für die Werbung und den Arbeitseinsatz, also er selbst, verlangt hat, daß Truppenkommandos zu seiner Verfügung gestellt werden.


VORSITZENDER: Sie meinen F-815 – ja? Sehr gut.


M. HERZOG: Ja, es stimmt, Herr Vorsitzender.


[Zum Zeugen gewandt:]


Ich frage Sie: Erkennen Sie an, daß dieses Dokument feststellt, daß Sie Truppenkommandos angefordert haben?

SAUCKEL: Ich kann diese Frage deshalb nicht präzise beantworten, weil ich selbst diesen Brief nicht bekommen habe, sondern [114] er ist nach Paris an die dortige Dienststelle gegangen. Der Brief ist nicht von mir abgezeichnet. Aber ich möchte zur Erläuterung dabei ausdrücklich betonen, daß ich nicht Truppen angefordert habe, um Arbeiter auszuheben, sondern daß ich um Truppen gebeten habe, wenn in Gebieten die verwaltungsmäßige Durchführung auf Grund von Widerstandsbewegungen und dergleichen nicht möglich gewesen ist. Insofern ist in dem Brief des Herrn Generalfeldmarschalls von Rundstedt ein Irrtum enthalten. Ich habe aber diese Antwort nicht selbst erhalten. Sie ist abgezeichnet von der Dienststelle des Herrn Militärbefehlshabers in Paris.

M. HERZOG: Ich lege das Dokument F-824 vor, das ich dem Gerichtshof als RF-1515 überreiche. Dieses Dokument F-824 ist ein Brief des Oberbefehlshabers West aus seinem Hauptquartier vom 25. Juli 1944. Ich verlese:

»Daraus ist zu ersehen, daß auf Befehl des Führers unter Aufhebung entgegenstehender Anordnungen grundsätzlich die vom Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz...«

Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz, das sind doch Sie, nicht wahr?

»... und von Reichsminister Speer vorgebrachten Wünsche durchgeführt werden müssen. Im Anschluß an mein Fernschreiben gelten nunmehr auf Grund der Ministerbesprechung in der Reichskanzlei am 11. Juli, über die Ob. West durch den Militärbefehlshaber unterrichtet sein wird, folgende weitere Richtlinien:

Unter Zurückstellung berechtigter Bedenken hinsichtlich der Ruhe und Sicherheit im Innern des Landes muß die Erfassung überall dort einsetzen, wo die in meinem erwähnten Fernschreiben genannten Möglichkeiten sich anbieten. Als einzige Einschränkung hat der Führer bestimmt, daß unter der Bevölkerung im Kampfgebiet, solange sie sich hilfsbereit für die Deutsche Wehrmacht zeigt, keine Zwangsmaßnahmen getroffen werden. Dagegen ist eine Werbung von Freiwilligen aus Flüchtlingen der Kampfzone mit Nachdruck zu betreiben. Darüber hinaus ist jedes Mittel recht, um möglichst viele Arbeitskräfte anderweitig mit den der Wehrmacht gegebenen Möglichkeiten zu erfassen.«

Bestreiten Sie immer noch, daß auf Ihre und Reichsminister Speers Anforderung Truppenkommandos die Aushebung der Arbeitskräfte durchgeführt haben?

SAUCKEL: Ich darf hierzu bemerken, ich bestreite das in diesem Fall in der geschilderten Art hier in diesem Augenblick nicht. Es hat damals ja der Oberbefehlshaber unter dem Zwang der Kampfhandlungen und der Zurückführung der Bevölkerung gestanden. Ich kann aber bezeugen, daß nach dem Datum vom 25. Juli 1944 [115] diese Dinge gar nicht mehr wirksam geworden sind, weil der Rückzug der Deutschen in den Kampfhandlungen ein viel zu rascher gewesen ist, so daß diese Verfügung, die vom Führer getroffen worden ist, in keiner Weise mehr wirksam geworden ist.

M. HERZOG: Erinnern Sie sich an die Ministerbesprechung vom 11. Juli 1944, worauf sich das eben verlesene Dokument bezieht?


SAUCKEL: Daran erinnere ich mich.


M. HERZOG: Erinnern Sie sich an die bei dieser Besprechung anwesenden Persönlichkeiten?


SAUCKEL: Nicht an alle.


M. HERZOG: Ich lege Ihnen das Protokoll dieser Besprechung vor. Es ist das Dokument 3819-PS, welches dem Gerichtshof als...


VORSITZENDER: Der Gerichtshof bittet Sie, den letzten Absatz des Dokuments F-824 zu verlesen, es ist nicht der letzte des Dokuments, sondern der letzte Absatz der Seite, der mit »Afin« beginnt. Es ist auf Seite 346 der französischen Übersetzung.


M. HERZOG: Ich lese:

»Um die eingeleiteten Maßnahmen so wirksam wie möglich zu gestalten, ist ferner die Truppe allgemein über Notwendigkeit der Arbeitseinsatzorganisation zu belehren, um vielfach aufgetretene innere und äußere Widerstände zu beseitigen. Die Feldkommandanten und die Dienststellen der Militärverwaltung haben die Beauftragten des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz weitgehendst zu unterstützen und Eingriffe in deren weisungsmäßige Tätigkeit zu unterlassen.

Ich bitte nunmehr, die erforderlichen Anweisungen in diesem Sinne zu erteilen.«

Bestreiten Sie noch immer, daß die Armee auf Ihren Antrag hin an der Aushebung der Arbeitskräfte mitgewirkt hat?

VORSITZENDER: Auf der nächsten Seite ist noch ein Abschnitt in der Ergänzungsnote, Absatz 1.

M. HERZOG:

»Zusatz: Ob. West:

Ob. West hat am 23. Juli an Chef OKW daraufhin folgendes gemeldet:

1. Ich habe die Durchführung des Sauckel-Laval- Abkommens vom 12. Mai 1944 trotz Bedenken wegen innerer Sicherheit freigegeben.

2. Nähere Weisungen für die Durchführung der Maßnahmen gemäß OKW/WFST/Qu (Verw. 1) 2 West Nr. 05201/44 geh. vom 8. Juli 1944 in der Kampfzone werde ich erlassen.

[116] Der Oberbefehlshaber West, gezeichnet von Kluge, Generalfeldmarschall.

Weitere Befehle folgen. Für den Oberbefehlshaber West.

Der Chef des Generalstabs« usw.

Ich komme nun auf die Konferenz vom 11. Juli 1944 zurück. Ich lege dem Gerichtshof die Urkunde 3819-PS vor, welche bereits als GB-306 vorliegt. Der Gerichtshof wird sie im ersten Teil des Dokumentenbuches unter 3819-PS finden. Es handelt sich um den Sitzungsbericht der Ministerbesprechung, welche in Berlin am 11. Juli 1944 stattgefunden hat. Es war eine Zusammenkunft von Ministern, Partei- und Verwaltungschefs. Sie können auf Seite 6 der französischen Übersetzung die Liste der bei dieser Besprechung anwesenden Persönlichkeiten finden. Entsinnen Sie sich, welche unter den hier anwesenden Angeklagten daran teilgenommen haben? Erkennen Sie die Unterschrift des Angeklagten Funk? Die des Angeklagten Speer?

SAUCKEL: Ich habe sie noch nicht gefunden.

M. HERZOG: Haben Sie sie jetzt gefunden?


SAUCKEL: Ich habe Speers Unterschrift noch nicht gefunden.


M. HERZOG: Hat der Angeklagte Speer dieser Besprechung beigewohnt?


SAUCKEL: Ich kann es aus der Erinnerung nicht genau sagen, ich finde seinen Namen nicht.


M. HERZOG: Und haben Sie daran teilgenommen?


SAUCKEL: Ja, ich habe teilgenommen.


M. HERZOG: Erinnern Sie sich an die Vorschläge, die im Laufe dieser Konferenz General Warlimont im Namen des Generalstabs Ihnen gegenüber gemacht hat, und erinnern Sie sich an die Antwort, die Sie darauf gegeben haben?


SAUCKEL: Ich erinnere mich, daß ich dort mit General Warlimont gesprochen habe und daß ich dort geantwortet habe; auf den präzisen Text kann ich mich ohne Rückhalt nicht erinnern.


M. HERZOG: Gut, ich werde diesen Text verlesen. Er befindet sich auf Seite 10. Der Gerichtshof wird ihn unten auf Seite 10 finden.

»Der Vertreter des Chefs OKW, General Warlimont, nahm Bezug auf einen kürzlich ergangenen Führerbefehl, wonach alle deutschen Kräfte sich in den Dienst der Aufgabe der Gewinnung von Arbeitskräften zu stellen hätten. Wo die Wehrmacht stehe und nicht ausschließlich durch dringende militärische Aufgaben in Anspruch genommen sei (wie z.B. durch den Ausbau der Küstenverteidigung), stehe sie zur Verfügung, sie könne aber nicht eigens für die Zwecke des GBA [117] abgestellt werden. General Warlimont machte folgende praktische Vorschläge:

a) Die zur Bandenbekämpfung eingesetzten Truppen übernehmen zusätzlich die Aufgabe der Gewinnung von Arbeitskräften in den Bandengebieten...«


SAUCKEL: Darf ich bitten, wo steht das, ich habe diese Stelle nicht auf dieser Seite. Wollen Sie mir bitte die Seite zeigen?

M. HERZOG: Ich werde Ihnen diese Seite zeigen lassen. Zeigen Sie es auch dem Dolmetscher.


SAUCKEL: Ja, ich habe hier General Warlimont. Das lautet aber in der deutschen Übersetzung anders, als wie Sie es gelesen haben.


M. HERZOG: Es ist die dritte Seite des Textes. Haben Sie es gefunden?


SAUCKEL: Ja.


M. HERZOG: Ich kann also fortfahren:

»a) Die zur Bandenbekämpfung eingesetzten Truppen übernehmen zusätzlich die Aufgabe der Gewinnung von Arbeitskräften in den Bandenge bieten. Jeder, der nicht einwandfrei den Zweck seines Aufenthaltes in diesen Gebieten nachweisen kann, wird zwangsweise erfaßt.

b) Wenn Großstädte wegen der Schwierigkeit der Lebensmittelversorgung ganz oder teilweise evakuiert werden, wird die arbeitseinsatzfähige Bevölkerung unter Mithilfe der Wehrmacht zum Arbeitseinsatz gebracht.

c) Unter den Flüchtlingen aus frontnahen Gebieten wird die Erfassung zum Arbeitseinsatz unter Mithilfe der Wehrmacht besonders intensiv betrieben.

Gauleiter Sauckel nahm diese Vorschläge mit Dank an und äußerte die Erwartung, daß damit schon gewisse Erfolge erzielt werden könnten.«

Behaupten Sie noch, daß die Wehrmacht bei der Aushebung der Arbeiter nicht mitgewirkt hat?

SAUCKEL: Ich habe nicht widersprochen, daß in diesem Kampfgebiet und um eine Ordnung in den rückwärtigen Gebieten sicherzustellen, diese Maßnahmen vorgeschlagen worden sind. Sie sind aber nicht mehr durchgeführt worden.

M. HERZOG: Ich werde Ihnen ein Dokument vorlegen, das drei oder vier Tage nach dieser Ministerkonferenz abgefaßt wurde. Es ist ein Telegramm des Angeklagten Keitel, Dokument F-814. Ich lege es dem Gerichtshof als RF-1516 vor. Es handelt sich um ein Fernschreiben, welches von dem Angeklagten Keitel an alle Militärbefehlshaber gerichtet wurde. Ich mache Sie darauf aufmerksam, [118] daß dieses Fernschreiben den Eingangsstempel des Verwaltungsstabes des Militärbefehlshabers in Frankreich trägt. Es ist vom 15. Juli. Ich verlese...


VORSITZENDER: Herr Herzog! Einige dieser Dokumente haben kein Lesezeichen, und wir sind nicht in der Lage, diese zu finden, falls Sie uns nicht sagen, wo sie sich befinden.


M. HERZOG: Ich habe nur die Dokumente, die ich mehrfach benütze, mit einem Lesezeichen versehen, damit der Gerichtshof sie leichter findet. Sonst müßten die Dokumente so geordnet sein, wie ich sie der Reihe nach gebrauche. Das Dokument F-814 befindet sich demnach – sollte ich mich nicht irren – unmittelbar nach dem Dokument 3819-PS.


VORSITZENDER: Sie meinen 3819?


M. HERZOG: Nein, tatsächlich befindet sich dieses Dokument nach dem mit RF-15 bezeichneten Schriftstück. Es ist die vierte Urkunde nach F-814.


VORSITZENDER: Wir haben hier 815 nach RF-15. Wir haben hier F-815.


M. HERZOG: Nach 815 haben Sie F-823, dann kommt F-824 und dann F-814, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Ja, ja, jetzt sehe ich es.


M. HERZOG: Dieses Dokument enthält die Anordnungen, die Keitel bezüglich dieser Leiterbesprechung gegeben hat.

Ich lese den zweiten Absatz:

»Jetzige Lage erfordert Begehen jedes nur denkbaren Weges zur Beschaffung zusätzlicher Arbeitskräfte, da alle Rüstungsmaßnahmen in erster Linie der kämpfenden Truppe zugute kommen. Demgegenüber haben Besorgnisse vor inneren Unruhen, Anwachsen der Widerstandsbewegung und dergleichen zurückzutreten. Vielmehr ist dem Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz jede Hilfe und Unterstützung zu bieten. Ich verweise auf meine Richtlinien für die Mitwirkung der Wehrmacht bei der Aufbringung von Arbeitskräften aus Frankreich.«

Behaupten Sie immer noch, daß die Wehrmacht nicht zur Aushebung von Arbeitskräften eingesetzt worden ist?

SAUCKEL: Ich muß auch jetzt betonen, daß ich ja nicht widersprochen habe, daß ein derartiges Vorgehen vorgesehen und befohlen war. Ich habe das nicht bestritten; das möchte ich ausdrücklich betonen. Aber es ist nicht mehr in dem Maße zur Durchführung gekommen; das möchte ich auch betonen; dieses Telegramm geht ja nicht von mir aus.

[119] M. HERZOG: Stimmt es, daß die deutsche Polizei Maßnahmen zum Zwecke der Aushebung von Fremdarbeitern durchgeführt hat?


SAUCKEL: Inwieweit die Polizei im einzelnen Maßnahmen durchgeführt hat, ist mir nicht bekannt. Daß sie bisweilen welche durchgeführt hat, von sich selbst aus, das ist mir bekannt.


M. HERZOG: Aber stimmt es denn nicht, daß Sie Ihren Dienststellen empfohlen haben, sich mit den Chefs der Polizei, des SD und der SS in Verbindung zu setzen?


SAUCKEL: Ich habe SD und Polizei ja für eine ordnungsgemäße und berechtigte Einrichtung gehalten und mußte mich, wo irgendwelche Notwendigkeiten waren, an diese Dienststellen wenden.


M. HERZOG: Sie bestätigen also, daß Sie Ihren Dienststellen empfohlen haben, sich mit den Chefs der Polizei, des SD und der SS zwecks Ausführung der Ihnen übertragenen Aufgaben in Verbindung zu setzen?


SAUCKEL: Zur Unterstützung bei meinen Aufgaben, wo eine ordnungsgemäße Beteiligung oder Einsatz der Polizei verwaltungsmäßig notwendig gewesen war. Nicht zur Erfassung der Arbeiter selbst, sondern nur zur Behebung von Schwierigkeiten oder Verwal tungsstörungen.


M. HERZOG: Ich stelle Ihnen die Frage aufs neue und bitte Sie, mit Ja oder Nein zu antworten:

Haben Sie Ihren Dienststellen empfohlen, sich mit den Chefs der Polizei, des SD und der SS in Verbindung zu setzen?


SAUCKEL: Ich kann diese Frage nur mit einer Einschränkung mit Ja beantworten: dort, wo es gegebenenfalls notwendig war, eine Polizeistelle in Anspruch zu nehmen; nicht, um die Aufgabe selbst durchzuführen.


M. HERZOG: Stimmt es, daß die Führer der deutschen Polizei bei den Konferenzen anwesend waren, die Sie mit den französischen Behörden bezüglich der Aushebung von Arbeitskräften hatten?


SAUCKEL: Es sind zum Teil Vertreter des Höheren SS- und Polizeiführers mit anwesend gewesen, ebenso wie das von französischer Seite der Fall gewesen ist. Es war auf der französischen Seite der Innen- und Polizeiminister anwesend gewesen. Ich selbst habe das weder verlangt noch beantragt.


M. HERZOG: Aber Sie geben zu, daß Vertreter der deutschen Polizei diesen Konferenzen beigewohnt haben? Können Sie uns den Namen eines dieser Vertreter angeben? Kennen Sie den Standartenführer Knochen?


SAUCKEL: Der Herr Standartenführer Knochen war in Paris und ist bisweilen bei solchen Besprechungen anwesend gewesen.


[120] M. HERZOG: Stimmt es, daß die Führer der deutschen Polizei an den von den deutschen Behörden veranstalteten Besprechungen über Arbeiterprobleme teilnahmen?


SAUCKEL: Sie haben meiner Erinnerung nach an verschiedenen Besprechungen teilgenommen. Das geschah aber auf Antrag des Militärbefehlshabers. Unter dessen Leitung fanden die Sitzungen statt.


M. HERZOG: War bei der Konferenz vom 11. Juli 1944, von der wir soeben sprachen – Dokument 3819-PS –, ein Vertreter der Polizei anwesend?


SAUCKEL: Meinen Sie die Sitzung in Berlin?


M. HERZOG: Ja. Es ist die Sitzung in Berlin vom 11. Juli 1944.


SAUCKEL: Ich glaube, an der Besprechung hat Kaltenbrunner teilgenommen. Sie war ja von Reichsminister Lammers einberufen.


M. HERZOG: Haben Sie nie in Anwesenheit Hitlers von Himmler die Hilfe der SS für die Aushebungen von Arbeitskräften verlangt?


SAUCKEL: Bei einer Besprechung im Januar beim Führer ist der Reichsführer-SS Himmler anwesend gewesen. Ich habe bei dieser Besprechung nach meiner Erinnerung darauf hingewiesen, daß ich das für das Jahr 1944 vom Führer aufgestellte Programm nicht durchführen kann, wenn nicht in bestimmten Gebieten die Partisanengefahren und Hemmungen beseitigt werden. Das konnte nur durch die zuständigen Stellen erfolgen.


M. HERZOG: Sie bestätigen also, daß Sie den Reichsführer-SS gebeten haben, Ihnen seine Polizeikräfte zur Verfügung zu stellen?


SAUCKEL: Nein. Das ist so nicht richtig. Dem muß ich widersprechen; denn mir selbst oder meinen Dienststellen konnten keine Polizeikräfte zur Verfügung gestellt werden; vielmehr bat ich um Hilfe dort, wo von mir verlangt wurde, eine Verwaltungsaktion durchzuführen in Gebieten, in denen vorher eine Befriedung und Wiederherstellung der Ordnung notwendig war. Sonst war meine Aufgabe nicht durchführbar.


M. HERZOG: Ich werde Ihnen Dokument 1292-PS zeigen lassen. Dieses Dokument wurde dem Gerichtshof bereits als US-225 vorgelegt. Es ist das Protokoll der Sitzung beim Führer vom 4. Januar 1944. In meinem Dokumentenbuch ist dieses Schriftstück etwas weiter nach dem mit einem Lesezeichen bezeichneten Dokument zu finden, außerdem ist es selbst mit einem Etikett bezeichnet. Auf Seite 3 des französischen Textes, Seite 5 des deutschen Textes haben Sie erklärt:

»Ob dies gelinge, hänge aber im wesentlichen davon ab, welche deutschen Exekutivkräfte zur Verfügung gestellt [121] würden. Mit einheimischen Exekutivkräften sei eine Aktion nicht durchzuführen.«

Erinnern Sie sich an diese Erklärung?

SAUCKEL: Darf ich bitten, wo das steht? Ich habe es noch nicht gefunden; auf welcher Seite, deutsch?

M. HERZOG: Es muß auf Seite 5 des Textes sein, den man Ihnen überreicht hat.


SAUCKEL: Ja, das ist richtig. Das ist eine Darstellung, eine sehr gekürzte Darstellung, wahrscheinlich vom Herrn Reichsminister Dr. Lammers; aber ich muß ausdrücklich betonen, daß es nur so verstanden werden kann, daß ich in Gebieten, die damals sehr zahlreich waren, nur eine Arbeitsverwaltung durchführen konnte, wo durch Exekutivkräfte von mir die Ordnung wieder hergestellt worden ist. Insofern ist diese Notiz hier nicht vollkommen exakt.


M. HERZOG: Angeklagter Sauckel! Sie haben uns erst gestern erklärt, früher ein Arbeiter gewesen zu sein. Haben Sie wirklich jemals daran gedacht, daß Arbeiter mit Handschellen zur Arbeit geführt werden könnten?


SAUCKEL: Nein, daran habe ich niemals gedacht. Ich höre jetzt auch zum erstenmal, daß ich Arbeiter mit Handschellen zur Arbeit geführt haben soll oder derartiges veranlaßt haben soll. Das ist mir nicht erinnerlich und ist jedenfalls nie von mir angeordnet worden; das kann ich behaupten.


M. HERZOG: Am 30. August 1943 hielten Sie eine Rede in Paris vor den Arbeitseinsatzstäben, die Sie in Frankreich eingerichtet hatten. Ich lasse Ihnen das Dokument F-816, das ich heute früh dem Gerichtshof vorgelegt habe, überreichen, damit Sie es wieder ansehen. Ich bitte Sie, es zu lesen...

Ich glaube, Herr Vorsitzender, ich habe einen Irrtum begangen, ich habe es noch nicht vorgelegt. Ich lege es also jetzt als RF-1517 vor.


[Zum Zeugen gewandt:]


Wollen Sie sich bitte Seite 10 der Photokopie ansehen? Es ist Seite 38 der französischen Übersetzung, letzte Zeile:

»Die härteste Dienstverpflichtung, Polizeiaktion oder das Anlegen von Handschellen müssen wir mit der verbindlichsten Miene machen.«

Das haben Sie am 30. August 1943 vor den in Paris versammelten Arbeitseinsatzstäben gesagt.

