Vormittagssitzung.

[385] VORSITZENDER: Ich bitte den Anklagevertreter der Vereinigten Staaten das Wort zu ergreifen.

MR. ALDERMAN: Hoher Gerichtshof! Wir möchten das mit dem Buchstaben »N« gekennzeichnete Urkundenbuch vorlegen, welches sich mit dem nächsten Abschnitt des Falles befaßt, den ich vortragen werde. Von den fünf großen Phasen der Durchführung des Angriffskrieges, die ich dem Gerichtshof darlegen will, habe ich nun alle Urkunden, welche die erste Phase betreffen, vorgelegt. Dies war die Phase der Vorbereitungen für den Angriff und dauerte von 1933 bis 1936.

Die zweite lange Phase des auf Angriff zielenden Programms der Verschwörer dauerte von ungefähr 1936 bis März 1939, in welchem Zeitraum sie die Einverleibung Österreichs und die Besetzung der ganzen Tschechoslowakei durchgeführt haben.

Ich möchte abermals die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die graphische Darstellung an der Wand lenken, deren gelegentliche Betrachtung im Verlauf dieser Darlegungen für Sie von Interesse sein dürfte. Die für den hier behandelten Gegenstand bedeutungsvollen Abschnitte der Anklageschrift können im Abschnitt IV (F), Unterabschnitt 3, auf Seite 7 und 8 des gedruckten englischen Textes, gefunden werden. Dieser Teil der Anklageschrift ist in drei Punkte geteilt.

1. Die von 1936 bis 1938 dauernde Phase, hinsichtlich der Planung und Vorbereitung des Angriffs auf Österreich und die Tschechoslowakei.

2. Die Ausführung des Planes der Invasion Österreichs: November 1937 bis März 1938.

3. Die Ausführung des Planes der Invasion der Tschechoslowakei: April 1938 bis März 1939.

Wie ich bereits vor dem Gerichtshof ausgeführt habe, ist der größte Teil jenes Abschnitts der Anklageschrift, der überschrieben ist «(a) Vorbereitung des Angriffs auf Österreich und die Tschechoslowakei« durch Urkunde 386-PS, die ich am vergangenen Montag als US-25 vorgelegt habe, bewiesen. Dies war eine der wenigen Urkunden, mit welcher ich die Darlegung dieses Teiles des Falles begonnen habe, nämlich das von Oberst Hoßbach angefertigte Protokoll der Konferenz in der Reichskanzlei vom 5. November 1937, bei der Hitler sein politisches Testament entwickelte – den [385] Wunsch, Nazi-Deutschland mehr Raum in Mittel-Europa zu gewinnen – beleuchtete und Vorbereitungen für die Eroberung Österreichs und der Tschechoslowakei traf, die der Stärkung Deutschlands im Rahmen des allgemeinen Angriffsplans der Nazi-Verschwörer dienen sollten.

Ich werde das Material über diese zweite oder österreichische Phase des Angriffs in zwei verschiedener Teilen darleger. Zuerst möchte ich Dokumentenmaterial, das den Angriff gegen Österreich betrifft, vorlegen. Es liegt in dem soeben verteilten Urkundenbuch vor. Später möchte ich das Material über den Angriff auf die Tschechoslowakei vorlegen, welches in einem besonderen Urkundenbuch zusammengefaßt ist. Zunächst möchte ich mit der Zustimmung des Hohen Gerichtshofs die Ereignisse bis zum Herbst 1937 und die strategische Stellung der Nationalsozialisten in Österreich behandeln. Ich möchte darauf hinweisen, daß in dieser Phase die erste volle Blüte desjenigen erscheint, was als Eindringungstechnik der »Fünften Kolonne« in anderen Ländern bekannt geworden ist. Das erste davon ist das nationalsozialistische Ziel: Die Einverleibung Österreichs.

Um besser verstehen zu können, wie die Nazi-Verschwörer nach der in dem Hoßbach-Protokoll aufgezeichneten Konferenz vom 5. November 1937 vorgingen, ist es ratsam, auf die Schritte zurückzublicken, die in Österreich von den deutschen wie von österreichischen Nationalsozialisten schon vorher unternommen worden waren. Die Stellung, die die Nazis gegen Ende des Jahres 1937 erreichten, ermöglichte es ihnen, die Einverleibung Österreichs viel früher und mit viel geringeren Kosten durchzuführen, als sie zur Zeit der in dem Hoßbach-Protokoll festgehaltenen Konferenz angenommen hatten.

Die Besitzergreifung Österreichs war schon lange ein Hauptziel der deutschen Nationalsozialisten gewesen. Auf der ersten Seite seines Buches »Mein Kampf« sagte Hitler: »Das deutsche Österreich muß zum großdeutschen Mutterlande zurückkehren.« Er sagte weiter, daß dieses Ziel, das gemeinsame Blut in einem gemeinsamen Reich zu vereinigen, nicht durch eine Wirtschaftsunion allein befriedigt werden könne. Überdies war die Einverleibung Österreichs vom Jahre 1933 an ein Ziel der Nazis gewesen, das sie als dringendsten Programmpunkt betrachteten und unbedingt ausführen wollten.

Hier möchte ich unser Dokument 1760-PS als US-57 dem Gerichtshof vorlegen. Dieses Dokument enthält eine eidesstattliche Erklärung, die in Mexico City am 28. August dieses Jahres von George S. Messersmith, dem jetzt in Mexico City weilenden Botschafter der Vereinigten Staaten, abgegeben wurde. Ehe ich aus der eidesstattlichen Erklärung von Herrn Messersmith zitiere, möchte ich [386] kurz feststellen, daß Herr Messersmith von 1930 bis zum späten Frühling des Jahres 1934 Generalkonsul der Vereinigten Staaten von Amerika in Berlin war. Später wurde er Amerikanischer Gesandter in Wien, wo er bis zum Jahre 1937 blieb.

In seiner eidesstattlichen Erklärung sagt er, daß die Art seiner Arbeit ihn häufig in Berührung mit deutschen Regierungsbeamten brachte, und er berichtet weiter, daß die Nazi-Regierungsbeamten, die er traf, in Gesprächen erstaunlich offen waren und ihre Ziele nicht verbargen.

Hoher Gerichtshof! Diese ziemlich lange eidesstattliche Erklärung stellt ein neues Verhandlungsproblem dieses Falles dar. Ich möchte die eidesstattliche Erklärung, wenn dies möglich ist, als Beweismittel vorlegen, statt sie ganz zu lesen, und zwar nicht nur das englische Original, sondern auch die vervielfältigte deutsche Übersetzung.

Die deutsche Übersetzung der eidesstattlichen Erklärungen ist an die Verteidiger verteilt worden.

DR. EGON KUBUSCHOK, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON PAPEN: Es ist soeben ein Affidavit überreicht worden, ein Affidavit von einem Zeugen, der erreichbar ist. Der Inhalt des Affidavits bringt so viele subjektive Meinungen des Zeugen, daß es unerläßlich ist, über dasjenige, was das Affidavit wiedergibt, den Zeugen persönlich zu hören.

Ich bitte bei dieser Gelegenheit um die prinzipielle Entscheidung, ob in dem Prozeßverfahren über das, was ein Zeuge aus eigenem Wissen aussagen kann, ein Affidavit als Prozeßstoff in den Prozeß eingeführt werden kann, oder ob bei lebenden und erreichbaren Zeugen das Prinzip der unmittelbaren mündlichen Verhandlung angewendet werden soll, dieser Zeuge also direkt zu vernehmen ist.


MR. ALDERMAN: Hoher Gerichtshof! Ich möchte einige Worte zu diesem Punkt bemerken.


VORSITZENDER: Sind Sie fertig mit dem, was Sie sagen wollten?


DR. KUBUSCHOK: Ja.


VORSITZENDER: Gut, wir wollen hören, was Sie zu sagen haben, Herr Alderman.


MR. ALDERMAN: Hoher Gerichtshof! Ich erkenne natürlich die Beweisschwäche einer eidesstattlichen Erklärung an, wenn der Zeuge nicht anwesend ist und daher einem Kreuzverhör nicht unterworfen werden kann. Herr Messersmith ist ein älterer Herr. Sein Gesundheitszustand ist nicht gut. Es wäre undurchführbar, ihn hierher bringen zu wollen. Wir hätten es nämlich sonst getan. Ich möchte den Gerichtshof auf Artikel 19 des Statuts verweisen:

[387] »Der Gerichtshof ist an Beweisregeln nicht gebunden. Er soll in weitem Ausmaß ein schnelles und nicht formelles Verfahren anwenden und jedes Be weismittel, das ihm Beweiswert zu haben scheint, zulassen.«

Natürlich würde der Gerichtshof die eidesstattliche Versicherung dem Beweisergebnis nicht zu Grunde legen können, wenn er nicht der Überzeugung ist, daß ihr Beweiswert zuzumessen sei. Sollten die Angeklagten imstande sein, Gegenbeweise zu erbringen, die den Beweiswert dieser eidesstattlichen Erklärung entkräftigen können, so wird der Gerichtshof natürlich den ganzen Beweisstoff gemäß den Bestimmungen des Statuts würdigen. Im großen und ganzen betrifft diese und eine andere eidesstattliche Erklärung des Herrn Messersmith, die wir noch vorlegen werden, Dinge, die sich im Hintergrund abspielten und historische Tatsachen geworden sind, von denen der Gerichtshof amtlich Kenntnis nehmen könnte. Wo überraschend Meinungsäußerungen der Nazi-Führer zitiert werden, steht es jedem von ihnen frei, seine Zitate als unrichtig anzufechten oder dem Gerichtshof gegenüber zu erklären, was er tatsächlich gesagt habe. Jedenfalls scheint es mir, daß der Gerichtshof eine eidesstattliche Erklärung dieser Art, die von einem wohlbekannten amerikanischen Diplomaten abgegeben wurde, als Beweis zulassen und ihr den Beweiswert beimessen kann, den es in den Augen des Gerichtshofs hat.

Was die Frage der Verlesung der ganzen eidesstattlichen Versicherung betrifft, so verstehe ich die Entscheidung des Gerichtshofs dahin, daß nur jene Teile von Urkunden, die verlesen wurden, ins Protokoll aufgenommen werden. Grund für diese Entscheidung war, daß man den deutschen Verteidigern Kenntnis über das tatsächlich verwendete Beweismaterial geben muß. Was diese eidesstattlichen Erklärungen anbelangt, so haben wir ihnen vollständige deutsche Übersetzungen gegeben. Es erscheint uns deswegen angebracht, eine andere Verfahrensregel aufzustellen, die dem Rechnung trägt.

