[232] DR. OTTO NELTE, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN KEITEL: Herr Präsident! Sie haben der Verteidigung in der gestrigen Sitzung bekanntgegeben, daß gegen die von der Anklagebehörde zum Zweck der Beweisführung vorgelegten Urkunden schon in diesem Zeitpunkt des Verfahrens Einwendungen erhoben werden sollten, wenn sie solche zu haben glaubt.
Der Herr Hauptanklagevertreter hat gestern eine graphische Darstellung vorgelegt, welche Reichsministerien und sonstige höchste Amts- und Dienststellen der deutschen Reichsregierung zum Gegenstand hatte. Nach Ansicht meines Klienten ist diese Darstellung in folgenden, ihn selbst betreffenden Punkten irrig:
1. Ein Reichsverteidigungsrat hat zu keiner Zeit bestanden. Das Reichsverteidigungsgesetz, das einen Reichsverteidigungsrat für den Fall eines Krieges vorsah, ist nie veröffentlicht worden; es hat niemals eine Sitzung eines Reichsverteidigungsrates stattgefunden. Der Angeklagte Keitel ist daher auch niemals Mitglied eines Reichsverteidigungsrates gewesen.
2. Der Geheime Kabinettsrat, der zufolge der Bestimmungen des Gesetzes vom 4. Februar 1938 errichtet werden sollte, hat niemals bestanden, ist niemals konstituiert worden, hat niemals eine Sitzung abgehalten.
3. Der Angeklagte Keitel war niemals Reichsminister. Er hatte, ebenso wie die Oberbefehlshaber des Heeres und der Marine, lediglich den Rang eines Reichsministers. Er war also auch niemals Reichsminister ohne Geschäftsbereich. Er hat an keiner beratenden Kabinettssitzung teilgenommen.
Ich. bitte um Bekanntgabe der Ansicht des Gerichts, ob diese Einwendungen im jetzigen Zeitpunkt des Verfahrens Gegenstand der Prüfung sein können, oder ob sie einem späteren Zeitpunkt vorbehalten bleiben sollen.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof entscheidet, daß die Dokumente zugelassen werden; doch können die Angeklagten später Beweise erbringen, die sich auf diese Dokumente beziehen. Die Angeklagten brauchen zu diesem Zeitpunkt keinen Einspruch zu erheben, doch können sie später Umstände vorbringen, die für die Beurteilung der Urkunden von Bedeutung sind.
DR. DIX: Darf ich mir eine Frage an das Hohe Gericht erlauben:
Wir haben jetzt teilweise die Schriftsätze und Dokumente einsehen können, welche gestern dem Gericht überreicht wurden.
[232] Hierbei haben wir festgestellt, daß sich bei den Urkunden auch Dokumente befinden, die weder ganz zitiert, noch als solche gestern dem Gericht von dem Herrn Vertreter der Anklage vorgelegt worden sind. Meine Frage geht nun dahin: Soll der Inhalt, der ganze Inhalt aller Dokumente, die dem Gericht vorgelegt worden sind, die Grundlage für die Entscheidung des Gerichts bilden, auch wenn der Herr Vertreter der Anklage, der sie vorlegte, auf sie inhaltlich gar nicht Bezug genommen hat?
Mit anderen Worten, müssen wir die gesamten Dokumente, welche dem Gericht vorgelegt worden sind – auch wenn mündlich auf sie nicht Bezug genommen worden ist – als Urteilsgrundlage auffassen, und sie deshalb prüfen, ob die Angeklagten irgendwelche Einwände gegen sie zu erheben haben?
Schließlich möchte ich das Hohe Gericht fragen, ob der gesamte Inhalt sämtlicher Dokumente, welche gestern dem Gericht vorgelegt worden sind und in Zukunft eventuell noch vorgelegt werden, von uns als Urteilsgrundlage aufzufassen sind, auch dann, wenn die Anklagebehörde, deren Inhalt nicht wörtlich oder inhaltlich vorgetragen oder sonst auf sie Bezug genommen hat.
VORSITZENDER: Jede Urkunde, die vorgelegt wird, wird ein Teil des Protokolls und liegt dem Gerichtshof als Beweismaterial vor. Doch steht es den Angeklagten frei, irgendeinen Teil einer Urkunde zu kritisieren oder Bemerkungen dazu zu machen, sobald ihr Fall vorgetragen wird.
DR. DIX: Danke! Damit ist die Frage klargestellt.
VORSITZENDER: Ich möchte drei Bekanntmachungen im Namen des Gerichtshofs machen:
Die erste ist folgende: Der Gerichtshof wird diesen Samstag keine Sitzung abhalten, damit den Verteidigern mehr Zeit zur Prüfung der Urkunden und der bisherigen Ausführungen zur Verfügung steht. Das ist der erste Punkt.
Zweitens wünscht der Gerichtshof, daß alle Anträge und Gesuche, soweit tunlich, schriftlich gemacht werden, sowohl von der Anklage als auch von der Verteidigung. Es gibt natürlich Fälle – so wie heute vormittag – in denen Anträge und Gesuche zur Erläuterung besser mündlich gestellt werden; soweit es jedoch angängig ist, wünscht der Gerichtshof, daß sie schriftlich sowohl von der Anklage als auch von der Verteidigung eingereicht werden.
Zum anderen wünscht der Gerichtshof, folgende Bemerkung an die Anklagevertreter zu richten: Es wäre dem Gerichtshof und möglicherweise auch der Verteidigung dienlicher, wenn ihre Schriftsätze und Dokumentenbücher dem Gerichtshof vorgelegt würden, bevor der Anklagevertreter den entsprechenden Teil [233] des Falles vorzutragen beginnt, so daß dem Gerichtshof Schriftsätze und Dokumentenbücher vorliegen, wenn der Anklagevertreter dem Gerichtshof den sich darauf beziehenden Teil des Falles darlegt. Weiterhin wäre es dem Gerichtshof angenehm, sofern dies den Anklagevertretern genehm ist, wenn der Anklagevertreter eine kurze, keine eingehende, Erklärung der Dokumente, die er gerade vorlegt, gäbe und die Aufmerksamkeit auf jene Stellen in den Dokumenten lenkt, auf die er besonders hinweisen will.
Ich bitte nun den Hauptanklagevertreter der Vereinigten Staaten, in seinen Ausführungen fortzufahren.
OBERST STOREY: Hoher Gerichtshof! Gestern nachmittag schienen einige Fragen über die Identifizierung von Dokumenten, die dem Gerichtshof als Beweismaterial vorgelegt wurden, noch offen zu sein. Ich will sie deshalb mit Erlaubnis des Gerichtshofs numeriert vorlegen, damit sie der Gerichtssekretär in sein Protokoll aufnehmen und identifizieren kann.
Die Vereinigten Staaten, die jedes dieser Dokumente als Beweisstück einführen, ersuchen darum, daß sie als Beweismaterial der Vereinigten Staaten Amerikas angenommen und vermerkt werden mit der Maßgabe, daß die Verteidiger später ihre Einwände geltend machen können. Wenn Sie damit einverstanden sind, so lege ich als erstes vor:
US-1. Die eidesstattliche Erklärung von Major William H. Coogan über die Erbeutung, Bearbeitung und Beglaubigung von Dokumenten zusammen mit der Erklärung von Robert G. Storey.
US-2, 2903-PS; die Tabelle der Nazi-Parteigliederung mit den Beglaubigungsbestätigungen.
US-3, 2905-PS; die Tabelle des Nazi-Staates mit den Beglaubigungsbestätigungen.
US-4, 2836-PS; die Originalaussage des Angeklagten Göring über die von ihm innegehabten Stellungen.
US-5, 2829-PS; dasselbe bezüglich des Angeklagten Ribbentrop...
VORSITZENDER: Sollte nicht die Numerierung dieser Dokumente durch den Generalsekretär erfolgen?
OBERST STOREY: Ja, das ist richtig. Wir erklären uns damit einverstanden, doch hat der Herr Generalsekretär darauf hingewiesen, daß es nicht so im Protokoll festgelegt war. Wir haben eine vollständige Tabelle, die jedes Dokument mit seiner Zahl enthält; und mit Zustimmung des Grichtshofs will ich diese Tabelle, die eine Aufzählung aller Beweisstücke, die gestern vorgelegt wurden, enthält, dem Gerichtshof übergeben.
VORSITZENDER: Wir bevollmächtigen den Generalsekretär, die Dokumente in derselben Nummernfolge zu übernehmen.
[234] OBERST STOREY: Danke.
Die obenerwähnte Tabelle enthält folgende Bezeichnungen und Nummern:
US-1. Major Coogans eidesstattliche Erklärung mit der Erklärung von Oberst Storey.
US-2, 2903-PS; Tabelle der Nazi-Parteigliederung mit den Beglaubigungspapieren.