SAUCKEL: Ich habe diese Stelle nicht gefunden. Ich bitte, sie mir vorzulegen.

M. HERZOG: Es ist auf Seite 10, etwa 14 Zeilen nach unten, auf Seite 10. Haben Sie es gefunden?


[122] SAUCKEL: Ja, ich habe das gefunden.


M. HERZOG: Und Sie nahmen also tatsächlich das Anlegen von Handschellen in Aussicht, um Arbeitskräfte auszuheben?


SAUCKEL: Es kann sich hier nur um eine Äußerung handeln bei flagrantem Widerstand gegen die Staatsgewalt oder gegen die Durchführung einer Verwaltungshandlung, und das erleben wir ja in der ganzen Welt, daß das nicht anders sein kann. Ich sagte hier nur, das soll in ordentlichem Maße und verbindlich gemacht werden. Ich habe das nicht als eine Regelung des Arbeitseinsatzes bezeichnet. Es kann gar nicht anders verstanden werden.


M. HERZOG: Und Sie haben das vor den Arbeitseinsatzstäben in Frankreich gesagt? Der Gerichtshof wird es entsprechend beurteilen.


SAUCKEL: Ja, das muß so verstanden werden, wenn ein flagranter Widerstand gegen eine durchführende Stelle vorliegt. Sonst ist das nie beabsichtigt worden.


M. HERZOG: Der Gerichtshof wird sich sein Urteil selbst bilden.

Angeklagter Sauckel! Haben Sie nie eine Sonderpolizei für die Aushebung der Arbeitskräfte geschaffen?


SAUCKEL: Nein. Ich habe keine Sonderpolizei geschaffen. Ich habe das gestern schon erklärt. Das war auf eigenen Vorschlag der französischen Verbände ein Schutz, den ich in einer Sitzung in übertriebener Weise als Polizei bezeichnet habe. Es war keine Polizei.


M. HERZOG: Haben Sie etwas von einem »Komitee für den sozialen Frieden« gehört?


SAUCKEL: Ja, das ist erörtert worden.


M. HERZOG: Haben Sie auch von einem Komitee der sogenannten »Liga für soziale Ordnung und Gerechtigkeit« gehört?


SAUCKEL: Jawohl.


M. HERZOG: Haben Sie nie Verordnungen entworfen oder Anweisungen erlassen, welche die Bildung dieser Komitees anordneten?


SAUCKEL: Es war ein Vorschlag; ja, das wurde erörtert; es ist im Frühjahr 1944 gewesen nach meiner Erinnerung.


M. HERZOG: Und Sie behaupten, daß Sie diese Komitees tatsächlich weder errichtet noch Anweisungen für deren Schaffung erlassen haben?


SAUCKEL: Ich habe ja gesagt, daß ich das getan habe.


M. HERZOG: Sie geben also zu, daß Sie Anweisungen für die Bildung dieser Sonderpolizeikräfte entworfen haben?


[123] SAUCKEL: Das geschah auf Grund der Besprechungen, die ich mit diesen französischen Verbänden hatte.


M. HERZOG: Sie haben es also getan?


SAUCKEL: Ja, im Einvernehmen mit diesen französischen Verbänden.


M. HERZOG: Gut.

Ich lege dem Gerichtshof das Dokument F-827 als RF-1518 vor. Es sind die Richtlinien des Angeklagten Sauckel über die Bildung dieser Sonderpolizeikorps. Das Dokument besteht aus mehreren Verordnungen, oder genauer gesagt, aus mehreren Durchführungsbestimmungen. Auf Seite 6 ist eine Anweisung des Angeklagten Sauckel vom 25. Januar 1944 zu finden.


VORSITZENDER: Wo ist es?


M. HERZOG: Es befindet sich in meinem Dokumentenbuch unmittelbar nach dem Dokument 1292, Seite 6.

Auf dieser Seite 6 finden wir die Anweisungen des Angeklagten Sauckel. Ich lese:

»Berlin, den 25. Januar 1944

Geheim!

Betrifft: Aufbau eines Schutzkorps für die Durchführung von Arbeitseinsatzaktionen in Frankreich und Belgien im Jahre 1944.

1.) An den

Militärbefehlshaber in Frankreich

Paris

An den

Militärbefehlshaber in Belgien und Nordfrankreich

Brüssel

Um die Durchführung der erforderlich werdenden Arbeitseinsatzaufgaben in Belgien und Frankreich, insbesondere den Deutschlandeinsatz zu sichern und die Exekutivmöglichkeiten zu verstärken, wird in Frankreich und Belgien ein Schutzkorps aufgestellt (Komitee für sozialen Frieden). Dieses Schutzkorps setzt sich aus einheimischen Kräften zusammen, die mit deutschen Polizeikräften durch setzt und von ihnen geführt werden. Das Schutzkorps für Frankreich wird rund 5000 Mann betragen müssen; für Belgien rund 1000 Mann. Für die Aufstellung des Schutzkorps und für die Durchführung ihrer Aufgaben gebe ich nachstehend die vorläufigen Richtlinien:

I. Auswahl der Schutzkorpsangehörigen:

Die Auswahl erfolgt im engsten Benehmen mit den zuständigen Polizei- und SD-Stellen, die insbesondere die [124] Zuverlässigkeit der Bewerber prüfen. Bei der Auswahl wird vorwiegend auf Angehörige von politischen Bewegungen, die für eine Zusammenarbeit mit Deutschland eingestellt sind, zurückzugreifen sein.

II. Organisation der Schutzkorps.

Für die Leitung der Schutzkorps werden in Paris und Brüssel Zentralstellen errichtet. Die Leiter dieser Stellen werden von mir« – das heißt von Ihnen, Angeklagter Sauckel – »bestimmt. Sie unterstehen meinen Beauftragten in Frankreich. In rein polizeilichen Fragen ist für die Führung des Schutzkorps der Höhere SS- und Polizeiführer zuständig. Die regionalen Gruppen des Schutzkorps unterstehen den Kommandos von deutschen Polizeikräften, die fachliche Richtlinien für die Mitwirkung an den Arbeitseinsatzaufgaben von den Feldkommandanturen und Werbestellen erhalten. Die polizeiliche Schulung wird von den deutschen Polizei- und SD-Stellen durchgeführt; die fachliche ar beitseinsatzmäßige Schulung, soweit erforderlich, von Sachbearbeitern der Feldkommandanturen und Werbestellen. Eine Uniformierung der Schutzkorpsangehörigen findet nicht statt. Sie werden dagegen mit einer Handfeuerwaffe ausgerüstet.

III. Durchführung der Aufgaben:

Die für eine Werbestelle beziehungsweise Feldkommandantur abgestellten Schutzkorpsangehörigen werden von dieser so eingesetzt, daß die Durchführung aller angeordneten Maßnahmen mit möglichster Sicherheit gewährleistet ist. So sind die zur Verfügung gestellten Kräfte zum Beispiel sofort zu unterrichten, wenn Vorladungen französischer Kräfte zu deutschen Dienststellen nicht Folge geleistet wird. Sie haben den Aufenthalt der Personen zu ermitteln und nach den Weisungen des deutschen Polizeiführers in Zusammenarbeit mit französischer und deutscher Polizei die Vorführung der betreffenden Personen zu veranlassen. Sie haben ferner die sofortige Fahndung nach Dienstpflichtverweigerern und Vertragsbrüchigen aufzunehmen. Im Interesse einer wirksamen Gestaltung der Exekutive wird es tunlich sein, daß sie laufend Listen von Vorgeladenen und Dienstverpflichteten erhalten, um sofort eingreifen zu können, wenn deutschen Weisungen nicht Folge geleistet wird. Es ist anzunehmen, daß bei einer derartigen Sofortexekutive, verbunden mit einer ausrei chenden Bestrafung und sofortigen Veröffentlichung von Strafen, eine bessere abschreckende Wirkung erreicht wird, als durch die bisher eingeleiteten nachträglichen Fahndungsaktionen. Die Schutzkorpsangehörigen haben ferner laufend ihre [125] Wahrnehmungen über besondere Erschwerungen der Anwerbung den deutschen Dienststellen bekanntzugeben.«

Und all das, Angeklagter, ist mit »Sauckel« unterschrieben.

Angeklagter! Behaupten Sie noch immer, daß Sie in Frankreich und Belgien keine besonderen Polizeitruppen aufstellen ließen?

SAUCKEL: Ich habe ja gestern schon meinem Rechtsanwalt gegenüber ausgesprochen, daß im Einvernehmen mit französischen Verbänden ein solches Schutzkorps aufgestellt worden ist, um auf der einen Seite den Schutz der Arbeitswilligen und auf der anderen Seite die Durchführung der Verwaltungsmaßnahmen zu ermöglichen. Ich habe darin, nachdem sich selbst Franzosen für diese Zusammenarbeit bereit erklärt haben, kein Hindernis gesehen, nichts, das in irgendeiner Weise unzulässig gewesen wäre.

Es sollte zur Erleichterung der landeseigenen Personen dienen.


M. HERZOG: Ich bitte Sie, meine Frage mit Ja oder Nein zu beantworten. Geben Sie zu, daß Sie diese Sonderpolizei gegründet haben?


SAUCKEL: Ich gebe zu, daß ich dieses Schutzkorps angeregt habe und daß es aufgestellt worden ist. In welchem Ausmaß, dazu kann ich nur sagen, daß es sehr gering gewesen ist.


M. HERZOG: Stimmt es, daß Sie Zwangsmaßnahmen in Bezug auf die sich dem Arbeitseinsatz widersetzenden Personen angeordnet oder durchgeführt haben?


SAUCKEL: Nicht ich selbst habe diese angeordnet, sondern die Französische Regierung hat sie angeordnet. Das ist richtig. Denn man muß ja in jedem besetzten Gebiet, das ist in der ganzen Welt so, der Besatzungsautorität irgendwie gerecht werden.


M. HERZOG: Stimmt es, daß Sie gegen Beamte, die zum Beispiel Ihre Aktion behinderten, die Todesstrafe gefordert haben?


SAUCKEL: Es ist richtig, daß ich bei einer Verhandlung mit dem französischen Ministerpräsidenten Laval für schwere Behinderungen die Einführung der Todesstrafe gefordert habe im Verhandlungswege.


M. HERZOG: Sie geben also zu, gefordert zu haben, gegen solche Beamte die Todesstrafe vorzusehen?


SAUCKEL: Ja, wenn schwere Sabotage vorlag, nach dem Kriegsgesetz.


M. HERZOG: Stimmt es, daß Ihre Aufgabe darin bestand, der deutschen Rüstungsindustrie die für sie notwendigen Arbeitskräfte zu besorgen?


SAUCKEL: Das war meine Aufgabe mit.


[126] M. HERZOG: Waren Sie insoweit für die Durchführung Ihres Auftrages dem Angeklagten Speer gegenüber, der Minister für Rüstung und Munition war, verantwortlich?


