Nachmittagssitzung.

[686] VORSITZENDER: Der Gerichtshof dürfte wahrscheinlich die Behandlung der Anträge auf Ladung von Zeugen und Vorlage von Dokumenten vor Schluß der heutigen Verhandlung beenden; er schlägt jedoch vor, mit der Sache gegen den Angeklagten Göring nicht vor morgen zu beginnen. Der Gerichtshof wird diesen Fall morgen früh um 10 Uhr drannehmen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hoher Gerichtshof! Was die Dokumente anlangt, deren Vorlage der Angeklagte von Neurath beantragt, so erfordert Absatz 1 keine nähere Erklärung.

Absatz 2 betrifft Dokumente, die Dr. von Lüdinghausen in seinem Besitz hat. Wenn sie in der üblichen Weise behandelt und Auszüge angefertigt werden, habe ich hierzu nichts weiter zu bemerken.

Dann kommen wir zu Dokumenten, die noch nicht in seinem Besitz sind. Nummer 1 und 4 sind Protokolle über die Abrüstungskonferenz von 1932 und vom Mai 1933. Leider weiß ich nicht, worin die Schwierigkeit bestand, diese Dokumente zu erhalten; wenn die Anklagebehörde hierbei irgendwie behilflich sein kann, so wird sie es tun.


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Bezüglich Dokument Nummer 1 ist es mir inzwischen gelungen, in einem der Schriftstücke über die Verhandlungen der Abrüstungskonferenz einen Abdruck dessen zu finden, was für mich wichtig ist, nämlich die Resolution über die Gleichberechtigung Deutschlands. Wenn das von mir geforderte Dokument nicht rechtzeitig hier ist, bin ich trotzdem in der Lage, einen Auszug aus dem betreffenden deutschen Buche vorzulegen. Das trifft jedoch nicht hinsichtlich der Protokolle zu Punkt 4 zu; da würde ich darum bitten, daß mir diese zugänglich gemacht werden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nummer 2 ist ein Antrag auf Vorlage des Vernehmungsprotokolls Karl Hermann Franks.

Es bestand eine Verfügung des Gerichtshofs, daß nur die Stellen aus Vernehmungsprotokollen von Angeklagten, die von der Anklagebehörde verwendet worden waren, noch einmal verwendet werden dürften. Wenn irgendwelche Stellen aus diesem Verhör von der Sowjetischen Anklagebehörde verwendet wurden, und ich muß gestehen...


VORSITZENDER: Einen Augenblick bitte, Sir David. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie unsere Verfügung nicht ganz genau wiedergegeben.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bitte um Entschuldigung, Herr Vorsitzender.


[686] VORSITZENDER: Ich glaube, unsere Verfügung bestimmte, daß der Angeklagte, falls die Anklagebehörde irgendeinen Teil seines Vernehmungsprotokolls vorlegt, die Möglichkeit haben sollte, auch jeden anderen Teil dieses Vernehmungsprotokolls zu verwenden und das Vernehmungsprotokoll als Dokument zu behandeln.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Danke sehr, Herr Vorsitzender. Diese Verfügung bezog sich auf die Angeklagten, aber Karl Hermann Frank ist kein Angeklagter.


VORSITZENDER: Das ist richtig.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und jede Stelle, die verwendet wurde, würde normalerweise im Dokumentenbuch der Delegation erscheinen, die sie benutzt hat. Das allgemeine Verhör wurde natürlich nicht nur für die Zwecke der Anklagevertretung in diesem Verfahren sondern auch für die Zwecke der Tschechoslowakischen Regierung in dem Verfahren gegen Karl Hermann Frank selbst durchgeführt. Deshalb schlage ich vor, daß Dr. von Lüdinghausen Karl Hermann Frank einen Fragebogen über alle Fragen vorlegt, die er ihm stellen möchte. Die Anklagevertretung würde dagegen keinen Einspruch erheben.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Präsident! Darf ich darauf folgendes erwidern: Diese vier Protokolle über Vernehmungen von Karl Hermann Frank sind in dem mir übergebenen Dokument USSR-60, welches die Anklagen der Tschechischen Regierung enthält, erwähnt und aufgeführt.