VORSITZENDER: Herr Alderman, haben Sie beendet, was Sie sagen wollten?

MR. ALDERMAN: Ja.


DR. KUBUSCHOK: Der Herr Anklagevertreter steht auf dem Standpunkt, daß wegen des Alters und der Gebrechlichkeit des Zeugen seine Vernehmung untunlich ist. Ich kenne den Zeugen nicht und weiß nicht, wie weit er tatsächlich nicht in der Lage ist, hierher zu kommen. Prinzipiell bestehen aber gegen die Vorlegung eines Affidavits gerade eines gebrechlichen, eines alten Zeugen, die größten Bedenken. Dem Gericht ist keine Gelegenheit gegeben, wie weit – ich spreche jetzt ganz prinzipiell, nicht von [388] Herrn Messersmith – wie weit die Gebrechlichkeit geht, um eventuell einen Einfluß auf sein Gedächtnis und seine Urteilsfähigkeit zu haben. Gerade in diesem Falle ist die persönliche Anhörung vor dem Gericht unerläßlich. Es ist weiterhin wichtig, zu wissen, welche Fragen insgesamt dem betreffenden Zeugen bei der Vernehmung gestellt worden sind, da ein Affidavit ja nur dasjenige wiedergibt, was als Antwort gegeben und protokolliert worden ist. Gerade aber aus den nicht beantworteten Fragen lassen sich sehr oft die erforderlichen Rückschlüsse für die Verwendbarkeit einer Zeugenaussage ziehen. Wenn wir infolgedessen hier lediglich auf eine Beweiswürdigung auf Grund eines Affidavits angewiesen sind, so können wir in keiner Weise mit Sicherheit annehmen, daß dies die vollständige Ansicht des Zeugen ergibt. Ich bin auch nicht der Ansicht der Staatsanwaltschaft, die hier gewissermaßen zwei Beweisverfahren von verschiedenem Wert einführen will, eine vollwertige durch Vernehmung eines Zeugen und eine weniger vollständige durch Einführung eines Affidavits. Entweder es reicht etwas zum Beweise aus, oder es reicht nicht aus. Das Gericht kann sich nur an vollgültige Beweismöglichkeiten halten.


VORSITZENDER: Wollten Sie etwas hinzufügen?


MR. ALDERMAN: Ich möchte das, was ich vorher sagte, wie folgt korrigieren. Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, daß Herr Messersmith gesundheitlich behindert ist. Er ist ein alter Herr – ungefähr 70 Jahre alt – im aktiven Dienst in Mexico City, und die Hauptschwierigkeit bestand darin, daß wir ihn von seinen Amtspflichten nicht wegrufen und ihn in seinem Alter der langen Reise nicht aussetzen zu sollen glaubten.


VORSITZENDER: Ist das alles?


MR. ALDERMAN: Ja.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat über den Einspruch, der erhoben wurde, beraten und angesichts der Machtbefugnisse des Gerichtshofs gemäß Artikel 19 des Statuts, wonach der Gerichtshof nicht durch technische Beweisregeln gebunden ist, sondern ein schnelles und nicht formelles Verfahren anwenden soll und jedes Beweismittel, das ihm Beweiswert zu haben scheint, zulassen soll. Angesichts dieser Vorschriften entscheidet der Gerichtshof, daß die eidesstattlichen Erklärungen vorgelegt werden können, und daß dies im gegenwärtigen Falle zulässig ist. Die Frage des Beweiswertes einer eidesstattlichen Erklärung, im Vergleich zu einer Aussage eines im Kreuzverhör vernommenen Zeugen, würde vom Gerichtshof natürlich erwogen werden, und sollte der Gerichtshof später der Ansicht sein, daß die Anwesenheit eines Zeugen von größter Wichtigkeit ist, so kann diese Angelegenheit nochmals erörtert [389] werden. Der Gerichtshof fügt folgendes hinzu: sollte die Verteidigung Fragen an den Zeugen zu stellen wünschen, so ist ihr dies freigestellt.


MR. ALDERMAN: Ich lege nun unsere Urkunde 1760-PS, US-57, die eidesstattliche Erklärung von George S. Messersmith vor.

Statt die ganze eidesstattliche Erklärung zu lesen, es sei denn, der Gerichtshof wünscht es, hatte ich vor, den Inhalt der einzelnen Teile zusammengefaßt wiederzugeben.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof hält es für besser, daß Sie den erlassenen Verfahrensvorschriften entsprechen, nämlich, daß nur das, was vor dem Gerichtshof verlesen wird, einen Teil des Protokolls bildet.


MR. ALDERMAN: Ich werde also auf der dritten Seite des englischen vervielfältigten Textes lesen, und zwar den vierten Absatz, dem eine Namensliste folgt, beginnend mit dem Präsidenten von Österreich, Miklas, und dem Kanzler Dollfuß.

»Gleich nachdem die Nazis ans Ruder kamen, wurde mir von hohen als auch von nachgeordneten Regierungsbeamten Deutschlands gesagt, daß der Anschluß Österreichs an Deutschland eine politische und wirtschaftliche Notwendigkeit sei, und daß dieser Anschluß durchgeführt werden würde, gleichgültig, welche Mittel dazu notwendig wären. Obwohl ich weder Ort noch Zeit genau angeben kann, kann ich versichern, daß bei verschiedenen Gelegenheiten jeder einzelne der deutschen Funktionäre, die ich früher aufgezählt, mit Ausnahme von Schacht, von Krosigk und Krupp von Bohlen, mir das gleich mitgeteilt hat. Ich kann versichern, daß jedermann in Deutschland, der Kenntnis hatte von dem, was vorging, genau wußte, daß Hitler und die Nazi-Regierung absolut entschlossen waren, von diesem Ziel nicht abzugehen. Der einzige Zweifel, der je in Gesprächen oder Erklärungen an mich bestand, betraf das ›wie‹ und ›wann‹.«

Hierbei möchte ich auf die Liste der deutschen Amtsträger hinweisen, die auf Seite 2 der eidesstattlichen Erklärung genannt sind, und zwar Hermann Göring, General Milch, Hjalmar Schacht, Hans Frank, Wilhelm Frick, Graf Schwerin von Krosigk, Joseph Goebbels, Richard Walter Darré, Robert Ley, Hans Heinrich Lammers, Otto Meißner, Franz von Papen, Walther Funk, General Wilhelm Keitel, Admiral Erich Raeder, Admiral Karl Dönitz, Dr. Bohle, Dr. Stuckart, Dr. Krupp von Bohlen, Dr. Davidson.

In der eidesstattlichen Erklärung gibt er seiner Überzeugung Ausdruck, daß jeder der genannten deutschen Amtsträger zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten ihm gegenüber eine [390] solche Erklärung gemacht habe, mit Ausnahme von Schacht, von Krosigk und Krupp von Bohlen.

Ich setze nun im nächsten Absatz fort:

»Zu Beginn des Nazi-Regimes im Jahre 1933 war Deutschland natürlich viel zu schwach, um es wagen zu können, ein Land offen mit Gewalt zu bedrohen, wie die Nazis dies 1938 taten. Statt dessen war es die offen zugegebene und auch kundgemachte Politik der Nazi-Regierung, die gleichen Ergebnisse, die sie tatsächlich später mit Gewalt erreichten, mit den gleichen Methoden, die sich in Deutschland bereits als erfolgreich erwiesen hatten, erreichen zu wollen, nämlich einen Stützpunkt in der Regierung zu gewinnen, in erster Linie im Ministerium des Innern, das die Polizei kontrollierte, und dadurch rasch alle oppositionellen Elemente auszumerzen. Während meines Aufenthalts in Österreich wurde mir von Kanzler Dollfuß, Kanzler Schuschnigg, Präsident Miklas und anderen hohen Funktionären der österreichischen Regierung immer wieder mitgeteilt, daß die Deutsche Regierung dauernd und unaufhörlich einen Druck auf die österreichische Regierung ausübe, um zu erreichen, daß eine gewisse Anzahl von Ministern mit Nazi-Einstellung in die Regierung aufgenommen werde. Der Englische und der Französische Gesandte in Wien, mit denen ich in dauernder naher Verbindung stand, bestätigten dies und erklärten, dies auf Grund von Gesprächen mit hohen österreichischen Beamten zu wissen.«

Ich werde im Verlaufe des Beweisverfahrens weitere Stellen der eidesstattlichen Erklärung verlesen. Diese behandeln den Druck, der auf Österreich mit Terror und Einschüchterung ausgeübt wurde und schließlich zum erfolglosen Putsch vom 26. Juli 1934 führte. Um ihr Ziel zu erreichen, übten die Nazis auf jede nur mögliche Art Druck aus. Zu allererst wendeten sie wirtschaftlichen Druck an. Mit dem deutschen Gesetz vom 24. März 1933 wurde eine Geldstrafe von 1000 Reichsmark auf Reisen nach Österreich gesetzt. Dies bedeutete eine große Belastung für dieses Land, das auf Fremdenverkehr angewiesen war. Ich verweise auf das Reichsgesetzblatt, 1933, Teil I, Seite 311. Ich ersuche den Gerichtshof, den Inhalt dieses Gesetzes amtlich zur Kenntnis zu nehmen.

Die Nazis bedienten sich der Propaganda und begingen Terrorakte, besonders Bombenanschläge. Die eidesstattliche Erklärung von Herrn Messersmith, 1760-PS, aus der ich bereits verlesen habe, beschreibt in Einzelheiten diese Terrorakte.