SAUCKEL: Ich war dem Vierjahresplan und dem Führer verantwortlich und hatte die Anweisung vom Führer, die Forderungen des Reichsministers zu erfüllen, soweit es irgend möglich war.


M. HERZOG: War der Angeklagte Speer mit den Maßnahmen, die Sie zwecks Beschaffung von Fremdarbeitern getroffen haben, einverstanden?


SAUCKEL: Er war auf jeden Fall einverstanden, oder er hat gefordert, daß ihm Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden. Über die Durchführung waren wir bisweilen durchaus nicht einig; so in der Frage der französischen Sperrbetriebe waren wir nicht einig.


M. HERZOG: Das werden wir später sehen. Ich bitte Sie, mir zu sagen, ob es Ihnen immer gelungen ist, den Anforderungen von Arbeitskräften, die von den verschiedenen Zweigen der deutschen Industrie an Sie gestellt wurden, gerecht zu werden?


SAUCKEL: Nein, das ist mir nicht immer gelungen.


M. HERZOG: Und wenn es Ihnen nicht gelang, mußten die von dem Angeklagten Speer an Sie gestellten Anforderungen mit Vorrang befriedigt werden?


SAUCKEL: Ja, sie mußten mit Vorrang befriedigt werden.


M. HERZOG: Hat es in diesem Zusammenhang keine Zwischenfälle gegeben? Ist es insbesondere nicht vorgekommen, daß Arbeitertransporte von ihrem ursprünglichen Bestimmungsort auf Anweisung des Angeklagten Speer abgezweigt wurden?


SAUCKEL: Es ist vorgekommen, daß gegen meine Anordnungen Arbeitertransporte in andere Gegenden oder andere Betriebe abgefangen oder verlagert worden sind. Ob das immer von Herrn Speer ausgegangen ist oder von einer Rüstungskommission oder von einer anderen Dienststelle, das weiß ich nicht; das wird verschieden gewesen sein.


M. HERZOG: In Ihrem Verhör haben Sie jedoch erklärt, daß die ursprüngliche Bestimmung der Arbeitertransporte manchmal abgeändert wurde, um die Forderungen von Speers Dienststellen zu erfüllen. Bestätigen Sie dies?


SAUCKEL: Ja, aber darunter verstehe ich etwas anderes; das geschah dann durch Benachrichtigung. Es hat also zweierlei Umänderungen oder Abwandlungen gegeben: Solche, die ich nicht erfuhr und solche, die auf Wunsch vereinbart wurden.


[127] M. HERZOG: Wollen Sie dem Gerichtshof erklären, was man unter dem »Rot-Zettel«-Verfahren verstand?


SAUCKEL: Unter dem »Rot-Zettel«-Verfahren verstand man Anforderungen von Arbeitern, meist Spezial- oder Facharbeitern, die allen anderen Anforderungen gegenüber vordringlich erfüllt werden mußten, weil sie notwendig waren.


M. HERZOG: Dieses »Rot-Zettel«-Verfahren bezog sich doch auf die Rüstungsindustrie, nicht wahr?


SAUCKEL: Das »Rot-Zettel«-Verfahren bezog sich auf die Rüstungsindustrie.


M. HERZOG: Und dieses Verfahren wurde im Einvernehmen zwischen dem Angeklagten Speer und Ihnen selbst eingerichtet, nicht wahr?


SAUCKEL: Das war ein Verfahren, das meines Erachtens schon in der Art der Dringlichkeit immer vorgesehen gewesen ist. Es hat verschiedene Abwandlungen davon gegeben, Listen oder Rot-Zettel. Ursprünglich waren es nur Listen, und dann sind Rot-Zettel dazu gekommen; das war angeordnet.


M. HERZOG: Sie geben also zu, daß Sie zusammen mit dem Angeklagten Speer dafür verantwortlich sind, Arbeiter durch diese verschiedenen Methoden gezwungen zu haben, in deutschen Betrieben für die Bedürfnisse des Krieges, den Deutschland gegen ihr eigenes Vaterland führte, zu arbeiten; nicht wahr?


SAUCKEL: Ich möchte ausdrücklich betonen, daß das Rot-Zettel-Verfahren sich nicht nur auf ausländische Arbeiter bezogen hat, sondern vor allen Dingen auch auf deutsche Arbeiter, auf deutsche Facharbeiter.


M. HERZOG: Aber es bezog sich auch auf die Fremdarbeiter?


SAUCKEL: Es bezog sich, soweit sie Spezialisten waren, und sich dafür bereit erklärten, auch auf Fremdarbeiter.


M. HERZOG: Wollen Sie dem Gerichtshof erklären, was die Sperrung der Betriebe zu bedeuten hatte?


SAUCKEL: Sperrung von Betrieben hat es gegeben, wenn in ihnen Produkte hergestellt worden sind, die nicht kriegswichtig waren, oder wenn es sich um Produktion von sogenannten Luxusindustrien handelte.


M. HERZOG: Ich glaube nicht, daß Sie meine Frage recht verstanden haben. Was waren zum Beispiel die S-Betriebe in Frankreich, die von Speer geschützten Betriebe?


SAUCKEL: Die Sperrbetriebe, bekannt als »S«-Betriebe, meinen Sie, Herr Ankläger?


M. HERZOG: Jawohl.


[128] SAUCKEL: Sperrbetriebe waren Betriebe, die für die Produktion Speers in Frankreich mit Minister Bichelonne vereinbart waren und gesperrt waren für die Arbeiterwerbung.


M. HERZOG: Haben Sie nicht einen starken Druck auf den Angeklagten Speer ausgeübt, um ihn dazu zu bewegen, auf die Sperrung der Betriebe zu verzichten?


SAUCKEL: Ich habe ihn darum gebeten und ihm nahegelegt – ich konnte es aber nicht durchsetzen –, auf diese Sperrbetriebe zu verzichten.


M. HERZOG: Haben Sie es nie Hitler vorgetragen und bei ihm darauf bestanden, daß der Angeklagte Speer auf seine Stellung verzichte?


SAUCKEL: Doch, ich habe bei Hitler darauf bestanden; ich habe aber nicht recht bekommen.


M. HERZOG: Haben Sie in diesem Zusammenhang beim Führer nicht verlangt, Ihre Befugnisse auf Kosten derjenigen des Angeklagten Speer zu erweitern?


SAUCKEL: Ich habe nicht die generelle Erweiterung meiner Befugnisse erbeten, sondern ich habe die Wiederherstellung des früheren Zustandes erbeten; denn – ich bitte das dem Hohen Gericht erläutern zu dürfen – ich sollte aus Frankreich Arbeiter nach Deutschland schaffen, und was die Abteilungen Speers von mir verlangt haben, das waren Facharbeiter. Facharbeiter gab es in den von Speer gesperrten Betrieben, und dieselben Betriebe in Deutschland standen sich natürlich schlechter, wenn sie anstatt französischer Facharbeiter französische Ungelernte oder diesem Beruf fremde Arbeiter bekommen haben. Es handelte sich also für mich in jedem Falle darum, Arbeiter zu vermitteln; aber ich habe es für die deutsche Wirtschaft für vernünftiger gehalten, die richtigen Arbeiter zu vermitteln und nicht Arbeiter, die berufsunkundig gewesen sind.


M. HERZOG: Ich bitte den Gerichtshof, das Dokument 3819-PS wieder zur Hand zu nehmen und sich den zweiten Teil anzusehen. Es enthält zwei von den Angeklagten Sauckel beziehungsweise Speer an Hitler gerichtete Schreiben, die die Sperrung von Betrieben betrafen. Ich verlese dem Gerichtshof zuerst Auszüge aus dem zweiten Brief, dem Brief Sauckels.

VORSITZENDER: Sind sie nicht beide schon verlesen worden?


M. HERZOG: Ich glaube, Herr Vorsitzender, daß diese Briefe schon vorgelesen wurden; ich möchte es nicht mit Bestimmtheit behaupten, aber ich glaube es. Das Dokument 3819-PS wurde dem Gerichtshof als GB-306 vorgelegt. Ich kann mich, wenn es dem Gerichtshof genehm ist, auf kurze Zitate beschränken.


[129] VORSITZENDER: Sie brauchen es zum Zweck der Befragung des Angeklagten nicht zu verlesen.


M. HERZOG: [zum Zeugen gewandt] In diesem Brief auf Seite 27 verlangten Sie ganz allgemein eine Blankovollmacht für den rationellen Einsatz der Arbeitskräfte. Geben Sie zu, solche Blankovollmachten vom Führer verlangt zu haben?


SAUCKEL: Ich habe diese Stelle nicht gefunden. Ich konnte niemals eine Blankovollmacht verlangen, sondern ich habe darum gebeten, daß ich wie vordem werben könne; aber ich finde diese Stelle nicht, die Sie zitieren.


M. HERZOG: Das muß auf Seite 27 sein.


SAUCKEL: Es heißt im deutschen Text weiter:

»Bei dieser Lage ist es unerläßlich, daß ich wieder freie Hand bekomme.«

Das heißt, wie ich sie vorher auch gehabt habe, vor diesen Sperrbetrieben. Das ist richtig, denn mir lag an einem vernünftigen Arbeitseinsatz.

M. HERZOG: Das will ich ja als Bestätigung von Ihnen hören. Haben Sie die Erweiterung Ihrer Vollmachten auf Kosten des Mitangeklagten Speer vom Führer verlangt? Bitte antworten Sie mit Ja oder Nein, falls Sie es können.

SAUCKEL: Ich habe nicht verstanden, erlangt oder verlangt?


M. HERZOG: Verlangt.


SAUCKEL: Verlangt habe ich das, denn das war ja nur zugunsten von Speer.


M. HERZOG: Haben Sie es verlangt?


SAUCKEL: Ja, ich habe das verlangt im Interesse meiner Aufgaben.


M. HERZOG: Und erinnern Sie sich nicht, daß bei anderen Gelegenheiten der Angeklagte Speer gebeten hat, seine Vollmachten auf Kosten der Ihrigen zu erweitern?


SAUCKEL: Ja, das dürfte auch vorgekommen sein.


M. HERZOG: Sie haben in Ihrem Verhör erklärt, daß die sehr engen Beziehungen, die sich zwischen Speer und Goebbels nach dem Fall von Stalingrad entwickelt haben, Speer dazu bewogen, ausdrücklich zu wünschen, daß Sie ihm unterstem würden. Können Sie diese Erklärung bestätigen?


SAUCKEL: Ja.


M. HERZOG: Stimmt es, daß in Ihrem allgemeinen Arbeitseinsatzprogramm die Benutzung von Kriegsgefangenen vorgesehen war?


[130] SAUCKEL: Die Benutzung von Kriegsgefangenen, soweit sie unter der Betreuung der Wehrmacht für Arbeit bereitgestellt werden sollten und konnten.


M. HERZOG: Erinnern Sie sich an die Anordnung, von der wir heute früh sprachen, Ihre Anordnung Nummer 10 über den Einsatz von Arbeitskräften, welche eine Rangordnung aufstellte und dem Rüstungsbedarf den Vorrang gab? War diese Verordnung auch auf die Kriegsgefangenen anwendbar?


SAUCKEL: Diese Verordnung war, wie ich gestern schon erläuterte, auf die Kriegsgefangenen nur im Wege der Umsetzung anwendbar und in dem Maße, wie es im gemeinsamen Merkblatt des OKW und von mir vorgesehen gewesen ist in einem Katalog der Arbeit.


M. HERZOG: Aber Ziffer 8 dieser Anordnung sieht einfach vor, daß sie auf die Kriegsgefangenen anwendbar ist.


SAUCKEL: Ja, unter der Maßgabe natürlich der anderweitig bestehenden Verordnungen; das war ja selbstverständlich.


M. HERZOG: Gestern haben wir von Inspektoraten gesprochen. Stimmt es, daß Sie im September 1943 mit Dr. Ley eine Vereinbarung getroffen haben, wonach ein Zentralinspektorat der Fremdarbeiter errichtet werden sollte?


SAUCKEL: Jawohl, zum Zwecke deren Betreuung.


M. HERZOG: Demnach geben Sie zu, für die Maßnahmen, die die Behandlung von Fremdarbeitern betreffen, verantwortlich zu sein?


SAUCKEL: Ich bin verantwortlich für die Anordnungen, die ich gegeben habe; die sind alle vorhanden.


M. HERZOG: Fühlen Sie sich für die Ernährung der Fremdarbeiter verantwortlich?


SAUCKEL: Ich fühle mich verantwortlich für die Anordnungen, die ich in Bezug auf die Ernährung der Fremdarbeiter gegeben habe. Die Verpflegung selbst war nicht Aufgabe und war nicht unter der Verantwortung der Arbeitsbehörden, sondern unter der Verantwortung der Betriebe oder der von den Betrieben beauftragten Lagerführer.

M. HERZOG: Ich lasse Ihnen das Dokument 025-PS vorlegen. Dieses Schriftstück ist dem Gerichtshof als US-698 vorgelegt worden. Sie haben es gestern schon in der Hand gehabt. Es handelt sich um einen Bericht über eine Sitzung beim Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, das sind Sie selbst, die am 3. September 1942 stattfand. Das Dokument selbst ist vom 4. September datiert.

[131] Herr Vorsitzender! Das Dokument befindet sich am Schluß meines Dokumentenbuches unmittelbar nach dem Dokument F-827, auf der letzten Seite der französischen Übersetzung. Ich verlese:


VORSITZENDER: Die letzte Seite ist bei mir F-857, das Dokument 857.

Es ist gerade gegenüber der PS-Nummer 2200. Haben Sie es? Es kommt unmittelbar nach 1913-PS.


M. HERZOG: Nach 1913-PS, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Jawohl.


M. HERZOG: Ich verlese:

»Der Führer könne es nicht verstehen, daß in dem Kampf um die Zukunft Europas gerade in demjenigen Lande am meisten gehungert werde, das die Hauptlast dieses Kampfes zu tragen habe, während in Frankreich...«


VORSITZENDER: Ist es auf Seite 1 oder 4?

M. HERZOG: Nein, Herr Vorsitzender, das ist Seite 4 des französischen Textes, also auf der letzten Seite:

»Der Führer könne es nicht verstehen, daß in dem Kampf um die Zukunft Europas gerade in demjenigen Lande am meisten gehungert werde, das die Hauptlast dieses Kampfes zu tragen habe, während in Frankreich, Holland, Ungarn, in der Ukraine oder sonstwo noch immer von Hunger nicht die Rede sein könne; er wünscht, daß dies in Zukunft umgekehrt sei. Was die im Reich lebenden ausländischen Arbeiter (ausschließlich der Ostarbeiter) anlangt, so soll bei diesen ein langsamer Abbau der Ernährung nach Leistung erfolgen; es geht nicht an, daß faule Holländer oder Italiener eine bessere Ernährung erhalten als ein fleißiger Ostarbeiter. Auch für die Ernährung müsse grundsätzlich der Leistungsgrundsatz Anwendung finden.«


[Zum Zeugen gewandt:]


Ich frage Sie, was Sie damit sagen wollten, daß »für die Ernährung grundsätzlich der Leistungsgrundsatz Anwendung finden müsse«?

SAUCKEL: Es gab im Reich eine Normalverpflegung; zu dieser Normalverpflegung gab es in den Betrieben Leistungszulagen; und ich habe dafür gekämpft, daß diese Leistungszulagen, die in reichem Maße den Arbeitern aus den Westgebieten gesichert waren, auch den Arbeitern aus den Ostgebieten zugute kommen müßten und daß dort, wo westliche Arbeiter, das heißt holländische und belgische Arbeiter, diese Leistungen nicht im gleichen Maße wie Ostarbeiter [132] einhielten, die zusätzliche Ernährung entsprechend abgebaut werden sollte, aber nicht die Normalverpflegung, die die deutsche Bevölkerung auch hatte.

M. HERZOG: Sie sind also der Meinung, daß, wenn die Leistung eines Arbeiters geringer als die eines anderen ist, seine Ernährung auch geringer sein muß. Muß ich das so verstehen?


SAUCKEL: Nein, das ist nicht exakt darunter zu verstehen. Ich möchte ausdrücklich nochmals erläutern: Es hat in Deutschland jeder Arbeiter sein vom Reichsernährungsminister festgesetztes Kontingent an Nahrungsmitteln erhalten. Dazu hat es außerdem Leistungszulagen gegeben, die zu Anfang den russischen Arbeitern nicht gewährt worden waren; und darum handelt es sich, nicht etwa um Hungern oder um Verkürzung der Lebensmittelrationen an sich, sondern der Leistungszulagen.


VORSITZENDER: Wir werden uns jetzt vertagen.


[Pause von 10 Minuten.]


GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Es wird gemeldet, daß der Angeklagte Raeder abwesend ist.

VORSITZENDER: Herr Herzog! Glauben Sie, daß Sie Ihr Kreuzverhör vor 4.30 Uhr heute abschließen können?


M. HERZOG: Jawohl, Herr Vorsitzender! Ich glaube sogar, daß ich imstande sein werde, mein Kreuzverhör vor dieser Zeit abzuschließen.


VORSITZENDER: Sehr gut.


M. HERZOG: Angeklagter Sauckel! Ich habe heute vormittag las Dokument F-810 unterbreitet. Das ist die Niederschrift der Tagung, welche Sie am 15. und 16. Juni 1944 auf der Wartburg mit den Präsidenten der Gauarbeitsämter abhielten. Entsinnen Sie sich dessen?


SAUCKEL: Ja, ich entsinne mich.


M. HERZOG: Erinnern Sie sich daran, ob die Frage der Arbeitsdisziplin, die den Arbeitern auferlegt werden sollte, bei dieser Besprechung erwähnt wurde?


SAUCKEL: Es ist möglich, daß diese Frage bei dieser Besprechung – es sind Besprechungen gewesen – behandelt worden ist. Ich kann mich nicht genau entsinnen. Ich habe nicht an all den Teilsitzungen und so weiter teilgenommen.


M. HERZOG: Ist Ihnen der Ministerialrat Dr. Sturm bekannt?


SAUCKEL: Ministerialrat Dr. Sturm kenne ich nicht persönlich.


M. HERZOG: Erinnern Sie sich an die Erklärungen, die Dr. Sturm auf der Tagung vom 15. und 16. Juli 1944 abgegeben hat?


[133] SAUCKEL: Ich kann mich an eine spezielle Erklärung des Dr. Sturm nicht erinnern.


M. HERZOG: Ich lasse Ihnen abermals das Protokoll dieser Konferenz überreichen.

Es ist das Dokument F-810, welches heute vormittag als RF-1507 vorgelegt wurde. Wollen Sie sich bitte Seite 25 des deutschen Textes ansehen. Es ist ebenfalls Seite 25 des französischen Textes. Dort finden Sie... Ich verlese die erste Zeile:

»Sturm berichtete aus seinem Sektor Arbeitsdisziplin (Strafrecht) wie folgt:«

Ich gehe zur nächsten Seite über, wo es lautet:

»Wir arbeiten mit Gestapo...«


VORSITZENDER: Wo befindet sich das?

M. HERZOG: Es ist das Dokument F-810, Herr Vorsitzender, es ist abgezeichnet.

VORSITZENDER: Es ist mir bekannt, daß es sich um das Dokument 806 handelt, aber ich dachte, daß Sie das darauffolgende meinen.


M. HERZOG: 810, Herr Vorsitzender, 810.


VORSITZENDER: Ich habe es jetzt.


M. HERZOG: Seite 25.


VORSITZENDER: Jawohl. Fahren Sie fort!


M. HERZOG: Mit Ihrer Erlaubnis werde ich noch einmal von Anfang an beginnen:

»Sturm berichtet aus seinem Sektor Arbeitsdisziplin (Strafrecht) wie folgt:«

Und auf der folgenden Seite:

»Wir arbeiten mit Gestapo und KZ und sind damit sicher auf dem richtigen Wege.«

Machten Sie irgendwelche Bemerkungen, als diese Erklärung abgegeben wurde?

SAUCKEL: Ich habe dieses Referat nicht selbst gehört. Es ist ein Fachreferat für arbeitsrechtliche Fragen gewesen, wie es am Anfang heißt, und ich sehe das Protokoll jetzt zum ersten Male in meinem Leben; es sind da verschiedene Parallelsitzungen gewesen zu gleicher Zeit.

Ich habe das selbst nicht gehört, aber es ist ja selbstverständlich, daß irgendwelche Regelungen von Strafmaßnahmen getroffen wurden wie in jedem Arbeitsrecht.

[134] Ich darf noch folgendes verlesen, aus demselben Dokument, zu Anfang:

»Arbeitseinsatz und lohnordnende Maßnahmen sind nur möglich auf Grund einer gesunden Arbeitsmoral: Die zur Sicherung der Arbeitsmoral eingeführten Vorschriften disziplinarer und strafrechtlicher Art bedürfen einer einheitlichen Handhabung, deren Einzelheiten auf einer demnächstigen Tagung der Strafrechtsbearbeiter erörtert werden sollen.«

Das ist also keine Dienststelle von mir.

M. HERZOG: Ich habe Sie gefragt, was Sie über die Erklärung dachten?

SAUCKEL: Ich darf noch im Anschluß an die Erklärung von Dr. Sturm weiterlesen, und zwar schließt die erste Seite...


M. HERZOG: Wollen Sie bitte meine Frage zuerst beantworten? Was denken Sie von dieser Erklärung?


SAUCKEL: Ich habe ja schon geantwortet.


M. HERZOG: Bitte antworten Sie auf meine Frage: Was denken Sie von dieser Erklärung?


SAUCKEL: Ich habe diese Erklärung nicht gekannt, da Sturm, wie ich glaube, von irgendeiner anderen Behörde kam; ich weiß nicht, gehörte er dem Reichs arbeitsministerium selbst an oder einer anderen Behörde; das kann ich von mir aus nicht sagen. Ich habe diese Ausführungen nicht gehört...


VORSITZENDER: Beachten Sie doch das Licht. Sehen Sie denn nicht das Aufleuchten der Lampe vor Ihnen?