US-3, 2905-PS; die Tabelle des Nazi-Staates mit den Beglaubigungspapieren.
US-4, 2836-PS; die Originalaussage des Angeklagten Göring über seine Amtsfunktionen.
US-5, 2820-PS; die Originalaussage des Angeklagten Ribbentrop über seine Amtsfunktionen.
US-6, 2851-PS; die Originalaussage des Angeklagten Rosenberg über seine Amtsfunktionen.
US-7, 2979-PS; die Originalaussage des Angeklagten Frank über seine Amtsfunktionen.
US-8, 2978-PS; die Originalaussage des Angeklagten Frick über seine Amtsfunktionen.
US-9, 2975-PS; die Originalaussage des Angeklagten Streicher über seine Amtsfunktionen.
US-10, 2977-PS; die Originalaussage des Angeklagten Funk über seine Amtsfunktionen.
US-11, 3021-PS; die Originalaussage des Angeklagten Schacht über seine Amtsfunktionen.
US-12, 2887-PS; die Originalaussage des Angeklagten Dönitz über seine Amtsfunktionen.
US-13, 2888-PS; die Originalaussage des Angeklagten Raeder über seine Amtsfunktionen.
US-14, 2973-PS; die Originalaussage des Angeklagten von Schirach über seine Amtsfunktionen.
US-15, 2974-PS; die Originalaussage des Angeklagten Sauckel über seine Amtsfunktionen.
US-16, 2965-PS; die Originalaussage des Angeklagten Jodl über seine Amtsfunktionen.
US-17, 2910-PS; die Originalaussage des Angeklagten Seyß-Inquart über seine Amtsfunktionen.
US-18, 2980-PS; die Originalaussage des Angeklagten Speer über seine Amtsfunktionen.
US-19, 2972-PS; die Originalaussage des Angeklagten von Neurath über seine Amtsfunktionen.
US-20, 2976-PS; die Originalaussage des Angeklagten Fritzsche über seine Amtsfunktionen.
[235] Dokumentenbücher
US-A Gemeinsame Ziele, Methoden und Doktrinen der Verschwörung.
US-B Die Erlangung der totalitären Kontrolle über Deutschland.
Politisch: Die erste Phase; Erlangung der Kontrolle.
US-C Festigung der Kontrolle, Nutzbarmachung und Überwachung des politischen Apparates.
US-F Säuberung von politischen Gegnern; Schreckensherrschaft.
US-G Zerschlagung von Gewerkschaften und Erlangung der Kontrolle über die Produktions- und Arbeitsfähigkeit Deutschlands.
US-H Unterdrückung der christlichen Kirchen in Deutschland.
US-I Aufnahme und Veröffentlichung des Judenverfolgungsprogramms.
Hoher Gerichtshof! Justice Jackson machte mich darauf aufmerksam, daß wir etwas übersehen haben, als wir diese Beweisstücke im Namen der Vereinigten Staaten gestern vorlegten; natürlich geschieht diese Vorlage im Namen und im Interesse aller Nationen, die an diesem Fall mitarbeiten.
VORSITZENDER: Das ist selbstverständlich.
MAJOR WALLIS: Hoher Gerichtshof! Als wir gestern nachmittag die Verhandlung vertagten, war ich dabei, die verschiedenen Methoden zu beschreiben, mit denen diese Verschwörer totalitäre Kontrolle über Deutschland erlangten. Heute morgen möchte ich dieses Thema fortsetzen und werde zunächst die Umschaltung der Schulen und Erziehung der Jugend erörtern. Der Anregung des Gerichtshofs folgend lege ich ein Dokumentenbuch als US-D vor und möchte den Gerichtshof darauf aufmerksam machen, daß dieses Buch Uebersetzungen der Dokumente enthält, auf die wir diesen Teil unseres Falles stützen. Diese Dokumente enthalten deutsche Schriftstücke, deutsche Reden der Angeklagten und anderer Nazi-Führer, die unserer Auffassung nach unbedingt vom Gerichtshof amtlich zur Kenntnis genommen werden müssen. Im Schriftsatz, den wir zur Unterstützung des Gerichtshofs im Zusammenhang mit diesem Thema überreichen, sind jene Teile der Urkunden, auf die wir die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs lenken wollen, entweder genau zitiert oder es ist eine bestimmte Seitenzahl der Urkunden angegeben.
Während der ganzen Vorkriegszeit wurde nun die Nation psychologisch auf den Krieg vorbereitet. Einer der wichtigsten Schritte war die Umgestaltung des Erziehungssystems, welches die Jugend ihrem Willen gefügig machen sollte. Hitler gab diese Absicht im November 1933 öffentlich bekannt, und ich zitiere aus Dokument 2455-PS; er sagte:
[236] »Wenn der Gegner erklärt, ich gehe doch nicht zu Euch, und Ihr könnt mich auch nicht dazu bekom men, so sage ich ganz ruhig: ›Dein Kind gehört uns bereits heute. Ein Volk lebt ewig. Was bist Du? Du vergehst, aber Deine Nachkommen stehen schon im neuen Lager. Sie werden in kurzer Zeit garnichts anderes mehr kennen, als diese neue Gemeinschaft.‹«
Weiter sagte Hitler im Mai 1937, und ich zitiere hier aus Dokument 2454-PS: »Und dieses neue Reich wird seine Jugend niemandem geben, sondern sie selbst in seine Erziehung und in seine Bildung nehmen.«
Die ersten Schritte, die deutschen Schulen zu Werkzeugen für das Erziehungssystem der Nazis zu machen, waren zwei Erlasse vom Mai 1934, mit denen das Reichsministerium für Erziehung und Volksbildung gegründet, die Kontrolle über die Erziehung den örtlichen Behörden entzogen und absolute Vollmacht über alle Fragen der Erziehung dem Reich übertragen wurde. Diese Erlasse sind in den Dokumenten 2078-PS, 2088-PS, 2392-PS festgehalten. Späterhin wurden die Lehrplane und die Organisation der deutschen Schulen und Universitäten durch eine Reihe von Erlassen abgeändert, um aus diesen Schulen wirksame Instrumente für die Erziehung in der Nazi-Ideologie zu machen.
Das Berufsbeamtengesetz vom Jahre 1933, das gestern als Beweisdokument vorgelegt wurde, ermöglichte es den Nazi-Verschwörern, alle deutschen Lehrer neuerlich einer gründlichen Prüfung zu unterziehen und alle »schädlichen und unwürdigen Elemente« – schädlich und unwürdig im Nazi-Sinne – zu entlassen. Viele Lehrer und Professoren, hauptsächlich Juden, wurden entfernt und durch Lehrer ersetzt, die vom nationalsozialistischen Geiste durchdrungen waren. Alle Lehrer mußten in den NS-Lehrerbund eintreten, einen Verband, dem es oblag, alle Lehrer in den Theorien und Doktrinen der NSDAP zu unterweisen. Dies ist in Dokument 2452-PS festgehalten. Das Führerprinzip wurde in Schulen und Universitäten eingeführt. Ich beziehe mich hier auf Dokument 2393-PS.
Außerdem ergänzten die Nazi-Verschwörer das Schulsystem durch die Ausbildung in der Hitlerjugend. Das Hitlerjugend-Gesetz, das in Dokument 1392-PS dargestellt ist, bestimmt:
»Die gesamte deutsche Jugend ist außer in Elternhaus und Schule in der Hitlerjugend körperlich, geistig und sittlich im Geist des Nationalsozialismus zum Dienst am Volk und zur Volksgemeinschaft zu erziehen.«
Im Jahre 1925 wurde die Hitlerjugend durch die Nazi-Partei offiziell anerkannt und wurde Jugendabteilung der SA. Im Jahre 1931 wurde der Angeklagte Schirach Reichsjugendführer der NSDAP mit dem Range eines SA-Gruppenführers. Ich beziehe mich[237] hier auf Dokument 1458-PS. Im Juni 1933 wurde der Angeklagte Schirach zum Reichsjugendführer ernannt, und ich beziehe mich hier auf das gleiche Dokument 1458-PS. Auf Anordnung des Angeklagten von Schirach lösten die Nazi-Verschwörer im selben Monat alle anderen Jugendorganisationen auf oder übernahmen sie, und zwar unter Anwendung von Gewalt.
Der Angeklagte Schirach löste mit Erlaß vom 22. Juni 1933 den Reichsausschuß der Deutschen Jugendverbände auf und übernahm dessen Eigentum. Ich beziehe mich hier auf Dokument 2229-PS.
Mit ähnlichen Erlassen, die alle im Dokumentenbuch zu finden sind, wurden alle Jugendorganisationen in Deutschland aufgelöst. Danach führten die Nazi-Verschwörer die Zwangsmitgliedschaft in der Hitlerjugend ein. Ich beziehe mich hier auf Dokument 1392-PS.
Die Hitlerjugend war vom Beginn an eine Formation der Nazi-Partei. Auf Grund des Jugendgesetzes vom Jahre 1936, das die Zwangsmitgliedschaft in der Hitlerjugend einführte, wurde sie ein Organ der Reichsregierung unter Beibehaltung ihrer Stellung als Formation der Nazi-Partei. Dies ist im Dokument 1392-PS festgehalten. Im Jahre 1940 belief sich die Mitgliederzahl der Hitlerjugend auf über sieben Millionen (Dokument 2435-PS). Mit Hilfe der Hitlerjugend erfüllten die Nazi-Verschwörer die Jugend mit dem Geist ihrer Weltanschauung. Die Idee der Herrenrasse und der Antisemitismus, einschließlich tätlicher Angriffe auf Juden, wurden in dem Erziehungsprogramm systematisch gelehrt (Dokument 2436-PS). Die Hitlerjugend brachte den jungen Menschen bei, daß Krieg eine edle Beschäftigung sei (Dokument 1458-PS). Eine der wichtigsten Funktionen der Hitlerjugend war die Vorbereitung der Jugend für die Mitgliedschaft in der Partei und ihren Gliederungen. Die Hitlerjugend war die Stelle, der die gründliche vormilitärische und militärische Ausbildung der Jugend oblag (Dokument 1850-PS). Neben der allgemeinen militärischen Ausbildung gab es auch eine besondere Ausbildung in Sonderformationen, darunter Fliegerformationen, Marineformationen, Kraftfahrformationen, Nachrichtentruppen und anderen.
Sämtliche Einzelheiten mit den angeschlossenen Dokumenten beweisen die von den Nazi-Verschwörern angewandten Methoden zur Abänderung des Erziehungssystems, an dessen Stelle die Hitlerjugend trat, um die deutsche Jugend dem Nazi-Willen gefügig zu machen und sie auf den Krieg vorzubereiten. Sie sind in dem vorgelegten Dokumentenbuch und dem beigefügten Schriftsatz dargestellt.
Und jetzt möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf die Waffe der Propaganda richten, die Während dieser Zeit angewendet wurde, und zu diesem Zwecke unter breite ich das Beweisstück E der Vereinigten [238] Staaten zusammen mit einem Schrittsatz. Dieses Dokument und die Schriftsätze...
VORSITZENDER: Sind Abschriften dieser Dokumente den Verteidigern überreicht worden?
OBERST STOREY: Soviel ich weiß, sind sie an das Informationsbüro der Verteidiger gesandt worden. Ich kann jedoch sagen, daß wir von morgen an die Dokumente für alle Beteiligten im voraus haben werden, sowohl für den Gerichtshof als auch für die Verteidiger.
VORSITZENDER: Sehr gut.
MAJOR WALLIS: Dieses Dokumentenbuch und der dazugehörige Schriftsatz trägt den Titel »Propaganda, Zensur und Überwachung der Kulturtätigkeit«.
Während dieser Zeit war die Propaganda eine der stärksten Waffen der Verschwörer. Von Anfang an waren sie sich dessen bewußt, daß es ihre dringendste Aufgabe sei, den deutschen Massen die nationalsozialistischen Prinzipien und Ideen einzutrichtern.
Die ersten Äußerungen Hitlers und seiner Mitverschwörer beweisen, daß sie klar erkannten, ihre Machtstellung könne nur aufrechterhalten werden, wenn ihre politischen und sozialen Ansichten allgemein anerkannt würden.
Sofort nach der Machtübernahme begannen die Nazi-Verschwörer ein energisches Programm für eine großangelegte Organisation, indem sie die Kontrolle über die Ausdrucksmittel der öffentlichen Meinung an sich rissen. Die ausgedehnte Anwendung von Propaganda durch diesen so geschaffenen mächtigen Apparat war auch die Schlüsselstellung für die Kontrolle über alle Zweige der deutschen, öffentlichen und privaten Wirtschaft. Sie erklärten, der Hauptzweck der Propaganda sei die psychologische Vorbereitung des Volkes für politische Aktionen und militärische Angriffe, eine Garantie für eine allgemeine Zustimmung zu einem System, das als Grundlage ein dauerndes und ununterbrochenes Verfahren des Terrors zur Anwendung brachte, sowohl auf dem Gebiet der Innenpolitik als auch hinsichtlich der Auslandsbeziehungen.
Um dies zu erreichen, wurde eine Propaganda geschaffen, die gewisse Gedankenschemen erzeugen sollte, damit das Volk den Zielen und dem Programm der Nazis gefügig gemacht und größtmögliche aktive Teilnahme daran bewirkt werden sollte. Das Wesen dieser Propaganda wird im Rahmen dieses Verfahrens untersucht werden. Wie Goebbels es ausdrückte, war ihr Zweck »die Eroberung der Massen«. Die Absicht war, jeden ernsten Widerstand der Massen auszuschalten. Um dies zu erreichen, waren, wie spätere Beweise zeigen werden, die Nazi-Verschwörer völlig skrupellos in der Wahl ihrer Mittel. Sie kümmerten sich überhaupt [239] nicht um Wahrhaftigkeit und legten ihre Ziele nur so weit dar, als es ihnen politisch zweckmäßig erschien und ihrem nationalen Interesse diente.
Da die Propaganda nur Mittel zum Zweck der »Eroberung der Massen« war, mußte zu verschiedenen Zeiten eine verschiedenartige Strategie angewendet werden, je nach den Zwecken, auf die es den Nazi-Verschwörern gerade ankam. Wie Hitler sagte, ist »die erste Aufgabe der Propaganda, das Volk für die zukünftige Organisation zu gewinnen«.
Die Werbung von Mitgliedern der Partei und von ihr kontrollierter Gliederungen wurden Hauptzweck in den Jahren vor und unmittelbar nach der Machtergreifung. Nach der Machtübernahme wurde diese Aufgabe ausgedehnt, um das ganze Volk zur aktiven Unterstützung der Regierung und ihrer Politik zu mobilisieren. Wie der Reichspropagandaleiter der Partei und Reichspropagandaminister Goebbels sagte:
»Propaganda ist die stärkste Waffe bei der Eroberung des Staates und bleibt die stärkste Waffe bei der Konsolidierung und dem Aufbau des Staates.«
Die Methoden, die angewandt wurden, um diese stärkste Waffe der Staatsmacht zu kontrollieren, sind in einer Tabelle dargestellt, auf die ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs hinlenken und als Beweisstück US-21 vorlegen möchte.
Wie Sie aus dieser Tabelle ersehen, gab es drei besondere Kontrollstufen innerhalb des Deutschen Reiches.
Die erste Stufe war die Parteikontrolle, die im obersten Rechteck der Tabelle zu ersehen ist, wonach die Partei durch ihre Prüfungskommission Bücher und Zeitschriften kontrollierte und Bücher und Zeitschriften herausgab, welche die Ideologie der Partei enthielten. Der Reichsleiter für die Presse, im zweiten Rechteck der Tabelle, überwachte alle Verleger und stand an der Spitze aller Parteizeitungen und Buchverleger.
Das dritte Rechteck weist auf den Reichs-Pressechef hin; dieses Amt kontrollierte die gesamte politisch-publizistische Arbeit der Presse, das Personalbüro der Parteipresse und überwachte die Parteiangelegenheiten in der Presse.
Im mittleren Rechteck ist das Amt des Reichspropagandaleiters dargestellt, das nicht nur die Presse unter sich hatte, sondern Ausstellungen, Vorträge, Filme, Rundfunk und Kultur, sowie alle Ausdrucksmittel der öffentlichen Meinung, durch die man die Ideologie und die Ziele der Partei verbreiten konnte.
Das nächste Rechteck bezieht sich auf den Beauftragten für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Erziehung mit dem Angeklagten Rosenberg an der Spitze. Er lieferte [240] alles Erziehungsmaterial, bereitete die Stundenpläne für die Schulen vor und die Belehrung des Volkes in der Nazi-Ideologie. Auf der gleichen Stufe steht das Amt für Jugenderziehung unter dem Angeklagten von Schirach, der die Hitlerjugend unter seiner Kontrolle hatte, und schließlich die Universitäts-, Studenten-und Lehrerabteilung unter der Parteikontrolle.
Auf der nächsten Stufe sind die vom Staat ausgeübten Kontrollen: Von links nach rechts haben wir die Propaganda-Gleichschaltung, die Gleichschaltung der auswärtigen Angelegenheiten, die Radiozusammenarbeit unter der Kontrolle des Angeklagten Fritzsche. Film, Literatur, die deutsche Presse, Zeitschriften, Theater, Kunst und andere Kulturangelegenheiten sowie das Unterrichtsministerium.