Ich verlese jetzt von Seite 4 des Affidavits den englischen Text des zweiten Absatzes derselben Seite:

[391] »Die Gewalttätigkeiten traten beinahe dauernd in Erscheinung, aber während dreier, deutlich hervortretender Perioden erreichten sie ihre Höhepunkte. Im Verlauf der beiden ersten Perioden – Mitte 1933 und Anfang 1934 – war ich noch in Berlin. Während dieser Periode wurde mir von hohen Nazi-Funktionären gelegentlich einer Besprechung mit denselben mitgeteilt, daß diese Terrorwellen von ihnen angestiftet und geleitet seien. In diesen meinen Unterredungen mit den hohen Nazi-Beamten fand ich keine Verschleierung der Tatsache, daß sie für diese Tätigkeiten in Österreich verantwortlich waren. Dieses Geständnis stimmte genau mit der Nazi-These überein, nämlich, daß Terror notwendig ist und dazu benutzt werden muß, um den Willen der Partei nicht nur Deutschland, sondern auch anderen Ländern aufzuzwingen. Ich erinnere mich ganz deutlich daran, daß General Milch einer derjenigen war, welche sich offen darüber aussprachen, daß diese Gewalttätigkeiten in Österreich von der Nazi-Partei geleitet seien und der seiner Besorgnis diesbezüglich Ausdruck gab, ebenso seine Mißbilligung mit dieser bestimmten Politik der Partei.«

Dann der nächste Absatz:

»Während der Welle terroristischer Ereignisse im Mai und Juni 1934 hatte ich bereits meine Pflichten als Amerikanischer Gesandter in Wien übernommen. Die Bombenattentate dieses Zeitabschnitts waren in erster Linie gegen Eisenbahnen, Touristenzentren und die katholische Kirche gerichtet, welche in den Augen der Nazis eine der stärksten Organisationen war, die ihnen Widerstand entgegensetzte. Ich erinnere mich jedoch, daß diese Gewalttätigkeiten bestimmt während einiger Tage, nämlich während der Zusammenkunft Hitlers mit Mussolini in Venedig Mitte Juni 1934, stark nachließen. Zu dieser Zeit unterstützte Mussolini die österreichische Regierung in starker Weise und war sowohl an der Aufrechterhaltung der österreichischen Unabhängigkeit und der Hoheitsrechte als auch an der Niederhaltung des Nazi-Einflusses und der Nazi-Betätigung in Österreich stark und tief interessiert. Zu dieser Zeit konnte sich Hitler einen Bruch mit Mussolini nicht erlauben und erklärte sich zweifellos mit einer kurzen Einstellung dieser Bombenattentate einverstanden, worauf Mussolini ausdrücklich bestand, weil er, Hitler, persönlich für dieses Treffen mit Mussolini eine möglichst günstige Atmosphäre haben wollte. Die Einstellung der Bombenanschläge während der Hitler-Mussolini-Konferenz wurde sowohl von mir als auch von österreichischen Behörden und allen Beobachtern [392] damals als ein offenes Zugeständnis Hitlers und der Deutschen Regierung dafür angesehen, daß die Anschläge planmäßig angestiftet und von Deutschland überwacht wurden.«

Ich gehe jetzt auf Seite 7 des englischen Textes über, und zwar auf die Stelle nach der folgenden Zeile: »Amtliche Nachricht aus Wien, 26. Juli 1934«; ich zitiere:

»Außer diesen Gewalttaten versuchten die Nazis durch Verwendung der ›Österreichischen Legion‹ einen Druck auf Österreich auszuüben. Diese Organisation, eine militärähnliche Streitmacht von mehreren tausend Mann, war nahe der österreichischen Grenze in Deutschland untergebracht, als eine dauernde und direkte Bedrohung Österreichs mittels Gewalttaten. Sie wurde ganz zweifellos von der Nazi-Regierung Deutschlands sanktioniert, da sie anders gar nicht hätte bestehen können und war von ihr bewaffnet worden. Sie war aus österreichischen Nazis zusammengesetzt, die aus Österreich nach dem Begehen zahlreicher Verbrechen dorthin geflohen waren, und aus Österreichern in Deutschland, die sowohl das müßige Leben als auch die Bezahlung durch deutsche Behörden als sehr anziehend fanden.«

Diese Terrorakte der Nazis in Österreich dauerten bis zum 25. Juli 1934. Es ist eine bekannte historische Tatsache, von der ich den Gerichtshof amtlich Kenntnis zu nehmen bitte, daß an diesem Tage Mitglieder der NSDAP (Nazi-Partei) einen revolutionären Putsch in Österreich durchzuführen versuchten und Kanzler Dollfuß ermordeten.

Hier möchte ich nun darauf aufmerksam machen, daß die Anklageschrift in Punkt IV, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Absatz B, auf Seite 26 des englischen gedruckten Textes, anführt, die Nazis hätten nebst anderen Kanzler Dollfuß ermordet. Ich besitze keinen offiziell beglaubigten Bericht über die Einzelheiten des Putsches. Ich glaube, es wird genügen, wenn ich den Gerichtshof kurz an die Tatsachen dieses bereits historischen Falles erinnere. Gegen Mittag des 25. Juli 1934 überrannten ungefähr hundert Mann in Uniform der österreichischen Armee das Bundeskanzleramt. Kanzler Dollfuß wurde bei seinem Fluchtversuch durch zwei aus unmittelbarer Nähe abgegebene Schüsse verwundet. Das Rundfunkgebäude im Herzen der Stadt wurde gestürmt; der Ansager wurde gezwungen zu verkünden, daß Kanzler Dollfuß zurückgetreten sei und Dr. Rintelen sein Amt übernommen habe. Obgleich der Putsch fehlschlug, vermochten die Aufständischen, das Gebäude des Bundeskanzleramtes zu halten und sie beschlossen, es erst aufzugeben, wenn ihnen freies Geleit zur deutschen Grenze zugesichert [393] würde. Sie setzten sich mit dem Deutschen Botschafter, Dr. Rieth, in telephonische Verbindung und verhandelten später privat mit ihm im Gebäude. Gegen 7 Uhr abends gaben sie das Gebäude auf, aber Kanzler Dollfuß starb um 6 Uhr abends, ohne ärztliche Hilfe gehabt zu haben.

Es ist ebenfalls eine bekannte historische Tatsache, daß die Deutsche Regierung jegliche Mitschuld an dem Putsch und dem Meuchelmord abstritt. Hitler berief Dr. Rieth als Botschafter ab, da dieser den Aufständischen sicheres Geleit zugestanden hatte, ohne bei der Deutschen Regierung anzufragen, und dadurch in den Augen der Öffentlichkeit das Deutsche Reich grundlos in innere österreichische Angelegenheiten hineingezogen hatte.

Diese Erklärung erscheint in einem Briet vom 26. Juli 1934, den Hitler an den Angeklagten von Papen sandte. Ich werde diesen Briet später vorlegen.

Obwohl die Deutsche Regierung jede Kenntnis und Verbindung mit diesem Putsch leugnete, haben wir genügend Grund zur Annahme, daß die deutschen Nazis die Verantwortung für diese Ereignisse tragen. Im Hinblick auf die etwas untergeordnete Bedeutung beabsichtigte ich nicht, mich mit dem umfangreichen Prozeßbericht gegen den österreichischen Nazi Planetta und andere zu befassen, die wegen Ermordung des Kanzlers Dollfuß abgeurteilt worden sind. Ebenfalls habe ich nicht die Absicht, dem Gerichtshof den Inhalt des österreichischen »Braunbuchs«, herausgegeben nach dem 25. Juli, vorzutragen, wenn der Gerichtshof nicht amtlich davon Kenntnis nehmen will. Ich möchte lieber einige andere Punkte erwähnen, die in dieser Verbindung meiner Ansicht nach genügen werden. Ich zitiere wieder aus unserer Urkunde 1760-PS, US-57, das ist Messersmiths eidesstattliche Erklärung auf Seite 7, der Absatz in der Mitte der Seite:

»Die Ereignisse des Putsches am 25. Juli 1934 sind zu gut bekannt, um sie in dieser Aussage zu wiederholen. Ich möchte hier nur sagen, daß keine Zweifel bestehen können darüber, daß der Putsch durch Nazi-Funktionäre in Deutschland durch ihre Organisationen in Österreich angeordnet und aufgezogen war. Dr. Rieth, der Deutsche Gesandte in Wien, war vollständig vertraut mit allem, was zu erwarten war und auch mit allem, was geplant war.

Die Deutsche Gesandtschaft befand sich unmittelbar der Britischen Gesandtschaft gegenüber, und die österreichische Geheimpolizei beobachtete scharf, wer die Deutsche Gesandtschaft betrat. Die Engländer hatten damals ihren eigenen Geheimdienst in Wien und überwachten auch diskret die Leute, die die Deutsche Gesandtschaft betraten. Mir wurde [394] sowohl von englischen als österreichischen Beamten gesagt, eine Anzahl der Leute, die später von österreichischen Behörden als mit dem Putsch verwickelt befunden waren, zählten zu denjenigen, die in der Deutschen Gesandtschaft aus- und eingingen. Außerdem verfolgte ich selbst mit wachsamen Augen die Tätigkeiten des Dr. Rieth; und auf Grund all meiner Information war ich sicher, daß Dr. Rieth in enger und ununterbrochener Verbindung mit den Nazi-Agenten in Österreich war; diese Agenten waren sowohl Deutsche als auch Österreicher. Dr. Rieth konnte nicht umhin, mit dem Putsch und den Einzelheiten bekannt zu sein. Ich erinnere mich ganz genau, aus meinen Unterhaltungen mit den höchsten österreichischen Regierungsbeamten nach dem Putsch, daß sie sich informierten, Dr. Rieth habe mit Dr. Rintelen Fühlung gehabt, der, sollte der Putsch gelingen, nach den Nazi-Plänen zum Nachfolger von Dollfuß bestimmt war.

Es kann möglich sein, daß Dr. Rieth persönlich den Plänen für den Putsch nicht sympathisch ge genüberstand, aber es steht außer Frage, daß er durchaus vertraut mit ihnen war, und daß er seine Zustimmung dazu gegeben haben muß und damit einverstanden war.

Da dieser Putsch so wichtig war und einen ausgesprochenen Versuch darstellte, die österreichische Regierung zu stürzen, und da er die Ermordung des österreichischen Kanzlers zur Folge hatte, nahm ich die Gelegenheit wahr, selbst verschiedene Zeugnisse zu überprüfen, die zeigen, daß der Putsch nicht nur mit Kenntnis der Deutschen Regierung unternommen, sondern von ihr ersonnen war. Ich stellte fest und fand es bestätigt, daß nahezu ein Monat vor dem Putsch Goebbels zu Signor Cerutti, dem Italienischen Botschafter in Berlin, sagte, daß binnen eines Monats eine Nazi- Regierung in Wien bestehen werde.«

Ich möchte auch das Tagebuch des Botschafters Dodd 1933-1938 als Beweisstück vorlegen, ein Buch, das 1941 veröffentlicht wurde – unser Dokument 2832-PS, US-58 – und besonders die Eintragungen vom 26. Juli 1934. Wir besitzen die zwei Seiten des Buches, auf die ich Bezug nehme.

