Vormittagssitzung.

[297] DR. STAHMER: Haben Sie bei der Festsetzung des Parteiprogramms mitgewirkt?

GÖRING: Nein. Das Parteiprogramm war bereits fertig und verkündet, als ich zum erstenmal von der Bewegung hörte und als ich meinen Beitritt erklärte.


DR. STAHMER: Wie stellen Sie sich zu diesen Punkten des Parteiprogramms?


GÖRING: Im großen und ganzen positiv. Es ist selbstverständlich, daß es kaum einen politischen Menschen geben wird, der bei einer politischen Partei sämtliche Punkte eines Programms einstimmig anerkennt oder ihnen zustimmt.


DR. STAHMER: Hatte die Partei außer diesen allgemein bekannten Punkten des Programms noch weitere, geheimgehaltene Ziele?


GÖRING: Nein.


DR. STAHMER: Sollten diese Ziele mit allen, auch mit ungesetzlichen Mitteln erreicht werden?

GÖRING: Sie sollten selbstverständlich mit allen Mitteln erreicht werden. Der Begriff »ungesetzlich« ist hier vielleicht zu klären: Wenn ich eine Revolution anstrebe, so mag sie für den bestehenden Staat eine ungesetzliche Aktion sein. Gelingt sie mir, so ist sie Tatsache und damit legal und Gesetz geworden. Bis zum Jahre 1923 und bis zu den Ereignissen des 9. Novembers stand ich und standen wir alle auf dem Standpunkt, auch unter Umständen revolutionär uns durchzusetzen. Nachdem dies mißglückt war, hat der Führer nach Rückkehr aus der Festung bestimmt, daß in Zukunft legal auf dem Wege des politischen Kampfes, ebenso wie die anderen Parteien, vorgegangen wird, und verbot jede Ungesetzlichkeit, um dadurch keine Behinderung in der Parteitätigkeit hervorzurufen.


DR. STAHMER: Wann und mit welchen Zielen wurde die SS geschaffen?


GÖRING: Die SS wurde während meiner Abwesenheit im Ausland, ich glaube 26 oder 27, geschaffen. Ihr Zweck war, soviel ich von damals mich erinnere, innerhalb der Bewegung zunächst einen besonderen Kern und Schutz für die Person des Führers zu schaffen. Sie war zunächst außerordentlich klein.


[297] DR. STAHMER: Haben Sie zu einer, irgendeiner Zeit der SS angehört?

GÖRING: Ich habe niemals und zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Form, weder aktiv noch passiv, der SS angehört.


DR. STAHMER: Die Annahme, daß Sie ein SS-General gewesen seien, ist demnach unzutreffend?


GÖRING: Ist absolut unzutreffend.


DR. STAHMER: Was verstanden Sie unter »Herrenrasse«?


GÖRING: Ich persönlich verstand darunter gar nichts, denn in keiner meiner Reden, in keiner meiner Schriften werden Sie dieses Wort von nur finden. Ich stehe auf dem Standpunkt: ist man Herr, dann braucht man es nicht zu betonen.


DR. STAHMER: Was verstanden Sie unter dem Begriff »Lebensraum«?


GÖRING: Dieser Begriff ist ein sehr umstrittener. Ich habe volles Verständnis oder begreife es, wenn Mächte, die zusammen – ich nehme nur die vier Signatarmächte – über dreiviertel der Erdoberfläche ihr eigen nennen, diesen Begriff anders auslegen. Für uns, wo einhundertvierundvierzig Menschen auf einen Quadratkilometer kamen, bestand der Begriff »Lebensraum« darin, das richtige Verhältnis der Bevölkerung für ihre Ernährung, ihr Wachstum und ihren Lebensstandard zu finden.


DR. STAHMER: Ein Begriff, der immer wiederkehrt, ist der Begriff der »Machtergreifung«.


GÖRING: Das Wort »Machtergreifung« möchte ich als einen terminus technicus bezeichnen. Wir hätten genau so gut ein anderes Wort wählen können, aber dieses Wort drückt tatsächlich de facto am klarsten aus, was geschehen ist; das heißt, wir haben die Macht ergriffen.


DR. STAHMER: Wie stellen Sie sich zu dem »Führerprinzip«?


GÖRING: Ich stand und stehe positiv und bewußt auf diesem Prinzip. Man darf hier nicht verwechseln, daß die politische Konstruktion in den verschiedenen Ländern auch verschieden gewachsen und entstanden ist. Was in dem einen Land ausgezeichnet paßt, versagte in dem anderen vielleicht vollkommen. Deutschland hat durch die langen Jahrhunderte der Monarchie schon immer ein Führerprinzip gehabt. Die Demokratie trat bei uns in einem Augenblick auf, als es Deutschland am schlechtesten ging und Deutschland auf dem Tiefpunkt stand. Ich habe gestern ausgeführt, welche politische Zerrissenheit in Deutschland herrschte: die Zahl der Parteien, die fortgesetzte Unruhe durch die Wahlen. Es hatte sich hierbei auch eine vollkommene Verschiebung der Begriffe von [298] Autorität und Verantwortung ergeben, und zwar in umgekehrtem Sinne. Die Autorität ging von der Masse aus, und die Verantwortung hatte die Führung, statt umgekehrt. Und ich stand oder stehe auf dem Standpunkt, daß für Deutschland, besonders in diesem Augenblick seines Tiefpunktes, wo es darauf ankam, alle Kräfte positiv zusammenzufassen, das Führerprinzip, das heißt Autorität von oben nach unten und Verantwortung von unten nach oben, die einzige Möglichkeit war. Ich sehe natürlich davon ab, daß auch hier ein Prinzip zu Überspitzungen führen kann, das an sich durchaus gesund ist. Ich darf in Parallele vielleicht die Position der katholischen Kirche erwähnen, die nach wie vor auf dem klaren Führerprinzip ihrer Hierarchie beruht, und ich glaube auch sagen zu können, daß auch Rußland ohne dieses eiserne Führerprinzip der schweren Belastung, der es in diesem Krieg ausgesetzt war, nicht standgehalten hätte.


DR. STAHMER: Erfolgten die gestern von Ihnen geschilderten Maßnahmen zur Festigung Ihrer Macht in vollem Einverständnis mit dem Reichspräsidenten von Hindenburg?


GÖRING: Solange der Reichspräsident am Leben war und damit in Aktion, erfolgten sie selbstverständlich in Übereinstimmung mit ihm, und soweit verfassungsmäßig seine Zustimmung notwendig war, wie zum Paragraphen 48, erfolgte auch seine Zustimmung.


DR. STAHMER: Ist die nationalsozialistische Regierung durch die fremden Mächte anerkannt?


GÖRING: Unsere Regierung wurde vom ersten Tage ab anerkannt und blieb anerkannt bis zum Schluß, das heißt, soweit nicht feindliche Verwicklungen die diplomatischen Beziehungen mit einzelnen Staaten unterbrochen haben.


DR. STAHMER: Besuchten diplomatische Vertreter des Auslandes Ihre Reichsparteitage in Nürnberg?


GÖRING: Die diplomatische Vertretung wurde zu den Parteitagen als dem größten Ereignis und der größten Demonstration der Bewegung eingeladen, und sie erschien auch vollzählig, wenn auch nicht in jedem Jahr vollzählig. Aber an einen erinnere ich mich ganz genau.


DR. STAHMER: Bis zu welchem Jahre?


GÖRING: Bis zum letzten Parteitag 1938.


DR. STAHMER: In welchem Umfang ist nach der Machtübernahme Vermögen politischer Gegner beschlagnahmt worden?


GÖRING: Es wurden Gesetze zur Beschlagnahme staatsfeindlichen Vermögens gemacht, das heißt solcher Parteien, die wir als staatsfeindlich erklärten. Es wurde das Parteivermögen der Kommunistischen Partei mit den angeschlossenen Verbänden, das [299] Parteivermögen zum Teil der Sozialdemokratischen Partei beschlagnahmt, aber nicht, das möchte ich ausdrücklich betonen, das Privatvermögen der Mitglieder oder auch nur Führer dieser Parteien. Im Gegenteil wurde einer ganzen Reihe führender Sozialdemokraten, die Minister oder Beamte gewesen waren, die Pension voll weiter gezahlt. Sie wurde sogar zu einem späteren Zeitpunkt aufgebessert.


DR. STAHMER: Wie erklärt sich das Vorgehen gegen die Gewerkschaften, wie erklärt sich das Vorgehen gegen die freie Arbeiterschaft?


GÖRING: Zunächst die Gewerkschaften: Die Gewerkschaften in Deutschland waren in der größten Zahl oder in ihrer hauptsächlichsten Wichtigkeit auf das engste verbunden sowohl mit der Sozialdemokratischen Partei, als auch zunehmend durch den Einfluß und die Aktivität der Kommunisten mit der Kommunistischen Partei. Es waren, wenn auch nicht formell, so de facto, Organe, und zwar sehr aktive Organe dieser Parteien, wobei ich nicht von der Masse der Mitglieder der Gewerkschaften, sondern von der Füh rungsgruppe der Gewerkschaften spreche. Es gab dann noch eine kleinere Christliche Gewerkschaft, Organ der Zentrumspartei. Diese Gewerkschaften stimmten durch ihre Führung und durch die enge Verbundenheit dieser Führung mit den von uns als gegnerisch angesehenen Parteien derart überein, daß sie zu unserem neuen Staat in keiner Form paßten. Es wurde deshalb die Organisation der Gewerkschaften aufgelöst und für die Arbeiterschaft die Organisation der »Deutschen Arbeitsfront« geschaffen. Die Zerstörung der Freiheit des deutschen Arbeiters erfolgte nach meiner Auffassung nicht, im Gegenteil, ich bin der Überzeugung, daß wir dem deutschen Arbeiter die wirkliche Freiheit gebracht haben, denn sie bestand in erster Linie darin, daß wir ihm sein Recht auf Arbeit wieder sicherten und seine ganze Stellung im Staate ganz besonders herausgehoben haben.

Wir haben selbstverständlich zwei Dinge, die vielleicht als besondere Merkmale einer von mir falsch verstandenen Freiheit bewertet werden, abgeschafft, nämlich: Streik auf der einen Seite und Aussperrung auf der Gegenseite. Es war mit dem Recht auf Arbeit nicht zu vereinbaren und auch nicht mit den Pflichten, die ein jeder Bürger für die Größe seines Volkes hat. Diese beiden beunruhigenden Elemente, die mit auch zur großen Zahl der Arbeitslosen beigetragen haben, wurden beseitigt und durch ein großes Arbeitsprogramm ersetzt. Die Schaffung von Arbeit war einer der wesentlichsten Punkte unseres Sozialprogramms und ist auch von anderen, wenn auch unter anderem Namen, bereits übernommen worden. Ich möchte dieses Sozialprogramm nicht näher ausführen.