Auf der letzten Stufe haben wir die Verbandskontrollen, die unter der halboffiziellen Kontrolle der Partei und des Staates standen. Dies sind die sogenannten Kulturkammern. Ihr Zweck war, eine vollständige Kontrolle über die Mitglieder auszuüben, die sich mit den verschiedenen Künsten und Kulturtätigkeiten, sowie mit der Vorbereitung und Verbreitung von Nachrichten befaßten. Das erste war die Presse, der sämtliche Journalisten und Schriftsteller angehörten; die nächste Abteilung umfaßte die bildenden Künste, Musik, Theater, Film, Literatur und Rundfunk.
Weiter nach rechts in der Erziehungsabteilung steht die Organisation der Universitätsprofessoren und der Studenten; der Alte Herren-Bund gehörte ebenfalls dazu.
Mittels dieser großen Propagandamaschinerie hatten die Nazi-Verschwörer absolute Kontrolle über Ausdruck und Verbreitung sämtlicher Gedanken, über Kulturtätigkeiten und Verbreitung von Nachrichten im Reiche. Nichts wurde oder konnte in Deutschland veröffentlicht werden, das nicht die Zustimmung – ausdrücklich oder stillschweigend – der Partei oder des Staates hatte. In seinen persönlichen Aufzeichnungen hat der Angeklagte Schacht die Wirkung, die die Unterdrückung einer Neuigkeit innerhalb einer totalitären Diktatur hatte, erklärt. Wie er sagte, ist es nie öffentlich bekannt geworden, daß es unter dem Hitler-Regime Tausende von Märtyrern gab. Alle verschwanden in Zellen oder Gräbern der Konzentrationslager, und man hörte nie wieder von ihnen. Er sagt weiter:
»Was nützt Märtyrertum im Kampf gegen Terror, wenn es nicht bekannt werden, und wenn es auf diese Weise nicht als Beispiel für andere dienen kann?«
VORSITZENDER: Bevor Sie von diesem Thema abgehen –, auf den Dokumenten ist eine Notiz, aus der hervorgeht, daß bestimmte Dokumente fehlen. Was heißt das? 1708,
2030?
[241] MAJOR WALLIS: Diese Dokumente werden vervielfältigt und werden dem Gerichtshof, wie ich hoffe, vor Ende des Tages unterbreitet werden. Sie müssen diesem Buch hinzugefügt werden, sie sind aber bis jetzt in der Vervielfältigungsabteilung noch nicht fertig geworden.
VORSITZENDER: Danke, sind sie schon übersetzt?
MAJOR WALLIS: Ja, sie sind schon übersetzt, und die Übersetzungen werden eben vervielfältigt.
VORSITZENDER: Sind diese Dokumente im Original in deutscher Sprache?
MAJOR WALLIS: Ja, ich glaube.
VORSITZENDER: Sehr gut.
MAJOR WALLIS: Ich möchte jetzt den Gerichtshof auf die Militarisierung der von den Nazis beherrschten Organisationen in der Vorkriegszeit aufmerksam machen. Zu diesem Zweck lege ich US-J vor, welches aus einem Dokumentenbuch mit englischen Übersetzungen besteht. Weiter lege ich dem Gerichtshof zu diesem Teil des Falles einen Schriftsatz vor.
Während der ganzen Vorkriegszeit und während die Nazi-Verschwörer totalitäre Kontrolle über Deutschland gewannen und fest begründeten, verloren sie ihr Hauptziel nie aus den Augen, nämlich den Angriffskrieg. Zu diesem Zweck stellten sie eine große Anzahl der von ihnen beherrschten Organisationen auf eine immer fortschreitende militärische Basis, um die Organisationen so schnell wie möglich – wenn notwendig – für Kriegszwecke umzuschalten. Diese Organisationen waren die SS, die SA, die Hitlerjugend, das NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahr-Korps), das NSFK (Nationalsozialistisches Flieger-Korps), der RAD (Reichsarbeitsdienst) und die OT (Organisation Todt).
Wie diese Militarisierung durchgeführt wurde, ist in ihren Einzelheiten, teilweise in den dem Gerichtshof vorgelegten Dokumenten, dargestellt und wird weiterhin noch ausführlicher beschrieben werden, wenn die einzelnen Organisationen besprochen und ihr verbrecherischer Charakter in einem späteren Stadium des Prozesses bewiesen werden wird.
Jetzt möchte ich den Gerichtshof auf eine weitere Tabelle aufmerksam machen; und während sie an die Wand gehängt wird, möchte ich US-22, 2833-PS vorlegen; es ist eine Nachbildung der Seite 15 der Schrift: »Das Gesicht der Partei«.
In der linken unteren Ecke der Tabelle, die aufgehängt worden ist, werden Sie einige Papiere angeheftet sehen. das oberste ist eine eidesstattliche Erklärung folgenden Inhalts:
[242] »Ich bestätige, daß die obige Vergrößerung eine genaue und richtige, unter meiner Aufsicht ausgeführte Kopie des Dokuments 2833-PS, Seite 15 der Schrift ›Das Gesicht der Partei‹ ist.«
Und Sie werden sehen, daß sich darunter ein zweiter Zettel befindet. Diese eidesstattliche Erklärung, die in der Unken unteren Ecke erscheint, besagt, daß es sich um eine genaue Photokopie handelt. Diese eidesstattliche Erklärung ist von David Zablodowsky abgegeben, beschworen und unterschrieben am 23. November 1945 in Nürnberg, Deutschland, vor James H. Johnson, Oberleutnant im Büro des Hauptanklägers für die Vereinigten Staaten.
Diese Tabelle versinnbildlicht so deutlich wie möglich, in welcher Weise die Militarisierung in Deutschland vor sich ging. Sie trägt den Titel:
»Die organische Eingliederung der deutschen Bevölkerung in das Nationalsozialistische System und der Weg zu politischer Führerschaft.«
Vom unteren Ende der Tabelle ausgehend, sehen sie das Jungvolk im Alter von 10-14 Jahren. Die Pfeile weisen nach beiden Seiten links und rechts. Der Pfeil an der rechten Seite weist zur Adolf-Hitler-Schule für Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren. Sowohl von dieser Schule als auch vom Jungvolk führt der Weg in die Hitlerjugend. Mit 18 Jahren gehen sie dann von der Hitlerjugend in die verschiedenen Parteiorganisationen über, die SA, SS, das NSKK und das NSFK. Mit 20 Jahren kommen sie von diesen Parteiformationen in den Arbeitsdienst und, nachdem sie ihre Zeit im Arbeitsdienst abgedient haben, wieder zurück in die Parteiformationen SA, SS, NSKK, NSFK, bis sie das Alter von 21 Jahren erreichen. Dann gehen sie in den Militärdienst, dienen in der Wehrmacht von ihrem 21. bis 23. Lebensjahr und gehen dann abermals in ihre Parteiformationen, SA, SS und andere zurück.
Dann steigen die Auserwählten dieser Gruppen zu politischen Leitern der Nazi-Partei auf; aus dieser Gruppe wird die Elite auserwählt, die später die besonderen Schulen der Nazi-Partei besucht. Aus diesen Schulen gehen schließlich, wie an der Spitze der Karte dargestellt, die politischen Führer des Volkes hervor.
Ich möchte dem Hohen Gerichtshof gegenüber nochmals betonen, daß diese Tabelle nicht für den Gerichtshof vom Anklagevertreter besonders vorbereitet wurde. Sie wurde von der Nazi-Partei entworfen und rührt aus ihrer eigenen Vergangenheit her. So hatten die Nazi-Verschwörer am Ende der Vorkriegszeit einen der größeren Schritte in ihrer gewaltigen Verschwörung vollendet. Alle Phasen des deutschen Lebens wurden von den Nazi-Grundsätzen und Gebräuchen beherrscht und waren auf die Erreichung ihrer [243] Kriegsziele abgestellt. Bis zu welchem Grade dies erreicht war, kann nicht besser ausgedrückt werden, als mit Hitlers eigenen Worten, die er in seiner Reichstagsrede vom 20. Februar 1938 gebrauchte. Ich beziehe mich auf Dokument 2715-PS. Er sagte:
»Auf allen Gebieten unseres nationalen Daseins ist es erst jetzt gelungen, jene wahrhaft großen Aufgaben zu stellen und vor allem aber auch jene materiellen Mittel zu sichern, die für die Verwirklichung großer schöpferischer Pläne die Voraussetzung sind. So hat der Nationalsozialismus in wenigen Jahren nachgeholt und wieder gutgemacht, was zahlreiche Generationen vor ihm gesündigt hatten... Im Nationalsozialismus hat das deutsche Volk jene Führung erhalten, die als Partei die Nation nicht nur mobilisiert, sondern vor allem organisiert hat, und zwar so organisiert, daß auf Grund des natürlichsten Prinzips der Auslese die Fortdauer einer sicheren politischen Führung für immer gewährleistet erscheint.... Der Nationalsozialismus... besitzt ganz Deutschland seit dem Tag, an dem ich als Reichskanzler vor fünf Jahren das Haus am Wilhelmsplatz verließ, und zwar restlos und ausschließlich. Es gibt keine Institution in diesem Staat, die nicht nationalsozialistisch ist. Vor allem aber hat die nationalsozialistische Partei in diesen fünf Jahren nicht nur die Nation nationalsozialistisch gemacht, sondern sich auch selbst jene vollendete Organisation gegeben, die für alle Zukunft die Selbst- und Forterhaltung gewährleistet. Die größte Sicherung dieser nationalsozialistischen Revolution liegt führungsmäßig nach innen und außen in der restlosen Erfassung des Reiches und all seiner Einrichtungen und Institutionen durch die nationalsozialistische Partei. Sein Schutz der Welt gegenüber aber liegt in der neuen nationalsozialistischen Wehrmacht... In diesem Reich ist jeder Nationalsozialist, der an irgendeiner verantwortlichen Stelle steht... Jede Institution dieses Reiches steht unter dem Befehl der obersten politischen Führung... Die Partei führt das Reich politisch, die Wehrmacht verteidigt es militärisch... Es gibt niemand an einer verantwortlichen Stelle in diesem Staat, der daran zweifelt, daß der autorisierte Führer dieses Reiches ich bin...«
So sprach Adolf Hitler am Ende dieses Zeitabschnittes, am 20. Februar 1938.