Ich kann nun nicht beurteilen, wie weit diese Vernehmungen wichtig sind, irgendwie meinen Mandanten, den Angeklagten von Neurath, als Reichsprotektor betreffen, oder ob sie sich auf Zeiten beziehen, die später liegen. Aus diesem Grunde habe ich gebeten, daß mir diese Vernehmungsprotokolle zugänglich gemacht werden. Es ist mir nämlich bekannt, daß Herr Karl Hermann Frank auch über ein Dokument vernommen worden ist, das eine Sitzung behandelt, die in Prag über eine Germanisierungspolitik gegenüber der Tschechei stattgefunden hat. Und im Zusammenhang mit diesem Dokument, das vorgelegt und in einem Buch des Generals Friderici enthalten ist, ist auf diese Protokolle Bezug genommen.

Nun weiß ich, daß Frank einmal einen Bericht an den Reichsprotektor erstattet hat, in dem er diese ganzen dort entwickelten Ansichten und Vorschläge – die ja tatsächlich aber überhaupt nicht zur Ausführung gekommen sind – ad absurdum führt und als unmöglich erklärt. Es ist deshalb für mich natürlich wichtig zu wissen, was in diesen Protokollen, die zu diesem Punkt der tschechischen Anklage herangezogen werden, gesagt wird. Wenn nichts darin enthalten ist, dann verzichte ich natürlich; aber das muß ich selber tun.

[687] Deshalb ist es für mich wichtig, diese Protokolle zum mindesten einzusehen und dann daraus vorzulegen, was für mich wichtig ist.


VORSITZENDER: Sir David, würden Sie Einspruch dagegen erheben, daß der Verteidiger des Angeklagten von Neurath diese Vernehmungsprotokolle einsieht?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich müßte erst die Tschechoslowakische Regierung befragen, bevor ich zustimmen kann, denn, offen gesagt, ich habe die Teile des Falles, die uns nicht betreffen, noch nicht durchgesehen; ich weiß nicht, auf welche Themen sich die Vernehmung bezieht.


VORSITZENDER: Aber um diese Frage als eine grundsätzliche zu behandeln, müßte es nicht, wenn ein Dokument oder Stellen aus einem Dokument benützt werden, den Angeklagten freistehen, auch das restliche Dokument zu verwenden?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich stimme dem grundsätzlich zu, Euer Lordschaft, wenn es sich um Stellen handelt, die miteinander zusammenhängen. Ich glaube, das ist die allgemeine Vorschrift, die – sagen wir – bei Vernehmungsprotokollen von englischen Gerichten beachtet wird. Nehmen wir zum Beispiel an, daß Karl Hermann Frank eines Tages über die erste Zeit des Protektorats verhört wird, und ein anderes Mal über ein bestimmtes Ereignis gegen Ende des Protektorats; dann glaube ich nicht, daß diese beiden Dinge genügend eng miteinander zusammenhängen.

Euer Lordschaft! Ich werde eben an einen anderen Punkt erinnert, auf den mich Herr Barrington soeben aufmerksam gemacht hat. Diese Vernehmungsprotokolle waren die Grundlage des Berichts der Tschechoslowakischen Regierung. Sie wurden nicht als Vernehmungsprotokolle vorgelegt, sondern, wie mir mitgeteilt wird, als Teil des Berichtes der Person, die ihn angefertigt hat. Es ist unwesentlich, ob wir in der Lage sind, sie als Vernehmungsprotokolle vorzulegen. Sie erscheinen als Bericht der Tschechoslowakischen Regierung.


MR. BIDDLE: Wenn sich später herausstellen sollte, daß er für bestimmte Punkte erheblich wäre, könnte dann die Anklagevertretung Einspruch erheben, daß er vorgelegt wird?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, wenn die Verteidigung das Material erhalten kann. Aber es ist Eigentum der Tschechischen Regierung.


MR. BIDDLE: Dann haben sie es also wirklich nicht, sondern es ist Sache der Tschechoslowakischen Regierung, darüber zu entscheiden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gewiß.


