Vormittagssitzung.

[281] VORSITZENDER: Ich bitte den Anklagevertreter der Vereinigten Staaten fortzufahren.

OBERST STOREY: Hoher Gerichtshof! Bei Vertagung der Verhandlung am 20. Dezember hatten wir die Gestapo behandelt und den Gebrauch von Todeswagen durch Einsatzgruppen in den östlichen besetzten Ländern beschrieben. Wir waren fast am Ende dieses Abschnitts des Anklagevorbringens angelangt. Der Gerichtshof wird sich daran erinnern, daß wir den Gebrauch von einigen Todeswagen erwähnten, die von den Saurer-Werken hergestellt worden waren, und ich möchte zum Schlusse ein dem Dokument 501-PS beigefügtes Telegramm erwähnen, dessen Verlesung nicht erforderlich ist, aus dem aber die Tatsache hervorgeht, daß die gleiche Type von Lastwagen auch als Todeswagen von den Einsatzgruppen verwendet wurde.

Das letzte Dokument, das wir im Zusammenhang mit den Einsatzgruppen in den besetzten Ostgebieten vorlegen möchten, trägt die Nummer 2992-PS und befindet sich, wie ich glaube, im zweiten Bande des Dokumentenbuchs. Es ist eine von Hermann Gräbe abgegebene eidesstattliche Erklärung. Hermann Gräbe steht zur Zeit im Dienste der Militärregierung der Vereinigten Staaten in Frankfurt. Die eidesstattliche Erklärung wurde in Wiesbaden abgegeben, und ich lege hiermit Auszüge aus diesem Affidavit, 2992-PS, US-494, vor.

Der Zeuge war Leiter einer Baufirma, die einige Bauten in der Ukraine ausführte, und Augenzeuge der antijüdischen Aktionen in der ukrainischen Stadt Rowno am 13. Juli 1942. Ich beziehe mich auf den Teil des Affidavits, der sich auf Seite 5 der englischen Übersetzung befindet. Es heißt dort:

»Von September 1941 bis Januar 1944 war ich Geschäftsführer und leitender Ingenieur einer Zweigstelle der Baufirma Josef Jung, Solingen, mit Sitz in Sdolbunow, Ukraine. Als solcher hatte ich die Baustellen der Firma zu besuchen. Die Firma unterhielt u. a. eine Baustelle in Rowno, Ukraine.

In der Nacht vom 13. zum 14. Juli. 1942 wurden in Rowno alle Insassen des Ghettos, in dem sich noch ungefähr 5000 Juden befanden, liquidiert.

Den Umstand, wie ich Zeuge der Auflösung des Ghettos wurde, die Durchführung der Aktion während der Nacht und am Morgen, schildere ich wie folgt:

[281] Als Arbeiter für die Firma beschäftigte ich in Rowno außer Polen, Deutschen und Ukrainern, auch etwa 100 Juden aus Sdolbunow, Ostrog und Mysotsch. Die Männer waren in einem Hause, Bahnhofstraße 5, innerhalb des Ghettos untergebracht, die Frauen in einem Hause Ecke Deutsche Straße 98.

Am Samstag, den 11. Juli 1942, erzählte mir mein Polier Fritz Einsporn von einem Gerücht, daß am Montag alle Juden in Rowno liquidiert werden sollten. Obwohl die bei meiner Firma in Rowno beschäftigten Juden zum allergrößten Teil nicht aus dieser Stadt waren, befürchtete ich doch, daß sie mit in die gemeldete Aktion fallen würden. Ich ordnete daher an, daß Einsporn am Mittag desselben Tages alle bei uns beschäftigten Juden, Männer wie Frauen, nach Sdolbunow, etwa 12 km von Rowno, in Marsch setzen solle. Dieses geschah auch.

Dem Judenrat war der Abzug der jüdischen Arbeiter meiner Firma bekannt geworden, er wurde noch am Nachmittag des Samstag beim Kommandeur der SP und des SD in Rowno, SS-Sturmbannführer Dr. Pütz, vorstellig, um Gewißheit über das Gerücht der bevorstehenden Judenaktion, das durch das Abziehen der Juden meiner Firma noch genährt wurde, zu erhalten. Dr. Pütz stellte das Gerücht als eine plumpe Lüge hin und ließ im übrigen das polnische Personal meiner Firma in Rowno verhaften. Einsporn entging der Verhaftung durch Flucht von Sdolbunow. Als ich von dem Vorfall Kenntnis erhielt, ordnete ich an, daß alle von Rowno abgezogenen Juden am Montag, den 13. Juli 1942, die Arbeit in Rowno wieder aufzunehmen hatten. Ich selbst ging am Montag Vormittag zum Kommandeur Dr. Pütz, um einesteils Gewißheit über das Gerücht einer Judenaktion zu erhalten, zum anderen wegen Auskunft um die Verhaftung des polnischen Büropersonals. SS- Sturmbannführer Dr. Pütz erklärte mir, daß keinesfalls eine Aktion geplant sei. Dieses wäre ja auch widersinnig, da den Firmen und der Reichsbahn dann wertvolle Arbeiter verloren gingen.

Eine Stunde später erhielt ich eine Vorladung zum Gebietskommissar in Rowno. Sein Vertreter, Stabsleiter Ordensjunker Beck, nahm das gleiche Verhör wie bei dem SD vor. Meine Erklärung, daß ich die Juden wegen einer dringenden Entlausung nach Hause geschickt hatte, schien ihm glaubhaft. Er erzählte mir dann, mit der Verpflichtung zum Schweigen, daß tatsächlich am Abend des Montag, also den 13. Juli 1942, eine Aktion stattfinden werde. Ich erreichte nach einer längeren Verhandlung, daß er mir die Erlaubnis gab, meine jüdischen Arbeiter nach Sdolbunow nehmen zu dürfen, allerdings aber erst nach der Aktion. Während der [282] Nacht müsse ich das Haus im Ghetto selbst vor dem Eindringen ukrainischer Miliz oder SS schützen. Als Bestätigung der Besprechung gab er mir ein Schreiben des Inhalts, daß die jüdischen Arbeiter der Firma Jung nicht unter die Aktion fallen. (Siebe Dokument.)«

Dieses Original, das ich in der Hand halte, möchte ich jetzt dem Übersetzer zur Verlesung übergeben lassen. Ich lenke die Aufmerksamkeit des Hohen Gerichtshofs auf die Tatsache, daß der Briefkopf lautet: »Der Gebietskommissar in Rowno«; es ist vom 13. Juli 1942 datiert und von diesem Gebietskommissar unterzeichnet. Ich verlese nunmehr das Dokument:

»Der Gebietskommissar in Rowno. Geheim!

An die Firma Jung, Rowno. Die bei Ihrer Firma beschäftigten jüdischen Arbeitskräfte fallen nicht unter die Aktion. Sie haben dieselben bis spätestens Mittwoch, den 15. Juli 1942, an den neuen Arbeitsplatz zu übersiedeln. Der Gebietskommissar i. V. gez. Beck.«

Das Schreiben ist mit dem Stempel, dem offiziellen Stempel des Gebietskommissars in Rowno versehen.

Nun folgt der nächste Absatz des Originals, ich glaube Seite 5 oder 6; ich möchte einen weiteren Absatz verlesen nach dem Vermerk »Siehe Dokument«:

»Am Abend dieses Tages fuhr ich nach Rowno und stellte mich mit Fritz Einsporn vor das Haus Bahnhofstraße, in dem die jüdischen Arbeiter meiner Firma schliefen. Kurz nach 22.00 Uhr wurde das Ghetto durch ein großes SS-Aufgebot und einer etwa 3-fachen Anzahl ukrainischer Miliz umstellt und daraufhin die im und um das Ghetto errichteten elektrischen Bogenlampen eingeschaltet. SS- und Miliztrupps von je 4 bis 6 Personen drangen nun in die Häuser ein oder versuchten einzu dringen. Wo die Türen und Fenster verschlossen waren und die Hauseinwohner auf Rufen und Klopfen nicht öffneten, schlugen die SS- oder Milizleute die Fenster ein, brachen die Türen mit Balken und Brecheisen auf und drangen in die Wohnungen ein. Wie die Bewohner gingen und standen, ob sie bekleidet oder zu Bett lagen, so wurden sie auf die Straße getrieben. Da sich die Juden in den meisten Fällen weigerten und wehrten, aus den Wohnungen zu gehen, legten die SS- und Milizleute Gewalt an. Mit Peitschenschlägen, Fußtritten und Kolbenschlägen erreichten sie schließlich, daß die Wohnungen geräumt wurden. Das Austreiben aus den Häusern ging in einer derartigen Hast vor sich, daß die kleinen Kinder, die im Bett lagen, in einigen Fällen zurückgelassen wurden. Auf der Straße jammerten und schrien die Frauen nach ihren Kindern, [283] Kinder nach ihren Eltern. Das hinderte die SS nicht, die Menschen nun im Laufschritt unter Schlägen über die Straßen zu jagen, bis sie zu dem bereitstehenden Güterzug gelangten. Waggon auf Waggon füllte sich, unaufhörlich ertönte das Geschrei der Frauen und Kinder, das Klatschen der Peitschen und die Gewehrschüsse. Da sich einzelne Familien oder Gruppen in besonders guten Häusern verbarrikadiert hatten und auch die Türen mittels Brecheisen und Balken nicht aufzubringen waren, sprengte man diese mit Handgranaten auf. Da das Ghetto dicht an dem Bahnkörper von Rowno lag, versuchten junge Leute über die Schienenstränge und durch einen kleinen Fluß aus dem Bereich des Ghettos zu entkommen. Da dieses Gelände außerhalb der elektrischen Beleuchtung lag, erhellte man dieses durch Leuchtraketen. Während der ganzen Nacht zogen über die erleuchteten Straßen die geprügelten, gejagten und verwundeten Menschen. Frauen trugen in ihren Armen tote Kinder, Kinder schleppten und schleiften an Armen und Beinen ihre toten Eltern über die Straßen zum Zuge. Immer wiederhallten durch das Ghettoviertel die Rufe ›Aufmachen! Aufmachen!‹«

Ich werde nichts mehr von dieser eidesstattlichen Erklärung verlesen. Sie ist sehr lang. Wir haben noch eine zweite eidesstattliche Erklärung, aber ich wollte nur die Tatsache hervorheben, daß die ursprüngliche Ausnahme vom Gebietskommissar unterschrieben war, und daß der SD und die SS an dieser Aktion beteiligt waren.

VORSITZENDER: Sollten Sie nicht den Rest der Seite verlesen, Oberst Storey?

OBERST STOREY: Ja, Herr Vorsitzender. Ich habe das unterlassen, weil ich glaubte, daß es eine gewisse Wiederholung darstellen könnte.

»Ich entfernte mich gegen 6 Uhr früh für einen Augenblick und ließ Einsporn und einige andere deutsche Arbeiter, die inzwischen zurückgekommen waren, zurück. Da nach meiner Ansicht die größte Gefahr vorbei war, glaubte ich, dieses wagen zu können. Kurz nach meinem Weggang drangen ukrainische Milizleute in das Haus Bahnhofstraße 5 ein und holten 7 Juden heraus und brachten sie zu einem Sammelplatz innerhalb des Ghettos. Bei meiner Rückkehr konnte ich ein weiteres Herausholen von Juden aus diesem Hause verhindern. Um die 7 Leute zu retten, ging ich zum Sammelplatz. Auf den Straßen, die ich passieren mußte, sah ich Dutzende von Leichen jeden Alters und beiderlei Geschlechts. Die [284] Türen der Häuser standen offen, Fenster waren eingeschlagen. In den Straßen lagen einzelne Kleidungsstücke, Schuhe, Strümpfe, Jacken, Mützen, Hüte, Mäntel und so weiter. An einer Hausecke lag ein kleines Kind von weniger als einem Jahr mit zertrümmertem Schädel. Blut und Gehirnmasse klebten an der Hauswand und bedeckte die nähere Umgebung des Kindes. Das Kind hatte nur ein Hemdchen an. Der Kommandeur, SS-Sturmbannführer Dr. Pütz, ging an etwa 80-100 am Boden hockenden männlichen Juden auf und ab. Er hielt in der Hand eine schwere Hundepeitsche. Ich ging zu ihm, zeigte ihm die schriftliche Genehmigung des Stabsleiters Beck und forderte die 7 Leute, die ich unter den am Boden Hockenden erkannte, zurück. Dr. Pütz war sehr wütend über das Zugeständnis Becks und unter keinen Umständen zu bewegen, die 7 Männer freizugeben. Er machte mit der Hand einen Kreis um den Platz und sagte, wer einmal hier wäre, der käme nicht mehr fort. Obzwar sehr ungehalten über Beck, gab er mir auf, die Leute im Hause Bahnhofstraße 5 bis spätestens um 8 Uhr aus Rowno zu führen. Beim Weggang von Dr. Pütz bemerkte ich einen ukrainischen Bauernwagen, bespannt mit 2 Pferden. Auf dem Wagen lagen tote Menschen mit steifen Gliedern. Arme und Beine ragten über den Kasten des Wagens heraus. Der Wagen fuhr in Richtung zum Güterzug. Die verbliebenen 74 in dem Haus eingeschlossenen Juden brachte ich nach Sdolbunow.