DR. ALFRED SEIDL, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN FRANK: Herr Präsident, darf ich einige kurze Bemerkungen in diesem Zusammenhang machen? Den Angeklagten wurde zusammen mit der Anklageschrift ein Verzeichnis der Urkunden übergeben. In diesem Verzeichnis heißt es einleitend folgendermaßen: »Jedem [244] einzelnen der in der Anklageschrift genannten Angeklagten wird mitgeteilt, daß die Anklagevertretung einige oder sämtliche der in der Anklage aufgeführten Urkunden benutzen wird, um die in der Anklageschrift aufgezählten Punkte zu erhärten.«
Es sind nun von dem Hauptanklagevertreter heute morgen ungefähr 12 Dokumente dem Gericht übergeben worden; es hat sich bei der Durchsicht jenes Verzeichnisses ergeben, daß kein einziges dieser Dokumente darin aufgeführt ist. Wir stehen also jetzt schon, am Anfang des Prozesses, vor der Tatsache, daß Dokumente dem Gericht übergeben werden, von deren Inhalt der Angeklagte nicht nur keine Kenntnis hat, sondern daß Dokumente zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht werden, die nicht einmal in diesem Verzeichnis aufgeführt sind.
Es ist kein einziges dieser Dokumente in dem Verzeichnis aufgeführt, und ich muß Ihnen gestehen, daß unter diesen Umständen eine sachdienliche Verteidigung völlig unmöglich ist. Ich stelle daher den Antrag:
1. Der Gerichtshof möge der Anklagebehörde aufgeben, ein Verzeichnis sämtlicher Dokumente vorzulegen, die während der Beweisaufnahme dem Gericht vorgelegt werden sollen.
2. Der Anklagebehörde möge aufgegeben werden, spätestens an dem Tage, an dem die Dokumente dem Gericht vorgelegt werden, sie in Abschrift den Angeklagten und ihren Verteidigern in deutscher Sprache zugängig zu machen; und
3. die Hauptverhandlung solange auszusetzen, bis die Anklagebehörde in der Lage ist, diese Bedingungen zu erfüllen, da sonst jedenfalls ich mich nicht in der Lage sehe, die Verteidigung weiterzuführen.
VORSITZENDER: Oberst Storey oder die Anklagevertretung, wollen Sie bitte mitteilen, welche Antwort Sie zu diesem Einwand zu erteilen haben?
OBERST STOREY: Hoher Gerichtshof! Erstens ist jedes Dokument, auf das Major Wallis Bezug genommen hat, ein Dokument, von dessen Inhalt der Gerichtshof amtlich Kenntnis nehmen sollte. Zweitens wurde eine Dokumentenliste im Verteidigerraum am 1. November hinterlegt. Ich weiß nicht genau, ob alle diese Dokumente oder nur einzelne davon in dieser Liste enthalten sind. Drittens, jeder Ankläger, der einen Teil der Anklage vorbringt, sendet eine Liste der Dokumente, welche er zum Beweise seines Vorbringens vorzulegen beabsichtigt, hinunter in das Verteidigerbüro. Viertens möchte ich wissen, ob der Gerichtshof und die Verteidigung die damit zusammenhängenden technischen Probleme würdigen. Ich wurde benachrichtigt, daß Kopien dieser Dokumente in englischer Sprache ebenso wie Abschriften der Schriftsätze entweder gestern abend [245] oder heute früh im Verteidigerbüro abgeliefert wurden. Wir werden schließlich in Zukunft bei Vorlage von Dokumenten den Anforderungen des Gerichtshofs nachkommen, nämlich, daß noch vor Vorlage der Gerichtshof und die Verteidigung diese Dokumentenbücher und Schriftsätze im voraus erhalten. Über das Wochenende werden wir imstande sein, das zu besorgen.
VORSITZENDER: Es ist die Meinung des Gerichtshofs, daß die Verhandlung nunmehr ohne jede Vertagung fortgesetzt werden muß, aber daß in Zukunft die Verteidigung so rasch wie möglich mit Kopien von Dokumenten versorgt werden wird, welche als Beweis vorgelegt werden sollen.
DR. ROBERT SERVATIUS, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SAUCKEL: Ich möchte das Folgende vorbringen: Dem Gericht werden die Dokumente auch in englischer Übersetzung vorgelegt. Eine Nachprüfung dieser Übersetzungen sollte für die Verteidigung möglich gemacht werden. Insbesondere könnte die Übersetzung von Fachausdrücken zu Mißverständnissen Anlaß geben.
Außerdem sind die Dokumente mit einer einleitenden Bemerkung und einer Inhaltsangabe versehen. Die Verteidigung sollte die Möglichkeit haben, diese Inhaltsangaben ebenfalls durchzugehen und auf ihre Richtigkeit zu prüfen.
Ich stelle den Antrag, daß zur Einsicht für die Verteidigung diese englischen Übersetzungen und die Vorbemerkungen zugänglich gemacht werden.
VORSITZENDER: Oberst Storey, verstehe ich richtig, daß Sie vorschlagen, der Verteidigung die Verhandlungsschriftsätze, die gewisse Bemerkungen bezüglich der damit verbundenen Dokumente tragen, zugänglich zu machen?
OBERST STOREY: Ganz richtig! Sie wurden und werden noch immer hergestellt und werden weiter während des Wochenendes vervollständigt werden. Soweit mir bekannt ist, war die deutsche Verteidigung bereit, die Schriftsätze in englischer Sprache zu übernehmen, aber wenn eine Übersetzung gewünscht wird, werden ihnen deutschsprechende Beamte im Verteidigerraum zur Verfügung stehen. Ich glaube, daß dem gestern zugestimmt wurde.
VORSITZENDER: Ja.
OBERST STOREY: Hoher Gerichtshof! Darf ich gleichzeitig, um Mißverständnisse im Interesse der Verteidigung auszuschalten, folgendes bemerken; Wenn wir uns auf ein Dokument beziehen, sagen wir 1850-PS, so ist dies Dokument in manchen Fällen Abschrift eines Zitates oder eines Erlasses aus dem Reichsgesetzblatt und daher kein gesondertes Dokument von unserer Seite. Im Verteidigerraum liegt eine genügende Anzahl von Exemplaren des Reichsgesetzblatts auf, und ich kann wohl sagen, daß die Hälfte der [246] Dokumente, auf die Major Wallis in seinen Darlegungen Bezug genommen hat, im Reichsgesetzblatt zu finden ist. Ich versichere dem Hohen Gerichtshof, daß wir über das Wochenende das möglichste tun werden, der Verteidigung alle Informationen zur Verfügung zu stellen, die wir haben, und daß wir dies in Zukunft im voraus tun werden.
VORSITZENDER: Ich danke Ihnen, Oberst Storey.
[Pause von 10 Minuten.]
OBERST STOREY: Hoher Gerichtshof! Als nächstes Thema wird nun Herr Dodd die wirtschaftliche Vorbereitung für den Angriffskrieg vortragen.
MR. THOMAS J. DODD, ANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Hoher Gerichtshof! Herr Vorsitzender und Mitglieder des Gerichtshofs! In Anbetracht der Diskussionen, die hier vor der Pause stattgefunden haben, halte ich es für angemessen, dem Gerichtshof mitzuteilen, daß die Dokumente, auf die ich mich beziehen werde, beziehungsweise eine Liste dieser Dokumente, heute morgen in dem Verteidigerraum hinterlegt wurden, ebenso wie Photokopien der Originale. Es ist meine Aufgabe, im Namen des Hauptanklagevertreters der Vereinigten Staaten von Amerika, Beweis zu erbringen für die Beschuldigungen der Anklageschrift in Abschnitt IV (E) auf Seite 6 der englischen Ausgabe der Anklageschrift und im besonderen vom zweiten Abschnitt von (E) an, der den Titel führt: »Die Erlangung totalitärer Kontrolle der Wirtschaft in Deutschland und die Planung und Mobilmachung der Wirtschaft für einen Angriffskrieg.«
Der zweite Abschnitt:
»2. Sie bedienten sich deutscher Geschäftsorganisationen als Mittel zur wirtschaftlichen Mobilisierung des Krieges.
3. Sie richteten die deutsche Wirtschaft auf die Vorbereitung und Ausrüstung der Militärmaschine aus. Zu diesen Zielen lenkten sie Finanz, Kapitalanlage und Außenhandel.
4. Die Nazi-Verschwörer, und unter ihnen besonders die Industriellen, wandten sich einem riesigen Wiederaufrüstungsprogramm zu und gingen daran, gewaltige Mengen von Kriegsmaterial zu entwickeln und herzustellen und ein mächtiges Kriegspotential zu schaffen.«
Der fünfte Abschnitt derselben Überschrift (E), welcher der letzte ist, der von mir heute morgen zu behandeln ist, lautet:
»Zur Durchführung der Kriegsvorbereitungen richteten die Nazi-Verschwörer eine Reihe von Verwaltungsstellen und [247] -behörden ein. So schufen sie zu diesem Zwecke im Jahre 1936 das Amt zur Durchführung des Vierjahresplans mit dem Angeklagten Göring als Beauftragtem, dem eine allumfassende Kontrollgewalt über die deutsche Wirt schaft eingeräumt wurde. Ferner ernannten sie am 28. August 1939, unmittelbar vor ihrem Angriff auf Polen, den Angeklagten Funk zum Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft, und am 30. August 1939 setzten sie den Ministerrat für die Reichsverteidigung als Kriegskabinett ein.«
Ich will die Zeit des Gerichtshofs nicht damit verschwenden, dasjenige zu beweisen, was die Welt längst weiß: daß die Nazi-Verschwörer Deutschland in großem Stile wieder aufrüsteten. Ich möchte als Beweismaterial die geheimen Aufzeichnungen über die Pläne und Beratungen des inneren Rates der Nazis vorlegen, die beweisen, daß die Neugestaltung der deutschen Regierung, die finanziellen Zauberkünste des Angeklagten Schacht und die Totalmobilisierung der deutschen Wirtschaft, hauptsächlich unter den Angeklagten Schacht, Göring und Funk nur auf ein einziges Ziel gerichtet waren: den Angriffskrieg.
Hier möchte ich dem Gerichtshof das sogenannte Dokumentenbuch überreichen, das die englische Übersetzung des deutschen Originaldokumentes enthält. Ich biete diese Dokumente jetzt noch nicht als Beweis an, sondern zeige sie nur dem Gerichtshof, um es ihm leichter zu machen, der Besprechung der Dokumente zu folgen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch sagen, daß ich etwas später, nachdem ich meinen Vortrag heute morgen beendet habe, einen Schriftsatz zur Unterstützung des Gerichtshofs vorlegen werde.
Die Bedeutung der wirtschaftlichen Maßnahmen, die von den Verschwörern angenommen und angewandt wurden, können nur richtig eingeschätzt werden, wenn sie im größeren sozialen und politischen Zusammenhang Nazi-Deutschlands betrachtet werden. Die Wirtschaftsmaßnahmen wurden zu einem Zeitpunkt ergriffen, als die Verschwörer, wie bereits gezeigt wurde, ihren mächtigen Propagandaapparat auf die Verherrlichung des Krieges einstellten. Sie wurden ergriffen, als die Verschwörer unter dem Vorwand »Leibesübungen« militärische Ausbildung einführten; sie wurden ergriffen, als, wie meine Kollegen zeigen werden, diese Verschwörer drohten, Gewalt zu gebrauchen und Gewaltanwendung planten, um ihre territorialen und politischen Ziele zu erreichen. Kurz gesagt, Hoher Gerichtshof, auf dem Gebiet der Wirtschaft und Regierungsverwaltung stellten diese Maßnahmen dieselben Vorbereitungen für den Angriffskrieg dar, wie sie den Nazi-Staat in jeder Hinsicht beherrschten.
In den Jahren 1939 und 1940, nach den Nazi-Angriffen auf Polen, Holland, Belgien und Frankreich, wurde es der Welt vollständig [248] klar, daß die Nazi-Verschwörer wahrscheinlich das größte Angriffswerkzeug der Geschichte geschaffen hatten. Diese Maschine war in einem Zeitabschnitt von weniger als einem Jahrzehnt fast Vollständig aufgebaut worden. Im Mai 1939 hat Generalmajor Georg Thomas, der frühere Chef des wehrwirtschaftlichen Stabes im Reichskriegsministerium, berichtet, daß die deutsche Wehrmacht wie folgt gewachsen war: Von 7 Infanterie-Divisionen im Jahre 1933 auf 39 Infanterie-Divisionen, darunter, 4 vollmotorisierte und 3 Gebirgs-Divisionen, 18 Generalkommandos, 5 Panzer-Divisionen, 22 Maschinengewehr-Bataillone. Außerdem stellte General Thomas fest, daß sich die deutsche Flotte stark ausgedehnt hätte, da nebst anderen Schiffen zwei 35000 Tonnen große Schlachtschiffe, 4 schwere 10000 Tonnen-Kreuzer und andere Kriegsschiffe vom Stapel gelaufen waren; weiterhin, daß die Luftwaffe auf eine Stärke von 260000 Mann, 21 Luftgeschwader, bestehend aus 240 Staffeln und 33 Flak-Batterien, angewachsen war.
Ferner berichtete er, daß aus den wenigen Fabriken, die durch den Versailler Vertrag genehmigt waren – und ich zitiere aus Dokument EC-28, einem von General Thomas am 24. Mai 1939 im Nazi-Auswärtigen Amt gehaltenen Vortrag, in dem er teilweise sagte oder besser berichtete, daß aus den wenigen Fabriken, die durch den Versailler Vertrag genehmigt waren,
»die mächtigste Rüstungsindustrie entstanden war, die zur Zeit in der Welt besteht. Sie ist zu Leistungen herangewachsen, die teilweise die deutschen Kriegsleistungen erreichen, teilweise sogar übertreffen. Die Rohstahlproduktion Deutschlands ist heute nächst Amerika die größte der Welt, die Aluminiumerzeugung übertrifft die Amerikas und der anderen Staaten der Welt ganz erheblich. Die Fertigungsleistungen unserer Gewehr-, Maschinengewehr- und Geschützfabriken sind zur Zeit größer als die jedes anderen Staates.«
Die angeführte Stelle ist, ich wiederhole, einem Dokument entnommen, das die Nummer EC-28 trägt. Es ist US-760.
Diese Ergebnisse, von denen General Thomas in seinem Vortrag vom Mai 1939 sprach, wurden nur dadurch erzielt, daß man die Vorbereitung zum Krieg zum Hauptziel der deutschen Wirtschaft machte. Um General Thomas weiter zu zitieren:
»Die Geschichte kennt nur wenige Fälle, in denen ein Land in Friedenszeiten all seine wirtschaftlichen Kräfte bewußt und systematisch auf die Kriegserfordernisse abgestellt hat, wie es Deutschland in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen gezwungenermaßen tat.«
Diese Worte von General Thomas können Sie in Dokument 2353-PS finden; es handelt sich um eine Stelle aus einem anderen Schriftstück von General Thomas.
[249] Sofort nach der Machtergreifung der Nazi-Verschwörer begann ihre Aufgabe, die deutsche Wirtschaft für den Angriffskrieg zu mobilisieren. In erster Linie waren die Angeklagten Schacht, Göring und Funk damit betraut.
Der Angeklagte Schacht wurde, wie wohl bekannt, im März 1933 zum Präsidenten der Reichsbank ernannt und im August 1934 zum Wirtschaftsminister. Die Welt wußte jedoch nicht, daß die Verantwortung für die Durchführung dieses Programms dem Amt für den Vier jahresplan unter dem Angeklagten Göring übertragen war.
Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs nun auf das Dokument EC-408 lenken und, während ich diesen Gegenstand behandle, auf ein zweites Dokument, auf 2261-PS, verweisen.
Ich fahre fort: Ebensowenig war es der Welt bekannt, daß der Angeklagte Schacht am 21. Mai 1935 zum Generalbevollmächtigten für die Kriegswirtschaft ernannt wurde mit vollständiger Kontrolle über die deutsche Privatwirtschaft im Hinblick auf die Kriegsproduktion. Dies war innerhalb des Reichsverteidigungsrates, der einem streng geheimen Befehl Hitlers zufolge gebildet wurde.
Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs noch einmal auf das Dokument 2261-PS richten. Der Angeklagte Schacht erkannte klar, daß die Vorbereitung für den Krieg allem anderen vorauszugehen hatte, denn in einem Bericht über die Frage der Finanzierung der Aufrüstung vom 3. Mai 1935 sagte er, daß seine Bemerkungen die Annahme zur Grundlage hätten, daß die Durchführung des Aufrüstungsprogramms...
VORSITZENDER: Verzeihen Sie, Sie haben uns auf Dokument 2261 verwiesen.
MR. DODD: Jawohl.
VORSITZENDER: Aber Sie haben ja gar nichts daraus vorgelesen.
MR. DODD: Nein, ich habe den Gerichtshof nur darauf verwiesen, da eine...
VORSITZENDER: Es wäre zweckmäßig, glaube ich, wenn Sie bei Bezugnahme auf ein Dokument auch auf die betreffende Stelle im Dokument verweisen.
MR. DODD: Sehr gut.
VORSITZENDER: Ich glaube, daß es der mittlere Absatz im Dokument sein muß: »Der Führer... hat den Präsidenten des Reichsbankdirektoriums Dr. Schacht...«
MR. DODD: Ja, das ist der Absatz, auf den ich mich beziehen möchte. Hoher Gerichtshof! Ich beziehe mich auf den zweiten oder mittleren Absatz, der in einem Brief, datiert: Berlin, 24. Juni 1935, sagt:
[250] »Der Führer und Reichskanzler hat den Präsidenten des Reichsbankdirektoriums, Dr. Schacht, zum Generalbevollmächtigten für die Kriegswirtschaft ernannt.«
Außer dem zweiten Absatz möchte ich auf den letzten Absatz, beziehungsweise den letzten Satz hinweisen, der lautet: »Auf die Notwendigkeit strenger Geheimhaltung wird hingewiesen.« Der Brief ist unterzeichnet: »von Blomberg«.
Durch Schachts finanzielles Genie wurden finanzielle Maßnahmen ausgedacht, die dazu bestimmt waren, die deutsche Industrie wieder auf volle Produktion zu bringen. Durch die Kontrolle von Ein- und Ausfuhr, die er in seinem Plan vom Jahre 1934 erfand, wurde die deutsche Produktion nach den Erfordernissen der deutschen Kriegsmaschine geleitet.
Mit Genehmigung des Gerichtshofs möchte ich später die Einzelheiten der dokumentarischen Beweise für diese Behauptung besprechen. Im Hinblick auf die Erfahrungen im ersten Weltkriege begannen die Nazi-Verschwörer im Jahre 1936 an einem ehrgeizigen Plan zu arbeiten, der Deutschland innerhalb von 4 Jahren völlig autark in bezug auf strategische Kriegsmaterialien, wie Gummi, Benzin und Stahl machen sollte, um für einen Angriffskrieg voll gerüstet zu sein. Die Verantwortung für die Durchführung dieses Programmes war dem Amt für den Vierjahresplan unter dem Angeklagten Göring übertragen. Ich möchte hierzu auf Dokument EC-408 verweisen. Es trägt das Datum 30. Dezember 1936 und den Vermerk »Geheime Kommandosache« und führt den Titel: »Vortragsnotiz über Vierjahresplan und Vorbereitung zur Kriegswirtschaft«. Dieses Dokument führt aus, daß der Führer und Reichskanzler Vollmachten zu Rüstungsvorbereitungen auf dem Wirtschaftsgebiet erteilt hat, welche näherer Erläuterung bedürfen. Im dritten Absatz verweist es ausdrücklich auf den Ministerpräsidenten, Generaloberst Göring, als Beauftragten für den Vierjahresplan auf Grund der Vollmacht des Führers vom 18. Oktober 1936. Die Durchführung dieses Programms enthält die Umorganisierung und Kontrolle der gesamten deutschen Kriegswirtschaft.
Zurückkommend auf Generalmajor Thomas und besonders auf unser Dokument EC-27, sagte er in einem am 28. Februar 1939 vor dem Dozentenlehrgang des Lehrstabes gehaltenen Vortrag:
»Der nationalsozialistische Staat hat bald nach Übernahme der Macht die völlige Neuorganisation auf allen Gebieten der deutschen Wirtschaft vorgenommen und hat diese Organisation von Anfang an auf die wehrhafte Linie eingestellt, die die Wehrmacht schon seit Jahren gefordert hatte. Durch diese Umorganisation sind Landwirtschaft, gewerbliche Wirtschaft, Handel und Handwerk erst zu dem schlagkräftigen Instrument geworden, das der Führer zur Durchführung [251] seiner großen Pläne brauchte; und wir können heute wohl sagen, daß die bewegliche Politik des Führers und der machtvolle Krafteinsatz von Wehrmacht und Wirtschaft nicht möglich gewesen wäre, wenn nicht vorher die entsprechende Umorganisation durch die nationalsozialistische Staatsführung stattgefunden hätte. Wir können also feststellen, daß die Organisation der Wirtschaft im großen heute den Anforderungen der Landesverteidigung entspricht, wenn auch kleine Schönheitsfehler noch auszubessern sind. Diese Neuorganisation hat gestattet, in der deutschen Wirtschaft eine neue Wirtschaftsführung durchzusetzen, die mit unserer innen- und außenpolitischen Lage und mit unseren finanziellen Verhältnissen zur Notwendigkeit geworden ist. Die gelenkte Wirtschaft, wie wir sie heute in der Landwirtschaft, Industrie und Handel haben, ist nicht nur der Ausdruck der Auffassung des heutigen Staates, sondern auch die Wirtschaftsform der Landesverteidigung.«
Hoher Gerichtshof! Dieses Programm wurde nicht nur ins Leere entworfen, sondern wurde nach reiflicher Überlegung geplant und durchgeführt, um die notwendigen Werkzeuge für den Angriffskrieg, wie ihn die Nazi-Verschwörer geplant hatten, zu beschaffen.
Im September 1934 gab der Angeklagte Schacht dem Amerikanischen Botschafter in Berlin gegenüber offen zu, daß die Hitler-Partei sich absolut auf Krieg festgelegt hätte, und daß auch das Volk willig und bereit dazu sei. Diese Worte finden sich im Tagebuch des Botschafters Dodd (2832-PS, US-58), und zwar auf Seite 176 des Tagebuchs.
Zu gleicher Zeit gab der Angeklagte Schacht seinen neuen Plan zur Kontrolle von Ein- und Ausfuhr im Interesse der Wiederaufrüstung bekannt. Ein Jahr später wurde er mit dem vor einigen Minuten erwähnten geheimen Erlaß zum Generalbevollmächtigten für die Kriegswirtschaft ernannt.
Im September 1936 gab der Angeklagte Göring in einer Sitzung, der Schacht und einige andere beiwohnten, bekannt, daß Hitler dem Reichskriegsminister Instruktionen dahingehend gegeben habe, daß ein Zusammenstoß mit den Russen unvermeidlich sei, und daß »alle Maßnahmen so zu erfolgen haben, als ob wir im Stadium der unmittelbaren Kriegsgefahr stünden.« Ich verweise den Gerichtshof auf Dokument EC-416 und insbesondere auf... Bevor ich die zitierte Stelle bespreche, möchte ich erwähnen, daß dieses Dokument ebenfalls als geheime Reichssache in dem Protokoll der Kabinettsitzung vom 4. September 1936, 12 Uhr mittags, bezeichnet ist. Das Dokument erwähnt als Anwesende: Den Angeklagten Göring, von Blomberg, den Angeklagten Schacht und noch andere.
[252] Auf der 2. Seite des Dokuments, zweiter Absatz, findet man die Worte des Angeklagten Göring, die von dem Grundgedanken ausgehen, daß: »die Auseinandersetzung mit Rußland unvermeidbar ist. Was die Bussen im Aufbau geleistet haben, können wir auch leisten.«
Auf Seite 3 der Urkunde, im zweiten Absatz, erklärt der Angeklagte Göring: »Alle Maßnahmen haben so zu erfolgen, als ob wir uns im Stadium der drohenden Kriegsgefahr befänden.«
Im selben Monat wurde das Amt für den Vierjahresplan geschaffen, das die Aufgabe hatte, Deutschland in 4 Jahren autark für den Krieg zu machen.