MR. BIDDLE: Ich sehe das ein.


[688] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das einzige verbleibende Dokument ist das Abkommen zwischen Frankreich und der Sowjetunion vom Jahre 1935. Diese Urkunde wurde vom Generalsekretär am 29. Januar beglaubigt; wenn Schwierigkeiten bestehen, eine Abschrift zu erhalten, werde ich tun, was ich nur kann, um zu helfen; ich behalte mir jedoch vor, seine Erheblichkeit zu bestreiten, sobald ich von dem Zweck seiner Verwendung Kenntnis erlange.


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Darf ich zu diesem Punkt noch ein paar Worte hinzufügen? Es sind mir in den allerletzten Tagen von verschiedenen Seiten noch Informationen gegeben bzw. angedeutet worden, die mir für meine Verteidigung wichtig erscheinen. Ich habe aber noch nicht die Möglichkeit gehabt, diesen Informationen näher nachzugehen und zu prüfen, ob sie tatsächlich für mich in meiner Verteidigung von Bedeutung sind.

Ich will daher darum bitten, falls dies doch der Fall sein sollte, und ich den einen oder anderen Zeugen, das eine oder andere Dokument später erst feststellen kann, noch einen nachträglichen Antrag zu der heutigen Liste der Zeugen und Dokumente stellen zu dürfen.


VORSITZENDER: Ich erteile dem Verteidiger für den Angeklagten Fritzsche das Wort.


[Dr. Heinz Fritz tritt ans Pult.]


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hoher Gerichtshof! In diesem Falle sind nur zwei Zeugen beantragt.

Der erste ist von Schirmeister, ein Beamter im Propagandaministerium des verstorbenen Dr. Goebbels. Die Anklagevertretung erhebt keinen Einspruch gegen diesen Zeugen.

Hinsichtlich des zweiten Zeugen, Dr. Otto Kriegk, heißt es im Antrag, daß er seine Informationen und Instruktionen von dem Angeklagten Fritzsche erhalten habe und daher über die Anweisungen sprechen kann, die an Journalisten gegeben wurden. Unter der Annahme, daß dies mehr oder weniger offizielle Anweisungen waren, die er in Erfüllung seiner Aufgaben gab, glaube ich auch hier nicht, daß von seiten der Anklagevertretung irgendein Einwand erhoben werden kann. Ich weiß jedoch nicht, wie sich Dr. Fritz zu einem Fragebogen stellt, oder ob er darauf besteht, daß Dr. Kriegk zu diesem Punkt vernommen wird. Wenn ich recht verstehe, wird es sich mehr oder weniger darum handeln, daß er zusammenfassend über die Weisungen, die gegeben wurden, spricht. Angesichts der bescheidenen Zahl der in diesem Falle beantragten Beweise will ich mich nicht sträuben, sofern ein besonderer Grund geltend gemacht wird, weshalb Dr. Kriegk vorgeladen werden soll.


[689] DR. HEINZ FRITZ, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN FRITZSCHE: Herr Präsident, meine Herren Richter! Ich habe mich in meinen Beweismitteln außerordentlich beschränkt und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir auch das persönliche Erscheinen des zweiten Zeugen, Dr. Kriegk, bewilligen würden, und zwar aus folgenden Gründen:

Erstens: Den Zeugen von Schirmeister habe ich benannt, weil er uns Auskunft geben soll über die internen Aufgaben, die der Angeklagte Fritzsche im Propagandaministerium gehabt hat, insbesondere über seine Beziehungen zu Dr. Goebbels. An den täglichen Pressekonferenzen, die der Angeklagte Fritzsche abgehalten hat, hat dieser erste Zeuge von Schirmeister nicht teilgenommen. Insbesondere für die subjektive Seite ist es aber von Bedeutung, welche Weisungen der Angeklagte Fritzsche den Journalisten gegeben hat, und zwar den wichtigsten deutschen Journalisten, die sich täglich bei der Pressebesprechung, den Pressekonferenzen, um ihn versammelt haben.

Zur weiteren Begründung meiner Bitte, das persönliche Erscheinen dieses Zeugen zu genehmigen, weise ich darauf hin, daß beide Dokumentensammlungen unter erstens und zweitens meiner Dokumentenliste noch nicht verfügbar sind für mich, so daß ich verschiedenes, was ich mit der Vorlage oder bzw. mit Zitaten aus diesen Dokumenten beweisen wollte, durch Befragen dieser beiden einzigen Zeugen zu beweisen hoffe.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bestehe nicht auf einer eidesstattlichen Erklärung, sondern überlasse die Entscheidung dem Gerichtshof.

Was die Dokumente anlangt, so handelt es sich bei Nummer 1 um Radiovorträge des Angeklagten Fritzsche; dagegen wird natürlich kein Einspruch von der Anklagevertretung erhoben. Nummer 2 sind Akten der Abteilung »Deutscher Expreß-Dienst«; auch hier erheben wir in diesem Augenblick keinen Einspruch. Wir werden die Berichte vielleicht zu prüfen haben, wenn wir sie bekommen.

Hinsichtlich der dritten Gruppe bestehen gewisse Schwierigkeiten. Es sind dies beschworene Zeugenaussagen oder Briefe, die objektive Beobachtungen der Verfasser über die Tätigkeit des Angeklagten Fritzsche enthalten. Soweit es sich um offizielle Berichte oder ähnliches handelt, haben wir natürlich nichts einzuwenden, sofern sie aus der damaligen Zeit stammen. Die Anklagevertretung schlägt jedoch dem Gerichtshof ergebenst vor, ihre Stellungnahme zurückzustellen, bis sie diese im Dokumentenbuch gesehen hat; dann können wir sie prüfen und Einwendungen erheben, wenn sie vorgelegt werden.


[690] DR. FRITZ: Ich bin mit diesem Verfahren einverstanden. Ich glaube, zu den Dokumenten 1 und 2 der Liste brauche ich nichts zu bemerken mit Rücksicht auf die Erklärung, die Sir David eben abgegeben hat.


VORSITZENDER: Sir David, einige der Verteidiger wollen noch Ergänzungsanträge vorlegen. Es dürfte zweckmäßig sein, sich damit jetzt zu befassen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft werden mir vielleicht gestatten, mich mit meinen Kollegen zu besprechen, wenn wir uns der Reihe nach mit jedem einzelnen Antrag befassen; vielleicht haben sie irgendwelche weiteren Gesichtspunkte vorzubringen.


VORSITZENDER: Gewiß.

Ich glaube, es sind einige Ergänzungsanträge von Dr. Seidl vorgelegt worden.


DR. ALFRED SEIDL, VERTEIDIGER DER ANGEKLAGTEN HESS UND FRANK: Herr Vorsitzender, meine Herren Richter! Ich habe am 28. Februar 1946 einen Ergänzungsantrag für den Angeklagten Rudolf Heß dem Gerichtshof vorgelegt. Der Antrag wurde notwendig aus folgenden Gründen:

In meinem ersten Antrag habe ich den Zeugen Bohle, der früher Gauleiter der Auslandsorganisation der NSDAP war, für eine Reihe von Beweisthemen genannt, unter anderem in Bezug auf das Deutsche Auslandsinstitut und für die Tätigkeit des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland. Als ich den Antrag auf Vernehmung des Zeugen Bohle stellte, hatte ich noch keine Gelegenheit gehabt, mit dem Zeugen zu sprechen. Dies habe ich nach einer Genehmigung durch den Gerichtshof nunmehr nachgeholt, und ich habe dabei festgestellt, daß der Zeuge Bohle zwar konkrete Angaben über die Tätigkeit der Auslandsorganisation machen kann, daß er aber kein eigenes Wissen, und zwar kein unmittelbares Wissen über die Tätigkeit des Deutschen Auslandsinstitutes und die Tätigkeit des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland hat. Ich bitte daher als weiteren Zeugen noch zu genehmigen:

1. Dr. Karl Strölin, früher Oberbürgermeister in Stuttgart. Er war zuletzt der Präsident des Deutschen Auslandsinstituts. Dieser Zeuge befindet sich hier in Nürnberg im Untersuchungsgefängnis; es ist der gleiche Zeuge, den bereits der Angeklagte von Neurath für sich beantragt hat.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Vielleicht wäre es zweckmäßig, Euer Lordschaft, wenn Dr. Seidl angeben würde, welche Zeugen er endgültig beantragen will. Wenn ich ihn recht verstehe, will er Herrn Bohle nicht mehr. Stimmt das? Es ist mir nicht ganz klar, ob er diesen Zeugen zusätzlich oder an Stelle Herrn Bohles beantragen will.


[691] DR. SEIDL: Es handelt sich beim Zeugen Dr. Strölin um einen ergänzenden Zeugen. Der Zeuge Bohle wird nach wie vor als Zeuge benötigt, aber lediglich für die Tätigkeit der Auslandsorganisation. Der Zeuge Strölin soll neben dem Zeugen Bohle, da dieser über die Tätigkeit des Auslandsinstituts keine eigene Kenntnis hat, über den letzten Anklagepunkt Angaben machen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn ich recht verstehe, bedeutet das, daß Dr. Seidl nun als Zeugen Herrn Bohle, Herrn Strölin und Dr. Haushofer und ein Affidavit, wie ich glaube, von Alfred Heß beantragt.

Ich bin nicht sicher, ob das nicht eine ziemliche Anhäufung von Zeugen zu einem Punkt darstellt, der nach Ansicht der Anklagevertretung einen engeren Raum einnimmt, als Dr. Seidl sich vorstellt. Die Anklagevertretung behauptete, daß die Auslandsorganisation verwendet wurde, um die Tätigkeit von Fünften Kolonnen zu unterstützen; es wurde aber nur folgen des geltend gemacht: Durch die Verwendung der Auslandsorganisation wurden erstens die Parteimitglieder im Ausland vollständig erfaßt und organisiert. Zweitens berichtete der Nachrichtendienst dieser Organisation durch die Organisation über alle deutschen Beamten jeder Regierungsabteilung, die ins Ausland gingen; er überprüfte sie in ihrer Arbeit ebenso wie alle deutschen Staatsangehörigen. Wegen dieses Nachrichtendienstes waren diese Deutschen bereit, sich verwenden zu lassen und wurden auch verwendet, wenn die Frage eines Überfalles auf ein Land auftauchte.

Es wurde nicht behauptet, daß der Organisation direkte Befehle gegeben wurden, zum Beispiel, Brücken zu sprengen oder Sabotageakte durchzuführen. Das ließe sich höchstens aus dem Arbeiten der Organisation, wie ich es beschrieben habe, folgern.

Ich betone dies nur, um Dr. Seidl zu helfen, damit er weiß, womit er sich auseinanderzusetzen hat. Die Anklagevertretung hat in dieser Hinsicht keine direkten Befehle zu Sabotageakten unter Beweis gestellt.


DR. SEIDL: Dem Angeklagten Rudolf Heß wurde in dem an ihn gerichteten Trialbrief zur Last gelegt, daß unter seiner Leitung sowohl die Auslandsorganisation der NSDAP als auch das Auslandsinstitut und der Volksbund für das Deutschtum im Ausland eine Tätigkeit entwickelt hätten, die sehr einer Fünften Kolonne gleichkam. Es ist richtig, daß sich bei der seinerzeitigen Anklageerhebung gegen den Angeklagten Heß persönlich im einzelnen nichts ergeben hat, worin von der Anklage diese Tätigkeit und vor allem die Schuld des Angeklagten Heß in Bezug auf die Tätigkeit dieser Organisation erblickt werden soll. Solange aber die Auslandsorganisation und das Deutsche Auslandsinstitut und der Volksbund für das Deutschtum im Ausland irgendeines Zusammenhanges mit [692] Handlungen einer Fünften Kolonne beschuldigt werden, hat der Angeklagte Heß ein berechtigtes Interesse daran, klarzustellen: erstens, welcher Art die Tätigkeit dieser Organisation überhaupt war, und zweitens, welche Befehle und Anweisungen er dieser Organisation gegeben hat.