Herr Dodd, zu jener Zeit Botschafter in Berlin, machte in diesen Eintragungen folgende Bemerkungen: zuerst erklärte er, daß ihm Ernst Hanfstaengl im Februar 1934 mitgeteilt habe, er habe Hitler eine Botschaft von Mussolini überbracht, die praktisch den Befehl enthielt, Österreich in Ruhe zu lassen und Theodor Habicht, den deutschen Agenten in München, der den Anschluß Österreichs betrieb, zum Schweigen zu bringen und zu entlassen. Am 18. Juni[395] verpflichtete sich Hitler angeblich Mussolini gegenüber in Venedig, Österreich in Frieden zu lassen. Weitere Bemerkungen Herrn Dodds lauten, und ich zitiere aus seinen Eintragungen vom 26. Juli 1934:

»Am Montag, dem 23. Juli, nach wiederholten Bombenanschlägen der Nazis in Österreich, wurde ein Schiff mit Explosionsmaterial am Bodensee von der Schweizer Polizei beschlagnahmt. Es handelte sich um eine Sendung deutscher Bomben und Munition von einer Munitionsfabrik nach Österreich. Das war meiner Ansicht nach ein böses Vorzeichen, aber andererseits kamen solche Sachen so häufig vor, daß ich es erst gar nicht nach Washington meldete.

Heute wurde Beweismaterial auf meinen Schreibtisch gelegt, daß die Regierung gestern noch spät am Abend, um 11 Uhr, eine formelle Erklärung an die Zeitungen gegeben habe, die Genugtuung über den Sturz von Dollfuß auszudrücken und Großdeutschland zu proklamieren, das logischerweise folgen müsse. Der Deutsche Gesandte in Wien hatte selbst geholfen, die neue Regierung zu bilden. Wie wir jetzt wissen, hatte er ein Versprechen erpreßt, daß die Bande der österreichischen Nazi-Mörder unbehelligt nach Deutschland gehen dürfte. Jedoch war es um ungefähr 12 Uhr klar, daß obwohl Dollfuß selbst tot war, die lo yalen Österreicher das Regierungsgebäude umstellt und so die Organisierung einer neuen Nazi-Herrschaft vereitelt hatten. Die Mörder wurden als Gefangene bewacht. Daher verbot das deutsche Propagandaministerium die Veröffentlichung der eine Stunde vorher ausgesandten Nachrichten und versuchte, alle Ausgaben, die bereits verteilt worden waren, wieder einzusammeln. Heute brachte mir ein Freund eine Abschrift.

Heute früh bedauerten alle deutschen Zeitungen den grausamen Mord und erklärten, daß es sich bloß um einen Schlag von unzufriedenen Österreichern und nicht von Nazis gehandelt hätte. Nachrichten aus Bayern besagen, daß Tausende von österreichischen Nazis, die mit deutscher Unterstützung ein Jahr lang In Bayern gelebt hatten, schon seit zehn Tagen sehr aktiv gewesen seien; einige hätten die Grenze illegal überschritten, aber alle exerzierten fleißig und machten sich bereit, nach Österreich zurückzukehren. Der deutsche Propagandist Habicht hielt nach wie vor Radioansprachen über die Notwendigkeit, das alte Reich der Habsburger dem Dritten Reich anzuschließen, trotz aller Versprechungen Hitlers, ihn zum Schweigen zu bringen. Aber jetzt, wo das Treiben fehlgeschlagen ist und die Meuchelmörder im Gefängnis in Wien sitzen, läßt die Deutsche Regierung alle diejenigen fallen, die behaupten, daß Berlin irgendwie geholfen hätte.

[396] Ich glaube, es wird eines Tages klar werden, daß Millionen von Dollars und viele Waffen seit dem Frühjahr 1933 ständig nach Österreich befördert wurden. Die ganze Welt verurteilt wieder einmal mehr die Hitler-Herrschaft. In der ganzen Neuzeit war keine Nation je so unpopulär wie Nazi- Deutschland. Dieser Schlag vervollständigt das Bild. Ich nehme an, ich werde eine ganze Reihe schwerer Verurteilungen in den amerikanischen Zeitungen lesen, wenn sie in ungefähr zehn Tagen hier eintreffen werden.«

Wie ich vorher erwähnte, leugnete die Deutsche Regierung jede Verbindung mit dem Putsch und der Ermordung Dollfuß' ab. In diesem Zusammenhang möchte ich die Aufmerksamkeit auf den Briet Hitlers vom 26. Juli 1934, der die Ernennung des Angeklagten von Papen enthielt, lenken. Dieser Brief ist im offiziellen deutschen Nachschlagewerk ›Dokumente der Deutschen Politik‹ Band 2, Seite 137, veröffentlicht. Wir haben es aus Gründen der Bequemlichkeit als Urkunde 2799-PS bezeichnet, und eine ins Englische übersetzte Abschrift ist im Dokumentenbuch enthalten. Die Angeklagten können den deutschen Text in ›Dokumente der Deutschen Politik‹ prüfen. Eine Kopie hiervon halte ich in meinen Händen: Seite 137 des zweiten Bandes. Ich beantrage, den Inhalt dieser in der deutschen Sprache abgefaßten, in Maschinenschrift geschriebenen Urkunde amtlich zur Kenntnis zu nehmen.

Ich möchte diesen Brief des Reichskanzlers Hitler an Vizekanzler von Papen verlesen. Ich glaube, dies wird uns einen kleinen historischen Überblick geben und vielleicht unsere Erinnerung, wie die Nazi-Verschwörer arbeiteten, auffrischen. Bei der Beurteilung des Briefes Hitlers an den Angeklagten von Papen vom 26. Juli 1934 dürfen wir einen interessanten Nebenumstand, der damals weitverbreitet wurde, nicht vergessen – ich betone, daß es nur ein weitverbreitetes Gerücht war –, daß der Angeklagte von Papen der Säuberungsaktion vom 30. Juni 1934, welcher Ernst Röhm und andere zum Opfer fielen, nur mit knapper Not entging. Der Brief Hitlers an von Papen lautet:

»Sehr verehrter Herr von Papen!

In Verfolg der Ereignisse in Wien habe ich mich gezwungen gesehen, dem Herrn Reichspräsidenten die Enthebung des Deutschen Gesandten in Wien, Dr. Rieth, von seinem Posten vorzuschlagen, weil er auf Aufforderung österreichischer Bundesminister bzw. der österreichischen Aufständischen sich bereitfinden ließ, einer zwischen diesen Beiden getroffenen Abmachung bezüglich freien Geleits und Abzuges der Aufständischen nach Deutschland ohne Rückfrage bei der Deutschen [397] Reichsregierung seine Zustimmung zu geben. Der Gesandte hat damit ohne jeden Grund das Deutsche Reich in eine interne österreichische Angelegenheit hineingezogen. Das Attentat gegen den österreichischen Bundeskanzler, das von der Deutschen Reichsre gierung auf das schärfste verurteilt und bedauert wird, hat die an sich schon labile politische Lage Europas ohne unsere Schuld noch weiter verschärft. Es ist daher mein Wunsch, wenn möglich, zu einer Entspannung der Gesamtlage beizutragen und insbesondere das seit langem getrübte Verhältnis zu dem deutsch-österreichischen Staat wieder in normale und freundschaftliche Bahnen geleitet zu sehen.

Aus diesem Grunde richte ich die Bitte an Sie, sehr verehrter Herr von Papen, sich dieser wichtigen Aufgabe zu unterziehen, gerade weil Sie seit unserer Zusammenarbeit im Kabinett mein vollstes und uneingeschränktes Vertrauen besaßen und besitzen.

Ich habe daher dem Herrn Reichspräsidenten vorgeschlagen, daß Sie unter Ausscheiden aus dem Reichskabinett und Entbindung von dem Amt als Saarkommissar für eine befristete Zeit in Sondermission auf den Posten des Deutschen Gesandten in Wien berufen werden. In dieser Stellung werden Sie mir unmittelbar unterstehen.

Indem ich Ihnen auch heute noch einmal danke für alles, was Sie einst für die Zusammenführung der Regierung der nationalen Erhebung und seitdem gemeinsam mit uns für Deutschland getan haben,

bin ich Ihr sehr ergebener

Adolf Hitler.«

Wir wollen nun die Lage vier Jahre später betrachten, am 25. Juli 1938, nach dem Anschluß Österreichs. Zu dieser Zeit drückten die hohen deutschen Beamten nicht mehr ihr Bedauern über den Tod von Dr. Dollfuß aus. Nur zu bereitwillig enthüllten sie, was der Welt bereits bekannt war, nämlich daß sie sich mit dem Mord an dem früheren Kanzler identifizierten und diesen begünstigt hatten.

Ich lege jetzt Dokument L-273, US-59 vor. Dieses Dokument ist ein Bericht des Amerikanischen Generalkonsuls in Wien an den Amerikanischen Außenminister vom 26. Juli 1938. Bedauerlicherweise ist das englische Original infolge eines technischen Versehens nicht englisch vervielfältigt worden und ist daher in Ihrem Dokumentenbuch nicht enthalten. Es wurde jedoch ins Deutsche übersetzt und ist im Dokumentenbuch der Verteidigung enthalten. Ich lese aus einer Photokopie dieses Berichtes:

[398] »Die zwei Höhepunkte der Feierlichkeiten waren die Gedächtnisfeier am 24. in Klagenfurt, der Hauptstadt der Provinz Kärnten, wo 1934 der Wiener Nazi-Aufstand den größten Anklang gefunden hatte, und der Marsch vom 25. nach dem vormaligen Bundeskanzleramt durch die am Leben gebliebenen Mitglieder der SS-Standarte 89, die 1934 den Angriff auf das Bundeskanzleramt ausgeführt hatten – sozusagen eine Rekonstruktion der Tat. Die versammelten Tausende in Klagenfurt hörten einer Ansprache des Stellvertreters des Führers, Rudolf Heß, zu, in Gegenwart der Familien der dreizehn Nationalsozialisten, die wegen Beteiligung am Juli-Putsch gehängt worden waren. Die Klagenfurter Gedenkfeier diente gleichzeitig als Anlaß der feierlichen Vereidigung der kürzlich ernannten Gauleiter der Ostmark.