Einige Tage nach dem 13. Juli 1942 bestellte der Gebietskommissar von Sdolbunow, Georg Marschall, alle Firmenleiter, Reichsbahnräte, OT- Führer und so weiter zu sich und gab bekannt, daß sich die Firmen und so weiter darauf vorbereiten sollten, daß in absehbarer Zeit Juden umgesiedelt werden würden. Er wies auf die Aktion von Rowno hin, wo man alle Juden liquidiert, das heißt in der Nähe von Kostopol erschossen hatte.«

Die Erklärung ist unterzeichnet und beschworen am 10. November 1945.

VORSITZENDER: Welcher Nationalität ist Gräbe?

OBERST STOREY: Er ist Deutscher. Gräbe war ein Deutscher und ist nun bei der Militärregierung in Frankfurt beschäftigt, der Militärregierung der Vereinigten Staaten.

Hoher Gerichtshof! In diesem Zusammenhang ist eine weitere eidesstattliche Erklärung beigefügt, die einen Teil dieses Dokuments bildet, das ich nicht zu verlesen beabsichtige. Sie behandelt die Hinrichtung von Menschen in einem anderen Gebiet und ist ähnlicher Natur wie das andere Affidavit. Ich verlese die Erklärung nicht, da sie kumulativ ist, aber sie ist ein Teil desselben Dokuments.

[285] Ich gehe nun von diesem Thema auf das nächste über.

Die Gestapo und der SD unterhielten in den Kriegsgefangenenlagern besondere Abteilungen mit der Aufgabe, rassisch und politisch Unerwünschte auszusondern und die Ausgesonderten zu vernichten. Dieses gegen Zivilpersonen durchgeführte Programm von Massenmorden rassisch und politisch Unerwünschter wurde auch gegen Kriegsgefangene angewendet, die an der Ostfront gefangengenommen worden waren. Ich verweise den Hohen Gerichtshof in diesem Zusammenhang auf die Aussagen des Generals Lahousen vom 30. November 1945, an die sich der Gerichtshof erinnern wird. Lahousen legte Zeugnis über eine Besprechung ab, die im Sommer 1941 kurz nach Beginn des Feldzugs gegen die Sowjetunion stattgefunden hat, und an der er selbst beteiligt war. Ich möchte dies besonders betonen, denn wir werden später ein Schriftstück vorlegen, das eine Folge dieser Besprechung war, an der er selbst, General Reinecke, Oberst Breyer und der Chef der Gestapo, Müller, teilnahmen. In dieser Konferenz wurde der Befehl besprochen, nach welchem Sowjetfunktionäre und Kommunisten unter den sowjetischen Kriegsgefangenen zu töten waren. Die Exekutionen sollten durch Einsatzkommandos der Sipo und des SD durchgeführt werden. Lahousen hob hervor, daß Müller, der Chef der Gestapo, auf der Ausführung des Programms bestanden habe und nur insoweit Entgegenkommen zeigte, als er zusagte, die Hinrichtungen mit Rücksicht auf die Moral der deutschen Truppen nicht in Gegenwart von Soldaten vornehmen zu lassen, Müller machte auch einige Zugeständnisse hinsichtlich der Auswahl der Personen, die ermordet werden sollten. Nach der Aussage Lahousens jedoch war die Auswahl vollständig den Kommandanten dieser Aussonderungs-Einheiten überlassen. Ich beziehe mich auf Seite 633 des Sitzungsprotokolls. Band II, Seite 505.

Ich lege nun Dokument 502-PS als Beweisstück US-486 vor. Es handelt sich um Richtlinien der Gestapo vom 17. Juli 1941.

Wie Sie sich erinnern werden, sagte Lahousen aus, daß diese Konferenz im Sommer 1941 stattfand.

Das Schreiben ist an die Kommandanten der in den Lagern stationierten Sipo- und SD-Kommandos gerichtet und enthält folgende Bestimmungen; ich lese nun von der ersten Seite der englischen Übersetzung.

Hoher Gerichtshof! Unsere Kollegen, die Anklagevertreter der Sowjetunion, werden den größten Teil dieses Schriftstücks vorlegen; ich verlese nur einen Auszug, der für den Beweis der Beteiligung der Gestapo ausreichend ist:

[286] »Die Abstellung der Kommandos erfolgt nach der Vereinbarung zwischen dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD und dem OKW vom 16. 7. 1941 (siehe Anlage 1).

Die Kommandos arbeiten auf Grund besonderer Ermächtigung und gemäß der ihnen erteilten allgemeinen Richtlinien im Rahmen der Lagerordnung selbständig. Es ist selbstverständlich, daß die Kommandos mit dem Lagerkommandanten und dem ihm zugeteilten Abwehroffizier engste Fühlung halten.

Aufgabe der Kommandos ist die politische Überprüfung aller Lagerinsassen und die Aussonderung und weitere Behandlung

a) der in politischer, krimineller oder in sonstiger Hinsicht untragbaren Elemente unter diesen,

b) jener Personen, die für den Wiederaufbau der besetzten Gebiete verwendet werden können.«

Ich gehe nun zum Beginn des vierten Absatzes über:

»Für ihre Arbeit haben die Kommandos, soweit als möglich, sich zunächst und auch in der Folge die Erfahrungen der Lagerkommandanten zunutze zu machen, die diese aus der Beobachtung der Gefangenen und aus Vernehmungen von Lagerinsassen inzwischen gesammelt haben.

Weiter haben die Kommandos von Anfang an bemüht zu sein, unter den Gefangenen auch die zuverlässig erscheinenden Elemente, und zwar gleichgültig, ob es sich dabei um Kommunisten handelt oder nicht, herauszusuchen, um sie für ihre nachrichtendienstlichen Zwecke innerhalb des Lagers und, wenn vertretbar, später auch in den besetzten Gebieten dienstbar zu machen.

Es muß gelingen, durch Einsatz solcher V-Personen und unter Ausnutzung aller sonst vorhandenen Möglichkeiten zunächst unter den Gefangenen alle auszuscheidenden Elemente Zug um Zug zu ermitteln. Durch kurze Befragung der Festgestellten und evtl. Befragung anderer Gefangener haben sich die Kommandos in jedem Fall endgültige Klarheit über die zu treffenden Maßnahmen zu verschaffen.

Die Angabe eines V-Mannes gilt ohne weiteres nicht, einen Lagerinsassen als verdächtig zu bezeichnen. Vielmehr muß irgendwie nach Möglichkeit eine Bestätigung erreicht werden.«

Ich gehe nun zu Seite 2, Absatz 3 der englischen Übersetzung über und zitiere:

»Exekutionen dürfen nicht im Lager oder in unmittelbarer Umgebung des Lagers durchgeführt werden. Befinden [287] sich die Lager im Generalgouvernement in unmittelbarer Nähe der Grenze, so sind die Gefangenen zur Sonderbehandlung möglichst auf ehemals sowjetrussisches Gebiet zu verbringen.«

Ferner zitiere ich Absatz 5:

»Hinsichtlich der durchzuführenden Exekutionen, des möglichen Abtransportes von zuverlässigen Zivilpersonen und des Abschubs etwaiger V-Personen für die Einsatzgruppe in die besetzten Gebiete hat sich der Leiter des EK in Verbindung zu setzen mit dem Leiter der örtlich nächstgelegenen Stapo(leit)-Stelle bzw. mit dem Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD und über diesem mit dem Chef der betreffenden Einsatzgruppe in den besetzten Gebieten.«

Der Beweis dafür, daß so von der Gestapo in Kriegsgefangenenlagern ausgesonderte Personen hingerichtet worden sind, ist in Dokument 1165-PS zu finden, aus dem ich nicht zitieren will, und das bereits als Beweisstück US-244 vorgelegt wurde. Dokument 1165-PS beweist, daß alle Ausgesonderten exekutiert worden sind.

Die erste Seite dieses Dokuments, das ich nicht verlesen will, stellt ein Schreiben der Lagerkommandanten des Konzentrationslagers Groß-Rosen an den Chef der Gestapo, Müller, vom 23. Oktober 1941 dar; es bezieht sich auf eine früher stattgefundene mündliche Besprechung mit Müller und nennt die Namen von zwanzig am vorausgehenden Tag hingerichteten sowjetischen Kriegsgefangenen.

Die zweite Seite, ich beziehe mich noch immer auf Dokument 1165-PS, das ich nicht verlese, weil es bereits früher zitiert worden ist, ist eine von Müller am 9. November 1941 an alle Gestapo-Dienststellen ergangene Weisung, in welcher er anordnete, daß alle erkrankten Kriegsgefangenen von den Transporten zur Exekution in die Konzentrationslager auszuschließen seien, weil 5 bis 10 Prozent der für die Exekution bestimmten Personen tot oder halbtot in den Lagern ankämen.

Ich lege nunmehr Dokument 2542-PS, US-489, vor. Es befindet sich im zweiten Band des Dokumentenbuchs. Es ist eine eidesstattliche Erklärung des Kurt Lindow, eines ehemaligen Gestapo-Beamten, aufgenommen am 30. September 1945 in Oberursel, Deutschland, im Verlaufe einer offiziellen militärischen Untersuchung seitens der Armee der Vereinigten Staaten. Ich zitiere vom Beginn dieses Dokuments:

»1. Ich war Kriminaldirektor im Amt IV des RSHA und Leiter des Referates IV A 1 von Mitte 1942 bis Mitte 1944.«

Ich lenke die Aufmerksamkeit des Hohen Gerichtshofs auf die Tafel an der Wand, er war Direktor der Abteilung IV und Chef der Unterabteilung IV A 1.

[288] »Ich hatte den Rang eines SS-Sturmbannführers.

2. Dem Referat IV A 1 war von 1941 bis Mitte 1943 ein Sachgebiet eingegliedert« – das aus die ser Tafel nicht ersichtlich ist, aber bereits beschrieben wurde –, »das der Regierungsoberinspektor, späterer Regierungsamtmann und SS-Hauptsturmführer Franz Königshaus, leitete. In diesem wurden Kriegsgefangenenangelegenheiten bearbeitet. Mir ist aus diesem Sachgebiet bekannt geworden, daß Erlasse und Befehle des Reichsführers Himmler aus den Jahren 1941 und 1942 bestanden, nach welchen gefangengenommene sowjetrussische politische Kommissare und jüdische Soldaten exekutiert werden sollten. Nach meiner Kenntnis liefen Vorschläge zu Exekutionen solcher Kriegsgefangenen aus den einzelnen Kriegsgefangenenlagern ein. Königshaus mußte dann die Exekutionsbefehle vorbereiten und legte diese dem Amtschef IV, Müller«, der der Chef der Gestapo war, »zur Unterschrift vor. Diese Entwürfe waren so abgefaßt, daß ein Schreiben an die beantragende Dienststelle, ein zweites Schreiben an ein jeweils bestimmtes Konzentrationslager zur Anweisung der Exekution zu versenden waren. Die betreffenden Kriegsgefangenen wurden vorerst formell entlassen, dann in ein Konzentrationslager zur Exekution überführt.

3. Der Sachbearbeiter Königshaus war mir in personeller Hinsicht unterstellt, und zwar von Mitte 1942 bis etwa Anfang 1943, und arbeitete sachlich direkt mit dem Gruppenleiter IV A, Regierungsdirektor Panzinger, zusammen. Das Sachgebiet wurde etwa Anfang 1943 aufgelöst und auf die Länderreferate bei IV B aufgeteilt. Die für rus sische Kriegsgefangene in Frage kommenden Arbeiten müssen dann von IV B 2 a bearbeitet worden sein. Leiter des Referates IV B 2 a war Regierungsrat und Sturmbannführer Hans-Helmuth Wolf.

4. In den Kriegsgefangenenlagern der Ostfront bestanden kleinere Einsatzkommandos, die von Angehörigen der Geheimen Staatspolizei (Unterbeamten) geleitet wurden. Diese Kommandos waren den Lagerkommandanten zugeteilt und hatten die Aufgabe, die Kriegsgefangenen, die für eine Exekution, gemäß den ergangenen Befehlen, in Frage kamen, auszusondern und dem Geheimen Staatspolizeiamt zu melden.«

Den Rest dieser eidesstattlichen Erklärung werde ich nicht verlesen; ich gehe zum nächsten Thema über.

Die Gestapo und die SS überlieferten wieder festgenommene Kriegsgefangene den Konzentrationslagern, wo sie hingerichtet wurden; es handelte sich also um entflohene und dann erneut gefangengenommene Kriegsgefangene. Der Hohe Gerichtshof wird sich erinnern, daß in der bereits vorgelegten Urkunde 1650-PS ein [289] Befehl des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD enthalten war, der die regionalen Gestapostellen anwies, bestimmte Gruppen wiedergefangener Offiziere auszusondern und im Rahmen der sogenannten Aktion »Kugel« nach dem Konzentrationslager Mauthausen zu überführen. Dies ist der bekannte »Kugelerlaß«, der dem Gerichtshof bereits vorgelegt worden ist. Auf der Fahrt sollten die Kriegsgefangenen gefesselt werden. Die Gestapobeamten sollten halbjährlich Berichte erstatten, in welchen sie nur die Zahlen der nach Mauthausen gesandten Gefangenen anzugeben hatten. Am 27. Juli 1944 wurde vom Wehrkreiskommando VI ein Befehl herausgegeben, der sich auf die Behandlung von Kriegsgefangenen bezog. Es ist das Dokument 1514-PS im zweiten Dokumentenbuch, das ich als Beweisstück US-491 vorlege. Dieses Dokument besagt, daß Kriegsgefangene unter gewissen Umständen aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wurden, um dann der Gestapo überstellt zu werden; ich zitiere von der ersten Seite:

»Betr.: Überstellung von Kriegsgefangenen an die Geheime Staatspolizei. In der Anlage wird die Bezugsverfügung 1) übersandt.

Für die Überstellung an die Gestapo ergeht nachstehende zusammenfassende Regelung:

1. a) Entsprechend den Bezugsverfügungen 2) und 3) hat der Lagerkommandant sowj. Kgf. bei Straftaten der Geheimen Staatspolizei zu überstellen und aus der Kriegsgefangenschaft zu entlassen, wenn er nicht die Überzeugung gewinnt, daß seine Disziplinbefugnisse zur Sühnung der begangenen Straftaten ausreichen. Tatbericht entfällt.

b) Wiederergriffene sowj. Kgf. sind zunächst der nächsten Polizeidienststelle zur Feststellung zu übergeben, ob während der Flucht Straftaten be gangen worden sind. Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft erfolgt auf Antrag der Polizeidienststelle. (Abschn. A 6 der Bezugsverfügung 4) betr. Zusammenfassung aller Bestimmungen über den Arbeitseinsatz wiederergriffener und arbeitsverweigernder Kr.Gef.)

c) Wiederergriffene Kgf. sowj. Offz. sind der Gestapo zu übergeben und aus der Kriegsgefangenschaft zu entlassen. (Abschn. A 1 der Bezugsverfügung 4.)

d) Arbeitsverweigernde und solche Kgf. sowj. Offz., die sich hetzerisch hervortun und dadurch nachteilig auf die Arbeitswilligkeit der übrigen sowj. Kgf. einwirken, sind von dem für sie zuständigen Stalag der nächsten Staatspolizeistelle zu übergeben und aus der Kriegsgefangenschaft zu entlassen. (Abschn. C 1 der Bez. Verfg. 4 und Bez. Verfg. 5.)

e) Arbeitsverweigernde sowj. Kgf. Mannschaften als Rädelsführer und solche, die sich hetzerisch hervortun und dadurch [290] nachteilig auf die Arbeitswilligkeit der übrigen Kgf. einwirken, sind der nächsten Staatspolizeistelle zu übergeben und aus der Kriegsgefangenschaft zu entlassen. (Abschn. C 2 der Bez. Verfg. 4.)

f) Sowj. Kgf. (Mannschaften und Offz.), die hinsichtlich ihrer politischen Einstellung vom Einsatzkdo. der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes ausgesondert wurden, sind vom Lagerkommandanten auf Ersuchen dem Einsatzkdo. zu überstellen und aus der Kriegsgefangenschaft zu entlassen. (Bez. Verfg. 6.)

g) 1. Poln. Kgf. sind bei nachweislichen Sabotageakten an die nächste Staatspolizeistelle zu übergeben und aus der Kriegsgefangenschaft zu entlassen. Entscheidung trifft der Lagerkommandant. Tatbericht entfällt. (Bez. Verf. 7.)

2. Einer Meldung von der Überstellung und der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft bei den unter Ziffer 1) dieser Verfügung genannten Fällen an Wkdo. VI, Abt. Kgf., bedarf es nicht.

3. Kgf. aller Nationen sind an die Geheime Staatspolizei zu überstellen und aus der Kriegsgefangenschaft zu entlassen, wenn hierzu ein besonderer Befehl des OKW oder Wkdo. VI, Abt. Kgf., ergeht.

4. Kgf., die der Teilnahme an illegalen Organisationen und Widerstandsbewegungen verdächtig sind, sind der Gestapo auf Antrag zu Vernehmungszwecken zu überlassen. Sie bleiben Kgf. und sind als solche zu behandeln. Die Überstellung an die Gestapo und ihre Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft hat nur auf Befehl des OKW oder des Wkdo. VI, Abt. Kgf., zu erfolgen.

Bei franz. und belg. Kriegsgef. und ital. Mil. Inter. ist vor Übergabe an die Gestapo zu Vernehmungszwecken – ggf. fernmündlich – die Zustimmung des Wehrkreiskdo. VI, Abteilung Kgf., einzuholen.«

Diese Verordnung war als der »Kugelerlaß« bekannt. Kriegsgefangene, die in diese Kategorie »K« fielen und nach Mauthausen gebracht würden, wurden hingerichtet.

Zur Unterstützung dieser Behauptung lege ich Dokument 2285-PS, US-490, vor. Es ist im zweiten Band zu finden. Dokument 2285-PS ist eine eidesstattliche Erklärung des Oberstleutnants Guivante de Saint Gast und des Leutnants Jean Veith, beide Angehörige der französischen Armee, abgegeben am 13. Mai 1945 bei einer militärischen Untersuchung durch die Armee der Vereinigten Staaten. Die eidesstattliche Erklärung besagt, daß Oberstleutnant Gast vom 18. März 1944 bis 22. April 1945 und Leutnant [291] Veith vom 22. April 1943 bis 22. April 1945 in Mauthausen in Haft gehalten worden sind. Ich zitiere von Absatz 3 auf Seite 1 des Affidavits:

»In Mauthausen gab es mehrere Arten der Gefangenenbehandlungen, unter ihnen die ›Aktion K oder Kugel‹. Nach Ankunft der Transporte wurden die Gefangenen, die mit ›K‹ bezeichnet waren, nicht registriert, erhielten keine Nummer, und ihre Namen blieben allen, mit Ausnahme der Beamten der politischen Abteilung, unbekannt. (Leutnant Veith hatte Gelegenheit, beim Ankommen eines Transports die folgende Unterredung zwischen dem Untersturmführer Streitwieser und dem Leiter des Transports zu hören: ›Wieviele Gefangene?‹ ›15, aber 2 ›K‹.‹ ›Nun, dann sind es nur 13.‹.) Die K-Gefangenen wurden direkt in das Gefängnis ge bracht, entkleidet und in die ›Duschräume‹ geschickt. Diese Duschräume in den Kellern des Gefängnisses neben dem Krematorium waren für Exekutionen bestimmt (Erschießung und Vergasen).

Das Erschießen fand durch eine Meßvorrichtung statt. Der Gefangene wurde mit dem Rücken an ein Metermaß gestellt, das mit einer automatischen Vorrichtung versehen war. Eine Kugel in das Genick des Gefangenen wurde ausgelöst, sobald das bewegliche Brett, mit dem seine Größe gemessen wurde, seinen Kopf berührte.

Wenn ein Transport aus zu vielen ›K‹-Gefangenen bestand, wurde, um nicht durch die Messungen Zeit zu verlieren, Gas statt Wasser in die Duschräume gelassen.«

Ich wende mich nun einem anderen Thema zu, nämlich: Die Gestapo war für die Errichtung und Einteilung von Konzentrationslagern verantwortlich und für die Verbringung rassisch und politisch Unerwünschter in die Konzentrations- und Ausrottungslager zur Versklavung und zur Massenermordung.

Dem Gerichtshof ist bereits Beweismaterial vorgelegt worden über die Verantwortlichkeit der Gestapo für die Verwaltung der Konzentrationslager und auch für die Befugnis der Gestapo, Personen in Schutzhaft in die staatlichen Konzentrationslager zu nehmen. Die Gestapo erließ auch Befehle, Konzentrationslager zu errichten, Kriegsgefangenenlager in Konzentrationslager als Internierungslager und Arbeitslager in Konzentrationslager umzuwandeln, eigene Abteilungen für weibliche Gefangene zu schaffen und so weiter.

Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD befahl die Einteilung der Konzentrationslager nach der Schwere der Anklage und nach der Möglichkeit, Gefangene vom Nazi-Standpunkt aus zu erziehen. Ich beziehe mich nun auf Dokument 1063(a)-PS und 1063(b)-PS im [292] zweiten Band, US-492. Die Konzentrationslager waren eingeteilt in Stute I, II oder III. Stufe I war für die am wenigsten belasteten Häftlinge und Stufe III für die am schwersten belasteten Gefangenen bestimmt. Das Dokument 1063(a)-PS ist von Heydrich unterschrieben und vom 2. Januar 1941 datiert. Ich zitiere von dem Wort »Betrifft« an, am Anfang des Dokuments:

»Betrifft: Einstufung der Konzentrationslager.

Der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei hat seine Zustimmung zu der Einteilung der Konzentrationslager in verschiedene Stufen, die der Persönlichkeit des Häftlings und dem Grad der Gefährdung für den Staat Rechnung tragen, erteilt. Danach werden die Konzentrationslager in folgende Stufen eingeteilt:

Stufe I: Für alle wenig belasteten und unbedingt besserungsfähigen Schutzhäftlinge, außerdem für Sonderfälle und Einzelhaft,

die Lager Dachau, Sachsenhausen und Auschwitz I. (Letzteres kommt auch zum Teil für Stufe II in Betracht.)

Stufe I a: Für alle alten und bedingt arbeitsfähigen Schutzhäftlinge, die noch im Heilkräutergarten beschäftigt werden können,

das Lager Dachau.

Stufe II: Für schwerer belastete, jedoch noch erziehungs- und besserungsfähige Schutzhäftlinge,

die Lager Buchenwald, Flossenbürg, Neuengamme und Auschwitz II.

Stufe III: Für schwerbelastete, insbesondere auch gleichzeitig kriminell vorbestrafte und asoziale, das heißt, kaum noch erziehbare Schutzhäftlinge,

das Lager Mauthausen.«

Ich möchte die Aufmerksamkeit des Hohen Gerichtshofs auf den Umstand lenken, daß wir über Mauthausen gesprochen haben, wo die »K-«-Aktion stattfand.

Der Chef der Sicherheitspolizei und SD hatte die Vollmacht, die Dauer der Haft festzusetzen. Während des Krieges war es üblich, den Gefangenen nicht wissen zu lassen, wie lange die Haft dauern würde, sondern nur von einer Haft »bis auf weiteres« zu sprechen. Dies wurde durch Dokument 1531-PS nachgewiesen, das bereits als Beweisstück US-248 dem Gerichtshof vorgelegt wurde; wir nehmen hier nur deshalb auf diese Urkunde Bezug, weil wir beweisen wollen, daß sie das Recht hatten, die Länge der Haft zu bestimmen.

Die örtlichen Gestapo-Dienststellen, die die Verhaftungen vornahmen, führten ein Haftbuch; soweit mir bekannt ist, versteht man [293] unter Haftbuch einfach ein Polizeiregister. In diesem Haftbuch waren die Namen aller Personen, die verhaftet wurden, mit Personalangaben, den Gründen für die Verhaftung und den Verfügungen aufgenommen.

Wenn Befehle von der Zentrale der Gestapo in Berlin eintrafen, Leute, die sich in Haft befanden, in Konzentrationslager zu überführen, wurde ein entsprechender Vermerk in dem Haftbuch eingetragen. Ich lege nun das Original eines dieser Haftbücher zum Beweis vor. Es ist Dokument L-358, US-495. Dieses Buch wurde von der 3. Armee während des Einmarsches erbeutet und wurde vom T-Korps am 22. April 1945 bei Bad Sulza in Deutschland beschlagnahmt. Dieses Buch ist das Originalregister, das von der Gestapo in Tomaschow in Polen verwendet wurde, um die Namen der verhafteten Personen, den Grund ihrer Verhaftung sowie der Verfügung in der Zeit vom 1. Juni 1943 bis 20. Dezember. 1944 einzutragen.

In diesem Haftbuch sind ungefähr 3500 Namen eingetragen; ungefähr 2200 Personen wurden verhaftet, weil sie der Widerstandsbewegung und Partisanen-Einheiten angehörten. Es ist ein sehr großes Buch, und ich bitte den Gerichtsangestellten, das Dokument dem Hohen Gerichtshof zur Einsicht vorzulegen. Es ist zu groß, um photographiert zu werden. Wenn der Hohe Gerichtshof eine der Seiten ansehen will, irgendeine Seite, so werde ich vorlesen, was die verschiedenen Spalten bedeuten. Es beginnt links und setzt sich auf der anderen Seite fort. In der ersten Spalte bedeutet die Überschrift nur die Nummer des Mannes bei seiner Einlieferung: Die nächste Spalte enthält seinen Namen, die dritte Spalte eine kurze Familiengeschichte und seine Religion. Die vierte Spalte gibt seinen Wohnsitz an. Die nächste Spalte gibt an, wann und von wem die Verhaftung erfolgte; das ist die fünfte Spalte. Die nächste Spalte bezeichnet den Ort der Verhaftung, und wieder die nächste gibt den Grund der Verhaftung an. Es folgt eine weitere Nummer, die anscheinend die laufende Nummer der Einlieferung darstellt. Die vorletzte Spalte zeigt die getroffene Verfügung an. Die letzte Spalte ist für Bemerkungen bestimmt.

Von den 3500 Namen in diesem Buch sind, wie der Hohe Gerichtshof feststellen kann, eine Anzahl rot angezeichnet. Offenbar handelt es sich dabei um jene Personen, die erschossen wurden. Von diesen wurden 325 erschossen. Nur 35 von den 325 waren zuerst einem gerichtlichen Verfahren unterworfen worden. 950 von den in dieser Liste eingetragenen Personen wurden in Konzentrationslager geschickt und 155 zur Zwangsarbeit in das Reich. Nach diesem Haftbuch wurden die aus anderen Gründen verhafteten Personen ähnlich behandelt, zum Beispiel Juden, Kommunisten, Geiseln und Personen, deren Inhaftnahme eine Vergeltungsmaßnahme war. Viele wurden bei Razzien ohne Angabe von weiteren Gründen verhaftet.

[294] Ich möchte die Aufmerksamkeit des Hohen Gerichtshofs besonders auf die Eintragungen 286, 287 und 288 lenken, die Nummern in der ersten Spalte des Haftbuchs, bei welchen als Verbrechen der beschuldigten Personen vermerkt war: »als Juden«, in anderen Worten, daß sie Juden waren. Und bei diesen werden Sie ein rotes Kreuz finden, und ihre Strafe war der Tod.

Ich wende mich nun von diesem Dokument ab und möchte die Aufmerksamkeit auf Dokument L-215 lenken, das bereits als Beweisstück US-243 vorgelegt worden ist. Ich habe nicht die Absicht, diese Urkunde zu verlesen, wenn es der Hohe Gerichtshof nicht wünscht. Es ist ein Aktenband, der aus mehreren Originalaktenstücken, betreffend 25 Luxemburger besteht, die zwecks Einweisung in Konzentrationslager in Schutzhaft genommen worden waren. Ich möchte nur einen Satz der Sprache in diesem Dokument heranziehen:

»Er gefährdet nach dem Ergebnis der staatspolizeilichen Feststellungen durch sein Verhalten den Bestand und die Sicherheit des Volkes und Staates.«

Und in jedem Fall, der in diesem Aktenband enthalten ist, erscheint dies als Grund für die Exekution der insgesamt 25 Luxemburger. Und im Zusammenhang...

VORSITZENDER: Oberst Storey, Sie sagten Exekution, nicht wahr?

OBERST STOREY: Ich bitte um Verzeihung, ich wollte sagen Verschickung in ein Konzentrationslager.


VORSITZENDER: Ja, es gibt wohl keinen Beweis dafür, daß sie hingerichtet wurden?


OBERST STOREY: Nein, Herr Präsident, sie wurden in Konzentrationslager eingeliefert. Im Zusammenhang mit diesem Dokument gab es ein Formular, mit welchem der Zentrale der Gestapo in Berlin Mitteilung gemacht wurde, wann diese Leute in Konzentrationslagern eingetroffen waren.

Eine andere Urkunde, die schon als Beweisstück US-279 vorgelegt wurde, ist Dokument 1472-PS im zweiten Band. Ich möchte darauf nur in Ergänzung eines anderen Dokuments Bezug nehmen. Es war ein Telegramm vom 16. Dezember 1942, in dem Müller berichtete, daß die Gestapo ungefähr 45000 Juden im Zusammenhang mit dem Programm für die Gewinnung zusätzlicher Arbeitskräfte in Konzentrationslagern beschaffen könnte. Mit Bezug auf dasselbe Thema habe ich hier das Dokument 1063(d)-PS, US-219, eine Anordnung Müllers an die Kommandanten und Inspekteure der Sicherheitspolizei und des SD sowie an die Leiter der regionalen Gestapostellen, in welcher er erklärt, Himmler habe am 14. Dezember 1942 befohlen, mindestens 35000 arbeitsfähige Personen bis spätestens Ende Januar in die Konzentrationslager einzuweisen.

[295] Und in demselben Zusammenhang lege ich Dokument L-41 vor, Band I, Beweisstück US-496. Dieses Dokument enthält eine weitere Anweisung Müllers, datiert vom 23. März 1943, eine Ergänzung der Anweisung vom 17. Dezember 1942, auf die ich verwiesen habe; in diesem Dokument erklärt Müller, daß die Maßnahmen bis zum 30. April 1943 durchzuführen sind. Ich möchte vom zweiten Absatz auf Seite 3 zitieren:

»Hierbei ist jedoch darauf zu achten, daß nur arbeitsfähige Häftlinge und auch Jugendliche nur nach den gegebenen Richtlinien überstellt werden, da sonst entgegen dem beabsichtigten Zweck eine Belastung der Konzentrationslager eintritt.«

In demselben Zusammenhang lege ich Dokument 701-PS, US-497, vor. Es ist dies ein Schreiben des Reichsjustizministers vom 21. April 1943 an alle Generalstaatsanwälte und richtet sich auch an den Beauftragten des Reichsministers der Justiz für die Strafgefangenenlager im Emsland. Ich zitiere:

»Betrifft; Polen und Juden, die aus Vollzugsanstalten der Justiz entlassen werden.

Überstücke für die selbständigen Vollzugsanstalten.

1. Unter Bezugnahme auf die neuen Richtlinien für die Anwendung des § 1, Abs. 2, der VO vom 11. Juni 1940 (RGB 1. I, S. 877) – Anlage I der RV. vom 27. Januar 1943 – 9133/2, Beil. 1-III a2 2629 – hat das Reichssicherheitshauptamt durch Erlaß vom 11. März 1943 – II A 2 Nr. 100/43 – 176 – angeordnet:

a) Juden, die gemäß Ziffer VI der Richtlinien aus einer Vollzugsanstalt, entlassen werden, sind durch die für die Vollzugsanstalt örtlich zuständige Staatspolizei(leit)-Stelle auf Lebenszeit gemäß den ergangenen Schutzhaftbestimmungen dem Konzentrationslager Auschwitz bzw. Lublin zuzuführen.

Das gleiche gilt für Juden, die zukünftig nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe aus einer Vollzugsanstalt zur Entlassung kommen.

b) Polen, die gemäß Ziffer VI der Richtlinien aus einer Vollzugsanstalt entlassen werden, sind durch die für die Vollzugsanstalt örtlich zuständige Staatspolizei(leit)-Stelle auf Kriegsdauer gemäß den ergangenen Schutzhaftbestimmungen einem Konzentrationslager zuzuführen.

Das gleiche gilt für Polen, die zukünftig nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten aus einer Vollzugsanstalt zur Entlassung kommen.

[296] Entsprechend dem Antrage des Reichssicherheitshauptamtes bitte ich, künftig allgemein

a) zur Entlassung kommende Juden,

b) zur Entlassung kommende Polen, die eine Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten verbüßt haben, für die örtlich zuständige Staatspolizei(leit)-Stelle zur Überhaft vorzumerken und dieser vor Strafende rechtzeitig zur Abholung zur Verfügung zu stellen.«

Und der letzte Absatz besagt, daß sich durch diese Regelung die bisher angeordnete Rückführung sämtlicher, in den eingegliederten Ostgebieten abgeurteilter, polnischer Strafgefangenen, die ihre Strafe im Altreich verbüßen, erübrigt.

Der nächste Gegenstand heißt: Die Gestapo und der SD nahmen an den Verschickungen der Staatsangehörigen der besetzten Länder zur Zwangsarbeit teil und handhabten die Disziplinargewalt über die Zwangsarbeiter.

Soweit Beweismaterial über Zwangsarbeit bereits vorgelegt wurde, habe ich nicht die Absicht, es zu wiederholen. Ich gebe jedoch einige Hinweise auf die wichtige Rolle, welche die Gestapo und der SD bei der Verhaftung von Personen gespielt haben, die zur Zwangsarbeit in das Reich gebracht werden sollten, und auf zwei oder drei Dokumente, die schon vorgelegt worden sind. Ich möchte diese Dokumente nur zitieren, um die Rolle der Gestapo und des SD zu beweisen: Dokument L-61, US-177. Es befindet sich in dem Dokumentenbuch; und ich erwähne es nur kurz, es ist ein Schreiben vom 26. November 1942 von Fritz Sauckel, in welchem er erklärte, daß ihm vom Chef der Sicherheitspolizei und des SD mit Datum vom 26. Oktober 1942 mitgeteilt worden sei, daß während des Monats November die Evakuierung von Polen im Distrikt von Lublin beginnen würde, um für die Ansiedlung von Personen deutscher Rasse Platz zu machen. Die Polen, die auf Grund dieser Maßnahme ausgesiedelt wurden, sollten in Konzentrationslager zur Arbeit geschickt werden, soweit es sich um kriminelle oder asoziale Personen handelte.

Der Gerichtshof wird sich auch an das Schreiben Christensens erinnern, Dokument 3012-PS, US-190. In diesem Schriftstück hieß es, daß während des Jahres 1943 das Programm der Massenmorde, das durch die Einsatzgruppen im Osten ausgeführt wurde, geändert werden solle, um Hunderttausende von Personen zur Arbeit in der Rüstungsindustrie zu beschaffen. Das war in Dokument 3012-PS, das bereits als Beweisstück US-190 vorgelegt wurde. Und daß, falls notwendig, Gewalt angewendet werden sollte. Gefangene sollten freigelassen werden, so daß sie zur Zwangsarbeit benutzt werden konnten. Wenn Dörfer niedergebrannt wurden, sollte [297] die gesamte Bevölkerung den Arbeitskommissaren zur Verfügung gestellt werden.

In diesem Zusammenhang wird die direkte Verantwortlichkeit der Gestapo für die Disziplinargewalt über Zwangsarbeiter in unserem nächsten Beweisstück, Dokument 1573-PS, US-498, nachgewiesen. Es ist ein von Müller selbst unterschriebener Geheimbefehl an alle regionalen Gestapodienststellen vom 18. Juni 1941. Ich zitiere vom Beginn des Dokuments:

»An alle Staatspolizei(leit)-Stellen, an die Staatspolizeistelle, zu Händen von SS-Sturmbannführer Noßke oder Vertreter im Amte in Aachen.