Der Zeuge Bohle wird über die Auslandsorganisation sehr konkrete Angaben machen können. Das gleiche ist notwendig in Bezug auf das Deutsche Auslandsinstitut, worüber Dr. Strölin, der sich hier in Nürnberg befindet, authentische Angaben machen kann, und in Bezug auf den Volksbund für das Deutschtum im Ausland der Zeuge Dr. Haushofer.

Ich bin jedoch damit einverstanden, daß insbesondere im Hinblick auf den Gesundheitszustand des Zeugen Dr. Haushofer an diesen lediglich ein Fragebogen gerichtet wird.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe keinen Einspruch gegen eine Vernehmung Dr. Haushofers.


VORSITZENDER: Beantragen Sie nicht noch einen weiteren Zeugen?


DR. SEIDL: Jawohl, noch einen dritten.

Bevor ich zu dem dritten Zeugen komme, den ich zusätzlich zu wählen wünsche, will ich dem Gerichtshof davon Kenntnis geben, daß ich auf die persönliche Vernehmung der bereits vom Gerichtshof genehmigten Zeugin Ingeborg Sperr verzichte. Ich werde statt der persönlichen Vernehmung dem Gerichtshof eine kurze eidesstattliche Versicherung übergeben, die sich im Dokumentenbuch befindet, das ich bereits dem Generalsekretär übergeben habe.

Anstelle der Zeugin Ingeborg Sperr bitte ich jedoch, den Zeugen Alfred Leitgen zu laden. Leitgen war viele Jahre, und zwar bis zum Flug des Angeklagten Rudolf Heß nach England, dessen Adjutant. Ich konnte diese Zeugenladung nicht früher beantragen, nachdem ich erst jetzt erfahren habe, wo sich dieser Zeuge befindet. Ich glaube, daß die persönliche Vernehmung dieses Zeugen derart wichtig erscheint, daß man nicht davon absehen sollte.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Die zwei Punkte, die Dr. Seidl näher ausführte, scheinen beide erheblich; in Anbetracht der Tatsache, daß er bereit ist, auf die Vorladung der Sekretärin zu verzichten, erhebt die Anklagevertretung gegen diesen Zeugen keinen Einspruch.


VORSITZENDER: Werden noch weitere Anträge gestellt?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bitte um Erlaubnis, Euer Lordschaft, noch eine Frage anzuschneiden. Dr. Servatius hat sich bereits mit einem Mitglied meines Stabes unterhalten. Ich glaube, [693] daß sich diese Unterhaltung vorteilhaft und günstig auf das vom Herrn Vorsitzenden vorgeschlagene Verfahren auswirken wird; wenn der Gerichtshof die Güte hätte, Dr. Servatius für einen oder zwei Tage seine Rechte zu wahren, hoffen wir, dem Gerichtshof einen praktischen und nützlichen Vorschlag machen zu können.


VORSITZENDER: Bezieht sich das auf die Organisationen?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, auf den Angeklagten Sauckel.


VORSITZENDER: Oh, ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft, Sie werden sich erinnern, daß Sie gestatteten, die Sache in der Schwebe zu lassen. Wir haben jetzt nach den Ratschlägen Euer Lordschaft gearbeitet; leider hatte ich nicht genügend Zeit, mich selbst eingehend damit zu beschäftigen und das Endresultat zu sehen.


VORSITZENDER: Ich verstehe.


DR. SERVATIUS: Ich habe in der Besprechung bezüglich der Zeugen einen einschränkenden Vorschlag gemacht, der dem Gerichtshof noch schriftlich zugehen wird. Bezüglich der Dokumente habe ich auch annähernd eine Vereinbarung getroffen, wie es gehandhabt werden soll. Es sind aber noch zwei grundsätzliche Anträge, die ich gerne vortragen möchte, und die bisher noch nicht erwähnt worden sind. Aber ich glaube, es wird eine grundsätzliche Entscheidung des Gerichtshofs nötig sein. Es sind das die Anträge Dokument Nummer 80 und Nummer 81.

Zu Dokument Nummer 80 wird eine Photokopie eines Deportationsbefehls vorgelegt, der in der Stadt Oels von dem sowjetischen Ortskommandanten ergangen ist, wonach sich die männliche Zivilbevölkerung zum Abtransport zu melden hat, und es ergibt sich aus diesem Befehl, daß es sich um eine Arbeitsdeportation handelt. Ich will das vorbringen zum Nachweis dafür, daß das Haager Abkommen betreffend Landkriegsführung von der Sowjetarmee als obsolet behandelt worden ist. Ich habe nur diesen einen Deportationsbefehl. Ich wollte daher beantragen, der Gerichtshof möge von Artikel 17-E des Statuts Gebrauch machen und an Ort und Stelle durch einen Richter feststellen lassen, wie weit diese Deportation durchgeführt wurde; bei der Gelegenheit bitte ich, festzustellen, daß es sich nicht nur um die Stadt Oels handelt, sondern daß es im weitem Umfange in den Städten Oberschlesiens und Ostpreußens in gleicher Weise gehandhabt worden ist. Die Bevölkerung ist in einer großen Anzahl zur Arbeit abtransportiert worden, und wenn die Nachrichten zutreffen, die ich bekommen habe, ist ein Teil von Königsberg heute noch im Ural. Ich bin nicht in der Lage, nun Dokumente über all diese Dinge vorzulegen wegen der [694] Postschwierigkeiten und der Schwierigkeiten überhaupt, aus dem Osten Nachricht zu bekommen. Der Gerichtshof müßte aber in der Lage sein, durch Befragung der Bürgermeister und sonstiger Dienststellen festzustellen, daß dies zutrifft, was ich hier behauptet habe.

Unter Nummer 81 bringe ich eine eidesstattliche Versicherung, die die Stadt Saaz in der Tschechoslowakei betrifft. Dort sind 10000 Einwohner der Stadt Saaz in ein Lager zusammengefaßt worden und haben jedenfalls bis Weihnachten 1945 unentgeltlich dort gearbeitet. Ich glaube, auch das ist ein Beweis dafür, daß die Haager Landkriegsordnung bezüglich des Arbeitseinsatzes als obsolet und überholt angesehen wird.

Dann ist Dokument 90 und 91. Das sind zwei Hefte mit eidesstattlichen Versicherungen, und zwar gedacht als Ersatz für eine Enquete. Es würde ja unerheblich sein, wenn ich eine oder zwei eidesstattliche Versicherungen vorbringen würde über Zustände in den Arbeitslagern. Man könnte das als unerheblich zurückweisen, weil gegenüber der großen Anzahl von Fabriken und Lagern, die es gibt, durch diese Versicherungen wenig bewiesen würde. Diese Massenerscheinungen müssen irgendwie juristisch erfaßt werden. Das Statut hat daher die Berichte der Regierungen zugelassen. Ich bin nicht in der Lage, eine Regierung für meine Sache zu bemühen; ich muß daher sehen, einen Ausgleich zu schaffen, indem ich selbst eidesstattliche Versicherungen sammle und in sinnvoller Weise in einer Mappe gruppiere, um sie dem Gerichtshof vorzulegen. Daher geht mein Vorschlag auf einen Beweisantritt, der zufällig neuartig ist und eine Schwierigkeit für mich bildet; aber die gleichen Einwände sind dabei berechtigt, welche man gegen eine Enquete vorbringen könnte. Eine Enquete hat große Schwächen, insbesondere, wenn sie nur einseitig aufgenommen ist, ohne daß der mitinteressierte Partner daran teilgenommen hat. Hier bei meinen Versicherungen ist diese Gefahr ganz stark reduziert; denn es findet sich so leicht niemand, der diese eidesstattlichen Versicherungen ausstellt, es sei denn, daß er wirklich ernste Gründe dafür hat. Ich bitte den Gerichtshof daher, darüber zu entscheiden, was ich bezüglich meines Antrages über Dokument 90 und Dokument 91 gesagt habe. Das sind die Sachen, die ich hier vorbringen wollte; das übrige werde ich mit der Staatsanwaltschaft besprechen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hoher Gerichtshof! Ich habe bereits die Gründe angegeben, aus denen die Anklagevertretung gegen die Dokumente Nummer 80 und 81 Einspruch erhebt. Um ihre Zulässigkeit zu prüfen, ist es am zweckmäßigsten, anzunehmen, Dr. Servatius habe den Beweis für die von ihm behaupteten Tatsachen schon erbracht. Wenn dies geschieht, sind wir meiner Ansicht nach noch meilenweit entfernt von einem Beweis dafür, daß Artikel 52 [695] obsolet geworden ist. Diese beiden Argumente sind kennzeichnend für die Gefahr, auf die ich mir erlaubte, den Gerichtshof hinzuweisen – diese vage und hypothetische Behauptung, es lägen Beweise dafür vor, daß Artikel 52 obsolet geworden ist. Es wird daher vorgeschlagen, daß der Gerichtshof das Vorgehen der Sowjetunion in der Arbeiterfrage prüft und, soweit ich verstehe, eine Kommission bestellt, die Beweise zu diesem Punkt sammelt. Ich möchte die Argumente nicht wiederholen, aber die Anklagebehörde erhebt schärfsten Einspruch gegen die Behauptung und erklärt, daß nichts dargetan ist, was eine Grundlage für sie bietet.

Hinsichtlich der Dokumente Nummer 90 und 91 glaube ich, wird es das beste sein, die Entscheidung noch aufzuschieben. Wir wollen die eidesstattlichen Erklärungen erst einmal sehen, um eine Ahnung von ihrem Inhalt und der Informationsquelle zu bekommen. Dann kann sich die Anklagevertretung über sie schlüssig werden. Zur Zeit möchte ich sie nicht ausgeschlossen wissen wollen; meine Kollegen und ich werden ihnen jedenfalls die größere Beachtung schenken, wenn sie vorgelegt werden.


VORSITZENDER: Mir wird mitgeteilt, daß noch weitere Ergänzungsanträge für den Angeklagten Schacht und für den Angeklagten Keitel vorliegen. Ich glaube jedoch, das scheint ein Irrtum zu sein.

Ist der Verteidiger des Angeklagten Bormann anwesend?


DR. BERGOLD, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN BORMANN: Ja.


VORSITZENDER: Sind Sie schon bereit, irgend etwas vorzutragen?


DR. BERGOLD: Nein.


VORSITZENDER: Ich glaube, der Gerichtshof hat eine Verfügung getroffen, daß Ihr Antrag bis zur Einbringung eines weiteren Antrages innerhalb der nächsten drei Wochen zurückgestellt wird. Sie sind also noch nicht bereit? Mir wird mitgeteilt, daß Ihre Dokumente schon alle vorliegen. Ist das richtig?


DR. BERGOLD: Herr Vorsitzender! Meine Dokumente liegen zur Zeit vor, soweit ich Informationen habe. Da ich aber Informationen mir nur selbst konstruieren und mir aus den Büchern zusammensuchen muß, kann ich dem Gerichtshof nicht sagen, ob das alle meine Dokumente sein werden. Ich habe daher gebeten, den langjährigen Sekretär Wunderlich sprechen zu dürfen und eine andere Sekretärin. Erst von diesen zwei werden wir den genügenden Aufschluß bekommen. Bormann ist ja für mich nicht erreichbar. Ich bitte daher, praktischerweise alles zu einem späteren, Zeitpunkt zusammen vortragen zu dürfen.


[696] VORSITZENDER: Sehr gut. Der Gerichtshof wird daher jetzt... Ich erfahre eben, daß Anträge der Angeklagten Keitel und Rosenberg vorliegen.


DR. BERGOLD: Herr Vorsitzender! Die Verteidiger der Angeklagten Keitel und Rosenberg sind zur Zeit nicht anwesend. Sie waren vermutlich der Ansicht, daß sie heute nicht gehört werden. Vielleicht kann man das morgen, vor Beginn des Falles Göring, erledigen.


VORSITZENDER: Gut, der Gerichtshof wird sich nun vertagen.

[Das Gericht vertagt sich bis

8. März 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 9.
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