Vom Standpunkt des Auslandes war die Rede des Reichsministers Heß hauptsächlich bemerkenswert durch die Tatsache, daß er, nachdem er die erste Hälfte seiner Ansprache der erwarteten Lobpreisung der Aufopferung der Männer, Frauen und Jugend Österreichs in ihrem Kampf für Großdeutschland gewidmet hatte, in eine Rechtfertigung für die Besetzung Österreichs und einen Angriff auf die ›lügnerische Auslandspresse‹ und gegen diejenigen, welche die Idee eines neuen Krieges verbreiteten, überging. Die Welt könne glücklich sein, erklärte Heß, daß Deutschlands Führer ein Mann sei, der sich nicht herausfordern lasse. ›Der Führer tut das, was für das Wohlsein seines Volkes notwendig ist, in erhabener Ruhe‹ ... und er setzt sich für den Frieden Europas ein, sogar dann, wenn Provokateure ›unter vollständiger Außerachtlassung der offenbaren Bedrohung des Friedens für gewisse kleine Staaten‹ hinterlistig behaupten, daß er eine Gefahr für den Frieden Europas bedeute.

Der Marsch nach dem vormaligen Bundeskanzleramt,« – nun geht er auf den Putsch vor vier Jahren zurück – »das jetzt die Reichsstatthalterei ist, erfolgte über ganz genau dieselben Straßen und mit genau derselben Zeiteinteilung wie der ursprüngliche Angriff. Die Marschteilnehmer wurden an der Kanzlei von Reichsstatthalter Seyß-Inquart begrüßt, der eine Ansprache hielt und darauf eine Gedenktafel enthüllte.«

Die »Standarte 89« ist jene SS-Einheit, die ursprünglich den Angriff vornahm und nun, vier Jahre später, bei dieser Gelegenheit aufmarschierte.

»Von der Reichsstatthalterei marschierte die Standarte nach dem alten RAVAG-Rundfunkhaus, von dem seinerzeit die falschen Berichte über die Abdankung von Dollfuß gesendet [399] worden waren, und dort wurde eine zweite Gedenktafel enthüllt. Steinhäusl, der gegenwärtige Polizeipräsident von Wien, ist Mitglied der SS-Standarte 89.«

Die Gedenktafel selbst, Hoher Gerichtshof, ist heute zertrümmert, wie so viel hier in Nürnberg; aber wir fanden eine Photographie in der Wiener Nationalbibliothek. Ich möchte diese Photographie, die damals vier Jahre nach dem Putsch aufgenommen wurde, als Beweis vorlegen. Ein Blumenkranz umrahmt die Gedenktafel, und das Hakenkreuz, das Nazi-Symbol, ist deutlich sichtbar in dem Kranz zu sehen. Ich biete diese Photographie mit Kennzeichennummer 2968-PS, US-60 als Beweis an und lege sie vor. Sie werden sie im Dokumentenbuch finden, und ich kenne kein interessanteres und abstoßenderes Dokument. Wir nennen es Zustimmung zum Mord, der vier Jahre nach seiner Verübung gefeiert wird.

Wie die Photographie zeigt, ist auf der Platte zur Erinnerung an diese verruchte Tat zu lesen: »154 deutsche Männer der 89. SS-Standarte traten hier am 25. Juli 1934 für Deutschland an. 7 fanden den Tod durch Henkershand.« Der Gerichtshof wird bemerken, daß die Zahl 154 oben auf der Tafel durch den Nazi-Kranz verdeckt ist, der die Platte umgibt. Ich muß gestehen, daß mich die Tafel und die Photographie, die aufgenommen und sorgfältig aufbewahrt wurde, selbst außerordentlich interessiert. Die für diese Marmorplakette gewählten Worte, und wir können sicher sein, daß sie sorgfältig gewählt wurden, beweisen uns klar, daß die beteiligten Männer nicht nur unzufriedene österreichische Aufrührer waren, sondern Deutsche, Mitglieder einer schon früher bestehenden militärähnlichen Gruppe, die hier für Deutschland antraten. Im Jahre 1934 ließ Hitler den Gesandten Dr. Rieth fallen, weil er das Deutsche Reich grundlos in eine innerösterreichische Angelegenheit hineingezogen hatte. Im Jahre 1938 erklärte sich Deutschland voll Stolz mit dem Mord identisch, beanspruchte das Verdienst davon und übernahm die Verantwortung dafür. Weiterer Beweis im hergebrachten Sinne scheint kaum notwendig.

In der Folge erreichte das Programm einen Höhepunkt in dem Pakt vom 11. Juli 1936. Wenn man die Tätigkeit der Nazi-Verschwörer in Österreich zwischen dem 25. Juli 1934 und November 1937 betrachtet, so fällt besonders das Ereignis vom 11. Juli 1936 auf. Daher möchte ich zunächst die Entwicklung in der zweijährigen Periode Juli 1934 bis Juli 1936 besprechen.

Zuerst weise ich auf die ständigen Bemühungen hin, die gemacht wurden, um Österreichs Unabhängigkeit zu untergraben, wobei die Unterhandlungen und Tätigkeit des Angeklagten von Papen besondere Berücksichtigung verdienen. Der erste zu erwähnende Punkt ist der folgende: Die Nazi-Verschwörer gaben vor, die Unabhängigkeit [400] und Souveränität Österreichs zu achten, trotz der in »Mein Kampf« dargelegten Anschlußziele. Aber tatsächlich arbeiteten sie von allem Anfang an daran, den österreichischen Staat zu zerstören.

Eine dramatische Darstellung der Stellung des Angeklagten von Papen in diesem Zusammenhang ist durch die eidesstattliche Erklärung Herrn Messersmiths gegeben, aus welcher ich bereits zitiere; und ich lese nun auf Seite 9 der englischen Abschrift den zweiten Abschnitt: (1760-PS, US-57)

»Daß die Anschlußpolitik vollkommen unverändert blieb, wurde mir von Franz von Papen bei seiner Ankunft in Wien als Deutscher Gesandter bestätigt. Man wird sich erinnern, daß er diese Ernennung zum Deutschen Gesandten annahm, ob wohl er wußte, daß er für die Erschießung in dem Bartholomäus-Blutbad am 30. Juni ausersehen war. Als er mir protokollgemäß kurz nach seiner Ankunft in Wien einen Besuch abstattete, beschloß ich, daß während dieses Besuches keine Anspielung auf irgend etwas Wichtiges gemacht werden würde, und ich begrenzte die Unterhaltung streng auf nebensächliche Dinge, was ich tun konnte, da er mich in meinem Büro besuchte. Ich betrachtete es als zweckmäßig, meinen Gegenbesuch einige Wochen zu verzögern, um es von Papen klar zu machen, daß ich einerseits nicht mit ihnen sympathisierte, und daß ich andererseits nicht mit den Zielen seiner Mission in Österreich vertraut war. Als ich von Papen in der Deutschen Gesandtschaft besuchte, begrüßte er mich mit den Worten: ›Jetzt sind Sie in meiner Gesandtschaft und ich kann die Unterhaltung führen‹. In nacktester und zynischster Weise fuhr er dann fort, mir zu erzählen, daß ganz Südosteuropa bis zu der türkischen Grenze Deutschlands natürliches Hinterland sei und daß er dazu berufen sei, die deutsche wirtschaftliche und politische Kontrolle über dieses ganze Gebiet für Deutschland zu erleichtern. Er sagte trocken und ungeschminkt, daß das Erreichen der Kontrolle über Österreich der erste Schritt hierzu sei. Er erklärte mit Bestimmtheit, daß er in Österreich sei, um die österreichische Regierung zu untergraben und zu schwächen, und um von Wien aus an einer Schwächung der Regierungen in den anderen Staa ten im Süden und Südosten zu arbeiten. Er sagte, daß er seinen Ruf als guter Katholik ausnützen wolle, um Einfluß auf gewisse Österreicher, wie Kardinal Innitzer, zu diesem Zweck auszuüben. Er sagte, er erzähle mir das, weil die Deutsche Regierung diesem Ziel, Kontrolle über Südeuropa zu erhalten, [401] verpflichtet sei, und insoweit gäbe es nichts, was dies aufhalten könne; und daß unsere eigene Politik und die Politik Frankreichs und Englands nicht realistisch seien.

Nach den Umständen – ich besuchte ihn in der Deutschen Gesandtschaft – mußte ich ihm zuhören. Ich war natürlich vorbereitet, das zu hören, was er mir zu sagen hatte, obwohl ich bereits wußte, wie seine Aufträge waren. Nichtsdestoweniger war ich erschüttert, ihn so kühn zu mir sprechen zu hören, und als er geendet hatte, erhob ich mich und sagte, wie erschüttert ich darüber wäre, daß ein beglaubigter Vertreter eines Staates, von dem man annahm, daß er auf freundlichem Fuße mit Österreich stehe, zugäbe, daß er beabsichtige, sich in Betätigungen einzulassen, um die Regierung, bei der er beglaubigt war, zu untergraben und zu Fall zu bringen. Er lächelte nur und sagte, daß diese Unterhaltung nur zwischen uns sei, und daß er natürlich zu anderen nicht so offen über seine Ziele sprechen würde. Ich bin im Hinblick auf diese Unterhaltung in Einzelheiten gegangen, weil sie kennzeichnend für die unbedingte Offenheit und Unumwundenheit ist, mit der hohe Nazi- Funktionäre von ihren Zielen sprachen.«

Und wieder aus dem gleichen Schriftstück auf Seite 10 lese ich jetzt den Beginn des letzten Absatzes am unteren Ende der Seite:

»An der Oberfläche bestand die deutsche Aktivität hauptsächlich in Bestrebungen, den Beistand von hervorragenden und einflußreichen Männern durch heimtückische Anstrengungen aller Art zu gewinnen, einschließlich der Benutzung der deutschen diplomatischen Mission in Wien, deren Einrichtungen sowie deren Personal. Von Papen, als Deutscher Gesandter, bewirtete häufig und verschwenderisch. Er näherte sich fast jedem Mitglied des österreichischen Kabinetts und erzählte ihnen, wie mehrere von ihnen mir später sagten, daß Deutschland im Laufe der Zeit die Oberhand gewinnen werde und daß sie sich der gewinnenden Seite anschließen sollten, wenn sie sich Macht und einflußreicher Stellungen unter deutscher Kontrolle zu erfreuen wünschten.

Öffentlich und nach außen hin versicherte er natürlich feierlich, daß Deutschland die österreichische Unabhängigkeit achten würde und daß alles, was er wünschte, sei, gewisse Mitglieder der österreichischen Regierung los zu werden, wie den Kanzler Schuschnigg und Starhemberg als Führer der Heimwehr, sowie andere, um sie durch einige ›nationalgesinnte‹ Österreicher zu ersetzen, was natürlich Nazis bedeutete. Von Papens ganzes grundsätzliches Streben war, den Anschluß herbeizuführen.[402] Anfangs 1935 unterrichtete mich der österreichische Außenminister Berger-Waldenegg, daß von Papen im Verlauf einer Unterhaltung bemerkt hatte: ›Ja, Sie haben jetzt Ihre französischen und englischen Freunde und Sie können Ihre Unabhängigkeit ein bißchen länger behalten.‹ Der Außenminister erzählte mir diese Bemerkung natürlich in deutscher Sprache, aber das vorher Gesagte ist eine genaue Übersetzung. Der Außenminister erzählte mir, daß er von Papen erwidert hätte: ›Ich bin glücklich, Ihre eigene Meinung aus Ihrem eigenen Mund zu hören, die sich mit dem deckt, was Ihr Chef gerade in der Saar gesagt hat, und was zu verleugnen Sie sich so große Mühe gegeben haben.‹ Von Papen schien schrecklich verwirrt, als er sich bewußt wurde, was er gerade gesagt hatte, und versuchte seine Feststellungen zu bemänteln. Wie aber Berger-Waldenegg mir sagte, geriet er in immer tieferes Wasser. Unzweifelhaft errang von Papen einigen Erfolg, insbesondere mit Leuten wie Glaise-Horstenau und anderen, die lange den ›großdeutschen‹ Gedanken begünstigt hatten, die aber nichtsdestoweniger über das Schicksal der katholischen Kirche sehr beunruhigt waren. Ohne Gewissensbisse und ohne Bedenken nutzte von Papen seinen eigenen und den Ruf seiner Frau als glühende und ergebene Katholiken aus, um die Befürchtungen dieser Österreicher in dieser Beziehung zu beschwichtigen.«

Darf ich fragen, ob der Gerichtshof eine kleine Pause einschalten will?

VORSITZENDER: Ja, wir wollen uns jetzt für 10 Minuten vertagen.


[Pause von 10 Minuten.]


VORSITZENDER: Der Gerichtshof möchte klarstellen, falls dies nicht schon vorher geschehen ist, daß, falls die Verteidigung wünscht, Fragen an Herrn Messersmith über seine eidesstattliche Erklärung zu stellen, diese Fragen dem Gerichtshof schriftlich unterbreitet werden können. Sie werden Herrn Messersmith zur Beantwortung eingeschickt werden.

FLOTTENRICHTER OTTO KRANZBUEHLER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN DÖNITZ: Ich weiß nicht, ob meine Anfrage bereits durch das erledigt ist, was der Herr Präsident eben bekanntgegeben hat. In der Aussage des Zeugen Messersmith ist der Name des Admirals Dönitz vorgelesen worden. Er erscheint auf Seite 4 der deutschen Übersetzung. Ich möchte den ganzen Absatz vorlesen. Es steht dort:

[403] »Admiral Karl Dönitz war nicht immer geistig ausgeglichen. Er war kein Nationalsozialist, als die Partei zur Macht kam.«


VORSITZENDER: Diese Stelle wurde nicht zu Beweiszwecken verlesen, nicht wahr?

FLOTTENRICHTER KRANZBUEHLER: Nein, nur der Name ist erwähnt worden.

VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß der Name erwähnt wurde, denn dieser Teil der eidesstattlichen Erklärung wurde nicht verlesen.


FLOTTENRICHTER KRANZBUEHLER: Der Name wurde verlesen, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Gut, fahren Sie fort.


FLOTTENRICHTER KRANZBUEHLER:

»Trotzdem wurde er einer der ersten hohen Offiziere von Armee und Flotte und war in vollkommener Übereinstimmung mit der Begriffslehre und den Zielen des Nationalsozialismus.«

Als Einleitung zu diesem Absatz sagte Mr. Messersmith auf Seite 2, der letzte Satz vor der Ziffer 1:

»Unter den Leuten, welche ich öfter sah, und auf welche ich mich bei vielen meiner folgenden Aussagen beziehe, waren folgende...«

Dann erscheint unter Ziffer 16 der Name von Admiral Dönitz. Mein Mandant hat mich informiert, daß er den Namen Messersmith heute zum ersten Male hört, daß er den Zeugen Messersmith nicht kennt, ihn niemals gesehen und niemals mit ihm gesprochen habe.

Ich beantrage daher, den Zeugen Messersmith vor Gericht zu laden, damit er bekannt gibt, wann und wo er den Angeklagten Dönitz gesprochen hat.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat bereits verfügt, daß die eidesstattliche Erklärung als Beweismittel zugelassen wird, daß der Beweiswert der Aussage vom Gerichtshof beurteilt wird und daß die Verteidigung das Recht hat, wenn sie es wünscht, Fragen für ein Verhör Messersmiths vorzulegen.

Selbstverständlich werden die Angeklagten Gelegenheit haben, ihrerseits Aussagen zu machen, wenn sie an die Reihe kommen.

Admiral Dönitz wird dann die im Affidavit enthaltenen Aussagen, wenn er es für richtig hält, bestreiten können.


FLOTTENRICHTER KRANZBUEHLER: Danke.


MR. ALDERMAN: Ich möchte den Gerichtshof auf einen kleinen Fehler, der in einem Satz in der deutschen Übersetzung des Messersmith'schen Affidavits unterlaufen ist, aufmerksam machen.

In die deutsche Übersetzung hat sich das Wort »nicht« hineingeschlichen, obwohl eine Verneinung im Englischen nicht vorkommt.

[404] Die Aussage im Englischen lautet: »I deemed it expedient to delay my return call for several weeks in order to make it clear to von Papen that I had no sympathy with and on the other hand was familiar with the objectives of his mission in Austria.«

Der deutsche Text enthält das Gegenteil: »Und daß ich andererseits nicht mit den Zielen seiner Berufung in Österreich vertraut war.«

Das »nicht« soll im deutschen Text nicht vorkommen.

Das weitere Bestehen der Nazi-Organisation bedeutete ein Programm der Waffenbereitschaft. Die Ränke und Schliche des Angeklagten von Papen stellten nur einen Teil des Gesamtprogramms der Nazi-Verschwörung dar. Gleichzeitig wurde die Nazi-Tätigkeit damals in Österreich gezwungenermaßen unterirdisch fortgesetzt.

Das Affidavit Messersmiths auf Seite 9 und 10 des englischen Textes erklärte folgendes: Ich lese vom letzten Hauptabsatz auf Seite 9:

»Die Nazis, die in dieser Zeitspanne gezwungen waren, im geheimen zu arbeiten, vernachlässigten deshalb doch keineswegs ihre Betätigung. Die Partei war für eine Weile, als Folge der energischen Maßnahmen gegen den Putsch und infolge der öffentlichen Empörung, sehr geschwächt. Mit dem Wiederaufbau wurde jedoch bald wieder begonnen.

Im Oktober 1934 übergab mir der österreichische Außenminister Berger-Waldenegg das folgende Memorandum, das, wie er mir sagte, der österreichischen Regierung von einer Person unterbreitet worden war, die an der Versammlung teilnahm, auf die ich jetzt weiter eingehen werde.«

Ich zitiere nun den ersten Absatz des Memorandums:

»Eine Versammlung der Führer der österreichischen nationalsozialistischen Partei wurde am 29. und 30. September 1934 in Bad Aibling, in Bayern, abgehalten.«

Wir übergehen vier Absätze und fangen mit dem fünften an:

»Die Agenten der deutschen Parteileitung haben Befehl erhalten in allen Bezirken Österreichs Listen von all denjenigen Personen vorzubereiten, die dafür bekannt sind, daß sie die gegenwärtige Regierung tätig unterstützen und mit derselben eng zusammenarbeiten. Sobald die nächste Aktion gegen die Regierung stattfindet, ist gegen diese Leute genau so brutal zu verfahren wie gegen alle anderen Personen – ohne Unterschied der Partei –, die bekannt dafür sind, Gegner des Nationalsozialismus zu sein. In einem Bericht der Parteileiter für Österreich wurden folgende Grundsätze festgelegt:

[405] A) Die Übernahme der Macht in Österreich verbleibt die Hauptaufgabe der österreichischen Nationalsozialistischen Partei. Österreich ist für das Deutsche Reich von viel größerer Bedeutung und größerem Werte als die Saar. Das österreichische Problem ist das Problem. Alle Kampfmethoden sind geheiligt durch das Ziel, dem sie dienen.

B) Wir müssen bei jeder sich bietenden Gelegenheit zum Verhandeln gewillt erscheinen, müssen aber gleichzeitig für den Kampf rüsten. Der neue Kampfabschnitt wird besonders schwerwiegend sein, und diesmal werden zwei Terrorschwerpunkte bestehen, einer entlang der deutschen Grenze und der andere entlang der jugoslawischen Grenze.«

Das ist das Ende des Zitats vom Memorandum.

Nun fahre ich mit dem nächsten Absatz der eidesstattlichen Erklärung fort:

»Die österreichische Legion wurde in Deutschland in Bereitschaft gehalten. Obwohl sie einige Meilen hinter die österreichische Grenze zurückgezogen worden war, blieb sie entgegen der Verpflichtung, sie aufzulösen, unaufgelöst. Die Österreichische Regierung erhielt von Zeit zu Zeit genaue Nachricht darüber, die sie mir zukommen ließ, und ich hatte dieselbe direkte Nachricht von verläßlichen Personen, die von Deutschland nach Wien kamen und die die Legion tatsächlich gesehen hatten.«

Die Tatsache, daß die Nationalsozialistische Partei in Österreich neuerlich organisiert wurde, wird durch einen Bericht von einem österreichischen Nazi selbst bestätigt.

Ich lege als Beweis Dokument 812-PS, US-61 dem Gerichtshof vor. Es enthält drei Teile:

Einen Brief vom 22. August 1939 des damaligen Gauleiters in Salzburg, Rainer, an den Angeklagten Seyß-Inquart, dem damaligen österreichischen Reichsminister. Diesem Brief war ein weiterer Brief Rainers vom 6. Juli 1939 an den Reichskommissar Gauleiter Josef Bürckel angeschlossen.

DR. HANS LATERNSER, MITVERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SEYSS-INQUART: Ich widerspreche der Vorlage der im Beweisstück 812-PS enthaltenen Briefe. Ich kann natürlich insoweit der Vorlage nicht widersprechen, als mit dieser Vorlage bewiesen werden soll, daß diese Briefe tatsächlich geschrieben worden sind. Wenn aber diese Briefe als Beweise für die Richtigkeit des in ihnen enthaltenen Inhalts vorgelegt werden sollen, muß ich insoweit der Verwendung dieser Briefe als Beweis widersprechen, und zwar aus folgendem Grund:

[406] Insbesondere das dritte Dokument ist ein Brief, der, wie aus dem Inhalt hervorgeht, eine gewisse Tendenz innehat, und zwar deswegen, weil mit diesem Brief dargelegt werden soll, wie weit die österreichische NSDAP am Anschluß beteiligt ist. Es soll weiter die führende Rolle der Parteigruppe Rainer-Klausner dargetan werden.

Aus der Tendenz dieses Briefes heraus, die sich aus seinem Inhalt ergibt, kann dieser Brief nicht zum Beweise der in ihm enthaltenen Tatsachen vorgelegt werden, zumal der Zeuge Rainer, der diesen Brief geschrieben hat, als Zeuge zur Verfügung steht und sich, wie ich erfahren habe, in Nürnberg befindet.

Ich fasse also zusammen: Ich widerspreche der Verwertung dieses Briefes insoweit, als mit ihm die Richtigkeit seines Inhaltes bewiesen werden soll, weil hierfür der Zeuge in Nürnberg zur Verfügung steht.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof fordert Herrn Alderman zur Entgegnung auf. Der Gerichtshof hat wohl den Brief noch nicht vorgelegt bekommen?


MR. ALDERMAN: Nein! Es wäre deshalb wohl besser, den Brief zuerst zu lesen, bevor wir die Bedeutung seines Inhalts erörtern.


VORSITZENDER: Berufen Sie sich auf diesen Brief als Beweis für die darin enthaltenen Tatsachen?


MR. ALDERMAN: Ja.


VORSITZENDER: Von wem ist der Brief und an wen ist er gerichtet?


MR. ALDERMAN: Der erste Brief ist von einem gewissen Rainer, dem damaligen Gauleiter in Salzburg, an den Angeklagten Seyß-Inquart, damals Reichsminister für Österreich.

Diesem Brief ist ein anderer Brief vom 6. Juli 1939 von Rainer an den Reichskommissar und Gauleiter Josef Bürckel beigelegt. Diesem Brief fügte Rainer seinerseits einen Bericht über die Ereignisse in der NSDAP Österreichs vom Jahre 1933 bis zum 11. März 1938, dem Tage vor dem Einmarsch in Österreich, bei.

In diesem Zusammenhang möchte ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs noch auf eine andere Angelegenheit lenken, bevor über die Zulassung des Briefes als Beweis entschieden wird.


VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß die Verteidigung die Zulassung dieses Dokuments als Beweis, vielmehr nur dessen Inhalt bekämpft.


MR. ALDERMAN: Ja, zu diesem Punkte führt die Verteidigung an, daß sich Rainer in Nürnberg befindet. Ich nehme an, daß er hier ist. Wir besitzen auch eine eidesstattliche Erklärung Rainers, [407] die besagt, daß das, was in diesem Brief steht, der Wahrheit entspricht. Wir glauben jedoch, daß diese Mitteilungen als zeitgenössische Berichte eines damaligen Parteiführers stichhaltiger sind, als eine heutige Aussage sein würde.


DR. LATERNSER: Ich habe bereits vorgetragen, daß sich aus diesem Briefe selbst ergibt, daß ihm die Tendenz, innewohnt, die Beteiligung der österreichischen Nationalsozialistischen Partei am Anschluß möglichst zu betonen und zu übertreiben.

Ich muß deshalb der Vorlage dieses Briefes als objektives Beweismittel widersprechen, weil er nicht im Gedanken geschrieben worden ist, daß er als Beweisstück vor Gericht benutzt werden würde. Wenn der Zeuge vielleicht gewußt hätte, daß er einmal als Beweismittel vor ein Gericht gelegt wird, dann hätte er den Brief, soweit er seine politische Aktivität erwähnt, wie klar aus diesem Brief hervorgeht, unzweifelhaft anders formuliert.

Wenn der Zeuge, wie ich nicht sicher weiß, sondern nur erfahren habe, sich in Nürnberg befindet, dann müßte in diesem Falle der Grundsatz, der ja in allen Verfahrensordnungen aller Länder enthalten ist, befolgt werden, zumal in diesem Falle Schwierigkeiten, wie sie sich im Falle Messersmith dargetan haben, nicht vorliegen.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß die Briefe zulässig sind. Sie waren an den Angeklagten Seyß-Inquart gerichtet und wurden von ihm empfangen. Der Angeklagte kann den Inhalt dieser Briefe in seiner Aussage bestreiten. Wenn es wahr ist, daß sich Rainer in Nürnberg befindet, so steht es dem Angeklagten frei, einen Antrag auf Vorladung Rainers als Zeugen rechtzeitig beim Gerichtshof einzureichen. Der Angeklagte kann gegen den Inhalt dieser Briefe im Laufe des Beweisverfahrens anläßlich seiner Einvernahme und der des Zeugen Rainer Einwendungen erheben. Die Briefe selbst sind zugelassen.


MR. ALDERMAN: Hoher Gerichtshof! Ich stimme mit dieser Erklärung vollkommen überein. Wäre es damals bekannt gewesen, daß diese Briefe einem Gerichtshof als Beweisstücke vorgelegt würden, so wären sie wohl ganz anders geschrieben worden. Das trifft auf einen großen Teil des Beweismaterials zu, das wir in diesem Prozeß vorlegen werden.

Ich glaube, daß der Photograph, der die Aufnahme der Gedenktafel machte, dieselbe niemals geknipst hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, daß seine Photographie in einem Verschwörungsprozeß als Beweis verwendet werden würde.

Der Brief von Rainer an Bürckel zeigt, daß er aufgefordert wurde, eine kurze Geschichte über die Rolle der Partei zu verfassen. [408] Vielleicht wäre es besser, wenn ich das an den Angeklagten Seyß-Inquart gerichtete Begleitschreiben verlese:

»Lieber Doktor Seyß!

Ich habe Ihren Brief vom 19. August 1939 erhalten, in dem Sie mich ersuchen, Ihnen mitzuteilen, was mir von den Dingen bekannt sei, die unter anderem Gegenstand Ihres Briefwechsels mit Bürckel sind.

Ich will mich mit verschiedenen Redereien und dem, was mir im Laufe der Zeit von verschiedenen Personen zugetragen worden ist, nicht beschäftigen. Es kommt mir im wesentlichen darauf an, mein eigenes Verhalten klarzustellen. Ich wurde am 5. Juli 1939 von Reichskommissar Gauleiter Bürckel telefonisch gefragt, ob ich die Denkschrift des Globus' über die März-Ereignisse besitze. Ich habe ihm mitgeteilt, daß ich diese Denkschrift nicht besitze und auch niemals ein Stück davon besessen habe, daß ich mich auch an der Sache damals nicht beteiligte und auch den Inhalt nicht kenne. Über dienstliche Aufforderung Bürckels habe ich ihm einen Bericht zu treuen Händen zur Verfügung gestellt und dazu einen Begleitbrief vom 6. Juli geschrieben.

Wenn Ihnen nun Bürckel schreibt, daß bestimmte Angaben durch mich bestätigt worden seien, so sehe ich mich genötigt, Ihnen je eine Abschrift des bei mir liegenden Durchschlages dieser beiden in einer einzigen Urschrift hergestellten Schriftstücke ebenfalls zu treuen Händen zur Verfügung zu stellen. Ich setze hiervon unter anderen Bürckel in Kenntnis. Daran knüpfe ich die Erklärung, daß ich außer diesen schriftlichen Ausführungen keinerlei Bestätigungen, Erklärungen oder Beurteilungen über Sie und Ihr Verhalten gegeben habe und daß ich keine Person befugt habe, sich auf Äußerungen von mir zu beziehen.

Ich habe über Sie und meine Meinung von Ihrer Persönlichkeit seit dem Beginn der Zusammenarbeit immer in bestimmter Weise meine Auffassung geäußert und vertreten. Diese meine Auffassung war auch die Grundlage der zwischen Ihnen und mir bestandenen Arbeitsgemeinschaft. Sie hat sich auch durch die Ereignisse im Februar und März nicht geändert, zumal ich in dem politischen Erfolg des 11. März nur eine Bestätigung der Absichten und Gesinnungen erblicke, die zur Zusam menarbeit Sie und mich gleicherweise veranlaßt haben. Was den Globus betrifft, so kennen Sie ja seine Art, die ich immer und in allen Lagen nur von der guten Seite her beurteilt habe. Ich glaube, Sie haben mit Globus schon über das, was zwischen dem 11. März 1933 und jetzt liegt, gesprochen, [409] und ich bin überzeugt, daß er Ihnen, wenn Sie, wie Sie vorhaben, mit ihm über die Sache sprechen werden, alles sagen wird, was er auf dem Herzen hat.

Mit besten Grüßen und Heil Hitler!

Ihr Friedl Rainer.«

Und nun schreibt Rainer seinen Bericht, der diesem Brief beigefügt ist, um zu beweisen, daß die Partei als solche den Ruhm in Anspruch nehmen kann, der ausschließlich einer Person zugeschrieben wird, nämlich Dr. Seyß-Inquart.

Ich weise auf den dritten Absatz der ersten Beilage hin, den Bericht an den Reichskommissar, Gauleiter Josef Bürckel:

»Wir sahen im März und im April, wie aus dieser Sachlage heraus ein unrichtiges Bild von den tatsächlich vorhanden gewesenen Führungsverhältnissen entstand und trotz unserer Bemühungen auch nicht behoben werden konnte. Dies war eine wesentliche Ursache für die verschiedenen Gemütszustände bei Globocnik, der auch gerade von Ihnen hoffte, daß Sie den Anteil der Partei an den Ereignissen vor dem 12. März 1938 beim Führer und auch in der Öffentlichkeit herausstellen würden. Ich selbst habe mich beschränkt, diese mündliche und schriftliche Darstellung an Pg. Heß zu richten und außerdem die Dokumente aus den Märztagen zu sichern. Darüber hinaus habe ich bei jeder mir gebotenen Gelegenheit vom Kampf der Partei gesprochen. Bemühungen, den einer Person, und zwar Dr. Seyß-Inquart, zuviel zugeschobenen Ruhm nun gerechterweise auch auf andere Personen zu verteilen, habe ich nicht unternommen und würde ich auch nicht unternehmen, da ich erstens als Interessent erscheine und andererseits glaube, damit dem Führer auch keine Freude zu machen. Ich bin auch überzeugt, daß Dr. Seyß nicht unlauter gehandelt hat und daß auch der Führer mit der besonderen Bevorzugung seiner Person weniger einen Akt historischer Gerechtigkeit vollziehen will, sondern eben seiner Person selbst gewogen ist. Für den Führer ist es doch ziemlich belanglos, ob diese oder jene Person mehr oder weniger Verdienste auf diesen Teilabschnitt des großen Kampfes der Bewegung sich erworben hat; denn schließlich ist doch alles zum weitaus überwiegenden Teil nur ihm zuzuschreiben; er allein wird vor der Geschichte als der Befreier der Ostmark dastehen. Ich habe es deswegen für richtig gehalten, die gegebene Sachlage hinzunehmen und nach neuen positiven Arbeitsmöglichkeiten in der Partei zu suchen.

Wenn ich aufgefordert werde, ohne persönliche Spitze den Anteil der Partei nach meiner besten Überzeugung darzustellen, [410] so stehe ich jederzeit zur Verfügung. Aus diesem Grunde habe ich auch Ihnen gestern versprochen, neuerdings eine kurze Darstellung für Sie zu liefern und sie Ihnen zu treuen Händen zur Verfügung zu stellen. Ich behalte von diesem Brief und von dieser gedrängten Darstellung die einzig hergestellte Abschrift bei mir.

Heil Hitler!

Rainer e. h.«

Alle diese Beilagen wurden natürlich an den Angeklagten Seyß-Inquart gesandt, und er muß den Inhalt kennen. Es ist eine historische Tatsache, und der Gerichtshof möge es amtlich zur Kenntnis nehmen, daß Seyß-Inquart der ursprüngliche Quisling war. Trotzdem geschah es, daß der Name des norwegischen Seyß-Inquart für die Nachwelt bedeutungsvoll wurde; aber Quislinge bleiben Quislinge.

Der Gerichtshof kann daraus ersehen, daß der Bericht Rainers kaum tendenziös ist, wie der Verteidiger sagt, oder daß dadurch Seyß-Inquarts Anteil am Anschluß geschmälert wurde. Im Gegenteil, er beweist vielmehr, daß Seyß-Inquart doch nicht so wichtig war, als er zu sein glaubte. Trotzdem zollt Rainer Seyß-Inquart viel Anerkennung.

Der Bericht Rainers spricht weiterhin von der Desorganisation der Nazi-Partei in Österreich, sowie ihrem Wiederaufbau.

Ich zitiere nun den zweiten und dritten Absatz des Berichts, der auf Seite 3 und 4 des englischen Textes, des Dokuments 812-PS, US-61 erscheint.

Ich glaube, es befindet sich auf Seite 1 und 2 des deutschen Originalberichtes, das ist der dritte Teil der Beweisurkunde.

»Damit begann der erste Kampfabschnitt, der mit der Julierhebung 1934 endete. Der Entschluß zur Julierhebung war richtig, in der Durchführung steckten viele Fehler. Das Ergebnis war eine völlige Zerschlagung der Organisation, Verlust ganzer Schichten von Kämpfern durch Gefangennahme oder Flucht ins Altreich und im politischen Verhältnis des Deutschen Reiches zu Österreich eine formelle Anerkennung des Bestehens des österreichischen Staates durch die Deutsche Reichsregierung. Mit der Depesche an Papen, in der die Weisung enthalten war, wieder normale Beziehungen zwischen den beiden Staaten herzustellen, war der erste Kampfabschnitt durch den Führer liquidiert und eine neue Methode der politischen Durchdringung begonnen. Über den Auftrag des Führers wurde die Landesleitung München aufgelöst und die Partei in Österreich sich selbst überlassen.

[411] In Österreich war kein anerkannter Führer der Gesamtpartei vorhanden. Es bildeten sich in den neuen Gauen neue Führungen. Der Prozeß wurde immer wieder unterbrochen durch Eingriffe der Polizei, es hatten die Gliederungen untereinander oft keine Verbindung und es standen oft zwei, drei und mehr Führungen nebeneinander. Als erster sichtbarer Sprecher wurde von so ziemlich allen Gauen im Herbst 1934 Ing. Reinthaller (noch von Heß als Landesbauernführer eingesetzt) anerkannt. Dieser versuchte, durch Verhandlungen mit der Regierung eine politische Befriedung herbeizuführen, mit dem Ziele, daß die NSDAP wieder erlaubt und sohin wieder zur politischen Tätigkeit zugelassen werde. Reinthaller begann nebenher den Aufbau der illegalen politischen Organisation, an deren Spitze er Ing. Neubacher gestellt hatte.«

Nun folgen die geheimen Verbindungen zwischen deutschen Regierungsbeamten, einschließlich des Angeklagten von Papen, und österreichischen Nazis; die Verwendung von vorgeschobenen politischen Helfern durch die österreichischen Nazis. Zwei Hauptfaktoren hinsichtlich der Nazi-Organisationen müßten in Betracht gezogen werden:

Erstens, obwohl der Führer dem Anschein nach die österreichischen Nazis sich selbst überlassen hatte – wie aus dem Dokument, das ich soeben vorgelesen habe, hervorgeht – hielten deutsche Regierungsbeamte, einschließlich von Papen, tatsächlich gemäß Hitlers Wünschen geheime Verbindungen mit den österreichischen Nazis aufrecht. Ja, deutsche Regierungsbeamte standen mit Rat und Tat der Organisation der österreichischen Nazis bei.

Zweitens, die österreichischen Nazis blieben eine ungesetzliche Organisation in Österreich und bereiteten sich darauf vor, im kritischen Augenblick Gewalt zu gebrauchen. Aber in der Zwischenzeit hielten sie es für vorteilhaft, sich hinter Persönlichkeiten zu verschanzen, wie z.B. hinter« Seyß-Inquart, dem vermöge seiner Stellung in Österreich auch nicht der Schein einer Ungesetzlichkeit anhaftete.

Herr Messersmith berichtet in seiner eidesstattlichen Erklärung daß er in den Besitz der Abschrift einer Kopie kam, die dieses Nazi-Programm darlegt. Ich zitiere von Seite 8 des Dokuments 1760-PS, US-57:

»Während der zwei Jahre, nach dem Mißerfolg des Putsches vom 25. Juli, blieben die Nazis in Österreich verhältnismäßig ruhig. Es ereigneten sich sehr wenig terroristische Akte während des Restes des Jahres 1934 und, wenn ich mich recht entsinne, auch im Jahre 1935 und dem größeren Teil von 1936.

[412] Diese Untätigkeit stand im Einklang mit Richtlinien von Berlin, wie unmittelbare Beweisstücke bestätigen, die hierüber zu jener Zeit zu meiner Kenntnis gelangten. Frühzeitig im Januar versah mich der österreichische Außenminister Berger- Waldenegg mit einem Dokument, das ich in jeder Hinsicht für richtig hielt und das folgendermaßen lautete: Der Deutsche Gesandte hier, von Papen, wurde dreimal von Kanzler Hitler zu längeren Unterhaltungen gelegentlich seines letzten Besuches in Berlin empfangen, er nahm auch die Gelegenheit wahr, Schacht und von Neurath einen Besuch abzustatten. Während dieser Unterhaltungen wurden die folgenden Richtlinien gegeben:

›Während der nächsten zwei Jahre kann nichts unternommen werden, was Deutschland außenpolitisch Schwierigkeiten bereiten könnte. Aus diesem Grunde muß alles vermieden werden, was den Anschein erwecken könnte, Deutschland wolle sich in die innerpolitischen Angelegenheiten Österreichs einmischen. Kanzler Hitler will somit auch aus diesem Grunde nicht versuchen, in der gegenwärtigen schweren Krisis in der Nationalsozialistischen Partei in Österreich zu intervenieren, obwohl er davon überzeugt ist, daß durch ein Wort von ihm Ordnung in die Partei gebracht werden könnte. Dieses Wort aber will er aus außenpolitischen Gründen um so weniger geben, als er überzeugt ist, daß die für ihn erwünschten Endziele auch über einen anderen Weg erreicht werden können. Natürlich erklärte Kanzler Hitler dem Deutschen Gesandten hier, dies sei nicht als Interesselosigkeit an der Idee der österreichischen Unabhängigkeit anzusehen. Vor allem auch kann Deutschland zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Parteimitglieder aus Österreich zurückziehen und muß daher, ungeachtet der Devisenschwierigkeiten, jede Anstrengung machen, um den verfolgten Nationalsozialisten in Österreich Hilfe zu leisten. Als Ergebnis wurde erreicht: Handelsminister Schacht gab schließlich seine Genehmigung, daß von jetzt an jeden Monat RM. 200000.- für diesen Zweck zur Seite gesetzt werden sollen (Unterstützung von Nationalsozialisten in Österreich). Mit der Kontrolle und Überwachung dieser monatlichen Summe wurde der Ingenieur Reinthaller betraut, der durch die Tatsache seiner Alleinkontrolle der Gelder einen entschiedenen Einfluß auf die Parteianhänger haben würde. Auf diese Weise werde es möglich sein, die zur Zeit vorherrschenden Schwierigkeiten und Spaltungen in der österreichischen Nationalsozialistischen Partei auf die schnellste und einfachste Weise zu beendigen.‹[413] Man gab Herrn von Papen gegenüber auch der Hoffnung Ausdruck, daß die kürzlich gebilligte Gründung von deutschen Ortsgruppen der Nationalsozialistischen Partei in Österreich (die sich aus deutschen Bürgern in Österreich zusammensetzte) so eingerichtet werden könnte, daß es nicht den Anschein habe, daß Deutschland plane, sich in die innerpolitischen österreichischen Angelegenheiten einzumischen.«

Der Bericht des Gauleiters Rainer an den Reichskommissar Bürckel vom Juli 1939 stellt die weitere Geschichte der Partei klar, sowie die Zänkereien in der Führung, die auf den Rücktritt Reinthallers folgten.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 2, S. 385-415.
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