Vormittagssitzung.

[45] VORSITZENDER: Ich bitte den Anklagevertreter der Vereinigten Staaten.

MR. SIDNEY S. ALDERMAN, BEIGEORDNETER ANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Hoher Gerichtshof! Ich glaube, daß der Gerichtshof vielleicht an einer kurzen Darstellung dessen, was in der nächsten oder in den zwei nächsten Wochen in diesem Prozeß vorgebracht wird, interessiert ist.

Ich werde gleich mit dem Tatbestand »Angriffskrieg« fortfahren und die Ereignisse des Überfalls auf die Tschechoslowakei schildern. Vielleicht werde ich damit heute nicht fertig werden können. Der Englische Anklagevertreter, Sir Hartley Shawcross, hat darum ersucht, morgen früh seine Eröffnungsrede zu Punkt 2 der Anklage halten zu dürfen, und ich will ihm gern das Wort zu diesem Zweck überlassen, vorausgesetzt, daß wir den Fall der Tschechoslowakei danach fortsetzen können.

Daraufhin wird der Englische Anklagevertreter in der Darstellung des Angriffskrieges fortfahren, und zwar mit dem Fall Polen, durch den Frankreich und England in den Krieg hineingezogen wurden. Sodann wird er auf die Ausdehnung des Angriffskrieges in Europa zu sprechen kommen, sowie auf den Angriff gegen Norwegen und Dänemark, gegen Holland, Belgien und Luxemburg, gegen Jugoslawien und Griechenland, und in Verbindung mit all diesen Angriffen wird der Englische Anklagevertreter dem Gerichtshof die verschiedenen Verträge vorlegen und die verschiedenen Vertragsbrüche schildern, die mit diesen Angriffen begangen wurden.

Damit wird, glaube ich, das Vorbringen des Britischen Anklagevertreters zu Anklagepunkt 2 enden, und es wird dies wohl den Rest dieser Woche in Anspruch nehmen.

Darauf wird der Amerikanische Anklagevertreter auf Punkt 1 der Anklage zurückkommen müssen, um die bisher noch nicht erörterten Teile der Anklage vorzubringen, besonders die Verfolgung der Juden, die Konzentrationslager, Plünderungen in besetzten Gebieten usw.; dann wird auf das Oberkommando und andere beschuldigte verbrecherische Organisationen und das Beweismaterial für die strafrechtliche Verantwortlichkeit der einzelnen Angeklagten eingegangen werden. Ich glaube, daß das schätzungsweise ein oder zwei Wochen in Anspruch nehmen wird. Dies ist jedoch nur eine annähernde Schätzung.

[45] Daraufhin wird der Französische Hauptanklagevertreter seine Eröffnungsrede halten und das Beweismaterial für die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu Punkt 3 und 4 der Anklage vorlegen, soweit sie die besetzten westeuropäischen Länder betreffen.

Hierauf wird der Russische Hauptanklagevertreter seine Eröffnungsrede halten und wird das Beweismaterial für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den östlichen Ländern vorlegen.

Das ist im großen und ganzen das Programm, wie wir es jetzt durchzuführen beabsichtigen.

Ich wende mich nun dem dritten Teil der ausführlichen chronologischen Darstellung des Tatbestands »Angriffskrieg« zu, und zwar dem Angriff auf die Tschechoslowakei. Die diesbezüglichen Teile der Anklageschrift befinden sich in der Unterabteilung 3 der Abteilung IV (F) auf Seite 7 und 8 des gedruckten englischen Textes der Anklageschrift.

Dieser Teil der Anklageschrift zerfällt in drei Unterteile:

a) Die Zeitspanne 1936-1938, während welcher die Pläne zum Angriff auf Österreich und die Tschechoslowakei geschmiedet wurden,

b) die Durchführung des Planes für den Einmarsch in Österreich vom November 1937 bis März 1938 und

c) die Durchführung des Planes für den Einmarsch in die Tschechoslowakei, April 1938 bis März 1939.

Vergangenen Donnerstag habe ich bereits alle Dokumente über die Durchführung des Planes für den Einmarsch in Österreich vorgelegt. Diese Dokumente sind in dem Dokumentenbuch zusammengefaßt, das dem Gerichtshof bei Beginn des Vorbringens über den Fall Österreich vorgelegt wurde.

Das Material über die Angriffe auf die Tschechoslowakei ist in einem gesonderten Dokumentenbuch zusammengestellt, das ich jetzt dem Gerichtshof unterbreite. Es ist als »Dokumentenbuch O« bezeichnet.

Der Gerichtshof wird sich daran erinnern, daß die Angeklagten in der Zeit von 1933 bis 1936 ihr Aufrüstungsprogramm begannen, um dem Dritten Reich militärische Macht und politische Verhandlungsstärke zu verleihen, die gegen andere Nationen verwendet werden konnten. Sie werden sich auch daran erinnern, daß die Angeklagten seit dem Jahre 1936 an Plänen für eine Ausdehnung des Reiches arbeiteten, was, wie sich später herausstellte, bis zum März 1939 dauern sollte. Ihre Absicht war, die Grenzen zu verkürzen, die industriellen und die Lebensmittelvorräte zu vermehren und dadurch wirtschaftlich wie auch strategisch in die Lage zu kommen, einen weitausgedehnten und verheerenden Angriff zu beginnen.

[46] Zu jener Zeit, zu Beginn des Frühjahrs 1938, als die Nazi-Verschwörer anfingen, konkrete Pläne zur Eroberung der Tschechoslowakei zu schmieden, hatten sie ungefähr die Hälfte ihres Programms ausgeführt.

Im vorausgegangenen Herbst, bei einer Besprechung in der Reichskanzlei am 5. November 1937, deren Inhalt in dem Hoßbach-Protokoll festgehalten ist, hat Hitler das Programm dargelegt, nach dem Deutschland zu handeln hatte. Dieses Hoßbach-Protokoll erscheint in dem Dokument 386-PS, US-25, das ich dem Gerichtshof in meiner Einführungsrede vor einer Woche vorgelesen habe.

»Für Deutschland lautet die Frage«, so hatte der Führer seinen militärischen Befehlshabern in dieser Sitzung erklärt, »wo größter Gewinn unter geringstem Einsatz zu erreichen sei.«

Am Anfang seiner Liste standen die zwei Länder Österreich und die Tschechoslowakei.

Am 12. März 1938 wurde Österreich durch die deutsche Armee besetzt und am nächsten Tage an das Reich angeschlossen. Die Zeit war gekommen, die Erklärungen über die Absichten Deutschlands in Bezug auf die Tschechoslowakei abzuändern. Etwas später als einen Monat kamen die beiden Verschwörer Hitler und Keitel zusammen, um die Pläne für die Einkreisung und Eroberung des tschechoslowakischen Staates zu besprechen.

Unter den wenigen ausgesuchten Dokumenten, die ich dem Gerichtshof in meiner Eröffnungsrede vorige Woche verlesen habe, um den Tatbestand des Verbrechens des Angriffskriegs zu beweisen, befand sich der Bericht über dieses Zusammentreffen vom 21. April 1938. Dieser Bericht ist Punkt 2 des Dokumentes 388-PS, US-26.

Der Gerichtshof wird sich daran erinnern, daß Hitler und Keitel besprachen, welchen Vorwand Deutschland als Ausrede für einen plötzlichen und überwältigenden Angriff gebrauchen sollte. Sie erwogen die Provokation, die aus immer ernster werdenden diplomatischen Zänkereien entstehen würde, um sie als Vorwand für den Krieg zu gebrauchen. Als zweite Möglichkeit – und sie glaubten, daß diese vorzuziehen wäre – planten sie als Folge eines von ihnen selbst herbeigeführten Zwischenfalls, einen Blitzkrieg zu beginnen. Man erwog, wie in der Anklageschrift behauptet und durch die Dokumente bewiesen wurde, die Ermordung des Deutschen Gesandten in Prag, um den nötigen Zwischenfall zu schaffen.

Man erkannte die Notwendigkeit einer Propaganda, um den Deutschen in der Tschechoslowakei Richtlinien für ihr Verhalten zu geben und die Tschechoslowakei einzuschüchtern. Man erörterte die Transport- und die taktischen Fragen, um allen tschechischen Wider stand innerhalb von vier Tagen zu brechen und damit die Welt so vor ein fait accompli zu stellen und einem Einschreiten des Auslands zuvorzukommen.

[47] So waren Mitte April 1938 die Absichten der Nazi-Verschwörer, die Tschechoslowakei zu erobern, bereits fertige Pläne geworden.

Alles dies geschah, Hoher Gerichtshof, unter Vortäuschung guter diplomatischer Beziehungen. Man muß die Verschwörung, die sich hinter diesem Spiel verbarg, erkennen. Obwohl die Nazi-Verschwörer sich im Herbst 1937 entschlossen hatten, den tschechoslowakischen Staat zu vernichten, waren die deutschen Regierungsträger sowohl durch Vertrag wie durch freiwillige Zusicherungen gebunden, die Souveränität der Tschechoslowakei zu achten. Durch einen formellen Vertrag, der in Locarno am 16. Oktober 1925 unterzeichnet wurde, Dokument TC-14, der vom Britischen Anklagevertreter vorgelegt werden wird, sind Deutschland und die Tschechoslowakei mit gewissen Ausnahmen übereingekommen, alle Streitfragen einem Schiedsgericht oder dem Ständigen Internationalen Gerichtshof zu unterbreiten. Ich zitiere:

Sie übertragen dem Schiedsgericht...

»alle Streitfragen jeglicher Art zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei, bei denen die Parteien untereinander über ein Recht im Streite sind, und die nicht auf dem Wege des gewöhnlichen diplomatischen Verfahrens gütlich geregelt werden können...«

Und die Präambel zu diesem Vertrag bestimmt:

»Der Deutsche Reichspräsident und der Präsident der Tschechoslowakischen Republik, gleichermaßen entschlossen, den Frieden zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei aufrecht zu erhalten, indem sie die friedliche Regelung der zwischen beiden Ländern etwa entstehenden Streitigkeiten sichern, im Hinblick auf die Tatsache, daß die Internationalen Gerichte zur Achtung der durch die Verträge begründeten oder aus dem Völkerrechte sich ergebenden Rechte verpflichtet sind, einig darin, daß die Rechte eines Staates nur mit seiner Zustimmung geändert werden können, und in der Erwägung, daß die aufrichtige Beobachtung des Verfahrens zur friedlichen Regelung der internationalen Streitigkeiten die Möglichkeit gibt, ohne Anwendung von Gewalt die Fragen zu lösen, die die Staaten entzweien könnten, haben beschlossen, ihre gemeinsamen Absichten in dieser Hinsicht in einem Vertrage zu verwirklichen...«

Damit endet dieses Zitat.

Formell und kategorisch versicherten die Nazi-Verschwörer sogar noch im März 1938 ihre gute Absicht der Tschechoslowakei gegenüber. Am 11. und 12. März 1938, zur Zeit des Anschlusses Österreichs, war Deutschland besonders interessiert, die Tschechoslowakei zu veranlassen, nicht zu mobilisieren.

Zu dieser Zeit versicherte der Angeklagte Göring dem Tschechoslowakischen Gesandten in Berlin, Herrn Mastny, im Namen der [48] Deutschen Regierung, daß die deutsch-tschechischen Beziehungen durch die Entwicklung in Österreich nicht ungünstig beeinflußt würden, und daß Deutschland keine feindlichen Absichten gegenüber der Tschechoslowakei habe. Als Beweis seiner Aufrichtigkeit fügte der Angeklagte Göring seiner Versicherung die Erklärung hinzu: »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort!«

Gleichzeitig versicherte der Angeklagte von Neurath, der, während Ribbentrop sich in London aufhielt, Deutschlands auswärtige Geschäfte besorgte, Herrn Mastny im Namen Hitlers und der Deutschen Regierung, daß Deutschland sich nach wie vor durch den Schiedsvertrag von 1925 gebunden fühle.

Diese Versicherungen finden sich in TC-27, einem Dokument aus der Reihe von Urkunden, die dem Gerichtshof vom Britischen Anklagevertreter zu Punkt 2 der Anklage vorgelegt werden.

Unter dem Deckmantel dieser Zusicherungen setzten die Nazi-Verschwörer ihre militärischen und politischen Angriffspläne fort. Seit dem vorangegangenen Herbst stand es fest, daß das unmittelbare Ziel der deutschen Politik die Ausschaltung beider Länder, Österreichs und der Tschechoslowakei, war. In beiden Ländern beabsichtigten die Nazi-Verschwörer, den Widerstandswillen durch Propaganda und durch Betätigung der Fünften Kolonne zu untergraben, während die praktischen militärischen Vorbereitungen weiterbetrieben wurden.

Die Aktion gegen Österreich, der man aus politischen und strategischen Gründen zeitlichen Vorrang gab, wurde im Februar und März 1938 ausgeführt.

Von diesem Zeitpunkt anwandten sich die Pläne der Wehrmacht dem Fall »Grün« zu. Dies war der Deckname, den man dem geplanten Unternehmen gegen die Tschechoslowakei gegeben hatte.

Die militärischen Pläne für den Fall »Grün« waren in ihren Grundzügen bereits im Juni 1937 entworfen worden. Die streng geheime Weisung des OKW für die einheitliche Kriegsvorbereitung der Wehrmacht, von Blomberg am 24. Juni 1937 gezeichnet, und dem Heer, der Marine und der Luftwaffe mit Wirksamkeit für ein Jahr, beginnend am 1. Juli 1937, bekanntgegeben, enthielt als wahrscheinlichen Kriegsfall, für den ein genauer Plan entworfen werden mußte, den Aufmarsch »Grün« unter »Zweifrontenkrieg mit, Schwerpunkt Südost«.

Dieses Dokument, C-175, US-69, wurde als Beweismaterial als Teil des österreichischen Falles bereits unterbreitet; es ist ein Originaldurchschlag und von Blomberg mit Tinte unterzeichnet. Die ursprüngliche Fassung des Teiles dieser Anweisung, der sich mit dem wahrscheinlichen Krieg gegen die Tschechoslowakei befaßt – er wurde später revidiert – beginnt mit dieser Voraussetzung. [49] Ich lese jetzt den Teil vor, der der Überschrift II, und dem Unterabschnitt (1) folgt, und der mit »Voraussetzungen« überschrieben ist:

»Um den bevorstehenden Angriff einer überlegenen feindlichen Koalition abzuwehren, kann der Krieg im Osten mit einer überraschenden deutschen Operation gegen die Tschechoslowakei beginnen. Die politischen und völkerrechtlichen Voraussetzungen für ein derartiges Handelnmüssen vorher geschaffen sein.«

Nach ausführlicher Beschreibung, wer als Folge einer solchen Aktion als möglicher Gegner und wer als neutral in Frage käme, fährt die Weisung wie folgt fort:

»2. Aufgabe der deutschen Wehrmacht« – und das ist unterstrichen – »ist es, ihre Vorbereitungen so zu treffen, daß die Masse aller Kräfte schnell, überraschend und mit stärkster Wucht in die Tschechoslowakei einbrechen kann, und daß im Westen nur ein Mindestmaß von Kräften als Rückendeckung für diese Angriffsoperation vorgesehen wird.

Zweck und Ziel dieses Überfalles durch die deutsche Wehrmacht soll sein, durch Zerschlagen der feindlichen Wehrmacht und Besetzen von Böhmen und Mähren die Rückenbedrohung durch die Tschechoslowakei für den Kampf im Westen auf die Dauer des Krieges von vornherein auszu schalten und der russischen Luftwaffe den wesentlichsten Teil ihrer Operationsbasis in der Tschechoslowakei zu entziehen.«

Die Einleitung zu dieser Weisung enthält als einen ihrer Leitgrundsätze die folgende Erklärung; ich lese hier von Seite 1 der englischen Übersetzung, das ist der dritte Absatz nach Nummer 1:

»Trotzdem erfordert die politisch labile und überraschende Zwischenfälle nicht ausschließende Weltlage eine stete Kriegsbereitschaft der deutschen Wehrmacht

a) um Angriffen jederzeit entgegenzutreten;

b) und um etwa sich ergebende politisch günstige Gelegenheiten militärisch ausnützen zu können.«

Diese Weisung befahl, weitere Arbeit an der »Mobilmachung ohne öffentliche Verkündung«. Ich zitiere:

»... um die Wehrmacht in die Lage zu versetzen, einen Krieg überfallartig nach Stärke und Zeitpunkt überraschend beginnen zu können.«

Dies ist selbstverständlich eine Weisung für die Pläne des Generalstabs; aber die Art des Planes und die sehr greifbaren und unheilvollen Entwicklungen, die daraus entstanden, geben ihr eine Bedeutung, die sie in keinem anderen Zusammenhang gehabt haben würde. Weitere Pläne wurden gemäß den Richtlinien dieser Weisung im Herbst 1937 und im Winter 1937/1938 geschmiedet. In [50] politischer Hinsicht erhielt dieser Plan zur Eroberung der Tschechoslowakei die Zustimmung und Unterstützung Hitlers in der Besprechung mit seinen Militärbefehlshabern am 5. November 1937, die in dem Hoßbach-Protokoll, das ich schon mehrfach erwähnt habe, festgehalten ist.

Anfang März 1938, vor dem Einmarsch in Österreich, finden wir die Angeklagten Ribbentrop und Keitel an der Frage interessiert, wie weit Ungarn über die Kriegspläne gegen die Tschechoslowakei unterrichtet werden soll. Am 4. März 1938 schrieb Ribbentrop an Keitel und legte zu Keitels vertraulicher Information Aufzeichnungen über eine Besprechung mit dem dortigen Ungarischen Botschafter Sztojay bei, der einen Gedankenaustausch angeregt hatte. Es ist dies Urkunde 2786-PS, eine Photokopie des Originalbriefs, der von uns erbeutet wurde, die ich jetzt als Beweisstück US-81 vorlege.

In seinem Brief an Keitel sagte Ribbentrop:

»Ich stehe derartigen Besprechungen nicht ohne Bedenken gegenüber. Falls wir uns mit den Ungarn über mögliche Kriegsziele gegenüber der Tschechoslowakei unterhalten, besteht die Gefahr, daß hiervon auch andere Stellen Mitteilung erhalten.

Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir kurz mitteilen würden, ob hier irgendwelche Bindungen eingegangen worden sind. Mit besten Grüßen und Heil Hitler.«

Bei der Sitzung am 21. April zwischen Hitler und Keitel – den Bericht hierüber habe ich letzte Woche schon verlesen und habe mich heute früh schon einmal darauf bezogen; es ist Dokument 388-PS, US-26, Nummer 2, wurden zum erstenmal die genauen Pläne für den Angriff auf die Tschechoslowakei besprochen. Dieser Besprechung folgte im Spätfrühling und Sommer 1938 eine Reihe von Noten und Telegrammen zur Ausarbeitung des Falles »Grün«. Diese Noten und Berichte waren im Führerhauptquartier von dem äußerst tüchtigen Oberst Schmundt, dem militärischen Adjutanten des Führers, sorgfältig registriert worden und wurden von den amerikanischen Truppen in einem Keller in Obersalzberg bei Berchtesgaden erbeutet. Dieser Akt, der unversehrt erhalten geblieben ist, trägt die Nummer 388-PS, US-26. Wir nennen ihn gern den »Großen Schmundt«, da er sehr umfangreich ist. Die einzelnen Punkte dieses Aktes zeigen in anschaulicher Weise, mehr als irgendein anderer Bericht, den Fortschritt der Pläne der Nazi-Verschwörer zu einem grundlosen und brutalen Krieg gegen die Tschechoslowakei. Vom Anbeginn bekundeten die Nazi-Führer ein starkes Interesse an Spionageberichten über die Waffenstärke der Tschechoslowakei. Mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich auf einige Stücke im »Großen Schmundt« verweisen, ohne sie zu [51] verlesen. Das Dokument, auf das ich mich hier beziehe, ist Nummer 4 des Schmundt-Aktes; es ist ein Telegramm von Oberst Zeitzler vom Büro des Generals Jodl im OKW an Schmundt in Hitlers Hauptquartier.

VORSITZENDER: Wollen Sie das Dokument nicht verlesen?

MR. ALDERMAN: Ich hatte die Absicht, es nur dann vollständig zu verlesen, falls der Gerichtshof es für notwendig erachten sollte.


VORSITZENDER: Ich fürchte, wir müssen uns an unsere Entscheidung halten.


MR. ALDERMAN: Hoher Gerichtshof! Ich möchte nur auf Titel und Überschrift der Nummer 12 verweisen, dessen Überschrift lautet: »Kurze Übersicht über die Bewaffnung des tschechischen Heeres.« Sie trägt das Datum: Berlin, 9. Juni 1938, und ist am Ende mit »Z« für Zeitzler gezeichnet. Weiter beziehe ich mich auf Nummer 13 »Fragen des Führers«, datiert Berlin, 9. Juni 1938, die den Vermerk »Geheime Kommandosache« tragen. Ich möchte gern vier Fragen verlesen, über die Hitler, wie dieses Dokument zeigt, genaueste und authentische Informationen wünschte; und ich verlese jetzt diese Fragen auf Seite 23, 24, 25, 26 der Nummer 13, Dokument 388-PS:

»Frage 1: Bewaffnung der tschechischen Armee?«

Ich glaube nicht, daß wir die Antwort lesen müssen, die lediglich ausführliche Erklärungen gibt über das, was Hitler wissen wollte.

»Frage 2: Wieviele Bataillone pp. sind im Westen zum Stellungsausbau eingesetzt?«

Frage 3: Sind die Befestigungen der Tschechoslowakei noch unvermindert stark besetzt?

Frage 4: Grenzsicherung im Westen?

Wie ich bereits bemerkte, sind diese Fragen im einzelnen vom OKW beantwortet und von Zeitzler vom Stabe Jodl mit seinen Initialen unterschrieben worden.

Als Vorsichtsmaßnahme gegen französische und britische Intervention bei einem Angriff auf die Tschechoslowakei mußten die Nazi-Verschwörer die Vorbereitungen für die Befestigungen entlang der Westgrenze Deutschlands beschleunigen. Ich verweise hier auf Nummer 8, Seite 12 des »Großen Schmundt-Aktes«. Es ist dies ein Telegramm, das anscheinend durch Schmundt von Berchtesgaden nach Berlin geschickt wurde; und ich zitiere aus diesem Telegramm: Es ist, wie schon erwähnt, Nummer 8 des Schmundt-Aktes, Seite 12, Dokument 388-PS:

»1. General Keitel übermittelt:« – Ich lasse dann einen Absatz aus. – »Notwendigkeit scharfen Vortreibens der [52] Befestigungsarbeiten im Westen wird vom Führer wiederholt betont.«

Im Mai, Juni, Juli und August 1938 fanden Konferenzen zwischen Hitler und seinen politischen und militärischen Ratgebern statt, als deren Ergebnis eine Reihe von immer wieder revidierten Anweisungen für den Angriff auf die Tschechoslowakei erlassen wurden. Es wurde entschieden, daß die Vorbereitungen für den Tag-X, den Tag des Angriffs, spätestens am 1. Oktober vollendet zu sein hatten.

Ich will die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs nun auf die wichtigsten Konferenzen und Anweisungen lenken.

Am 28. Mai 1938 berief Hitler eine Konferenz seiner Hauptratgeber ein. Bei dieser Besprechung gab er seinen Mitverschwörern die notwendigen Anweisungen für die Vorbereitung des Angriffs auf die Tschechoslowakei. Diese Tatsache gab Hitler später öffentlich zu. Ich verweise den Gerichtshof auf 2360-PS, eine Abschrift des »Völkischen Beobachters« vom 31. Januar 1939, in welcher eine am vorangegangenen Tage gehaltene Rede Hitlers vor dem Reichstag wiedergegeben wurde:

»Ich habe mich daher auf Grund dieser unerträglichen Provokation, die noch verstärkt wurde durch eine wahrhaft infame Verfolgung und Terrorisierung unserer dortigen Deutschen, entschlossen, die sudetendeutsche Frage endgültig und nunmehr radikal zu lösen. Ich gab am 28. Mai

1. den Befehl zur Vorbereitung des militärischen Einschreitens gegen diesen Staat mit dem Ter min des 2. Oktober,

2. ich befahl den gewaltigen und beschleunigten Ausbau unserer Verteidigungsfront im Westen.«

Zwei Tage nach dieser Konferenz, am 30. März 1938, gab Hitler eine revidierte militärische Anweisung für den Fall »Grün« heraus. Diese Anweisung ist Nummer 11 des »Großen Schmundt-Aktes«, Dokument 388-PS, und trägt die Überschrift »Zweifrontenkrieg mit Schwerpunkt Südost«. Diese Weisung ersetzte den entsprechenden Teil 2, Abteilung II, der früheren Weisung für »Vereinheitlichte Kriegsvorbereitung«, erlassen von Blomberg am 26. Juni 1937, C-175, US-69, die ich bereits zum Beweis vorgelegt habe. Diese revidierte Weisung stellt die weitere Entwicklung der Pläne zum politischen und militärischen Vorgehen dar, wie sie von Hitler und Keitel in ihrer Besprechung am 21. April erörtert worden waren. Es ist die Ausarbeitung des ursprünglichen Entwurfs, der von dem Angeklagten Keitel Hitler am 20. Mai unterbreitet worden war, und den man in Nummer 5 des Schmundt-Aktes findet. Er ist von Hitler unterschrieben. Es waren nur fünf Ausfertigungen davon hergestellt worden. Drei Ausfertigungen wurden mit Begleitschreiben [53] des Angeklagten Keitel abgesandt, eine an General von Brauchitsch für die Wehrmacht, eine an den Angeklagten Raeder für die Flotte, und eine an den Angeklagten Göring für die Luftwaffe. In der Begleitnote sagt Keitel, daß die Durchführung gesichert sein muß, und zwar, ich zitiere: »Spätestens ab 1. Oktober 1938«. Ich lese nun aus diesem Dokument vor, das die Grundlage der Weisung ist, auf Grund derer die Wehrmacht ihre Vorbereitungen für den Fall »Grün« durchführte.

Es ist ein ziemlich langes Zitat – erste Seite des Stückes 11 vom 30. 5. 38:

»1. Politische Voraussetzungen:

Es ist mein unabänderlicher Entschluß, die Tschechoslowakei in absehbarer Zeit durch eine militärische Aktion zu zerschlagen. Den politisch und militärisch geeigneten Zeitpunkt abzuwarten oder herbeizuführen ist Sache der politischen Führung.

Eine unabwendbare Entwicklung der Zustände innerhalb der Tschechoslowakei oder sonstige politische Ereignisse in Europa, die eine überraschend günstige, vielleicht nie wiederkehrende Gelegenheit schaffen, können mich zu frühzeitigem Handeln veranlassen.

Die richtige Wahl und entschlossene Ausnutzung eines günstigen Augenblicks ist die sicherste Gewähr für den Erfolg. Dementsprechend sind die Vorbereitungen unverzüglich zu treffen.

2. Politische Möglichkeiten für den Beginn der Aktion.

Als Voraussetzung für den beabsichtigten Überfall sind notwendig:

a) ein geeigneter äußerer Anlaß und damit

b) eine genügende politische Rechtfertigung,

c) ein für den Gegner unerwartetes Handeln, das ihn in einem möglichst geringen Bereitschaftsgrad trifft.

Militärisch und politisch am günstigsten ist blitzschnelles Handeln auf Grund eines Zwischenfalls, durch den Deutschland in unerträglicher Weise provoziert wurde und der wenigstens einem Teil der Weltöffentlichkeit gegenüber die moralische Berechtigung zu militärischen Maßnahmen gibt.

Aber auch eine etwa dem Krieg vorausgehende Zeit diplomatischer Spannungen muß durch plötzliches, dem Zeitpunkt und dem Umfang nach überraschendes Handeln unsererseits ihren Abschluß finden, bevor der Gegner sich einen nicht mehr einzuholenden Vorsprung in der militärischen Bereitschaft sichert.

[54] 3. Folgerungen für die Vorbereitung des Falles ›Grün‹.

a) Für den Waffenkrieg kommt es darauf an, den Moment der Überraschung als wichtigsten Faktor des Sieges durch entsprechende Bereitschaftsmaßnahmen schon im Frieden und durch einen unerwartet schnellen Ablauf der Aktion in höchstem Maße auszunutzen.

Dadurch muß schon in den ersten 2 bis 3 Tagen eine Lage geschaffen werden, die den interventionslüsternen gegnerischen Staaten die Aussichtslosigkeit der tschechischen militärischen Lage vor Augen führt, sowie den Staaten, die territoriale Ansprüche an die Tschechoslowakei haben, einen Anreiz zum sofortigen Eingreifen gegen die Tschechoslowakei gibt.

In diesem Fall ist mit dem Eingreifen Ungarns und Polens gegen die Tschechoslowakei zu rechnen, insbesondere dann, wenn durch die eindeutige Haltung Italiens an unserer Seite Frankreich sich scheut, zum mindesten aber zögert, durch sein Eingreifen gegen Deutschland einen europäischen Krieg zu entfesseln. Versuche Rußlands, die Tschechoslowakei militärisch vornehmlich durch die Luftwaffe zu unterstützen, sind aller Voraussicht nach zu erwarten.

Werden in den ersten Tagen greifbare Erfolge durch die Erdoperationen nicht erzielt, so tritt mit Sicherheit eine europäische Krise ein. Diese Erkenntnis muß den Führern aller Grade den Impuls zu entschlossenem und kühnem Handeln geben.

b) Der Propagandakrieg muß einerseits die Tschechei durch Drohungen einschüchtern und ihre Widerstandskraft zermürben, andererseits den nationalen Volksgruppen Anweisungen zur Unterstützung des Waffenkrieges geben und die Neutralen in unserem Sinne beeinflussen. Nähere Anweisungen und die Bestimmung des Zeitpunktes behalte ich mir vor.

4. Aufgaben der Wehrmacht.

Die Vorbereitungen der Wehrmacht sind auf folgender Grundlage zu treffen:

a) Die Masse aller Kräfte muß gegen die Tschechoslowakei angesetzt werden.

b) Für den Westen ist ein Mindestmaß an Kräften als etwa notwendig werdende Rückendeckung vorzusehen; die übrigen Grenzen im Osten gegen Polen und Litauen sind nur zu sichern, im Süden zu beobachten.

c) Die beschleunigt verwendbaren Teile des Heeres müssen schnell und entschlossen die Grenzbefestigungen bezwingen und in der Gewißheit, daß die Masse des mobilen Heeres so [55] rasch wie möglich nachgeführt wird, in die Tschechoslowakei mit größter Kühnheit einbrechen.

Die Vorbereitungen hierfür sind so zu treffen und zeitmäßig abzustimmen, daß die beschleunigt verwendbaren Teile des Heeres gleichzeitig mit dem Einflug der Luftwaffe die Grenze zu festgesetzter Stunde überschreiten, noch bevor unsere Mobilmachung vom Gegner erkannt sein kann. Hierfür ist eine Zeittafel zwischen Heer und Luftwaffe unter Beteiligung des OKW festzulegen und mir zur Genehmigung vorzulegen.

5. Aufträge für die Wehrmachtsteile:

a) Heer

Durch den unvermeidbaren Zeitbedarf für die Eisenbahntransporte der Masse des Feldheeres darf der Grundgedanke des überraschenden Überfalls auf die Tschechoslowakei nicht gefährdet werden oder die schnellere Einsatzbereitschaft der Luftwaffe unausgenutzt bleiben.

Es kommt deshalb für das Heer zunächst darauf an, daß möglichst viele Angriffskolonnen mit dem Überfall der Luftwaffe gleichzeitig angesetzt werden. Diese Angriffskolonnen müssen, ihrer jeweiligen Aufgabe entsprechend zusammengesetzt, aus Truppen gebildet werden, die durch ihre Grenznähe oder durch Motorisierung und durch besondere Bereitschaftsmaßnahmen schnell verwendbar sind.

Zweck dieser Vorstöße muß sein, an zahlreichen Stellen und in operativ günstiger Richtung in die tschechischen Befestigungen einzubrechen, sie zu durchstoßen oder von rückwärts zu Fall zu bringen. Für den Erfolg wird die Zusammenarbeit mit der sudetendeutschen Grenzbevölkerung, Überläufern aus der tschechoslowakischen Armee, Fallschirmabspringern oder Luftlandetruppen und den Organen des Sabotagedienstes von Bedeutung sein.

Die Masse des Heeres hat die Aufgabe, den tschechischen Verteidigungsplan zunichte zu machen, das tschechische Heer am Ausweichen in die Tschechoslowakei zu hindern...«


VORSITZENDER: Ist es notwendig, alle diese Einzelheiten zu lesen?

MR. ALDERMAN: Ich fürchte, daß sie sonst nicht in das Protokoll aufgenommen werden.


VORSITZENDER: Es scheint mir, daß dies Einzelheiten sind. Bevor Sie von diesem Dokument auf ein anderes übergehen, sollten Sie Seite 15 des Dokuments vorlesen, das die Einführung dazu ist, und das das Datum angibt.


[56] MR. ALDERMAN: Ich schließe mich Ihrer Meinung an. Es handelt sich um einen Brief, datiert Berlin, den 30. Mai 1938. Es ist eine Abschrift der 4. Ausfertigung:

»Der Oberste Befehlshaber der Wehrmacht. Chefsache. Nur durch Offizier. Durch Offizier geschrieben. Gezeichnet: Keitel. Verteilt an: Herrn Ob. d. H., Herrn Ob. d. M., Herrn Ob. d. L. Auf Anordnung des Obersten Befehlshabers der Wehrmacht ist der Teil 2, Abschnitt II der Weisung für die einheitliche Kriegsvorbereitung der Wehrmacht vom 24. Juni 1937 (Ob. d. W.« – es folgen einige Zeichen, unter anderem »Chefsache« (streng geheim) – »Zweifrontenkrieg mit Schwerpunkt Südost – Aufmarsch Grün) durch die beiliegende neue Fassung zu ersetzen. Ihre Ausführung muß spätestens ab 1. Oktober 1938 sichergestellt sein. Mit der Änderung der Weisung ist im Laufe der nächsten Woche zu rechnen. I. A., der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, gezeichnet: Keitel. Für die Richtigkeit der Abschrift, gezeichnet: Zeitzler, Oberstleutnant des Generalstabs.«

Gemäß dem Vorschlage des Vorsitzenden werde ich die Einzelheiten der Vorschriften, die für die Aktion der Luftwaffe und der Marine gegeben wurden, auslassen und werde zum letzten Absatz der Weisung übergehen, der auf Seite 19 des englischen Textes steht:

»Wehrwirtschaftlich kommt es darauf an, auf dem Gebiete der Rüstungswirtschaft sofort durch erhöhte Bevorratung eine Höchstentfaltung der Kräfte zu ermöglichen.

Im Verlaufe der Operationen ist es wertvoll, durch schnelle Erkundung und Wiederingangsetzung wichtiger Betriebe möglichst bald zur Gesamtstärkung der wehrwirtschaftlichen Kraft beizutragen.

Aus diesem Grunde kann Schonung der tschechischen Industrie- und Werkanlagen, soweit die militärischen Operationen es gestatten, für uns ausschlaggebende Bedeutung haben.«

Mit anderen Worten: die Nazi-Verschwörer haben schon vier Monate vor dem geplanten Angriff auf die Tschechoslowakei berechnet, inwieweit das tschechische Industriepotential zur Nazi-Kriegsrüstung und -Wirtschaft hinzuzuziehen sei.

Der letzte Absatz dieser Weisung – Absatz 7 auf Seite 19 – lautet dann:

»Alle Vorbereitungen für Sabotage und Insurgierung trifft das OKW. – Sie werden im Einvernehmen und nach den Wünschen der Wehrmachtsteile in ihrer Auswirkung mit den Operationen des Heeres und der Luftwaffe zeitlich und örtlich in Übereinstimmung gebracht werden. Gezeichnet Adolf Hitler, [57] für die Richtigkeit der Abschrift, Zeitzler, Oberstleutnant des Generalstabs.«

Drei Wochen später, am 18. Juni 1938, wurden Grundzüge für neue Richtlinien vorbereitet und vom Angeklagten Keitel unterzeichnet. Dies ist Stück 14, Seite 27 bis 32 des »Großen Schmundt-Aktes«. Es hob die Verfügung vom 30. Mai nicht auf. Ich werde den dritten und fünften Absatz auf Seite 28 sowie den letzten Abschnitt auf Seite 29 der englischen Übersetzung verlesen:

»Als Nahziel steht die Lösung der tschechischen Frage aus eigenem Entschluß im Vordergrund meiner politischen Absichten. Ich bin entschlossen, ab 1. 10. 1938 jede günstige politische Gelegenheit zur Verwirklichung dieses Zieles auszunützen.«

Ich lasse dann einen Absatz aus.

»Ich werde mich aber zur Aktion gegen die Tschechei nur entschließen, wenn ich, wie bei der Besetzung der entmilitarisierten Zone, und beim Einmarsch in Österreich, der festen Überzeugung bin, daß Frankreich nicht marschiert und damit auch England nicht eingreift.«

Ich gehe nun zum letzten Absatz auf Seite 29 über:

»Die notwendigen Weisungen für die Führung des Krieges selbst werde ich von Fall zu Fall geben.«

Anfangsbuchstabe »K« für Keitel, Anfangsbuchstabe »Z« für Zeitzler.

Der zweite und dritte Teil dieser Weisung enthält allgemeine Anweisungen und Richtlinien für die Verwendung von Truppen und Vorsichtsmaßregeln für den Fall, daß während der Ausführung des Falles »Grün« Frankreich oder England Deutschland den Krieg erklären sollten. Sechs weitere Seiten mit komplizierten Tabellen, die auf diesen Entwurf folgen, sind nicht ins Englische übersetzt worden. Diese Tabellen, welche Nummer 15 im Schmundt-Akt bilden, stellen einen Plan für genaue Maßnahmen zur Vorbereitung der Armee, Marine und Luftwaffe für die geplante Aktion dar.

Eine Bestätigung für die im Schmundt-Akt enthaltenen Urkunden findet sich auch im Tagebuch von General Jodl, 1780-PS, US-72, aus dem ich Teile beim Vortrage des österreichischen Falles zitiert habe. Ich zitiere nun aus drei Eintragungen in dem Tagebuch, die im Frühjahr 1938 gemacht wurden. Obwohl die erste Eintragung nicht datiert ist, so scheint sie wenige Monate nach dem Anschluß Österreichs gemacht worden zu sein. Ich lese nun unter der Überschrift auf Seite 3 der englischen Übersetzung eine spätere undatierte Eintragung:

[58] »Führer äußert nach Einverleibung Österreichs, daß ihm die Bereinigung der tschechischen Frage nicht eilt. Man muß erst Österreich verdauen.

Trotzdem sollen Vorbereitungen Fall ›Grün‹ energisch weiterbetrieben werden, sie müssen auf Grund der veränderten strategischen Lage durch Eingliederung Österreichs bearbeitet werden. Stand der Vorbereitungen (siehe Weisungsnotiz L I a vom 19. 4.) am 21. 4. dem Führer vorgetragen

(das Tsch. Problem noch nicht anzurühren).

Die Absicht des Führers wird durch den tschechischen Aufmarsch vom 21. 5., der ohne jede deutsche Bedrohung und ohne jeden auch nur scheinbaren Anlaß vor sich geht, geändert. Es führt in seinen Folgeerscheinungen durch das Stillhalten Deutschlands zu einem Prestigeverlust des Führers, den er nicht noch einmal hinzunehmen gewillt ist.

Daher ergeht am 30. 5. die neue Weisung für »Grün«.

Dann lese ich eine Eintragung vom 23. Mai:

»Major Schmundt übermittelt Gedanken des Führers... Weitere Besprechungen, die allmählich die genauen Absichten des Führers herausstellen, fanden mit Chef OKW statt am 28. 5., 3. 6. und 9. 6. Siehe Anlagen (Kriegstagebuch).«

Und nun die Eintragung vom 30. Mai:

»... unterschreibt der Führer die Weisung ›Grün‹, die seinen Entschluß, die Tschechei in Bälde zu zerschlagen, endgültig festlegt und damit die militärischen Vorbereitungen auf der ganzen Linie auslöst.

Die bisherigen Absichten des Heeres müssen erheblich geändert werden im Sinne eines sofortigen starken Einbruches in die Tschechei schon am 1. Tag gemeinsam mit dem Einflug der Luftwaffe. Näheres ergibt sich aus der Aufmarschanweisung des Heeres. Noch einmal tritt der ganze Gegensatz auf, der sich ergibt aus der Erkenntnis des Führers, wir müssen noch in diesem Jahre, und der Auffassung des Heeres, wir können noch nicht, da sicherlich die Westmächte eingreifen und wir ihnen noch nicht gewachsen sind.«

Während des Frühjahrs und Sommers 1938 befaßte sieh die Luftwaffe mit Plänen für den kommenden Fall »Grün« und der weiteren Ausdehnung des Reiches.

Ich lege nun als Beweis Dokument R-150, US-82 vor. Es ist dies eine »Geheime Kommandosache«, datiert vom 2. Juni 1938, von der Luftwaffe, Gruppenkommandant 3, mit dem Titel »Planstudie 1938, Aufmarsch- und Kampfanweisung im Fall »Rot«.

Fall »Rot« ist der Deckname für die eventuelle Aktion gegen die Westmächte. Von diesem Dokument wurden 28 Kopien gefertigt, [59] wovon dies die 16. Ausfertigung ist. Es ist wieder ein Generalstabsplan, diesmal für Rüstung und Einsatz der Luftwaffen im Falle eines Krieges mit Frankreich. Er bekommt besondere Bedeutung durch die große Vorrückung des Termins für den geplanten Angriff auf die Tschechoslowakei. Ich lese aus dem zweiten Absatz auf Seite 3 der englischen Übersetzung, und verweise auf die verschiedenen Möglichkeiten, welche einen Krieg mit Frankreich auslösen könnten. Sie werden bemerken, daß sie alle auf der Annahme eines deutsch-tschechischen Krieges beruhen:

»Frankreich wird

a) entweder im Verlauf des ›Falles Grün‹ in den Kampf zwischen Reich und Tschechoslowakei eingreifen oder

b) die Feindseligkeiten gleichzeitig mit der Tschechoslowakei eröffnen.

c) Daß Frankreich den Kampf beginnt, während die Tschechoslowakei sich zunächst noch zurückhält, ist möglich, aber nicht wahrscheinlich.«

Ich lese dann weiter, unten auf der Seite unter der Überschrift »Absicht«:

»Gleichgültig, ob Frankreich im ›Fall Grün‹ in den Krieg eintritt oder ob es gleichzeitig mit der Tschechoslowakei den Krieg eröffnet, in jedem Fall wird zunächst die Masse der deutschen Angriffsverbände gemeinsam mit dem Heer den Entscheidungsschlag gegen die Tschechoslowakei führen.«

Im Mittsommer wurden von der Luftwaffe direkte und ins einzelne gehende Pläne für den Fall »Grün« ausgeführt. Zu Beginn des August kundschaftete der deutsche Luftattaché in Prag auf Veranlassung des Generalstabs der Luftwaffe das tschechoslowakische Gebiet in der Gegend von Freudenthal, im Süden von Oberschlesien aus, um passende Landungsplätze zu finden.

Ich lege Dokument 1536-PS, US-83 vor. Es ist ein Bericht des Generalstabs der Luftwaffe, Abteilung Abwehr, datiert vom 12. August 1938. Es ist ein streng geheimes Dokument für Generäle allein, und nur 2 Ausfertigungen wurden davon gemacht.

Als Beilage war ein Bericht des Majors Möricke, des deutschen Attachés in Prag, vom 4. August 1938 angeschlossen. Ich zitiere die ersten vier Absätze dieser Beilage:

»Ich hatte vom Generalstab der Luftwaffe den Auftrag, in Gegend Freudenthal/Freihermersdorf das Gelände auf Landemöglichkeit zu erkunden. Zu diesem Zweck ließ ich mir durch einen meiner Prager Gewährsleute Privatquartier in Freudenthal bei dem Fabrikanten Macholdt verschaffen. Ich hatte dem Gewährsmann ausdrücklich aufgetragen, dem Macholdt keinerlei Angaben über meine Person, insbesondere über [60] meine Dienststellung zu machen. Zur Fahrt nach Freudenthal benutzte ich meinen Dienst-Pkw. unter Sicherung gegen Beobachtung.«

Am 25. August 1938 veranlaßte der unmittelbar bevorstehende Angriff auf die Tschechoslowakei die Luftwaffe zur Herausgabe eines in Einzelheiten gehenden Abwehr-Memorandums mit der Überschrift »Erweiterter Fall Grün«. Es war eine Abschätzung der möglichen Aktion der Westmächte bei einem Angriff auf die Tschechei.

Ich lege nun dieses Dokument 375-PS als US-84 dem Gerichtshof zum Beweis vor. Es ist dies ein streng geheimes Memorandum der Abwehrabteilung der Luftwaffe, Generalstab, datiert Berlin, 25. August 1938. Auf Grund der Annahme, daß England und Frankreich während des Falles »Grün« Deutschland den Krieg erklären würden, enthält diese Studie eine Abschätzung der Kriegspläne und der Luftstärke der Westmächte für den 1. Oktober 1938, dem Zeitpunkt, an dem Fall »Grün« losgehen sollte. Ich zitiere die ersten zwei Sätze dieses Dokuments unter der Überschrift »Politische Ausgangslage«.

»Es wird zugrunde gelegt, daß Frankreich im Verlaufe des Falles ›Grün‹ den Krieg gegen Deutschland eröffnet. Hierbei wird vorausgesetzt, daß der Entschluß zum Kriege nur dann gefaßt wird, wenn die Waffenhilfe Großbritanniens unbedingt zu erwarten ist.«

Die Kenntnis von der schwebenden oder bevorstehenden Aktion gegen die Tschechei war nicht auf einen kleinen Kreis von hohen Beamten des Reiches und der Nazi-Partei beschränkt. Während des Sommers waren Deutschlands Verbündete, Italien und Ungarn, auf die eine oder andere Weise von den Plänen der Nazi-Verschwörer verständigt worden. Ich lege als Beweisstück 2800-PS, US-85 dem Gerichtshof vor. Es ist dies ein aus den Akten des Deutschen Auswärtigen Amtes erbeutetes Dokument, ein vertraulicher Bericht über ein Gespräch mit dem Italienischen Botschafter Attolico vom 18. Juli 1938 in Berlin. Am Schluß befindet sich eine handgeschriebene Notiz mit der Überschrift »Nur für den Reichsminister«. Der Angeklagte von Ribbentrop war dieser Reichsminister. Ich verlese nun diese Note, und zwar den dritten und den vierten Absatz davon:

»Attolico bemerkte noch, wir hätten den Italienern unsere Absichten in Bezug auf die Tschechei ja unmißverständlich klargelegt. Auch wegen des Termins habe er soweit Kenntnis, daß er jetzt vielleicht noch zwei Monate Ferien machen könnte, dann aber bestimmt nicht mehr. Als Zeichen für die Auffassung anderer Regierungen führte Attolico an, daß die Rumänische Regierung ihrem Berliner Gesandten den erbetenen Urlaub verweigert habe.«


[61] VORSITZENDER: Wäre es Ihnen recht, jetzt auf 10 Minuten zu unterbrechen?

MR. ALDERMAN: Ja.


[Pause von 10 Minuten.]


MR. ALDERMAN: Hoher Gerichtshof! Einen Monat später sandte Mussolini eine Botschaft nach Berlin mit dem Ersuchen, ihm den Tag, an dem Fall »Grün« stattfinden sollte, mitzuteilen. Ich lege nun 2791-PS, US-86 vor, einen Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über eine Unterredung mit Botschafter Attolico. Diese Aufzeichnung ist mit »R« unterschrieben, das bedeutet Ribbentrop, und trägt das Datum des 23. August 1938; ich verlese zwei Absätze daraus:

»Auf der Fahrt der ›Patria‹ erklärte mir Botschafter Attolico, er habe Instruktion, bei der Deutschen Regierung die Bekanntgabe eines etwaigen Zeitpunktes für eine deutsche Aktion gegen die Tschechoslowakei zu erbitten...«

»... Falls die Tschechen erneut zu einer Provokation Deutschlands schritten, werde Deutschland marschieren. Dies könne morgen sein, in 6 Monaten oder vielleicht erst in einem Jahr. Ich könnte ihm allerdings versprechen, daß die Deutsche Regierung bei einer Zuspitzung der Lage, oder sobald ein Entschluß des Führers gefaßt sei, den italienischen Regierungschef so schnell wie nur eben möglich informieren werde. Jedenfalls werde die Italienische Regierung die erste sein, der eine derartige Mitteilung gemacht werde.«

Vier Tage später ersuchte Attolico wieder, vom bevorstehenden Angriff unterrichtet zu werden. Ich unterbreite 2792-PS, US-87, ebenfalls eine deutsche Aufzeichnung, und ich verlese aus diesem Dokument drei Absätze mit der Überschrift »R.M. 251«:

»Botschafter Attolico suchte mich heute um 12 Uhr auf, um folgendes mitzuteilen: Er habe eine neue schriftliche Instruktion von Mussolini erhalten, in der darum gebeten werde, daß Deutschland den eventuellen Zeitpunkt einer Aktion gegen die Tschechoslowakei rechtzeitig mitteilen möge. Mussolini bitte um eine derartige Bekanntgabe, um, wie Herr Attolico versicherte,« – und hier gebraucht das Dokument die englische Sprache: »to be able to take in due time the necessary measures on the French frontier. Berlin, 27. August 1938. R« (das bedeutet Ribbentrop).

Und dann:

»N.B. Ich erwiderte Botschafter Attolico, ebenso wie auf seine vorhergehende Demarche, daß ich ihm einen Zeitpunkt nicht [62] mitteilen könnte, daß aber jedenfalls Mussolini der erste sein würde, der von einer etwaigen Entscheidung Mitteilung erhalten würde. Berlin, 2. September 1938.«

Ungarn, das an den Südosten der Tschechoslowakei grenzt, wurde von Beginn an als möglicher Teilnehmer am Fall »Grün« betrachtet. Sie werden sich auch erinnern, daß Anfang März 1938 die Angeklagten Keitel und Ribbentrop Briefe über die Frage austauschten, ob man Ungarn in den Nazi-Plan einschließe. Damals entschloß man sich, das nicht zu tun; aber Mitte August 1938 versuchten die Nazi-Verschwörer Ungarn dazu zu überreden, am Angriff teilzunehmen.

Vom 21. bis 26. August 1938 besuchte Admiral Horthy mit einigen seiner Minister Deutschland. Unterredungen über die tschechische Frage waren nicht zu vermeiden. Ich lege Dokument 2796-PS, US-88 vor. Es ist dies ein von uns erbeuteter Bericht des deutschen. Außenamtes, unterschrieben von Weizsäcker, über eine Unterredung zwischen Hitler, Ribbentrop und einer ungarischen Delegation, bestehend aus Horthy, Imredy und Kanya, an Bord der »Patria«, am 23. August 1938. Bei dieser Besprechung erkundigte sich Ribbentrop über die ungarische Haltung im Falle eines deutschen Angriffs auf die Tschechoslowakei und erwähnte, daß ein solcher Angriff auch eine gute Gelegenheit für Ungarn darstellen würde.

Die Ungarn, mit Ausnahme von Horthy, der die Absichten Ungarns klarlegen wollte, schienen nicht geneigt, sich irgendwie festzulegen. Daraufhin wiederholte Hitler nachdrücklich Ribbentrops Erklärung und sagte, wer mittafeln wolle, müsse allerdings auch mitkochen. Ich zitiere nun die zwei ersten Absätze aus diesem Dokument:

»Während der Führer und der Ungarische Reichsverweser am 23. August, vormittags, eine Aussprache politischer Natur hatten, fanden sich die ungarischen Minister Imredy und Kanya mit Herrn von Ribbentrop zusammen. Herr von Weizsäcker wohnte der Besprechung gleichfalls bei.

Herr von Kanya brachte zwei Themen vor:

1. die ungarischen Verhandlungen mit der Kleinen Entente und

2. die tschechische Frage.«

Ich überspringe jetzt zwei Absätze und lese den fünften Absatz:

»Herr von Ribbentrop stellte den Ungarn die Frage, wie sie sich dazu verhalten würden, wenn der Führer seinen Entschluß verwirkliche, eine neue tschechische Provokation mit Gewalt zu beantworten. Die Antwort der Ungarn wies zweierlei Hemmungen auf: Die jugoslawische Neutralität müsse feststehen, wenn Ungarn nach Norden und eventuell nach Osten [63] marschiere. Außerdem sei die ungarische Aufrüstung erst eingeleitet und sollte noch ein bis zwei Jahre Entwicklungsfrist genießen.

Herr von Ribbentrop erklärte darauf den Ungarn, die Jugoslawen würden sich hüten, in der Zange

zwischen den Achsenmächten zu marschieren. Rumänien allein werde sich daher auch nicht rühren. England und Frankreich würden gleichfalls stillhalten. England setze das Empire nicht leichtfertig aufs Spiel. Es kenne unsere neuerstandene Macht. Über den Zeitpunkt aber für den gedachten Fall sei Bestimmtes nicht vorherzusagen, da er von tschechischer Provokation abhänge. Herr von Ribbentrop wiederholte, daß, wer Revision wünsche, die gute Konjunktur ausnützen und sich beteiligen müsse.

Die ungarische Antwort blieb also eine konditionelle. Auf die Frage von Herrn von Ribbentrop, welchen Zweck die gewünschten Generalstabsbesprechungen haben sollten, kam nicht viel mehr zum Vorschein als der ungarische Wunsch nach einer Art wechselseitiger militärischer Bestands- und Bereitschaftsaufnahme für den tschechischen Konflikt. Eine klare politische Grundlage hierfür – Zeitpunkt des ungarischen Eingreifens – wurde nicht gewonnen.

Eine positivere Sprache hatte inzwischen Herr von Horthy gegenüber dem Führer angewendet. Er will zwar seine Bedenken wegen der englischen Haltung nicht verschweigen, aber die ungarische Absicht der Beteiligung erklärt haben. Die ungarischen Minister waren und blieben auch später skeptischer, da sie die unmittelbare Gefahr für Ungarn mit seinen offenen Flanken stärker empfanden.

Als Herr von Imredy am Nachmittag eine Aussprache mit dem Führer hatte, war Imredy sehr erleichtert, als der Führer ihm erklärte, er verlange von Ungarn in dem betreffenden Falle nichts. Er wisse den Zeitpunkt selbst nicht. Wer mittafeln wolle, müsse allerdings auch mitkochen. Wünsche Ungarn Generalstabsbesprechungen, so habe er nichts dagegen.«

Ich glaube, dieser Satz: »Wer mittafeln wolle, müsse allerdings auch mitkochen« ist vielleicht eine der zynischsten Bemerkungen, deren sich ein Staatsmann jemals schuldig gemacht hat.

Am dritten Tage der Verhandlung waren die Deutschen in der Lage, festzustellen, daß im Falle eines deutsch-tschechischen Konfliktes Ungarn genügend bewaffnet wäre, um am 1. Oktober mitmachen zu können.

Ich unterbreite Dokument 2797-PS, US-89 eine andere im deutschen Außenamt erbeutete Denkschrift über die Unterredung [64] zwischen Ribbentrop und Kanya am 25. August 1938. Ich werde die zwei letzten Absätze verlesen:

»Hinsichtlich der militärischen Bereitschaft Ungarns, im Falle eines deutsch-tschechischen Konfliktes sich zu beteiligen, hatte Herr von Kanya bekanntlich in den letzten Tagen von dem Bedürfnis einer ein- bis zweijährigen Frist gesprochen, um die ungarische Wehrkraft hinreichend zu entwickeln. Bei dem heutigen Gespräch korrigierte Herr von Kanya diese Bemerkung nun dahin, es stehe militärisch mit den Ungarn doch besser. Sie wären doch am 1. Oktober dieses Jahres rüstungsmäßig so weit, sich beteiligen zu können.«

Unleserliche Unterschrift, wahrscheinlich ist es Weizsäckers Unterschrift.

Der Bericht über die deutsch-ungarische Besprechung findet wiederum seine Bestätigung in General Jodls Tagebuch, Dokument 1780-PS, aus welchem ich bereits mehrfach las. Die Eintragung unter dem Datum 21. bis 26. August 1938, auf Seite 4 des englischen Textes, lautet wie folgt:

»Besuch des Ungarischen Reichsverwesers in Deutschland. Begleitet von Ministerpräsident, Außenminister und Honvedminister von Raatz. Sie kamen mit der Idee, daß in einem großen Kriege in einigen Jahren mit Hilfe deutscher Truppen das alte Ungarn wieder hergestellt werden kann. Sie gehen mit der Erkenntnis, daß wir weder Wünsche noch Forderungen an sie haben, daß aber Deutschland keine zweite Provokation der Tschechei mehr hinnehmen wird, und wenn es morgen sein sollte. Ob sie sich dann beteiligen wollen oder nicht, liege bei ihnen. Deutschland wird aber nie eine Schiedsrichterrolle zwischen ihnen und Polen übernehmen. Die Ungarn sehen das ein; sie glauben aber, im gegebenen Falle eine Wartezeit von wenigstens 48 Stunden, zur Sondierung der Haltung Jugoslawiens, nicht entbehren zu können.«

Das Ergebnis der Besprechung mit den Ungarn war eine Stabskonferenz, die am 6. September stattfand.

Ich zitiere weiter die Eintragung vom 6. September aus Jodls Tagebuch, die am Ende derselben Seite beginnt:

»Chef des Generalstabes, General der Artillerie Halder, hält Besprechungen mit dem ungarischen Generalstabschef Fischer ab. Er wird vorher von mir über die politische Tendenz des Führers, insbesondere über das Verbot, keinerlei Andeutung über den Zeitpunkt zu machen, orientiert. Desgleichen O.Q.I. General von Stülpnagel.«

Es ist nicht uninteressant zu sehen, wie ein hoher General solche politischen Angelegenheiten darlegt.

[65] Dann kommen wir zu den letzten praktischen Vorbereitungen für den Angriff. Da der 1. Oktober als Termin für den Fall »Grün« gesetzt war, war Ende August und Anfang September eine beträchtliche Beschleunigung in den militärischen Vorbereitungen zu beobachten. Praktische und rege Vorbereitungen für den Angriff auf die Tschechoslowakei waren im Gange. Die Nazi-Verschwörer beschäftigten sich angelegentlich mit technischen Einzelheiten, wie Terminsetzung für die »X-Tage«, Fragen der Mobilisierung, Transport- und Versorgungsfragen.

Am 26. August unterzeichnete Jodl mit seinen Initialen eine Vortragsnotiz mit der Überschrift: »Der Zeitpunkt des X-Befehls und die Frage der Vorausmaßnahmen«. Es ist Nummer 17 auf Seite 37 und 38 der englischen Übersetzung des Schmundt-Aktes über den Fall »Grün«, 388-PS, US-26.

Ich möchte den Gerichtshof ganz besonders auf diese Vortragsnotiz aufmerksam machen. Sie beweist ohne jeden Zweifel die Teilnahme des OKW und der Angeklagten Keitel und Jodl an der schändlichen Manipulierung eines Zwischenfalls, der als Ausrede für den Krieg benutzt wurde. Sie enthüllt vollständig den Betrug, die Barbarei und den vollkommen verbrecherischen Charakter des Angriffs, den Deutschland im Begriffe stand zu beginnen.

Ich gestatte mir, dieses Dokument vollständig zu verlesen:

»Von Generalstabsoffizier geschrieben. Geheime Kommandosache. Chef L Chef Sache. Nur durch Offizier. Berlin, den 24. 8. 38. Vortragsnotiz. 1. Ausfertigung. Der Zeitpunkt des X-Befehles und die Frage der Vorausmaßnahmen.

Das Bestreben der Luftwaffe, mit ihrem ersten Einsatz gegen die Tschechei die feindliche Luftwaffe auf ihren Friedenshäfen zu überraschen, führt berechtigterweise zu einem Widerstreben der Luftwaffe gegen alle Vorausmaßnahmen vor dem X-Befehl und zu der Forderung, den X-Befehl selbst am X-1 Tage so spät zu geben, daß die Tatsache einer Mobilmachung in Deutschland in der Tschechei am X-1 Tage nicht mehr bekannt wird.

Das Bestreben des Heeres geht in der entgegengesetzten Richtung. Es hat die Absicht, diejenigen Vorausmaßnahmen vom X-3 bis X-1 Tag durch OKW auslösen zu lassen, die den raschen und gleichmäßigen Ablauf der Mobilmachung gewährleisten. OKH fordert daher auch die Ausgabe des X-Befehles an das Heer nicht später als um 14 Uhr des X-1 Tages. Demgegenüber ist zu sagen: Die Aktion ›Grün‹ wird ausgelost durch einen Zwischenfall in der Tschechei, der Deutschland den Anlaß zum militärischen Eingreifen gibt. Die Bestimmung des Zeitpunktes dieses Zwischenfalls nach Tag und Stunde ist von größter Bedeutung.

[66] Er muß in einer für den Kampf unserer überlegenen Luftwaffe günstigen Großwetterlage liegen und der Stunde nach zweckmäßig so gelegt werden, daß er am X-1 Tag mittags authentisch bei uns bekannt wird. Er kann dann spontan mit der Ausgabe des X-Befehles am X-1 Tag 14 Uhr be antwortet werden.

Am X-2 Tage erhalten die Wehrmachtsteile nur eine Vorwarnung. Beabsichtigt der Führer, so zu verfahren, so erübrigen sich alle weiteren Erörterungen.

Denn dann dürfen vor dem X-1 Tage keine Vorausmaßnahmen ergriffen werden, die sich nicht harmlos erklären lassen, da sonst der Zwischenfall als von uns veranlaßt erscheint. Unbedingt nötige Vorausmaßnahmen müßten dann schon längere Zeit vorher angeordnet und mit den zahlreichen Übungen und Manövern getarnt werden.

Auch die vom Auswärtigen Amt angeschnittene Frage, alle Reichsdeutschen aus den voraussichtlichen Feindstaaten zeitgerecht zurückzurufen, darf wohl keinesfalls zu einem auffälligen Verlassen der Tschechei durch alle Reichsdeutschen vor dem Zwischenfall führen.

Auch eine Warnung der diplomatischen Vertretungen in Prag ist unmöglich vor dem ersten Luftangriff durchführbar, obwohl die Folgen, falls sie dem Luftangriff zum Opfer fallen, sehr schwer sein können. (Zum Beispiel der Tod von Vertretern befreundeter oder sicher neutraler Mächte.)

Sollte man aus technischen Gründen den Zwischenfall in den Abendstunden wünschen, so kann der nächste Tag nicht der X-Tag sein, sondern erst der übernächste Tag.

Auf jeden Fall muß der Grundsatz gelten, vor dem Zwischenfall nichts zu tun, was auf eine Mo bilmachung schließen läßt, und nach dem X-Fall so rasch wie möglich zu handeln.

Zweck dieser Ausführungen ist es, darauf hinzuweisen, wie stark die Wehrmacht an dem Zwischenfall interessiert ist, und daß sie die Absichten des Führers rechtzeitig erfahren muß – sofern nicht ohnehin die Abwehr-Abteilung mit der Organisation des Zwischenfalls beauftragt wird.

Ich bitte, die Entscheidung des Führers zu diesen Ausführungen herbeizuführen.« unterschrieben »J« (für Jodl).

Am Ende dieser Seite des Dokuments findet sich eine handschriftliche Notiz des unermüdlichen Schmundt, Hitlers Adjutanten, die besagt, daß die Notiz Hitler am 30. August vorgelegt wurde, daß Hitler seine Zustimmung zum Vorgehen im Sinne der Ausführungen dieser Notiz gab, und daß Jodl davon am 31. August verständigt wurde. Darauf folgt wieder Jodls Initiale.

[67] Am 3. 9. trafen Keitel und von Brauchitsch mit Hitler auf dem Berghof zusammen. Schmundt machte auch über diese Unterredung Aufzeichnungen; man findet sie in Nummer 18, auf Seite 39 und 40 des Dokuments 388-PS. Ich werde die ersten drei kurzen Absätze dieses Protokolls verlesen:

»Generaloberst von Brauchitsch trägt über den Zeitpunkt des Hereinführens der Truppen in die ›Übungsräume‹ für ›Grün‹ vor. Truppe soll am 28. September hereingeführt werden. Von hier dann aktionsfähig. Ist X-Tag bekannt, führt Truppe Übungen in entgegengesetzten Richtungen durch.

Führer hat Bedenken. Truppe 2 Tagemärsche entfernt versammeln. Täuschungsübungen überall durchführen. Am 27. 9. bis 12 Uhr muß Ob. d. H. wissen, wann X-Tag.«

Es wird Ihnen auffallen, daß von Brauchitsch meldete, Feldtruppen würden am 28. September nach den für den Fall »Grün« bestimmten Räumen geführt werden und dort zur Aktion bereit sein. Ebenso wollen Sie davon Notiz nehmen, daß das OKH bis 27. September 12 Uhr mittags wissen mußte, wann X-Tag sei.

Während des Restes der Besprechung gab Hitler seine Ansichten über die vom deutschen Heere anzuwendende Strategie und über die Stärke der tschechischen Verteidigung, auf die sie stoßen würden, kund. Er sprach über die Möglichkeit, und ich zitiere hier: »Henlein-Leute hineinzuziehen«. Die Lage im Westen mache ihm immer noch Sorgen. Schmundt schrieb weiterhin, und ich lese den letzten Satz auf Seite 40 der englischen Übersetzung:

»Der Führer befiehlt für ferneren Ausbau der Westbefestigungen:

Ausbau der Vorstellungen um Aachen und Saarbrücken.

Bau von etwa 300 bis 400 Batteriestellungen (1600 Geschütze), weist auf flankierenden Einsatz hin.«

Fünf Tage später ersuchte General von Stülpnagel den Angeklagten Jodl um eine schriftliche Zusicherung, daß das OKH fünf Tage vor der bevorstehenden Aktion von derselben Kenntnis erhalte. Am Abend hatte Jodl eine Besprechung mit Generalen der Luftwaffe über das Zusammenarbeiten der Landtruppen mit der Luftwaffe bei Beginn des Angriffs.

Ich lese nun die Eintragung vom 8. September aus Jodls Tagebuch Seite 5 der englischen Übersetzung des Dokuments 1780-PS.

»General von Stülpnagel O. Q. I. bittet um schriftliche Festlegung der Zusicherung, daß OKH fünf Tage vorher erfahrt, falls die Aktion unternommen werden soll.

Ich sage dazu mit der Ergänzung, daß erst zwei Tage vorher die Großwetterlage einigermaßen beurteilt werden kann und infolgedessen zu diesem Zeitpunkt (X-2 Tag) die Absicht [68] sich ändern kann. Von Stülpnagel sagt, daß er zum erstenmal Bedenken hat, ob nicht die frühere Grundlage der Aktion verlassen wird.

Sie war doch so, daß die Westmächte etwas Entscheidendes nicht unternehmen.

Allmählich scheint es, als ob der Führer, auch wenn er diese Auffassung nicht mehr hat, an seinem Entschluß festhält.

Dazu kommt, daß Ungarn mindestens launig und Italien... zurückhaltend ist.«

Hier folgt nun Jodls eigene Ansicht:

»Ich muß zugeben, daß auch ich nicht ohne Sorgen bin, wenn man nun den Umschwung in der Auffassung über das politisch und militärisch Mögliche nach den Weisungen vom 24. Juni 37, 5. November 37, 7. Dezember 37 und 30. Mai 1938 und den letzten Äußerungen vergleicht.

Trotzdem muß man sich klar sein, daß das Ausland jetzt alles in Bewegung setzt, um uns unter Druck zu bringen. Diese Nervenprobe muß bestanden werden.

Da aber die wenigsten Menschen die Kraft haben, diesem Druck zu widerstehen, ist es das einzig Richtige, alle Nachrichten, die uns besorgt machen sollen, nur einem kleinsten Kreis von Offizieren bekanntzugeben und nicht wie bisher durch die Vorzimmer laufen zu lassen. 18 bis 21 Uhr Besprechung beim Chef OKW mit Chef des Generalstabs der Luftwaffe (anwesend Jeschonnek, Kammhuber, Sternburg und ich). Es besteht Übereinstimmung über Ausgabe des X-Befehls X-1 4 Uhr und Voraussagen an die Luftwaffe X-1 Tag 7 Uhr. Geprüft muß noch werden die Y-Zeit. Verbände haben teilweise einen Anflug von einer Stunde.«

Spät abends am nächsten Tage, am 9. 9., kam Hitler mit dem Angeklagten Keitel und den Generalen von Brauchitsch und Halder in Nürnberg zusammen. Der Bauingenieur Dr. Todt kam später zu dieser Besprechung, die von 10 Uhr abends bis 3 Uhr morgens anhielt. Schmundts Bericht über diese Konferenz ist Nummer 19 des Schmundt-Aktes und befindet sich auf Seite 41 bis 43 des Dokuments 388-PS.

Bei dieser Besprechung prüfte General Halder für den Fall des Angriffs die Operationspläne von vier Armeen, und zwar von der zweiten, zehnten, zwölften und vierzehnten deutschen Armee. Mit dem ihm eigenen Enthusiasmus für militärische Pläne hielt Hitler eine Rede darüber, welche strategischen Erwägungen bei Fortschritt des Angriffs in Betracht zu ziehen wären. Ich werde nur vier Absätze zitieren, und zwar beginne ich mit einer Zusammenfassung der Bemerkungen von General von Brauchitsch:

[69] »General von Brauchitsch:

Der Ansatz der motorisierten Divisionen lag begründet in mangelhafter Eisenbahnlage in Österreich und in Schwierigkeit, andere Divisionen (marschbereite) zur rechten Zeit heranzubekommen.

Im Westen: Abtransport der Wagen ab 20. 9. notwendig, wenn X-Tag, wie geplant, bleibt.

Abtransport der Arbeiter ab 23. 9. staffelweise. Spezialarbeiter bleiben nach Entscheidung durch Hr. Kdo. 2.

Der Führer:

Nicht einzusehen, warum Arbeiter schon am X-minus 11. Tag in ihre Heimat zurückmüssen. Andere Arbeiter und Menschen sind vom Mobilmachungstag auch unterwegs. Ebenso die Eisenbahnwagen, sie stehen nachher unnötig herum.

General Keitel:

Arbeiter sind im Westen durch Bezirks-Kommandos nicht greifbar. Züge müssen zusammengestellt werden. Generaloberst von Brauchitsch:

235000 Mann Arbeitsdienst werden einberufen.

96 Baubataillone werden aufgeteilt (auch auf den Osten),

40000 Ausgebildete bleiben im Westen.«

Von diesem Tage an beschäftigen sich die Nazi-Verschwörer mit der Ausarbeitung der verwickelten Pläne, die einem solchen Angriff vorausgehen müssen. Am 11. 9. hielt der Angeklagte Jodl eine Besprechung mit einem Vertreter des Propagandaministeriums über die Möglichkeiten ab, die deutschen Verletzungen des Völkerrechts zu widerlegen, und die der Tschechoslowakei auszunützen.

Ich verlese die Eintragung vom 11. September aus dem Jodl-Tagebuch, auf Seite 5 der englischen Übersetzung des Dokuments 1780-PS:

»Nachmittags Besprechung mit Staatssekretär Hahnke vom Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda, über bevorstehende gemeinsame Aufgaben.

Als besonders wichtig werden die gemeinsamen Vorbereitungen für die Widerlegung eigener, und die Ausnutzung feindlicher Verletzungen des Völkerrechts erkannt.«

Die Erörterungen darüber entwickelten sich zu einem ausführlichen Studium in Abteilung L; das ist Jodls Abteilung des OKW. Ich lege jetzt Dokument C-2 als US-90 vor, den Durchschlag eines im Original mit Bleistift unterschriebenen Dokuments. Wie man aus der Urkunde ersieht, wurden sieben Ausfertigungen davon gemacht und am 1. 10. 1938 an das OKH, OKM, Luftwaffe und Außenamt ausgegeben.

[70] In dieser Schrift wurden die in Verbindung mit der Invasion der Tschechoslowakei zu erwartenden Verletzungen des Völkerrechts durch Deutschland angeführt und Gegenpropaganda vorgeschlagen, die von den Propagandaämtern angewendet werden sollte. Es ist eine hochinteressante, geheime Kommandosache, und schon bei einem flüchtigen Blick auf das Original können Sie erkennen, wie sorgfältig diese Schrift abgefaßt ist und die zu erwartenden Völkerrechtsbrüche, sowie deren propagandistische Widerlegung ausgearbeitet sind. Die Urkunde ist in Form einer Tabelle ausgearbeitet, in welcher die zu erwartenden Anlässe zu Völkerrechtsverletzungen in der linken Spalte angeführt sind. In der zweiten Spalte sind genaue Beispiele für derartige Zwischenfälle gegeben. In der dritten und vierten Spalte wird die Stellungnahme zu solchen Vorfällen, die eine Verletzung des Völkerrechts und Kriegsrechts darstellen, wiedergegeben.

Die fünfte Spalte, die in diesem Dokument unglücklicherweise leer geblieben ist, war für Erklärungen des Propagandaministers bestimmt.

Ich zitiere zunächst aus dem Begleitbrief:

»Anliegend wird eine von der Abteilung L im OKW verfaßte Zusammenstellung von zu erwartenden Verstößen der kämpfenden Truppe gegen das Völkerrecht übersandt. Wegen der Kürze der für die Bearbeitung zur Verfügung gestellten Zeit mußte eine vorläufige Ausfüllung der Spalten c 1 und c 2 unmittelbar von hier erfolgen. Die Wehrmachtsteile werden gebeten, gleichfalls eine Stellungnahme hierfür zu geben, damit eine endgültige Fassung hier aufgesetzt werden kann.

Die gleiche Bitte ergeht an das Auswärtige Amt.

Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, im Auftrage: Bürkner.«

Ich bedauere, daß ich kaum die Zeit habe, ausführlich aus dieser Urkunde zu verlesen. Ich werde mich auf die Verlesung der ersten zehn möglichen Zwischenfälle beschränken, deren kriegsrechtliche Begründung in der zweiten Spalte b der Tabelle zu finden ist:

»1. Bei Luftangriff auf Prag wird englische Gesandtschaft zerstört.

2. Hierbei werden Engländer oder Franzosen verwundet oder getötet.

3. Bei Luftangriff auf Prag wird der Hradschin zerstört.

4. Auf Grund einer Meldung von Verwendung von Gas durch die Tschechen wird Beschuß mit Gasmunition angeordnet.

5. Tschechische Zivilisten, nicht als Soldaten kenntlich, werden bei Sabotageakt (Zerstörung wichtiger Brücke, [71] Vernichtung von Lebens- und Futtermitteln) angetroffen oder bei Plünderung von verwundeten oder gefallenen Soldaten überrascht und daraufhin erschossen.

6. Gefangene tschechische Soldaten oder tschechische Zivilbevölkerung werden zu Straßenarbeiten oder zu Verladung von Munition usw. kommandiert.

7. Aus militärischen Gründen ist es notwendig, Wohnräume, Lebensmittel und Futtermittel der tschechischen Bevölkerung zu beschlagnahmen. Diese erleiden dadurch Not.

8. Tschechische Bevölkerung wird ins rückwärtige Gebiet aus militärischen Gründen zwangsweise abtransportiert.

9. Kirchen werden als militärische Unterkunftsräume verwendet.

10. Deutsche Flugzeuge überfliegen in Ausübung ihres Auftrages polnisches Hoheitsgebiet, geraten hier mit tschechischen Flugzeugen in einen Luftkampf.«

Am 10. 9. erließ Hitler von Nürnberg einen Befehl, der den RAD dem OKW unterstellte. Diese streng geheime Kommandosache...

VORSITZENDER: Gehen Sie schon auf ein anderes Dokument über?

MR. ALDERMAN: Ja.

VORSITZENDER: Wollten Sie vielleicht zuerst die völkerrechtliche Beurteilung des Zwischenfalls mit Gas verlesen?


MR. ALDERMAN: Vielleicht sollte ich das wirklich tun.


VORSITZENDER: Es ist Nummer 4.


MR. ALDERMAN: Ist es Zwischenfall Nummer 4?


VORSITZENDER: Ja.


MR. ALDERMAN: Nummer 4 war die Annahme eines Zwischenfalls, in der auf Grund einer Meldung von Verwendung von Gas durch die Tschechen Beschuß mit Gasmunition angeordnet wurde. Unter der Spalte »Stellungnahme durch Gruppe Völkerrecht« heißt es:

»Nach der im Juni 1925 von 40 Staaten, darunter auch der Tschechei, angenommenen Erklärung, ist in einem Kriege die Anwendung giftiger Gase, chemischer Kampfstoffe und bakteriologischer Mittel ausdrücklich verboten. Eine ganze Reihe von Nationen hat zu dieser Erklärung des Gaskriegsverbotes den Vorbehalt gemacht.«

Dann heißt es in der Spalte unter der Überschrift »Kriegsrechtliche Begründung«:

»Wenn die Behauptung, daß der Gegner, in die sem Falle die Tschechen, im Kampf ein verbotenes Gas angewendet habe, in der Welt Glauben finden soll, muß sie bewiesen werden können. Wenn das möglich ist, ist der Beschuß mit [72] Gasmunition gerechtfertigt und muß in der Öffentlichkeit mit der beweiskräftigen Begründung, daß der Gegner zuerst das Verbot verletzt hat, vertreten werden. Von außerordentlicher Wichtigkeit ist es also, den Beweis zu führen. Ist die Behauptung nicht oder nur mangelhaft begründet, dann ist der Gasbeschuß nur mit der Notwendigkeit der Anwendung einer berechtigten Repressalie zu vertreten, wie dies die Italiener im abessinischen Krieg getan haben. Hierbei muß aber die Berechtigung einer so schweren Repressalie gleichfalls begründet sein.«

Hitler erließ am 10. 9. von Nürnberg aus einen Befehl, der den Reichsarbeitsdienst dem OKW unterstellte.

VORSITZENDER: Es ist noch ein kurzer Absatz da, der wesentlich zu sein scheint.

MR. ALDERMAN: Ich war eigentlich versucht, das Dokument vollständig zu verlesen.


VORSITZENDER: Ich meine die völkerrechtliche Beurteilung von Punkt 10.


MR. ALDERMAN: Nummer 10 war:

»Deutsche Flugzeuge überfliegen in Ausübung ihres Auftrages polnisches Hoheitsgebiet, geraten hier mit tschechischen Flugzeugen in einen Luftkampf.«

Unter der Überschrift »Stellungnahme durch Gruppe Völkerrecht« heißt es:

»Nach Artikel 1 des V. Haager Abkommens vom 18. 10. 1907 ist das Gebiet der neutralen Mächte unverletzlich. Eine absichtliche Verletzung durch Überfliegen dieses Gebietes ist Völkerrechtsbruch, wenn die neutralen Mächte eine Luftsperre für Kriegsluftfahrzeuge erklärt haben. Wenn polnisches Gebiet durch deutsche Flugzeuge überflogen wird, liegt eine Völkerrechtsverletzung vor, falls das Überfliegen nicht ausdrücklich gestattet ist.«

Dann unter dem Titel »Kriegsrechtliche Begründung« heißt es:

»Zunächst versuchte Ableugnung, wenn erfolglos, dann Bitte um Entschuldigung (wegen Verlierens der Übersicht) bei der polnischen Regierung und Zusicherung von Schadensersatzleistung.«

Ich habe auf einen Befehl verwiesen, der von Hitler am 10. 9. 1938 in Nürnberg erlassen wurde, und der den deutschen Reichsarbeitsdienst dem OKW unterstellte. Diese geheime Kommandosache, von der 25 Ausfertigungen gemacht wurden, ist Nummer 20 im Schmundt-Akt, Seite 44.

[73] Ich will diesen Befehl verlesen:

»1. Die gesamte Organisation des RAD tritt mit dem 15. September unter den Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht.

2. Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht regelt den ersten Einsatz im Benehmen mit dem Reichsarbeitsführer und die jeweilige Zuteilung an die Oberkommandos der Wehrmachtsteile. In Zuständigkeitsfragen entscheidet er endgültig nach meinen Weisungen.

3. Dieser Befehl ist vorläufig nur den unmittelbar beteiligten Stellen und Personen bekanntzugeben. gez. Adolf Hitler.«

Vier Tage später, am 14. 9., erließ der Angeklagte Keitel ausführliche Instruktionen über die Anwendung bestimmter RAD-Truppen. Dieser Befehl ist Nummer 21 des Schmundt-Aktes, es ist Seite 45 der englischen Übersetzung. Ich glaube nicht, daß es notwendig sein wird, den Befehl zu verlesen.

Dann ist noch ein anderer Befehl vorhanden, der vom Angeklagten Jodl am 16. 9. erteilt wurde, Nummer 24, Seite 48 des Schmundt-Aktes. Ich glaube, ich habe nur dessen Überschrift oder Titel zu lesen.

»Betrifft: Einsatz des Reichsarbeitsdienstes. Die nachstehend aufgeführten Reichsarbeitsdienstkräfte werden nach den Anordnungen des Oberbefehlshabers des Heeres ab 15. September militärisch ausgebildet.«

Zwei weitere Eintragungen in dem Tagebuch des Angeklagten Jodl geben nähere Anhaltspunkte über die Aufgaben des OKW zu jener Zeit, Mitte September, zwei Wochen vor dem geplanten X-Tage.

Ich lese jetzt die Eintragungen vom 15. und 16. 9., Seite 5 und 6 der englischen Übersetzung, aus dem Tagebuch des Angeklagten Jodl:

»15. 9. Frühbesprechung bei Chef OKW mit den Generalstabschefs Heer und Luftwaffe,

a) über die Frage, was könnte man tun, wenn der Führer bei der raschen Entwicklung der Lage auf Beschleunigung des Termins dringt...

16. 9. General Keitel kommt 17 Uhr vom Berghof zurück. Er schildert anschaulich das Ergebnis der Besprechung zwischen Chamberlain und dem Führer. Die nächste Besprechung soll 20. oder 21. in Godesberg stattfinden. Abends wird vom OKW mit Genehmigung des Führers der Befehl zur Aufstellung des vGaD« – wenn ich richtig verstehe, bezieht sich das auf eine verstärkte Grenzsicherung – »an der tschechischen Grenze an OKH und Finanzministerium gegeben.

[74] Ebenso ergeht Befehl zur getarnten Bereitstellung des Leermaterials der Bahn für den Aufmarsch, so daß es ab 28. 9. gefahren werden kann.«

Der Befehl an die Reichsbahn zur Bereitstellung der verfügbaren Eisenbahnwagen, auf den General Jodl sich bezieht, erscheint als Nummer 22 des Schmundt-Aktes. In diesem Befehl erklärte der Angeklagte Keitel der Reichsbahn, bis zum 28. September fertig zu sein, jedoch auch nach dem 20. September aus Tarnungsgründen die Westwall-Befestigungsar beiten fortzusetzen. Ich zitiere die ersten vier Absätze des Befehles:

»Die Reichsbahn hat bis 28. 9. 38 zur Durchführung von Mobilisierungsübungen große Mengen Leermaterial bereitzustellen, Diese Aufgabe geht nunmehr allen anderen vor. Es wird deshalb nicht zu umgehen sein, die Verladung für die Limesarbeiten« – ich nehme an, dies bezieht sich auf die Befestigungen am Westwall – »ab 17. 9. einzuschränken und die vorher verladenen Güter bis zum 20. 9. 38 zu entladen.

OKH (5. Abt. Gen. St. d. H.) hat im Einvernehmen mit den in Frage kommenden Stellen das weitere zu veranlassen.

Gemäß Weisung des Führers ist aber mit allen Mitteln anzustreben, auch nach dem 20. 9. 38, sowohl aus Tarnungsgründen als auch für die so wichtige Fortführung der Arbeiten am Limes in nur irgend vertretbarem Umfange Material weiterhin zuzuführen.«

Die vorletzte Phase des Angriffs beginnt am 18. September. Von diesem Tage an bis zum 28. kam eine ganze Reihe von Befehlen heraus, durch die die Vorbereitungen zum Angriff große Fortschritte machten. Diese Befehle sind im Schmundt-Akt enthalten, aber ich habe nicht die Absicht, sie alle zu verlesen und dadurch die Zeit des Gerichtshofs in Anspruch zu nehmen.

Am 18. wurde die Beteiligung am Einsatz der fünf in Frage kommenden Armeen, der 2., 8., 10., 12. und 14., festgesetzt. Es ist dies Nummer 26 des Schmundt-Aktes. Hitler genehmigte die geheime Mobilisierung von fünf Divisionen im Westen zur Rückendeckung der Deutschen während des Falles »Grün«. Ich verweise hierbei auf Nummer 31 des Schmundt-Aktes. Es ist eine »Geheime Kommandosache«, datiert Berlin, 27. September 1938: 19.20 Uhr; ausgegeben in 45 Ausfertigungen, von denen diese die 16. ist:

»Der Führer hat die Mobilmachung ohne öffentliche Verkündung der fünf aktiven Westdivisionen (26., 34., 36., 33. und 35. Div.) 5 M.Panzer-Div. gebilligt. Der Einsatz in der Befestigungszone und die Räumung dieser Zone durch die Arbeiter der Organisation Todt hat sich der Führer und [75] Oberste Befehlshaber der Wehrmacht ausdrücklich vorbehalten.

Dem OKH ist freigestellt, im Rahmen der Möglichkeiten die zunächst marschbereiten Teile und anschließend die übrigen Teile der Division in Bereitstellungsräumen hinter den Westbefestigungen zu versammeln.« Unterschrift: »Jodl«


VORSITZENDER: Ich glaube, es ist jetzt Zeit zu unterbrechen. Wir werden die Verhandlung um 2 Uhr nachmittags wiederaufnehmen.


[Der Gerichtshof vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 3, S. 45-77.
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