Zum erstenmal aber bekam der Arbeiter Recht auf Urlaub, und zwar bezahlten Urlaub, das nur nebenbei. Es wurden für die Arbeiterschaft [300] große Erholungsstätten gebaut. Es wurden gewaltige Summen für neue Arbeitersiedlungen ausgegeben, und der ganze Standard des Arbeiters wurde gehoben. Der Arbeiter war zu diesem Zeitpunkt ausgesogen und ausgepumpt. Er besaß kaum noch etwas, weil er während der jahrelangen Arbeitslosigkeit alles verkaufen oder versetzen mußte. So möchte ich, ohne auf Einzelheiten einzugehen, abschließend sagen: Wir haben nicht eine freie Arbeiterschaft verknechtet, sondern wir halben die Arbeiter von dem Elend der Arbeitslosigkeit befreit.


DR. STAHMER: Sie sprachen gestern von der Röhm-Revolte. Wer war Röhm und worin bestand die Revolte?

GÖRING: Röhm war seit 1931 Stabschef der SA, das heißt, er war dem Führer, der selbst der oberste SA-Führer war, für die SA verantwortlich und führte sie in seinem Namen.

Die Hauptgegensätzlichkeit zwischen Röhm und uns bestand darin. Röhm wollte, wie schon sein Vorgänger Pfeffer, einen stärkeren revolutionären Weg gehen, während der Führer, wie ich vorhin sagte, legale Entwicklung, deren Endsieg abzusehen war, befohlen hatte.

Nach der Machtübernahme wollte Röhm unter allen Umständen das Reichswehrministerium in die Hand bekommen. Das lehnte der Führer rundweg ab, da er die Wehrmacht in keiner Form irgendwie politisch führen oder auf sie einwirken lassen wollte.

Der Gegensatz zwischen Wehrmacht und Röhmkreis, ich spreche nicht von einem Gegensatz zwischen Wehrmacht und der SA, bewußt betone ich das, der war nicht vorhanden, sondern ausschließlich von dieser Führergemeinschaft, die damals sich SA-Führung nannte und es tatsächlich war. Er wollte die Beseitigung der Hauptanzahl der Generale und höheren Offiziere, die in der Reichswehr die ganze Zeit gewesen waren, da er auf dem Standpunkt stand, daß diese Offiziere keine Gewähr für den neuen Staat bilden würden, da ihnen, wie er sich ausdrückte, das Rückgrat im Laufe der Jahre gebrochen worden sei und sie nicht mehr fähig waren, aktive Elemente des neuen nationalsozialistischen Staates zu sein.

Der Führer und auch ich standen hier auf vollständig entgegengesetztem Standpunkt.

Zum zweiten richtete sich das Streben, ich möchte sagen der für Röhm eingestellten Männer, auch in anderer Richtung auf einen revolutionären Akt. Sie waren gegen das, was sie als Reaktion bezeichneten. Sie wollten sich einen bewußt mehr links gestellten Eindruck geben. Sie waren auch verschärft gegen die Kirche und auch sehr scharf gegen das Judentum. Sie wollten alles in allem – aber nur diese Clique, die aus ganz bestimmten Persönlichkeiten [301] bestand – einen revolutionären Akt vornehmen. Daß Röhm diese seine Gesinnungsmänner überall in der SA in die obersten Stellungen einschleuste und die anständigen Elemente entfernte und die anständige und brave SA ohne ihr Wissen irreleitete, ist bekannt.

Wenn Übergriffe in jener Zeit vorkamen, so lagen sie auch immer wieder bei denselben Persönlichkeiten, in erster Linie bei dem Berliner SA-Führer Ernst, dem Breslauer Heines, dem Münchner Stettiner und so weiter. Einige Wochen vor dem Röhm-Putsch vertraute mir ein unterer SA-Führer an, daß er gehört habe, daß eine Aktion gegen den Führer und die zum Führer stehenden Männer der Bewegung geplant sei, damit das Dritte Reich schnellstens durch das endgültige Vierte Reich, wie der Ausdruck bei diesen Leuten war, abgelöst werden sollte.

Ich selbst wurde gedrängt und gebeten, vor meinem Hause nicht nur Posten des Polizeiregiments stehen zu lassen, sondern abwechselnd auch eine Ehrenwache der SA zu nehmen. Ich war darauf eingegangen und hörte auch dann durch den Führer dieser Truppe nach einer gewissen Zeit, wozu diese Ehrenwache bestimmt sei: um im gegebenen Moment meine Festsetzung vorzunehmen.

Ich kannte Röhm gut. Ich ließ ihn kommen. Ich hielt ihm offen die Dinge vor, die ich gehört hatte. Ich erinnerte ihn an die gemeinsame Kampfzeit und forderte ihn auf, dem Führer unbedingte Treue zu halten. Ich brachte ungefähr dieselben Argumente vor, die ich erwähnte; aber er versicherte mir, daß er selbstverständlich nicht daran dächte, irgend etwas gegen den Führer zu unternehmen. Kurz darauf erhielt ich weitere Nachrichten, daß er mit jenen Kreisen enge Verbindung habe, die ebenfalls in scharfer Ablehnung uns gegenüber standen. Es war einmal der Kreis um den früheren Reichskanzler Schleicher. Es war der Kreis um den aus der Partei ausgeschlossenen früheren Reichstagsabgeordneten und Organisationsleiter der Partei, Gregor Strasser. Das waren Kreise, die den früheren Gewerkschaften angehört hatten, und sie erstreckten sich ziemlich weit links. Ich fühlte mich verpflichtet, nun mit dem Führer darüber zu sprechen. Zu meinem Erstaunen erklärte mir der Führer, daß auch er bereits die Dinge wisse und sie sehr bedrohlich ansehe. Er wollte aber die weitere Entwicklung abwarten und sorgfältig beobachten.

Der nächste Akt ereignete sich ungefähr genau so, wie der Zeuge Körner das hier geschildert hat; ich kann ihn übergehen. Ich erhielt den Auftrag, in Norddeutschland sofort gegen die betreffenden Männer des Röhmkreises vorzugehen. Für einen Teil wurde bestimmt, daß er festgenommen werden sollte. Für Ernst, den SA-Führer von Pommern, mit zwei, drei anderen, verfügte der Führer im Laufe des Tages die Exekution. Er selbst begab sich nach Bayern, [302] wo die letzte Tagung einer Reihe der Röhm-Führer stattfand, und verhaftete persönlich Röhm und diese Leute in Wiessee.

Zu diesem Zeitpunkt war tatsächlich schon die Sache bedrohlich, weil einige SA-Formationen unter Vorspiegelung falscher Parolen bewaffnet und aufgeboten waren. An einer einzigen Stelle kam es zu einem ganz kurzen Kampf, wo zwei SA-Führer erschossen wurden. Ich übertrug die Verhaftung der Polizei, die damals auch schon in Preußen unter Himmler und Heydrich stand. Lediglich das Hauptquartier Röhms, der selbst nicht da war, ließ ich durch ein mir unterstelltes, uniformiertes Polizeiregiment ausheben.

Als das Hauptquartier des SA-Führers Ernst in Berlin ausgehoben wurde, fand man in den Kellern dieses Hauptquartiers mehr Maschinenpistolen, als die gesamte preußische Schutzpolizei besaß.

Nachdem vom Führer verfügt war auf Grund der Ergebnisse, die man in Wiessee vorgefunden hatte, wer aus Staatsnotstand erschossen werden sollte, wurde der Befehl zur Exekution für Ernst, Heydebreck und einige der nächsten Mitarbeiter Röhms gegeben. Es bestand kein Befehl, die anderen zu verhaftenden Leute zu erschießen. Es ist bei der Verhaftung des ehemaligen Reichskanzlers Schleicher dazu gekommen, daß sowohl er wie seine Frau getötet wurden. Eine darüber angestellte Untersuchung ergab, daß bei der Verhaftung Schleicher, nach Aussagen der beiden Leute, nach einer Pistole griff, um sich selbst vielleicht zu erschießen. Darauf hoben die beiden Leute ihre Pistolen, und Frau von Schleicher warf sich dem einen an den Hals, um ihn zu fassen, und er behauptet, daß dabei seine Pistole losgegangen sei.

Wir bedauerten diesen Vorfall außerordentlich.

Im Laufe des Abends hörte ich, daß auch andere Leute erschossen worden seien. Auch solche, die mit diesem Röhm-Putsch überhaupt nichts zu tun hatten. Der Führer kam am selben Abend nach Berlin. Nachdem ich das am Spätabend oder in der Nacht noch gehört hatte, ging ich den nächsten Mittag zum Führer und bat ihn, sofort einen Befehl zu erlassen, daß jede Exekution unter allen Umständen von ihm, dem Führer, verboten sei, obwohl noch zwei Leute, die sehr beteiligt waren und die der Führer für die Exekution bestimmt hatte, noch am Leben waren. Diese beiden blieben daraufhin auch am Leben. Ich bat ihn trotzdem, das zu tun, weil ich die Sorge hatte, daß die Sache ihm aus der Hand gleiten könnte, wie es schon zum Teil geschehen war. Ich stellte ihm vor, daß keinesfalls weiteres Blutvergießen daraus werden sollte.

Der Führer hat dann diese Anordnung in meiner Gegenwart getroffen; sie wurde allen Stellen sofort übermittelt. Die Aktion wurde dann im Reichstag bekanntgegeben und durch den Reichstag und den Reichspräsidenten als Staatsnotwehr oder Staatsnotstand [303] gutgeheißen. Wenngleich es bedauert wurde, daß, wie bei allen solchen Ereignissen, eine Reihe von Mißgriffen vorkamen.

Die Zahl der Opfer ist vielfach übertrieben worden. Soweit ich mich heute noch genau erinnere, sind es 72 oder 76 Menschen gewesen, von denen der größere Teil in Süddeutschland exekutiert worden ist.


DR. STAHMER: Hatten Sie Kenntnis von der Entwicklung, die im Laufe der Zeit die Stellung der Partei und des Staates zur Kirche genommen hat?


GÖRING: Selbstverständlich. Ich möchte abschließend zu der Röhm-Revolte noch betonen, daß die Personen, die auf Befehl des Führers, aber durch mich veranlaßt oder der Befehl durch mich weitergegeben, erschossen wurden, Ernst und Heydebreck und einige andere, daß ich dies selbstverständlich voll und ganz verantworte und positiv zu diesem Vorgehen gegen diese Leute eingestellt gewesen bin und auch heute noch auf dem Standpunkt stehe, daß ich absolut hier richtig und pflichtbewußt gehandelt habe. Dieses hat mir auch der Reichspräsident bestätigt. Es hätte aber dieser Bestätigung nicht bedurft, um mich davon zu überzeugen, daß ich hier eine Gefahr für den Staat abgewehrt habe.

Die Stellung zur Kirche: Die Stellung des Führers selbst war eine großzügige, zu Anfang vollkommen. Ich möchte nicht sagen positiv in dem Sinn, daß Hitler selbst ein positiver oder überzeugter Anhänger irgendeiner Konfession gewesen wäre. Aber großzügig und positiv in dem Sinn, daß er die Notwendigkeiten der Kirche anerkannte. Obwohl selbst Katholik, wünschte er eine stärkere Stellung der protestantischen Kirche in Deutschland, da Deutschland ja zu zwei Dritteln protestantisch war.

Die protestantische Kirche zerfiel aber bei uns in Landeskirchen mit verschiedenen kleinen Unterschieden, die die Dogmatiker sehr tragisch nehmen, und weshalb sie ja früher einmal 30 Jahre lang Krieg geführt haben, die aber für uns nicht so entscheidend schienen. Es handelt sich um reformiert, uniert, rein lutherisch, – ich bin selbst nicht Fachmann auf diesem Gebiet.

Ich war zwar verfassungsmäßig als Preußischer Ministerpräsident der »SUMMUS EPISCOPUS« der Preußischen Kirche, aber ich befaßte mich mit diesen Dingen weniger.

Die Einigung der protestantischen evangelischen Kirche wollte der Führer darin sehen, daß diese einen Reichsbischof bekommen sollte, um gegenüber den hohen katholischen Kirchenfürsten auch einen protestantischen Kirchenfürsten zu besitzen. Er überließ zunächst den evangelischen Kirchen die Wahl. Sie konnten sich – wie so häufig – nicht einigen. Zum Schluß brachten sie einen Namen, [304] den einzigen, der uns nicht paßte. So wurde dann ein Mann Reichsbischof, der wohl das Vertrauen des Führers in höherem Maße hatte wie das der übrigen verschiedenen Landesbischöfe.

Mit der katholischen Kirche ließ der Führer durch Herrn von Papen ein Konkordat abschließen. Ich selbst war kurz vor von Papens Abschluß des Konkordates beim Papst gewesen. Ich hatte über meine katholische Mutter sehr zahlreiche Beziehungen zum höheren katholischen Klerus und konnte auf diese Weise in beide Lager – ich selbst bin Protestant – hineinsehen.

Eine selbstverständliche Meinung vertrat der Führer, vertraten wir, vertrat auch ich, die Politik möglichst aus der Kirche herauszubringen.

Ich fand es nicht richtig, das möchte ich offen aus sprechen, daß an einem Tag der Priester in der Kirche in Demut sich um das Seelenheil seiner Schäflein bemüht, und daß er am nächsten Tag im Parlament eine mehr oder weniger kriegerische Rede schwingt.

Diese Trennung war von uns vorgesehen, das heißt, die Geistlichkeit sollte sich auf ihr Gebiet konzentrieren und von der Politik ablassen. Dadurch, daß wir in Deutschland politische Parteien mit starkem kirchlichen Einschlag hatten, war hier ein ziemlicher Wirrwarr entstanden. So kam es auch und so ist es erklärlich, daß außer dieser politischen Gegnerschaft, die zunächst auf der Parlamentsebene, auf der politischen Kampf ebene der Wahlschlachten stattfand, eine Kampfstimmung bei einem gewissen Teile unserer Leute gegen die Kirche sich eingestellt hatte. Denn man darf nicht vergessen, daß solche Wahlkampf-Diskussionsreden vor den Wählern zwischen politischen Vertretern unserer Partei und oft Geistlichen als Vertretern der politischen, kirchlich stärker gebundenen Parteien, stattgefunden hatten. Aus dieser Gegnerschaft und einer gewissen Animosität erklärt sich, daß ein rabiaterer Teil, wenn ich mal diesen Ausdruck hier gebrauchen soll, diesen Kampf nicht vergessen hatte und ihn nun seinerseits wieder auf eine falsche Ebene übertrug. Der Führer aber stand auf dem Standpunkt, den Kirchen absolut die Möglichkeit ihrer Entwicklung und ihres Bestehens zu geben. Es ist selbstverständlich, daß in einer Bewegung und Partei, die allmählich mehr oder weniger den größten Teil des deutschen Volkes erfaßt hatte, und die nun in ihrem aktiven, politisch-aktiven Teil auch die politisch-aktiven Menschen Deutschlands erfaßt hatte, trotz Führerprinzip nicht in allem natürlich die gleiche Auffassung vorhanden war. Tempo, Methode, Einstellung sind hier verschieden, und so bilden sich in solch großer Bewegung, auch wenn sie noch so autoritär geführt wird, gewisse Gruppen zu bestimmten Fragen heraus. Und wenn ich hier die Gruppe nennen soll, die in der Kirche immer noch eine politische, sagen wir mal nicht Gefahr, aber nicht gerade wünschenswerte Institution sah, so waren dies vor [305] allem zwei Persönlichkeiten, die hier hervortraten: Himmler auf der einen Seite, Bormann – besonders später viel radikaler noch wie Himmler – auf der anderen Seite. Bei Himmler waren die Beweggründe weniger politischer, vielmehr verworrener, mystischer Art; bei Bormann waren sie zielbewußter. Es war auch klar, daß von der großen Gruppe der Gauleiter dieser und jener schärfer in diesem Kampf gegen die Kirche eingestellt war. So gab es eine Reihe von Gauen, wo alles mit der Kirche in bester Ordnung war, und es gab wieder wenig andere Gaue, wo hier ein scharfer Kampf gegen die Kirche stattgefunden hat. Ich persönlich habe mehrmals eingegriffen. Zunächst, um nach außen hin meine Einstellung zu zeigen und Beruhigung zu schaffen, berief ich in den Preußischen Staatsrat als besondere Männer meines Vertrauens sowohl einen hohen protestantischen wie einen hohen katholischen Geistlichen. Ich selbst bin nicht das, was man einen Kirchengänger nennt, aber ich bin bewußt ab und zu hineingegangen und habe immer der Kirche angehört, bewußt, und habe auch die Funktionen, die man kirchlich ausüben läßt, Hochzeit, Taufe, Beerdigung und so weiter stets in meinem Hause kirchlich vollziehen lassen. Der Gesichtspunkt dabei war, in diesem Streit der Meinungen jenen Menschen, die, schwach von Gemüt, nicht wußten, was sie tun sollten, damit zu zeigen, wenn der zweite Mann des Staates in die Kirche geht, sich trauen läßt, seine Kinder taufen läßt, konfirmieren läßt und so weiter, dann können sie das genau so ruhig tun. Aus der Anzahl der Briefe, die ich in dieser Richtung bekommen habe, ersah ich, daß das richtig war.

Im Laufe der Zeit kam aber, wie auf anderen Gebieten, so auch hier, eine weitere Verschärfung. Ich habe noch einmal im ersten Kriegsjahre mit dem Führer darüber gesprochen und ihm gesagt, es käme doch jetzt darauf an, daß jeder Deutsche seine Pflicht tue und jeder Soldat tapfer, wenn es sein muß, in den Tod geht. Wenn ihm dabei sein Glaube eine Stütze und Hilfe ist, mag er nun dieser oder jener Konfession an gehören, so kann dies nur ein Vorteil sein, und jede Beunruhigung in dieser Richtung muß auch unter Umständen die innere Festigkeit des Soldaten tangieren. Der Führer stimmte mir absolut bei. Ich selbst hatte in der Luftwaffe bewußt keine eigenen Geistlichen, da ich auf dem Standpunkt stand, jeder Luftwaffenangehörige kann zu dem Geistlichen und soll zu dem Geistlichen gehen, zu dem er Vertrauen besitzt. Dies wurde immer wieder in Appellen den Soldaten und auch den Offizieren gesagt. Der Kirche selbst sagte ich, es ist gut, wenn wir eine klare Trennung haben. In der Kirche solle er beten und nicht exerzieren, in der Kaserne solle er exerzieren, und solle er nicht mit Beten kommen. Auf diese Weise habe ich aus der Luftwaffe jede Erschütterung von kirchlichen Dingen von Anfang an ferngehalten und jedem seine größte Gewissensfreiheit in dieser Richtung gegeben.

[306] Die Verschärfung trat dann in rapidem Ausmaß – ich kann dafür die Gründe eigentlich nicht richtig angeben – in den zwei oder drei letzten Kriegsjahren besonders hervor; mag es damit zusammenhängen, daß in einem Teile der besetzten Gebiete die Geistlichen gleichzeitig, besonders in polnischem Gebiet, auch in tschechischem Gebiet, starke Vertreter im nationalen Sinne waren und es hier zu Zusammenstößen, ebenfalls wieder auf der politischen Ebene, kam, die sich dann natürlich auf die kirchliche überlagerten. Ich weiß nicht, ob dies vielleicht ein Grund ist, halte ihn aber für wahrscheinlich. Alles in allem möchte ich sagen, der Führer selbst war nicht gegen die Kirchen. Er sagte mir sogar einmal, es gibt gewisse Dinge, wo man auch als Führer sich nicht absolut durchsetzen kann, wenn sie reformbedürftig in der Luft liegen, und er glaube, daß eben in dieser Zelt auch über die Neugestaltung in kirchlichen Dingen viel gedacht und viel gesprochen würde. Er selbst aber fühle sich weder zum kirchlichen Reformator berufen, noch wünsche er, daß irgendeiner seiner politischen Führer auf diesem Gebiet sich Lorbeeren zu erringen versuche.


DR. STAHMER: Nun sind ja im Laufe der Jahre zahlreiche Geistliche sowohl aus Deutschland als auch besonders aus den besetzten Ostgebieten – Sie sprachen selbst eben von Polen und der Tschechei – in die KZ gebracht worden. War Ihnen darüber etwas bekannt?


GÖRING: Mir war bekannt, daß zunächst in Deutschland eine Reihe von Geistlichen ins KZ gebracht worden war. Der Fall Niemöller war allgemein bekannt. Ich möchte nicht näher auf ihn eingehen, weil er bekannt ist. Eine Reihe anderer Geistlicher wurde ins KZ eingeliefert, aber erst in den späteren Jahren, wie es eben zur Verschärfung des Kampfes gekommen war, weil sie auf der Kanzel politische Reden hielten, Kritik an Maßnahmen des Staates oder der Partei übten; und je nach der Schärfe dieser Kritik wurde nun von der Polizei eingegriffen. Ich habe auch hier einmal Himmler gesagt, daß ich es nicht für klug halte, Geistliche festzusetzen. Solange sie in der Kirche reden, sollten sie reden, was sie wollten. Wenn sie außerhalb der Kirche politische Reden halten würden, dann könnte er ja gegen sie vorgehen, wie bei allen anderen, die staatsfeindliche Reden halten würden. Es sind auch einige Geistliche, die sehr weit in ihrer Kritik gegangen sind, nicht verhaftet worden. Was die Verhaftung von Geistlichen aus besetzten Gebieten anbelangt, so habe ich davon gehört und sagte vorhin schon, daß dies nicht auf der kirchlichen Ebene so sehr der Fall war oder gar, weil sie Geistliche waren, sondern weil sie eben gleichzeitig sehr starke – ich verstehe das von ihrem Standpunkt aus – Nationalisten waren, und somit oft in gegnerische Handlungen gegen die Besatzungsmacht verwickelt waren.


[307] DR. STAHMER: Das Parteiprogramm befaßt sich in zwei Ziffern, glaube ich, mit der Judenfrage. Wie war Ihre grundsätzliche Einstellung zu dieser Frage?


GÖRING: Diese Frage, die ja in der Anklage so sehr stark hervorgehoben wurde, zwingt mich unter allen Umständen dazu, gewisse Voraussetzungen einzuschalten.

Nach dem Zusammenbruch Deutschlands 1918 trat in Deutschland das Judentum sehr stark hervor. Auf allen Gebieten, besonders stark auf dem politischen, allgemein geistig-kulturellen, und ganz besonders in der Wirtschaft. Die Frontkämpfer kamen zurück, hatten nichts, standen vor dem Nichts und sahen nun sehr viele jüdische Elemente, die im Laufe des Krieges aus Polen und dem Osten gekommen waren, in Positionen, besonders wirtschaftlichen. Es ist ja bekannt, daß unter dem Einfluß des Krieges und seinen Geschäften, der Demobilmachung, wiederum mit den großen Geschäftsmöglichkeiten, der Inflation und Deflation ungeheuere Verschiebungen und Verlagerungen in den Vermögensschichten stattfanden. Es waren sehr viele Juden, die nicht die genügende Zurückhaltung übten und immer stärker im Bilde des öffentlichen Lebens hervortraten, so daß sie zu Vergleichen geradezu aufforderten gegenüber der Anzahl, die sie stellten und gegenüber der Beherrschung der Positionen, die sie im Gegensatz zum deutschen Volk hatten. Hinzu kam, daß gerade jene Parteien, die von den national Eingestellten abgelehnt wurden, ein ebenfalls in keinem Verhältnis zur Zahl der Juden stehendes jüdisches Führertum aufwiesen. Dies galt nicht nur für Deutschland sondern auch für Österreich, das wir ja immer als einen deutschen Bestandteil ansahen. Dort war die Führung der gesamten Sozialdemokratie fast ausschließlich in jüdischen Händen. Sie spielten eine sehr große Rolle in der Politik gerade der Linksparteien und traten dann auch sehr stark in der Presse aller Richtungen hervor. Es erfolgten damals derartige fortgesetzte und laufende Angriffe auf alles Nationale, nationale Begriffe, nationale Ideale. Ich erinnere an all die Zeitschriften, Artikel, die hier Dinge in den Schmutz zogen, die uns doch heilig waren; ich erinnere an die Verzerrung, die auf dem Gebiet der Kunst ebenfalls in dieser Richtung ausgeführt wurde. An Theaterstücke, die das Frontkämpfertum tief in den Schmutz zogen; das Ideal des tapferen Soldaten wurde besudelt. Ich könnte hier einen ungeheueren Stapel vorlegen an derartigen Artikeln, Büchern, Darstellungen und so weiter. Es würde dies viel zu weit führen; und ich selbst bin auf diesem Gebiet auch nicht so bewandert. Dadurch entstand eine Abwehrbewegung, die nicht etwa vom Nationalsozialismus geschaffen wurde, sondern sie war vorher schon da und bestand schon während des Krieges sehr stark und kam noch viel stärker zum Durchbruch nach dem Kriege, wie der Einfluß des Judentums sich derartig auswirkte.

[308] Zudem war vieles gerade auf kulturellem Gebiete, geistigem Gebiete, ganz anders zum Ausdruck gebracht worden, wie es dem deutschen Empfinden entsprach. Auch hier klaffte eine große Kluft auf. Es kam hinzu, daß dann vor allem im Wirtschaftsleben eine schon, wenn man von der westlichen Industrie absieht, fast ausschließliche Vorherrschaft des Judentums vorhanden war und zwar von solchen Elementen, die auch von den alteingesessenen jüdischen Familien aufs schärfste abgelehnt wurden.

Als nun die Bewegung ihr Programm gestaltete, das von wenigen einfachen Leuten gemacht wurde – soviel ich weiß, war bei der Programmabfassung Adolf Hitler selbst gar nicht einmal beteiligt, oder noch nicht in der Führung – nahm auch dieses Programm jenen Punkt auf, der damals als ein Abwehrpunkt stark in großen Kreisen des deutschen Volkes vorhanden war. Kurz vorher war in München die Räterepublik gewesen, die Geiselmorde, und auch hier waren die Führer durchwegs Juden gewesen. Man muß verstehen, daß hierbei ein Programm, das in München von einfachen Leuten entstand, diesen Punkt ganz klar mit als Abwehr aufnahm. Es kamen auch die Berichte von der Räterepublik in Ungarn, auch wieder fast durchwegs Juden. Das wirkte alles aufs stärkste ein. Als nun das Programm bekannt wurde, wurde die Partei, die ja damals außerordentlich klein war, zunächst nicht ernst genommen und verlacht. Dann aber setzte ein konzentrierter Angriff der gesamten jüdischen Presse oder der von ihr beeinflußten Presse auf das allerschärfste von Anfang an gegen die Bewegung ein. Überall war das Judentum führend im Kampfe gegen den Nationalsozialismus, sei es nun auf dem Gebiete der Presse, sei es auf dem Gebiete der Politik, sei es auf dem Gebiete des kulturellen Lebens durch Verächtlichmachung des Nationalsozialismus, Lächerlichmachung des Nationalsozialismus, sei es auch auf dem wirtschaftlichen Gebiet. Wer Nationalsozialist war, bekam keine Stellung, der nationalsozialistische Geschäftsmann bekam keine Lieferungen, konnte keine Annoncen aufgeben und diese Kleinigkeiten, die sich herausstellten. Das alles schaffte natürlich eine starke Abwehr auf seiten der Partei und führte gleich von Anfang an zu einer Verschärfung des Kampfes, wie er zunächst auf Grund des Programms gar nicht beabsichtigt war. Denn das Programm wollte vor allen Dingen eines ganz klar:

Deutschland sollte durch Deutsche geführt werden und wünschte die Führung, besonders die politische Schicksalsgestaltung des deutschen Volkes durch deutsche Menschen, die das Empfinden dieses Volkes ganz anders wieder heben konnten wie Andersgeartete. So war auch zunächst in der Hauptsache nur gedacht die Ausschaltung des Judentums aus der Politik, aus der Staatsführung; später kam dann auch der kulturelle Sektor hinzu und zwar wegen des sehr starken Kampfes, der sich gerade auf diesem Gebiete zwischen dem [309] Judentum auf der einen Seite, Nationalsozialismus auf der anderen Seite abgespielt hatte.

Ich glaube, wenn hier manches harte Wort, das von uns gegen Juden und Judentum gefallen ist, vorgebracht wurde, so wäre ich doch in der Lage, Zeitschriften, Bücher und Zeitungen und Reden von der anderen Seite vorzulegen, die, was die Ausdrücke anbelangt und Beleidigungen, nicht mehr im geringsten zu überbieten sind. Und das alles mußte natürlich zu einer Verschärfung führen.

Es war am Anfang nach der Machtergreifung, da wurden zahlreiche Ausnahmen gemacht. Juden, die am Weltkrieg teilgenommen hatten, die sich Auszeichnungen erworben hatten, wurden anders gestellt und berücksichtigt, wurden nicht von solchen Ausschlußmaßnahmen im Beamtentum getroffen, wie andere. Wie gesagt, die Hauptsache war Ausschaltung aus dem politischen Sektor, dann im kulturellen.

Die Nürnberger Gesetze hatten den Zweck, die Rassentrennung klar herauszustellen und vor allem den Begriff des Mischlings für die Zukunft auszuschalten, weil der Begriff Halbjude, Vierteljude fortgesetzt zu Differenzierung, zu Unklarheiten auch in der Stellung führten. Aber auch hier möchte ich betonen, daß ich persönlich mit dem Führer wiederholt Aussprachen über den Begriff des Mischlings gehabt habe und dem Führer klarmachte, daß auf die Dauer, wenn deutsche Juden klar getrennt sind, dazwischen nicht noch ein Teil sein konnte, der innerhalb des deutschen Volkes wiederum einen unklaren Bestandteil darstellt, der nicht auf der gleichen Ebene stehen würde und habe ihm hier gesagt, doch durch einen großzügigen Akt den Begriff des Mischlings auszuschalten und diesen gleichzustellen mit den übrigen Deutschen. Der Führer griff diesen Gedanken sehr lebhaft auf und trat durchaus positiv meiner Auffassung bei und hat auch in dieser Richtung gewisse vorbereitende Anweisungen gegeben. Es kamen dann die außenpolitisch stürmischeren Zeiten, Sudetenkrise, Tschechoslowakei, Rheinlandbesetzung, nachher Polenkrise, wie ich schon andeutete, so daß diese Frage der Mischlinge zurücktrat, und bei Kriegsbeginn sagte mir der Führer, daß er bereit sei, die Sache positiv großzügig zu lösen, aber erst nach dem Kriege.

Die Nürnberger Gesetze sollten nun für die Zukunft den Begriff der Mischlinge ausschalten durch eine klare Trennung der Rasse. Es sahen deshalb auch die Nürnberger Gesetze in ihren Strafbestimmungen niemals die Frau, sondern immer nur den Mann vor, gleichgültig, ob er Jude oder Deutscher war. Es durfte nicht die deutsche Frau oder die Jüdin bestraft werden. Dann traten wieder ruhigere Zeiten ein, und der Führer hatte auch immer die Auffassung, daß die Juden zunächst, wenn auch nicht in ganz führenden und hervortretenden Stellen in der Wirtschaft, aber doch in der [310] Wirtschaft bleiben sollten, bis eine allmählich einsetzende, verstärkte geregelte Auswanderung dieses Problem lösen sollte. Trotz der dauernden Unruhen und Schwierigkeiten, die es in der Wirtschaft gab, blieben die Juden in der Wirtschaft im großen und ganzen zunächst unbehelligt.

Die außerordentliche Verschärfung, die später dann eintrat, trat tatsächlich erst nach den Ereignissen von 1938 und dann in verschärftem Ausmaße in den Kriegsjahren ein. Auch hier war natürlich wieder ein radikaler Flügel auf der einen Seite, für den die Judenfrage bedeutender im Vordergrund stand als für die andere Seite der Bewegung, wie ich überhaupt gerade an dieser Stelle betonen möchte, daß der Begriff Nationalsozialismus als Weltanschauung ja auch verschieden aufgefaßt wurde, von einem mehr philosophisch, von anderen mehr mystisch, von dritten klar und politisch. So war es auch mit den verschiedenen Programmpunkten. Für den einen traten sie mehr in den Vordergrund, für den anderen weniger. Der eine sah im Programmpunkt: »Weg von Versailles«, Deutschland groß und stark zu machen, frei zu machen, einen Hauptprogrammpunkt, der andere mehr vielleicht in der Judenfrage.

DR. STAHMER: Herr Präsident, ist Ihnen jetzt die Pause angenehm?

VORSITZENDER: Würde dies jetzt ein geeigneter Zeitpunkt sein, zu unterbrechen? Dr. Stahmer, können Sie dem Gericht mitteilen, wie lange Ihrer Ansicht nach die Vernehmung des Angeklagten Göring noch dauern wird?

DR. STAHMER: Ich hoffe, daß wir morgen im Laufe des Vormittags fertig werden.


VORSITZENDER: Das ist sehr lange.


DR. STAHMER: Ich werde mich bemühen, es abzukürzen.


[Pause von 10 Minuten.]


DR. STAHMER: Welchen Anteil hatten Sie an dem Erlaß der Nürnberger Gesetze vom September 1935?

GÖRING: Ich habe diese Gesetze in meiner Eigenschaft als Präsident des Reichstags, der in Nürnberg zu diesem Zeitpunkt zusammengetreten ist, gleichzeitig mit dem Gesetz über die neue Reichsflagge verkündet.


DR. STAHMER: In der Anklage ist einmal die Behauptung aufgestellt, daß die Vernichtung der jüdischen Rasse ein Teil der Planung von Angriffskriegen gewesen sei.

GÖRING: Das hat mit der Planung von Angriffskriegen nichts zu tun. Es war auch nicht die Vernichtung der jüdischen Rasse vorher geplant.


[311] DR. STAHMER: Sind Sie beteiligt an dem Vorgehen gegen die Juden in der Nacht vom 9. auf 10. November 1938?


GÖRING: Ich möchte kurz darauf eingehen. Ich habe gestern aus dem Kreuzverhör des Zeugen Körner ersehen, daß hier ein Mißverständnis entstanden ist. Am 9. November wurde der Marsch auf die Feldherrnhalle gefeiert dadurch, daß dieser Marsch jedes Jahr wiederholt wurde; und hierzu kamen auch die entscheidenden Führer der Bewegung zusammen. Dies meinte Körner als er sagte, daß alles nach München kam.

Nachdem der Marsch vorbei war, trafen sich die meisten im Münchener Rathaus zu einem Essen, an dem der Führer ebenfalls teilnahm.

Ich habe an diesem Essen an keinem Jahr teilgenommen, da ich den Münchener Aufenthalt an diesem Tage benutzte, um nachmittags andere Dinge zu erledigen. Ich habe auch diesmal nicht an dem Essen teilgenommen, auch Körner nicht, sondern bin mit ihm zusammen am Abend mit meinem Sonderzug nach Berlin zurückgefahren.

Wie ich später erfahren habe, bei der Untersuchung, hat bei diesem Essen, nachdem der Führer es verlassen hat, Goebbels bekanntgegeben, daß der schwerverwundete Gesandtschaftsrat in Paris diesen Verwundungen erlegen sei. Es gab eine gewisse Erregung, und daraufhin hat Goebbels scheinbar dann Worte über Vergeltung gesprochen und in seiner Art – er war vielleicht der allerschärfste Vertreter des Antisemitismus – sicherlich hier die Auslösung zu den Ereignissen gegeben, nachdem der Führer weg war.

Ich selbst erfuhr von den Dingen tatsächlich bei Ankunft in Berlin, und zwar zunächst sagte mir der Schaffner meines Wagens, in Halle habe er Brände gesehen. Eine halbe Stunde später ließ ich den Adjutanten vor, der mir meldete, daß es in der Nacht zu Krawallen gekommen sei, jüdische Geschäfte geplündert und eingeworfen seien, Synagogen seien angezündet worden. Mehr wußte er zunächst selbst nicht.

Ich fuhr in meine Wohnung und habe sofort bei der Gestapo anrufen lassen und einen Bericht über die Vorgänge in der Nacht gefordert. Das ist der Bericht, der auch hier angezogen worden ist, und den mir der Leiter der Gestapo Heydrich über die Ereignisse machte, soweit er sie bis zu dem Zeitpunkt, also am Abend des darauffolgenden Tages glaube ich war es, wußte.

Der Führer traf ebenfalls im Laufe des Vormittags in Berlin ein. Mittlerweile hörte ich, daß Goebbels mindestens als Urheber stark beteiligt war. Ich sagte dem Führer: Es sei für mich unmöglich, daß derartige Vorgänge gerade jetzt geschähen. Ich gäbe mir die größte Mühe im Vierjahresplan, die gesamte Wirtschaft aufs[312] äußerste zu konzentrieren. Ich habe und hätte in Ansprachen an das Volk aufgefordert, jede alte Zahnpastentube, jeden rostigen Nagel, jedes Altmaterial zu sammeln und zu verwenden. Es wäre unmöglich, daß ein Mann, der für diese Dinge nicht verantwortlich wäre, meine schwere wirtschaftliche Aufgabe dadurch stört, daß so viel wirtschaftliche Werte einerseits dadurch vernichtet werden, andererseits eine solche Unruhe in das Wirtschaftsleben hineingebracht werde.

Der Führer entschuldigte etwas, stimmte mir aber im großen und ganzen zu, daß sich diese Dinge nicht ereignen sollten und dürften. Ich machte ihn auch darauf aufmerksam, daß so kurz nach dem Münchener Abkommen diese Dinge auch außenpolitisch durchaus ungünstige Einwirkung hätten.

Am Nachmittag sprach ich nochmals mit dem Führer. Unterdessen war Goebbels bei ihm gewesen, dem ich ebenfalls in unmißverständlicher Weise telephonisch meine Auffassung in sehr scharfen Worten durchgegeben hatte. Ich sagte ihm damals noch ausdrücklich, ich hätte keine Lust, für seine unbeherrschten Äußerungen nachher die Zeche zu bezahlen, wirtschaftlich gesehen.

Der Führer war mittlerweile durch Goebbels etwas umgestimmt worden. Was ihm Goebbels gesagt hat, wie weit er von Erregung der Volksmenge beim Führer sprach, von dringenden Ausgleichen, weiß ich nicht. Auf jeden Fall war die Einstellung des Führers nicht mehr so, wie bei meiner ersten Beschwerde.

Während wir sprachen, kam Goebbels hinzu, der im Hause war, und begann mit seinen üblichen Äußerungen; daß es nicht hingenommen werden könnte, dies sei nun der zweite oder dritte Mord eines Juden an einem Nationalsozialisten im Ausland. Damals fiel auch zum erstenmal von seiner Seite der Vorschlag der Auferlegung einer Buße, und zwar wünschte er, daß die Gaue für sich eine derartige Buße einziehen sollten, und nannte auch eine ganz unverständlich hohe Summe.

Ich widersprach und sagte dem Führer: Wenn eine Buße, dann nur durch das Reich, denn Herr Goebbels hat hier die meisten Juden in Berlin und wäre deshalb nicht der Geeignete, diese Dinge zu machen, weil er hier am meisten interessiert sei. Außerdem, wenn solch eine Maßnahme gemacht würde, so habe nur der souveräne Staat dazu das Recht. Nach kurzem Hin und Her über die Höhe wurde eine Milliarde festgelegt.

Ich machte den Führer aufmerksam, daß natürlich unter Umständen diese Summe Rückschläge auf das Steueraufkommen haben würde. Der Führer wünschte dann und befahl, daß nunmehr auch die wirtschaftliche Lösung durchgeführt würde.

Damit kein weiterer Anlaß zu solchen Vorkommnissen sei, sollten in erster Linie die nach außen sichtbaren und bekannten [313] jüdischen Geschäfte arisiert werden. Besonders die Kaufhäuser, weil es hier immer wieder zu Zwistigkeiten kam dadurch, daß Beamte und Angestellte der Ministerien, die nur zwischen 6.00 und 7.00 Uhr abends Zeit hatten einzukaufen, sich oft dahin begaben und dadurch Schwierigkeiten hatten. Er ordnete im großen und ganzen an, was zu geschehen habe.

Ich habe dann daraufhin die Sitzung des 12. November einberufen, mit den für diese Aufgaben zuständigen Ressorts. Der Führer hatte leider verlangt, daß in dieser Kommission – es sollte eine Kommission eingesetzt werden – Goebbels mit vertreten sein sollte. Er war auch anwesend, obwohl ich sagte, daß er mit den wirtschaftlichen Dingen nichts zu tun habe.

Es ging dann sehr lebhaft zu. Wir waren alle gereizt in dieser Sitzung. Ich habe dann die wirtschaftlichen Gesetze entwerfen lassen und habe sie dann herausgegeben. Andere Vorschläge, die außerhalb des Wirtschaftssektors lagen, Reisebeschränkung, Aufenthaltsbeschränkung, Beschränkung in Bädern und so weiter habe ich für meine Person, weil nicht zuständig dafür, und weil ich nicht Auftrag für diese hatte, abgelehnt. Sie sind später dann auf dem polizeilichen Sektor erlassen worden, nicht von mir, und haben dann durch mein Eingreifen verschiedene Ausgleiche und Milderungen gefunden.

Ich möchte betonen, daß ich, obwohl ich schriftlichen Auftrag und Befehl, mündlich und schriftlich, vom Führer gehabt habe, diese Gesetze durchzuführen und zu erlassen, die volle und ganze Verantwortung für diese von mir gezeichneten Gesetze auf mich nehme, denn ich habe sie erlassen und bin damit für sie verantwortlich und denke nicht daran, mich hinter den Befehl des Führers in irgendeiner Form zu verstecken.

DR. STAHMER: Etwas anderes: welche Gründe führten zu der Absage an die Abrüstungskonferenz und zu dem Austritt aus dem Völkerbund?

GÖRING: Die Hauptgründe hierfür waren vor allem, daß die anderen Staaten, die nach vollendeter Abrüstung Deutschlands ebenfalls zur Abrüstung verpflichtet waren, dieses nicht getan haben.

Der zweite Punkt war, daß man auch einen Mangel an jeder Bereitwilligkeit feststellte, auf berechtigte deutsche Revisionsanträge in irgendeiner Form einzugehen.

Drittens, daß mehrfache Verstöße gegen Versailles und gegen die Völkerbundssatzung von anderen Staaten, Polen, Litauen und so weiter vorgekommen waren, die vom Völkerbund zunächst gerügt wurden, aber schließlich nicht abgestellt, sondern als »faits accomplis« hingenommen wurden.

[314] Viertens, daß alle Beschwerden Deutschlands in den Minderheitsfragen zwar diskutiert und wohlgemeinte Ratschläge gegeben wurden an die Staaten, gegen die die Beschwerden vorgebracht wurden, aber de facto nicht das geringste zu ihrer Abhilfe geschehen ist.

Das waren die Gründe, aus dem Völkerbund und aus der Abrüstungskonferenz auszutreten.


DR. STAHMER: Weshalb entschloß sich Hitler zur Aufrüstung und zur Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht?


GÖRING: Als Deutschland ausgetreten war aus dem Völkerbund und der Abrüstungskonferenz, hat es aber gleichzeitig seinen klaren Entschluß den interessierten Hauptmächten bekanntgegeben, auf eine allgemeine Abrüstung zu kommen. Und der Führer macht nun verschiedene Vorschläge, die im einzelnen als historisch bekannt vorausgesetzt werden können: Beschränkung auf soundso viele Mann der aktiven Wehrmacht, Beschränkung auf gewisse Waffen, Abschaffung von bestimmten Waffen, zum Beispiel auch Bombenflugzeugen und mehreres dergleichen. Jeder dieser Vorschläge wurde aber abgelehnt und kam nicht zu einer allgemeinen Ausführung, nicht einmal zur Diskussion. Als nun die klare Erkenntnis beim Führer und bei uns feststand, daß die andere Seite nicht daran denkt abzurüsten, sondern im Gegenteil, besonders die gewaltige Macht im Osten von uns, Rußland, eine nie dagewesene Aufrüstung durchführte, war es notwendig, zur Sicherstellung der vitalsten Interessen des deutschen Volkes, seines Lebens und seiner Sicherheit, ebenfalls nun unsererseits freizukommen von den Bindungen, und in dem Maße aufzurüsten, wie es nunmehr ausschließlich die eigenen Interessen und die eigene Sicherheit des Reiches erforderten. Damit war als erste Voraussetzung die Notwendigkeit gegeben, die allgemeine Wehrpflicht wieder einzuführen.


DR. STAHMER: In welchem Umfange war die Luftwaffe an dieser Aufrüstung beteiligt?


GÖRING: Als ich im Jahre 1933 das Luftfahrtministerium gründete, wurde noch nicht an eine Aufrüstung herangegangen. Trotzdem schaffte ich gewisse Voraussetzungen. Ich ging sofort an die Verbreiterung der fabrikatorischen Basis, erweiterte den Luftverkehr über das verkehrsnotwendige Maß hinaus, um eine größere Anzahl von Fliegern ausbilden zu können. Ich übernahm damals eine Reihe von jungen Leuten, Fähnriche, Leutnants, die bei der Wehrmacht daraufhin ihren Abschied nehmen mußten, um zunächst in die Verkehrsfliegerei einzutreten und dort das Fliegen zu lernen. Ich war mir von Anfang an klar, daß eine der allerwichtigsten Voraussetzungen für die Sicherheit meines Volkes der Schutz auch im vertikalen Raum, das heißt in der Luft, notwendig sei. Ich hatte zunächst geglaubt, mit einer Abwehrluftwaffe, das [315] heißt mit einer Jägerwaffe, vielleicht auszukommen. Bei Überlegung aber erkannte ich und möchte unterstreichen, was der Zeuge Feldmarschall Kesselring ausgesagt hat, daß man allein mit einer Jagdwaffe zur Abwehr verloren ist, sondern daß auch zu einer defensiven Waffe Bombenflugzeuge gehören, um sie offensiv gegen die feindliche Luftwaffe auf dem Boden bereits einsetzen zu können. Ich ließ daher auch aus den Verkehrsflugzeugen heraus Bombertypen entwickeln. Am Anfang ging die Aufrüstung langsam vor sich. Es mußte alles von Grund auf neu geschaffen werden, da in der Luft an Rüstung nichts vorhanden war. Im Jahre 1935 erklärte ich dem Führer, daß ich es nunmehr für richtig halten würde, nachdem uns immer wieder Absagen auf unsere Vorschläge gegeben waren, der Welt offen zu erklären, daß wir eine Luftwaffe schaffen, und daß ich hierfür eine gewisse Voraussetzung bereits geschaffen hätte. Es geschah dies in Art eines Interviews, das ich einem englischen Korrespondenten gegeben habe.

Nunmehr konnte ich auch in größerem Maße aufrüsten. Trotzdem blieb es zunächst, wie wir es nannten, eine »Risiko-Luftwaffe«, das heißt insofern Risiko, als ein Gegner, der Deutschland angreifen würde, damit rechnen mußte, daß er immerhin schon auf eine Luftwaffe treffen würde. Aber doch keineswegs stark genug, um irgendwie ihrerseits ins Schwergewicht zu fallen. 1936 kommt nun dies bekannte Protokoll, das dem Zeugen Bodenschatz vorgelegt wurde, wo ich sage, wir müssen von Stund an mobilmachungsmäßig arbeiten, Geld spielt keine Rolle, kurz gesagt, ich übernehme die Verantwortung für das Überziehen des Etats.

Da vorher nichts da war, konnte ich nur rasch einigermaßen aufholen, wenn ich die Luftwaffenindustrie einerseits mit höchsten Schichten und Touren, also mobilmachungsmäßig und mit höchster Anspannung laufen ließ, andererseits Ausbildung, Ausbau der Bodenorganisation und all diese Dinge desgleichen mit höchstem Nachdruck durchführte. Die Lage 1936 kennzeichnete ich in dem Protokoll meinem Mitarbeiter als ernst. Die anderen Staaten hätten zwar nicht abgerüstet, aber da und dort ihre Luftwaffe vielleicht vernachlässigt. Sie holten diese Vernachlässigung auf. Heftige Debatten über den Aufbau und die Modernisierung der Luftwaffe fanden in England statt. In Rußland wurde fieberhaft daran gearbeitet; darüber hatten wir einwandfreie Berichte.

Ich komme im Falle Rußland noch zur russischen Aufrüstung.

Als in Spanien der Bürgerkrieg ausgebrochen war, sandte Franco einen Hilferuf an Deutschland um Unterstützung, besonders in der Luft. Man darf nicht vergessen, Franco stand mit seinen eigentlichen Truppen in Afrika, konnte nicht herüberkommen, da die Flotte in Händen der Kommunisten war oder, wie sie sich damals [316] nannte, der zuständigen Revolutionsregierung in Spanien. Das Entscheidende war, daß zunächst seine Truppen nach Spanien kamen.

Der Führer überlegte sich, ich drängte lebhaft, die Unterstützung unter allen Umständen zu geben. Einmal, um der Ausweitung des Kommunismus an dieser Stelle entgegenzutreten, zum zweiten aber, um meine junge Luftwaffe bei dieser Gelegenheit in diesem oder jenem technischen Punkt zu erproben.

Ich sandte mit Genehmigung des Führers einen großen Teil meiner Transportflotte und sandte eine Reihe von Erprobungskommandos meiner Jäger, Bomber und Flakgeschütze hinunter und hatte auf diese Weise Gelegenheit, im scharfen Schuß zu erproben, ob das Material zweckentsprechend entwickelt wurde. Damit auch das Personal eine gewisse Erfahrung bekam, sorgte ich für einen starken Umlauf, das heißt immer wieder neue hin und die anderen zurück.

Die Aufrüstung der Luftwaffe forderte aber als Voraussetzung die Schaffung einer ganzen Reihe neuer Industrien. Es nützte mir nichts, eine starke Luftwaffe aufzubauen und kein Benzin dafür zu haben. Ich mußte also auch hier die Filtrierwerke aufs schärfste forcieren. Es gab auch andere Zusatzindustrien, vor allen Dingen Aluminium. Da ich nun für die Sicherheit des Reiches die Luftwaffe bei der weiteren Modernisierung der Technik als wichtigen Wehrmachtsbestandteil ansah, mußte ich pflichtgemäß als Oberbefehlshaber alles tun, um sie aufs höchste zu entwickeln, und da nichts da war, mußte hier aufs höchste und mit höchstem Nachdruck gearbeitet werden. Das habe ich getan. Es ist hier viel im Kreuzverhör über viermotorige Bomber, zweimotorige Bomber und so weiter, gesprochen worden. Die Zeugen gaben Auskunft so gut sie es wußten und konnten. Sie überblickten aber nur Teilgebiete und äußerten ihre Ansichten von ihrem Standpunkt aus.

Allein verantwortlich war ich und bin ich, denn ich war Oberbefehlshaber, und ich war der Minister. Ich war verantwortlich für die Rüstung, technisch verantwortlich für die Ausbildung, verantwortlich für den Geist der Luftwaffe.

Wenn ich keine viermotorigen Bomber zu Anfang oder in jenem Stadium geschaffen habe, dann nicht deshalb, weil ich Bedenken gehabt haben würde, diese könnten mir eventuell als eine Angriffsluftwaffe ausgelegt werden. Das hätte mich keinen Augenblick gestört. Ausschließlich deshalb, weil technische und fabrikatorische Voraussetzungen hier nicht gegeben waren. Es war eben von meiner Industrie dieser Bomber noch nicht entwickelt; jedenfalls nicht so, wie ich ihn hätte brauchen können. Zweitens war ich noch knapp mit dem Aluminium, und jeder halbwegige Fachmann weiß, wieviel Aluminium ein Viermotoriger schluckt und wieviel Jäger beziehungsweise schnelle zweimotorige Bomber man dafür bauen kann.

[317] Ich mußte mir zunächst einmal ansehen, wer kommt als Gegner, Kriegsgegner, für Deutschland in Frage. Reichen die technischen Voraussetzungen für Begegnung eines solchen Angriffes, der auf Deutschland kommen würde, aus? Als Gegner kam in Frage Rußland, das ich als Hauptgegner ansah. Es kam aber auch in Frage England, Frankreich, auch Italien. Ich mußte ja mit allen pflichtgemäß rechnen.

Für den europäischen Kriegsschauplatz genügten mir zunächst Bomber, die die wichtigen Zentren der Rüstungsindustrie erreichen konnten. Ich brauchte also zunächst keine, die darüber hinausgingen. Es war wichtiger, mehr zu besitzen, die diese Möglichkeit hatten. Aber ich habe da in einer Ansprache an die Luftindustriellen keinen Zweifel darüber gelassen, daß ich sehnlichst und dringend einen Bomber wünschte, der auch mit der notwendigen Bombenlast nach Amerika fliegen könnte und wieder zurück. Ich habe sie aufgefordert, eifrigst daran zu arbeiten für den Fall, daß hier Amerika in einen Krieg gegen Deutschland eintreten würde, daß ich ebenfalls die amerikanische Rüstungsindustrie erreichen könnte.

Es war also nicht an dem, daß ich sie nicht wollte. Ich habe sogar, wie ich mich erinnere, ein größeres Preisausschreiben für Bomber gemacht, die in großen Höhen und mit großen Geschwindigkeiten große Strecken überwinden könnten. Bereits vor Kriegsbeginn haben wir ja schon das propellerlose Flugzeug zu entwickeln begonnen.

Alles in allem möchte ich abschließend sagen, ich habe alles getan, was unter den damaligen technischen und fabrikatorischen Voraussetzungen in höchstem Maße für den Aufbau und die Aufrüstung einer starken Luftwaffe getan werden konnte, und bei den damals technischen Erkenntnissen. Daß nach fünf Jahren Krieg andere technische Erkenntnisse und praktische Erkenntnisse auftreten können, ist ein Erfahrungsgrundsatz. Ich wollte bereit sein, eine Luftwaffe zu besitzen, die, wie auch die politische Lage sich entwickeln sollte, stark genug wäre, das Vater land zu schützen, und stark genug, dem Feinde des Vaterlandes Schläge beizubringen. Es ist durchaus richtig, wenn der Herr Oberrichter Jackson gefragt hat, ob die schnelle Erledigung Polens und Frankreichs darauf zurückzuführen ist, daß die deutsche Luftwaffe hier nach modernen Grundsätzen so ausgiebig mitwirkte. Es war dies die entscheidende und tatsächlichste Voraussetzung hierfür. Andererseits – was mich nichts angeht – ist der Einsatz der amerikanischen Luftwaffe auch die Voraussetzung für den Sieg der Alliierten gewesen.

DR. STAHMER: Hing mit diesem Aufbau zusammen, daß Ihnen die Kontrolle über die Rohmaterialien bereits im April 1936 übertragen wurde?

[318] GÖRING: Ich brauche nicht wiederholen, was der Zeuge Körner gestern oder vorgestern ausgeführt hat, über die allmähliche Einschaltung meiner Person in die Wirtschaftsführung. Der Ausgangspunkt war die landwirtschaftliche Krise im Jahre 1935. Im Frühsommer 1936 kam der damalige Kriegsminister von Blomberg, der damalige Wirtschaftsminister und Reichsbankpräsident Dr. Schacht und Minister Kerrl zu mir und fragten mich, ob ich bereit wäre, ihrem Vorschlag, den sie dem Führer unterbreiten wollten, beizutreten, daß ich als Rohstoff- und Devisenkommissar eingesetzt würde. Es bestand Einigkeit dar über, daß ich hier nicht als wirtschaftlicher Fachmann auftrat, das war ich nicht, sondern daß es darum ging, die Schwierigkeit, bei der Knappheit der Devisen trotz der dauernden Anforderungen einen Ausgleich herzustellen, zu beheben und gleichzeitig die scharfe Heranschaffung und den Aufbau von Rohstoffen zu fördern. Daß hierzu jemand notwendig war, dessen Maßnahmen, die vielleicht ohne weiteres nicht verstanden wurden, vom Volk durch seine Autorität einmal gedeckt würden, und zweitens, daß ich auch auf diesem Gebiet nicht als Fachmann, wohl aber als Treiber, meine Energie einsetzen sollte. Minister Schacht, der der Fachminister war, hatte Schwierigkeiten mit der Partei. Er war nicht Parteimitglied. Er war zwar beim Führer und bei mir damals in hohem Ansehen, aber weniger bei der Parteigenossenschaft. Und es bestand die Gefahr, daß die Maßnahmen, die richtig waren, von dort nicht verstanden wurden, und hier wäre ich nun der richtige Mann, dem Volk und der Partei gegenüber die Dinge abzudecken. So kam es dazu. Aber, da ich als Luftfahrtminister, wie ich schon ausführte, interessiert war an Rohstoffen, schaltete ich mich stärker und stärker selbst ein. Es kamen auch Differenzen zwischen Landwirtschaft und Wirtschaft für Devisen stärker zum Ausdruck, so daß ich selbst Entscheidungen fällen mußte und verschärfte Maßnahmen fällte. Dadurch kam ich in die ganze Wirtschaftsführung hinein und widmete meiner Aufgabe sehr viel Zeit und Arbeit für die Beschaffung vor allen Dingen der notwendigen Rohstoffe, für die Sicherung der Wirtschaft und für die Sicherung der Aufrüstung. Daraus entstand dann der Vierjahresplan, der mir weitestgehende Vollmachten gab.


DR. STAHMER: Welches Ziel hatte der Vierjahresplan?


GÖRING: Der Vierjahresplan hatte zwei Ziele: Erstens, die deutsche Wirtschaft soweit irgendwie möglich, besonders auf dem landwirtschaftlichen Sektor, krisenfest zu machen. Zweitens, für den Fall eines Krieges Deutschland blockadefest, soweit wie irgend möglich, zu machen. Es war also notwendig, einmal die Landwirtschaft auf die äußerste Kraft zu steigern, richtig zu erfassen, zu lenken, den Verbrauch zu steuern und hier Vorräte durch Verhandlungen mit dem Ausland einzulagern. Zweitens, zu überprüfen, [319] welche Rohstoffe, die bisher eingeführt wurden, in Deutschland selbst gefunden, erzeugt und beschafft werden konnten, welche Rohstoffe, deren Einführung Schwierigkeiten machte, durch andere, die leichter zu beschaffen waren, ersetzt werden konnten. In Kürze: Auf dem landwirtschaftlichen Sektor Ausbau jeder verfügbaren Fläche, Regulierung des Anbaues nach Notwendigkeit der Früchte, Steuerung der Viehwirtschaft, Sammlung von Reserven für Notzeiten und schlechter Ernte. Auf dem gewerblichen Sektor Schaffung von Industrien, die Grundstoffe lieferten.

Kohle war an sich genügend da, die Förderung mußte aber ganz erheblich und ganz bedeutend gesteigert werden, Kohle, der Urrohstoff, von dem alle anderen Dinge ausgingen.

Eisen: Unsere Eisenindustrie hatte sich derartig vom Ausland abhängig gemacht, daß im Falle einer Krise hier die verhängnisvollsten Lagen eintreten konnten. Ich verstehe, daß es vom rein finanziellen und geschäftlichen Punkt richtig war, wir mußten aber trotzdem daran gehen, die deutschen Erze, die da waren, allerdings in viel schlechterem Gehalt wie die schwedischen Erze, zu fördern und bereitzustellen. Wir mußten die Industrie zwingen, sie zunächst zu mischen und sich auch mit diesen deutschen Erzen abzufinden. Ich ließ hier leichtfertigerweise ein Jahr Zeit. Da sie dann immer noch nicht an die Erschließung ging, gründete ich die Reichswerke, die dann meinen Namen bekamen, mit dem Ziele, die in deutschem Boden vorkommenden Roheisenerze in den Hüttenwerken zu verwerten.

Es waren notwendig die Gründung der Filtrierwerke, Aluminiumwerke und verschiedener anderer und dann die Entwicklung der sogenannten Kunststoffindustrie zu fördern, um notwendige, schwer zu erhaltende Rohstoffe, die nur aus dem Auslande bezogen werden konnten, auszugleichen. Dazu gehörte auch auf dem Textilgebiet die Umstellung der Textilindustrie und I. G. Farben.

Das war im großen und ganzen die Aufgabe des Vierjahresplanes.

Natürlich war darin eine dritte Frage, die Arbeiterfrage. Der Ausgleich mußte auch hier geschaffen werden. Die wichtigen Industrien mußten Arbeiter erhalten, die unwichtigen Industrien mußten sie abgeben. Steuerung dieses Arbeitseinsatzes, der sich vor dem Kriege ja rein intern in Deutschland auswirkte, war ebenfalls Aufgabe des Vierjahresplanes und der Abteilung »Arbeitseinsatz«.

Der Vierjahresplan selbst hatte sehr rasch einen zu großen Umfang als Behörde angenommen. Ich übernahm dann für zwei Monate, nach Weggang von Herrn Schacht, das Wirtschaftsministerium, baute den Vierjahresplan dort ein und behielt dann nur einen ganz kleinen Mitarbeiterstab und führte die Aufgaben mit Hilfe der vorhandenen und zuständigen Ministerien durch.


[320] DR. STAHMER: Lag der Durchführung dieser Pläne das Ziel zu Grunde, einen Angriffskrieg vorzubereiten?


GÖRING: Nein. Das Ziel der Pläne war, wie ich sagte, Deutschland krisenfest in der Wirtschaft und blockadefest für den Fall eines Krieges zu machen und selbstverständlich im Vierjahresplan die Voraussetzung für die Aufrüstung mit durchzuziehen. Das war ja auch eine seiner wichtigen Aufgaben.


DR. STAHMER: Wie kam es zu der Besetzung des Rheinlandes?


GÖRING: Die Besetzung des Rheinlandes ist nicht, wie hier behauptet wurde, von langer Hand vorbereitet gewesen, sondern das, was vorher besprochen war, behandelte nicht die Besetzung des Rheinlandes, sondern für den Fall, daß Deutschland angegriffen würde, die Mobilmachungsmaßnahmen im Rheinland.

Zur Besetzung des Rheinlandes kam es aus zwei Gründen:

Die Balance, die durch den Locarno-Pakt geschaffen worden war, war in Westeuropa gestört worden dadurch, daß ein neuer Faktor im Beistandssystem Frankreichs auftrat, nämlich Rußland mit einer damals schon außerordentlichen Präsenzstärke seiner Wehrmacht. Weiter kam das russisch-tschechische Bündnis, oder der Beistandspakt, hinzu. Damit war die Voraussetzung, nach unserer Auffassung, für Locarno weggefallen.

Es war nun eine solche Bedrohung für Deutschland eingetreten, oder die Möglichkeit einer solchen Bedrohung, daß es ehr- und pflichtvergessen von der Regierung gewesen wäre, würde sie nicht alles getan haben, um auch hier die Sicherheit des Reiches zu gewährleisten. Sie machte deshalb von ihrem souveränen Recht als souveräner Staat Gebrauch und befreite sich auch von der entwürdigenden Verpflichtung, einen Teil des Reiches nicht unter seinen Schutz zu stellen, sondern nahm auch diesen wichtigen Teil seines Reiches nunmehr unter seinen Schutz, und zwar durch Anlage einer starken Befestigung.

Nun ist ja die Anlage einer solch starken Befestigung, einer solch teueren Befestigung und solch einer umfangreichen Befestigung nur dann gerechtfertigt, wenn man diese Grenze als eine definitive und endgültige ansieht. Wenn ich beabsichtige, eine Grenze in absehbarer Zeit hinauszuschieben, dann kann es niemals möglich sein, ein solch kostspieliges und das ganze Volk so belastendes Unternehmen, wie den Bau des Westwalles, festzulegen. Es geschah dies, das möchte ich hier ganz besonders betonen, von Anfang an in einer absolut defensiven Richtung und war eine defensive Maßnahme. Sie sicherte die Westgrenze des Reiches vor einer Bedrohung, die durch ein neueintretendes Zusammenspiel oder durch eine neueingetretene Kräfteverschiebung, wie den Beistandspakt Frankreich-Rußland, bedrohlich für Deutschland [321] geworden war. Die tatsächliche Besetzung, der Entschluß hier zu, das Rheinland zu besetzen, wurde sehr kurzfristig gefaßt. Die Truppen, die in das Rheinland einmarschierten, waren so geringfügig – es steht ja so fest –, daß sie eigentlich nur eine programmatische Besetzung darstellten. Die Luftwaffe selbst konnte zunächst überhaupt nicht in das linke Rheingebiet, weil keine entsprechende Bodenorganisation da war. Sie ging in die sogenannte entmilitarisierte rechtsrheinische Zone, Düsseldorf und andere Städte. Es war also nicht so, als ob nun plötzlich das Rheinland mit einer großen Welle von Truppen besetzt wurde, sondern es war, wie gesagt, so, daß einige Bataillone, wenige Batterien, zunächst einmarschierten, um damit programmatisch zu erklären: das Rheinland ist nun auch in dieser Beziehung wieder unter die volle Souveränität des souveränen Reiches getreten und wird in Zukunft ebenso geschützt werden.


DR. STAHMER: Welche Ziele verfolgte Hitler mit der Schaffung des Reichsverteidigungsrates und dem Erlaß des Reichsverteidigungsgesetzes?

GÖRING: Der Reichsverteidigungsrat hat hier in den letzten Monaten eine große Rolle gespielt.

Ich bitte, nicht mißverstanden zu werden, ich glaube, daß in diesen Monaten mehr von ihm gesprochen wurde, als er seit Bestehen jemals hat sprechen können. Zunächst heißt es Reichsverteidigungsrat und nicht Reichsangriffsrat. Der Reichsverteidigungsrat ist eine solche Selbstverständlichkeit. Er ist in jedem anderen Lande vorhanden, in irgendeiner Form, mag nun der Name so sein oder nicht. Zunächst bestand ein Reichsverteidigungsausschuß, schon vor unserer Machtergreifung. In diesem Reichsverteidigungsausschuß waren Referenten aller Ministerien, um die Mobilmachungsvorbereitungen oder besser gesagt, Mobilmachungsmaßnahmen zu treffen, die sich automatisch bei irgendeiner Verwicklung ergeben, sei es, daß man in den Krieg kommt oder daß die Möglichkeit besteht oder daß andere Staaten an der Grenze Krieg führen und man auf seine Neutralität aufpassen muß; es sind dies die normal laufenden Maßnahmen: festzustellen, wieviele Pferde ausgehoben werden müssen bei der Mobilmachung, welche Fabriken umgestellt werden müssen, ob die Brotkarte einzuführen ist, die Fettkarte einzuführen ist, Abrollen des Verkehrs und all diese Dinge; ich brauche nicht näher darauf einzugehen, weil sie eine solche Selbstverständlichkeit sind.

Diese Besprechungen fanden im Reichsverteidigungsausschuß statt, Referentenbesprechungen, geleitet von dem damaligen Chef des Ministeramtes im Reichskriegsministerium, Keitel. Der Reichsverteidigungsrat wurde nun zunächst vorsorglich, als die Wehrmacht wieder eingeführt wurde, bestimmt, blieb aber auf dem Papier. Ich [322] selbst bin, glaube ich, stellvertretender Vorsitzender oder Vorsitzender gewesen, ich weiß es nicht, ich habe es hier gehört. Ich versichere unter meinem Eid, daß ich niemals und zu keinem Zeitpunkt an einer einzigen Sitzung teilgenommen habe, wo der Reichsverteidigungsrat als solcher einberufen wurde. Diese Besprechungen, die notwendig für die Reichsverteidigung waren, wurden in ganz anderem Zusammenhang, in anderer Form, je nach Notwendigkeit, geführt. Selbstverständlich wurden Besprechungen über die Verteidigung des Reiches geführt, aber nicht in Form des Reichsverteidigungsrates. Er war da, er bestand auf dem Papier, trat aber nicht zusammen. Aber selbst dann wäre das ja nur sinngemäß gewesen. Es wird ja hier von Verteidigung gesprochen, aber nicht von Angriff.

Das Reichsverteidigungsgesetz, das heißt, besser gesagt, der Ministerrat für die Reichsverteidigung, das meinen Sie wohl, der wurde erst einen Tag vor Kriegsausbruch etabliert, weil der Reichsverteidigungsrat eben praktisch nicht da war. Nun war dieser Ministerrat für die Reichsverteidigung nicht gleichzusetzen etwa, um ein Beispiel zu nehmen, dem sogenannten Kriegskabinett, wie es in England gebildet wurde nach Ausbruch des Krieges oder vielleicht auch in anderen Staaten, sondern dieser Ministerrat sollte in einem abgekürzten Verfahren nun die notwendigen Kriegserlasse, Kriegsgesetze für den täglichen Ablauf, Erläuterungen für die Bevölkerung schaffen unter weitgehendster Entlastung des Führers, der sich die Führung der militärischen Operationen ja selbst vorbehalten hatte. Der Ministerrat hat deshalb zunächst auch die Gesetze alle erlassen, die ebenfalls, wie ich erwähnen möchte, normal sind für jeden Kriegsbeginn, in jedem Lande. Er hat in der ersten Zeit drei-, viermal noch getagt, dann nicht mehr. Ich habe dann ebenfalls nicht mehr die Zeit gehabt. Zur Abkürzung des Verfahrens wurden die Gesetze entweder im Umlauf durchgebracht und erlassen, und schon ein Jahr darauf, oder eineinhalb Jahre darauf, ich weiß es nicht mehr genau, hat der Führer die Gesetzgebung in direktem Gesetz-Erlaß-Verfahren wieder stärker an sich gezogen. Ich habe dann viele Gesetze mitgezeichnet in meiner Eigenschaft als Vorsitzender dieses Ministerrates. Aber das fiel in den letzten Jahren auch fast gänzlich fort. Getagt hat dieser Ministerrat nach 1940, glaube ich, überhaupt nicht mehr.

DR. STAHMER: Die Anklagebehörde hat ein Dokument vorgelegt, 2261-PS. In diesem Dokument ist ein Reichsverteidigungsgesetz vom 21. Mai 1935 erwähnt, das auf Anordnung des Führers zunächst ausgesetzt worden ist. Ich lasse Ihnen diese Urkunde vorlegen und bitte dazu Stellung zu nehmen.

[Dem Angeklagten wird ein Dokument überreicht.]


GÖRING: Kenne ich.

[323] DR. STAHMER: Wollen Sie sich bitte dazu äußern?


GÖRING: Nachdem der Reichsverteidigungsrat vorher bestand, war für den Fall einer Mobilmachung ein Reichsverteidigungsgesetz im Jahre 1935 vorgesehen worden. Die Zustimmung, also der Beschluß, besser gesagt, war im Reichskabinett gefaßt und dieses Gesetz galt dann für den Fall einer Mobilmachung, es sollte dann in Kraft treten. Tatsächlich ist es aber abgelöst worden, als die Mobilmachung eintrat, durch das eben erwähnte Gesetz über den Ministerrat für die Reichsverteidigung. In diesem Gesetz, das ja vor dem Vierjahresplan lag, nämlich 1935, wurde nun ein Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft geschaffen, für den Mobilmachungsfall zunächst, und ein Generalbevollmächtigter für die Verwaltung; das heißt also, wenn es zum Kriege kommt, sollten die Ressorts der gesamten Verwaltung durch einen Minister zusammengefaßt werden und die ganzen Ressorts, die mit Wirtschaft und Rüstung zu tun hatten, ebenfalls durch einen Minister. Der eine, der Generalbevollmächtigte für die Verwaltung, trat vor der Mobilmachung überhaupt nicht in Erscheinung. Der Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft hingegen, der sollte, ohne daß dieser Titel in die Öffentlichkeit kam, schon mit seinen Aufgaben sofort beginnen. Das war auch notwendig. Daraus vielleicht erklärt sich am klarsten, daß es bei Schaffung des Vierjahresplanes zu zwangsläufigen Reibungen zwischen dem Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft und dem Beauftragten für den Vierjahresplan kommen mußte, weil beide, mehr oder weniger, ähnliche oder dieselben Aufgaben hatten. Als ich deshalb 1936 beauftragt wurde für den Vierjahresplan, hörte praktisch die Tätigkeit des Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft auf.


DR. STAHMER: Herr Präsident, soll ich jetzt aufhören mit dem Fragen?


VORSITZENDER: Ja, ich glaube, daß dies ein günstiger Zeitpunkt wäre.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 9, S. 297-325.
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