Ich beziehe mich hier nochmals auf das Dokument EC-408 und insbesondere auf den dritten Absatz, wo mit Bezug auf die Kriegswirtschaft erklärt ist: »Ministerpräsident Generaloberst Göring betrachtet es als seine Aufgabe, in vier Jahren die ganze Wirtschaft kriegsbereit zu stellen.«
Die Mitglieder der Nazi-Regierung waren die Führer von Deutschlands Vorbereitung zum Krieg; sie fanden aber in den Industriellen eifrige Mitarbeiter. Der Anteil der Industriellen an Deutschlands Umstellung auf Kriegswirtschaft ist sehr bedeutend, und ich möchte kurz die Perspektive der Wirtschaft illustrieren. –
Auf Einladung des Angeklagten Göring kamen ungefähr 25 der führenden Industriellen Deutschlands sowie der Angeklagte Schacht am 20. Februar 1933 zu einer Sitzung in Berlin zusammen. Dies war kurz vor den deutschen Wahlen am 5. März 1933. In dieser Sitzung verkündete Hitler die Absicht der Verschwörer, die totalitäre Kontrolle über Deutschland an sich zu reißen, das parlamentarische System zu zerstören, jede Opposition mit Gewalt zu unterdrücken und die Stärke der Wehrmacht wieder herzustellen.
Unter den an jenem Februartag des Jahres 1933 in Berlin Anwesenden waren Gustav Krupp, der Chef der riesigen Munitionsfabrik Friedrich Krupp AG., vier leitende Beamte der I. G. Farben-Werke, eines der größten chemischen Unternehmen der Welt, ich wiederhole, der Angeklagte Schacht war ebenfalls anwesend. Albert Voegler, der Chef riesiger Stahltrusts, der Vereinigten Deutschen Stahlwerke AG., war ebenfalls zugegen und andere führende Industrielle.
Als Beweis, daß jene Sitzung zur erwähnten Zeit und am erwähnten Ort stattfand, verweise ich den Hohen Gerichtshof auf Dokument EC-439. Es ist eine eidesstattliche Erklärung von Georg von Schnitzler, welche wie folgt lautet:
»Ich, Georg von Schnitzler, Vorstandsmitglied der I. G. Farben, gebe die folgende eidesstattliche Erklärung ab:
Ende Februar 1933 erhielten vier Mitglieder des Vorstandes der I. G. Farben, einschließlich des Dr. Bosch, Vorsitzender [253] des Vorstandes, und ich selbst die Einladung vom Reichstagspräsidenten, einer Sitzung in seinem Hause beizuwohnen. Der Zweck der Sitzung war nicht angegeben. Ich kann mich auf die Namen der anderen beiden Kollegen, die auch eingeladen waren, nicht entsinnen. Ich glaube, die Einladung wurde mir während einer Reise in Berlin überreicht. An der Sitzung nahmen ungefähr 20 Personen teil. Ich glaube, die meisten von ihnen waren führende Industrielle aus dem Ruhrgebiet. Unter den Anwesenden waren nach meiner Erinnerung: Dr. Schacht, der damals noch nicht Chef der Reichsbank und noch nicht Wirtschaftsminister war; Krupp von Bohlen, der anfangs 1933 Präsident des Reichsverbandes der Deutschen Industrie war; er wurde später in eine halbamtliche Organisation ›Reichsgruppe Industrie‹ umgewandelt; Dr. Albert Voegler, der führende Mann der Vereinigten Stahlwerke; von Loewenfeld von einem Industriewerk in Essen; Dr. Stein, der Führer der Gewerkschaft Auguste Viktoria, eines Bergwerks, das der I. G. Farben gehört. Dr. Stein war ein aktives Mitglied der Deutschen Volkspartei.
Ich erinnere mich, daß Schacht als eine Art Gastgeber auftrat. Während ich erwartet hatte, daß Göring kommen würde, kam Hitler herein, schüttelte jedem die Hand und setzte sich an dem Tisch nieder. In einer langen Rede sprach er hauptsächlich über die Gefahr des Kommunismus, über den er angeblich gerade einen entscheidenden Sieg errungen hätte. Er sprach dann über das Bündnis, das die Partei und die Deutschnationale Volkspartei abgeschlossen hatten. Die Deutschnationale Volkspartei war inzwischen reorganisiert worden durch Herrn von Papen.
Zum Schluß kam er auf den Punkt, der meiner Ansicht nach der ganze Zweck der Besprechung war. Er betonte die Notwendigkeit, daß die beiden erwähnten Parteien die Majorität in der kommenden Reichstagswahl erreichen müßten. Krupp von Bohlen dankte Hitler für die Rede. Danach verließ Hitler das Zimmer. Dr. Schacht schlug vor, einen Wahlfonds, wie ich mich erinnere, von ungefähr drei Millionen Reichsmark zu schaffen, der zwischen den beiden Verbündeten nach ihrer relativen Stärke, die sie zur Zeit hatten, verteilt werden sollte. Dr. Stein schlug vor, daß die Deutsche Volkspartei eingeschlossen werden solle.«
VORSITZENDER: Herr Dodd, es scheint mir, daß dieses Dokument nur zeigt, daß eine Sitzung stattgefunden hat, an der Herr Schacht teilgenommen hat und bei der entschieden wurde, im Jahre 1933 einen Wahlfonds zu gründen.
[254] MR. DODD: Das ist richtig. Hoher Gerichtshof! Ich werde nicht das Ganze verlesen. Im letzten Absatz sind noch weitere Hinweise über die Aufteilung des Wahlfonds enthalten, die jedoch nicht besonders wichtig sind, und die. ich nur nebenbei erwähne. Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs jetzt auf Dokument D-203 lenken, das drei Seiten umfaßt.
VORSITZENDER: Ja.
MR. DODD: Ich will nur kurze Auszüge daraus vorlesen. Es ist eine Rede Hitlers an die Industriellen, und ich verweise besonders auf den zweiten Absatz dieser Urkunde:
»Privatwirtschaft im Zeitalter der Demokratie ist nicht aufrechtzuerhalten...«
VORSITZENDER: Was für ein Datum?
MR. DODD: Die Rede wurde am 20. Februar 1933 in Berlin gehalten:
VORSITZENDER: Ja.
MR. DODD: »Privatwirtschaft im Zeitalter der Demokratie ist nicht aufrechtzuerhalten; sie ist nur denkbar, wenn das Volk eine tragende Idee von Autorität und Persönlichkeit besitzt.«
Ich verweise jetzt auf Seite 2 des Dokuments und möchte gerne einen Auszug des ersten Absatzes, Seite 2, vorlesen, ungefähr 13 Zeilen weiter unten, beginnend mit den Worten:
»Schon im Lazarett wurde es mir klar, daß man nach neuen Ideen zu einem Wiederaufbau suchen müsse. Ich fand sie im Völkischen, im Wert... , in der Kraft und Macht der Einzelpersönlichkeit.«
Und etwas weiter unten, im vorletzten Satz, sagte Hitler:
»Lehnt man den Pazifismus ab, muß man sofort eine andere Idee an seine Stelle rücken. Alles, was verdrängt werden soll, muß abgelöst werden durch etwas Besseres.«
Dann, im dritten Absatz, beginnt der letzte Satz:
»Wir dürfen nicht vergessen, daß alle Güter der Kultur mehr oder weniger mit harter Faust eingeführt werden mußten, ebenso wie seinerzeit die Bauern zum Anbau von Kartoffeln gezwungen wurden.«
Dann schließlich im vierten Absatz der gleichen Seite, beinahe am Schluß:
»Mit eben dem Mut, mit dem wir an die Arbeit gehen, das wieder gutzumachen, was man in den vergangenen 14 Jahren gesündigt hat, haben wir allen Versuchen, uns vom rechten Weg abzubringen, widerstanden.«
[255] Dann oben auf der nächsten Seite, im zweiten Absatz, folgende Worte:
»Wir stehen jetzt vor der letzten Wahl. Sie mag ausfallen, wie sie will, einen Rückfall gibt es nicht mehr, auch wenn die kommende Wahl keine Entscheidung bringt.«
VORSITZENDER: Warum lasen Sie nicht die letzte Zeile auf Seite 2?
MR. DODD: Anfangend mit den Worten: »Während man noch damit beschäftigt ist, Macht zu gewinnen«?
VORSITZENDER: Den Satz vorher:
»Wir müssen erst die ganzen Machtmittel in die Hand bekommen, wenn wir die andere Seite ganz zu Boden werfen wollen. Solange man an Kraft zunimmt, soll man den Kampf gegen den Gegner nicht aufnehmen. Erst, wenn man weiß, daß man am Höhepunkt der Macht angelangt ist, daß es keine weitere Aufwärtsentwicklung gibt, soll man losschlagen.«
MR. DODD: Wenn der Hohe Gerichtshof gestattet, ich wollte die verlesene Zeile später bringen, aber sie kann auch hier eingefügt werden.
Bevor ich mit der Verlesung des letzten Absatzes beginne, möchte ich darauf hinweisen, daß meines Erachtens der übliche Zeitpunkt für eine Pause bereits überschritten ist; und es ist ein ziemlich langer Abschnitt...
VORSITZENDER: Ja, wir wollen uns bis 2 Uhr vertagen.
[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]
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