M. HERZOG: Erinnern Sie sich nicht an die zwischen Ihnen und dem Chef der Polizei und der SS getroffene Vereinbarung, jene Arbeiter, die ihren Arbeitsplatz eigenmächtig verließen, der Gestapo auszuliefern?


SAUCKEL: Ja, es mußte ja eine Stelle in Deutschland geben, die Arbeiter, die unrechtmäßig sich entfernt haben und abgängig waren, wieder zu fassen. Es konnte dies keine andere Stelle machen wie die Polizei, es gab ja nichts anderes. Ich bitte noch im Anschluß an dieses Dokument auf der ersten Seite weiterlesen zu dürfen:

»Im übrigen ist die Zahl der verhängten behördlichen Strafen unter den deutschen Gefolgschaftsmitgliedern, wie Verwarnung, Geldstrafen, KZ und gerichtliche Strafen relativ ganz erstaunlich gering. Die unter Beteiligung der Staatsanwaltschaft verhängten Strafen betragen durchschnittlich 0,1 bis 0,2 von 1000 Beschäftigten.«


M. HERZOG: Was hat das mit der Ihnen von mir gestellten Frage zu tun, das heißt mit der Frage Ihrer Beziehungen zur Gestapo und dem KZ.

[135] SAUCKEL: Ja, es gab ja keine andere Stelle außer der Polizei, um eine Verhaftung vorzunehmen, soweit sie notwendig und gerichtlich, gesetzmäßig berechtigt war.


M. HERZOG: Sie geben also zu, daß die Gestapo mit Ihrer Zustimmung Verhaftungen von Arbeitern, die der Verletzung der sogenannten Arbeitsverträge beschuldigt waren, vornahm und sie in Konzentrationslager steckte?


SAUCKEL: Nicht in die Konzentrationslager, sondern in den Gewahrsam, den sie vorgesehen hatte. Es wurden ja da Strafen verhängt nach den bestimmten Vorschriften. Etwas anderes ist von mir nicht vereinbart worden.


M. HERZOG: Ich lege nunmehr das Dokument 2200-PS als RF-1519 vor. Es handelt sich um einen Runderlaß der Geheimen Staatspolizei an alle Kreispolizeibehörden in den Regierungsbezirken Köln und Aachen. Er betrifft die Bekämpfung des Arbeitsvertragsbruchs ausländischer Arbeitskräfte.

Herr Vorsitzender! Es ist das viertletzte Dokument in meiner Dokumentenmappe. Ich zitiere:

»Die hohe Zahl der Arbeitsvertragsbrüche ausländischer Arbeitskräfte... wirkt sich nachhaltig auf die Sicherungslage des Reiches aus... Es besteht stets die Gefahr, daß es sich bei derartigen Fällen um ausgesprochene Sabotagehandlungen handelt... hat der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei mit dem Herrn Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz die Vereinbarung getroffen, daß sämtliche Anzeigen gegen ausländische Arbeitskräfte wegen Arbeitsvertragsbruch von der Geheimen Staatspolizei bearbeitet werden.

Die Kreispolizeibehörden haben derartige Vorgänge zu prüfen und werden von mir ermächtigt, in allen leichteren Fällen des Arbeitsvertragsbruchs gegen die Beschuldigten im Auftrage der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeistelle Köln, eine Warnung auszusprechen und Erziehungshaft bis zu drei Tagen anzuordnen... Die Richtlinien über die den einzelnen Gruppen von ausländischen Arbeitern gegenüber einzunehmende Haltung sind zu beachten.

Wenn schwerere Fälle des Arbeitsvertragsbruchs zur Anzeige kommen, sind die Anzeigen mit Vernehmungsniederschriften und dem Ermittlungsergebnis von den Kreispolizeibehörden der zuständigen Dienststelle der Geheimen Staatspolizei (Köln, Aachen oder Bonn) zur Entscheidung vorzulegen. Von der Geheimen Staatspolizei wird nach Prüfung des Sachverhalts die erforderliche Maßnahme (Schutzhaft, Unterbringung in einem Arbeitserziehungslager oder Konzentrationslager) angeordnet werden.«

[136] Bestreiten Sie noch immer, daß Fabrikarbeiter mit Ihrer Zustimmung einerseits der Gestapo übergeben und andererseits in Konzentrationslager gesteckt wurden?

SAUCKEL: Ich habe das nicht bestritten; aber es geschah dies ja nur, wie dies im ersten Absatz heißt, wenn die Bevölkerung durch Straftaten beunruhigt worden ist, also bei schweren Fällen oder bei Arbeitsvertragsbrüchen. Es gab ja keine andere Stelle, Fahndungen vorzunehmen, als die Polizei, und ich finde dieses Verfahren absolut korrekt.

M. HERZOG: Sie halten also die Auslieferung von Arbeitern an die Gestapo und ihre Überführung in Konzentrationslager für korrekt? Ich nehme Ihre Antwort zur Kenntnis.


SAUCKEL: Nur in schweren Straffällen, heißt es, in schweren Straffällen. Das war die Forderung, die mir auferlegt war.


M. HERZOG: Zu welchem Zeitpunkt erhielten Sie von den Greueltaten in den Konzentrationslagern Kenntnis?


SAUCKEL: Ich kann mit bestem Gewissen sagen, daß ich Kenntnis von Grausamkeiten in den Konzentrationslagern erst hier bekommen habe nach dem Zusammenbruch.

M. HERZOG: Trifft das Ihrer Meinung nach auch auf die anderen führenden Persönlichkeiten des Hitler-Regimes zu?


SAUCKEL: Das kann ich für andere nicht sagen. Ich selbst habe von solchen Maßnahmen, wie ich sie selbst im höchsten Maße verabscheue und hier kennengelernt habe, keine Kenntnis gehabt.


M. HERZOG: Glauben Sie, daß zum Beispiel der Reichsführer-SS Himmler von den in den Konzentrationslagern begangenen Greueltaten Kenntnis gehabt hat?


SAUCKEL: Ich kann nicht sagen, ob der Reichsführer-SS sie kannte, ob er selbst sie veranlaßt hat; denn ich habe in meinem Leben nur sehr wenig, fast gar nicht mit dem Reichsführer-SS gesprochen, weil wir sehr erhebliche persönliche Spannungen hatten.


M. HERZOG: Sie haben während des gestern von Ihrem Verteidiger vorgenommenen Verhörs erklärt, daß Sie einmal das Konzentrationslager Buchenwald besucht haben. Ist das richtig?


SAUCKEL: Ja, im Jahre 1937 oder 1938, das kann ich aus der Erinnerung nicht mehr genau sagen.


M. HERZOG: Sie erklärten, diesen Besuch in Begleitung einer italienischen Mission gemacht zu haben, stimmt das?


SAUCKEL: Ja, das stimmt.


M. HERZOG: Ist Ihnen bekannt, daß ein offizielles Photoalbum des Konzentrationslagers Buchenwald vorhanden ist?


[137] SAUCKEL: Das weiß ich nicht.


M. HERZOG: Ich lege dieses Album dem Gerichtshof als RF-1520 vor. Es trägt die Nummer D-565. Es handelt sich um ein Dokument der Britischen Delegation.

Erkennen Sie sich auf diesen Photos?


SAUCKEL: Ja, auf diesem Bild erkenne ich mich.


M. HERZOG: Mit wem sind Sie da abgebildet?


SAUCKEL: Das ist der Reichsführer-SS.


M. HERZOG: Himmler?


SAUCKEL: Himmler, jawohl.


M. HERZOG: Danke. Und Sie als Gauleiter und Reichsstatthalter von Thüringen behaupten, das Konzentrationslager Buchenwald in Begleitung des Reichsführers-SS und, ich betone, in Begleitung des Lagerleiters besucht zu haben, ohne von den Vorgängen im Lager selbst Kenntnis gehabt zu haben?

SAUCKEL: Ich kann nicht sagen, wann dieses Bild aufgenommen worden ist, und ob das innerhalb des Lagers selbst war. Ich war einmal mit dem Reichsführer-SS außerhalb des Lagers; da war noch ein großer Komplex gewesen; aber innerhalb des Lagers mit dem Reichsführer selbst bin ich nicht gewesen. Da bin ich nur einmal gewesen mit einer italienischen Kommission. Das Bild hier hat keinen Bezug auf eine Besichtigung, hier steht eine Gruppe angetreten, ich kann mich nicht mehr genau auf den Anlaß besinnen.


M. HERZOG: Überlassen wir es dem Gerichtshof, darüber zu entscheiden. Ich lege dem Gerichtshof als Beweisstück RF-1521 die Herkunftsbescheinigung für dieses Album vor.

Im Oktober 1945 wurden Sie über die Ausschließung der Juden aus der Industrie verhört. Sie sagten damals:

»Ich habe niemals etwas damit zu tun gehabt. Mit der Ausschließung der Juden aus der Industrie habe ich niemals etwas zu tun gehabt. Auf diese Angelegenheit hatte ich keinen Einfluß. Sie war mir ein Geheimnis.«


SAUCKEL: Das ist vollkommen richtig. Ich habe nicht gesagt, daß das für mich ein Geheimnis war, die Ausschließung aus der Industrie. Ich habe gesagt, daß ich nichts damit zu tun hatte nach meiner Erinnerung.

M. HERZOG: Ihr Verteidiger hat Ihnen gestern das Dokument L-61 vorgelegt, gegen das Sie glaubten, Einspruch erheben zu müssen.


SAUCKEL: Ja.


[138] M. HERZOG: Ihr Einspruch gegen dieses Schriftstück gründete sich darauf, daß es aus dem Jahre 1942 stamme und sich mit Fragen vor Ihrer Ernennung befasse. Habe ich Sie gestern richtig verstanden?


SAUCKEL: Die Anlagen zu diesem Schreiben behandeln Fragen, die schon vor meiner Ernennung in der Schwebe und in der Durchführung waren.


M. HERZOG: Ich überreiche dem Gerichtshof das Dokument L-156 als RF-1522. Es ist ein Schreiben des Beauftragten für den Vierjahresplan, des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, das sind Sie, vom 26. März 1943. Es ist an die Präsidenten der Landesarbeitsämter gerichtet und betrifft die Abschiebung der Juden. Der Brief beginnt wie folgt:

»Im Einvernehmen mit mir und dem Herrn Reichsminister für Bewaffnung und Munition hat der Reichsführer-SS aus Gründen der Staatssicherheit die bisher im freien Arbeitsverhältnis tätigen, nicht lagermäßig eingesetzten Juden Ende Februar von ihren Arbeitsplätzen abgezogen und einem geschlossenen Einsatz zugeführt oder zur Fortschaf fung zusammengezogen. Um die Schlagartigkeit dieser Maßnahme nicht zu gefährden, habe ich von einer vorherigen Unterrichtung abgesehen und nur diejenigen LAA in Kenntnis gesetzt, in deren Bezirken in größerer Zahl freie jüdische Arbeitskräfte eingesetzt waren.

Um eine Übersicht über die Auswirkungen dieser Maßnahme auf den Arbeitseinsatz zu gewinnen, bitte ich Sie, mir nach dem Stand vom 31. 3. 1943 zu berichten, in welchem Umfange Juden aus dem Arbeitsprozeß herausgezogen worden sind und hierfür eine Ersatzgestellung durch andere Arbeitskräfte notwendig wurde. Bei der Angabe der Zahl der Betriebe und der in diesen beschäftigten Juden sind die bis zu der Evakuierung geltenden Verhältnisse zugrunde zu legen. Für die Meldung ist das beiliegende Muster zu verwenden. etc.«

Behaupten Sie immer noch, daß Sie keinerlei Anteil an der Abschiebung der Juden und an ihrem Ersatz durch Fremdarbeiter gehabt haben?

SAUCKEL: Ich darf hier wiederum ausdrücklich dazu bemerken, daß mir dieses Schreiben niemals vorgelegen hat. Es ist ohne Unterschrift und kommt auch wieder von einer Unterabteilung im Reichsarbeitsministerium, Saarlandstraße 96; also es ist ein Beamter, der das dort bearbeitet hat. Ich selbst aber kann mich unter keinen Umständen erinnern, dieses Schreiben zu kennen. Es ist nicht von mir verfaßt und stammt nicht aus meinem Büro und ist »im Auftrag« gezeichnet; die Unterschrift ist nicht von mir.

[139] M. HERZOG: Bitte, wollen Sie in die linke Ecke sehen, dort steht »Der Beauftragte für den Vierjahresplan, der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz«. Das sind doch Sie? Sie sprechen von einem untergeordneten Beamten. Wollen Sie vielleicht die Verantwortung auf einen Ihrer Untergebenen abschieben?


SAUCKEL: Nein, das will ich nicht; ich will nur sagen, daß das der Briefkopf einer Dienststelle ist, daß dieses Schreiben aber mir nie bekanntgeworden ist. Ich sehe es jetzt zum erstenmal in meinem Leben und habe es selbst nicht veranlaßt. Ich kann das bei meinem Eid sagen.


M. HERZOG: Diesem Brief ist ein Meldeblatt für die Anforderung von Ersatz für die herausgezogenen Juden beigefügt. Wer außer Ihnen hatte mit diesem Ersatz zu tun? Sie waren doch der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz?


SAUCKEL: Ja, meine Dienststelle... ich habe gestern schon zu meinem Anwalt gesagt, daß es selbstverständlich war, daß durch meine Dienststelle Ersatz gestellt werden mußte, wenn Arbeiter aus einem Betrieb weggekommen sind, sei es durch Einziehung oder sei es durch irgendeine andere Maßnahme. Das habe ich nicht immer im einzelnen erfahren.


M. HERZOG: Sie antworten nicht auf meine Frage. Die Tatsache, daß dieser Brief...


SAUCKEL: Doch, ich habe die Frage genau beantwortet.


M. HERZOG: Ist die Tatsache, daß dieser Brief einen Antrag auf Ersatz von Arbeitskräften enthält, kein genügender Beweis dafür, daß er von Ihrer Dienststelle, also vom Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, stammt?


SAUCKEL: Ein solcher Antrag konnte nicht von meiner Dienststelle kommen, denn für die Evakuierung der Juden war allein der Reichsführer-SS verantwortlich und nicht ich. Ich hatte ja nur Schwierigkeiten durch solche Maßnahmen, denn es war sehr schwer, Arbeiter zu ersetzen. Ich hatte gar kein Interesse daran.


M. HERZOG: Also bestreiten Sie, jemals für Juden ein Sonderarbeitsverfahren befürwortet zu haben?


SAUCKEL: Das bestreite ich, ja; damit hatte ich nichts zu tun. Das war nicht meine Aufgabe.


M. HERZOG: Bitte, wollen Sie noch einmal auf Dokument F-810, das ich unter RF-1507 vorgelegt habe, zurückgreifen, man wird es Ihnen überreichen, wenn Sie es nicht haben. Wollen Sie sich Seite 16 unter der Überschrift »Gauleiter Sauckel« ansehen; ich lese...


SAUCKEL: Ich habe das Dokument nicht zur Hand, pardon, doch.


[140] M. HERZOG: Doch, es muß Ihnen vor kaum zwei Minuten gegeben worden sein. Sollten Sie es nicht haben, wird es Ihnen noch einmal überreicht.


SAUCKEL: Darf ich nochmals um die Nummer bitten.


M. HERZOG: Dokument 810; aber ich glaube nicht, daß die Photokopie, die Sie haben, eine Nummer hat. Haben Sie das Dokument? Sie hatten es.


SAUCKEL: Ja.


M. HERZOG: Unter der Überschrift »Gauleiter Sauckel« lese ich – das ist Seite 16 des Dokuments.

»S.« das heißt Sauckel »wendet sich leidenschaftlich dagegen, daß KZ-Häftlinge und Juden aus Ungarn als die besten Arbeitskräfte des Bausektors bezeichnet werden. Dies ist sachlich unrichtig, denn sie leisten durchschnittlich 65 bis 70 Prozent des Normalarbeiters, niemals aber 100 Prozent. Im übrigen ist es des deutschen Arbeiters und des deutschen Begriffs vom Ethos der Arbeit unwürdig, wenn sie in einem Atemzuge mit diesem Gesindel von Landesverrätern genannt werden. Für den KZ-Häftling und den Juden ist die Arbeit kein Adelsprädikat. Man darf es also nicht dazu kommen lassen, daß KZ-Häftlinge und Juden begehrte Artikel werden. An den Baustellen müssen KZ- Häftlinge und Juden von der anderen Gefolgschaft, zu der auch die Ausländer zählen, unter allen Umständen ferngehalten werden. Gauleiter Sauckel bemerkt abschließend, daß er sich nicht sachlich gegen Juden- und KZ-Häftlingsbeschäftigung wenden will, sondern lediglich gegen die oben gekennzeichneten Übertreibungen.«

Also frage ich Sie, Sauckel, der Sie uns gestern Ihr Leben als das eines Arbeiters beschrieben haben, jetzt noch einmal: Was verstehen Sie darunter, wenn Sie sagen, daß für den KZ-Häftling und den Juden die Arbeit kein Adelsprädikat sei?

SAUCKEL: Ich möchte hierzu ausdrücklich bemerken, daß dieser Abschnitt eine sehr kurze und freie Wiedergabe ist, kein Stenogramm. Ich habe mich dagegen verwahrt, da ich annahm, daß KZ-Häftlinge Landesverräter sind. Etwas anderes habe ich nicht angenommen; also daß solche Menschen dorthin kommen und daß sie nicht zusammen mit anderen Arbeitern auf eine Baustelle gebracht werden, ebenso Juden, Aber ich habe nicht diesen Einsatz vermittelt, sondern das war der Einsatz des Reichsführers-SS, und ich habe mich bei einer Führerbesprechung im Interesse der unbestraften Arbeiter und der anderen aus ländischen Arbeiter dagegen verwahrt, daß hier ein gemeinsamer Einsatz stattfinden sollte.

[141] M. HERZOG: Ich stelle Ihnen nochmals meine Frage. Was wollten Sie mit dem Satz: »Für den KZ-Häftling und den Juden ist die Arbeit kein Adelsprädikat« sagen?


SAUCKEL: Ich wollte damit sagen, daß man die Arbeit vorbestrafter und bescholtener Leute nicht mit der Arbeitsleistung freier unbescholtener Arbeiter vergleichen darf, daß ein Unterschied ist, ob ich Häftlinge beschäftige oder ob ich freie Arbeiter beschäftige, und ich wollte das getrennt wissen.


M. HERZOG: Und die Juden waren also Häftlinge, nicht wahr?


SAUCKEL: Die Juden waren in diesem Fall Häftlinge des Reichsführers-SS. Ich bedauere an sich diesen Ausdruck.


M. HERZOG: Also bestreiten Sie, daß dieser Satz der Ausdruck Ihrer feindlichen Einstellung zum Beispiel gegenüber den Juden war?


SAUCKEL: Ich war damals natürlich gegen diese Juden eingestellt; aber ich war nicht mit ihrem Arbeitseinsatz befaßt, und ich habe es abgelehnt, diese Arbeiter, deren Einsatz Sache des Reichsführers-SS war, mit den anderen zu vermengen.


M. HERZOG: Haben Sie niemals Propaganda gegen Juden getrieben?


SAUCKEL: Ich habe Propaganda gegen Juden getrieben soweit sie im Reich in Stellungen waren, die nach meiner Überzeugung von Deutschen zu besetzen waren.


M. HERZOG: Ich unterbreite Ihnen einen Artikel, den Sie im Juni 1944 geschrieben haben, das heißt zu einem Zeitpunkt, an welchem, glaube ich, es in Ihrem Deutschland nicht mehr viele Juden an wichtigen Stellen gab. Dieser Zeitungsartikel erschien in der Zeitung »Die Pflicht«, eine Zeitung, die Sie in dem Gau Thüringen herausgaben. Es ist dies das Dokument 857, welches ich dem Gerichtshof als RF-1523 vorlege. Ich verlese einige Auszüge dieses Artikels. Zunächst einen Auszug aus der ersten Seite, erste Spalte, vorletzter Absatz:

»Nun vermögen die alten und besten britischen Tugenden seiner Seeleute, Flieger und Soldaten es nicht mehr, die rapide um sich greifende jüdische Fäulnispest in seinem Körper aufzuhalten.«

Und nun auf der Seite 2, zweite Spalte, vorletzter Absatz:

»Es gibt kein Beispiel in der Weltgeschichte dafür, daß die Juden und ihre Narren, die ihnen hörig und verfallen waren, ihren Weibern oder ihrem Wesen, jemals etwas Bleibendes im Laufe der Zeit geschaffen haben.«

Nun frage ich Sie, Angeklagter Sauckel, was wollten Sie mit dem Wort »jüdische Fäulnispest« sagen?

[142] SAUCKEL: Ich habe darunter verstanden Zersetzungserscheinungen innerhalb der Völker.

M. HERZOG: Ich frage Sie noch einmal, was wollten Sie mit dem Ausdruck »jüdische Fäulnispest« sagen?


SAUCKEL: Weil ich der Anschauung war, daß durch bestimmte jüdische Kreise in die Völker eine Zersetzung hineingetragen wurde. Das war meine Auffassung.


M. HERZOG: Der Gerichtshof wird seine Folgerungen ziehen. Ich habe keine weiteren Fragen mehr, Herr Vorsitzender.


GENERALMAJOR G. A. ALEXANDROW, HILFSANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Ich möchte eine Gesamtübersicht Ihrer Tätigkeit als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz haben. Sagen Sie, wie groß war die Anzahl fremder Arbeiter, die in der deutschen Wirtschaft und Industrie gegen Ende des Krieges beschäftigt waren?


SAUCKEL: Soweit ich es hier ohne Unterlage sagen kann, waren ohne Kriegsgefangene etwa fünf Millionen Fremdarbeiter in Deutschland eingesetzt gegen Ende des Krieges.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Diese Zahl haben Sie bereits Ihrem Verteidiger während des direkten Verhörs genannt. Mir scheint es, daß diese von Ihnen genannte Zahl nicht für den Zeitpunkt des Zusammenbruchs Deutschlands, sondern für den 24. Juli 1942 gilt. Ich will Ihnen jetzt darüber etwas andere Angaben bringen, wobei ich mich auf Ihre eigenen Dokumente stützen werde. Sie waren am 21. März 1942 zum Generalbevollmächtigten ernannt worden. Am 27. Juli 1942, das heißt also drei Monate später, haben Sie Hitler und Göring Ihren ersten Bericht vorgelegt. In diesem Bericht haben Sie mitgeteilt, daß in der Zeit vom 1. April bis 24. Juli 1942 die an Sie gestellte Mobilisationsquote von 1600000 Personen von Ihnen noch übertroffen worden ist. Geben Sie zu, diese Zahl genannt zu haben?


SAUCKEL: Ich habe diese Zahl genannt, da waren nicht nur ausländische, sondern nach meiner Erinnerung auch deutsche Arbeiter darunter.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Im letzten Teil dieses Berichts teilen Sie mit, daß die Gesamtzahl der Bevölkerung, die aus den besetzten Gebieten nach Deutschland gebracht wurde, am 24. Juli 1942 aus 5124000 Personen bestand. Ist diese Zahl richtig, bestätigen Sie diese?


SAUCKEL: Ja, ich glaube, aber da sind damals die Kriegsgefangenen, die in der Wirtschaft eingesetzt waren, mit einbegriffen. Dann muß ich dazu bemerken, daß ja bei allen neutralen, verbündeten und westlichen Ländern ein ständiger Austausch stattgefunden hat, weil diese Arbeiter nur ein halbes Jahr, dreiviertel [143] Jahr oder ein Jahr in Deutschland waren und dann immer wieder nach Ablauf dieser jeweiligen Vertragsfristen, die vereinbart waren, in ihre Länder zurückkehrten. Deshalb könnte diese Zahl damals schon stimmen. Sie konnte sich aber nicht wesentlich erhöhen gegen das Ende des Jahres, weil immer dieser Austausch darunter mit zu berücksichtigen ist.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Tatsache aber ist, daß nach Ihren eigenen Angaben die Anzahl der Arbeiter, die aus den besetzten Gebieten nach Deutschland gebracht wurden, am 24. Juli 1942 5124000 betrug. Stimmt das?


SAUCKEL: Wenn es niedergelegt ist, kann es stimmen. Es ist möglich oder wahrscheinlich, daß die eingesetzten Kriegsgefangenen mitgezählt sind. Ich kann das nicht ohne Unterlagen sagen.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich werde Ihnen nachher noch ein anderes Dokument, das sich auf diese Frage bezieht, zeigen. Am 1. Dezember 1942 haben Sie eine zusammenfassende Aufstellung über den Arbeitseinsatz, abschließend mit dem 30. November 1942, gemacht. In dieser Aufstellung nennen Sie die Zahl der der deutschen Kriegsindustrie vom 1. April bis 30. November 1942 zur Verfügung gestellten Arbeiter, und zwar 2749652 Personen. Auf Seite 8 dieser Aufstellung geben Sie an, daß am 30. November 1942 im Reichsgebiet sieben Millionen Arbeiter eingesetzt waren. Bestätigen Sie diese Zahl?


SAUCKEL: Ohne Dokumente oder Unterlagen kann ich diese Zahl nicht bestätigen. Ich vermute wiederum, daß darin französische und andere Kriegsgefangene mit inbegriffen sind.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Aber die Zahl selbst, die sieben Millionen fremder, in der deutschen Industrie beschäftigter Arbeiter, sogar einschließlich der Kriegsgefangenen, ist diese Zahl richtig?

Bitte nennen Sie jetzt die Zahl der nach Deutschland im Jahre 1943 aus den besetzten Gebieten gebrachten Arbeiter.


SAUCKEL: Die im Laufe des Jahres nach Deutschland gebrachten ausländischen Arbeiter mögen in der Höhe von eineinhalb bis zwei Millionen gewesen sein. Es sind hier verschiedene Programme aufgestellt gewesen, die immer berichtigt wurden.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Mich interessiert jetzt, wie viele Arbeiter im Laufe des Jahres 1943 nach Deutschland gebracht wurden. Können Sie es ungefähr sagen, ich verlange keine genaue Zahl?


SAUCKEL: Ich sagte schon, eineinhalb bis zwei Millionen. Ich kann es nicht genauer sagen.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Erinnern Sie sich, welche Aufgabe an Sie für das Jahr 1944 gestellt wurde?


[144] SAUCKEL: Im Jahre 1944 wurde verlangt: ein Gesamteinsatz von vier Millionen einschließlich der Deutschen. Es sind aber von diesen vier Millionen nur drei Millionen erfüllt worden, und zwar rund 2,1 Millionen Deutscher und etwa 900000 Ausländer.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Können Sie uns jetzt wenigstens eine allgemeine Bilanz Ihrer Tätigkeit geben? Wie viele Personen wurden aus den besetzten Ländern im Laufe des Krieges nach Deutschland gebracht einschließlich derjenigen, die bei Kriegsende in der Landwirtschaft und Industrie eingesetzt waren?


SAUCKEL: Nach meiner Unterrichtung und Erinnerung sind am Ende des Krieges fünf Millionen Fremdarbeiter in Deutschland gewesen. Es sind einige Millionen Arbeiter im Verlaufe des Krieges ja wieder in die neutralen, in die verbündeten und Westlichen Länder zurückgekehrt und mußten immer wieder ergänzt werden. Daher auch immer wieder die neuen Programme. So ist es zu erklären, daß zwar auch die Arbeiter, die vor meiner Zeit schon dagewesen sind und die hereingebracht worden sind, wohl die Zahl von sieben Millionen erreicht haben können, daß aber im Verlaufe des Krieges wieder einige Millionen in ihre Heimat zurückgekehrt sind.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Eine große Zahl ist infolge der schweren Sklavenarbeit umgekommen. Das meine ich jetzt nicht. In Ihren Dokumenten haben Sie wahrscheinlich tatsächliche Arbeitskräfte gemeint, und nicht die Toten oder Abwesenden. Können Sie mir sagen, wie viele Arbeiter im Laufe des Krieges aus den besetzten Gebieten nach Deutschland gebracht wurden?


SAUCKEL: Ich sagte Ihnen ja die Zahl schon.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Fünf Millionen?


SAUCKEL: Ja.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie wollen also weiter auf dieser Zahl bestehen?


SAUCKEL: Ja, ich will darauf bestehen, daß am Ende des Krieges, soweit von meinem statistischen Amt gezählt und mir noch in Erinnerung ist, fünf Millionen Arbeiter in Deutschland gewesen sind und Millionen Arbeiter immer wieder zurückgekehrt sind. Das können die Sachbearbeiter an sich besser beantworten als ich. Es waren ja nur halbjährige und dreivierteljährige Verträge bei den andern.


VORSITZENDER: Ihre Frage ist doch, wie viele ausländische Arbeiter während des ganzen Krieges nach Deutschland gebracht worden sind? Ist das die Frage, die Sie gestellt haben?


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Jawohl, Herr Vorsitzender, das ist es.


[145] VORSITZENDER: Was ist Ihre Antwort dazu?


SAUCKEL: Ich habe es ja schon angegeben; mit den Arbeitern, die vor meiner Zeit schon dagewesen sind, bevor ich dieses Amt antrat, und denjenigen, die am Ende da waren, mögen es vielleicht sieben Millionen gewesen sein. Es sind nach meinen Unterlagen am Ende fünf Millionen dagewesen, weil die anderen wieder zurückgekehrt sind.


VORSITZENDER: Ja. Aber das ist ja gar nicht das, worüber Sie gefragt werden. Sie werden gefragt, wie viele Menschen vom Ausland nach Deutschland während des ganzen Krieges gebracht wurden. Sie sagen: Fünf Millionen seien es gegen Ende des Krieges gewesen und in den vorhergehenden Jahren seien ständig Änderungen eingetreten. Die Folgerung ist, daß es doch mehr als fünf Millionen gewesen sein müssen, die im Laute eines Jahres nach Deutschland gebracht wurden.


SAUCKEL: Ich schätze die Zahl auf sieben Millionen; ich kann die Zahl aber nicht genau angeben, weil ich die Zahl, die vor meiner Zeit dagewesen ist, nicht zuverlässig kenne. Aber es sind bestimmt Millionen zurückgekehrt, immer wieder.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Am Stichtag vom 30. November 1942 haben Sie die Zahl der eingeführten Arbeitskräfte mit sieben Millionen genannt. Laut Ihren Aussagen waren 1943...


SAUCKEL: Die eingesetzten Arbeiter in Deutschland, da sind Kriegsgefangene dabeigewesen, 1942.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Gut, die Kriegsgefangenen inbegriffen. Ist das richtig, sieben Millionen am 30. November?


SAUCKEL: Ich kann das nicht genau sagen; es kann richtig sein, ich kann das aber ohne Unterlagen nicht bestätigen.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich werde Ihnen das Dokument morgen zeigen. Heute beantworten Sie bitte meine Frage. Sie haben gesagt, daß 1943 noch ungefähr zwei Millionen Arbeiter gebracht worden sind.


SAUCKEL: In 1943?


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ja, in 1943.


SAUCKEL: Eineinhalb bis zwei Millionen sagte ich.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Also sieben und zwei Millionen ergeben neun Millionen.


SAUCKEL: Nein, ich habe doch ausdrücklich gesagt, es sind ständig welche zurückgekehrt, und in dem neuen Schub habe ich die Kriegsgefangenen nicht mitgezählt.


GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie verstehen mich nicht richtig. Ich spreche von der Zahl der aus den besetzten Gebieten [146] herausgezogenen Arbeitskräfte. Um dieses zu beantworten, ist es gar nicht wichtig, wie viele von ihnen in Deutschland umkamen oder wieder fortgingen. Das ändert die Gesamtzahl der aus den besetzten Gebieten eingeführten Arbeiter nicht. Wenn sich nun also sieben Millionen Personen am 30. November 1942 in Deutschland befanden und nach Ihrer Aussage im Laufe des Jahres 1943 nochmals zwei Millionen hinzugekommen sind und 1944, wie Sie ja eben sagten, nochmals 900000 gebracht wurden, dann müssen es ja laut Ihren eigenen Angaben im ganzen zehn Millionen gewesen sein, die während des Krieges nach Deutschland gebracht worden sind. Stimmt das?


SAUCKEL: Ich kann das nur mit dem Vorbehalt sagen, da ich nicht weiß, wie viele tatsächlich vor meiner Zeit dagewesen sind. Es ist schätzungsweise richtig, einschließlich sämtlicher Kriegsgefangenen, die zur Arbeit eingesetzt waren. Die mußte man aber von den eingeführten Zivilarbeitern abziehen.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich jetzt vertagen.


[Das Gericht vertagt sich bis

31. Mai 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 15, S. 114-148.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Cleopatra. Trauerspiel

Cleopatra. Trauerspiel

Nach Caesars Ermordung macht Cleopatra Marcus Antonius zur ihrem Geliebten um ihre Macht im Ptolemäerreichs zu erhalten. Als der jedoch die Seeschlacht bei Actium verliert und die römischen Truppen des Octavius unaufhaltsam vordrängen verleitet sie Antonius zum Selbstmord.

212 Seiten, 10.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon