Nachmittagssitzung.

[200] GERICHTSMARSCHALL: Ich gebe bekannt, daß die Angeklagten Kaltenbrunner und Heß wegen Krankheit bis auf weiteres abwesend sein werden.

VORSITZENDER: Wäre es Ihnen und der Sowjet-Delegation recht, wenn der Gerichtshof die morgige Vormittagssitzung um 11.30 Uhr vertagt und dann in geschlossener Sitzung Verwaltungs-Angelegenheiten bespricht? Wäre dies der Sowjet-Delegation recht?


GENERAL RUDENKO: Wir, das heißt die Sowjet-Delegation, haben keine Einwendungen.


VORSITZENDER: Gut, dann werden wir das so machen. Der Gerichtshof wird morgen in öffentlicher Sitzung von 10.00 Uhr bis 11.30 Uhr tagen und wird sich dann vertagen.


GENERAL RUDENKO: In diesen Lagern für Kriegsgefangene und Zivilpersonen wurden Ausrottungen und Folterungen vorgenommen, die von den Deutschen als »Siebung«, »Hinrichtung« und »Sonderbehandlung« bezeichnet wurden. Das »Großlazarett«, das von den Deutschen in der Stadt Slavuta errichtet worden war, hat grausige Erinnerungen hinterlassen. Die ganze Welt kennt die Greueltaten, die von den Deutschen gegen sowjetische Kriegsgefangene und gegen die Gefangenen anderer demokratischer Staaten in Auschwitz, Maydanek und vielen anderen Lagern begangen wurden.

Hier wurden die Anordnungen der deutschen Sicherheitspolizei und des SD, die gemeinsam mit dem Oberkommando der Wehrmacht, dessen Chef der Angeklagte Keitel war, ausgearbeitet worden waren, angewandt.

Der Operationsbefehl Nummer 8 besagte:

»Exekutionen dürfen nicht im Lager oder in unmittelbarer Nähe des Lagers durchgeführt werden. Befinden sich die Lager im Generalgouvernement in unmittelbarer Nähe der Grenze, so sind die zur Sonderbehandlung bestimmten Gefangenen möglichst auf ehemals sowjetrussisches Gebiet zu verbringen. Sollten wegen Verletzung der Lagerdisziplin Exekutionen erforderlich sein, so hat sich dieserhalb der Leiter des Einsatzkommandos an den Lagerkommandanten zu wenden.

Der Einsatz der Sonderkommandos ist im Einvernehmen mit den Befehlshabern des rückwärtigen Heeresgebiets (Kriegsgefangenenbezirks-Kommandanten) so zu regeln, daß die Aussonderung möglichst unauffällig vorgenommen und die Liquidierungen ohne Verzug und so weit abseits von den Dulag und von Ortschaften durchgeführt werden, daß sie den sonstigen [200] Kriegsgefangenen und der Bevölkerung nicht bekannt werden.«

Die folgende »Form« für die Durchführung von Hinrichtungen wird im Anhang 1 zum Operationsbefehl Nummer 14 des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD unter dem Datum »Berlin, den 25. Oktober 1941, Nummer 21 B/41 GRS-IV A, I. Z.« empfohlen.

»Die Chefs der Einsatzgruppen entscheiden unter eigener Verantwortung die Frage der Hinrichtungen und geben den Sonderkommandos entsprechende Anweisungen. Zur Durchführung der in den erteilten Anweisungen festgelegten Maßnahmen haben die Kommandos die Lagerkommandanten zu ersuchen, ihnen die Gefangenen zu übergeben. Das Oberkommando des Heeres hat die Lagerkommandanten angewiesen, solchen Ersuchen nachzukommen.

Hinrichtungen müssen unbemerkbar, an zweckdienlichen Plätzen und auf keinen Fall im Lager selbst oder in seiner unmittelbaren Nachbarschaft stattfinden. Es ist notwendig, dafür zu sorgen, daß die Leichen sofort und richtig begraben werden.«

Der Bericht des Operationskommandos, Obersturmbannführer Lipper an den Brigadeführer Dr. Tjomas in Winniza, datiert vom Dezember 1941, spricht über die Art und Weise, in der die sämtlichen oben erwähnten Weisungen durchgeführt wurden.

In diesem Bericht wird ausgeführt, daß nach der sogenannten »Durchsiebung« des Lagers nur fünfundzwanzig Personen, die als »verdächtig« bezeichnet werden konnten, in dem Lager bei Winniza verblieben.

»Diese begrenzte Anzahl« – sagt der Bericht – »wird durch die Tatsache erklärt, daß die lokalen Organe in Verbindung mit dem Kommandanten oder den entsprechenden Abwehr-Offizieren, in Übereinstimmung mit den Vorschriften der Sicherheitspolizei, gegen die unerwünschten Elemente in den ständigen Kriegsgefangenenlagern täglich die notwendigen Maßnahmen durchführten.«

So wurde die systematische Vernichtung von sowjetischen Staatsangehörigen weitgehend durch die Kommandanten der Lager für sowjetische Kriegsgefangene und deren Untergebene durchgeführt, abgesehen von den Massenhinrichtungen, die durch Sonderkommandos, die speziell zu diesem Zweck geschaffen worden waren, durchgeführt wurden.

Unter den Dokumenten der Außerordentlichen Staatskommission für die Untersuchung von Verbrechen, die durch Deutsche in den vorübergehend besetzten Gebieten der Sowjetunion begangen worden sind, befinden sich einige Noten von V. M. Molotow, dem [201] Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten, über die Ausrottung und grausame Behandlung von Kriegsgefangenen. Sie enthalten zahlreiche Beispiele für diese ungeheuerlichen Verbrechen der hitlerischen Regierung und des deutschen Oberkommandos.

Die vom 25. November 1941 datierte Note V. M. Molotows, des Volkskommissars für auswärtige Angelegenheiten, über die empörenden Bestialitäten der deutschen Behörden gegen die sowjetischen Kriegsgefangenen, die an alle Botschafter und Gesandten der Länder, mit denen die Sowjetunion diplomatische Beziehungen unterhält, gerichtet wurde, führt aus, daß die Soldaten der Roten Armee seitens des deutschen Oberkommandos und deutscher militärischer Einheiten bestialisch gefoltert, mißhandelt und ermordet wurden.

Die wilden faschistischen Fanatiker erstachen und erschossen auf der Stelle wehrlose Kranke und verwundete Soldaten der Roten Armee, die sich in den Lagern befanden. Sie vergewaltigten Krankenschwestern und Pflegerinnen und ermordeten in bestialischer Weise ärztliches Hilfspersonal. Auf Grund von Weisungen der Deutschen Regierung und des Oberkommandos wurde eine besondere Zählung der Opfer »der Hinrichtungen« durchgeführt.

So wird in Anhang 2 des Befehls Nummer 8 von Heydrich auf die Notwendigkeit hingewiesen, über durchgeführte Hinrichtungen, das heißt über die Ausrottung der Kriegsgefangenen, Buch zu führen, und zwar in folgender Form:

1. laufende Nummer, 2. Zuname und Vorname, 3. Geburtsort und Datum, 4. Beruf, 5. letzter Wohnort, 6. Grund der Hinrichtung. 7. Zeit und Ort der Hinrichtung.

In dem Operationsbefehl Nummer 14 des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD vom 29. Oktober 1941 wurde eine weitere Spezifizierung der Aufgaben gegeben, die die Sonderkommandos zur Ausrottung der sowjetischen Kriegsgefangenen durchzuführen hatten.

Zu den Grausamkeiten gegen sowjetische Kriegsgefangene muß auch die Markierung mit besonderen Erkennungszeichen gerechnet werden, die in einem besonderen, vom 20. Juli 1942 datierten Befehl des deutschen Oberkommandos angeordnet wurde.

Dieser Befehl sieht die folgenden Methoden der Brandmarkung vor:

»Die straffgespannte Haut ist mit einer glühenden Lanzette, die in Chinesische Tinte getaucht worden ist, leicht einzuschneiden.«

Die Haager Konvention von 1907 schreibt mit Bezug auf Kriegsgefangene nicht nur eine menschliche Behandlung der Kriegsgefangenen, sondern auch die Achtung ihrer vaterländischen Gefühle vor, und verbietet es, sie zum Kampf gegen ihr eigenes Vaterland einzusetzen.

[202] Artikel 3 der Konvention, der von den Gesetzen und Gebräuchen des Krieges handelt, verbietet den Kriegführenden, Staatsangehörige feindlicher Nationen zur Teilnahme an militärischen Operationen zu zwingen, die gegen ihre eigenen Länder gerichtet sind, selbst in den Fällen, in denen diese Personen vor Kriegsausbruch im Dienst der Kriegführenden gestanden haben.

Die Hitleristen traten sogar dieses elementare Prinzip des Völkerrechts in den Staub. Mit Schlägen und Androhungen der Erschießung zwangen sie die Gefangenen dazu, als Fahrer von Pferdewagen, Motorfahrzeugen und Transporten zu arbeiten, mit denen Munition und anderer Nachschub an die Front gebracht wurden. Sie zwangen sie, Nachschub in die vordersten Linien zu bringen und als Helfer bei der Flak-Artillerie und so weiter zu dienen.

Im Bezirk von Leningrad, in der Gegend von Yelny im Bezirk Smolensk, ferner im Bezirk von Gomel in der Weißrussischen Sowjet-Republik, im Bezirk von Poltawa sowie an anderen Stellen sind Fälle verzeichnet worden, in denen der deutsche Befehlshaber während des Angriffs gefangene Rotarmisten unter Androhung des Erschießens vor seinen vorrückenden Truppen einhertreiben ließ.

Die Massenvernichtung von sowjetischen Kriegsgefangenen, die durch besondere Ermittlungen der Außerordentlichen Staatskommission festgestellt worden ist, wird auch durch Dokumente der Deutschen Polizei und des OKW bestätigt, die von Sowjet- und alliierten Truppen auf deutschem Gebiet beschlagnahmt worden sind.

Diese Dokumente zeigen, daß viele sowjetische Kriegsgefangene an Hunger, Flecktyphus und anderen Krankheiten gestorben sind. Die Lagerkommandanten verboten der Zivilbevölkerung, den Gefangenen Nahrungsmittel zukommen zu lassen und gaben sie dem Hungertod preis.

In vielen Fällen wurden Kriegsgefangene, die bei Märschen vor Hunger und Erschöpfung die Marschordnung nicht mehr einhalten konnten, vor den Augen der Zivilbevölkerung erschossen. Ihre Leichen blieben unbeerdigt. In vielen Lagern waren überhaupt keine Vorrichtungen für die Unterkunft der Kriegsgefangenen getroffen worden. In Regen und Schnee lagen sie unter freiem Himmel. Man gab ihnen nicht einmal Werkzeuge, um sich Löcher oder Höhlen in die Erde zu graben. Man konnte hören, wie die Hitleristen erklärten: »Je mehr Gefangene sterben, um so besser für uns.«

Nach diesen Ausführungen erkläre ich im Namen der Sowjetregierung und des Volkes der Sowjetunion, daß die verbrecherische Hitler-Regierung und das OKW, deren Vertreter auf der Anklagebank sitzen, die Verantwortung tragen für die blutige Niedermetzelung sowjetischer Kriegsgefangener, die sich unter Verletzung aller anerkannten Kriegsgesetze und Kriegsbräuche vollzogen hat.

[203] In der langen Reihe ruchloser Verbrechen seitens der deutsch-faschistischen Besatzungstruppen nimmt die Zwangsdeportierung friedlicher Bürger, Männer, Frauen und Kinder, zur Sklavenarbeit in Deutschland eine besondere Stelle ein.

Dokumente legen Zeugnis für die Tatsache ab, daß die Hitler-Regierung und das deutsche Oberkommando die Deportierung von Sowjetbürgern in deutsche Sklaverei unter Vortäuschungen, Drohungen und Anwendung von Gewalt durchgeführt haben. Sowjetbürger wurden von den faschistischen Usurpatoren an Konzerne und Privatpersonen in Deutschland in die Sklaverei verkauft. Diese Sklaven wurden dem Hunger, tierischer Behandlung und zum Schluß qualvollem Tode preisgegeben.

Ich werde später auf die unmenschlichen und barbarischen Anweisungen, Verordnungen und Befehle der Hitler-Regierung und des Oberkommandos zurückkommen, mit deren Erlaß die Durchführung der Deportierung sowjetischer Menschen in deutsche Sklaverei bezweckt wurde, und für die die hier Angeklagten, insbesondere Göring, Keitel, Rosenberg, Sauckel und andere verantwortlich sind.

Die in den Händen der Sowjetischen Anklagebehörde befindlichen Dokumente, die von der Roten Armee bei den Stäben der geschlagenen deutsch-faschistischen Truppen beschlagnahmt wurden, überführen die Angeklagten der von ihnen begangenen Verbrechen.

In einem Bericht auf einer Tagung der Deutschen Arbeitsfront im November 1942 gab Rosenberg Tatsachen und Zahlen bekannt, die das ungeheure Ausmaß der von Sauckel organisierten Deportierungen sowjetischer Bürger in die Sklaverei nach Deutschland bestätigen.

Am 7. November 1941 fand eine Geheimsitzung in Berlin statt, auf der Göring seinen Beamten Anweisungen über die Verwendung von Sowjetbürgern zur Zwangsarbeit gab. Wir erfahren von diesen Anweisungen durch ein vom 4. Dezember 1941 datiertes Dokument, ein geheimes Rundschreiben Nummer 42006/41 des Wirtschaftsstabes beim deutschen Oberkommando im Osten. Die Anweisungen lauten wie folgt:

»Die Russen sind vornehmlich beim Straßen- und Eisenbahnbau, bei Aufräumungsarbeiten, Minenräumen und beim Anlegen von Flugplätzen zu beschäftigen. Die deutschen Baubataillone sind weitgehend (Beispiel Luftwaffe) aufzulösen, die deutschen Facharbeiter gehören in die Rüstung; Schippen und Steineklopfen ist nicht ihre Aufgabe, dafür ist der Russe da.

2. Der Russe gehört in erster Linie an folgende Arbeitsplätze (Rangordnung):

Bergbau, Straßenbau, Rüstung (Panzer, Geschütze, Flugzeugzubehör), Landwirtschaft, Bauwirtschaft, Großwerkstätten [204] (Schustereien), Sonderkommandos für dringende Gelegenheits- und Notstandsarbeiten.

3. Für die Sicherheitsmaßnahmen sind die entscheidenden Erwägungen Schnelligkeit und Strenge. Nur die folgenden Strafen dürfen verhängt werden: Verpflegungsentzug und Erschießung auf Grund kriegsgerichtlichen Urteils.«

Der Angeklagte Fritz Sauckel wurde auf Grund eines Befehls von Hitler vom 21. März 1942 zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz ernannt.

Am 20. April 1942 versandte Sauckel an eine Reihe von Regierungs- und militärischen Organen sein »Programm des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz«, das als geheime Kommandosache klassifiziert war. Dieses Programm ist nicht weniger niederträchtig als das oben erwähnte Rundschreiben. In diesem »Programm« wird folgendes gesagt:

»Es ist daher unumgänglich notwendig, die in den besetzten sowjetischen Gebieten vorhandenen Menschenreserven voll auszuschöpfen. Gelingt es nicht, die benötigten Arbeitskräfte auf freiwilliger Grundlage zu gewinnen, so muß unverzüglich zur Aushebung derselben bzw. zur Zwangsverpflichtung geschritten werden.

Neben den schon vorhandenen, noch in den besetzten Gebieten befindlichen Kriegsgefangenen gilt es also vor allem, Zivil- und Facharbeiter und -arbeiterinnen aus den Sowjetgebieten vom 15. Lebensjahr ab für den deutschen Arbeitseinsatz zu mobilisieren.

Um der... aufs höchste in Anspruch genommenen deutschen Bauersfrau eine fühlbare Entlastung zuteil werden zu lassen,... hat mich der Führer beauftragt, aus den östlichen Gebieten etwa 400000 bis 500000 ausgesuchte gesunde und kräftige Mädchen ins Reich hereinzunehmen.«

Noch ein anderes Geheimdokument, das sich auf die Nutzbarmachung von Arbeiterinnen aus den östlichen Gebieten für Hausarbeit in Deutschland bezieht, wurde dem Gerichtshof von der Anklage vorgelegt. Dieses Dokument enthält Auszüge aus dem Bericht über eine Sitzung, die von Sauckel am 3. September 1942 abgehalten wurde. Ich zitiere einige dieser Auszüge:

»1. Als diesen Weg hat der Führer die sofortige Hereinnahme von 400000 bis 500000 hauswirtschaftlichen Ostarbeiterinnen aus der Ukraine im Alter von 15 bis 35 Jahren angeordnet...

2.... denn es entspricht einem ausdrücklichen Wunsch des Führers, daß eine möglichst große Anzahl dieser Mädchen... eingedeutscht werden.

[205] 3. In 100 Jahren sollen nach dem Willen des Führers 250 Millionen deutschsprechende Menschen in Europa leben.

4.... daß die Hausgehilfinnen aus der Ukraine vorerst als Ostarbeiterinnen anzusehen und mit dem Kennzeichen ›Ost‹ zu versehen sind.

5. Gauleiter Sauckel erklärte, daß unabhängig von der Hereinnahme der Hausgehilfinnen der Einsatz einer weiteren Million Arbeitskräfte aus dem Osten vorgesehen sei.

6. Die Berufung auf die schwierige Transportlage zur Hereinbringung ausländischer Erntevorräte in das deutsche Reichsgebiet mache auf ihn, Gauleiter Sauckel, nicht den geringsten Eindruck; er würde für die Verwertung des ukrainischen Getreides und Viehs schon Mittel und Wege finden, und wenn er die gesamte Judenschaft Europas mobilisieren und als eine lebende Bahnstrecke zum Weiterreichen von Kisten nach der Ukraine aufstellen würde.«

Da Sauckel voraussah, daß die Maßnahmen zur zwangsweisen Aushebung von Sowjetbürgern für die Arbeit in Deutschland unvermeidlich fehlschlagen mußten, befahl er in einer geheimen Anweisung vom 31. März 1942 Nummer FA 578028/729:

»›Die Aushebungen‹, für die Sie verantwortlich sind, müssen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln einschließlich der strengen Anwendung des Prinzips der Zwangsarbeit, durchgesetzt werden.«

Sauckel und seine Agenten wandten zur Durchführung des Aushebungsplans alle möglichen Druck- und Terrormethoden an. Sie ließen die sowjetischen Staatsangehörigen, die dieser »Aushebung« verfallen waren, hungern, lockten sie unter dem Vorwand einer Brotverteilung zu den Bahnhöfen, umstellten sie mit Soldaten, luden sie unter Androhung des Erschießens auf Transportzüge und brachten sie nach Deutschland. Aber auch diese Zwangsmethoden halfen nichts. Die »Aushebung« war nicht erfolgreich. Daraufhin nahmen Sauckel und seine Mitarbeiter zu dem Befehl, Kontingente aufzustellen, ihre Zuflucht. Dies wird durch einen Befehl eines deutschen Kommandanten bezeugt, der von den Streitkräften der Roten Armee bei der Befreiung des besetzten Teils der Provinz Leningrad beschlagnahmt wurde; er lautet folgendermaßen:

»An die Bürgermeister der Dorfgemeinden... Da sich bisher eine sehr kleine Anzahl von Leuten zur Arbeit in Deutschland gestellt hat, muß jeder Bürgermeister einer Dorfgemeinde im Einvernehmen mit den Gemeinderäten der Dörfer 15 oder mehr Personen von jeder Dorfgemeinde für die Arbeit in Deutschland bereitstellen. Gesunde Leute im Alter von 15-50 Jahren müssen gestellt werden.«

[206] Der Chef der Politischen Polizei und des Sicherheitsdienstes in Charkow erklärte in seinem Bericht über die Lage in der Stadt Charkow für die Zeit vom 24. Juli bis zum 9. September 1942:

»Die Arbeitsaushebung bereitet den betroffenen Stellen Sorge, da äußerste Abneigung gegen die Abschiebung zur Arbeit nach Deutschland unter der Bevölkerung zu bemerken ist. Die Lage ist gegenwärtig die, daß jeder mit allen Mitteln versucht, der Aushebung zu entgehen (sie geben vor, krank zu sein, sie flüchten in die Wälder, bestechen Beamte usw.). Es ist schon lange gar keine Rede mehr von freiwilligen Meldungen nach Deutschland.«

Bei der Behandlung von Sowjetbürgern, die in die deutsche Sklaverei deportiert wurden, wandte man das bestialischste System an, wie aus sehr zahlreichen Beschwerden und Erklärungen hervorgeht, die von der Außerordentlichen Staatskommission zur Feststellung und Untersuchung von Verbrechen der deutsch-faschistischen Machthaber gesammelt worden sind.

Polnische, tschechoslowakische und jugoslawische Staatsangehörige, die in die deutsche Sklaverei deportiert wurden, erlitten dasselbe Schicksal.

In der Durchführung ihrer usurpatorischen und räuberischen Pläne zerstörten die Hitleristen systematisch Städte und Dörfer, plünderten die friedliche Bevölkerung aus und vernichteten Werte, die die Früchte der Arbeit vieler Generationen waren.

Gemeinschaftlich mit ihren Spießgesellen, den verbrecherischen Regierungen Finnlands und Rumäniens, schmiedeten die Hitleristen ihre Pläne zur Zerstörung der größten Städte der Sowjetunion. Ein vom 29. September 1941 datiertes Dokument der Seekriegsleitung, das »Die Zukunft von St. Petersburg« betitelt ist, enthält die folgende Feststellung:

»Der Führer ist entschlossen, die Stadt Petersburg vom Erdboden verschwinden zu lassen. Auch Finnland hat in gleicher Weise klar erklärt, daß es kein Interesse an dem Weiterbestehen der Stadt unmittelbar an seiner Grenze habe.«

Am 5. Oktober 1941 richtete Hitler einen Brief an Antonescu, dessen besonderer Zweck darin bestand, eine Übereinstimmung des Planes für die Einnahme und Zerstörung der Stadt Odessa herbeizuführen.

In einem Brief des deutschen Oberbefehlshabers vom 7. Oktober 1941, der vom Angeklagten Jodl unterzeichnet ist, wurde angeordnet, Leningrad und Moskau dem Erdboden gleichzumachen.

»Auch im Falle aller anderen Städte«, legt der Befehl fest, »soll es als Regel gelten, daß sie vor ihrer Besetzung durch Artilleriebeschießung und Luftangriffe in Ruinen verwandelt [207] werden sollten. Es kann nicht gestattet werden, das Leben eines deutschen Soldaten aufs Spiel zu setzen, um russische Städte vor dem Feuerschaden zu retten.«

Diese Richtlinien deutscher Zentralbehörden wurden weitgehend von militärischen Befehlshabern aller Rangstufen angewandt. So wurde in einem von Oberst Schittnig unterschriebenen Befehl an das 512. deutsche Infanterieregiment die Verfügung getroffen, daß die von den Hitleristen eingenommenen Landesteile und Bezirke in eine Wüstenzone verwandelt werden sollten. Damit dieses Verbrechen die größtmögliche vernichtende Wirkung erzielen sollte, entwickelt der Befehl im einzelnen den Plan für die Vernichtung bewohnter Ortschaften.

»Die Vorbereitung der Zerstörung der Ortschaften«, erklärt der Befehl, »hat so zu erfolgen,

a) daß die Zivilbevölkerung bis zur Bekanntgabe keinen Verdacht schöpft,

b) daß die Zerstörung an zahlreichen Stellen zugleich schlagartig zur befohlenen Zeit einsetzen kann.... An dem betreffenden Tag sind die Ortschaften besonders scharf dahingehend zu überwachen, daß keine Zivilperson die betreffende Ortschaft verläßt, besonders von dem Zeitpunkt der Bekanntgabe der Zerstörung ab.«

Ein vom 24. Dezember 1941 datierter Befehl des Kommandanten der 98. Infanteriedivision ist sogar »Das Programm der Zerstörung« betitelt. Dieser Befehl erteilt genaue Anleitung zur Zerstörung einer Anzahl bewohnter Ortschaften und bestimmt folgendes:

»Vorhandene Vorräte von Heu, Stroh, Lebensmitteln etc. sind zu verbrennen. Alle Öfen in Wohnungen sollen unbrauchbar gemacht werden, indem man Handgranaten in sie legt, damit späterer Gebrauch ausgeschlossen ist. Auf keinen Fall darf dieser Befehl in Feindeshand fallen.«

Besondere Brandkommandos, Fackelträger, wurden gebildet, welche die durch die Arbeit von Generationen geschaffenen Werte in Brand steckten.

Ich möchte nunmehr die Aufmerksamkeit des Hohen Gerichtshofs auf das Dokument lenken, das als »Anleitung für die Wirtschaftskontrolle in den neubesetzten Ostgebieten« bekannt ist, »Die grüne Mappe«. Göring ist der Autor dieser Weisungen. Dieses Geheimdokument ist aus Berlin von Juni 1941 datiert. Ich möchte daraus nur einige Auszüge zitieren. Das erste Zitat lautet:

»Nach den vom Führer gegebenen Befehlen sind alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um die sofortige und höchstmögliche Ausnutzung der besetzten Gebiete zugunsten Deutschlands herbeizuführen. Soviel wie möglich Lebensmittel und Mineralöl für Deutschland zu gewinnen, ist das[208] wirtschaftliche Hauptziel der Aktion. Daneben müssen sonstige Rohstoffe aus den besetzten Gebieten der deutschen Kriegswirtschaft zugeführt werden. Die erste Aufgabe ist es, sobald wie möglich zu erreichen, daß die deutschen Truppen restlos aus dem besetzten Gebiet verpflegt werden.«

Zweites Zitat:

»Völlig abwegig wäre die Auffassung, daß es darauf ankomme, in den besetzten Gebieten einheitlich die Linie zu verfolgen, daß sie baldigst wieder in Ordnung gebracht und tunlichst wieder aufgebaut werden müßten.... Nur diejenigen Gebiete werden vordringlich in Ordnung gehalten werden müssen, in denen bedeutende Ernährungs- und Mineralölreserven für uns erschlossen werden können. In anderen Landesteilen... muß sich die Wirtschaftsführung auf die Ausnutzung der vorgefundenen Vorräte beschränken.«

Drittes Zitat:

»Alle für uns brauchbaren Rohstoffe, Halbzeug- und Fertigwaren sind dem Handel durch Anordnungen, Requisitionen und Beschlagnahmen zu entziehen. Platin, Magnesium und Kautschuk sollen unverzüglich gesammelt und nach Deutschland verbracht werden. Lebensmittel, sowie alle Gegenstände des häuslichen und persönlichen Gebrauchs, sowie Kleidung, die im Gefechtsgebiet und im rückwärtigen Armeegebiet aufgefunden sind, verbleiben in erster Linie zur Verfügung der Wehrmachtsabteilungen zur Befriedigung der Truppenbedürfnisse.... Was sie nicht gebrauchen können, wird von ihnen an die nächsthöheren Wehrwirtschaftseinheiten übergeben.«

Wie ich bereits eingangs sagte, erschien als Endzweck des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion die Ausplünderung des Sowjetlandes und die Erschließung von Wirtschaftsquellen, die für Hitler-Deutschland unentbehrlich waren, und ohne die es seine imperialistischen Angriffspläne nicht verwirklichen konnte.

Görings »Grüne Mappe« stellte ein von den faschistischen Verschwörern von langer Hand ausgearbeitetes breit angelegtes Programm der organisierten Ausplünderung der Sowjetunion dar.

Dieses Programm sah konkrete Plünderungspläne vor: Die gewaltsame Wegnahme von Werten, die Organisierung der Sklavenarbeit in unseren Städten und Dörfern, die Abschaffung von Arbeitslöhnen in den Betrieben, die unbeschränkte Ausgabe vollkommen ungedeckter Banknoten und so weiter. Zur Verwirklichung dieses Raubplanes wurde die Schaffung eines besonderen Apparates vorgesehen, mit eigenen Dienststellen, wie das »Wirtschaftskommando«, »Wirtschaftsstäbe«, einem eigenen »Nachrichtendienst«, »Inspektionen«, »Truppenteilen«, »Abteilungen zur Sammlung von [209] Produktionsmitteln«, »Abteilungen zur Sammlung von Rohstoffen«, »Kriegsagronomen«, »Landwirtschaftsoffizieren« und so weiter.

Zusammen mit den vorrückenden deutschen Truppen gingen auch Kommandos der Wirtschaftsabteilungen des Heeres vor, deren Aufgabe es war, die vorhandenen Reserven von Korn, Vieh, Heizmaterial und anderen Gütern festzustellen. Diese Kommandos waren einer im Etappenraum befindlichen besonderen Wirtschaftsinspektion untergeordnet.

Sehr bald nach dem Überfall auf die Sowjetunion wurde durch Befehl Hitlers vom 29. Juni 1941 der Angeklagte Göring mit der Leitung der Ausplünderung der besetzten Gebiete betraut. Dieser Befehl ermächtigte Göring

»alle Maßnahmen zu ergreifen, die zur größtmöglichen Ausnützung der vorgefundenen Reserven und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Interesse der deutschen Kriegswirtschaft erforderlich sind.«

Der Angeklagte Göring leitete die räuberischen Handlungen der deutschen militärischen und wirtschaftlichen Abteilungen mit äußerster Hingabe.

Bei einer am 6. August 1942 mit den Reichskommissaren und Vertretern der militärischen Befehlsstellen abgehaltenen Sitzung verlangte Göring, daß die Ausplünderung der besetzten Gebiete gesteigert werden solle.

»Sie wurden dorthin gesandt«, erklärte Göring, »nicht zum Nutzen der Ihnen anvertrauten Menschen zu arbeiten, sondern um aus ihnen das Letztmögliche herauszupumpen.«

Und:

»Ich beabsichtige, zu plündern und dies gründlich zu tun.«

Wie von der Außerordentlichen Staatskommission festgestellt worden ist, wurden diese Verhaltungsmaßregeln Görings von den Reichsministern und den Vertretern deutscher Firmen ausgeführt, unter deren Kontrolle sich verschiedene Arten von Wirtschaftsgruppen, technische Bataillone, Wirtschaftsstäbe und Wirtschaftsprüfungsstellen befanden. Besonders aktiv bei der Plünderung des Eigentums der Sowjetunion waren die deutschen Firmen: Friedrich Krupp A. G., Hermann-Göring-Werke, Siemens-Schuckert, Metall-Bergwerksgesellschaft Ost, die Aktiengesellschaft Gruppe »Nord«. Heinrich Lanz, Landmaschinenbau-Industrie, I. G. Farbenindustrie und viele andere.

Durch Plünderung und Ausräuberung des Staats-und Privateigentums setzten die hitlerischen Eindringlinge die Bevölkerung der auf diese Art geplünderten Bezirke dem Hungertode aus. Feldmarschall Reichenaus Befehl vom 10. Oktober 1941, der als vorbildlich an alle deutschen Truppenteile mit der Bemerkung verteilt [210] wurde, daß Hitler diesen als einen ausgezeichneten Befehl betrachte, enthält die folgende Aufhetzung zur Plünderung und zur Vernichtung der Bevölkerung:

»Ortseinwohner und Kriegsgefangene mit Nahrung zu versorgen, ist eine Handlung unnötiger Humanität.«

Die Aufzeichnungen über die in Rowno vom 26. bis 28. August 1942 abgehaltene Konferenz, die unter den Akten des Angeklagten Rosenberg entdeckt wurden, führen aus:

»Das Ziel unserer Arbeit besteht darin, daß die Ukrainer für Deutschland arbeiten und nicht, daß wir das Volk hier beglücken. Die Ukraine hat das zu liefern, was Deutschland fehlt. Diese Aufgabe muß ohne Rücksicht auf Verluste durchgeführt werden.«

Den Richtlinien des Angeklagten Göring folgend, plünderten die lokalen Behörden die Bevölkerung der besetzten Gebiete gnadenlos und vollständig aus. Ein Befehl, der in verschiedenen Orten der Bezirke von Kursk und Orel durch Truppenteile der Roten Armee aufgefunden wurde, enthält eine Liste von persönlichem Eigentum, das den militärischen Behörden ausgehändigt werden mußte. Gegenstände wie Waagen, Säcke, Salz, Lampen, Küchentöpfe, Wachstuch, Vorhänge und Grammophone mit Platten werden in diesem Befehl erwähnt. Der Befehl erklärt:

»Alle diese Besitzgegenstände müssen an die Kommandantur abgeliefert werden. Zuwiderhandelnde werden erschossen.«

In ihrem erbitterten Haß gegen das Sowjetvolk und seine Kultur zerstörten die deutschen Eindringlinge Stätten der Kunst und Wissenschaft, historische und kulturelle Denkmäler, Schulen und Krankenhäuser, sowie Klubs und Theater.

Feldmarschall Reichenau erklärt in seinem Befehl,... »daß irgendwelche historischen oder künstlerischen Werte im Osten nicht von Belang sind.«

Die von den Nazis durchgeführte Zerstörung historischer und kultureller Schätze nahm ungeheuere Ausmaße an. So heißt es in einem Schreiben des Generalbevollmächtigten für Weißrußland an Rosenberg vom 29. September 1941:

»Gemäß dem Bericht des Majors der 707. Division, der mir heute die verbliebenen Wertgegenstände aushändigte, haben die SS-Leute die restlichen Gemälde und Kunstwerke der Wehrmacht zur Plünderung überlassen; unter ihnen äußerst wertvolle Gemälde und Möbelstücke aus dem 18. und 19. Jahrhundert, Vasen, Marmorskulpturen usw....

Das Historische Museum wurde ebenfalls vollkommen zerstört. Aus der geologischen Abteilung sind wertvolle [211] Edel- und Halbedelsteine geraubt worden. Aus der Universität wurden Instrumente im Gesamtwert von Hunderttausenden von Mark gestohlen oder dort sinnlos zerschlagen.«

In den von den Faschisten vorübergehend besetzten Gebieten der Provinz Moskau zerstörten und plünderten die Besatzungstruppen 112 Bibliotheken, 4 Museen sowie 54 Theater und Kinos. Die Hitleristen plünderten und verbrannten das berühmte Museum in Borodino, dessen historische Reliquien aus dem vaterländischen Krieg von 1812 stammten, die dem russischen Volke besonders teuer waren. In dem Dörfchen Polotnianij-Zavod zerstörten und verbrannten die Besatzungstruppen das in ein Museum umgewandelte Haus Puschkins. In Jasnaja Poljana zerstörten die Deutschen Manuskripte, Bücher und Bilder, die einst Leo Tolstoj gehört hatten. Die deutschen Barbaren entweihten das Grab des großen Schriftstellers.

Die Besatzungstruppen plünderten die weißrussische Akademie der Wissenschaften mit den dort befindlichen äußerst seltenen Sammlungen von historischen Dokumenten und Büchern und zerstörten Hunderte von Schulen, Klubs und Theatern in Weißrußland.

Aus dem Pauls-Palast in der Stadt Sluzk wurde die sehr wertvolle, von den bedeutendsten Meistern des 18. Jahrhunderts geschaffene Möbeleinrichtung nach Deutschland verschleppt. Die Deutschen entfernten alle verbliebenen Stuck- und Schnitzereiverzierungen, Teppiche, Gemälde und Statuen aus den Palästen von Peterhof. Der aus der Zeit Peters I. stammende Große Palast in Peterhof wurde nach seiner Ausplünderung in barbarischer Weise verbrannt.

Die deutschen Vandalen zerstörten die öffentliche Staatsbibliothek in Odessa, die über 2000000 Bände enthielt.

In Tschernigow wurde eine berühmte Sammlung von ukrainischen Antiquitäten geplündert. Die Deutschen beschlagnahmten Dokumente aus den Archiven der Metropoliten von Kiew im Kloster von Kiewo Petschersk und Bücher aus der privaten Bibliothek von Peter Mogila, der äußerst wertvolle Schriften der Weltliteratur gesammelt hatte. Sie plünderten die sehr wertvollen Sammlungen der Museen in Lemberg und Odessa und verschleppten nach Deutschland oder zerstörten zum Teil die Schätze der Bibliotheken in Winniza und Poltawa, in denen äußerst seltene Exemplare mittelalterlicher Handschriften sowie die ersten gedruckten Veröffentlichungen des 16. und 17. Jahrhunderts und alte Kirchenbücher aufbewahrt waren.

Die auf Grund eines unmittelbaren Befehls der Deutschen Regierung in den besetzten Gebieten der USSR veranstalteten allgemeinen Plünderungen wurden nicht nur von den Angeklagten Göring und Rosenberg sowie den verschiedenen ihnen unterstellten »Stäben« und »Kommandos« geleitet, auch das Auswärtige Amt mit [212] dem Angeklagten Ribbentrop an der Spitze war durch eine besondere Organisation daran beteiligt.

Die damals in der Presse veröffentlichte Aussage des Obersturmbannführers Dr. Normann Förster von der 4. Kompanie des Bataillons zur besonderen Verfügung der Waffen-SS legt Zeugnis dafür ab.

In seiner Aussage erklärte Förster:

»Im August 1941, während meines Aufenthalts in Berlin, wurde ich mit Hilfe meines alten Bekannten von der Berliner Universität, Dr. Focke, der in der Presseabteilung des Auswärtigen Amtes tätig war, von den Panzerjägern 87 zum Bataillon zur besonderen Verwendung des Auswärtigen Amtes abkommandiert. Dieses Bataillon war auf Anregung des Reichsministers des Auswärtigen, Ribbentrop, gegründet worden und unterstand ihm....

Die Aufgabe dieses Bataillons zur besonderen Verwendung besteht darin, daß sofort nach dem Fall von Großstädten vom Bataillon Kulturschätze und Gegenstände, die von großem historischen Werte sind, sowie wissenschaftliche Institutsbibliotheken beschlagnahmt, wertvolle Bücherausgaben und Filme ausgewählt und nach Deutschland verbracht werden.«

Weiterhin erklärte er:

»Reiche Beute wurde uns zuteil in der Bibliothek der ukrainischen Akademie für Wissenschaften, wo die größten Raritäten persischen, abessinischen und chinesischen Handschriften sowie russische und ukrainische Chroniken, der Wiegendruck von Büchern des ersten russischen Druckers, Iwan Fjodorow und seltene Ausgaben der Werke von Schewtschenko, Miskewitsch und Iwan Franko aufbewahrt wurden.«

Gleichzeitig mit der barbarischen Zerstörung und Ausraubung von Dörfern, Städten und nationalen Kulturdenkmälern verspotteten die Hitler-Banden auch die religiösen Gefühle des gläubigen Teiles der Sowjetbevölkerung.

Auf dem sowjetischen Boden verbrannten, plünderten und entweihten sie 1670 orthodoxe Kirchen, 237 römisch-katholische Kirchen, 69 Kapellen, 532 Synagogen und 258 andere Gebäude, die als Einrichtungen für religiöse Zwecke dienten.

Sie zerstörten die Uspensky-Kirche des berühmten Kiewo-Petschersky-Klosters, die im Jahre 1073 gebaut worden war, und dazu noch 8 Klostergebäude.

In Tschernigow zerstörten die deutschen Faschisten-Armeen die alte Borisoglebski-Kathedrale, die zu Beginn des 12. Jahrhunderts erbaut wurde, die Kathedrale des Jefrosinjewa-Klosters in Polotzk, [213] die im Jahre 1160 erbaut wurde und die Kirche Parskeva-Piatniza-Na Torgu, am Markte, ein sehr wertvolles Denkmal russischer Architektur des 12. Jahrhunderts.

In Nowgorod wurden die Klöster Antoniev, Khutynski, Zverin, Derevjanitzki und andere antike Klöster, die berühmte Kirche von Spas-Nereditza und eine Reihe anderer Kirchen von den Hitler-Banden zerstört.

Die deutschen Soldaten verspotteten die religiösen Gefühle der Bevölkerung. Sie kleideten sich in Kirchengewänder, hielten Pferde und Hunde in den Kirchen und machten Bettgestelle aus den Ikonen.

Im alten Staritzki-Kloster fanden Truppenteile der Roten Armee die unbekleideten Leichname von gemarterten kriegsgefangenen Kameraden, die in Haufen geschichtet waren.

Der der Sowjetunion zugefügte Schaden, das Ergebnis der Zerstörungen und Plünderungen der deutschen Truppenteile ist außerordentlich groß.

Die deutschen Armeen und Besatzungsbehörden, welche die Befehle der verbrecherischen Hitler-Regierung und des OKW ausführten, zerstörten und plünderten die von ihnen überrannten Dörfer und Städte, industrielle Betriebe und Kollektivwirtschaften, zerstörten die Kunstdenkmäler, vernichteten, stahlen und verbrachten Fabrikeinrichtungen, Rohstoffe, Materialien, Fertigprodukte, sowie künstlerische und historische Schätze nach Deutschland und führten eine allgemeine Plünderung der Stadt- und Landbevölkerung durch. In den besetzten Gebieten der Sowjetunion lebten vor dem Kriege 88 Millionen Menschen. Ihre industrielle Produktion betrug 46 Milliarden Rubel, und zwar nach den von der Regierung festgesetzten Preisen von 1926-1927; es waren 109 Millionen Stück Vieh vorhanden, einschließlich 31 Millionen Rinder, und 12 Millionen Pferde, es gab 71 Millionen Hektar bebautes Land und 122000 Kilometer Eisenbahnlinien.

Die deutschen faschistischen Eindringlinge zerstörten oder verbrannten ganz oder teilweise 1710 Städte und über 70000 Dörfer und Siedlungen, verbrannten oder zerstörten über 6 Millionen Gebäude und machten ungefähr 25 Millionen Menschen obdachlos. Unter den beschädigten Städten, die am meisten gelitten haben, waren die großen Industrie- und Kulturzentren Stalingrad, Sewastopol, Leningrad, Kiew, Minsk, Odessa, Smolensk, Nowgorod, Pskow, Orel, Charkow, Woronesch, Rostow am Don und viele andere.

Die deutschen faschistischen Eindringlinge zerstörten 31850 Industriebetriebe, die ungefähr 4 Millionen Arbeiter beschäftigten; sie zerstörten oder entfernten aus dem Lande 239000 elektrische Motoren und 175000 Metallschneidemaschinen.

[214] Die Deutschen zerstörten 65000 km Eisenbahnschienen, 4100 Eisenbahnstationen, 36000 Post- und Telegraphenstellen, Telephonzentralen und andere Verkehrseinrichtungen.

Die Deutschen zerstörten oder verwüsteten 40000 Spitäler und andere Heilanstalten, 84000 Schulen, technische Schulen, Hochschulen und wissenschaftliche Forschungsinstitute sowie 43000 öffentliche Bibliotheken.

Die Hitleristen zerstörten und plünderten 98000 Kolchosen, 1876 Staatsgüter und 2890 Maschinen-und Traktorenstationen. Sie schlachteten, raubten oder trieben nach Deutschland: 7 Millionen Pferde, 17 Millionen Stück Rindvieh, 20 Millionen Schweine, 27 Millionen Schafe und Ziegen und 110 Millionen Stück Geflügel.

Der gesamte der Sowjetunion durch diese verbrecherischen Handlungen der Hitler-Armeen verursachte Schaden wurde mit einem Betrag von 679 Milliarden Rubel festgestellt, und zwar auf Grund der von der Regierung im Jahre 1941 festgesetzten Preise.

Alle Angeklagten bereiteten vor, organisierten und begingen unbeschreibliche und ungeheuerliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gegen die Grundlagen menschlicher Ethik und des Völkerrechts, wie man ihnen niemals zuvor in der Geschichte begegnet ist.

In der Anklage, und zwar im Punkt 4 der Anklageschrift, wird mit Recht ausgeführt, daß der Plan und die Verschwörung selbst auch für die Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit erdacht wurde.

Die faschistischen Verschwörer fingen mit dem Augenblick der Gründung der Hitler-Partei an, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen.

Diese Verbrechen nahmen, nachdem die Hitleristen zur Macht gekommen waren, ungeheure Ausmaße an.

Das im Jahre 1938 errichtete Konzentrationslager Buchenwald und das im Jahre 1934 gegründete Konzentrationslager Dachau erwiesen sich nur als blasse Vorbilder für die Lager Maidanek, Auschwitz, Slavuta und zahlreiche Todeslager, die von den Hitleristen in den Gebieten Lettlands, Weißrußlands und der Ukraine eingerichtet wurden.

Schon die Machtübernahme der Hitleristen stand im Zeichen vieler Provokationen, die als Vorwand für die Begehung schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit dienten.

Es war allgemein verbreiteter Brauch der Hitleristen geworden, mit allen jenen, die nicht die »Weltanschauung« der faschistischen Cliquen teilten, ohne gerichtliches Verfahren fertig zu werden:

»Wir verweigern den Feinden des Volkes jede gesetzliche Verteidigung.

[215] Wir Nationalsozialisten stellen uns bewußt gegen falsche Milde und falsche Humanität... Wir haben kein Verständnis für ausgeklügelte Advokatenkunst und überspitzte Rechtstüfteleien.« (Hermann Göring »Reden und Aufsätze«, Zentralverlag der NSDAP, München, 1940, S. 1591.)

So schrieb Göring bereits im Jahre 1934 in seinem Artikel, der jenseits des Ozeans in der Hearst-Presse veröffentlicht wurde.

In einem bereits aus dem Jahre 1933 stammenden Artikel sah Göring es als sein besonderes Verdienst an, daß er die gesamte Führung der Gestapo neu organisiert, die Geheimpolizei unter seine unmittelbare Kontrolle gestellt und Konzentrationslager zur Bekämpfung seiner politischen Gegner eingerichtet hatte:

»So« – sagt Göring – »entstanden die Konzentrationslager, in die wir bald Tausende von KPD- und SPD-Funktionären einliefern mußten.«

Der sowjetischen Anklagebehörde stehen die Aufzeichnungen von Martin Bormann über die von Hitler am 2. Oktober 1940 abgehaltene Sitzung zur Verfügung. Diese Aufzeichnungen wurden in den Archiven des Deutschen Auswärtigen Amtes gefunden und von den Sowjettruppen in Berlin erbeutet. Diese Urkunde bezieht sich auf das besetzte Polen. Sie wird dem Gerichtshof vorgelegt werden.

Im Augenblick werde ich nur einige wenige Punkte aus dem Programm der Hitler-Führung zitieren, wie sie in der Urkunde enthalten sind. Die Konferenz begann mit der Erklärung Franks, daß seine Tätigkeit in dem Generalgouvernement als sehr erfolgreich angesehen werden könne. Die Juden seien in Warschau und in anderen Städten in Ghettos eingesperrt. Krakau werde sehr bald judenrein sein: –

»Unbedingt zu beachten sei, daß es keine ›polnischen Herren‹ geben dürfte; wo polnische Herren vorhanden seien, sollten sie, so hart es klingen möge, umgebracht werden... Alle Vertreter der polnischen Intelligenz muß man umbringen. Dies klinge hart, aber es sei nun einmal das Lebensgesetz.... Die polnischen Priester bekämen von uns ihre Nahrung, und dafür hätten sie ihre Schäfchen in der von uns gewünschten Weise zu dirigieren. Die Priester würden von uns bezahlt und dafür hätten sie zu predigen, wie wir es wünschten. Wenn ein Priester dagegen handle, sei ihm kurzer Prozeß zu machen. Die Priester müßten die Polen also ruhig dumm und blöd halten, dies läge durchaus in unserem Interesse. Der niedrigste deutsche Arbeiter und der niedrigste deutsche Bauer muß immer wirtschaftlich über jedem Polen stehen.«

Einen besonderen Platz unter den unerhörten Verbrechen der Nazis nimmt die blutige Metzelei der slawischen und jüdischen Völker ein.

[216] Hitler sagte zu Rauschning:

»Nach all den Jahrhunderten des Gejammers über den Schutz der Unterdrückten und Gedemütigten ist es endlich Zeit, daß wir uns entschließen, den Starken gegen den Minderwertigen zu schützen. Es wird eine der Hauptaufgaben der deutschen Staatskunst für alle Zeiten sein, die weitere Vermehrung der slawischen Rassen mit allen in unse rer Macht befindlichen Mitteln zu verhüten. Die natürlichen Instinkte gebieten, alle lebenden Wesen, nicht nur ihre Feinde zu besiegen, sondern sie auch zu vernichten. In früheren Zeiten war es das Vorrecht des Siegers, ganze Stämme, ganze Völker zu vernichten.« (H. Rauschning, »The Voice of Destruction«, New York, 1940, Seite 138.)

Der Hohe Gerichtshof hat bereits die Aussage des Zeugen Erich von dem Bach-Zelewsky über Himmlers Ziele gehört, die dieser in einer Anfang 1941 gehaltenen Rede bekanntgemacht hat.

In Beantwortung einer Frage, die von einem Vertreter der Sowjetischen Anklagebehörde gestellt wurde, erklärte der Zeuge: »Himmler erwähnte in seiner Rede, daß es notwendig sei, die Anzahl der Slawen um 30 Millionen zu reduzieren.«

Der Hohe Gerichtshof möge daraus ersehen, welche ungeheuren Ausmaße die verbrecherischen Pläne der grausamen Hitler-Fanatiker annahmen.

Die Hitleristen verfuhren grausam mit den sowjetischen Intellektuellen.

Schon vor dem Angriff auf die USSR waren Richtlinien für die schonungslose Ausrottung des Sowjetvolkes aus politischen und rassischen Gründen vorbereitet. Im Anhang 2 des Operationsbefehls Nummer 8 des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD vom 17. Juni 1941 hieß es:

»Es ist vor allem wichtig, die Identität aller wichtigen Regierungs- und Parteibeamten, besonders berufsmäßigen Revolutionäre, Angestellten der Komintern, aller einflußreichen Angehörigen der kommunistischen Partei der USSR und der ihr angeschlossenen Organisationen des Zentralkomitees und der Kreis- und Bezirkskomitees, aller Volkskommissare und deren Stellvertreter, aller früheren politischen Kommissare der Roten Armee, der führenden Persönlichkeiten von staatlichen Anstalten zentraler und mittlerer Instanz, der führenden Persönlichkeiten des Wirtschaftslebens, der sowjetrussischen Intellektuellen und aller Juden, festzustellen.«

In einer Anordnung vom 17. Juni 1941 für die Sicherheitspolizei und SD-Abteilungen ist die Notwendigkeit solcher Maßnahmen nicht nur gegen die Russen, sondern auch gegen die Ukrainer, die [217] Weißrussen, die Bewohner von Aserbeidschan, Armenier, Georgier, die türkischen Völker und andere Nationalitäten betont.

Die Sowjetische Anklagebehörde wird dem Gerichtshof hierfür Tatsachen unterbreiten und die diesbezüglichen Dokumente vorlegen.

Die faschistischen Verschwörer hatten die Ausrottung der Juden der Welt bis zum letzten Manne geplant und führten diese Vernichtung während der ganzen Zeit ihrer Verschwörertätigkeit seit 1933 durch.

Mein amerikanischer Kollege hat schon Hitlers Ausspruch vom 24. Februar 1942 angeführt: »Die Juden werden vernichtet«. In einer Rede des Angeklagten Frank, die in der »Krakauer Zeitung« vom 18. August 1942 veröffentlicht wurde, hieß es:

»Jeder, der heute durch Krakau, Lemberg, Warschau, Radom und Lublin kommt, muß ehrlich zugeben, daß die deutschen Verwaltungsmaßnahmen von großem Erfolg waren – man sieht fast keine Juden mehr.«

Die bestialische Ausrottung der jüdischen Bevölkerung fand in der Ukraine, Weißrußland und den Baltischen Staaten statt.

In der Stadt Riga lebten vor der deutschen Besetzung ungefähr 80000 Juden. Als die Rote Armee Riga befreite, waren 140 Juden übrig geblieben.

Es ist unmöglich, in einer Eröffnungsrede die von den Angeklagten gegen die Humanität verübten Verbrechen aufzuzählen.

Die sowjetische Anklagebehörde hat erhebliche Dokumente an der Hand, die sie dem Gerichtshof vorlegen wird.

Hoher Gerichtshof! Ich bin hier als Vertreter der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken, welche die Hauptwucht des faschistischen Angriffs ertragen haben, und die in ungeheurem Ausmaß zu der Zerschmetterung von Hitler-Deutschland und dessen Satelliten beigetragen haben.

Im Namen der Sowjetunion erhebe ich Anklage gegen die Angeklagten in allen Punkten des Artikels 6 des Statuts des Internationalen Militärgerichtshofs.

Zusammen mit den Hauptanklagevertretern der Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritanniens und Frankreichs klage ich die Angeklagten der Vorbereitung und Durchführung des verräterischen Überfalls auf die Bevölkerung meines Landes und auf alle freiheitliebenden Völker an.

Ich klage sie an, nachdem sie einen zweiten Weltkrieg entfesselt hatten, diesen Krieg unter Verletzung der grundlegenden Prinzipien des Völkerrechts und unter Bruch aller von ihnen geschlossenen Verträge dazu benutzt zu haben, um Massenausrottung friedlicher Bürger, Raub, Notzucht und Plünderung zu verüben.

[218] Ich klage sie an, daß sie, nachdem sie sich als Vertreter der von ihnen selbst erfundenen Herrenrasse erklärt hatten, wo immer sie ihre Herrschaft ausdehnten, ein Regime der Willkür und Tyrannei, ein Regime, das alle elementaren Grundsätze der Menschlichkeit mißachtete, errichteten.

Da heute als Ergebnis des heldenhaften Kampfes der Roten Armee und der verbündeten Armeen, Hitler-Deutschland vernichtet und niedergeworfen ist, haben wir kein Recht, die Opfer, die darunter gelitten hatten, zu vergessen; wir haben kein Recht, die Schuldigen und Anstifter dieser ungeheuerlichen Verbrechen ungestraft zu lassen.

In heiligem Gedenken an die Millionen unschuldiger Opfer des faschistischen Terrors, im Namen der Festigung des Weltfriedens, im Namen der Sicherheit der Völker und der Zukunft, rechnen wir mit den Angeklagten voll und ganz ab. Dies ist die Abrechnung der ganzen Menschheit, die Abrechnung des Willens und des Gewissens der freiheitliebenden Nationen. Möge Recht geschehen.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird nunmehr die Sitzung unterbrechen. General Rudenko, Ihrer Delegation wird es doch recht sein, nach der Vertagung fortzufahren, nicht wahr?

GENERAL RUDENKO: Jawohl, Herr Präsident, ich möchte auch um eine Unterbrechung bitten.


VORSITZENDER: Meinen Sie eine Unterbrechung für den ganzen Tag oder, wie der Gerichtshof vorschlug, eine Verhandlungspause von zehn bis fünfzehn Minuten und Fortsetzung bis 5.00 Uhr? Wäre Ihnen das recht?


GENERAL RUDENKO: Ja, Herr Vorsitzender.


[Pause von 10 Minuten.]


GENERAL RUDENKO: Herr Vorsitzender, Oberst Karev wird jetzt ausführen, in welcher Reihenfolge die Beweisdokumente von der Sowjetischen Anklagevertretung dem Gerichtshof vorgelegt werden.

OBERST S. D. KAREV, HILFSANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Die Sowjetische Anklagevertretung wird nunmehr die Beweise zu allen Punkten der Anklage vorbringen. Der Gerichtshof kennt bereits eine große Zahl wichtiger Urkunden, die von unseren geehrten Kollegen vorgelegt wurden. Die Sowjetische Anklagevertretung verfügt ihrerseits über eine große Anzahl von Urkunden, die sich auf die verbrecherische Tätigkeit der faschistischen Verschwörer beziehen.

Zum ersten Punkt, Verbrechen gegen den Frieden, werden wir folgende Dokumente vorlegen:

[219] Erlasse der deutschen Behörden, Befehle und Pläne des deutschen Wehrmachtskommandos, Tagebücher und private Archive einiger Führer der faschistischen Partei und solche der Deutschen Regierung ebenso wie auch andere Urkunden. Diese Urkunden wurden zum Teil von der Roten Armee bei deutschen Soldaten und Offizieren erbeutet, beziehungsweise in Konzentrationslagern oder in den deutschen Amtsstellen entdeckt. Zu Punkt 2 und 3, das sind Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, legen wir als Beweisstücke in erster Linie die Berichte und Akten der Außerordentlichen Staatskommission zur Feststellung und Erforschung der Verbrechen vor, die von den deutsch-faschistischen Eindringlingen und ihren Helfern begangen wurden. Diese Kommission wurde auf Grund eines Erlasses des Präsidiums des Obersten Sowjets der USSR vom 2. November 1942 bestellt. Für die Arbeit an Ort und Stelle wurden Staats-, Land-, Gebiete- und Ortsunterkommissionen geschaffen, um der Außerordentlichen Staatskommission bei der Feststellung und Untersuchung der Untaten der faschistischen Angreifer zu helfen. Die Zentralstelle sowie auch die Zweigstellen dieser Staatskommission bestanden aus angesehenen Staatsmännern und Vertretern verschiedener öffentlicher, wissenschaftlicher und kultureller Organisationen sowie auch von Religionsgemeinschaften. Die Außerordentliche Staatskommission hat durch ihre Bevollmächtigten mit Hilfe der herangezogenen Vertreter lokaler Gruppen und lokaler Behörden Material gesammelt und geprüft, Protokolle über die Greueltaten der deutschen Eindringlinge aufgenommen und die Schäden, die der Sowjetunion und ihren Bürgern zugefügt wurden, festgestellt. Allein über die Verbrechen, die von den deutsch-faschistischen Unholden gegen die friedlichen Bürger der USSR verübt worden sind, wurden 54784 Akten angelegt. Diese Akten sind gemäß Artikel 21 des Statuts des Internationalen Militärgerichtshofs unanfechtbare Beweismittel. Von all diesen Akten der Außerordentlichen Staatskommission wird dem Gerichtshof gegenwärtig nur ein kleiner Teil von der Sowjetischen Anklagevertretung vorgelegt werden. Der Sowjetischen Anklagevertretung steht auch photographisches Material zur Verfügung, das die von den deutsch-faschistischen Verschwörern in den zeitweilig besetzten Gebieten der USSR begangenen Greueltaten und Zerstörungen veranschaulicht. Bin Teil dieser Aufnahmen wird dem Gerichtshof vorgelegt werden. Die Sowjetische Anklagevertretung wird dem Gerichtshof auch einige dokumentarische Filme als Beweismaterial vorführen. Die Sowjetische Anklagevertretung wird auch verschiedene erbeutete deutsche Dokumente, Photographien und Filme als Beweismittel verwenden.

Die Sowjetische Anklagevertretung wird ferner die Beweise bezüglich der von den Angeklagten und ihren Helfershelfern begangenen Kriegsverbrechen gegen die Tschechoslowakei, Polen [220] und Jugoslawien vorlegen. Unter diesen Beweisen muß man den amtlichen Bericht der Tschechoslowakischen Regierung besonders erwähnen. Dieser Bericht trägt den Titel »Deutsche Verbrechen gegen die Tschechoslowakei« und wurde im Auftrag der Tschechoslowakischen Regierung von Dr. Boguslav Eèer verfaßt, dem Außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister, dem Vertreter der Tschechoslowakei in der Kommission der Vereinten Nationen zur Erforschung von Kriegsverbrechen. Dem amtlichen Bericht wegen der deutschen Verbrechen gegen die Tschechoslowakei sind Dokumente beigelegt. Unter diesen Dokumenten befinden sich amtlich veröffentlichte und herausgegebene Gesetze, Erlasse, Anordnungen und so weiter der deutsch-faschistischen Behörden sowie Urkunden aus den Archiven der Tschechoslowakischen Regierung und eidesstattliche Erklärungen von Personen, die während der Besetzung hohe Ämter in der Tschechoslowakei bekleidet haben.

Ein besonderer Film über die Zerstörung des Dorfes Lidice wird gezeigt werden. Dieser Film wurde seinerzeit von deutschen amtlichen Stellen zusammengestellt. Er wurde von den Organen des tschechoslowakischen Innenministeriums aufgefunden. Der amtliche Bericht über die deutschen Verbrechen gegen die Tschechoslowakei und die ihm beigelegten Dokumente sind gemäß Artikel 21 des Statuts des Internationalen Militärgerichtshofs unanfechtbare Beweise und werden dem Gerichtshof als Beweisstück USSR-60 vorgelegt werden.

Die Sowjetische Anklagevertretung wird auch Beweise wegen der von den Verschwörern in Polen begangenen Verbrechen vorlegen. Ein Bericht der Polnischen Regierung vom 22. Januar 1946 stellt das Hauptdokument in dieser Sache dar. Als wichtige Quelle bei der Zusammenstellung dieses Berichts über die deutschen Verbrechen in Polen wurden in erster Linie die amtlichen Urkunden der Polnischen Regierung verwandt. Der amtliche Bericht der Polnischen Regierung sowie auch alle beigefügten Dokumente entsprechen allen Erfordernissen des Artikels 21 des Statuts des Internationalen Militärgerichtshofs und stellen daher unbestreitbare Beweisstücke dar.

Schließlich wird die Sowjetische Anklagevertretung Dokumente über die von den deutsch-faschistischen Eindringlingen in Jugoslawien begangenen Verbrechen vorlegen. Die Erhebungen über die verbrecherische Tätigkeit der deutschen Truppenführung und der deutschen Besatzungsbehörden in Jugoslawien wurde von der jugoslawischen Staatskommission zur Feststellung der Verbrechen der deutschen Besatzung durchgeführt. Diese Kommission wurde am 29. November 1943 durch einen Erlaß des jugoslawischen antifaschistischen Komitees für Volksbefreiung geschaffen. Diese [221] Kommission, deren Präsident von Anfang an Dr. Douschan Nedelkovitch, Professor an der Belgrader Universität, war, begann ihre Arbeit bereits zu einer Zeit, als ein Teil Jugoslawiens sich noch unter der Herrschaft deutscher, italienischer, ungarischer und anderer Besatzungstruppen befand. Die Untersuchung der von den deutsch-faschistischen Eroberern begangenen Verbrechen wurde außer von der jugoslawischen Staatskommission auch von acht besonderen Bundeskommissionen sowie von Bezirks- und Kreiskommissionen durchgeführt. Auf der Grundlage des gesammelten Materials hat die jugoslawische Staatskommission 53 Veröffentlichungen über die Untaten der deutschen Besatzungsmacht herausgegeben und legt ihren Bericht vom 26. Dezember 1945 vor. Dieser Bericht stellt ebenfalls unbestreitbares Beweismaterial dar und wird als Beweisstück USSR-36 vorgelegt.

Ich möchte jetzt bemerken, daß das dokumentarische Beweismaterial, das bereits von unseren geehrten amerikanischen, britischen und französischen Kollegen vorgelegt worden ist, auch von den Vertretern der Sowjetischen Anklagebehörde in gewissem Umfang gebraucht werden wird.

Erlauben Sie mir zum Schluß die Reihenfolge mitzuteilen, in der die Anklagevertreter der USSR ihre Vorträge halten werden.

Zum Punkt »Verbrechen gegen den Frieden«, Angriff auf die Tschechoslowakei, Polen und Jugoslawien, wird der Stellvertreter des Hauptanklagevertreters der USSR, Oberst Pokrowsky, die Ausführungen machen.

Die Darlegungen zum Punkt »Angriff gegen die Sowjetunion« werden vom Staatsjustizrat III. Klasse, Zorya, unterbreitet werden.

Sodann wird Oberst Pokrowsky vor dem Gerichtshof diejenigen Verbrechen erörtern, die unter Verletzung der Kriegsgesetze und -gebräuche bei der Behandlung der Kriegsgefangenen begangen worden sind.

Der Punkt »Verbrechen gegen die friedliche Bevölkerung der USSR, Tschechoslowakei, Polens und Jugoslawiens« wird vom Oberstaatsjustizrat Smirnow behandelt werden.

Der Bericht über die Plünderung von Privat-, öffentlichem und Staatseigentum wird durch den Staatsjustizrat II. Klasse, Schenin, erstattet werden.

Berichterstatter über die »Plünderung und Zerstörung von Kulturwerten« und »willkürliche Zerstörungen von Städten und Dörfern« wird Staatsjustizrat II. Klasse, Raginsky, sein.

Staatsjustizrat III. Klasse, Zorya, wird die Frage »Zwangsarbeit und Verschleppung in die deutsche Sklaverei« erörtern.

Schließlich wird Oberstaatsjustizrat Smirnow Ausführungen über den letzten Punkt »Verbrechen gegen die Humanität« machen.

[222] Erlauben Sie mir, damit meine Erklärungen zu schließen.


OBERST POKROWSKY: Meine Herren Richter! Herr Vorsitzender! Die einleitenden Reden der Hauptankläger haben die Frage beleuchtet, wie das faschistische Deutschland den Angriffskrieg ideologisch vorbereitet hat.

Der Zusammenhang zwischen der hitlerischen Propaganda und der Angriffshandlung gegen den Frieden wurde auch in der Rede des Hauptanklagevertreters der USSR aufgezeigt. Ich werde daher nur einen kurzen Auszug aus dem von Horst von Metzsch geschriebenen Buch »Krieg als Saat« zitieren, das im Jahre 1934 in Breslau erschienen ist.

Ich zitiere:

»Es ist unmöglich, sich Nationalsozialismus ohne Krieg vorzustellen. Deutscher soldatischer Ruhm ist sein Vater, der beste Schütze der Armee ist sein Führer, und der eiserne Geist des Krieges ist seine Seele.«

Dies ist nicht nur ein einfacher Satz, der einem schwatzhaften hitlerischen Schmierfinken entschlüpft ist, sondern stellt ein ausgeplaudertes Programm dar.

Krieg, und nur Krieg, wurde von den Hitler-Verschwörern als das beste Mittel angesehen, um ihre außenpolitischen Ziele zu erreichen.

Es ist darum nur natürlich, daß Deutschland nach der faschistischen Machtergreifung in ein bewaffnetes Lager verwandelt und zu einer ständigen Drohung für seine Nachbarstaaten wurde.

In erster Linie richteten die faschistischen Verschwörer ihren Blick nach Osten.

In seinem Buch »Mein Kampf«, das dem Gerichtshof bereits zur Verfügung steht, schrieb Hitler schon im Jahre 1930, wobei ich darauf aufmerksam mache, daß in dem jetzt jedem Mitglied des Gerichtshofs übergebenen Dokumentenbuch sich dieser von mir aus dem Buch »Mein Kampf« zitierte Auszug im ersten Band, Seite 1, befindet.

Ich halte es für zweckmäßig, dem Gerichtshof mitzuteilen, daß für seine Bequemlichkeit alle zu zitierenden Stellen in Ihrem Buche mit Rotstift angezeichnet sind.

Ich zitiere:

»Der Drang nach Osten geht weiter trotz allem. Rußland muß von der Liste der europäischen Staaten gestrichen werden.« Seite 732, »Mein Kampf«, Ausgabe 1930.

Indem Hitler-Deutschland in verlogener Weise seine Friedensliebe erklärte und allen seinen Nachbarn Versicherungen gab, mit ihnen in Frieden leben zu wollen, trachtete es dennoch stets danach, [223] seine tatsächliche und stets vorhandene Angriffsabsicht zu verbergen.

Die Verschwörer waren gern bereit, Schieds- oder Nichtangriffspakte und so weiter abzuschließen. Sie taten das nicht, weil sie tatsächlich Frieden wollten, sondern in der Absicht, einen günstigen Augenblick für den heimtückischen Angriff abzuwarten und die Wachsamkeit der anderen Völker einzuschläfern.

Nachdem sie einen Angriff durchgeführt hatten, versuchten sie mit noch größerer Energie jedermann zu überzeugen, daß sie nunmehr keine weiteren Angriffe beabsichtigten.

Ein Zusammenwirken von Heuchelei und Falschheit, von Verrat und Angriff beherrschte das System der deutschen Außenpolitik.

Mit unerhörter Frechheit verletzten die faschistischen Verschwörer ihre sämtlichen internationalen Verpflichtungen und Verträge, einschließlich derer, die unmittelbar die Anwendung von Krieg bei der Lösung internationaler Streitigkeiten verboten.

Nicht ein einziger der von der hitlerischen Verschwörerclique geführten Kriege fällt unter den Begriff »Verteidigungskrieg«. In allen Fällen handelten die deutschen Faschisten als Angreifer. Sie gaben zu, daß sie nicht zögerten zu provozieren, um einen Vorwand zu finden, damit sie ihr nächstes Schlachtopfer im günstigen Augenblick angreifen konnten.

Punkt 2 der Anklageschrift enthält eine ganze Liste der Kriege, die von den faschistischen Verschwörern vorbereitet, provoziert, entfesselt und durchgeführt wurden.

Die wahnsinnige Einbildungskraft der Hitleristen hat ihnen im Osten einen Garten Eden für faschistische Angreifer vorgegaukelt und ein Paradies errichtet auf dem Blut und den Knochen von Millionen von Menschen, die diese Länder bewohnten.

Sir David Maxwell-Fyfe hat dem Gerichtshof angekündigt, daß die Sowjetische Delegation neues Beweismaterial über die verbrecherische Verschwörung gegen den Frieden vorlegen werde, und gleichzeitig bekanntgegeben, daß Wiederholungen in Einzelfällen sich nicht vermeiden lassen würden.

In dem Bestreben, die Zahl der Wiederholungen so klein wie möglich zu halten, erlaube ich mir, Ihre Aufmerksamkeit auf einige Dokumente zu lenken, die sich auf verbrecherische Angriffe der faschistischen Verschwörer beziehen.

Als dokumentarischen Beweis unterbreite ich dem Gerichtshof das Dokument USSR-60, einen amtlichen tschechoslowakischen Bericht. Dieser beginnt mit dem folgenden kennzeichnenden Satz. Ich muß zur Kenntnis bringen, daß Sie diesen Satz auf Seite 10, I. Teil im ersten Band des Dokumentenbuches mit Rotstift unterstrichen finden werden:

[224] »Die Tschechoslowakei bildet ein Hindernis für den deutschen Drang nach Osten und für die Beherrschung Europas.«

Darauf folgt eine Analyse der strategischen und politischen Aspekte des Angriffs auf die Tschechoslowakei.

VORSITZENDER: Oberst Pokrowsky, wenn Sie ein Dokument als Beweismittel vorlegen wollen, dann werden Sie das Originalschriftstück vorlegen und es dem Gerichtssekretär überreichen, nicht wahr?

OBERST POKROWSKY: Wie ich Ihnen gesagt habe, folgt weiterhin im Dokument USSR-60 eine Analyse der strategischen und politischen Aspekte des Angriffs gegen die Tschechoslowakei. Ich zitiere und beginne mit dem zweiten Satz, Unterabschnitt a). Diese Stelle ist zu Ihrer Bequemlichkeit rot angestrichen:

»Die Tschechoslowakei hatte als natürliche Grenze und Bollwerk gegen ein militärisches Vordringen bis zum Donaubecken und von dort weiter durch die östlichen Karpathen nach dem Osten und entlang des Donautales auf dem Balkan tatsächlich erstrangige strategische Bedeutung.«

Punkt b) legt dar, daß die Tschechoslowakei ein demokratischer Staat war und schließlich bringt

Punkt c) eine Analyse über die Tschechoslowakei vom nationalen Standpunkt aus gesehen.

Ich werde diesen Unterabschnitt zitieren, so wie er in diesem Bericht steht. Sie werden die von mir zitierte Stelle im ersten Band, 1. Teil, auf Seite 11, unten auf der Seite und am Anfang der Seite 12 finden.

»C. Unter nationalem Gesichtspunkt: Die Tschechoslowakei war durch die überwiegende Mehrzahl seiner Bewohner ein slawischer Staat mit einem starken Bewußtsein der altslawischen Solidarität.«

Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß eines der grundlegenden Ziele der faschistischen Verschwörung in der Vernichtung der demokratischen Grundlagen und der Ausrottung des Slawentums bestand.

Der Gerichtshof wird vielleicht bemerkt haben, daß die Methoden der Ausführung des Angriffs durch die Hitler-Verschwörer immer denselben Charakter trugen. In allen Fällen wurde die blitzartige Geschwindigkeit des militärischen Angriffs als unumgänglich notwendig betrachtet. Sie versuchten, das Element der Überraschung dadurch zu erreichen, daß sie dem zukünftigen Feinde heimtückische und hypokritische Versicherungen ihrer friedlichen Absichten gaben.

Gleichzeitig wurde weitgehend von einem System der Bestechung, Erpressung, Provokation und Finanzierung verschiedener profaschistischer Organisationen Gebrauch gemacht, indem eine Anzahl [225] prinzipienloser Politiker und regelrechter Vaterlandsverräter als bezahlte Agenten verwendet wurden.

Herr Alderman hat seine Beweisführung mit der Aufzählung einiger Beispiele dieser Art begonnen. Er hat vor dem Gerichtshof ausführlich dargestellt und durch Dokumente bewiesen, daß Hans Karmazin, der Vertreter der sogenannten »autonomen slowakischen Bewegung«, mit deutschem Geld gekauft worden war. Dasselbe gilt auch für den stellvertretenden Premierminister Dukanski, den berüchtigten Tuka und viele andere Führer der Hlinka-Partei.

Es wurde Ihnen vorgetragen, daß Anfang März 1939, das heißt, unmittelbar vor dem für den Einmarsch der Nazis in die Tschechoslowakei geplanten Tage, die Tätigkeit der Fünften Kolonne ihren Höhepunkt erreicht hatte.

Ich glaube, ich muß dem Gerichtshof einige Tatsachen über die hitlerischen Organisationen vortragen, die zum Zwecke der subversiven Tätigkeit errichtet wurden, sowie über die Rolle, die der SS-Mann Lorenz, dessen Namen ich später wieder erwähnen werde, in der Aktion gegen die Tschechoslowakei gespielt hat.

Himmler vereinigte in seiner Person verschiedene Ämter: den Posten eines Reichsführers der Schutzstaffeln, SS, und den eines »Reichskommissars für die Festigung des Deutschen Volkstums«. In dieser Eigenschaft leitete er alle Staats- und Parteiorganisationen innerhalb Deutschlands, welche die deutschen Siedlungen, die Arbeit der deutsch-faschistischen Minderheiten in anderen Ländern und die Rückwanderung von Deutschen nach Deutschland kontrollierten.

Das ausführende Organ auf diesem Gebiet war die sogenannte »Volksdeutsche Mittelstelle«. Der Leiter dieser Organisation und daher der eigentliche Stellvertreter Himmlers auf diesem besonderen Gebiet war SS-Obergruppenführer Lorenz, über den wir später noch sprechen werden. Es gab auch noch eine andere verbrecherische Organisation, die »Auslandsorganisation der NSDAP«, abgekürzt AO. Sie spielt eine große Rolle bei der Bildung der Fünften Kolonne in Ländern, die später den hitlerischen Angriffen unterlagen.

Die AO vereinigte im Ausland die dort lebenden Mitglieder der Nazi-Partei. Abgesehen von der Propaganda für den Faschismus nahm die AO auch an politischer und sonstiger Spionage teil. Auslandsdeutsche erhielten materielle Hilfe durch die AO und standen in Verbindung mit verschiedenen pro-deutschen und Spionagegruppen des Landes, in dem sie lebten.

Die Unterabteilungen der Hitler-Partei im Ausland standen unter der Führung deutscher diplomatischer Missionen. Für diesen Zweck wurde der Leiter der AO, Gauleiter Ernst Wilhelm Bohle, mit dem Rang eines Staatssekretärs in das Auswärtige Amt übernommen.

[226] Der amtliche tschechoslowakische Bericht hat einige Nachträge, von denen einer als 3061-PS registriert ist. Er enthält Auszüge aus der Aussage Karl Hermann Franks, des früheren Stellvertreters des Reichsprotektors. Ich unterbreite dieses Dokument dem Gerichtshof und möchte mich, ohne es ganz zu lesen, kurz auf diejenigen Teile beziehen, die sich mit der Frage der Fünften Kolonne beschäftigen.

Bei dem Verhör vom 9. Oktober 1945, das der Gerichtshof im ersten Band, erster Teil, Seite 185 des Dokumentenbuches finden wird, erklärte Frank, daß seiner Ansicht nach die Henlein-Partei bereits seit dem Jahre 1936 Geld von Deutschland erhalten habe. Im Jahre 1938 erhielt sie Beträge von der sogenannten »Volksdeutschen Mittelstelle« in Berlin durch Vermittlung des Deutschen Gesandten in Prag. Frank bestätigte, daß er einige Male persönlich mit Henlein bei dem Deutschen Gesandten in Prag gewesen wäre und von ihm zusammen mit Henlein Geld für die Partei übernommen hätte. Frank gibt zu, daß die Empfangnahme des Geldes mit den Pflichten eines tschechoslowakischen Staatsbürgers nicht vereinbar war.

Frank gab weiter zu, daß er einige Male allein auf der Deutschen Gesandtschaft in Prag gewesen sei und den Deutschen Gesandten über die innerpolitische Lage in der Tschechoslowakei informiert und durch die Art der gegebenen Informationen Hochverrat begangen habe. Frank sagt aus; die Stelle, die ich jetzt zitieren werde, wird der Gerichtshof im ersten Band, erster Teil, Seite 187, finden:

»Alle Unterredungen im Sommer 1938 zwischen Henlein und mir auf der einen und den Reichsstellen, besonders Adolf Hitler, Heß und Ribbentrop auf der anderen Seite hatten den Zweck, die Reichsstellen von der Entwicklung der politischen Situation in der Tschechoslowakei zu informieren. Er kam zu ihnen auf Wunsch der Reichsstellen.«

Ich habe diesen Auszug aus der russischen Übersetzung des Dokuments 3061-PS, Seite 5, entnommen.

Auf Seite 188 Ihres Dokumentenbuches werden Sie einen anderen Auszug finden, den ich Ihnen jetzt mitteilen werde.

Frank gab an:

»Auf Frage erkläre ich, daß ich mich des Verrats bewußt bin, welchen die Partei und ihre ganze Hauptleitung durch Empfang von Geld aus Ausland für staatsfeindliche Aktionen beging.«

In Böhmen und Mähren gab es das sogenannte »Freikorps Henlein«.

Bei der Einvernahme am 15. August 1945 sagte Frank aus, daß Henlein und sein Stab sich in Tandorf bei Reuch aufhielten. Henlein [227] habe den Stab, der den Titel »Freikorps Führer« führte, selbst geführt. Das Freikorps wurde auf Befehl Hitlers errichtet, so sagte Frank aus, und ein Teil des Korps wurde in den letzten Septembertagen auf reichsdeutschem Gebiet mit einer kleineren Anzahl von Handwaffen versehen. Nach Frank bestand das Freikorps überwiegend aus Sudetendeutschen und war etwa 15000 Mann stark. Diese Aussage finden wir auf Seite 3 der russischen Übersetzung des Dokuments 3061-PS. In Ihrem Buch findet es sich auf Seite 185, erster Band, Teil I.

Unter den Trophäen der heroischen Roten Armee befinden sich die Archive des Deutschen Auswärtigen Amtes.

Die Sowjet-Delegation verfügt über neue Dokumente. Es erscheint mir zweckmäßig, einiges von dem auf diese Weise erhaltenen Material zur Ergänzung der früher dem Gerichtshof gegenüber gemachten Angaben vorzulegen. Sie sind von besonderem Interesse, wenn wir uns erinnern, daß einer der beliebtesten Vorwände der Hitler-Verschwörer für ihre Angriffe darin bestand, daß sie die Interessen der deutschen Minderheiten schützen wollten.

Ich möchte einen Auszug aus der als Geheimsache bezeichneten Niederschrift über die am 29. März 1938, 12.00 Uhr mittags im Auswärtigen Amt über ausschließlich sudetendeutsche Fragen abgehaltenen Besprechung verlesen. Es handelt sich um unser Dokument USSR-271; die zitierte Stelle befindet sich in Band I, Teil I, Seite 196 ff. Ich zitiere:

»An der Besprechung nahmen die in der anliegenden Liste aufgeführten Herren teil.

Der Herr Reichsminister betonte eingangs die Notwendigkeit einer strengen Geheimhaltung der anberaumten Besprechung und führte sodann unter Hinweis auf die Richtlinien, die gestern nachmittag der Führer Konrad Henlein persönlich erteilt hat, aus, daß es vor allem zwei Fragen wären, die für die Führung der Politik der Sudetendeutschen Partei von Wichtigkeit wären:

1. Das Sudetendeutschtum müsse wissen, daß hinter ihm ein 75-Millionen-Volk stände, das eine weitere Unterdrückung der Sudetendeutschen durch die Tschechoslowakische Regierung nicht dulden würde.

2. Es sei Sache der Sudetendeutschen Partei, gegenüber der Tschechoslowakischen Regierung diejenigen Forderungen aufzustellen, deren Erfüllung sie zur Erlangung der von ihr gewünschten Freiheiten für notwendig erachte.«


VORSITZENDER: Oberst Pokrowsky, es tut mir leid, Sie zu unterbrechen, aber aus der Übersetzung kann ich nicht klar entnehmen, ob Sie das Original dem Gerichtshof vorgelegt und ob Sie [228] ihm schon eine Dokumentennummer gegeben haben, das heißt, ob Sie es schon vorgelegt haben.

OBERST POKROWSKY: Alle Dokumente, welche die Sowjet-Delegation dem Gerichtshof vorgelegt hat, sind von uns in russischer Sprache vorgelegt worden, und sie werden zur Übersetzung in die Übersetzungsabteilung abgegeben, die verpflichtet ist, den Gerichtshof mit Übersetzungen in alle anderen Sprachen zu versehen. Die Nummer dieses Dokuments wurde von mir in genauer Übereinstimmung mit der Eintragungszahl als USSR-271 angegeben.


VORSITZENDER: Wenn das Originaldokument nicht in russischer Sprache abgefaßt ist, dann müssen Sie es in seiner ursprünglichen Fassung dem Gerichtshof vorlegen. Ich weiß nicht, um was für eine Urkunde es sich handelt. Es scheint sich hier um eine Konferenz zu handeln, und ich nehme an, daß das Original in deutscher Sprache verfaßt wurde.


OBERST POKROWSKY: Das Original ist in deutscher Sprache verfaßt.


VORSITZENDER: Wenn dem so ist, so mochten wir das Originaldokument an deutscher Sprache haben.


OBERST POKROWSKY: Die Photokopie des Originals steht dem Gerichtshof zur Verfügung.

Kann ich fortfahren?


VORSITZENDER: Einen Augenblick bitte. Ist das hier das Original?


OBERST POKROWSKY: Dies ist eine Photokopie.


VORSITZENDER: Ich bedaure, aber wir müssen darauf bestehen, das Originaldokument zu bekommen.


OBERST POKROWSKY: Das Originaldokument befindet sich bei der Sowjetregierung und kann, wenn der Gerichtshof es wünscht, von uns beschafft und dem Gerichtshof später vorgelegt werden. Die Photokopie ist beglaubigt.


VORSITZENDER: Ich fürchte, wir müssen die Originalurkunden haben. Wenn die Originaldokumente dem Gerichtshof vorgelegt und mit Beweisnummern versehen worden sind, werden sie beim Gerichtshof verbleiben. Die Frage der Übersetzung ist natürlich eine ganz andere Sache. Um jedoch wirklich sicher zu sein, daß wir die echten Beweise bekommen, müssen wir darauf bestehen, daß die Originaldokumente beim Generalsekretär hinterlegt werden.


OBERST POKROWSKY: Ich nehme den Wunsch des Gerichtshofs zur Kenntnis und werde dementsprechend die Weisung geben, daß die Originaldokumente dem Gerichtshof zugestellt werden, obwohl wir in diesem Falle den bisher eingehaltenen Vorgang beobachtet [229] haben, demzufolge der Gerichtshof es für ausreichend hielt, auf gehörige Weise beglaubigte Photokopien entgegenzunehmen. Wir können die Originale beschaffen, aber das wird etwas länger dauern, weil wir jetzt nicht das ganze Material in Nürnberg zur Verfügung haben.


VORSITZENDER: Gut, es genügt, wenn Sie sich hierzu bereit erklären. Aber Sie haben nicht recht mit der Behauptung, daß eine solche Praxis bisher vom Gericht geübt wurde, denn wir haben von den Französischen Anklagevertretern immer die Vorlage der Originaldokumente verlangt, und sie sind auch vorgelegt worden.


OBERST POKROWSKY: Wir werden Vorsorge treffen, daß der Gerichtshof, wenn auch ein wenig später, alle Originaldokumente bekommt, deren Photokopien wir hier vorlegen. Darf ich fortfahren?

Ich fahre jetzt an der Stelle fort.


VORSITZENDER: Oberst Pokrowsky, ich nehme an, daß Sie imstande sein werden, morgen die Originaldokumente vorzulegen, auf die heute Bezug genommen wurde.


OBERST POKROWSKY: Ich kann das nicht versprechen, weil sich nicht alle Originaldokumente hier befinden. Ein großer Teil dieser Dokumente sind Einzelstücke und werden deshalb hier nicht verwahrt. Wir verfügen hier nur über einige der Originaldokumente. Das einzige, was ich tun kann, ist, daß ich in Zukunft die Originaldokumente, über die wir verfügen, vorlege, die Exemplare, die wir nicht haben, beiziehe und sie dann anstatt der Photokopien vorlege. Das können wir tun.


VORSITZENDER: Ich halte es für zweckmäßig, wenn der Gerichtshof die Verhandlung zur Erwägung dieser Angelegenheit unterbricht.


[Pause von 10 Minuten.]


VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat die Frage der Einreichung von Originaldokumenten erwogen und wünscht, daß folgendes Verfahren beobachtet wird:

Erstens wünscht der Gerichtshof, daß Originaldokumente beim Generalsekretär des Gerichtshofs hinterlegt werden, wo immer das möglich ist. Zweitens, wo es nicht möglich ist, Originaldokumente zu hinterlegen oder wo dies mit größten Schwierigkeiten verbunden wäre, wird der Gerichtshof Photokopien von Originaldokumenten zulassen unter der Voraussetzung, daß eine Bestätigung der Photokopie darüber beigelegt wird, daß es eine getreue Kopie der Originaldokumente ist, daß das Original ein authentisches Dokument ist, und daß die Quelle des Originaldokuments und der derzeitige Verwahrungsort angegeben wird. Drittens wird der Gerichtshof einstweilen [230] Photokopien zulassen gegen Zusicherung der Parteivertreter, eine Bestätigung, wie ich soeben angegeben habe, sobald wie möglich beizubringen. Ist das klar, Oberst Pokrowsky?


OBERST POKROWSKY: Ich möchte den Gerichtshof bitten, mir eine Sache zu erklären: Ist es so zu verstehen, daß der Gerichtshof nur eine frühere Entscheidung und Übung bestätigt, die bei den von unseren britischen und amerikanischen Kollegen vorgelegten Beweismitteln festgelegt worden ist, oder führt der Gerichtshof etwas Neues ein? Ich frage deshalb, weil die Photokopie eines Dokuments, das ungefähr ebenso war wie das, durch das diese Verzögerung in meinem Vortrag entstanden ist, von diesem Gerichtshof unter den Nummern US-95 oder 2788-PS angenommen worden ist; deshalb verstehe ich nicht, ob es sich hier um eine neue Entscheidung handelt oder um die Bestätigung einer alten.


VORSITZENDER: Ich glaube, was Sie soeben vorbrachten, ist richtig, daß dieses besondere Dokument keinerlei Bestätigung darüber aufweist, daß es eine getreue Abschrift ist. Der Gerichtshof erwartet, daß die Vereinigten Staaten eine solche Bestätigung über die Richtigkeit der Abschrift und über die Authentizität des Originaldokuments vorlegen und die Quelle sowie den gegenwärtigen Aufbewahrungsort des Originaldokuments angeben werden.


OBERST POKROWSKY: Ich bitte um Entschuldigung, aber ich glaube, die Frage, die ich gerne präzisieren möchte, und die für jede Anklagevertretung von großem Interesse ist, ist folgende: Muß ich und mit mir alle Anklagevertreter die Entscheidung des Gerichtshofs so verstehen, daß wir ergänzendes Beweismaterial zu allen Photokopien hinzufügen sollen, auch zu denen, die schon früher vom Gerichtshof angenommen wurden, oder betrifft das nur die Dokumente, welche die Sowjetdelegation in der Zukunft vorlegen wird?


VORSITZENDER: Sicher. Wenn eine Urkunde in Form einer Photokopie angenommen und keine Bestätigung darüber beigebracht wurde, daß es die richtige Abschrift eines authentischen Dokuments ist, so muß eine solche Bestätigung beigebracht werden. Wir wünschen, daß die Bestätigung sich auch darauf beziehen soll, daß es sich um ein authentisches Dokument handelt und den gegenwärtigen Verwahrungsort angibt. Und das gilt in gleicher Weise für alle Hauptanklagevertreter.


OBERST POKROWSKY: Jetzt verstehe ich, daß der Gerichtshof seine bisherige Übung beibehält, daß wir nämlich fernerhin Photokopien vorlegen dürfen; aber wir müssen die Beglaubigung noch hinzufügen und, wenn es möglich ist, müssen wir die Originaldokumente vorlegen. Ich glaube, ich habe richtig verstanden.


VORSITZENDER: Ja, wir wünschen, wenn möglich, Originaldokumente. Wenn es nicht möglich oder sehr schwierig ist, dann [231] werden wir Photokopien zulassen. Inzwischen, und zu Ihrer Erleichterung werden wir, da dieser Verfahrensvorgang vielleicht bisher noch nicht genügend festgelegt war, Photokopien ohne Bestätigung gegen Ihre Zusicherung zulassen, später eine solche Bescheinigung vorzulegen. Ist dies nun klar?


OBERST POKROWSKY: Sicher; es wird also die bisherige Übung beibehalten. Ich erlaube mir, Ihre Aufmerksamkeit auf den Absatz zu lenken, bei dem mein Bericht durch dieses Mißverständnis unterbrochen wurde. Es sind die drei letzten Zeilen auf Seite 196 des vor Ihnen liegenden Dokumentenbuches:

»Das Ziel der von der Sudetendeutschen Partei mit der Tschechoslowakischen Regierung zu führenden Verhandlungen wäre letzten Endes das, durch den Umfang und die schrittweise Präzisierung der zu stellenden Forderungen den Eintritt in die Regierung zu vermeiden. Bei den Verhandlungen müsse klar herausgestellt werden, daß allein die Sudetendeutsche Partei Verhandlungspartner der Tschechoslowakischen Regierung wäre, nicht die Reichsregierung....«

Hier lasse ich einige Zeilen aus und gehe zu Seite 199 Ihres Dokumentenbuches über:

»... Für die weitere Zusammenarbeit wurde Konrad Henlein auf einen möglichst engen Kontakt mit dem Herrn Reichsminister und mit dem Leiter der Volksdeutschen Mittelstelle, sowie dem Deutschen Gesandten in Prag als dem dortigen Vertreter des Herrn Reichsaußenministers verwiesen. Die Aufgabe des Deutschen Gesandten in Prag würde darin bestehen, nicht offiziell, sondern in mehr privat gehaltenen Gesprächen mit den tschechoslowakischen Staatsmännern die Forderungen der Sude tendeutschen Partei als vernünftig zu unterstützen, ohne auf den Umfang der Forderungen der Partei unmittelbaren Einfluß zu nehmen.

Abschließend wurde die Frage der Zweckmäßigkeit eines Zusammengehens der Sudetendeutschen Partei mit den übrigen Minderheiten in der Tschechoslowakei, insbesondere den Slowaken, erörtert. Der Herr Reichsminister entschied dahin, daß man der Partei die Freiheit lassen müßte, mit den anderen Minderheitengruppen, deren paralleles Vorgehen zweckmäßig erscheinen könnte, lose Fühlung zu halten. Berlin, am 29. März 1938.«

Eine beigelegte Anwesenheitsliste über die Konferenz am 29. März 1938, 12.00 Uhr mittags, werden Sie, Herr Vorsitzender und meine Herren Richter, auf Seite 200, Band 1, Teil 1 des Dokumentenbuches finden, und zwar ist der Teil, den ich zitieren will, mit Rotstift unterstrichen.

[232] »Anwesend: Herr Reichsminister von Ribbentrop, Staatssekretär von Mackensen, Herr Ministerialdirektor Weizsäcker, Herr Gesandter Eisenlohr in Prag, der Gesandte Stiebe, Legationsrat von Twardovsky, Legationsrat Altenburg, Legationsrat Kordt (vom Auswärtigen Amt), SS-Obergruppenführer Lorenz, Professor Haushof er (Volksdeutsche Mittelstelle), Konrad Henlein, Karl Hermann Frank, Dr. Künzel, Dr. Kreisel (Sudetendeutsche Partei).«

Es ist nicht schwer, die richtigen Schlüsse über die wahren Absichten der Nazi-Verschwörer gegen die Tschechoslowakei zu ziehen. Wenn man in Betracht zieht, daß wir unter den an dieser Besprechung Anwesenden folgende Personen finden: den Angeklagten Ribbentrop, zwei Botschafter, zwei Vertreter der sogenannten »Volksdeutschen Mittelstelle«, einschließlich eines SS-Obergruppenführers, den zukünftigen Staatssekretär des Böhmisch-Mährischen Protektorats, Karl Hermann Frank, und den Führer der sogenannten Sudetendeutschen Partei, Konrad Henlein, einen bezahlten hitlerischen Agenten und Provokateur.

Deutsche diplomatische Vertretungen leiteten die Zweigstellen der Nazi-Partei im Ausland. Zu diesem Zweck erhielt der Leiter der AO, Gauleiter Bohle, den Rang eines Staatssekretärs im Auswärtigen Amte.

Am 3. Juni 1938 wurden zwei Dokumente durch den SS-Angehörigen Lorenz, einem Teilnehmer an der soeben behandelten Konferenz, verfaßt. Ich werde beide verlesen. Das erste Dokument bezieht sich auf ein Interview mit Ward Price, das beweist, daß Henlein unter der unmittelbaren Kontrolle der SS handelte und der SS Rechenschaft über seine Tätigkeit geben mußte. Diese Urkunde enthält die unmittelbare Drohung, eine durchgreifende Operation zur Lösung der sogenannten sudetendeutschen Frage vorzunehmen. Ich verlese diese kurze Urkunde im ganzen und lege sie dem Gerichtshof unter der Nummer USSR-270 vor. Das zitierte Dokument befindet sich auf Seite 202 des ersten Bandes, Teil I des Dokumentenbuches:

»Henlein ist von SS-Obergruppenführer Lorenz wegen des in der Auslandspresse erschienenen Interviews mit Ward Price zur Rede gestellt worden. Henlein gab ungefähr folgende Erklärungen ab:

Ward Price sei bei der Beerdigung der Erschossenen von Eger zugegen gewesen. Er habe dort an den Mitarbeiter Henleins, Sebekovsky, die Bitte gerichtet, er wolle mit Henlein sprechen. Henlein waren die Interviews Ward Prices mit dem Führer bekannt. Er habe sich mit Ward Price beim Tee zusammengesetzt und mit ihm gesprochen. Ein Interview habe [233] er ihm nicht gegeben. Während der Unterredung habe man sich über die sudetendeutsche und tschechische Frage in der Form unterhalten, daß man von einer Blinddarmkrankheit gesprochen habe. In dem Zusammenhang habe Henlein gesagt, man könne doch nicht in regelmäßigen Abständen immer Blinddarmreizungen ertragen, das beste wäre natürlich eine radikale Blinddarmoperation.

Nachdem Ward Price seine Veröffentlichungen gemacht habe, hätte bei Henlein die Absicht bestanden, Ward Price zu desavouieren. In dem Moment sei jedoch über die Gesandtschaft in Prag eine Anweisung des Außenministers gekommen, Henlein möge sich mit Ward Price gütlich einigen, da W. P. das Vertrauen des Führers besäße; er könne nun nicht von Sudetendeutschen irgendwie angegriffen werden. Daraufhin habe sich Henlein erneut mit W. P. zusammengesetzt und einen Rückzieher gemacht, in dem er die ›Schuld auf die Mitglieder der S.d.P. übernommen habe‹. Aus diesem Grunde habe er auch W. P. einen Brief geschrieben, so daß die Angelegenheit damit erledigt sei. – Lorenz.«

Die zweite Urkunde auf Seite 203 wird dem Gerichtshof von uns als USSR-268 vorgelegt und zeigt, daß Henlein auf Grund unmittelbarer Weisungen der SS und des Leiters der hitlerischen Verschwörung nur zum Zwecke einer Provokation mit der Tschechoslowakischen Regierung über die Lösung der sudetendeutschen Frage verhandelte. Diese Verhandlungen wurden von den Führern der faschistischen Verschwörung, die die Weisung für Henleins weitere Schritte gaben, genau verfolgt.

Ich will jetzt aus diesem Dokument zitieren:

»Bei der Besprechung zwischen SS-Obergruppenführer Lorenz und Henlein stellte Henlein folgende Frage:

›Wie soll ich mich verhalten, wenn die Tschechen unter dem ausländischen Druck plötzlich meine sämtlichen Forderungen erfüllen und als Gegenforderungen stellen: Eintritt in die Regierung?‹ Es sei klar, daß diese Frage nicht sofort akut würde, daß man sich mit Verhandlungen noch sehr lange plagen müsse. Immerhin bitte er zu seiner Orientierung für den Fall, daß er nicht mehr mit Deutschland in Verbindung treten könne, um Weisungen, wie er sich dieser Frage gegenüber verhalten solle.

Er selbst schlage folgendes vor: Wenn die Tschechen alles geben, antworte ich ›Ja‹ mit der Forderung, daß die Außenpolitik der Tschechei geändert würde. Das würden die Tschechen nie zugeben.

[234] Es ist Henlein versprochen worden, diese Frage beim Außenminister zu klären. – Lorenz.«

Ein sehr kurzer Auszug aus einem als »geheime Reichssache« bezeichneten Dokument...

VORSITZENDER: Ist es jetzt nicht vielleicht Zeit für die Vertagung? Es ist jetzt schon ein Viertel nach Fünf.


[Das Gericht vertagt sich bis

9. Februar 1946, 10.00 Uhr.]


1 Da der Gerichtshof für Dokumente, die in der Eröffnungsrede der Russischen Anklagevertretung zitiert worden sind, keine Nachweisungen der Zitate forderte, ist es unmöglich gewesen, den Wortlaut dieser Zitate nach dem Text der Originaldokumente zu überprüfen. Beim Vortrag vom 8. Februar sind viele Zitate aus ursprünglich in englischer und deutscher Spra che verfaßten Dokumenten in die russische Sprache übersetzt und dann in die deutsche Sprache für das Protokoll zurückübersetzt worden. Diese Rückübersetzungen sind in der vorliegenden Veröffentlichung in einer Reihe von Fällen benützt worden.


2 Hermann Rauschning »The Voice of Destruction« – »Stimme der Zerstörung« – New York 1940, Seite 137-138.


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 7.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Mickiewicz, Adam

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz erzählt die Geschichte des Dorfes Soplicowo im 1811 zwischen Russland, Preußen und Österreich geteilten Polen. Im Streit um ein Schloß verfeinden sich zwei Adelsgeschlechter und Pan Tadeusz verliebt sich in Zosia. Das Nationalepos von Pan Tadeusz ist Pflichtlektüre in Polens Schulen und gilt nach der Bibel noch heute als meistgelesenes Buch.

266 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon