Vormittagssitzung.

[305] MR. DODD: Herr Vorsitzender! Ich möchte heute vormittag ganz kurz zu dem Antrag Dr. Stahmers, den Angeklagten Göring nochmals in den Zeugenstand rufen zu dürfen, Stellung nehmen. Am Freitag habe ich keine Einwände erhoben, aber ich glaube, daß ich es jetzt tun sollte, damit der Gerichtshof unsere Stellungnahme dazu erfährt.

Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, als ob ich Meinungsverschiedenheiten mit meinem geschätzten Kollegen Sir David Maxwell-Fyfe hätte, sondern nur eine kurze Erklärung im Namen der Vereinigten Staaten hinzufügen. Ich möchte den Gerichtshof darauf hinweisen, daß die Gründe Dr. Stahmers, wie wir sie verstehen, der Beweis oder die Aussage des Zeugen Sievers sind, sowie das Dokument, das während seiner Vernehmung vorgelegt wurde; darin findet sich ein gewisser Hinweis, daß der Angeklagte Göring Dr. Haagen ermächtigt oder beauftragt hat, diese medizinischen Experimente vorzunehmen.

Es scheint mir, daß die Gründe, auf die ich den Gerichtshof anläßlich des Antrags von Funk hinwies, auch hier zutreffen. Natürlich nehme ich die Entscheidung des Gerichtshofs auf Funks Antrag gern an. Ich möchte nicht den Anschein erwecken, als ob ich gegen eine Sache, über die bereits entschieden worden ist, Einspruch erhebe.


VORSITZENDER: Welchen Antrag meinten Sie?


MR. DODD: Den Antrag Funk. Meiner Ansicht nach besteht eine Ähnlichkeit zwischen diesen Fällen; vor allem dürfte die Erfahrung, die wir mit Funk gemacht haben, für den Antrag Görings einige Bedeutung haben. Es ist meine Ansicht – und ich stelle sie ergebenst dem Gerichtshof zur Erwägung –, daß Funk durch sein nochmaliges Erscheinen im Zeugenstand zum Beweisthema dieses Falles weder positiv noch negativ irgend etwas beigetragen hat. Es gelang ihm nur, etwas Zeit des Gerichtshofs in Anspruch zu nehmen.

Als Funk seinen Antrag einreichte, hatte ich erklärt, daß er das Affidavit, Pohls seinem wesentlichen Inhalt, nach bestritten hätte und daß er kaum mehr tun könne, als dies im Zeugenstand noch einmal zu versichern. Fast genau so hat es sich dann auch, wie ich ergebenst bemerken möchte, zugetragen.

Ich glaube, das gleiche wird bei Göring der Fall sein, und ich möchte den Gerichtshof darauf aufmerksam machen, daß die [305] Anklagebehörde, lange bevor Göring den Zeugenstand betrat, ihr Beweismaterial über diese medizinischen Versuche der Luftwaffe angeboten hat, so daß er davon wußte. Sein Verteidiger wußte es, und wenn er ihn darüber hätte befragen wollen, hätte er es bei Görings direktem Verhör tun können. Aber er tat es nicht. Er hat diese Fragen überhaupt nicht behandelt. Er hat sie übergangen und es vorgezogen, was vermutlich sein gutes Recht war, die Sache Görings Zeugen Milch zu überlassen. Wir unterzogen den Zeugen Milch darüber einem Kreuzverhör durch unseren Hauptankläger, Herrn Justice Jackson.

Wenn Göring nur leugnen will, daß er über diese medizinischen Experimente der Luftwaffe etwas wußte oder daran beteiligt war, wäre das sehr einfach. Durch das Frank-Affidavit wurde hierfür ein Präzedenzfall geschaffen. Ich schlage vor, er soll ein ganz kurzes Affidavit abgeben, in dem er mit ein paar kurzen Sätzen erklärt, daß er davon nichts wußte und an diesen Experimenten nicht beteiligt war. Der Gerichtshof hat Frank diesen Weg gestattet. Er hat ihn weidlich ausgenutzt, wenn ich mir dies zu bemerken erlauben darf. Sein Affidavit nahm 20 Minuten in Anspruch. Ich glaube aber nicht, daß Göring auch nur annähernd so lange brauchen würde. Eine andere Lösung wäre – ich habe noch keine Gelegenheit gehabt, mit meinen französischen und russischen Kollegen darüber zu sprechen, Sir David Maxwell-Fyfe und ich sind uns jedoch einig, und ich denke, auch sie werden uns zustimmen –, daß aus dem Protokoll mit unserer Zustimmung hervorgehen sollte, daß Göring es leugnet, von diesen Luftwaffen-Experimenten irgend etwas gewußt oder daran teilgenommen zu haben. Damit wären wir zufrieden. Jedenfalls möchten wir auf jede Weise vermeiden, daß diese Angeklagten noch einmal den Zeugenstand betreten. Sie haben solch ein ausführliches Gehör gefunden. Dieser Gerichtshof hat so viel Geduld gezeigt, daß es eine Zumutung wäre, wenn sie für diese Zwecke, die in viel einfacherer Weise erreicht werden könnten, den Zeugenstand nochmals betreten.

Ich muß dem Gerichtshof sagen, daß ich sehr ernste Zweifel hege, daß Göring zu diesem einfachen Zweck den Zeugenstand betreten will. Ich vermute, daß er damit nur das Urteil hinausziehen will.

Ich glaube, ich würde meine Pflicht nicht erfüllen, wenn ich heute morgen den Gerichtshof darauf nicht hinwiese. Deswegen erlauben wir uns, entschieden Einspruch dagegen zu erheben und bitten, daß er entweder sein Bestreiten in Form eines Affidavits geltend macht oder daß die von uns vorgeschlagene Beweisvermutung vom Gerichtshof angenommen werde. Jedenfalls bitten wir, daß in diesem Stadium des Verfahrens ihm und anderen Angeklagten, die ähnliche Anträge eingereicht haben, keine [306] Gelegenheit gegeben werde, noch einmal den Zeugenstand zu betreten und die Zeit des Gerichtshofs mit Angelegenheiten in Anspruch zu nehmen, die das Beweisthema nicht wesentlich berühren. Ich wäre der letzte, der in diesem wichtigen Prozeß irgend etwas ausschalten wollte, was ich für wichtig hielte. Ich möchte die hervorragende Verhandlungsführung, die der Gerichtshof den Angeklagten hat angedeihen lassen, nicht dem Schatten oder Verdacht einer Ungerechtigkeit aussetzen.

Ich glaube, es würde kein Präjudiz geschaffen werden, wenn wir von Göring verlangen, ein kurzes Affidavit auszustellen, oder wenn wir seinen Verteidiger bitten, mit unserer Beweisvermutung einverstanden zu sein. Auf diese Weise würden wir dem Gerichtshof viel Zeit sparen und mit dem Verfahren schneller vorwärts kommen.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird darüber beraten.

Herr Dr. Servatius! Sind Sie bereit, nun die verschiedenen Affidavits mit dem großen Geschick, auf das ich Freitag hingewiesen habe, weiter zu behandeln?


DR. SERVATIUS: Jawohl.


VORSITZENDER: Ist es nicht so, daß alle diese Affidavits in den Verhandlungen vor der Kommission zusammengefaßt wurden und daß uns deshalb von dem vor der Kommission abgegebenen Beweismaterial eine Zusammenfassung oder ein Hinweis auf jedes dieser Affidavits vorliegt?


DR. SERVATIUS: Herr Präsident! Das trifft nur zum Teil zu. Ich selbst habe nicht an allen Kommissionssitzungen teilnehmen können. Ich kann mir kein erschöpfendes Bild machen. Die Affidavits, die ich jetzt noch vorbringe, werde ich in aller Kürze charakterisieren, um dann zu den Sammelaffidavits zu kommen, die ja nicht Gegenstand des Kommissionsverfahrens waren. Es sind nur noch wenige.


VORSITZENDER: Vorläufig weise ich Sie nur auf das Vergangene hin. Bis jetzt haben Sie uns eine Anzahl von Affidavits zur Kenntnis gebracht. Ich entnehme aus dem Protokoll der Kommission, daß fast alle diese Affidavits vom Verteidiger des Korps der Politischen Leiter zusammengefaßt worden sind. Die Anklage hat zu diesen Affidavits Stellung genommen.


DR. SERVATIUS: Ja, Herr Präsident! Es ist eine sehr kurze Zusammenstellung gemacht und hier zu Beginn des Beweisverfahrens eingereicht worden. Ich kann vielleicht in aller Kürze mich zu den letzten äußern, um dann zu den Sammelaffidavits überzugehen.


VORSITZENDER: Ich hoffe, daß Sie sich kurz fassen werden und sich auf die Affidavits beschränken, die noch nicht vor der Kommission zusammengefaßt worden sind.


[307] DR. SERVATIUS: Ich nehme dann Bezug auf die Affidavits Nummer 47 und 48, die sich mit der Kommunalpolitik befassen. Es ist ein weniger bedeutungsvolles Amt. Ich nehme da Bezug auf den Inhalt.

Dann ein Affidavit eines Gauwirtschaftsberaters; das Wesentliche ist, daß er sagt, daß er in zweijähriger Tätigkeit nur einmal Gelegenheit hatte, mit dem Gauleiter selbst zu sprechen. Von besonderer Bedeutung wird wohl das Affidavit Nummer 50 sein, von dem Beauftragten für Rassenpolitik. Es ergibt sich, daß er mit der eigentlichen Rassenfrage, wie wir sie hier im Prozeß kennengelernt haben, nichts zu tun hatte.

Es folgt dann die NSV, ein Affidavit eines Gauamtsleiters, der darin hinweist auf die räumliche Trennung der Dienststellen.

Das letzte ist ein Affidavit eines Gauamtsleiters für die Kriegsopferversorgung, das die Stellung dieser Ämter darlegt.

Damit bin ich mit den Einzel-Affidavits zu Ende. Ich möchte noch einige Affidavits überreichen.


VORSITZENDER: Meinen Sie, daß Sie jetzt bis Nummer 64 gekommen sind?

DR. SERVATIUS: Jawohl!


VORSITZENDER: Gut.


DR. SERVATIUS: Nein, Herr Präsident! Es ist ein Irrtum, bis Nummer 52 einschließlich. Mit Nummer 53 beginnen die Sammel-Affidavits. Ehe ich zu diesen übergehe, will ich noch vier Einzel-Affidavits übergeben, die veranlaßt sind durch das späte Vorbringen der Anklagebehörde.

Das erste ist ein Affidavit des Gauleiters Hoffmann. Es befaßt sich mit der Gnadentod-Aktion und die Kenntnis und Verhältnisse in seinem Gau dazu. Das ist das Affidavit Nummer 65; ich überreiche das Affidavit.

Es folgt dann...


VORSITZENDER: Ist das ein Affidavit, das der Kommission nicht vorgelegt wurde?


DR. SERVATIUS: Es wurde der Kommission deshalb nicht vorgelegt, weil die Kommission damals schon geschlossen hatte.


VORSITZENDER: Sie können keine neuen Affidavits vorlegen. Das ist eine Verfügung des Gerichtshofs.


DR. SERVATIUS: Herr Präsident! Sie sind auch mit der Kommission noch nicht besprochen worden, auch nicht in anderer Weise Gegenstand des Verfahrens gewesen. Aber es sind Entgegnungen auf das neue Vorbringen der Anklage, und es muß mir ja die Möglichkeit gegeben sein, hierzu Stellung zu nehmen. [308] Es sind hier bei der Zeugenvernehmung neue Dokumente vorgelegt worden, und es ist mir gestattet worden, dazu Stellung zu nehmen. Ich würde bitten, diese vier kurzen Affidavits zu diesem Zwecke zuzulassen.


VORSITZENDER: Ich vermute, das ist richtig, wenn sie sich mit neuen Dokumenten befassen.


DR. SERVATIUS: Ja!


VORSITZENDER: Es sind nur vier Affidavits, nicht wahr?


DR. SERVATIUS: Ja, nur vier.

Das nächste befaßt sich mit einem Dokument EC-265, das vorgelegt wurde. Das war ein Telegramm des Botschafters Abetz über die Ausbürgerung der deutschen Juden in Frankreich. Er erklärt den Vorgang und gibt dazu die Stellungnahme. Ich übergebe das Affidavit.

Das Affidavit Nummer 67 nimmt Stellung zu dem vorgelegten Dokument USSR-143 über den Steyrischen Heimatbund und sagt, daß dieser kein Teil einer Parteiorganisation war, sondern eine örtliche Vereinigung.

Das letzte Affidavit nimmt Stellung zu dem Dokument EC-68. Es ist ein Affidavit, ebenfalls Nummer 68; das befaßt sich mit dem vertraulichen Schreiben der badischen Landesbauernschaft und nimmt dazu eingehend Stellung zu den Verhältnissen, die dem Gericht bekannt sind über die Behandlung der polnischen Arbeiter.

Mit dem nächsten Affidavit komme ich zu den Sammel-Affidavits, die 38000 Stück betragen. Ich habe seinerzeit eine erheblich höhere Zahl angegeben, und ich glaube, ich bin ein Opfer der Darstellung geworden, die mir gegeben worden ist; der Bericht, der von Herrn Oberst Neave vorgelegt worden ist, ist demselben Irrtum zum Opfer gefallen, indem er auch sagt, es wären 155000 Affidavits. Es sind aus 38000 Affidavits jeweils bestimmte Auszüge bearbeitet worden, wie die Sache zur Kirchenfrage, der Judenfrage. Diese Sachbearbeiter haben diese Erklärungen zusammengezogen.


VORSITZENDER: Sie sprechen jetzt von Affidavit Nummer 53?


DR. SERVATIUS: Ja.


VORSITZENDER: Auf Seite 3777 des Protokolls der Kommission ist dieses ganze Affidavit abgedruckt; ich meine, es ist vollständig zusammengefaßt.


DR. SERVATIUS: Herr Präsident! Ich wollte es nur erklären, daß man einen Begriff davon bekommt, wie diese Zusammenfassungen erfolgt sind. Wenn das Gericht es nicht für nötig hält, daß ich es hier vortrage...


VORSITZENDER: Herr Dr. Servatius! Wir haben eine ungeheure Anzahl von Dokumenten für diesen Fall vorliegen, und es [309] ist sicher in diesem Stadium nicht notwendig, das nochmals zu wiederholen. Haben Sie Seite 3777 vor sich?


DR. SERVATIUS: Nein, das habe ich nicht.


VORSITZENDER: Wie ich verstehe, handelt es sich bei Affidavit Nummer 53 um ein Sammel-Affidavit, um einen Bericht über die folgenden Affidavits; stimmt das?


DR. SERVATIUS: Ja.


VORSITZENDER: Nun, aus dem Protokoll über das Beweismaterial der Kommission geht hervor, daß es im Ergebnis aus dem Gruppenbericht von Karl Hederich und den folgenden Einzelerklärungen besteht: Judenverfolgung, das ist 54; Fremdarbeiter und Kriegsgefangenenbehandlung, das ist 55; Auflösung der Gewerkschaft, 56; Konzentrationslager von Richard Müller, 57; Einsatzstab Rosenberg von Richard Müller, 58; und so weiter die ganze Liste hindurch.


DR. SERVATIUS: Ja! Dann ist das schon verlesen worden. Mir ist dieser Bericht aber offenbar nicht zugegangen. Wenn es darin enthalten ist, dann brauche ich es nicht vorzutragen.


VORSITZENDER: Das ist bereits vor der Kommission dargelegt und im Protokoll festgehalten worden.


DR. SERVATIUS: Es ist besprochen worden, daß bestimmte dieser Hauptaffidavits übersetzt und übergeben werden sollen. Das wollte ich jetzt hier durchführen und jeweils kurz den Inhalt der einzelnen Affidavits zu den verschiedenen Punkten angeben. Also, das erste, Nummer 53 sagt nur, wie das Ganze gemacht worden ist. Das war der Leiter dieser Enquete, wie ich mal sagen will. Dann kommt der nächste, er befaßt sich mit der Judenfrage; das ist Affidavit Nummer 54.


VORSITZENDER: Darauf weise ich Sie gerade hin. Alles, was Sie hier sagen, ist genauso im Protokoll der Kommission niedergelegt. Was für einen Sinn hat es, es nochmals für ein anderes Protokoll zu wiederholen?


DR. SERVATIUS: Ich weiß nicht, wie weit dieser Bericht gegangen ist. Herr Präsident! Ich kann nicht hören.


VORSITZENDER: Es legt den Inhalt der Affidavits 53, 54, 55, 56 dar, und dann kommt Müller, 57.


DR. SERVATIUS: Herr Präsident! Ist es möglich, daß mir der Bericht gegeben wird und ich, falls besondere Veranlassung ist noch besondere Bemerkungen zu machen, dazu Stellung nehmen kann?


VORSITZENDER: Ich höre, daß Sie ein deutsches Exemplar davon haben. Es ist ein Sitzungsprotokoll der Kommission und Ihr Vertreter, Herr Dr. Link, hat es getan.


[310] DR. SERVATIUS: Bei der Fülle des Materials ist es mir entgangen, daß das bereits niedergelegt worden ist. Ich beziehe mich dann darauf, ohne im einzelnen noch auf die Affidavits einzugehen. Ich möchte in der Kirchenfrage besonders noch auf eines hinweisen von zwei Theologen, die sehr ausführlich zu den ganzen inneren Verhältnissen Stellung nehmen, die meiner Ansicht nach von großer Bedeutung sind.

Herr Präsident! Ich bin dann mit meiner Vorlage der Dokumente zu Ende.

Ich habe nun gestern zu den Ausführungen der letzten Sitzung über die Zahl der beteiligten Mitglieder eine statistische Ausarbeitung machen lassen. Wenn ich sie dem Gericht vorlegen kann zur Hilfe und zum Studium, nicht als Beweis, daß man an Hand des Statistischen Parteibuches, das in der Bibliothek der Anklage ist, einmal errechnet, was in Wirklichkeit nun unter die Anklage fallen würde. Wenn ich es nicht als Beweis, sondern als Hilfsmittel dem Gericht übergeben darf, es ist zunächst nur in deutscher Sprache.


VORSITZENDER: Hat die Anklagebehörde einen Einwand gegen die Vorlage dieses Dokuments?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender! Wir können jetzt natürlich nicht beurteilen, was in dem Dokument enthalten ist; aber, Herr Vorsitzender, ich glaube wir werden keinen Einwand erheben.


VORSITZENDER: Vielleicht können Sie es sich ansehen, und wir werden es uns später geben lassen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn ich Dr. Servatius recht verstanden habe, dann handelt es sich um die Zahl der Personen, die in den Organisationen inbegriffen sind. Oberst Griffith-Jones hat eine genaue Statistik über diejenigen vorbereitet, deren Einbeziehung von der Anklagevertretung beantragt wird. Ihre Zahl beabsichtigte er am Schluß der Rede von Dr. Servatius dem Gerichtshof anzugeben; das dürfte einige der Schwierigkeiten beheben, die Dr. Servatius im Auge hat. Aber, Herr Vorsitzender, ich erhebe keinen Einwand gegen die Vorlage des Dokuments, wenn es dem Gerichtshof hilft.


VORSITZENDER: Gut.


DR. SERVATIUS: Ich habe nicht ganz verstanden, wann ich diese Zahlen bekommen soll. Nach meinem Schlußvortrag oder vorher? Es wäre ja wohl wichtig, wenn ich es vorher wüßte.


VORSITZENDER: Ich glaube, daß Sie das von Sir David Maxwell-Fyfe erwähnte Dokument vor Ihrem Schlußplädoyer erhalten werden; denn nachdem Sie sich mit Ihren Dokumenten beschäftigt haben, kommen die anderen Vertreter der Organisationen an die Reihe, ihre [311] Dokumente und Affidavits zu besprechen. Wir werden es in dieser Zeit erhalten.


DR. SERVATIUS: Darf ich die Ausarbeitung übergeben?


VORSITZENDER: Jawohl.


DR. SERVATIUS: Dann schließe ich hiermit meine Ausführungen, Herr Präsident!


VORSITZENDER: Welche Organisationen wollen wir jetzt nehmen?


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich bitte um Entschuldigung. Ja? Ich weiß nicht, ob es dem Gerichtshof paßt, wenn ich jetzt Näheres über die Zahlen unterbreite, die wir gestern besprochen haben?


VORSITZENDER: Könnten Sie nicht diese statistische Zusammenfassung einreichen oder sie Dr. Servatius übergeben und dann im übrigen argumentieren?

Wie ich von Sir David hörte, haben Sie eine Statistik über die Zahl der Politischen Leiter, die nach Behauptung der Anklage einbegriffen sind. Dr. Servatius möchte diese Statistik sehen, und wenn Sie ihm diese überreichen wollen, dann ist damit alles Erforderliche getan, nicht wahr?


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ja, Herr Vorsitzender! Ich möchte nur kurz erklären, was das Dokument ist. Es wird nur zwei Minuten dauern und wie ich glaube, dem Gerichtshof die Arbeit erleichtern.


VORSITZENDER: Gut, wenn es nur zwei Minuten dauert.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Die Zahlen sind aus dem Organisationsbuch entnommen. Auf Seite 1 wird der Gerichtshof die Gesamtzahl aller Politischen Leiter finden, die die Anklagebehörde zu den Organisationen rechnet; die Hoheitsträger, die Stäbe der Reichsleiter, der Gauleiter, der Kreisleiter. Zur Information des Gerichtshofs habe ich auch die Stäbe der Ortsgruppenleiter mit eingeschlossen. Es sind 340000. Die Gesamtzahl ist 940000. Wenn die Ortsgruppenstäbe abgezogen werden, die ich ausgenommen habe, ergibt sich die Gesamtzahl von 600000.

Herr Vorsitzender! Auf den folgenden Seiten sind Einzelheiten über die Amtsträger bei den Reichsleiter-, Gauleiter- und Kreisleiterstäben zu finden. Die Reichsleiter, glaube ich, sprechen für sich selbst. Ich bitte den Gerichtshof, sich den Anhang C anzusehen, dort sind die Ämter in den Gauleiterstäben aufgeführt.

Herr Vorsitzender! Sie alle sind dem Organisationsbuch entnommen. Ich möchte nur sagen, daß sie die Maximalziffern der Gau- und Kreisstäbe zeigen; sie waren aber keineswegs immer in dieser Stärke besetzt. Die Gesamtzahl von 600000 ist daher die höchstmögliche Ziffer.


[312] VORSITZENDER: Nun werden wir uns mit der Gestapo befassen.


DR. RUDOLF MERKEL, VERTEIDIGER FÜR DIE GESTAPO: Herr Präsident! Ich bitte zunächst mein Dokumentenbuch besprechen zu dürfen. Die einzelnen Dokumente habe ich bereits eingeführt mit Ausnahme des Exhibits Gestapo-31, das ich hiermit noch in Vorlage bringe. Die Exhibitnummern Gestapo-1 und 2 befassen sich mit dem Begriff und dem Zweck einer politischen Polizei im allgemeinen. Ich bitte das Gericht, von diesen beiden Dokumenten amtlich Kenntnis zu nehmen. Dasselbe bitte ich bezüglich der Exhibitnummern Gestapo-3 mit 8. Diese enthalten grundlegende Gesetze und Verordnungen, die die Entstehung, den Aufbau, die Ziele und Zwecke der Gestapo zum Gegenstand haben, und zwar zunächst für Preußen und dann für das gesamte Reichsgebiet.

Exhibit Gestapo-9 ist eine auszugsweise Abschrift des deutschen Polizeibeamtengesetzes vom 24. Juni 1937. Ich lese daraus den Paragraphen 1; es ist dies auf Seite 28 des Dokumentenbuches I:

»Dieses Gesetz gilt für die Vollzugsbeamten der Schutzpolizei und der Kriminalpolizei des Reiches und der Gemeinden, der Gendarmerie und der Geheimen Staatspolizei, sowie für sonstige Polizeivollzugsbeamte der Sicherheitspolizei (Polizeivollzugsbeamte).«

Daraus ergibt sich, daß die Polizeivollzugsbeamten schon dadurch eine Sonderstellung einnahmen, daß nur sie allein dem Polizeibeamtengesetz unterstanden, nicht auch die übrigen Sparten der Polizeibeamten, zum Beispiel die Verwaltungsbeamten.

Exhibit Gestapo-10 enthält die vorläufige Durchführungsverordnung zum vorgenannten Gesetz. Es gibt eine Begriffsbestimmung der Polizeivollzugsbeamten. Ich zitiere aus Teil I zu Paragraph 1 des Gesetzes; es ist dies auf Seite 33 des Dokuments:

»Polizeivollzugsbeamte sind:... bei der Kriminalpolizei des Reichs, der Geheimen Staatspolizei, sowie bei sonstigen Dienstzweigen der Sicherheitspolizei: Kriminal-Assistenten, Kriminal-Oberassistenten, Kriminal-Sekretäre«... und so weiter.

Durch Gesetz vom 19. März 1937 wurden die Beamten der Gestapo unmittelbare Reichsbeamte. Ich zitiere aus Exhibit Gestapo-11, Seite 36 des Dokumentenbuches, Paragraph 1:

»Es werden unmittelbare Reichsbeamte:... 2. Die Beamten der Sicherheitspolizei (Geheime Staatspolizei und Kriminalpolizei), jedoch nicht die bei den staatlichen Polizeiverwaltungen für die Kriminalpolizei tätigen Polizeiverwaltungsbeamten.«

[313] Von Exhibit Gestapo-12 bitte ich amtlich Kenntnis zu nehmen. Es ist eine Abschrift des Gesetzes vom 17. Juni 1936 über die Einsetzung des Chefs der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern.

Ebenso bitte ich um amtliche Kenntnis von Exhibit Gestapo-13, das sich mit der Einsetzung von Inspekteuren der Sicherheitspolizei befaßt.

Exhibit Gestapo-14 ist als Beweisstück US-266 bereits vorgelegt. Zum Nachweis dafür, daß es der Partei verboten war, in Verfahren, die zur Zuständigkeit der Gestapo gehörten, tätig zu werden, zitiere ich aus Ziffer 1 den zweiten Absatz; es ist dies Seite 42 des ersten Dokumentenbuches:

»Ich verbiete allen Dienststellen der Partei, ihren Gliederungen und angeschlossenen Verbänden, Ermittlungen und Vernehmungen in Angelegenheiten anzustellen, die Sache der Gestapo sind. Alle Vorgänge politisch-polizeilichen Charakters sind unbeschadet ihrer Weitermeldung auf dem Parteidienstwege unverzüglich nach wie vor den zuständigen Dienststellen der Geheimen Staatspolizei zur Kenntnis zu bringen.«

Auf Seite 2 dieses Dokuments, Seite 43 des Dokumentenbuches, zitiere ich den dritten Absatz:

»Ganz besonders betone ich, daß alle der Partei zur Kenntnis kommenden Fälle von hoch- und landesverräterischen Umtrieben ohne jeden Zeitverlust der Geheimen Staatspolizei mitzuteilen sind. Es ist keineswegs Aufgabe der Partei, aus eigener Initiative Nachforschungen und Ermittlungen gleich welcher Art auf diesem Gebiet anzustellen.«


VORSITZENDER: Auf welcher Seite lesen Sie?

DR. MERKEL: Seite 43, Herr Präsident, im deutschen Dokumentenbuch.


VORSITZENDER: Kann ich die Überschrift haben?


DR. MERKEL: Jawohl, die Überschrift heißt: »Mitteilung hoch- und landesverräterischer Umtriebe an die Geheime Staatspolizei«. Davon dann der zweite Absatz »Ganz besonders betone ich...«


VORSITZENDER: Ich habe es gefunden.


DR. MERKEL: Daß ferner die Übernahme politischer Ämter durch Beamte und Angestellte der Gestapo unerwünscht war, ergibt sich aus Seite 3 dieses Dokuments, es ist Seite 44 des Dokumentenbuches, der letzte Absatz:

»Da sie« – nämlich die Geheime Staatspolizei – »sich noch im Aufbau befindet und die vorhandenen Beamten und Angestellten infolgedessen dienstlich besonders stark in [314] Anspruch genommen sind, dürfen diese zur Übernahme von Ämtern in der Partei nur soweit herangezogen werden, als sich dies mit ihren dienstlichen Pflichten in der Geheimen Staatspolizei vereinbaren läßt.«

Aus Exhibit Gestapo-15, einem Auszug des Reichsverwaltungsblattes 1935, zitiere ich zum Nachweis dafür, daß gegen Verfügungen der Gestapo Beschwerde im Aufsichtsweg möglich war, den ersten Absatz; es ist dies Seite 46 des Dokumentenbuches:

»Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Geheime Staatspolizei vom 30. November 1933... können die Verfügungen des Geheimen Staatspolizeiamtes nicht mehr nach den Vorschriften des Polizeiverwaltungsgesetzes angefochten werden. Vielmehr ist gegen sie nur die Beschwerde im Aufsichtswege gegeben.«

Ferner zitiere ich zur Klärung der Rechtsnatur der Gestapo und des Gestapoamtes von Seite 3 dieses Dokuments, Seite 48 des Dokumentenbuches, den zweiten Absatz:

»Nach allem ergibt sich für die rechtliche Natur des Geheimen Staatspolizeiamtes seit Inkrafttreten des Gesetzes vom 30. November 1933 folgendes: Das Amt ist Glied einer besonderen Behördenorga nisation der ›Geheimen Staatspolizei‹, welche einen selbständigen Zweig der preußischen Staatsverwaltung bildet. Es hat, wie die Geheime Staatspolizei als Ganzes, ein besonderes sachliches Aufgabengebiet: Die Wahrnehmung von Geschäften der politischen Polizei.«

Von den Exhibitnummern Gestapo-16 und 17 bitte ich amtlich Kenntnis zu nehmen. Sie behandeln die Einführung der Gesetze über die Staatspolizei in außerdeutschen Gebieten.

Exhibit Gestapo-18 handelt von der Grenzpolizei gleich einem Teil der Gestapo. Es ist eine Abschrift des Runderlasses des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern vom 8. Mai 1937. Ich zitiere aus Ziffer III; es ist dies Seite 53 des Dokumentenbuches:

»Die Durchführung der polizeilichen Aufgaben an der Reichsgrenze wird von Grenzpolizeidienststellen... wahrgenommen.«

Ich lasse den nächsten Satz aus.

»Die Grenzpolizei-Kommissariate mit den von ihnen eingerichteten Grenzpolizei-Posten sind – wie bisher die Grenzdienststellen in Preußen und Baden – Außendienststellen der für ihren Bezirk zuständigen Staatspolizeistellen.«

Exhibit Gestapo-19 ist eine Abschrift eines Rundschreibens des Chefs der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes vom 30. Juni 1944, worin die Vereinigung des militärischen und politisch-polizeilichen Abwehrschutzes in Industrie und Wirtschaft [315] angekündigt wird. Die Verantwortung für den Abwehrschutz der Rüstungsindustrien, sowie aller sonstigen kriegs- und lebenswichtigen Betriebe tragen nunmehr der Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes und seine ihm nachgeordneten Dienststellen der Geheimen Staatspolizei. Die Durchführung des Abwehrschutzes, sowie die Steuerung und Ausrichtung der Abwehrorgane in den Betrieben obliegen jetzt allein den Dienststellen der Geheimen Staatspolizei nach den vom Reichssicherheitshauptamt gegebenen Weisungen.

Von Exhibit Gestapo-20 bitte ich amtlich Kenntnis zu nehmen. Es beinhaltet eine Anordnung Himmlers vom 25. Oktober 1938 über die Schaffung einer »zentralen Vormerkstelle für den Polizeidienst«. Durch Schaffung dieser Stelle war es möglich, Bewerber ohne ihren Willen zur Dienstleistung bei der Gestapo abzuordnen.

Auch von Exhibit Gestapo-21 bitte ich amtlich Kenntnis zu nehmen.

Es betrifft Richtlinien für die Berufseignungsprüfung der Bewerber für die Sicherheitspolizei.

Dasselbe bitte ich bezüglich Exhibit Gestapo-22, einem Erlaß vom 14. Dezember 1936, der besagt, daß an die Kriminalpolizeianwärter die gleichen Anforderungen gestellt werden wie an die Anwärter der allgemeinen Kriminalpolizei.

Ferner bitte ich, Exhibit Gestapo-23 amtlich zur Kenntnis zu nehmen, einen Erlaß vom 2. Juni 1937, der besagt, daß Schutzpolizei- und Gendarmeriebeamte zur Dienstleistung bei der Gestapo abgeordnet wurden, sie also nicht freiwillig zur Gestapo kamen.

VORSITZENDER: Was Sie jetzt tun, hilft dem Gerichtshof nicht im geringsten. Wäre es nicht besser, alle diese Dokumente vorzulegen und uns zu bitten, davon amtlich Kenntnis zu nehmen, was wir tun würden, da es sich um Verordnungen handelt? Dann können Sie auf bestimmte Stellen in ihnen hinweisen, wenn Sie zu Ihren Schlußausführungen kommen. Ich sage dies, weil es sinnlos ist, uns Auszüge vorzulesen; es ist auch verwirrend, eine Zahl von ihnen vorzulesen, ohne sie überhaupt irgendwie einzuführen! Wenn Sie zu Ihren Schlußausführungen kommen werden, können Sie unsere Aufmerksamkeit auf bestimmte Stellen lenken, um Ihre Schlußfolgerungen zu erklären. Aber das hier führt zu nichts.

DR. MERKEL: Jawohl, Herr Präsident! Ich habe das in meiner Endansprache auch bereits vorgesehen. Nur habe ich mich dort natürlich verhältnismäßig sehr kurz gefaßt und mich nur auf diese Dokumente bezogen in der Annahme, daß ich sie im Urkundenbeweis dem Gericht verlesen kann. Wenn aber das Gericht von diesen Urkunden auch so Kenntnis nimmt, dann genügt mir das.


[316] VORSITZENDER: Das wird uns viel mehr sagen, als wenn sie die Verlesung der Dokumente und Ihr Schlußplädoyer trennen. Wenn wir uns das alles noch einmal von allen anderen Organisationen anhören müssen – das kann kein Mensch im Gedächtnis behalten.

Herr Dr. Merkel! Wenn irgendwelche besondere Absätze in diesen Erlassen oder Dokumenten sind, auf die Sie unsere Aufmerksamkeit jetzt lenken wollen, damit wir sie besonders sorgfältig lesen bevor Sie Ihr Plädoyer halten, schön und gut; aber es hat keinen Sinn, ein Dokument nach dem anderen vorzulesen, ohne dazu eine Erklärung abzugeben.

Verstehen Sie, was ich meine?


DR. MERKEL: Aus diesem Grund habe ich ja auch nur von den allerwichtigsten dieser Dokumente kurze Sätze heute in das Protokoll gelesen und von den übrigen um amtliche Kenntnisnahme gebeten.


VORSITZENDER: Ich weiß nicht, was Sie wenige kurze Sätze nennen. Aber wir haben schon 15 oder 20 gehört, und das scheint mir nicht wenig.


DR. MERKEL: Es ist natürlich auch zu berücksichtigen, daß wir für die Endansprache ja nur drei Stunden zur Verfügung haben und aus dem Grunde es zweckmäßig erschienen war, zunächst einen Dokumentenbeweis in der Hinsicht zu führen, daß man nach Möglichkeit das Urkundenmaterial dem Gerichtshof vorträgt und in der Endansprache sich darauf dann zusammenfassend bezieht. Denn dieses Dokumentenmaterial muß ja auch einmal dem Gerichtshof in irgendeiner Form unterbreitet werden, und wir dachten, es ist zweckmäßiger, es zu trennen, den Urkundenbeweis jetzt kurz zu bringen und sich in der Endansprache lediglich auf eine Würdigung dieses vorgebrachten Beweises zu beschränken. Ich bin im übrigen mit diesen Einzel-Dokumenten bereits fast am Ende, und im zweiten Band meines Dokumentenbuches befinden sich einige wenige Urkunden, aus denen ich einige kurze Stellen verlesen werde.


VORSITZENDER: Setzen Sie also fort.


DR. MERKEL: Exhibit Gestapo-32, das erste des zweiten Dokumentenbuches, zeigt, daß die Bandenkampfführung nicht Sache Himmlers oder der Polizei, sondern eine Angelegenheit des Heeres war. Ich beziehe mich hier auf diese eidesstattliche Versicherung des Rhode, die bereits als Beweisstück US-562 vorliegt.

Exhibit Gestapo-33 beweist, daß die Befehle bezüglich der Exekution russischer Kriegsgefangener in den Konzentrationslagern vom Inspekteur der Konzentrationslager kamen, nicht etwa vom Amt IV des Reichssicherheitshauptamtes.

[317] Über den Begriff und die Anordnung der Schutzhaft lasse ich die Exhibitnummern Gestapo-35, 36 und 37 aus. Ich bitte um amtliche Kenntnisnahme.

Exhibit Gestapo-38 ist eine Abschrift eines Schreibens des Inspekteurs der Konzentrationslager vom 15. Oktober 1936. Ich zitiere aus Ziffer 2 auf Seite 101 des Dokumentenbuches:

»Außer dem Chef der Deutschen Polizei sind zum Betreten der Konzentrationslager berechtigt:

a) die Chefs der drei SS-Hauptämter,

b) der Verwaltungschef der SS,

c) der Personalchef Reichsführer-SS,

d) die Gruppenführer der SS«.

Dann noch Ziffer 4:

»Alle übrigen SS-Angehörigen, Vertreter von Behörden und Zivilpersonen, welche Räume, in denen Gefangene untergebracht sind oder beschäftigt werden, zum Zwecke der Besichtigung betreten wollen, bedürfen hierzu meiner ausdrücklichen schriftlichen Genehmigung.«

Auf der gleichen Linie bewegt sich auch noch Exhibit Gestapo-39. Die Exhibitnummern Gestapo-40, 41, 42, 43, 44 und 45 bringe ich zum Nachweis dafür, daß die Konzentrationslager nicht der Geheimen Staatspolizei, sondern dem SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt unterstanden.

Auf derselben Linie bewegen sich die Exhibitnummern Gestapo-46 und 47. Nummer 46 ist ein Fragebogen an August Eigruber vom 26. März 1946 und 47 ein Fragebogen an Friedrich Karl von Eberstein vom 26, März 1946. Beide sind von der Verteidigung des Angeklagten Kaltenbrunner bereits vorgelegt worden.

Die Nummern 48 und 52 beziehen sich auf die Frage der Erfassung ausländischer Arbeitskräfte für das Reichsgebiet und beweisen, daß das in ausschließlicher Zuständigkeit des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz geschah. Über die Errichtung der Arbeitserziehungslager lasse ich die Exhibitnummern Gestapo-54 bis 57 aus. Erfassung und Sicherstellung von Kulturgütern in den besetzten Ostgebieten behandeln Nummer 58 und 59.

Exhibit Gestapo-60 ist der bekannte Erlaß über verschärfte Vernehmungen, Nummer 61 eine auszugsweise Abschrift eines Schreibens Heydrichs an Göring vom 11. November 1938 und beweist, daß die Gestapo gegen die Ausschreitungen vom 9. auf 10. November 1938 eingeschritten ist.

Exhibit Gestapo-62 ist eine auszugsweise Abschrift einer Aussage des Dr. Mildner vom 22. Juni 1945 und bezieht sich auf die Deportation der Juden und die Unterstellung der Konzentrationslager [318] unter das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt. Das schließt den Beweis, den ich durch die Urkunden zu erbringen bitte.

Was die eidesstattlichen Versicherungen anbetrifft, so lege ich zunächst die deutschen Abschriften der Kommissionsprotokolle, die ich bisher noch nicht hatte, dem Gericht vor. Es sind die Abschriften der Protokolle vom 9., 19. und 27. Juli und 3. August, die die Zusammenfassung der Gestapo-Affidavits 1 mit 91 enthalten.

VORSITZENDER: Herr Dr. Merkel! Es ist nicht nötig, daß Sie Kopien der Kommissionsprotokolle vorlegen. Sie kommen zu uns direkt von der Kommission. Sie brauchen sich also darum nicht zu kümmern.

DR. MERKEL: Jawohl, Herr Vorsitzender!


VORSITZENDER: Es wird mir vorgeschlagen, daß Sie sie vielleicht lieber als Beweismaterial vorlegen und sie dann mit einer Nummer versehen.


DR. MERKEL: Dann gebe ich dem Protokoll vom 9. August die Exhibitnummer Gestapo-63. Entschuldigung! Vom 9. Juli, Gestapo-63, vom 19. Juli Gestapo-64, vom 27. Juli Gestapo-65 und vom 3. August Gestapo-66.

Ich möchte vorschlagen, die Unterbreitung dieser eidesstattlichen Versicherungen, um Zeit zu gewinnen, auf folgende Weise zu gestatten. Von diesen 91 Versicherungen sind 22 übersetzt worden. Ich fasse nun die wichtigsten dieser 91 Versicherungen nach Sachgebieten zusammen und verlese außerdem aus den übersetzten Affidavits einige kurze Stellen, die mir besonders wichtig erscheinen, in das Protokoll. Von den übrigen Versicherungen bitte ich amtlich Kenntnis zu nehmen. Die jeweiligen Nummern werde ich dem Hohen Gericht angeben. Neben diesen 91 Einzelversicherungen liegt noch eine Sammelversicherung vor aus insgesamt 1265 Einzelversicherungen. Diese Zusammenfassung wurde gemäß des Gerichtsbeschlusses vom 5. Juli 1946 von den im Gefängnis befindlichen ehemaligen Gestapo-Angehörigen angefertigt. Die Richtigkeit dieser Zusammenfassung wurde von mir bestätigt.

Diese kurze Zusammenfassung bitte ich ebenfalls verlesen zu dürfen.

Ich komme nun zu der ersten Gruppe, und zwar fasse ich zusammen die eidesstattlichen Versicherungen Nummer 1, 2, 3, 4, 9, 13, 71 und 90. Sie befassen sich mit den besetzten Gebieten. Judenangelegenheiten wurden dort von einem Sonderkommando unter Leitung Danneckers bearbeitet. Von 1940 bis 1942 wurden sie durch die Französische Regierung im Einvernehmen mit dem Militärbefehlshaber und der Deutschen Botschaft durchgeführt.

Haftanstalten in Frankreich wurden vom Militärbe fehlshaber geleitet. Die Erfassung französischer Arbeitskräfte für das Reichsgebiet erfolgte durch die Feldkommandanturen. Im Mai 1942 wurde [319] die Geheime Feldpolizei zwangsweise zur Sipo übernommen. Die Polizeiexekutive lag bis April 1942 in den Händen der französischen Polizei und der deutschen Militärpolizeieinheiten.

Von dem Affidavit Nummer 2, das übersetzt wurde, bitte ich folgendes verlesen zu dürfen: Auf Seite 1, der zweite Absatz:

»Vom Oktober 1940 bis Oktober 1941 war ich Leiter der Außenstelle der Sipo und des SD in Dijon, und vom Dezember 1943 bis zum Rückzug aus Frankreich war ich Kommandeur der Sipo und des SD in Dijon.

Zusammensetzung des Sipo-Kommandos Dijon: Es waren ca. 10 Gestapo-Angehörige, 13 Kripo- Angehörige, 69 Notdienstverpflichtete.

Wie sich aus der Aufstellung selbst ergibt, gehörten von den etwa 92 männlichen Angehörigen meines damaligen Kommandos nur 10 der Gestapo an. Hierbei ist jedoch noch zu berücksichtigen, daß von diesen 10 Gestapo-Angehörigen der größere Teil sich nicht freiwillig zur Gestapo gemeldet hatte, sondern dahin versetzt, kommandiert oder aus einem sonstigen Grunde zu ihr gekommen war, ohne daß die Betreffenden darauf hätten Einfluß nehmen oder sich dagegen wehren können.«

Ich überspringe den nächsten Satz.

»Das Sipo-(SD)Kommando Dijon war sowohl hinsichtlich seiner Stärke als auch seiner personellen Zusammensetzung als ein Durchschnittskommando in Frankreich anzusehen.«

Auf Seite 3 dieser eidesstattlichen Versicherung nach der Überschrift »Judenfragen« lese ich den kurzen nächsten Absatz. Er lautet:

»Wiederergriffene Kriegsgefangene wurden von der Dienststelle Dijon in keinem einzigen Fall in ein Konzentrationslager gebracht oder gar erschossen, sondern unverzüglich der nächsten zuständigen Wehrmachtsstelle zugeführt.«


VORSITZENDER: Wo lesen Sie jetzt?

DR. MERKEL: Der zweite Punkt der eidesstattlichen Versicherung Nummer 2 auf Seite 3 des deutschen Originals, er kommt unmittelbar nach der kurzen Überschrift »Judenfragen«. Es ist der nächste Absatz.


VORSITZENDER: Ja.


DR. MERKEL: Ich überspringe nun die vier nächsten Absätze und lese weiter:

»Eigene Sipo- und SD-Gefängnisse hat es im Bereich Dijon nicht gegeben. Im übrigen sind auch keinesfalls Häftlinge in irgendwelchen Gefängnissen auf Anordnung der Sipo [320] und des SD hingerichtet worden, um deren Befreiung durch alliierte Truppen zu verhindern.«

Von dem Affidavit Nummer 3 bitte ich folgendes verlesen zu dürfen, den Anfang des zweiten Absatzes:

»Ich wurde im September 1941 von der Infanterie zur Geheimen Feldpolizei versetzt und wurde ohne mein Zutun im Juni 1942 zur Dienststelle des Kommandeurs der Sipo und des SD in Poitiers kommandiert.«

Der nächste Absatz:

»Das Sipo-Kommando Poitiers setzte sich zusammen aus ca. 5 Beamten der Stapo und ca. 5 Beamten der Kripo, ca. 80 ehemaligen Angehörigen der GFP, die wie ich selbst im Jahre 1942 geschlossen aus der Wehrmacht entlassen und für die Sipo kriegsnotdienstverpflichtet wurden.«

Auf Seite 2 der eidesstattlichen Versicherung nach der Überschrift »Kommandobefehl« bitte ich folgendes verlesen zu dürfen:

»Der Befehl ist mir nur in seinem Grundgedanken durch Wehrmachtsbericht, Presse usw. bekannt.«

Ich lasse den nächsten Satz aus.

»Dieser Befehl wurde im Bereich Poitiers nicht durchgeführt. Ich kann zwei Beispiele erwähnen:

Im Juni 1942 wurde in Zusammenarbeit von Sipo und Wehrmacht ein Lager von, 40 englischen Fallschirmjägern ausgehoben, wobei in dem kurzem Kampfe lediglich drei Engländer fielen, während die übrigen gefangen und der Wehrmacht übergeben wurden, obwohl feststand, daß die Gruppe Eisenbahnsabotage drei Kilometer vor Poitiers, mehr als 200 km hinter der Invasionsfront, ausgeführt und französische Partisanen mit Waffen versehen und organisiert hatten.«

Noch den nächsten Absatz:

»Desgleichen wurden im März...«


VORSITZENDER: Was bedeutet der Ausdruck »200 km hinter der Invasionsfront« im Juni 1942?

DR. MERKEL: Der Ort Poitiers befindet sich etwa 200 km hinter der Invasionslinie.


VORSITZENDER: Es gab keine Invasion im Jahre 1942.


DR. MERKEL: Im Juni 1944, das ist ein Schreibfehler.


VORSITZENDER: Setzen Sie fort.


DR. MERKEL:

»Desgleichen wurden im März 1944 im gleichen Bereiche... 5 amerikanische Flieger, die in Zivil und zusammen mit 40 bewaffneten Partisanen angetroffen worden waren, gefangengenommen und der Luftwaffe überstellt.«

[321] Als nächstes fasse ich zusammen die eidesstattlichen Versicherungen Nummer 5, 6, 7, 8 und 14.

Herr Präsident! Ich bitte dabei zu entschuldigen, daß die Ziffern nicht in fortlaufender Reihenfolge kommen. Das ist aber daraus zu erklären, daß diese eidesstattlichen Versicherungen, soweit sie aus Lagern stammen, in zeitlich sehr großen Abständen bei uns einliefen, und auch die Zeugen, die die eidesstattlichen Versicherungen im hiesigen Gefängnis abgaben, nur sukzessive ankamen. Dadurch läßt es sich nicht vermeiden, daß die Versicherungen nicht in fortlaufender Numerierung erscheinen.

Ich darf nochmals kurz wiederholen: Nummern, 5, 6, 7, 8 und 14. Sie beweisen, daß die Stapo an der Auslösung der Ausschreitungen des 9./10. November 1938 nicht nur nicht beteiligt war, sondern dagegen einschritt und in zahlreichen Fällen Verhaftungen von SA-, Partei- und SD-Angehörigen vornahm. Die verhafteten 20000 Juden wurden zum größten Teil nach Beschaffung ihrer Auswanderungspapiere wieder auf freien Fuß gesetzt.

Die Nummern 15 mit 21, 29 mit 34, 72, 73, 76, 84 und 85 befassen sich mit folgendem: Die Dienststellen der Sipo und des SD in den besetzten Gebieten setzen sich nicht aus freiwilligen Mitgliedern zusammen. Verwaltungsbeamte und technische Beamte der Gestapo hatten mit dem Vollzugsdienst nichts zu tun. Sie konnten schon mit Rücksicht auf die strengen Geheimhaltungsvorschriften von Einzelheiten nichts wissen. Auch Angestellte und Notdienstverpflichtete können weder als Mittäter noch als Mitwisser eines eventuellen verbrecherischen Charakters der Organisation betrachtet werden. Neueinstellungen wurden in der Regel nicht durch freiwillige Bewerbungen, sondern auf Grund von Kommandierungen und Versetzungen vorgenommen. Ich lese aus der eidesstattlichen Versicherung Nummer 15 folgendes in das Protokoll; es ist dies der zweite Absatz:

»Im Mai 1919 wurde ich zu der beim Polizeipräsidium München als Abteilung VI neuerrichteten Politischen Polizei abgeordnet.«


VORSITZENDER: Bitte, einen Augenblick. Lesen Sie das Affidavit Nummer 15?

DR. MERKEL: 15, jawohl.


VORSITZENDER: Sie sagen die zweite Seite, zweiter Absatz, und Sie beginnen mit 1919. Ich finde das nicht.


DR. MERKEL: Nein, Herr Präsident! Es ist die erste Seite, zweiter Absatz, gleich zu Beginn der eidesstattlichen Versicherung. Er beginnt...


VORSITZENDER: Auf der ersten Seite und es beginnt »Am 1. Januar 1913«?


[322] DR. MERKEL: »Am 1. Januar 1913.« Ich hatte nur diesen ersten Satz ausgelassen. Der dritte Satz beginnt:

»1933 wurde ich mit fast sämtlichen Angehörigen dieser Dienststelle in die bayerische Politische Polizei überführt, die fast in der gleichen personellen Zusammensetzung in die Geheime Staatspolizei München überführt wurde. Das gesamte Personal wurde durch den SD... einer politischen Prüfung unterzogen, wobei ein großer Teil der Beamten und Angestellten der früheren politischen Abteilung des Polizeipräsidiums negativ beurteilt wurde.«

Dann lese ich auf Seite 2 des deutschen Textes die Ziffer 2):

»Während der Führung der Dienststelle in der Zeit von 1933 bis 1939 habe ich die mir unterstellten Beamten immer auf das Verbot der Gefangenenmißhandlung hingewiesen. Mir wurde auch nichts bekannt, daß sich einer meiner Beamten an einem Gefangenen vergriffen hätte.«

Von Ziffer 4) lese ich den vorletzten Satz des ersten Absatzes:

»Mir ist bekannt geworden, daß, sich öfters Personen fälschlicherweise als Beamte der Gestapo ausgegeben haben. Von diesen wurden auch Straftaten verübt. Wegen der Häufung derartiger Vorkommnisse kam ein Erlaß Himmlers heraus, wonach alle Personen, die sich fälschlicherweise als Beamte der Gestapo ausgaben, in ein Konzentrationslager einzuweisen waren.«

Von der eidesstattlichen Versicherung Nummer 16 bitte ich, auf der ersten Seite vom vierten Absatz folgendes verlesen zu dürfen:

»Auf Grund meiner Tätigkeit beim Geheimen Staatspolizeiamt in Berlin kann ich bestätigen, daß sich das Geheime Staatspolizeiamt zunächst durchwegs aus Beamten der früheren allgemeinen Kriminalpolizei... sowie der Polizeiverwaltung Berlin zusammensetzte, die durchwegs zur Staatspolizei kommandiert wurden...«


VORSITZENDER: Lesen Sie Nummer 16? Welche Seite?

DR. MERKEL: Es ist die erste Seite, Herr Präsident! Der Absatz selbst, aus dem ich verlese, beginnt: »Im Jahre 1935« und dann der vierte Satz: »Auf Grund meiner Tätigkeit...«


VORSITZENDER: »Im Jahre 1935 wurde ich ohne meinen Willen...«


DR. MERKEL: Jawohl, dieser Absatz und von diesem Absatz dann der vierte Satz: »Auf Grund meiner Tätigkeit beim Geheimen Staatspolizeiamt Berlin...« Dann verlese ich noch den nächsten Paragraphen:

»Wie beim Geheimen Staatspolizeiamt Berlin, so bestand auch bei den Staatspolizeidienststellen im ganzen Reich die [323] Masse der Arbeitskräfte aus alten Berufspolizeibeamten, die aus der alten I A-Abteilung der Kriminalpolizei und aus den übrigen Polizeizweigen zur Stapo versetzt bzw. kommandiert worden waren, ohne daß man hierbei deren Willen berücksichtigt hatte.«

Dann den übernächsten Absatz:

»Rückkommandierungen kamen überhaupt nicht in Frage, weil ein diesbezügliches absolutes Verbot bestand. Wurden trotzdem Gesuche um Rückversetzung bzw. Versetzung von der Gestapo zu anderen Polizeizweigen eingereicht, so wurden diese Gesuche meist mit Strafversetzung beantwortet. Gesuche dieser Art erfolgten nicht deshalb, weil die Gestapo als verbrecherische Organisation angesehen wurde, sondern waren meist durch rein persönliche Gründe bedingt.«

Aus der eidesstattlichen Versicherung Nummer 18 bitte ich folgendes verlesen zu dürfen; und zwar ist das auf Seite 3 des deutschen Originals:

»1. Offiziere: Es gab etwa 50-60 Offiziersstellen in der gesamten Sipo...

2. Verwaltungsbeamte: Die Verwaltungsbeamten waren ausschließlich mit Büroarbeiten der gesamten Polizeiverwaltung... beschäftigt. Sie waren von den Vollzugsbeamten durch verschiedene Vorschriften über ihre Laufbahn, durch verschiedene Dienstbezeichnung, durch verschiedenartige Dienstausweise scharf getrennt. Insbesondere hatten sie mit dem Vollzug nichts zu tun. Eine Änderung in ihrer Stellung und Tätigkeit ist niemals eingetreten.

3. Vollzugsbeamte: Diese hatten die eigentlichen Aufgaben der Gestapo, die gesetzlich niedergelegt waren, auszuführen. Dabei muß bemerkt werden, daß auch ein Teil dieser Beamten nur mit reinen Büroarbeiten beschäftigt war, wie diese bei jeder Behörde stets anfallen.

4. Zivilangestellte: Die Zivilangestellten waren in der Hauptsache Schreibkräfte und sonstiges Büropersonal und Arbeitskräfte für untergeordnete Verrichtungen...

5. Notdienstverpflichtete:« – hier lese ich das Ende dieses Absatzes. »Dagegen aber, daß ein Notdienstverpflichteter zur Gestapo kam und nicht zu irgendeiner anderen staatlichen Stelle oder einem anderen privaten Unternehmen, dagegen gab es keinerlei Beschwerderecht.«

Ich überspringe zwei Absätze und lese den drittfolgenden:

»Ich schätze, daß es bei der Gestapo Ende 1944 etwa 10000 Notdienstverpflichtete gab.

6. Kommandierte der Waffen-SS. Um den Bedarf der Gestapo an Hilfskräften sicherzustellen, wurden während des [324] Krieges in steigendem Maße Angehörige der Waffen-SS, die infolge von Verwundungen und anderen körperlichen Gebrechen an der Front nicht mehr eingesetzt werden konnten, zur Gestapo kommandiert...«


VORSITZENDER: Ich glaube, wir sollten nun unterbrechen.


[Pause von 10 Minuten.]


DR. MERKEL: In dem Affidavit Nummer 18 bitte ich weiter die Ziffer 7 verlesen zu dürfen:

»Angehörige der früheren Geheimen Feldpolizei.

Mit der Übernahme der Aufgabe der Geheimen Feldpolizei durch die Sicherheitspolizei, zuerst in den besetzten Gebieten im Westen, wurden auch die Angehörigen der GFP zur Sipo bzw. Gestapo übernommen. Diese Übernahme erfolgte befehlsgemäß, so daß keiner der Übernommenen gegen die Übernahme irgend etwas hätte, unternehmen können.«

Dann den Schlußsatz dieses Absatzes:

»Insgesamt wurden ca. 5500 Mann übernommen.«

Den ersten Satz des nächsten Absatzes:

»Besonderer Wert wurde bei der Gestapo auf die Geheimhaltung gelegt.«

Ich überspringe den nächsten Satz und fahre weiter:

»Insbesondere wurde durch den Führerbefehl vom Jahre 1940, der vom Reichsführer-SS sofort auf die Sicherheitspolizei ausgedehnt wurde, die Geheimhaltung zur obersten Pflicht aller Angehörigen der Sicherheitspolizei und damit der Gestapo gemacht. Diese Geheimhaltungsvorschriften wurden in gewissen Zeitabständen allen Angehörigen der einzelnen Dienststellen gegen protokollarische Niederschrift bekanntgegeben. Dabei wurde auch immer wieder darauf hingewiesen, daß Verstöße gegen die Geheimhaltungsvorschrift strengstens, in wichtigen Fällen sogar mit der Todesstrafe geahndet werden können.«

Von dem Affidavit Nummer 20 bitte ich auf der ersten Seite den zweiten Absatz verlesen zu dürfen:

»Die Angehörigen des Verwaltungsdienstes wurden für den unteren, mittleren, oberen und höheren Dienst auf Anforderung des Geheimen Staatspolizeiamtes bzw. ab 1937 des Hauptamtes Sicherheitspolizei aus der Beamtenschaft aller Behörden, vorwiegend aber aus der Polizeiverwaltung, entnommen und zur Sicherheitspolizei bzw. zur Gestapo versetzt.«

[325] Aus der Nummer 30 lese ich folgendes; auf der ersten Seite unter der Überschrift »Aufbau und Zusammensetzung der Geheimen Staatspolizei Bielefeld« den zweiten Satz:

»Bei der Errichtung der Staatspolizeistelle im Jahre 1934 wurden von der Staatspolizei Bielefeld etwa 8 Kriminalbeamte, 2 Polizeiverwaltungsbeamte und von auswärtigen Dienststellen der Kripo etwa 5 Kriminalbeamte zur Staatspolizei Bielefeld versetzt. Die Versetzung erfolgte, ohne daß vorher die Zustimmung der Beamten eingeholt worden wäre.«

Dann auf der Seite 3 dieser eidesstattlichen Versicherung bitte ich, als ein Beispiel einer Zusammensetzung einer größeren Gestapostelle folgendes verlesen zu dürfen:

»Aufbau und Zusammensetzung der Geheimen Staatspolizei Brünn. Das Personal betrug im Frühjahr 1944 rund 800 Mann und verteilte sich unge fähr wie folgt: Verwaltungsbeamte ca. 35, Vollzugsbeamte ca. 280, Kraftfahrer, Angestellte ca. 110, Grenzpolizei ca. 65, Kriminalangestellte, z.B. Dolmetscher ca. 90, Gefängnis-Aufsichtspersonal ca. 80, weibliches Büropersonal ca. 90 und sonstige Hilfskräfte ca. 50.«

Dann noch den übernächsten Absatz:

»Bei der Errichtung der Staatspolizeistelle in Brünn wurden etwa 400 Beamte ohne Befragen von Dienststellen des Altreichs nach Brünn bzw. zu den Außenstellen von Brünn versetzt. Von den Hilfskräften waren mehr als die Hälfte notdienst- bzw. dienstverpflichtet.«

Von der Versicherung Nummer 31 verlese ich auf der zweiten Seite den Anfang:

»Ende 1944 setzte sich die Gestapo ungefähr wie folgt zusammen: 1. Verwaltungsbeamte 3000, 2. Vollzugsbeamte 15500, 3. Angestellte und Lohnempfänger – darunter 9000 Notdienstverpflichtete – 13500, insgesamt 32000. Diese Angehörigen der Gestapo kann man insofern als ›regelmäßig‹ bezeichnen, als diese zu dem normalen Personalstand gehören. Zu diesen Personen kamen dann noch folgende Gruppen: 4. Kommandierte der Waffen-SS 3500, 5. aus der Geheimen Feldpolizei übernommen 5500, 6. aus der militärischen Abwehr des OKW übernommen 5000, 7. Personal der ehemaligen militärischen Briefprüfstellen 7500, 8. Angehörige des Zollgrenzschutzes 45000.«

Dann noch aus dem Affidavit Nummer 34 verlese ich auf der ersten Seite unter der Überschrift »Beruflicher Werdegang« das letzte Zitat.

»1. April 1933 Versetzung bzw. Kommandierung in das Geheime Staatspolizeiamt Berlin. Ich habe seinerzeit ein Schreiben erhalten folgenden Inhalts: ›Auf Grund der mir [326] von dem Herrn Reichsminister des Innern erteilten Ermächtigung werden Sie hiermit mit Wirkung vom... zum Geheimen Staatspolizeiamt versetzt.‹ Diese Versetzung erfolgte ohne mein Zutun. Der Versuch meines Vorgesetzten beim Polizeipräsidium, mich vor der Versetzung zu bewahren, schlug fehl.«

Als nächstes bitte ich, über das Verhältnis der Geheimen Staatspolizei zur Grenzpolizei aus dem Affidavit Nummer 22 folgendes verlesen zu dürfen. Es ist auf Seite 2 des deutschen Originals:

»Die Angehörigen der Grenzpolizei sind von der bereits vor 1933 bestehenden Grenzpolizei in Bayern zur Grenzpolizei der Geheimen Staatspolizei übernommen worden. Später nach dem Anschluß Österreichs kamen auch die österreichischen Grenzpolizeibeamten hinzu. Die Eingliederung der Grenzpolizeibeamten in die Gestapo war weder in Bayern noch in Österreich eine freiwillige. Vielmehr wurden die Beamten bei Verreichlichung der Gestapo bzw. bei dem Anschluß Österreichs zur Geheimen Staatspolizei generell versetzt.«

Ich überspringe den nächsten Satz.

»Gegen die Versetzung zur Gestapo konnten die Beamten auf Grund der beamtenrechtlichen Vorschriften Einwände nicht erheben. Sie mußten dieser Versetzung Folge leisten.«

Dann den übernächsten Absatz:

»Die Aufgaben« – der Grenzpolizei – »lagen in der Hauptsache in der Überwachung des Personenverkehrs über die Grenze, in dem Vollzug paßpolizeilicher Bestimmungen, der Überwachung des Warenverkehrs in Verbindung mit der Zollbehörde –... Politische Aufgaben, wie sie die Geheime Staatspolizei im engeren Sinne hatte, waren der Grenzpolizei fremd.«

Ich überspringe den nächsten Satz.

»Ich weiß aus meiner eigenen Erfahrung, daß die Aufgaben der Grenzpolizei und auch ihre Tätigkeit nach 1933 nicht gewechselt haben.«

Dann den letzten Absatz:

»Ich muß noch darauf hinweisen, daß die gleichen Aufgaben, welche die Grenzpolizei hatte, an vielen kleineren Grenzübergängen von Angehörigen der Reichsfinanzverwaltung (Zollverwaltung) vorgenommen wurden, wobei diese Zollbeamten genau an die gleichen Vorschriften gebunden waren, wie dies die Angehörigen der Grenzpolizei auch waren.«

[327] Die Nummern 23, 24, 35 und 39 beziehen sich auf die Geheimhaltung:

»Kein Referat innerhalb der Staatspolizei wußte etwas von den Befehlen eines anderen Referats. Auch private Unterhaltungen waren untersagt. Mit Rücksicht auf die strenge Geheimhaltung wußten selbst im Reichssicherheitshauptamt nur die wenigen jeweils unmittelbar Beteiligten von den einzelnen Maßnahmen.«

Aus der Nummer 35 verlese ich folgendes: Es ist dies auf Seite 8 des Originals, der zweite Absatz.

»Der Schwerpunkt der sachlichen Erörterungen lag demnach in den persönlichen Besprechungen zwischen Amtschef und Gruppenleiter bezw. deren Stellvertretern einerseits und wie bisher zwischen Amtschef und seinen Referenten andererseits.«

Dann den Anfang des nächsten Absatzes:

»Bei dieser Art der persönlichen Zusammenarbeit waren demnach lediglich die wirklich unmittelbar Beteiligten über die jeweilige Materie unterrichtet, zumal auf Grund der ergangenen Weisungen die Grundsätze über die Geheimhaltung im Amt IV schärfstens beachtet wurden.«

Dann den Anfang des nächsten Absatzes:

»In diesem Zusammenhang muß aber auch noch eine weitere Tatsache entscheidend berücksichtigt werden. Im Lauf des Krieges bis September 1944.... besonders aber im Verlauf des Luftkrieges, war das Amt IV in Berlin immer stärker auf einzelne Stadtteile dezentralisiert worden...«

Dann noch auf Seite 12 des Affidavits, im deutschen Text der zweite Absatz dieser Seite:

»Angesichts dieser auf allen Arbeitsgebieten herr schenden Praxis der absoluten Geheimhaltung und wissensmäßigen Abgrenzung dürfte ohne weiteres klar sein, daß ein derart aus dem Rahmen der allgemeinen Aufgaben und Tätigkeit herausfallendes Problem wie das der physischen Vernichtung von Juden... in womöglich noch stärkerem Maße geheimgehalten wurde. Alle damit im Zusammenhang stehenden Planungen und Maßnahmen müssen notwendigerweise nur im engsten Kreise der sachlich unmittelbar beteiligten Personen erörtert worden sein, denn sämtliche übrigen Angehörigen des Amtes IV erhielten davon niemals Kenntnis.«

Und noch den Anfang des nächsten Absatzes:

»In gleicher Weise muß es sich mit der Kenntnis der von der Anklage angeführten Berichte über Massenerschießungen im Osten verhalten haben. Wer von derartigen Berichten [328] außer RFSS... und einzelnen Amtschefs Kenntnis gehabt haben kann, ist im einzelnen nicht bekannt. Wenn dies allenfalls auch noch für die unmittelbar zuständigen Gruppenleiter und Referenten zutreffen sollte, so ist es doch keinesfalls so, wie die Anklage behauptet, daß die Masse des Amtes IV oder gar des RSHA oder der Dienststellen im Reich Kenntnis gehabt hat.«

Aus Nummer 39 bitte ich folgendes verlesen zu dürfen. Es ist dies auf Seite 3, Ziffer 3 des Originals:

»Bei meinem Dienstantritt im Reichssicherheitshauptamt im August 1941 erklärte mir Müller, daß er in seinem Amtsbereich auf strenge Einhaltung der Geheimhaltungsbestimmungen größten Wert lege und Verstöße hiergegen ohne jede Nachsicht mit den schärfsten Maßnahmen ahnden werde.«

Dann noch den Schlußsatz dieses Absatzes.

VORSITZENDER: Wir haben von dieser Geheimhaltung wieder und wieder gehört, nicht nur in Ihren Affidavits, sondern während des ganzen Prozesses. Sie brauchen die Absätze dieser Affidavits über die Geheimhaltung gewiß nicht zu verlesen. Wir verstehen durchaus, daß jeder dies behauptet.

DR. MERKEL: Das Gestapo-Affidavit Nummer 25 enthält eine Stellungnahme zum Beweisstück US-219. Es handelt sich um die Überführung von 35000 arbeitsfähigen Häftlingen in Rüstungsbetriebe der Konzentrationslager.

Zu diesem Punkte sagt das Affidavit eines Gestapo-Stellenleiters, ich zitiere aus dem dritten Absatz den dritten Satz:

»In einem anderen Fall wurde der Erlaß des Chefs der Sipo und des SD vom 17. 12. 42, wonach mindestens 35000 arbeitsfähige Personen in Konzentrationslager für die dortigen Rüstungsbetriebe zu überführen seien, bei vielen Dienststellen der Gestapo nicht durchgeführt. Diese Personen sollten aus den Häftlingen der Arbeitserziehungslager der Stapostellen rekrutiert werden. Das widersprach den bisherigen Gepflogenheiten und wurde von vielen mir bekannten Dienststellenleitern als Will kürmaßnahme aufgefaßt. Bei Besprechungen im Reichssicherheitshauptamt erfuhr ich, daß es dem Amt nicht möglich war, die Forderung des Reichsführer-SS auf die Gestellung der Häftlinge zu erfüllen, da die Stapoleiter keine Häftlinge aus ihren Arbeitserziehungslagern zur Verfügung stellten und sich hinter Vorwänden verschanzten.«

Die Zusammenfassung des Affidavits Nummer 36 sagt, daß im Frühjahr 1944 der größte Teil der Angehörigen des Amtes Ausland/Abwehr im OKW in die Sipo zwangsweise übernommen wurde.

[329] Das Affidavit Nummer 40 sagt, daß der Befehl zur Judenevakuierung aus Hessen im Jahre 1942 vom Chef der Sipo unmittelbar ergangen ist und nicht vom Amt IV des Reichssicherheitshauptamtes.

Als Grund der Evakuierung war der Arbeitseinsatz im Osten angegeben.

Die eidesstattlichen Erklärungen Nummer 42 und teilweise Nummer 91 befassen sich mit dem Erlaß, die Kruzifixe aus den Schulen zu entfernen.

Ich lese aus dem Affidavit Nummer 42 das Folgende vor; auf der ersten Seite der zweite Satz:

»Ungefähr im Jahre 1942 ordnete m. W. der Gauleiter Adolf Wagner in seiner Eigenschaft als Bayer. Kultusminister an, daß aus allen Bayerischen Schulen das Kruzifix zu entfernen sei.«

Ich überspringe den nächsten Satz:

»Sein Vollzug stieß auf die größten Schwierigkei ten bei der Bevölkerung, so daß die Parteistellen, die sich die Durchführung des Erlasses angelegen sein ließen, die Hilfe der Landräte als der Kreispolizei-Behörden anriefen. Da die Angelegenheit politischen Charakter hatte, wandten sich Landräte an die Staatspolizeistelle Nürnberg mit der Bitte um Rat oder Weisung. Als Sachbearbeiter für kirchliche Angelegenheiten erklärte ich dem ersten mich anfragenden Landrat, daß die Nürnberger Stapo diesen Erlaß ohne ausdrücklichen Zwang nicht mitmachen werde und daß er für den Vollzug keine staatspolizeiliche Hilfe erhalten werde. Auch im Falle abträglicher Weiterungen für den politischen Hoheitsträger werde die Staatspolizei keine staatspolizeilichen Maßnahmen ergreifen.«

Den nächsten Satz lasse ich aus.

»Alsdann trug ich die Sache sofort dem Polizeipräsidenten... vor, der meinen Standpunkt voll und ganz deckte. Im Einverständnis mit ihm verständigte ich dann die übrigen einschlägigen Landräte telephonisch, daß sie sich gegebenenfalls in gleicher Weise verhalten sollten.«

Der Inhalt des Affidavits Nummer 43 spricht davon, daß auf den Widerspruch des zuständigen Kommandeurs der Sipo die Absicht des Landrates, die evangelische Kirche von Welun in ein Kino umzuwandeln, vereitelt wurde.

VORSITZENDER: Herr Dr. Merkel! Sie haben gewiß gehört, was ich zu Dr. Servatius sagte?

DR. MERKEL: Jawohl, Herr Präsident!

[330] VORSITZENDER: Liegen die Dinge in Ihrem Fall nicht genau so, daß alle diese eidesstattlichen Erklärungen im Protokoll der Kommission zusammengefaßt worden sind, das wir schriftlich vor uns haben?

Ist daher nicht alles, was Sie jetzt vorbringen, kumulativ?


DR. MERKEL: Ich glaubte nur, daß zur Unterstützung dieser Zusammenfassungen im Protokoll kurze Auszüge dieser übersetzten...


VORSITZENDER: Es hat wenig Sinn, mir zu sagen, was Sie nur dachten. Sie haben gehört, was ich Dr. Servatius sagte, daß der Gerichtshof nicht immer und immer wieder dasselbe hören will, was bereits in das Protokoll der Kommission aufgenommen worden ist. Das wurde Herrn Dr. Servatius deutlich auseinandergesetzt, und wir haben ihm in Ihrer Gegenwart erklärt, daß wir nicht alle diese Dinge im Gedächtnis behalten können. Daher ist es nutzlos, sie zweimal zu erörtern, es sei denn, es handelt sich um eine Sache von größter Wichtigkeit, auf die Sie unsere Aufmerksamkeit vor Ihrem Plädoyer lenken wollen. Ich habe das einmal schon gesagt und, will es jetzt nicht wieder tun.


DR. MERKEL: Dann darf ich mich auf die Zusammenfassung der Kommissions-Protokolle bezüglich der folgenden Nummern bis 91 beziehen und darf annehmen, daß das Gericht vom Inhalt dieser Zusammenfassungen Kenntnis nimmt. Ich habe dann lediglich nur eine eidesstattliche Sammelerklärung vorliegen. Falls es das Gericht wünscht, kann ich den zusammengefaßten Inhalt dieser Versicherung vorlesen. Sie ist, soviel ich weiß, nicht übersetzt worden. Es handelt sich um sechs Seiten dieser Zusammenfassung aus diesen 1276 einzelnen eidesstattlichen Versicherungen, die nicht im Kommissions-Protokoll erscheinen.


VORSITZENDER: Ja, setzen Sie fort.


DR. MERKEL: Über die Frage des Zwanges der Mitgliedschaft liegen 665 einzelne eidesstattliche Versicherungen vor. Sie besagen, daß bei der Errichtung der Gestapo der Personalbedarf zum überwiegenden Teil aus der eigenen politischen Polizei übernommen wurde.

Über den Zwang der Mitgliedschaft bei den Notdienstverpflichteten liegen 127 Versicherungen vor, die sich mit demselben Thema befassen.

785 eidesstattliche Versicherungen sagen, daß sie von den Verbrechen, die der Gestapo zur Last gelegt werden, keine Kenntnis hatten.

Über den organisatorischen Unterschied zwischen der Gestapo im Reich und der Sipo in den besetzten Gebieten lassen sich 39 Versicherungen aus.

[331] 195 eidesstattliche Versicherungen bekunden, daß von unmenschlichen Behandlungen und Greueltaten in den Konzentrationslagern diesen nichts bekannt war. Einige Beamte, die bei Führungen Konzentrationslager besucht hatten, konnten dort keine Unregelmäßigkeiten feststellen. Auch entlassene Häftlinge sprachen sich nicht abfällig über die Konzentrationslager aus.

133 Affidavits bekunden, daß keine Beteiligung oder Überwachung der Ausschreitungen vom 9./10. November 1938 stattgefunden haben.

67 Affidavits sagen aus, daß Plünderungen von Privat- oder Staatseigentum Mitgliedern der Gestapo ausdrücklich verboten waren.

135 eidesstattliche Erklärungen sagen aus, daß einem großen Teil der Angehörigen der Gestapo die Existenz von Einsatzgruppen beziehungsweise die von diesen verübten Greueltaten nicht bekannt waren.

218 eidesstattliche Versicherungen besagen, daß der »Kugel«-Erlaß dem größten Teil der Gestapo-Beamten nicht bekannt war und daß wiederergriffene Kriegsgefangene den Wehrmachtsdienststellen übergeben wurden.

168 eidesstattliche Versicherungen bekunden, daß abgesprungene Fallschirmspringer von der Gestapo der Luftwaffe übergeben wurden und 23 Affidavits sprechen davon, daß für Verhängung der Schutzhaft das Reichssicherheitshauptamt zuständig war.

181 eidesstattliche Versicherungen sprechen von Bestrafungen von Gestapo-Angehörigen durch die SS- und Polizeigerichte wegen Vergehen in und außer Dienst.

Damit bin ich am Ende der Beweisaufnahme durch Urkunden und eidesstattliche Erklärungen angelangt.


KORVETTENKAPITÄN WHITNEY R. HARRIS, HILFSANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Meine Herren Richter! Ich möchte nur zwei kurze Bemerkungen zu den hier vorgelegten Dokumenten machen, von welchen ich annehme, daß dort ein Irrtum unterlaufen ist. Ich bitte den Gerichtshof ergebenst, sich dem Exhibit Gestapo-33 zuzuwenden.


VORSITZENDER: Jawohl.


KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Dr. Merkel hat dieses Dokument als Beweis angeführt, daß die Hinrichtungen in den Konzentrationslagern vom WVHA befohlen wurden. Ich erlaube mir jedoch, die Aufmerksamkeit des Hohen Gerichtshofs auf den Satz in der Mitte der ersten Seite zu lenken. Ich zitiere:

»Zu dieser Maßnahme muß vorher das Einverständnis des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD eingeholt werden.«

[332] VORSITZENDER: Kapitän Harris! Der Gerichtshof ist der Meinung, daß dies eine Angelegenheit ist, die bei den Plädoyers, aber nicht in diesem Stadium behandelt werden kann.

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Jawohl.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof möchte jetzt den Fall des SD hören. Ist der Verteidiger für den SD nicht anwesend?


DR. STAHMER: Er wird eben geholt und kann jeden Moment kommen.


VORSITZENDER: Herr Gerichtsmarschall! Haben Sie versucht, diesen Verteidiger zu erreichen? Sind Sie mit ihm in Verbindung getreten?


OBERSTLEUTNANT JAMES R. GIFFORD, GERICHTSMARSCHALL: Wir sind mit seinem Büro in Verbindung getreten, und wir suchen ihn jetzt gerade.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich nunmehr auf morgen 10.00 Uhr vertagen.


[Das Gericht vertagt sich bis

20. August 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 21, S. 305-334.
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