Betrifft: Maßnahmen gegen die aus dem großrussischen Raum stammenden Emigranten und Zivilarbeiter und gegen ausländische Arbeiter. Bezug: Ohne.

Zur Verhinderung der eigenwilligen und unerlaubten Rückkehr russischer, ukrainischer, weißruthenischer, kosakischer und kaukasischer Emigranten und Zivilarbeiter aus dem Reichsgebiet nach Osten und von Störungsversuchen fremdvölkischer Arbeitskräfte in der deutschen Produktion bestimme ich folgendes:

1. Den Leitern der Stützpunkte der russischen, ukrainischen, weißruthenischen und kaukasischen Vertrauensstellen bzw. der Hilfskomitees und den führenden Mitgliedern russischer, ukrainischer, weißruthenischer, kosakischer und kaukasischer Emigranten-Organisationen ist sofort zu eröffnen, daß sie bis auf weiteres ihren Aufenthaltsort ohne Genehmigung der Sicherheitspolizei nicht zu verlassen haben. Gleichzeitig sind sie aufzufordern, auf die von ihnen betreuten Mitglieder in gleichem Sinne einzuwirken. Sie sind darauf aufmerksam zu machen, daß gegen unerlaubtes Verlassen des Arbeitsplatzes und des Aufenthaltsortes mit Festnahme eingeschritten wird. Von der Anwesenheit der Stützpunktleiter bitte ich, sich durch möglichst tägliche Rückfragen in vorgeschützten Angelegenheiten zu überzeugen.

2. Emigranten und fremdvölkische Arbeiter, die einschlägig belastet sind und unter dem Verdacht stehen, für die USSR sich nachrichtendienstlich betätigt zu haben, sind, wenn es nach Sachlage unbedingt geboten erscheint, in Haft zu nehmen. Diese Maßnahme... ist zwar vorzubereiten, jedoch erst durchzuführen nach Durchgabe des Kennwortes ›Fremdvölker‹ mittels Blitz-FS.«


VORSITZENDER: Denken Sie, daß es erforderlich ist, den Rest davon zu verlesen?

[298] OBERST STOREY: Ich glaube nicht, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Wir werden jetzt eine Pause von 10 Minuten einlegen.


[Pause von 10 Minuten.]


OBERST STOREY: Hoher Gerichtshof! Ich lege aus dem zweiten Band als nächstes Dokument 3360-PS, Beweisstück US-499, vor. Bevor ich dieses Dokument den Übersetzern gebe, möchte ich es dem Hohen Gerichtshof zeigen. Es handelt sich um ein Original-Fernschreiben, das an die Gestapo-Dienststelle in Nürnberg gesandt wurde. Es wurde durch den CIC Leutnant Stevens bei Hersbruck, Deutschland, gefunden. Wie zu sehen ist, sind Teile dieses Dokuments verbrannt. Es hing mit einigen anderen Dokumenten zusammen, die vergraben worden sind. Sie wurden teilweise verbrannt, als man sie vergrub. Dies ist eines der Telegramme. Es stammt von der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeistelle Nürnberg-Fürth, und trägt das Datum vom 12. Februar 1944. Ich zitiere von diesem Telegramm:

»RSHA IV Fl – 45/44 – der Generalgrenzinspekteur – Dringend. – Sofort vorlegen. –

Behandlung wiederergriffener flüchtiger Ostarbeiter. Auf Grund eines Befehls des RFSS sind ab sofort sämtliche wiederergriffene flüchtige Ostarbeiter ohne jede Ausnahme den Konzentrationslagern zuzuführen. Zwecks Berichterstattung an RFSS bitte ich um einmalige Meldung durch FS an das Referat ROEM IV D (Ausl. Arb.) am 10. 3. 44, wieviele derartige Ostarbeiter bzw. Ostarbeiter innen vom heutigen Tage bis zum 10. 3. 44 einem Konzentrationslager zugeteilt worden sind.«

Auf diese Art und Weise hielt die Gestapo und der SD die Kontrolle über die in das Reich verschleppten Zwangsarbeiter aufrecht.

Das nächste Thema, mit dem ich mich jetzt befassen werde, besagt, daß die Gestapo und der SD gefangengenommene Kommandos und Fallschirmspringer exekutierte und Zivilpersonen schützte, die alliierte Flieger gelyncht hatten. Am 4. August 1942 gab Keitel einen Befehl heraus, demzufolge die Verantwortung für Gegenmaßnahmen gegen einzelne Fallschirmspringer und kleinere Trupps, die besondere Aufträge hatten, der Gestapo und dem SD übertragen wurde. Um dies zu beweisen, lege ich Dokument 553-PS, US-500, vor. Ich zitiere von der ersten Seite der Übersetzung den ersten Teil des Absatzes 3:

»Soweit Einzelabspringer durch Angehörige der Wehrmacht festgenommen werden, sind sie, unter Benachrichtigung [299] der zuständigen Abwehrstelle, unverzüglich der nächsten Dienststelle des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD zu übergeben.«

Und nun, Hoher Gerichtshof, wenn ich von dem Text abgehen darf, Oberst Taylor wird den Fall gegen das Nazi-Oberkommando und einige seiner Befehle vortragen. Dies ist ein Befehl, und es gibt noch einen anderen, mit dem er sich ausführlich befassen wird. Meine Absicht bei Vorlage dieses Befehles ist jetzt nur, zu zeigen, welche Rolle die Gestapo und der SD im Zusammenhang mit diesen Befehlen gespielt haben.

Der nächste Befehl, den ich vorlege, ist Dokument 498-PS im ersten Band, Beweisstück US-501. Hier handelt es sich um den berühmten Kommandobefehl, den der Führer selbst am 18. Oktober 1942 unterzeichnet hat. Es sind nur zwölf Ausfertigungen von diesem Befehl gemacht worden, und er trägt die persönliche Unterschrift Adolf Hitlers. Eine Ausfertigung ging an den Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei. Dieser Befehl, den ich nicht verlese, da ich gleich zu dem Teil gelangen möchte, den ich zitieren will, bestimmt, daß alle Kommandos, ob in Uniform oder nicht in Uniform oder unbewaffnet, bis zum letzten Mann abgeschlachtet werden sollen. Ich möchte unten den Beginn des Absatzes 4 zitieren, um die Teilnahme des SD zu beweisen:

»Gelangen einzelne Angehörige derartiger Kommandos als Agenten, Saboteure usw. auf einem anderen Weg – z.B. durch die Polizei in den von uns besetzten Ländern – der Wehrmacht in die Hände, so sind sie unverzüglich dem SD zu übergeben.«

Ein weiterer solcher Befehl ist Dokument 526-PS, US-502, auf das ich jetzt Bezug nehme. Dieses Dokument handelt von einigen angeblichen Saboteuren, die in Norwegen landeten; es trägt das Datum vom 10. Mai 1943 und den Vermerk: Geheime Kommandosa che. Ich zitiere den ersten Absatz, der die Schiffsmannschaft beschreibt:

»Am 30. 3. 43 wurde im Toftefjord (70. Breitegrad) feindlicher Kutter gestellt; Kutter wurde vom Feind gesprengt; Besatzung: 2 Mann tot, 10 Gefangene.«

Das war die Mannschaft. Unten, auf dem gleichen Befehl, im dritten Satz von unten erscheint die folgende Feststellung:

»Führerbefehl durch SD vollzogen.«

Wir haben Dokument R-110 bereits als Beweisstück US-333 vorgelegt Es war der Himmler-Befehl vom 10. August 1943 an die Sicherheitspolizei, der vorschrieb, daß es nicht die Aufgabe der Polizei sei, bei Zusammenstößen zwischen Deutschen und englischen und amerikanischen Terrorfliegern, die abgesprungen waren, einzugreifen. Der Befehl wurde von Himmler selbst unterschrieben und [300] hier ist die Unterschrift. Er liegt bereits als Beweismittel vor, ich möchte den Gerichtshof nur noch einmal darauf aufmerksam machen.

Als nächstes möchte ich zu dem Thema übergehen, daß Gestapo und SD Zivilpersonen aus den besetzten Gebieten zu geheimen Verfahren und Bestrafungen nach Deutschland brachten. Es handelt sich um den sogenannten Nacht-und-Nebel-Erlaß, der am 7. Dezember 1941 von Hitler herausgegeben wurde. Dieser Erlaß ist noch nicht zum Beweis vorgelegt worden.

Ich nehme Bezug auf Dokument L-90, im ersten Band, US-503. Dieser Erlaß, demzufolge Personen, die Verbrechen gegen das Reich oder gegen die Besatzungstruppen begangen hatten, ausgenommen jene Fälle, in welchen die Todesstrafe sicher war, heimlich nach Deutschland gebracht und der Sicherheitspolizei und dem SD zum Verfahren oder zur Bestrafung in Deutschland selbst übergeben werden sollten. Und hier ist das Originaldokument, von dem wir zitieren, beginnend mit der ersten Seite der Übersetzung. Es ist auf dem Briefpapier des Reichsführers-SS und Chefs der Deutschen Polizei geschrieben, datiert München, den 4. Februar 1942, und betrifft:

»Verfolgung von Straftaten gegen das Reich oder die Besatzungsmacht.

I. Folgende vom Chef des Oberkommandos der Wehrmacht unter dem 12. Dezember 1941 bekanntgemachten Anordnungen werden zur Kenntnis gebracht:

1. Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht.

Es ist der lange erwogene Wille des Führers, daß in den besetzten Gebieten bei Angriffen gegen das Reich oder die Besatzungsmacht den Tätern mit anderen Maßnahmen begegnet werden soll als bisher. Der Führer ist der Ansicht: Bei solchen Taten werden Freiheitsstrafen, auch lebenslängliche Zuchthausstrafen als Zeichen von Schwäche gewertet. Eine wirksame und nachhaltige Abschreckung ist nur durch die Todesstrafe oder durch Maßnahmen zu erreichen, die die Angehörigen und die Bevölkerung über das Schicksal des Täters im Ungewissen halten. Diesem Zwecke dient die Überführung nach Deutschland.

Die anliegenden Richtlinien für die Verfolgung von Straftaten entsprechen dieser Auffassung des Führers. Sie sind von ihm geprüft und gebilligt worden. Keitel.«

Und dann folgen einige der Richtlinien und einige Beschreibungen. Es ist ein langes Dokument, mit Beilagen, und wir wenden uns nun der Seite 4 unten der englischen Übersetzung zu:

[301] »Soweit die SS und Polizeigerichtsbarkeit für Straftaten der unter 1 bezeichneten Art zuständig sind, ist sinngemäß zu verfahren.«

Weiter kommen wir im Zusammenhang mit der gleichen Urkunde zu Seite 20, Teil 2 der englischen Übersetzung, einem geheimen Schreiben an die Abwehr. Ich zitiere von Seite 2. Es ist das Schreiben vom 2. Februar 1942, und ich beginne mit den Worten:

»In der Anlage werden übersandt:

1. Ein Erlaß des Führers und Oberbefehlshabers der Wehrmacht vom 7. 12. 41.

2. Eine Durchführungsverordnung vom gleichen Tage.

3. Ein Anschreiben des Chefs des Oberkommandos der Wehrmacht vom 12. 12. 41.

Der Erlaß bringt eine grundsätzliche Neuerung. Der Führer und Oberste Befehlshaber der Wehrmacht befiehlt, daß die von Zivilpersonen in den besetzten Gebieten begangenen Straftaten der bezeichneten Art von den zuständigen Kriegsgerichten in den besetzten Gebieten nur abzuurteilen sind, wenn

a) das Urteil auf Todesstrafe lautet und

b) das Urteil innerhalb von 8 Tagen nach der Festnahme verkündet wird.

Nur wenn beide Voraussetzungen gewährleistet werden, verspricht sich der Führer und Oberste Befehlshaber der Wehrmacht von der Behandlung der Strafverfahren in den besetzten Gebieten die erforderliche abschreckende Wirkung. Andernfalls sollen künftig die Beschuldigten heimlich nach Deutschland gebracht und die weitere Behandlung der Strafsachen hier betrieben werden. Die abschreckende Wirkung dieser Maßnahme liegt

a) in dem spurlosen Verschwindenlassen der Beschuldigten,

b) darin, daß über ihren Verbleib und ihr Schicksal keinerlei Auskunft gegeben werden darf.«

Wenn wir den folgenden Absatz überspringen, kommen wir zu dem nächsten Absatz:

»Wenn nach Ansicht des zuständigen Kriegsgerichtes bzw. des Militärbefehlshabers eine alsbaldige Aburteilung am Orte nicht möglich ist, und die Täter daher nach Deutschland abzutransportieren sind, so teilen dies die Abwehrstellen unmittelbar dem Reichssicherheitshauptamt in Berlin SW 11, Prinz-Albrecht-Straße 7, zu Händen Herrn Kriminaldirektor Dr. Fischer mit, unter Angabe der genauen Zahl der Häftlinge und der Gruppen, die nach Lage des einzelnen Falles zusammengehören. Soweit im einzelnen Falle der [302] übergeordnete Befehlshaber ein dringendes Interesse an der Aburteilung durch ein Wehrmachtsgericht hat, ist dies dem Reichssicherheitshauptamt mitzuteilen. Durchschlag der ganzen Mitteilung an das Reichssicherheitshauptamt ist an das Amt Ausl Abw, Abt Abw III, zu senden.

Das Reichssicherheitshauptamt wird je nach den Unterbringungsmöglichkeiten eine Stapostelle bestimmen, die die Häftlinge übernimmt. Diese Stapostelle setzt sich mit der zuständigen Abwehrstelle in Verbindung und vereinbart mit dieser die Einzelheiten des Abtransports, insbesondere ob dieser durch GFP, die Feldgendarmerie oder durch die Gestapo selbst erfolgen soll, sowie ferner Art und Ort der Materialübergabe.«

Nachdem die Zivilpersonen in Deutschland angekommen waren, durfte kein Wort über die Behandlung ihrer Fälle ihrem Heimatland oder ihren Angehörigen bekanntgegeben werden.

Wir legen nunmehr Dokument 668-PS, US-504, vor. Es ist ein Schreiben des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD vom 24. Juni 1942, und ich zitiere von der ersten Seite der englischen Übersetzung:

»Es ist der Sinn der Richtlinien des Führers und Obersten Befehlshabers der Wehrmacht für die Verfolgung von Straftaten gegen das Reich oder die Besatzungsmacht in den besetzten Gebieten vom 7. 12. 41«, das ist der Befehl, den ich soeben vorgelesen habe, »durch die Überführung der wegen deutschfeindlicher Betätigung in den besetzten Gebieten festgenommenen Personen in das Reichsgebiet bei den Angehörigen und Bekannten aus Abschreckungsgründen Ungewißheit über das Schicksal der Häftlinge entstehen zu lassen. Diese Zielsetzung würde durchbrochen werden, wenn die Angehörigen bei Todesfällen benachrichtigt werden würden. Eine Freigabe der Leiche zur Bestattung in der Heimat ist aus gleichen Gründen und darüber hinaus auch deshalb unzweckmäßig, weil der Bestattungsort zu Demonstrationszwecken mißbraucht werden kann.

Ich schlage daher vor, für die Behandlung der Todesfälle folgende Regelung zu treffen:

a) eine Benachrichtigung der Angehörigen unterbleibt,

b) die Leiche wird am Sterbeort im Reichsgebiet beigesetzt,

c) der Beisetzungsort wird einstweilen nicht bekanntgegeben.«

Wir kommen nunmehr zu der nächsten Tätigkeit der Gestapo und des SD, die darin bestand, daß sie Staatsangehörige der besetzten Länder verhafteten, mit einem besonderen Verfahren [303] und durch summarische Methoden vor Gericht stellten und bestraften. Ich lege zum Beweise als nächstes Dokument 674-PS, US-505, vor.

Unter bestimmten Umständen verhaftete die Gestapo Zivilpersonen in den besetzten Ländern, nahm sie in Schutzhaft und schritt zu Exekutionen. Sogar, wenn Gerichte die Kompetenz hatten, solche Fälle zu behandeln, ging die Gestapo nach ihrem eigenen Verfahren vor, ohne auf das normale Strafverfahren Rücksicht zu nehmen.

Das Dokument 674-PS, US-505, ist ein Schreiben des Generalstaatsanwalts in Kattowitz vom 3. Dezember 1941 an den Reichsminister der Justiz zu Händen des Oberregierungsrats Stadermann oder seines Vertreters im Amt in Berlin gerichtet. Der Gegenstand des Schreibens lautet:

»Polizeiliche Exekutionen und Beschleunigung der Strafverfahren. Ohne Auftrag, Anlage: 1 Berichtsdurchschlag.«

Ich zitiere vom Anfang:

»Vor etwa 3 Wochen sind in Tarnowitz im Zusammenhang mit der Zerschlagung einer hochverräterischen Organisation von 350 Mitgliedern die 6 (zum Teil Volksdeutschen) Haupttäter von der Polizei erhängt worden, ohne daß die Justiz davon Kenntnis hatte. Solche Exekutionen sind bereits früher an kriminellen Tätern im Bezirk in Bielitz gleichfalls ohne Kenntnis der zuständigen Strafverfolgungsbehörde erfolgt. Am 2. Dezember 1941 hat der Leiter der Staatspolizeistelle Kattowitz, Oberregierungsrat Mildner, dem Unterzeichneten mündlich berichtet, daß er diese Exekutionen mit Ermächtigung des Reichsführers der SS als notwendige Sofortmaßnahme durch öffentliches Erhängen am Tatorte angeordnet habe, und daß die Maßnahmen zur Abschreckung auch künftig solange fortgesetzt werden müßten, bis die verbrecherischen und aktivistischen deutschfeindlichen Kräfte im eingegliederten Ostgebiet zerschlagen seien oder andere Sofortmaßnahmen, u. U. auch der Gerichte, gleiche abschreckende Wirkung gewährleisteten. So wurden auch heute in dem Gebiete in und um Sosnowitz 6 Haupträdelsführer einer anderen polnischen hochverräterischen Organisation zur Abschreckung öffentlich erhängt.

Gegenüber diesem Verfahren haben die Unterzeichneten erhebliche Bedenken geäußert.

Abgesehen davon, daß solche Maßnahmen der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte entzogen sind und den nicht außer Kraft gesetzten Justizgesetzen widersprechen, kann hierfür justizpolitisch ein die Ausnahmebehandlung durch [304] die Polizei allein rechtfertigender Notstand u. E. nicht anerkannt werden.

Denn soweit die Strafgerichtsbarkeit in unserem Bezirk im Rahmen der gegebenen Zuständigkeit in Betracht kommt, ist sie durchaus in der Lage, dem Gebote sofortiger strafrechtlicher Reaktion durch eine besondere Gestaltung sondergerichtlicher Tätigkeit (Einrichtung eines sog. Blitzsondergerichts) Rechnung zu tragen. Anklageerhebung und Hauptverhandlung könnten so beschleunigt werden, daß zwischen Abgabe der Sache an die Staatsanwaltschaft und Hinrichtung nicht mehr als 3 Tage liegen, falls die Gnadenpraxis vereinfacht und die Entscheidung u. U. auf fernmündlichem Wege eingeholt wird. Dies haben die Unterzeichneten gestern gegenüber dem Leiter der Staatspolizei Kattowitz zum Ausdruck gebracht.

Wir vermögen nicht zu glauben, daß polizeiliche Exekutionen krimineller, insbesondere deutscher Täter bei der Erschütterung des Rechtsgefühls vieler deutscher Volksgenossen als wirksamer angesprochen werden können. Auf die Dauer dürften sie vielmehr trotz der öffentlichen Abschreckung zu einer Verrohung der Gemüter führen, die dem beabsichtigten Zweck der Befriedigung zuwiderläuft. Diese Erwägungen wollen indessen zu einer künftigen gesetzlichen Zuständigkeit eines Standgerichts für Polen und Juden nicht Stellung nehmen.«

Ich verweise nunmehr auf das Dokument 654-PS, US-218, das bereits zum Beweis vorgelegt worden ist. Es hängt mit diesem Thema zusammen, und daher möchte ich es gern in ein paar Worte zusammengefaßt wiedergeben.

Es besagt, daß am 18. September 1942 der Reichsjustizminister Thierack und Himmler sich darüber einigten, daß antisoziale Elemente Himmler übergeben werden sollten, um zu Tode gearbeitet zu werden. 654-PS sieht eine besondere Strafverfahrensordnung vor, die von der Polizei auf Juden, Polen, Zigeuner, Russen und Ukrainer angewandt werden sollte, welche man nicht vor ordentliche Strafgerichte stellen wollte. Ich verweise nochmals auf dieses Dokument, weil es sich auf dieselbe Sache bezieht.

Ein weiteres Dokument, das ich nicht verlesen, aber erwähnen möchte, ist der Befehl des RSHA vom 5. November 1942, Dokument L-316, US-346. Ich glaube nicht, daß es notwendig ist, etwas davon zu verlesen außer um festzustellen, daß dieses Schreiben das Strafverfahren vorschreibt; es ist der letzte Absatz kurz vor der Unterschrift:

[305] »Hieraus ergibt sich, daß die Strafrechtspflege gegen Fremdvölkische aus den Händen der Justiz in die Hände der Polizei überführt werden muß.«

Das ist der Teil, der die Beteiligung der Polizei beweist, und ich möchte nicht weiter daraus zitieren.

Als nächstes komme ich zu dem Thema, nach welchem die Gestapo und der SD Personen exekutierte oder in Konzentrationslager für Verbrechen sperrte, die angeblich von ihren Verwandten begangen worden waren. Ich lege dazu das im ersten Band enthaltene Dokument L-37 als Beweisstück US-506 vor.

Dies ist ein Schreiben vom 19. Juli 1944. Ich darf die Aufmerksamkeit des Hohen Gerichtshofs auf die Tatsache lenken, daß es vom Jahre 1944 datiert und von dem Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD für den Distrikt Radom an die Außendienststelle in Tomaschow gesandt worden ist.

In Parenthese möchte ich hinzufügen, daß das große Haftbuch, das wir zum Beweis vorlegten, eine Anzahl von Fällen enthält, die sich auf den Distrikt Radom beziehen; und der Hohe Gerichtshof wird sich daran erinnern, daß es sich um eine Liste von Leuten aus dem Distrikt Tomaschow handelt. Der Gegenstand dieses Briefes behandelt »Kollektivhaftung der Familienangehörigen von Attentätern und Saboteuren«. Ich beginne nach dem Wort »Vorgang ohne«:

»Der Höhere SS- und Polizeiführer Ost hat am 28. Juni 1944 folgenden Befehl erlassen:

Die Sicherheitslage hat sich in den letzten Monaten im Generalgouvernement derart verschlechtert, daß nunmehr mit radikalsten Mitteln und allerschärfsten Maßnahmen gegen fremdvölkische Attentäter und Saboteure durchgegriffen werden muß. Reichsführer-SS hat mit Zustimmung des Generalgouverneurs angeordnet, daß in allen Fällen, in denen Attentate oder Attentatsversuche auf Deutsche erfolgt sind, oder Saboteure lebenswichtige Einrichtungen zerstörten, nicht nur die gefaßten Täter erschossen werden, sondern daß darüber hinaus die sämtlichen Männer der Sippe gleichfalls zu exekutieren und die dazugehörigen weiblichen Angehörigen über 16 Jahre in das KZ einzuweisen sind. Strikte Voraussetzung ist hierfür selbstver ständlich, daß, wenn der oder die Täter nicht festgenommen, ihre Namen und Wohnorte einwandfrei ermittelt worden sind. Als männliche Angehörige der Sippe haben beispielsweise zu gelten: der Vater, Söhne (soweit sie über 16 Jahre alt sind), Brüder, Schwäger, Vettern und Onkel des Täters. Analog ist gegen die Frauen vorzugehen.

[306] Mit diesem Verfahren ist beabsichtigt, eine Gesamthaftung durch alle Männer und Frauen der Sippe des Täters sicherzustellen. Es wird ferner damit der Lebenskreis des politischen Verbrechers auf das empfindlichste getroffen. Diese Praxis hat beispielsweise schon Ende 1939 in den neuen Ostgebieten, insbesondere im Warthegau, die besten Erfolge gezeitigt. Sowie dieser neue Modus in der Bekämpfung von Attentätern und Saboteuren den Fremdvölkischen bekannt wird – dies kann durch Mundpropaganda geschehen –, werden die weiblichen Angehörigen einer Sippe, in der sich Mitglieder der Widerstandsbewegung oder Banden befinden, erfahrungsgemäß einen vorbeugenden Einfluß ausüben.«

Der SD und die Gestapo haben auch Kriegsgefangene Verhören dritten Grades unterzogen. Ich beziehe mich auf Dokument 1531-PS, US-248. Das Dokument enthält einen Befehl vom 12. Juni 1942 mit Müllers Unterschrift, worin verschärfte Vernehmungen erlaubt werden, vorausgesetzt, daß der Gefangene wichtige Tatsachen, wie zum Beispiel über die Untergrundbewegung, enthüllen könnte; man sollte aber nicht Geständnisse über die eigenen Straftaten des Gefangenen erzwingen.

Ich zitiere von Seite 2 der englischen Übersetzung, zweiter Absatz:

»Die verschärfte Vernehmung darf unter dieser Voraussetzung nur angewendet werden gegen Kommunisten, Marxisten, Bibelforscher, Saboteure, Terroristen, Angehörige der Widerstandsbewegungen, Fallschirm-Agenten, Asoziale, polnische oder sowjetrussische Arbeitsverweigerer oder Bummelanten.

In allen übrigen Fällen bedarf es grundsätzlich meiner vorherigen Genehmigung.«

Ich gehe dann zu Punkt 4 am Ende über:

»Die Verschärfung kann je nach der Sachlage unter anderem bestehen in:

Einfachste Verpflegung (Wasser und Brot), hartes Lager, Dunkelzelle, Schlafentzug, Ermüdungsübungen, aber auch in der Verabreichung von Stockhieben (bei mehr als 20 Stockhieben muß ein Arzt zugezogen werden).«

Am 24. Februar 1944 veröffentlichte der Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD für den Distrikt Radom einen vom Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Krakau erlassenen Befehl, Dokument L-89, US-507, im ersten Band. Dieser folgte eng den Bestimmungen des soeben verlesenen Befehls. Ich zitiere den ersten Absatz auf der ersten Seite hinter der Liste der Dienststellen:

[307] »Wegen der bisher verschiedenartig gehandhabten verschärften Vernehmung und zur Vermeidung von Übergriffen sowie zum Schutze der Beamten gegen etwaige Strafverfahren ist vom Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Krakau in Anlehnung an die für das Reich geltenden Bestimmungen für die Sicherheitspolizei im Generalgouvernement folgendes angeordnet worden.«

Dann folgen die Vorschriften. Die Bedeutung dieses Dokuments besteht in dem Beweis dafür, daß noch im Jahre 1944 Vernehmungen dritten Grades durch die Gestapo durchgeführt wurden.

Ich wende mich jetzt zur Tätigkeit der Gestapo und des SD in ihrer Eigenschaft als diejenigen Dienststellen, die sich primär mit der Verfolgung der Juden befaßten. Ich werde das früher vorgelegte Beweismaterial nicht nochmals bringen, ausgenommen jene Teile, die sich auf die Beteiligung dieser Organisationen beziehen.

Die Verantwortung der Gestapo und des SD für das Massenvernichtungs-Programm, das durch die Einsatzgruppen der Sipo und des SD in den Vernichtungslagern, in die Juden geschickt wurden, ausgeführt wurde, ist bereits vorgetragen worden. Ich zitiere dem Hohen Gerichtshof Dokument 2615-PS, das bereits vorgelegt worden ist, worin die Zahl der hingerichteten Juden von Eichmann genannt worden war. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit nur auf den Umstand lenken, daß Eichmann der Chef der Abteilung B IV der Gestapo war, und daß diese Abteilung der Gestapo sich mit den jüdischen Angelegenheiten befaßte, einschließlich der Evakuierungspläne, der Unterdrückung der volks- und staatsfeindlichen Elemente und der Entziehung der deutschen Staatsbürgerschaft.

Die Gestapo befaßte sich auch mit der Durchführung der benachteiligenden Gesetze, die bereits vorgelegt worden sind. Ich möchte den Hohen Gerichtshof nun auf Dokument 3058-PS, US-508 hinweisen. Ich möchte zeigen, daß es sich hier um ein rotumrandetes Dokument handelt, das von Heydrich selbst unterschrieben, an den Angeklagten Göring gerichtet und vom 11. November 1938 datiert ist. Ich übergebe es dem Gerichtsschreiber. Es ist eine Anlage beigefügt, die besagt, daß diese Angelegenheit dem Angeklagten Göring vorgelegt worden ist.

Dieses Dokument betrifft einen Bericht über die Tätigkeit der Gestapo in Verbindung mit den judenfeindlichen Demonstrationen, die, wie Sie sich erinnern werden, im Herbst 1938 stattfanden. Es ist ein Bericht von Heydrich persönlich an Göring. Der Brief ist an den Ministerpräsidenten Generalfeldmarschall Göring gerichtet und trägt das Datum vom 11. November 1938; die vorhergehenden Dokumente zeigten, daß diese Tätigkeit kurz vorher erfolgte, und daß der Befehl dazu im Zusammenhang mit der Judenverfolgung und -ausrottung erging.

[308] »Der Umfang der Zerstörung jüdischer Geschäfte und Wohnungen läßt sich bisher ziffernmäßig noch nicht belegen. Die in den Berichten aufgeführten Ziffern: 815 zerstörte Geschäfte, 29 in Brand gesteckte oder sonst zerstörte Warenhäuser, 171 in Brand gesteckte oder zerstörte Wohnhäuser, geben, soweit es sich nicht um Brandlegungen handelt, nur einen Teil der wirklich vorliegenden Zerstörungen wieder. Wegen der Dringlichkeit der Berichterstattung mußten sich die bisher eingegangenen Meldungen lediglich auf allgemeinere Angaben wie ›zahlreiche‹ oder ›die meisten Geschäfte zerstört‹ beschränken. Die angegebenen Ziffern dürften daher um ein Vielfaches überstiegen werden.

An Synagogen wurden 191 in Brand gesteckt, weitere 76 vollständig demoliert. Ferner wurden 11 Gemeindehäuser, Friedhofskapellen usw. in Brand gesetzt und weitere 3 völlig zerstört.

Festgenommen wurden rund 20000 Juden, ferner 7 Arier und 3 Ausländer. Letztere wurden zur eigenen Sicherheit in Haft genommen.

An Todesfällen wurden 36, an Schwerverletzten ebenfalls 36 gemeldet. Die Getöteten, bzw. Verletzten sind Juden. Ein Jude wird noch vermißt. Unter den getöteten Juden befindet sich ein, unter den Verletzten 2 polnische Staatsangehörige.«

Auf das Schreiben, das diesem Dokument beigefügt ist, möchte ich den Hohen Gerichtshof hinweisen.

»Generalfeldmarschall«, das ist Göring, »hat Kenntnis genommen. Es ist nichts zu veranlassen. Im Auftrage, 15. November 1938.«

Die Unterschrift ist unleserlich.

In demselben Zusammenhang ist Heydrich von Göring beauftragt worden, das gesamte Programm durchzuführen, und wir bringen als nächstes Beweisstück das Dokument 710-PS, US-509, einen Befehl vom 31. Juli 1941. Es ist auf dem Briefpapier des Reichsmarschalls des Großdeutschen Reiches, Beauftragter für den Vierjahresplan, Vorsitzender des Ministerrats für die Reichsverteidigung, geschrieben, von Berlin, 31. Juli 1941 datiert und an den Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes, SS-Gruppenführer Heydrich, gerichtet:

»In Ergänzung der Ihnen bereits mit Erlaß vom 24. I. 39 übertragenen Aufgabe, die Judenfrage in Form der Auswanderung oder Evakuierung einer den Zeitverhältnissen entsprechend möglichst günstigsten Lösung zuzuführen, beauftrage ich Sie hiermit, alle erforderlichen Vorbereitungen in organisatorischer, sachlicher und materieller Hinsicht zu [309] treffen für eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflußgebiet in Europa.

Soferne hierbei die Zuständigkeiten anderer Zentralinstanzen berührt werden, sind diese zu beteiligen.

Ich beauftrage Sie weiter, mir in Bälde einen Gesamtentwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Vorausmaßnahmen zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage vorzulegen.« Unterschrift »Göring.«

Der Gerichtshof hat das Beweismaterial über die Endlösung des Judenproblems bereits entgegengenommen, so, wie Heydrich sie sich vorstellte, und wie sie von der Sicherheitspolizei und dem SD unter ihm und unter dem Angeklagten Kaltenbrunner durchgeführt wurde. Die Lösung lautete: Versklavung und Massenmord.

Schließlich möchte ich in meiner Beweisführung gegen die Gestapo und den SD noch darauf hinweisen, daß diese Organisationen die Haupttriebkräfte für die Kirchenverfolgung waren. Das Beweismaterial über die Kirchenverfolgung ist bereits vorgelegt worden. In diesem Kampf spielten Gestapo und SD eine geheime, aber außerordentlich bezeichnende Rolle.

Die Abteilung C 2 des SD befaßte sich mit der Erziehung und dem religiösen Leben, die Abteilung B 1 der Gestapo mit politischem Katholizismus, die Abteilung B 2 mit politischem Protestantismus und Abteilung B 3 mit anderen Kirchen und der Freimaurerei.

Die Kirche war einer der Feinde des Nazi-Staates, und die Gestapo hatte die besondere Aufgabe, sie zu bekämpfen. Sie erließ Verbote gegen die Kirchen, löste Kirchenorganisationen auf und nahm Geistliche in Schutzhaft.

Ich lege nun Dokument 1815-PS, US-510, vor. Es ist ein sehr umfangreiches Aktenstück, dieses Originaldokument, und ich möchte daraus nur einige Teile verlesen. Es handelt sich um ein Aktenstück der regionalen Gestapo-Dienststelle in Aachen und enthüllt es als ein Ziel der Gestapo, im Kirchenkampf die Kirche zu vernichten. Ich lese vom Anfang der ersten Seite der englischen Übersetzung. Die Urkunde ist datiert vom 12. Mai 1941, Berlin, und stammt vom RSHA, Abteilung IV, B 1. Sie ist an alle Staatspolizei-Leitstellen gerichtet, nachrichtlich an die SD-Leit-Abschnitte und die Inspekteure der Sicherheitspolizei und des SD. Es betrifft die »Bearbeitung der politischen Kirchen«:

»Der Chef des Reichssicherheitshauptamtes hat angeordnet, daß mit sofortiger Wirkung die sicherheitsdienstliche und sieherheitspolizeiliche Bearbeitung der politischen Kirchen, die bisher auf die SD-Abschnitte und Staatspolizeistellen verteilt war, vollständig auf die Staatspolizeistellen übergeht.«

[310] Dann bezieht sich das Dokument auf den Geschäftsverteilungsplan des RSHA vom 1. März 1941:

»Neben der Gegnerbekämpfung übernehmen damit die Staatspolizeistellen auch den gesamten Gegnernachrichtendienst auf diesem Gebiet.

Damit die Staatspolizeistellen in der Lage sind, diese Arbeit aufzunehmen, hat der Chef der Sicherheitspolizei und des SD angeordnet, daß die bisherigen Kirchenbearbeiter bei den SD-Abschnitten in gleicher Dienststellung zu den Staatspolizeistellen vorläufig kommandiert werden und dort die Leitung der nachrichtendienstlichen Arbeit auf diesem Gebiet übernehmen. Auf Anordnung des Chefs des Reichssicherheitshauptamtes und nach Vereinbarung mit den Leitern der Ämter III, II und I, werden somit die in anliegender Liste aufgeführten Kirchensachbearbeiter...«


VORSITZENDER: Ist es notwendig, uns darüber alle Einzelheiten zu geben?

OBERST STOREY: Nein, Hoher Gerichtshof, ich glaube nicht. Ich möchte jedoch daraus zitieren. Es soll nur beweisen, wie diese Leute vorgingen.

Etwas später, am 22. und 23. September 1941, fand im Hörsaal des Reichssicherheitshauptamtes in Berlin eine Besprechung der sogenannten Kirchenbearbeiter statt, die den regionalen Gestapodienststellen, wie vorher erwähnt, angeschlossen waren. Es wurden Notizen aufgenommen, und dieses Dokument hier enthält diese Aufzeichnungen der Besprechung. Das Programm wird aufgezeigt, die Pläne in Bezug auf die Kirchen werden ausgearbeitet, und ich möchte daraus nur die Schlußerklärungen dieser sogenannten Kirchenbearbeiter vorlesen; es ist nur ein kurzes Zitat:

»Jeder von Ihnen muß mit dem Herzen und mit einem wahren Fanatismus an die Arbeit gehen. Wenn bei dieser Arbeit auch mal hier und da Fehler unterlaufen, so darf dies keinesfalls entmutigen, denn Fehler werden überall gemacht. Hauptsache ist, daß immer wieder durch Entschlossenheit, Wille und wirksame Initiative dem Gegner entgegengetreten wird.«

Der »Gegner« ist die Kirche. Und dann das Letzte, worauf ich abschließend in Zusammenhang mit diesem Dokument hinweisen will! Auf Seite 8 der englischen Übersetzung werden das unmittelbare und das endgültige Ziel beschrieben.

»Das Nahziel: Die Kirche darf keinen Schritt des inzwischen verlorenen Bodens wieder gewinnen.

[311] Das Fernziel: Zerschlagung der konfessionellen Kirchen durch Vorlage des gesamten nachrichtenmäßig zu sammelnden Materials zur gegebenen Zeit mit dem Ziele, der Kirche die hochverräterische Betätigung während des deutschen Lebenskampfes vorzuhalten.«

Dies, Hoher Gerichtshof, beschließt die tatsächlichen dokumentarischen Ausführungen, die ich im Zusammenhang mit dem SD und der Gestapo machen will. Eng damit verbunden ist der Fall gegen Kaltenbrunner, den Vertreter dieser Organisationen, der gleich nach der Mittagspause durch Leutnant Whitney Harris vorgetragen werden wird. Es werden auch ein oder zwei Zeugen im Zusammenhang mit diesen Organisationen und im Zusammenhang mit Kaltenbrunner vorgeführt werden.

Ich möchte mit folgenden Worten schließen:

Das Beweismaterial zeigt, daß die Gestapo vom Angeklagten Göring im April 1933 in Preußen mit dem ausdrücklichen Ziel geschaffen worden war, als eine Polizeistelle die tatsächlichen und ideologischen Feinde des Nazi-Regimes niederzuschlagen. Weiterhin, daß die Gestapo in Preußen und in anderen Ländern des Reiches ein Programm des Terrors gegen alle diejenigen durchführte, die als gefährlich für die Herrschaft der Verschwörer über das deutsche Volk angesehen wurden. Ihre Methoden waren äußerst grausam. Sie arbeiteten außerhalb der Gesetze und schickten ihre Opfer in Konzentrationslager. Der Ausdruck »Gestapo« wurde das Symbol für Gewalt und Terror des Nazi-Regimes.

Hinter der Bühne und im geheimen bespitzelte der SD durch sein weitverzweigtes Netz von Informationspersonen das deutsche Volk in seinem alltäglichen Leben, auf den Straßen, in den Läden und sogar in den geheiligten Räumen der Kirchen.

Die zufälligste Bemerkung eines deutschen Staatsangehörigen konnte ihn vor die Gestapo bringen, wo über sein Schicksal und seine Freiheit ohne Rücksicht auf das Gesetz entschieden wurde. In dieser Regierung, in welcher die Herrschaft des Rechts durch die tyrannische Herrschaft einiger Männer ersetzt wurde, war die Gestapo das Hauptinstrument der Unterdrückung.

Die Gestapo und der SD spielten eine wichtige Rolle bei fast jeder verbrecherischen Handlung der Verschwörung. Die Art dieser Verbrechen, ganz abgesehen von den vielen tausenden Einzelfällen von Folterung und Grausamkeiten bei der Überwachung Deutschlands zu Gunsten der Verschwörer, liest sich wie eine Seite aus dem Notizbuch des Teufels.

Sie fabrizierten die Grenzzwischenfälle, die Hitler als Vorwand zum Angriff gegen Polen benutzte.

[312] Sie ermordeten Hunderttausende von hilflosen Männern, Frauen und Kindern durch die berüchtigten Einsatzgruppen.

Sie entfernten Juden, politische Führer und Wissenschaftler aus Kriegsgefangenenlagern und ermordeten sie.

Sie brachten wiedereingefangene Kriegsgefangene in Konzentrationslager und ermordeten sie.

Sie errichteten Konzentrationslager, sie teilten sie in Klassen ein und sandten Tausende von Menschen zur Vernichtung und Sklavenarbeit dorthin.

Sie räumten Europa von Juden und waren verantwortlich für den Tod von Hunderttausenden in den Vernichtungslagern.

Sie trieben Hunderttausende von Staatsangehörigen aus den besetzten Ländern zusammen und sandten Sklavenarbeiter in Arbeitserziehungslager.

Sie exekutierten gefangene Kommandos und Fallschirmspringer und schützten Zivilpersonen, die alliierte Flieger lynchten. Sie brachten Zivilpersonen aus den besetzten Ländern nach Deutschland, um sie im geheimen vor Gericht zu stellen und zu bestrafen.

Sie verhafteten, richteten und bestraften Staatsangehörige aus den besetzten Gebieten durch besondere Strafverfahren, die kein gerechtes Verfahren gewährleisteten, sowie durch summarische Methoden.

Sie ermordeten die Familienangehörigen der Personen, die angeblich Verbrechen begangen hatten, oder schickten sie in Konzentrationslager.

Sie befahlen die Ermordung von Gefangenen in Sipo- und SD-Gefängnissen, um ihre Befreiung durch die alliierten Armeen zu verhindern.

Sie beteiligten sich an der Beschlagnahme und dem Raub öffentlichen und privaten Eigentums.

Sie waren die wichtigsten Organe für die Verfolgung der Juden und Kirchen.

Bei der Ausführung dieser Verbrechen handelte die Gestapo als eine Organisation, die von ihrer Leitung in Berlin zentral geführt und überwacht wurde. Berichte wurden nach Berlin gesandt, und alle wichtigen Entscheidungen kamen aus Berlin. Die regionalen Stellen hatten nur eine beschränkte Befugnis, Personen in Konzentrationslager zu verschicken. Alle Fälle, mit Ausnahme der kurzfristigen, mußten Berlin zwecks Zustimmung vorgelegt werden.

Die Gestapo war organisch aufgebaut. Ihre Hauptabteilungen beschäftigten sich mit den Gruppen und Einrichtungen, gegen welche die schlimmsten, soeben aufgezählten Verbrechen gerichtet waren.

[313] Bei der Ausführung dieser Verbrechen handelte die Gestapo als eine Einheit, jede Abteilung spielte ihre Rolle in den allgemeinen verbrecherischen Handlungen, die von Berlin angeordnet wurden. Die Geheime Staatspolizei sollte als Organisation für die ungeheueren Verbrechen, an welchen sie teilgenommen hat, zur Rechenschaft gezogen werden.

Der SD war immer eine Abteilung der SS. Sein verbrecherischer Charakter bezieht sich direkt auf den verbrecherischen Charakter der SS und trägt zu ihm bei.

Was die Gestapo betrifft, so behaupten wir, daß sie eine Organisation im Sinne des Artikels 9 des Statuts war, ferner, daß die Angeklagten Göring und Kaltenbrunner, die im Artikel 6 des Statuts beschriebenen Verbrechen in ihrer Eigenschaft als Mitglieder und Führer der Gestapo begangen haben, und schließlich, daß die Gestapo als eine Organisation an der Verschwörung teilnahm und sie unterstützte, an der Verschwörung, die die im Artikel 6 des Statuts beschriebenen Verbrechen plante und ausführte.

Und zum Schluß halte ich hier in meiner Hand eine Broschüre, die zu Ehren des berüchtigten Heydrich, des früheren Chefs der Sicherheitspolizei und des SD, veröffentlicht worden ist. Ich zitiere aus einer Rede, die von Heydrich am Deutschen Polizeitag 1941 gehalten wurde. Ich bitte den Gerichtshof, von dieser Rede amtlich Kenntnis zu nehmen. Ich zitiere:

»Geheime Staatspolizei, Kriminalpolizei und Sicherheitsdienst sind noch umwoben vom raunenden und flüsternden Geheimnis des politischen Kriminalromans. In einer Mischung von Furcht und Gruseln und doch im Inland mit einem gewissen Gefühl der Sicherheit ob ihres Vorhandenseins sagt man den Männern dieser Arbeit im Ausland gern Brutalität, ans Sadistische grenzende Unmenschlichkeit und Herzlosigkeit nach.«

Dies sind die Worte Heydrichs, welcher früher Chef dieser Organisation gewesen ist.

Herr Vorsitzender, wünschen Sie fortzufahren?

DR. KURT KAUFFMANN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN KALTENBRUNNER: Ich habe soeben gehört, daß heute Nachmittag gegen Kaltenbrunner verhandelt werden soll. Ich halte es deshalb für zweckmäßig, einen auf Kaltenbrunner bezüglichen Antrag schon jetzt zu stellen, vor der Pause, nicht erst heute Nachmittag. Mein Antrag ist folgender:

Ich bitte, das Verfahren gegen Kaltenbrunner für die Zeit seiner Abwesenheit auszusetzen. Kaltenbrunner hat an dem bisherigen [314] Verfahren nur an wenigen Tagen teilnehmen können. Der Grund für seine Abwesenheit ist eine Krankheit, die nach meiner Auffassung ernstlicher Natur sein muß. In einem so bedeutenden Prozeß kann nur eine sehr schwere Krankheit die Abwesenheit eines Angeklagten rechtfertigen. Irgendwelche ärztliche Mitteilungen über seinen jetzigen Zustand besitze ich nicht. Es erscheint mir fast zweifelhaft, ob er überhaupt noch einmal verhandlungsfähig sein wird. Wie dem aber auch sei, mein jetziger Antrag auf vorläufige Aussetzung des Verfahrens steht mit Artikel 12 des Statuts nicht im Widerspruch: Ist ein Angeklagter am Leben, aber nicht auffindbar, so darf auch in seiner Abwesenheit gegen ihn verhandelt werden. Dieser Gedanke ist besonders dann berechtigt, wenn sich ein Angeklagter verborgen hält und damit die Verhandlung in seiner Abwesenheit selbst verschuldet. Kaltenbrunner ist jedoch hier, in Haft. Er hat sich dem Verfahren nicht entzogen und wünscht nichts anderes, als zu den Anschuldigungen Stellung nehmen zu können. Wenn aber ein Angeklagter ohne eigene Schuld abwesend sein muß, so würde eine trotzdem durchgeführte Verhandlung mit der Gerechtigkeit wohl kaum in Einklang stehen; Artikel 12 des Statuts erwähnt das Moment der Gerechtigkeit ausdrücklich.

Ich würde eine weitere Verhandlung umsomehr bedauern, als Kaltenbrunner gerade jetzt Gelegenheit haben muß, mir als Verteidiger Informationen zu erteilen. Die Spezialanklageschrift ist ihm nicht einmal bekannt. Sie wurde erst vor der Weihnachtspause übergeben.

Ich brauche nicht zu betonen, wie sehr die Aufgaben der Verteidigung durch eine Weiterführung des Verfahrens erschwert, ja fast unmöglich gemacht würden.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird den Antrag, der seitens des Verteidigers für den Angeklagten Kaltenbrunner gemacht worden ist, erwägen und seine Entscheidung in Kürze bekanntgeben. Das Gericht vertagt sich nunmehr bis um 2.00 Uhr.


OBERST STOREY: Hoher Gerichtshof! Darf ich im Zusammenhang damit eine Erklärung abgeben?


VORSITZENDER: Ja, gewiß.


OBERST STOREY: Das Beweismaterial gegen Kaltenbrunner steht im Zusammenhang mit der Rolle, die er in diesen Organisationen gespielt hat, und wir dachten, daß, um Zeit zu sparen, die Individualanklage gegen Kaltenbrunner zur gleichen Zeit vorgebracht werden könnte. Sollte sie nicht in diesem Zusammenhang vorgelegt werden können, dann würde dies in wenigen Tagen, zu [315] Beginn nächster Woche, im Zusammenhang mit den anderen Einzelangeklagten geschehen. Der Verteidiger bemerkt, daß Kaltenbrunner wahrscheinlich längere Zeit nicht anwesend sein können wird, und ich glaubte, diese Erklärung machen zu sollen.


VORSITZENDER: Ja.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 4, S. 281-317.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der Weg ins Freie. Roman

Der Weg ins Freie. Roman

Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.

286 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon