Nachmittagssitzung.

[114] OBERST STOREY: Hoher Gerichtshof! Die Personen, die diese Stellungen im gewöhnlichen Kabinett innehatten, wechselten in den Jahren 1933 bis 1945. Obwohl es nicht unsere Aufgabe ist, zu beweisen, wer sie waren – denn nicht die Einzelpersonen, sondern die Gruppe steht zur Erörterung – so liegen doch dem Gerichtshof bereits ihre Namen in der Originaltabelle über die Regierung, Beweisstück US-3, vor. Da es für den Gerichtshof von Interesse sein wird, zu erfahren, welche Personen es waren und welche Stellungen sie im Kabinett innehatten, siebzehn von ihnen stehen ja hier als Angeklagte, ist eine Tabelle angefertigt worden, die alle die von mir erwähnten Abteilungen, Stellungen und die Personen, die die Stellungen während der Jahre 1933 bis 1945 innehatten, verzeichnet. Die entsprechenden deutschen Titel sind ebenfalls angegeben. Mit Erlaubnis des Gerichtshofs werde ich jetzt diese Tabelle an seine Mitglieder verteilen. Abschriften wurden auch in das Informationsbüro der Verteidiger gegeben. In der Tabelle sind auch Quellenzitate zur Bestätigung der aufgezeichneten Tatsachen vermerkt. All dies jedoch war während der in Frage kommenden Zeit allgemein bekannt.

Erläuternd möchte ich nur hinzufügen, daß die Tabelle nur hergestellt ist, um dem Gerichtshof das Studium der Schriftsätze und Dokumente zu erleichtern. Wie ich zu Beginn sagte, wird das Beweismaterial ergeben, daß der Unterschied zwischen dem ordentlichen Kabinett, dem Geheimen Kabinettsrat und dem Ministerrat für die Reichsverteidigung nur ein künstlicher war. Das folgt in erster Linie aus der Personaleinheit in den drei Unterabteilungen. So schuf Hitler am 4. Februar 1938 den Geheimen Kabinettsrat. Wenn sich die Herren Richter dieser großen Tabelle zuwenden wollen, werden sie unter 1938 eine rote Linie bemerken, die auf den Geheimen Kabinettsrat hinunterzeigt, der in diesem Jahre geschaffen wurde. Der betreffende Erlaß erscheint im Reichsgesetzblatt 1938, Teil I, Seite 112. Es ist Dokument 2031-PS in unserem Dokumentenbuch; ich möchte aus diesem Dokument zitieren. Es beginnt mit dem einleitenden Absatz des Dokuments 2031-PS in der Abteilung Gesetze und Erlasse. Ich zitiere:

»Zu meiner Beratung in der Führung der Außenpolitik setze ich einen Geheimen Kabinettsrat ein. Ich ernenne zum Präsidenten des Geheimen Kabinettsrats den Reichsminister Freiherrn von Neurath. Ich berufe als Mitglieder in den Geheimen Kabinettsrat: den Reichsminister des Auswärtigen Joachim von Ribbentrop; den Preußischen Ministerpräsidenten, Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Generalfeldmar schall Hermann Göring; den Stellvertreter des Führers, Reichsminister Rudolf Heß; den [114] Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Dr. Joseph Goebbels; den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, Dr. Hans-Heinrich Lammers;« – er erscheint ganz oben, unmittelbar unter Hitler – »den Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst Walther von Brauchitsch; den Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Großadmiral Dr. h. c. Raeder; den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, General der Artillerie Wilhelm Keitel.«

Es ist zu bemerken, daß jedes Mitglied entweder Reichsminister war, oder, wie im Falle der Führer von Heer, Marine und OKW, den Rang und die Befugnisse eines Reichsministers hatte.

Am 30. August 1939 schuf Hitler den Ministerrat für die Reichsverteidigung, besser bekannt als der Ministerrat. Vom Jahre 1939 an bildete der Minister-Verteidigungsrat das sogenannte Kriegskabinett. Der Erlaß erscheint im Reichsgesetzblatt 1939, Teil I, Seite 1539; ich verweise auf Dokument 2018-PS, in der Abteilung Gesetze und Verordnungen; und ich zitiere den mit »I« bezeichneten Artikel:

»(1) Aus dem Reichsverteidigungsrat wird als ständiger Ausschuß ein Ministerrat für die Reichsverteidigung gebildet.«

»(2) Dem Ministerrat für die Reichsverteidigung gehören als ständige Mitglieder an:

Generalfeldmarschall Göring als Vorsitzender, der Stellvertreter des Führers« – der Angeklagte Heß –, »der Generalbevollmächtigte für die Reichsverwaltung« – der Angeklagte Frick –, »der Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft« – der Angeklagte Funk –, »der Reichsminister und Chef der Reichskanzlei« – Dr. Lammers –, »der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht« – der Angeklagte Keitel.

»(3) Der Vorsitzende kann auch andere Mitglieder des Reichsverteidigungsrats sowie weitere Persönlichkeiten zu den Beratungen zuziehen.«

Wieder kann man sehen, daß sie alle auch Mitglieder des ordentlichen Kabinetts waren. Aber diese Verwendung des Kabinetts als ein Menschenreservoir, aus dem die vertrauten Mitarbeiter ausgewählt wurden, sticht besonders hervor, wenn wir die Handlungen der Nazi-Verschwörer betrachten, die nicht im Reichsgesetzblatt veröffentlicht wurden, die vor der Welt verheimlicht wurden, und die einen wesentlichen Teil ihrer Verschwörung, Angriffskriege zu führen, bildeten. Sie werden bemerkt haben, daß der Erlaß über die Bildung des Ministerrats jenen Satz enthielt, auf den ich gerade Bezug genommen habe:

»Aus dem Reichsverteidigungsrat wird als ständiger Ausschuß ein Ministerrat für die Reichsverteidigung gebildet;«[115] – dann auch noch den Absatz 3 desselben Erlasses »Der Vorsitzende kann auch andere Mitglieder... zuziehen.«

Dem Gerichtshof liegt bereits Beweismaterial vor, das die Errichtung dieser wirklich im geheimen den Krieg planenden Körperschaft durch das Kabinett am 4. April 1933 zeigt. Ich verweise den Gerichtshof auf Beweisstück US-24, das in unserem Dokumentenbuch als Dokument 2261-PS erscheint. Dieses Dokument enthält das unveröffentlichte Reichsverteidigungsgesetz vom 21. Mai 1935. Was die Mitgliedschaft in diesem Rat zur Zeit seiner Errichtung betrifft, so habe ich hier die Abschrift einer Niederschrift über die zweite Sitzung des Arbeitsausschusses der Referenten für die Reichsverteidigung vom 22. Mai 1933; sie ist von dem Angeklagten Keitel unterschrieben. Sie erscheint in unserem Dokumentenbuch als EC-177, Beweisstück US-390. Die Zusammensetzung des Reichsverteidigungsrats ergibt sich aus Seite 3 des Originals und auch aus Seite 3 der Übersetzung.

VORSITZENDER: Ich glaubte, Sie wollten auf 2261-PS hinweisen.

OBERST STOREY: Ich habe nur darauf hinweisen wollen, Herr Vorsitzender, daß dieses Dokument als Beweisstück schon vorgelegt worden ist, und daß es eines der unveröffentlichten Reichsverteidigungsgesetze enthält. Dies war der einzige Grund, aus dem ich es erwähnte. Das Zitat fängt oben auf Seite 3 der Übersetzung an:


»Zusammensetzung des Reichsverteidigungsrates:

Vorsitz: Reichskanzler,

Vertretung: Reichswehrminister.

Ständige Mitglieder:

Reichswehrminister,

Reichsminister des Äußeren,

Reichsminister des Innern,

Reichsminister der Finanzen,

Reichswirtschaftsminister,

Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda,

Reichsminister der Luftfahrt,

Chef der Heeresleitung,

Chef der Marineleitung.

Von Fall zu Fall: die übrigen Reichsminister, weitere Persönlichkeiten, zum Beispiel führende Männer der Wirtschaft, pp.«

Alle, außer den Chefs der Heeresleitung und der Marineleitung, waren damals Mitglieder des gewöhnlichen Kabinetts. Die Zusammensetzung dieses Verteidigungsrats wurde im Jahre 1938 geändert. Ich verweise den Gerichtshof auf Beweisstück US-36, das in unserem Dokumentenbuch als Dokument 2194-PS erscheint. [116] Es enthält das unveröffentlichte Reichsverteidigungsgesetz vom 4. September 1938.

Ich zitiere jetzt aus Paragraph 10, der die Überschrift: »Der Reichsverteidigungsrat« trägt. Sie finden die Stelle auf Seite 4 des Originals des Gesetzes, und ich zitiere nun von Seite 6 der englischen Übersetzung, am Anfang der Seite:

»(2) Den Vorsitz im RVR hat der Führer und Reichskanzler. Sein ständiger Vertreter ist Generalfeldmarschall Göring. Er ist berechtigt, den RVR zu Sitzungen einzuberufen.

Ständige Mitglieder des RVR sind:

der Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe,

der Oberbefehlshaber des Heeres,

der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine,

der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht,

der Stellvertreter des Führers,

der Reichsminister und Chef der Reichskanzlei,

der Präsident des Geheimen Kabinettsrates,

der Generalbevollmächtigte für die Reichsverwaltung,

der Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft,

der Reichsminister des Auswärtigen,

der Reichsminister des Innern,

der Reichsminister der Finanzen,

der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda,

der Präsident des Reichsbankdirektoriums.

Die übrigen Reichsminister und die dem Führer und Reichskanzler unmittelbar unterstellten Reichsstellen werden nach Bedarf hinzugezogen. Weitere Persönlichkeiten können von Fall zu Fall einberufen werden.«

VORSITZENDER: Oberst Storey, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir erklären würden, welche Schlüsse wir aus diesen Dokumenten ziehen sollen.

OBERST STOREY: Herr Vorsitzender! Wir versuchten, die fortschreitende Beherrschung des Reichskabinetts durch die Angeklagten und die Mitglieder dieser Gruppe darzulegen, so daß sie, wie die Herren Richter später sehen werden, Gesetze und Verordnungen geheim, im Umlaufswege oder, im Ergebnis, nach Belieben der Angeklagten erlassen konnten. Sicher geht das ein wenig in Einzelheiten, aber wir versuchen jetzt die Zusammensetzung und Organisation zu erklären, und werden später die Schlüsse ziehen.

Zu jenem Zeitpunkt war den Oberkommandierenden der Armee und der Marine Ministerrang verliehen und sie waren ermächtigt worden, an Kabinettssitzungen teilzunehmen. Ich zitiere Reichsgesetzblatt 1938, Teil I, Seite 215.

[117] Dürfen wir jetzt die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf zwei Mitglieder des Verteidigungsrats lenken, die auch im Ministerrat unter demselben Titel erscheinen: den Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung und den Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft. Den ersten Posten hatte der Angeklagte Frick inne, während den letzten zuerst der Angeklagte Schacht und dann der Angeklagte Funk bekleidete; sie zeichneten den Erlaß in dieser Eigenschaft. Diese Tatsachen sind durch den Angeklagten Frick im Beweisstück US-3 bestätigt; es ist die Organisationstabelle der Nazi-Regierung, auf die wir schon früher hingewiesen haben.

Wie wir später zeigen werden, waren diesen beiden Posten auf dem Gebiete der Kriegsplanung viele andere Ministerien unterstellt. Sie zusammen mit dem Chef des OKW bildeten ein machtvolles Triumvirat, als Drei-Männer-Kollegium bekannt. Sie sehen es in den drei Kästchen von 1935 bis 1938. Es spielte, wie das Beweismaterial zeigen wird, eine prominente Rolle bei den Plänen und Vorbereitungen für die Durchführung von Angriffskriegen. Die Personen, die diese Stellen innehatten, waren Kabinettsmitglieder, nämlich die Angeklagten Frick, Funk und Keitel.

Diese Verwendung des ordentlichen Kabinetts als eine Ergänzungsstelle für andere Regierungsstellen und der Zusammenhang zwischen allen diesen Gruppen kann vielleicht am schnellsten erkannt werden, wenn wir uns die Tabelle ansehen. Die Punkte, die ich erwähnt habe, sind auf dieser Tabelle veranschaulicht. Wir legen diese Tabelle nicht als Beweismaterial vor, obwohl alle Tatsachen, die in ihr aufgezeichnet sind, bereits bewiesen worden sind oder noch bewiesen werden. Diese Tabelle ist auch dazu bestimmt, die zeitliche Entwicklung der Ausläufer des Kabinetts, links von der Linie, die rechts bis zur Mitte hinunterläuft, zu zeigen. So erscheinen gewisse Daten in dem Hauptkästchen mit der Bezeichnung »Reichskabinett«, das direkt unter Hitler steht. Ich glaube, ich kann die Beschreibung dieser Linien übergehen, da sie für sich selbst sprechen.

Der Ministerrat für die Reichsverteidigung wurde im Jahre 1944 errichtet; der Bevollmächtigte für den totalen Kriegseinsatz war Goebbels. Diese beiden Stellen waren nächst Hitler die wichtigsten Nazi-Funktionäre. In jedem Fall waren sie, wie die Tabelle zeigt, von Personen besetzt, die aus dem Kabinett stammten. Der Pfeil, der vom Reichsverteidigungsrat zum Ministerrat für die Reichsverteidigung läuft, soll die Tatsache beleuchten, daß, wie schon zuvor gezeigt, der letztere aus dem ersteren gebildet wurde. Bei anderen Punkten dieses Vertrags werden wir noch einmal auf die Tabelle zurückkommen, besonders auf jenen Teil rechts, der sich auf die Ministerien bezieht.

[118] Die Einheit, der Zusammenhang und die inneren Beziehungen der Unterabteilungen der »Reichsregierung« waren nicht nur das Ergebnis einer personellen Verschmelzung. Sie wurden auch durch die Methoden, nach denen sie handelte, erreicht. Das ordentliche Kabinett beriet sowohl in Sitzungen als auch im Wege des sogenannten Umlaufverfahrens. Bei diesem Verfahren, das vorwiegend angewandt wurde, wenn keine Sitzungen stattfanden, wurden Gesetzentwürfe in den einzelnen Ministerien ausgearbeitet und diese dann den übrigen Kabinettsmitgliedern zur Zustimmung oder zum Widerspruch zugeleitet.

Der Mann, der in erster Linie für den Umlauf von Gesetzentwürfen nach diesem Verfahren verantwortlich war, war Dr. Lammers, der Leiter und Chef der Reichskanzlei. Ich habe hier eine von ihm abgegebene eidesstattliche Erklärung über die technischen Einzelheiten dieses Verfahrens; wir legen sie als Beweisstück US-391, Dokument 2999-PS, vor. Sie ist kurz und ich möchte sie ganz vorlesen:

»Ich, Hans Heinrich Lammers, erkläre und sage unter Eid aus: Ich war Leiter der Reichskanzlei vom 30. Januar 1933 bis zum Ende des Krieges. In dieser Eigenschaft machte ich Entwürfe von vorgeschlagenen Gesetzen und Erlassen, die mir von dem Minister, der das Gesetz entworfen hatte, unterbreitet wurden, allen Kabinettsmitgliedern zugänglich. Ein gewisser Termin war für Einwände vorgesehen, nach dessen Ablauf das Gesetz als von den Kabinettsmitgliedern angenommen betrachtet wurde. Dieses Verfahren wurde während des ganzen Krieges fortgesetzt. Es wurde gleicherweise im Ministerrat für die Reichsverteidigung angewandt.«

Unterschrieben: »Dr. Lammers« und vor Oberstleutnant Hinkel beschworen.

Um Ihnen zu zeigen, wie das Umlauf verfahren lief, habe ich hier ein Schreiben vom 9. August 1943, das die Faksimile-Unterschrift des Angeklagten Frick trägt und an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei gerichtet ist. Diesem Schreiben ist ein Entwurf des in Frage kommenden Gesetzes und ein Durchschlag des vom Angeklagten Rosenberg an den Reichsinnenminister gerichteten Briefes vom 22. Dezember 1943 beigelegt, in dem er zu dem Gesetzesentwurf Stellung nimmt. Ich lege Dokument 1701-PS als Beweisstück US-392 vor und möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf den dicken roten Rand der Anlage lenken. Die zitierte Stelle befindet sich auf Seite 1 der Übersetzung und auf Seite 1 des Originals. Ich zitiere:

[119] »An den Herrn Reichsminister und Chef der Reichskanzlei in Berlin W 8. Nachrichtlich den übrigen Herren Reichsministern. Betrifft: Gesetz über die Behandlung Gemeinschaftsfremder. Im Nachgang zu meinem Schreiben vom 19. März 1942, Anlage: 55. Nachdem der Gesetzentwurf über die Behandlung Gemeinschaftsfremder von Grund auf überarbeitet worden ist, übersende ich im Einvernehmen mit dem Reichsminister der Justiz Dr. Thierack, der dem Gesetz nunmehr seine Zustimmung erteilt hat, den anliegenden neuen Entwurf mit der Bitte, die Verabschiedung des Gesetzes im Umlaufwege herbeizuführen. Die erforderliche Anzahl Abdrücke ist angeschlossen.«

Dasselbe Verfahren wurde im Ministerrat angewandt, nachdem er geschaffen war. Die Erlasse des Ministerrats wurden auch bei den Mitgliedern des ordentlichen Kabinetts in Umlauf gesetzt.

Hier ist ein Durchschlag eines Memorandums, das von alliierten Truppen in den Akten der Reichskanzlei gefunden wurde. Es war an die Mitglieder des Ministerrats gerichtet, trägt das Datum vom 17. September 1939 und die Unterschrift von Dr. Lammers in Maschinenschrift. Ich zitiere aus der englischen Übersetzung des Dokuments 1141-PS, Beweisstück US-393, den letzten Absatz über der Unterschrift von Dr. Lammers:

»Die beim Ministerrat für die Reichsverteidigung eingebrachten Vorlagen sind bisher nur bei den Mitgliedern des Ministerrats verteilt worden. Einige der Herren Reichsminister, die nicht ständige Mitglieder des Ministerrats sind, haben mich gebeten, ihnen von den Verordnungsentwürfen, die dem Ministerrat vorgelegt werden, Kenntnis zu geben, damit sie in der Lage sind, diese Entwürfe vom Standpunkt ihrer Ressorts zu prüfen. Ich werde diesem Wunsch entsprechen und in Zukunft die bei mir eingehenden Verordnungsentwürfe, die von dem Ministerrat für die Reichsverteidigung verabschiedet werden sollen, sämtlichen Herren Reichsministern zur Kenntnis bringen. Ich darf daher bitten, den für den Ministerrat bestimmten Vorlagen 45 Überstücke, und zwar sowohl der Entwürfe wie der Anschreiben, die in der Regel die Begründung enthalten, beifügen zu lassen.«

Von Stutterheim, ein Beamter in der Reichskanzlei, erläuterte dieses Verfahren auf Seite 34 einer Broschüre mit dem Titel »Die Reichskanzlei«, die ich jetzt als Beweisstück, Dokument 2231-PS, vorlege...

VORSITZENDER: Oberst Storey, ich kann die Bedeutung des letzten Dokuments nicht erkennen.

[120] OBERST STOREY: Das letzte Dokument, Herr Vorsitzender, ist weiteres Beweismaterial für die Billigung von Gesetzen und für die Verabschiedung von Gesetzen im Umlauf verfahren.


VORSITZENDER: Wir haben das bereits in der eidesstattlichen Erklärung von Dr. Lammers.


OBERST STOREY: Es könnte, streng genommen, als kumulatives Beweismaterial angesehen werden, wenn Sie das im Auge haben, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Ja; wenn es kumulativ ist, so möchten wir es wirklich nicht hören.


OBERST STOREY: Jawohl, Herr Vorsitzender, ich werde bitten, daß es aus dem Protokoll gestrichen wird. Ich habe wirklich übersehen, daß es eine Wiederholung ist. Fräulein Boyd und Fregattenkapitän Kaplan sagen mir gerade, daß das Dokument 2231 wahrscheinlich auch nur dasselbe Verfahren bestätigen wird; ich werde es daher nicht vorlegen.

Ich habe bereits erklärt, daß das Kabinett eine Zeit lang in wirklichen Sitzungen beriet. Der Ministerrat tat das gleiche; jedoch besuchten auch die Kabinettsmitglieder, die nicht schon Mitglieder des Rates waren, die Sitzungen des Ministerrats. Wenn sie daran nicht persönlich teilnahmen, waren sie gewöhnlich durch die Staatssekretäre der Ministerien vertreten.

Wir haben hier das Protokoll von sechs Sitzungen des Ministerrats, und zwar vom 1., 4., 8. und 19. September 1939, vom 16. Oktober und 15. November 1939. Diese Originaldokumente wurden in den Akten der Reichskanzlei gefunden. Ich lege sie zum Beweis als Dokument 2852-PS, Beweisstück US-395, vor. Es wird für unsere Zwecke nur notwendig sein, auf einige wenige Protokolle hinzuweisen. Ich lenke die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die Sitzung vom 1. September 1939, wahrscheinlich die erste Sitzung seit der Errichtung des Rates am 30. August 1939. Ich lese aus diesem Dokument die Anwesenheitsliste vor und beginne am Anfang, der englischen Übersetzung:

»Anwesend waren die ständigen Mitglieder des Ministerrates für die Reichsverteidigung: Der Vorsitzende: Generalfeldmarschall Göring. Der Stellvertreter des Führers: Heß« – aus unbekanntem Grund ist der Name Heß durchgestoßen –. »Die Generalbevollmächtigte für die Reichsverwaltung: Dr. Frick. Der Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft: Funk. Der Reichsminister und Chef der Reichskanzlei: Dr. Lammers. Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht: Vertreter Generalmajor Thomas.«

Das waren die ordentlichen Mitglieder des Rates.

[121] Ferner waren anwesend der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, Darré, und sieben Staatssekretäre, deren Namen aufgeführt sind. Sie kamen von verschiedenen Ministerien oder anderen Obersten Reichsbehörden. Um nur beispielsweise einige zu nennen: Körner war der Stellvertreter des Angeklagten Göring für den Vierjahresplan; Stuckart war im Ministerium des Innern; Landfried im Wirtschaftsministerium; Syrup im Arbeitsministerium. Diese Stellungen erscheinen auch in der Regierungstabelle, die schon vorgelegt wurde.

Eine andere Sitzung des Rates,... – ich werde diese auslassen. Dann kamen dort die Namen von neun Staatssekretären...

MR. BIDDLE: Oberst Storey, das letzte Dokument zeigte nur, daß gewisse Mitglieder des Kabinetts an der Kabinettssitzung teilgenommen haben. Zeigt es noch etwas anderes?

OBERST STOREY: Ich wollte gerade fortfahren und zeigen, daß auch ein SS-Gruppenführer und andere Leute zugegen waren.


MR. BIDDLE: Und was würde das zeigen?


OBERST STOREY: Mit anderen Worten, daß diese untergeordneten Leute zu einer Ministersitzung hinzugezogen wurden.


MR. BIDDLE: Was würde das zeigen?


OBERST STOREY: Nun, es zeigt gerade die Verflechtung der Partei und der untergeordneten Dienststellen, so daß sie dieses Reichskabinett für jeden von ihnen gewünschten Zweck benutzen und auf jede Weise Gesetze verabschieden konnten. Sie zogen diese untergeordneten Leute in diesen untergeordneten Stellen hinzu und setzten sich mit ihnen bei Erlaß von Kabinettsmaßnahmen zusammen. Ich möchte auch die Aufmerksamkeit der Herren Richter auf den Ministerrat für die Reichsverteidigung lenken; er war angeblich ein Kabinett von Ministern, und doch zogen sie, wie ich gerade zeigen wollte, den SS-Gruppenführer Heydrich zu dieser Sitzung hinzu.


VORSITZENDER: Es kann doch kein Zweifel bestehen, daß es ein Reichskabinett gab?


OBERST STOREY: Nein, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Und daß das Reichskabinett Verordnungen auf diesem Umlaufwege erließ? Darüber besteht kein Zweifel.

OBERST STOREY: Das ist richtig, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Was ergibt sich sonst noch aus diesem Dokument?


OBERST STOREY: Es zeigt, wer teilnahm und wie sie in die Partei gingen, um andere heranzuziehen; ich werde jedoch die restlichen Hinweise auf diese anderen Einzelpersonen auslassen.


[122] VORSITZENDER: Aber wir haben doch umfangreiches Beweismaterial vor uns, wer zu dem Reichskabinett gehörte, nicht wahr?


OBERST STOREY: Jawohl, ich werde die restlichen Hinweise auf andere Teilnehmer überspringen und auf Seite 23 der Sitzungsniederschrift übergehen. Bevor ich diese Niederschrift verlasse, die kennzeichnend für die Tätigkeit der Reichsregierung ist, möchte ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf einige der Erlasse und kurzen Entwürfe hinlenken, die bei dieser Sitzung erörtert wurden. In der ersten Sitzung am 1. September 1939 wurden vierzehn Verordnungen von dem Rat ratifiziert. Ich weise den Gerichtshof auf den Erlaß Nummer 6 aus dieser Gruppe hin, der auf Seite 2 der Übersetzung erscheint. Ich zitiere:


VORSITZENDER: Ich glaube, Sie haben uns die Nummer nicht angegeben.


OBERST STOREY: Ich bitte um Verzeihung. Es ist Reichsgesetzblatt I, Seite 1681. Ich möchte den Gerichtshof bitten, es amtlich zur Kenntnis zu nehmen. Die Verordnung bezog sich auf den Aufbau der Verwaltung und auf die deutsche Sicherheitspolizei im Protektorat Böhmen und Mähren. Sie erscheint in der Übersetzung von 2852-PS. Eine andere Verordnung vom 19. September 1938 erscheint auf Seite 6 der Übersetzung. Ich zitiere vom Ende der Seite an:

»Der Vorsitzende des Ministerrats, Generalfeldmarschall Göring, machte Ausführungen zu dem Aufbau der Zivilverwaltung im besetzten polnischen Gebiet. Er legte seine Absicht klar hinsichtlich der wirtschaftlichen Räumungsmaßnahmen in diesem Gebiet. Die Fragen des Lohnabbaues, der Arbeitszeit und der Unterstützung von Angehörigen eingezogener Arbeiter wurden erörtert.«

Dann gibt es noch eine Anzahl verschiedener Diskussionspunkte; und aus dem Absatz 2 des Protokolls, Seite 7, zitiere ich das Folgende:

»Der Vorsitzende ordnete an, daß. alle Mitglieder des Ministerrates die Lageberichte des Reichsführers-SS regelmäßig erhalten.

Es wurde alsdann die Frage der Bevölkerung des zukünftigen polnischen Protektoratsgebietes und die Unterbringung in Deutschland lebender Juden erörtert.«

Abschließend lenke ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf das Protokoll über die Sitzung vom 15. November 1939, Seite 10 der Übersetzung, wo unter anderem die Behandlung polnischer Kriegsgefangener besprochen wurde.

Unseres Erachtens ergibt sich aus diesem Dokument nicht nur eine enge Zusammenarbeit zwischen den Dienststellen des Staates [123] und der Partei, besonders mit der berüchtigten SS; es weist auch darauf hin, daß die Reichsregierung, wie in der Anklageschrift festgestellt, für die Politik verantwortlich war, die von den Regierungsstellen übernommen und in die Tat umgesetzt wurde. Dazu gehört auch die Begehung von Verbrechen, auf die in der Anklageschrift hingewiesen ist.

Die Arbeitsgemeinschaft allein würde jedoch bedeutungslos sein, wenn nicht die Macht dahintergestanden hätte. Die Regierung hatte diese Macht. Von Hitler selbst abgesehen, hatte sie praktisch jede Macht, die eine Regierung ausüben kann. Die Anklage hat bereits Beweismaterial darüber vorgelegt, wie das Hitler-Kabinett und die anderen Nazi-Verschwörer den Erlaß des »Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich« vom 24. März 1933 durchsetzte; hierauf wurde schon in Dokument 2001-PS hingewiesen.

Dieses Gesetz stattete das Kabinett mit gesetzgeberischer Vollmacht aus und ermächtigte es sogar, von der bis dahin geltenden Verfassung abzuweichen. Diese Vollmacht blieb sogar bestehen als die Mitglieder des Kabinetts wechselten. Die verschiedenen Staaten, Provinzen und Gemeinden, die bisher halbautonom gewesen waren, wurden in Verwaltungsorgane der Zentralregierung umgewandelt.

Das ordentliche Kabinett wurde durch diese schnelle Folge von Ereignissen allmächtig. Der Angeklagte Frick gibt diesem Erfolg beredten Ausdruck. Ich habe hier einen Artikel in Dokument 2380-PS, den ich als Beweisstück US-396 vorlege. Er stammt aus dem Nationalsozialistischen Jahrbuch von 1935; ich zitiere von Seite 213 des Originals, Seite 1 der englischen Übersetzung, zweiter Absatz:

»Das Verhältnis zwischen Reich und Länder ist auf eine völlig neue, in der Geschichte des deutschen Volkes noch niemals dagewesene Grundlage gestellt. Es gibt der Reichsregierung die unbeschränkte Macht, ja es verpflichtet sie sogar, eine völlig einheitliche Führung und Verwaltung des Reiches aufzubauen. Es gibt von nun an nur noch eine Staatsgewalt, die des Reiches! Damit ist das Deutsche Reich zum Einheitsstaat geworden und die gesamte Verwaltung erfolgt in den Ländern nur noch im Auftrage und im Namen des Reiches. Die Landesgrenzen sind nur noch verwaltungstechnische Gebietsgrenzen, aber keine Hoheitsgrenzen mehr!

In ruhiger Entschlossenheit verwirklicht die Reichsregierung Schritt für Schritt, getragen vom Vertrauen des gesamten deutschen Volkes, die große Sehnsucht der Nation: Die Schaffung des nationalsozialistischen deutschen Einheitsstaates.«


VORSITZENDER: Oberst Storey! Dieses Dokument scheint mir nur kumulativ zu sein. Sie und auch andere Anklagevertreter [124] der Vereinigten Staaten haben festgestellt, daß die Reichsminister die Macht hatten, Gesetze zu erlassen. Es ist nur die Frage, ob Sie irgendwelches Beweismaterial über die verbrecherische Natur der Reichsregierung vorgelegt haben.

OBERST STOREY: Herr Vorsitzender! Ich habe das wieder nur eingefügt, um die Verbindung eines der Angeklagten hier...


VORSITZENDER: Ich wollte nur darauf hinweisen, daß es sich um eine Wiederholung handelte.


OBERST STOREY: Ja, ganz recht, Herr Vorsitzender! Es mag wirklich nur eine Wiederholung sein. Ich werde den nächsten Hinweis auslassen, der sicher auch nur eine Wiederholung ist, und wende mich nun...


VORSITZENDER: Meinen Sie dasselbe Dokument?


OBERST STOREY: Nein, Herr Vorsitzender. Es ist ein anderes Dokument, das ich jetzt vorlegen wollte. Es ist 2849-PS, ein Zitat aus einem anderen Buch; sicherlich bezieht es sich auf denselben Punkt. Ich werde es auch auslassen. Das nächste ist ein Hinweis darauf, daß der Ministerrat gesetzgeberische Vollmachten hatte. Meines Wissens ist bisher noch nicht bewiesen worden, daß dieser Rat selbst gesetzgeberische Vollmachten erhalten hatte; das ergibt sich aus Artikel II des Erlasses vom 30. August 1939, Dokument 2018-PS. Das ordentliche Kabinett behielt die Legislative während des ganzen Krieges. Natürlich mußten sich infolge der Personalverschmelzung zwischen dem Ministerrat und dem ordentlichen Kabinett Fragen ergeben, in welcher Form das einzelne Gesetz bezeichnet werden sollte. Dr. Lammers, der Chef der Reichskanzlei und Mitglied beider Stellen, schrieb daher am 14. Januar 1942 einen Brief an den Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung, in dem er diese Frage behandelte.

Es dürfte nicht notwendig sein, das nächste Dokument zu verlesen. Es zeigt nur, daß beide Stellen weiterhin auf gesetzgeberischem Gebiete nebeneinander tätig waren. Es würde wirklich nur kumulatives Beweismaterial sein. Außer denen, die ich gerade erwähnte, gab es noch andere, die ein Gesetzgebungsrecht besaßen. Natürlich besaß Hitler ein solches Recht. Göring konnte als Stellvertreter für den Vierjahresplan Verordnungen mit Gesetzeskraft erlassen und hat dies auch getan. Das Kabinett übertrug das Recht, Gesetze zu erlassen, die von dem bestehenden Recht abweichen durften, an die Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft und für die Verwaltung sowie an den Chef des OKW, das sogenannte »Drei-Männer-Kollegium«! Dieses »Drei-Männer-Kollegium« hatte also ein Gesetzgebungsrecht. Es wurde bei dem Kriegsplanungsgesetz, dem geheimen Verteidigungsgesetz von 1938, Dokument 2194-PS, Beweisstück US-36, ausgeübt. Diese drei Funktionäre, [125] Frick, Funk und Keitel, waren jedoch, wie wir bewiesen haben, auch Mitglieder des Ministerrats und des ordentlichen Kabinetts. Es kann deshalb wirklich mit den Worten der Anklage gesagt werden, daß die Reichsregierung Gesetzgebungsbefugnisse allererster Ordnung im deutschen Regierungssystem besaß. Daß sie diese Befugnisse auch tatsächlich ausübte, ist zum Teil schon gezeigt worden. Ich weise auf Dokument 2494-PS, ohne zu zitieren, nur hin, um zu zeigen, daß es ein geheimes Kabinettsgesetz war.

Die Vollziehungs- und Verwaltungsgewalt des Reiches war hauptsächlich als Folge von zwei Grundgesetzen der Nazis, die die einzelnen Länder zu bloßen geographischen Bezirken herabminderten, in der Zentralregierung konzentriert. Hoher Gerichtshof! Diese Gesetze sind bereits zitiert. Ich glaube, es würde nur eine Wiederholung des Beweismaterials sein, wenn ich die Gesetze im einzelnen anführen würde. Ich gehe nun zu dem Teil am Ende der Seite 29 über. Es wurden noch weitere Schritte zur Zentralisation unternommen. Lassen sie uns betrachten, über welche Macht das ordentliche Kabinett im Ergebnis verfügte. Wir haben hier eine Veröffentlichung von 1944, die von Dr. Wilhelm Stuckart, Staatssekretär im Reichsinnenministerium, und von Dr. Harry von Rosen-von Hoewel, einem anderen Beamten im Reichsinnenministerium mit dem Titel »Oberregierungsrat«, herausgegeben war. Die Veröffentlichung trägt den Titel: »Verwaltungsrecht«. Ich lege sie als Dokument 2959-PS, Beweisstück US-399, vor. Sie behandelt im einzelnen die Vollmachten und Funktionen aller Minister des ordentlichen Kabinetts. Ich möchte nur einiges herausgreifen, um das Ausmaß der Kontrolle, mit der die Reichsregierung ausgestattet war, zu veranschaulichen.

Ich zitiere von Seite 2 der Übersetzung und von Seite 66 des Originals:

»Die Reichsminister. Es gibt zur Zeit 21 Reichsminister, nämlich...«

Darf ich einfügen, daß der einzige Zweck dieser Darlegung ist, den Geschäftsbereich und das Ausmaß der Amtsgewalt jedes Ministers zu veranschaulichen. Zum Beispiel wird beim Reichsaußenminister im einzelnen ausgeführt, womit er sich befaßt. Von dem Reichsinnenminister wird genau gesagt, worauf sich sein Geschäftsbereich erstreckt, und so weiter.

VORSITZENDER: Oberst Storey, darf ich Sie fragen, was das mit dem verbrecherischen Charakter des Reichskabinetts zu tun hat?

OBERST STOREY: Obwohl es vielleicht wieder eine Wiederholung sein mag, so soll meines Erachtens damit gezeigt werden, Herr Vorsitzender, wie die Angeklagten und ihre Kumpane [126] ein Kabinett, die Ministerien und jene Räte bildeten, um jeder von ihnen beschlossenen Handlung den Anschein der Gesetzmäßigkeit zu geben, gleichgültig, ob sie eine Sitzung einberiefen oder nicht, je nach dem Befehl der betreffenden Minister; es zeigt mit anderen Worten eine vollkommene Beherrschung.


VORSITZENDER: Ich hätte geglaubt, daß das bereits genügend gezeigt wurde.


OBERST STOREY: Ganz recht, Herr Vorsitzender. Ich werde dann weitere Hinweise lassen, alle übrigen Gesetze überspringen und mich Seite 35 der Aufzeichnung zuwenden, um den verbrecherischen Charakter und die einzelnen Verbrechen aufzuzeigen.

Wir kommen damit zum zweiten Teil des Beweisvortrags gegen die Reichsregierung und wollen ihren verbrecherischen Charakter aufzeigen. Wenn die Anklagebehörde ihr gesamtes Beweismaterial vorgelegt hat, wird der Gerichtshof immer mehr zu der Erkenntnis gelangen, daß sich jedes Beweismittel auf die Reichsregierung und ihre sich hierfür ergebende Verantwortung bezieht. Hier wollen wir jetzt die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf einige hervorstechende Bestandteile des Beweismaterials lenken, das diese Gruppe brandmarkt.

Zunächst kann nicht oft genug betont werden, daß die Reichsregierung unter dem Nazi-Regime ein verbrecherisches Werkzeug der Nazi-Partei wurde. In dem ursprünglichen Kabinett vom 30. Januar 1933 waren nur drei Kabinettsmitglieder Parteimitglieder, nämlich Göring, Frick und Hitler.

Ich habe bereits gezeigt, daß, als neue Ministerien hinzukamen, prominente Nazis an ihre Spitze gestellt wurden. Am 30. Januar 1937 veranlaßte Hitler die Aufnahme solcher Kabinettsmitglieder in die Partei, die noch nicht Mitglieder der Nazi-Partei waren. Darüber berichtet der »Völkische Beobachter«, Süddeutsche Ausgabe, vom 1. Februar 1937, Dokument 2964-PS, Beweisstück US-401. Ich zitiere die Absätze drei und vier der englischen Übersetzung:

»Mit Rücksicht darauf, daß demnächst die Mitgliedersperre für die Partei aufgehoben werden soll, vollzog der Führer als erste Maßnahme in dieser Hinsicht persönlich den Eintritt der Kabinettsmitglieder in die Partei, die ihr bisher noch nicht angehörten und überreichte ihnen gleichzeitig das Goldene Parteiabzeichen, das höchste Ehrenzeichen der Partei.

Ferner verlieh der Führer das Goldene Parteiabzeichen dem Generaloberst Freiherrn von Fritsch, dem Generaladmiral Dr. h. c. Raeder, dem preußischen Finanzminister Professor Popitz und dem Staatssekretär und Chef der Präsidialkanzlei, Dr. Meißner. Ebenfalls zeichnete der Führer mit dem Goldenen Parteiabzeichen die Parteigenossen Staatssekretär [127] Dr. Lammers, Staatssekretär Funk, Staatssekretär Körner und Staatssekretär General der Flieger Milch aus.«

Es war möglich, die so übertragene Mitgliedschaft der Partei zurückzuweisen, aber nur ein Mann hat es tatsächlich getan, von Eltz-Rübenach, der damalige Post- und Verkehrsminister. Ich habe hier den Originalbrief von Eltz-Rübenach an Hitler vom 30. Januar 1937. Er ist handschriftlich abgefaßt; und ich lege ihn als Dokument 1534-PS, Beweisstück US-402, vor. Ich zitiere das gesamte Dokument:

»Berlin W 8, 30. Januar 1937, Wilhelmstraße 79.

Mein Führer! Ich danke Ihnen für das Vertrauen, das Sie mir während der vier Jahre Ihrer Führerschaft geschenkt haben und für das ehrenvolle Anerbieten, mich in die Partei aufzunehmen. Mein Gewissen verbietet mir aber, dieses Anerbieten anzunehmen. Ich stehe auf dem Boden des positiven Christentums und habe meinem Herrgott und mir selbst die Treue zu halten. Die Zugehörigkeit zur Partei würde aber bedeuten, daß ich den sich ständig verschärfenden Angriffen von Parteistellen gegen die christlichen Konfessionen und diejenigen, die ihren religiösen Überzeugungen treu bleiben wollen, widerspruchslos gegenüberstehe.

Mein Entschluß ist mir unendlich schwer gefallen. Denn ich habe niemals in meinem Leben mit größerer. Freude und Genugtuung meinen Dienst getan, als unter Ihrer weisen Staatsführung. Ich bitte um meine Entlassung. Mit Deutschem Gruß! Ihr sehr ergebener Frh. v. Eltz.«

Aber die Nazis warteten nicht, bis alle Mitglieder des Kabinetts...

VORSITZENDER: Erhielt Baron von Eltz seine Entlassung?

OBERST STOREY: Ja! Meiner Meinung nach war jeder einzelne von ihnen, mit Ausnahme dieses einen, Parteimitglied! Er zog sich zurück und dankte ab, was ihm auch bewilligt wurde. Die Nazis warteten nicht, bis alle Mitglieder des Kabinetts Parteimitglieder wurden. Kurz nach der Machtübernahme sicherten sie sich die aktive Teilnahme an den Arbeiten des Kabinetts. Am 1. Dezember 1933 erließ das Kabinett ein Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat. Es ist vor kurzem eingeführt worden, und ich will mich nicht weiter damit befassen. Es ist hier als unser Dokument 1395-PS bezeichnet.


VORSITZENDER: Warum ist Baron von Eltz im Jahre 1938 als Kabinettsmitglied aufgeführt?

OBERST STOREY: Herr Vorsitzender! Das »1938« bezieht sich nur auf den Zeitpunkt, zu dem der Geheime Kabinettsrat errichtet [128] wurde. Es steht in keinem Zusammenhang mit dem Zeitpunkt, in dem irgendeiner von diesen Leuten in das Kabinett kam.


VORSITZENDER: Ja, ich sehe.


OBERST STOREY: Mit anderen Worten, alle diese Pfeile zeigen, daß diese verschiedenen Stellen während dieser Jahre geschaffen wurden.


VORSITZENDER: Ja, ich verstehe.


OBERST STOREY: Zur Information des Gerichtshofs möchte ich bemerken, daß auf dieser Liste aller Mitglieder des Kabinetts und der Reichsregierung von 1933 an sein Name steht. Diese Liste haben wir dem Hohen Gerichtshof übergeben.


VORSITZENDER: Bis 1937?


OBERST STOREY: Nein, Herr Vorsitzender. Sein Name ist von 1933 bis 1945 aufgeführt. Die Herren Richter werden sich daran erinnern, daß wir eine gesonderte Liste eingereicht haben; sie enthält den Namen des Barons, die ihm übertragene Amtsgewalt und so weiter.


VORSITZENDER: Sie meinen, das ist ein Fehler?


OBERST STOREY: Nein, es ist kein Fehler.


VORSITZENDER: War er denn nicht zurückgetreten?


OBERST STOREY: Er war zurückgetreten. Der Gerichtshof fragte mich jedoch, ob sein Name hier aufgeführt sei, und ich erklärte, daß sein Name in der Sonderliste, die alle Mitglieder der Reichsregierung von 1933 bis 1945 umfaßt, enthalten war. Der Hinweis in der Sonderliste soll eigentlich dem Gerichtshof nur als Anhaltspunkt dienen.

Ich habe hier eine Abschrift eines unveröffentlichten Erlasses, unterschrieben von Hitler und datiert vom 27. Juli 1934. Es ist Dokument D-138, Beweisstück US-403, und befindet sich in dem Teil »Gesetze und Erlasse«. Es ist ein Erlaß von Adolf Hitler:

»Ich ordne an, daß der Stellvertreter des Führers, Reichsminister Heß, bei der Bearbeitung von Gesetzentwürfen in sämtlichen Reichsressorts die Stellung eines beteiligten Reichsministers erhält. Sämtliche gesetzgeberischen Arbeiten sind ihm in dem Zeitpunkt zuzuleiten, in dem sie die sonst beteiligten Reichsminister erhalten. Dies gilt auch dann, wenn außer dem federführenden Reichsminister kein anderer beteiligt ist. Reichsminister Heß ist Gelegenheit zu geben, zu Referentenentwürfen Stellung zu nehmen.

Auf den Erlaß von Rechtsverordnungen findet diese Anordnung sinngemäß Anwendung.

[129] Der Stellvertreter des Führers kann in seiner Eigenschaft als Reichsminister sich durch Referenten seines Stabes vertreten lassen. Diese Referenten sind berechtigt, an seiner Stelle Erklärungen gegenüber den Reichsministern abzugeben.«

Unterschrift von Hitler.

Der Angeklagte Heß selbst hat eine bezeichnende Bemerkung über sein Recht auf Beteiligung namens der Partei zu machen. Ich lege zum Beweis Dokument D-139, Beweisstück US-404, vor. Es ist ein Originalschreiben auf Briefpapier der NSDAP, das von Heß unterschrieben wurde und das Datum vom 9. Oktober 1934 trägt. Es ist an den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda gerichtet.

Ich zitiere das gesamte Dokument:

»Das mir durch Erlaß des Führers vom 27. Juli 1934 eingeräumte Mitwirkungsrecht bei der Gesetzgebung des Reiches, sowohl bei formalen Gesetzen wie bei Rechtsverordnungen, darf nicht dadurch illusorisch gemacht werden, daß mir die Entwürfe zu Gesetzen und Verordnungen mit Fristbestimmung und so spät zugehen, daß ich innerhalb der gestellten Frist den betreffenden Stoff nicht mehr bearbeiten kann. Ich muß darauf hinweisen, daß meine Mitwirkung die Stellungnahme der NSDAP überhaupt bedeutet und daß ich bei den meisten Gesetz- und Verordnungsentwürfen die zuständigen Stellen der Partei anhöre, ehe ich meine Äußerungen abgebe. Nur wenn ich so ver fahre, kann ich dem in dem Erlaß des Führers vom 27. Juli 1934 ausgesprochenen Willen des Führers gerecht werden.

Ich muß deshalb die Herren Reichsminister bitten, zu veranlassen, daß mir Entwürfe zu Gesetzen und Verordnungen mit ausreichender Fristbestimmung zugehen. Andernfalls würde ich mich in Zukunft genötigt sehen, meine Zustimmung zu solchen Entwürfen in allen den Fällen von vornherein und ohne auf die Sache einzugehen, vorzuenthalten, in denen ich nicht genügend Frist zur ordnungsgemäßen Bearbeitung erhalte. Heil!« Unterschrift: »Rudolf Heß.«

Am Fuß des Briefes befindet sich eine handschriftliche Notiz. Sie lautet; und ich zitiere von Seite 2 der Übersetzung:

»Berlin, den 17. Oktober 1934. 1. Das Schreiben ist offenbar in gleicher Form an alle Ressorts gerichtet worden. In unserem Sachgebiet ist die Verfügung vom VI. Juli 1934 noch kaum praktisch geworden. Antwort erscheint nicht erforderlich. 2. Zu den Akten. Im Auftrag« Unterschrift »R«.

Das Mitwirkungsrecht von Heß wurde später erweitert. Ich verweise auf Dokument D-140, Beweisstück US-405; es ist ein Schreiben von Dr. Lammers an die Reichsminister vom 12. April 1938.

[130] Ich lege es als Beweismaterial vor und zitiere aus der englischen Übersetzung vom dritten Absatz an:

»Der Stellvertreter des Führers ist auch bei der Zu stimmung der Reichsminister zu Landesgesetzen und Rechtsverordnungen der Länder auf Grund des Paragraph 3 der Ersten Verordnung über den Neuaufbau des Reichs vom 2. Februar 1934 (Reichsgesetzblatt I Seite 81) zu beteiligen. Soweit die Reichsminister bereits in einem früheren Zeitpunkt solche Gesetze oder Rechtsverordnungen bearbeiten oder an ihrer Bearbeitung beteiligt sind, ist der Stellvertreter des Führers gleichfalls beteiligter Reichsminister.

Dies gilt auch für Gesetze und Rechtsverordnungen des Landes Österreich.« Unterschrift: »Dr. Lammers.«


VORSITZENDER: Oberst Storey! Darf ich Sie fragen, was diese drei Dokumente beweisen sollen?

OBERST STOREY: In erster Linie, Herr Vorsitzender, habe ich darauf verwiesen, um zu zeigen, daß sie Gesetze über eroberte Gebiete erließen. Dies bezog sich auf Österreich. Das andere von Heß unterschriebene gibt ihm fast unbegrenzte Vollmachten, soweit formale Gesetze und Rechtsverordnungen in Frage kommen; der wichtigste Punkt ist meines Erachtens außerdem, daß Heß sagt, sie müßten sie ihm rechtzeitig vorher zusenden, damit er mit der Partei und den zuständigen Parteimitgliedern Fühlung nehmen und ihre Stellungnahme erhalten könne.


VORSITZENDER: Ist das ein Beweis eines verbrecherischen Charakters, daß Heß sich der Mühe unterzog, die Meinung anderer Minister zu hören?


OBERST STOREY: Ich glaube, es ist ein Teil der allgemeinen Verschwörung und zeigt die Beherrschung von Partei und Staat durch die Nazi-Partei und insbesondere durch das Führerkorps.


VORSITZENDER: Ich glaubte, ich habe bereits erklärt, daß wir – und ich glaube im Namen des ganzen Gerichtshofs zu sprechen – der Ansicht sind, daß diese Tatsache schon genügend bewiesen ist, und daß wir wünschten, sich der Frage des verbrecherischen Charakters der Reichsregierung zuzuwenden.


OBERST STOREY: Darf ich annehmen, Herr Vorsitzender, daß wir dann keinen weiteren Beweis zu führen brauchen, daß die Partei selbst mit dem Erlaß dieser Gesetze gemäß dem Vorschlag des Angeklagten Heß zu tun hatte? Ich glaubte, es wäre unsere Aufgabe, zu beweisen, daß die Partei und insbesondere das Führerkorps dieses Kabinett beherrschte.


VORSITZENDER: Sie beschäftigen sich jetzt mit dem Reichskabinett, und ich glaube, der Gerichtshof hat sich genügend davon [131] überzeugt, daß das Reichskabinett die Vollmacht hatte, Gesetze zu erlassen.


OBERST STOREY: Ich glaube, wir sollten einen kleinen Schritt weitergehen und, falls wir es noch nicht getan haben, zu beweisen versuchen, daß die Art und Weise, wie sie die Gesetze im Einvernehmen mit der Partei erließen, verbrecherisch war. Ergänzend hätte ich noch einige andere Gesetze zu zitieren, aber wenn dem Gerichtshof das bisherige Beweismaterial schon genügt, will ich davon absehen.


VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß sich der Gerichtshof vorstellen würde, daß sie Gesetze erließen, ohne irgend jemanden zu befragen.

Es ist vielleicht jetzt angebracht, für 10 Minuten zu unterbrechen.


[Pause von 10 Minuten.]


OBERST STOREY: Hoher Gerichtshof! Vor der Pause sprachen wir von den Gesetzen, die erlassen wurden. Ich will gewiß nicht irgendwelches kumulatives Beweismaterial oder sonst etwas, was nicht nötig ist, vorlegen. Daher werde ich nur kurz auf die Gesetze verweisen, die wir jetzt vorlegen wollen.

Die Partei hatte, wie sich der Gerichtshof erinnern wird, fünfundzwanzig grundlegende Punkte, deren Verwirklichung sie sich als Ziel gesetzt hatte, wie gestern bewiesen wurde. Diese Punkte bezogen sich, wie sich der Gerichtshof erinnern wird, auf eine Menge von Zielen, von der Beseitigung der Verträge von Versailles und St. Germain bis zur Gewinnung größeren Lebensraums und so weiter.

Wir wollen jetzt verschiedene Verordnungen und Gesetze zitieren, die von diesem Kabinett geschaffen wurden, um die, wie wir behaupten, verbrecherischen Ziele der Partei in die Tat umzusetzen. Deshalb wurde das Reichskabinett von der Partei aufgefordert, ihrem verbrecherischen Vorhaben den Anschein der Gesetzmäßigkeit zu geben. Dies ist der einzige Grund, weshalb wir die Gesetze verzeichnen und erwähnen wollen, die zur Erreichung solcher Ziele ergingen.

Entsprechend dem Vorschlag des Gerichtshofs will ich nur eine Gruppe der Gesetze anführen, die die sogenannten fünfundzwanzig Punkte der Nazi-Partei durchzuführen bezweckten. Mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich jetzt einige anführen, die den Typ von Gesetzen kennzeichnen, die zur Durchsetzung der fünfundzwanzig Punkte erlassen wurden.

Zur Erfüllung dieses Programms erließ zum Beispiel das Nazi-Kabinett unter anderem folgende Gesetze:

[132] Das Gesetz vom 3. Februar 1938 über die Meldepflicht des deutschen Staatsangehörigen im Ausland. Dieses Gesetz ist im Reichsgesetzblatt veröffentlicht.

Das Gesetz vom 13. März 1938 über die Wiedervereinigung Österreichs mit Deutschland.


VORSITZENDER: Wurden alle diese Gesetze vom Reichskabinett erlassen?


OBERST STOREY: Ja.


VORSITZENDER: Wollen Sie die Gesetze nicht zitieren?


OBERST STOREY: Ja, aber ich wollte sie nur zur Erläuterung anführen. Dieses Gesetz steht im Reichsgesetzblatt 1938, Teil I, Seite 237.

Das Gesetz vom 21. November 1938 über die Wiedervereinigung der sudetendeutschen Gebiete mit Deutschland; Reichsgesetzblatt 1938, Teil I, Seite 1641.

Die Einverleibung des Memellandes in das Deutsche Reich vom 23. März 1939; Reichsgesetzblatt 1939, Teil I, Seite 559.

Unter Hinweis auf Punkt 2...


VORSITZENDER: Würden Sie mir sagen, wo die fünfundzwanzig Punkte niedergelegt sind? Können Sie auf ein Dokument verweisen?


OBERST STOREY: Jawohl, sie erscheinen im Dokument 1708-PS, im Dokumentenbuch A.


VORSITZENDER: Danke.


OBERST STOREY: Ich glaube, wir wiesen gestern darauf hin.


VORSITZENDER: Das genügt.


OBERST STOREY: Jawohl. Zur Illustration von Punkt 2 des Parteiprogramms, der, wie sich der Gerichtshof erinnern wird, die Abschaffung der Verträge von Versailles und St. Germain forderte, seien folgende Handlungen des Kabinetts zur Unterstützung dieses Teils des Programms erwähnt:

Aufruf an das deutsche Volk vom 14. Oktober 1933 anläßlich des Austritts Deutschlands aus dem Völkerbund und der Abrüstungskonferenz; Reichsgesetzblatt 1933, Teil I, Seite 730.

Gesetz vom 16. März 1935 für den Aufbau der Wehrmacht und die allgemeine Wehrpflicht; Reichsgesetzblatt 1935, Teil I, Serie 369 bis 375.

Ich weise nun auf Punkt 4 des Parteiprogramms hin, welcher lautete:

[133] »Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksicht auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.«

Dies ist Punkt 4. Unter anderen Kabinettsgesetzen wurde dieser Punkt in dem Gesetz vom 14. Juli 1933 über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der Staatsbürgerschaft solcher Personen behandelt; Reichsgesetzblatt 1933, Teil I, Seite 480.

Nach dem Gesetz vom 7. April 1933 durften Personen nichtarischer Abstammung nicht zur Rechtsan waltschaft zugelassen werden; Reichsgesetzblatt 1933, Teil I, Seite 188.

Das Gesetz vom 25. April 1933 beschränkte die Anzahl von Nichtariern in Schulen und Hochschulen; Reichsgesetzblatt 1933, Teil I, Seite 225.

Das Gesetz vom 29. September 1933 schloß Personen jüdischen Blutes als Bauern aus; Reichsgesetzblatt 1933, Teil I, Seite 685.

Ein anderes Gesetz vom 19. März 1937 schloß Juden vom Reichsarbeitsdienst aus; Reichsgesetzblatt 1937, Teil I, Seite 325.

Ein weiteres Gesetz vom 6. Juli 1938 untersagte den Juden die Ausübung von sechs verschiedenen Gewerbezweigen; Reichsgesetzblatt 1938, Teil I, Seite 823.

Punkt 23 des Parteiprogramms verkündete:

»Wir fordern den gesetzlichen Kampf gegen die bewußte politische Lüge und ihre Verbreitung durch die Presse...«

Um diesen Punkt auszuführen, will ich einige wenige Kabinettsgesetze anführen, die erlassen wurden.

Gesetz vom 22. September 1933 über die Errichtung der Reichskulturkammer; Reichsgesetzblatt 1933, Teil I, Seite 661.

Das Schriftleitergesetz vom 4. Oktober 1933, Reichsgesetzblatt Teil I, Seite 713.

Ein anderes Gesetz vom 15. Mai 1934, das sich auf Beschränkungen in der Benutzung von Theatern bezieht; Reichsgesetzblatt 1934, Teil I, Seite 411.

Dies mögen genügend kennzeichnende Gesetze sein. Das ordentliche Kabinett erließ tatsächlich die meisten Gesetze, die die Nazi-Verschwörung, wie sie unter Punkt 1 der Anklageschrift beschrieben ist, inszenierte und durchführte.

Viele dieser Gesetze sind bereits von der Anklagevertretung erwähnt worden. Alle diese Gesetze, auf die ich verweisen werde oder bereits verwiesen habe, wurden ausdrücklich im Namen des Kabinetts erlassen. Ein typischer einleitender Paragraph lautet:

»Die Reichsregierung hat das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird.«

[134] Mit anderen Worten, das zeigt, daß es ein Kabinettsgesetz war.

VORSITZENDER: Das bezieht sich auf alle Gesetze, die Sie uns soeben angegeben haben.

OBERST STOREY: Jawohl, dies ist eine typische Einleitung.

Im Zusammenhang mit der Erlangung der Kontrolle über Deutschland gemäß Punkt 1 der Anklageschrift möchte ich auf die folgenden Gesetze verweisen:

Das Gesetz vom 14. Juli 1933 gegen die Neubildung von Parteien. Ich glaube, ich habe gestern darauf verwiesen; Reichsgesetzblatt 1933, Teil I, Seite 479.

Ein anderes Gesetz vom 14. Juli 1933 sah die Einziehung des Vermögens von Sozialdemokraten und anderen vor; Reichsgesetzblatt 1933, Teil I, Seite 479.

Ich habe bereits auf das Gesetz vom 1. Dezember 1933 verwiesen, welches Partei und Staat vereinigte; Reichsgesetzblatt 1933, Teil I, Seite 1016.

Im Verlauf der Festigung der Kontrolle über Deutschland wurden folgende Gesetze erlassen. Ich will nur einige wenige Beispiele aufführen:

21. März 1933, Bildung von Sondergerichten; Reichsgesetzblatt 1933, Teil I, Seite 136.

Das Gesetz vom 31. März 1933 zur Gleichschaltung aller Länder mit dem Reich; Reichsgesetzblatt 1933, Teil I, Seite 153.


VORSITZENDER: Wollen Sie wiederholen, welche Gleichschaltung?


OBERST STOREY: Gleichschaltung der Länder, das heißt der einzelnen Länder mit dem Großdeutschen Reich.

Das Gesetz vom 30. Juni 1933, das Personen nichtarischer Abstammung oder Personen, die mit Nichtariern verheiratet waren, als Beamte ausschloß; Reichsgesetzblatt 1933, Teil I, Seite 433.

Das Gesetz vom 24. April 1934, das den Volksgerichtshof ins Leben rief; Reichsgesetzblatt 1934, Teil I, Seite 341. Das war dasselbe Gericht, das wir in einem in der letzten Woche gezeigten Film in Tätigkeit sahen.

Gesetz vom 1. August 1934, das das Amt des Reichspräsidenten und Reichskanzlers vereinigte; Reichsgesetzblatt 1934, Teil I, Seite 747.

Ich möchte nicht alle vorlegen und will auch nicht auf alle verweisen.

Weiter ein Gesetz vom 18. März 1938, das nur einen Reichswahlvorschlag für das ganze Reich vorsah; Reichsgesetzblatt 1938, Teil I, Seite 258.

[135] Die Ausrottung des inneren politischen Widerstandes in Deutschland durch die Säuberung von politischen Gegnern und durch Terrorhandlungen, wie sie unter Absatz III (D) 3 (b) des Anklagepunkts 1 dargelegt ist, wurde den Nazis durch folgende Kabinettsgesetze erleichtert oder legalisiert. Übersetzungen finden sich im Dokumentenbuch F, das bereits früher vorgelegt wurde. Ich will nur auf einige dieser Gesetze verweisen, wie sie in diesem Buch übersetzt sind.

Gesetz vom 14. Juli 1933, das die Neubildung von Parteien verbietet und eine Strafbestimmung enthält; Reichsgesetzblatt 1933, Teil I, Seite 479.

Das Gesetz vom 20. Dezember...


VORSITZENDER: Sie haben es uns bereits angegeben.


OBERST STOREY: Ich glaube, das stimmt, Herr Vorsitzender.

Das Gesetz vom 3. Juli 1934 über Maßnahmen der Staatsnotwehr; es legalisierte ihre eigene Säuberungsaktion; Reichsgesetzblatt 1934, Teil I, Seite 529.

Das Gesetz vom 20. Dezember 1934 gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schütze von Parteiuniformen; Reichsgesetzblatt 1934, Teil I, Seite 1269.

Das Gesetz vom 24. April 1934, das die Bildung neuer, oder die Aufrechterhaltung bestehender politischer Parteien als Hochverrat erklärt; Reichsgesetzblatt 1934, Teil I, Seite 341.

Das Gesetz vom 28. Juni 1935 zur Änderung des Strafgesetzbuchs; Reichsgesetzblatt 1935, Teil I, Seite 839.

Schließlich das letzte, das ich erwähnen möchte; das Gesetz vom 16. September 1939, das ein zweites Strafverfahren gegen eine freigesprochene Person vor einem besonderen Gericht vorsah. Die Mitglieder dieses Gerichts wurden von Hitler ernannt; Reichsgesetzblatt 1939, Teil I, Seite 1841.

Nun folgen einige Gesetze, die die Beseitigung der Gewerkschaften zum Gegenstand haben. Ich habe sie bereits zitiert, sie sind im Dokumentenbuch G enthalten. Ich will auf sie nicht Bezug nehmen.

Sodann die Gesetze, die kollektive Lohnvereinbarungen abschafften. Ich habe bereits auf sie verwiesen und will sie auslassen.

Tatsächlich waren sogar die berüchtigten Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935, obwohl sie technisch vom Reichstag beschlossen wurden, doch vom Innenministerium ausgearbeitet. Dies ist durch ein Werk des Ministerialdirigenten Dr. Franz A. Medicus bestätigt, das im Jahre 1940 veröffentlicht wurde. Das ist Dokument 2960-PS, Beweisstück US-406. Ich möchte auf die Abschnitte auf Seite 62 der Original-Veröffentlichung verweisen; [136] sie sind in unserem Dokument 2960-PS übersetzt. Ich beginne mit dem ersten Absatz:

»Den drei vom Reichstag gelegentlich des Reichsparteitags der Freiheit beschlossenen ›Nürnberger Gesetzen‹ liegen die Ausarbeitung des RMdI zugrunde: Sowohl das ›Reichsbürgergesetz‹ wie das ›Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre (Blutschutzgesetz)‹ eröffneten für den RMdI umfangreiche neue Aufgaben, nicht nur auf dem Gebiet... der Verwaltung. Das gleiche galt für das ›Reichsflaggengesetz‹, das die Grundlage abgab für eine völlige Neuordnung des Flaggenwesens.«

Es folgen einige Verordnungen des Ministerrats, die in ähnlicher Weise die gesetzliche Grundlage für die verbrecherischen Handlungen und das verbrecherische Verhalten der Verschwörer lieferten. Der Gerichtshof hat darüber bereits gehört und wird noch mehr darüber hören.

Die Verordnung vom 5. August 1940 legte den polnischen Arbeitern in Deutschland eine Sondersteuer auf; Reichsgesetzblatt 1940, Teil I, Seite 1077.

Durch die Verordnung vom 4. Dezember 1941 wurde ein Strafrecht für Juden und Polen in den besetzten Ostgebieten eingeführt; Reichsgesetzblatt 1941, Teil I, Seite 759.

Eine letzte Verordnung bezog sich auf die Beschäftigung von Ostarbeitern; ich habe dies heute Morgen erwähnt.

Fast unmittelbar nach der Machtübernahme Hitlers begann das Kabinett, die Nazi-Verschwörung zur Durchführung von Angriffskriegen in die Tat umzusetzen. Drei Dokumente, die diesen Punkt beweisen, sind bereits als Beweismaterial vorgelegt worden. Es sind EC-177, 2261-PS und 2194-PS. Dokument EC-177, US-Beweisstück 390, ist die Abschrift eines langen Protokolls; ich bitte um die Nachsicht des Gerichtshofs, wenn ich noch einmal darauf verweise. EC-177...

VORSITZENDER: Ist es in diesem Buch?

OBERST STOREY: Ja, Herr Vorsitzender, EC-177. Ich wollte das Dokument nicht zitieren, sondern nur darauf verweisen, weil es das Protokoll über die zweite Sitzung des Arbeitsausschusses der Referenten für die Reichsverteidigung ist und vom Angeklagten Keitel unterzeichnet wurde.

Dokument 2261-PS ist ein Brief vom 24. Juni 1935. Mit ihm wird eine Abschrift eines geheimen, unveröffentlichten Verteidigungsgesetzes vom 21. Mai 1935 übermittelt, sowie eine Abschrift einer Entscheidung des Reichskabinetts im Reichsverteidigungsrat vom [137] gleichen Datum. Die Urkunden wurden bereits als Beweis vorgelegt, doch sind sie aufschlußreiche Gesetze, die von diesem Kabinett erlassen wurden.

Dokument 2194 übermittelt ebenfalls eine Abschrift des geheimen, unveröffentlichten Reichsverteidigungsgesetzes vom 4. September 1938.

Ich möchte nun zu den Gesetzen, die vom Reichsverteidigungsrat erlassen wurden, übergehen, damit sie in das Protokoll kommen. Ich beginne auf Seite 50.

Der Reichsverteidigungsrat war eine Schöpfung des Kabinetts. Die Schaffung dieser Stelle wurde am 4. April 1933 beschlossen. Die Entscheidung des Kabinetts im Anhang zu Dokument 2261-PS, Beweisstück US-24, Seite 4, Absatz 1 der Übersetzung beweist diese Tatsache. Die beiden geheimen Gesetze, die in Dokument 2261-PS und 2194-PS enthalten sind, wurden vom Kabinett erlassen. Es war dies auch nicht ein Fall, in dem eine Gruppe eine ganz andere einsetzte, um ihre schmutzige Arbeit zu leisten. Der Verteidigungsrat war vielmehr nur eine Verkörperung des Kabinetts selbst. Dies mochte vor der Machtübernahme eine schwierig zu lösende Aufgabe gewesen sein; als jedoch die Nazis die Kontrolle ausübten, konnten die Dinge schneller vorangetrieben werden. Ich komme nochmals auf Dokument EC-177 zurück. Ich will daraus nichts zitieren, obwohl ich das Zitat vor mir habe. Es ist nur ein Punkt, der damit in Verbindung steht und auch keine Wiederholung darstellt. Seite 5 der Übersetzung, Seite 8 des Originals von EC-177, behandelt die Frage der Sicherheit und Geheimhaltung. Dies wird den kriminellen Charakter beleuchten. Ich zitiere:

»Frage ist von den Reichsressorts gestellt worden. Die Geheimhaltung aller Reichsverteidigungsarbeiten hat mit besonderer Sorgfalt zu geschehen.

Übermittlung nach außerhalb nur durch Kurierdienst. Ist bereits mit Reichspost-, Reichsfinanz- und preußischem Minister des Innern und Reichswehrminister geregelt. Oberster Gesichtspunkt der Geheimhaltung: kein Schriftstück darf in Verlust geraten, da sonst der feindliche Nachrichtendienst Material in die Hände bekommen kann. Mündlich übermittelte Dinge sind nicht nachweisbar, sie können in Genf von uns abgestritten werden. Daher hat Reichswehrminister eine Geheimhaltungsverfügung für den Dienstbetrieb der Reichsressorts und des Preußischen Ministers des Innern ausgearbeitet.«

Ich überspringe den nächsten Hinweis und gehe nunmehr zu der eidesstattlichen Erklärung des Angeklagten Frick auf Seite 60 über.

VORSITZENDER: Was ist das?

[138] OBERST STOREY: Es ist Dokument 2986-PS, Beweisstück US-409, das Original einer von dem Angeklagten Frick unterzeichneten eidesstattlichen Erklärung. Ich glaube, der Angeklagte Frick faßt den Arbeitsvorgang ziemlich gut zusammen.

»Ich, Wilhelm Frick, gehörig vereidigt, erkläre hiermit das folgende: Ich war Generalbevollmächtigter für die Reichsverwaltung von der Zeit der Gründung des Büros bis 20. August 1943. Heinrich Himmler war mein Stellvertreter in diesem Amte. Vor dem Ausbruch des Krieges war meine Aufgabe als Generalbevollmächtigter für die Reichsverwaltung die Vorbereitung der Organisation im Kriegsfalle, so zum Beispiel die Ernennung von Verbindungsmännern in den verschiedenen Ministerien, die mit mir in Fühlung bleiben würden. Ich als Generalbevollmächtigter für die Reichsverwaltung zusammen mit dem Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft und dem OKW bildeten ein sogenanntes Dreierkollegium. Wir waren auch Mitglieder des Reichsverteidigungsrates, der Vorbereitungen und Verordnungen für den Fall eines Krieges planen sollte, die später von dem Ministerrat für die Reichsverteidigung veröffentlicht wurden. Da, sowie Krieg ausgebrochen war, alles sofort zu geschehen hätte und keine Zeit für das Planen mehr sein würde, so wurden solche Maßnahmen und Verordnungen für den Fall eines Krieges im voraus fertiggestellt. Alles, was man dann noch zu tun hatte, war, aus der Schublade die fertiggestellten Kriegsverordnungen hervorzuziehen.

Späterhin, nach Ausbruch des Krieges, wurde diese Verordnung von dem Ministerrat für die Reichsverteidigung in Kraft gesetzt.«

Unterschrieben und beschworen von Dr. Wilhelm Frick am 19. November 1945.

Ich möchte diesen besonderen Beweispunkt zusammenfassen. Das Kabinett hat durch seine eigene Entscheidung und sein eigenes Gesetz eine umfangreiche Organisation für die Kriegsplanung, den Reichsverteidigungsrat geschaffen. Seine Mitglieder waren dem Kabinett entnommen. Sie schufen innerhalb des Verteidigungsrats einen kleinen Arbeitsausschuß, der ebenfalls aus Kabinettsmitgliedern und gewissen Verteidigungsreferenten zusammengesetzt war. Die Mehrzahl der Verteidigungsreferenten war aus den Reihen der Kabinettsmitglieder ernannt worden. Um die Tätigkeit wirksam zu gestalten, faßten, sie alle Ministerien, mit Ausnahme des Luftfahrt-, Propaganda- und Außenministeriums, in Gruppen zusammen, die jeweils den Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft und Reichsverwaltung und dem OKW unterstellt waren. Alles wurde mit größter Heimlichkeit organisiert und war auf [139] strenge Geheimhaltung abgestellt. Das ist dieses Dreierkollegium. Zum Schluß möchte ich mit Erlaubnis des Gerichtshofs kurz das Beweismaterial gegen die Reichsregierung zusammenfassen.

Von 1933 bis zum Kriegsende war die Reichsregierung unter Hitler die einflußreichste und führende Instanz in der nationalsozialistischen Regierung. Folgende drei Unterabteilungen waren in dem von der Anklageschrift verwendeten Begriff Reichsregierung eingeschlossen: das ordentliche Kabinett, der Geheime Kabinettsrat und der Ministerrat für die Reichsverteidigung. In Wirklichkeit bestand nur eine künstliche und täuschende Grenze zwischen den dreien. Die wichtigste Unterabteilung war natürlich das ordentliche Kabinett, das gewöhnlich als Reichsregierung bezeichnet wurde. In ihm befanden sich die führenden politischen und militärischen Persönlichkeiten der Nazi-Regierung. Siebzehn von den zweiundzwanzig Angeklagten vor diesem Gerichtshof waren Vollmitglieder des ordentlichen Kabinetts. Ich möchte jetzt die Namen dieser Angeklagten und ihre Stellungen in der Reichsregierung nennen:

Martin Bormann, Chef der Parteikanzlei; Karl Dönitz, Oberbefehlshaber der Kriegsmarine; Hans Frank, Reichsminister ohne Geschäftsbereich; Wilhelm Frick, Reichsinnenminister, Generalbevollmächtigter für die Reichsverwaltung; Walter Funk, Wirtschaftsminister, Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft; Hermann Göring, Luftfahrtminister, Reichsforstmeister; Rudolf Heß, Stellvertreter des Führers; Wilhelm Keitel, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht; Constantin H. K. von Neurath, Außenminister, Präsident des Geheimen Kabinettsrats; Franz von Papen, Vizekanzler; Erich Raeder, Oberbefehlshaber der Kriegsmarine; Joachim von Ribbentrop, Außenminister; Alfred Rosenberg, Minister für die besetzten Ostgebiete; Hjalmar Schacht, Geschäftsführender Wirtschaftsminister, Reichsminister ohne Geschäftsbereich, Reichsbank-Präsident, Generalbevollmächtigter für die Kriegswirtschaft; Baldur von Schirach, Reichsjugendführer; Artur Seyß-Inquart, Reichsminister ohne Geschäftsbereich, und schließlich Albert Speer, Minister für Rüstung und Kriegsproduktion.

Aus dem ordentlichen Kabinett gingen nicht nur die Mitglieder des Geheimen Kabinettsrats und des Ministerrats für die Reichsverteidigung, sondern auch die Mitglieder der Kriegsplanungsgruppe, des Geheimen Reichsverteidigungsrats, der Nazis hervor. Als es für die Zwecke der Verschwörung, einen Angriffskrieg zu entfesseln, wichtig erschien, wurde die Macht in den Händen einiger weniger konzentriert. Wiederum wurden diese Personen aus dem ordentlichen Kabinett herausgezogen. Daher waren auch die Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft und Verwaltung Minister des [140] ordentlichen Kabinetts und ebenfalls Mitglieder des Reichsverteidigungsrats und des Ministerrats. Unter ihnen waren nahezu alle Minister des ordentlichen Kabinetts in Gruppen zusammengefaßt.

Als außenpolitische Erwägungen es notwendig machten, eine andere auserwählte Gruppe zu Ratgebern zu ernennen, wurde der Geheime Kabinettsrat geschaffen und mit Mitgliedern des ordentlichen Kabinetts besetzt.

Die Nazi-Partei beherrschte die Reichsregierung völlig durch die Kontrolle, die sie über deren Gesetzgebung durch den Stellvertreter des Führers Heß und später durch den Leiter der Parteikanzlei Bormann ausübte. Die Parteikontrolle wurde auch durch die Einzelmitgliedschaft aller Kabinettsmitglieder und die Vereinigung verschiedener Schlüsselstellungen in Kabinett und Partei in einer Hand erreicht. Als Ergebnis dieser Verschmelzung von Partei und Staat wurde eine ungeheure Zusammenballung von politischer Macht im Kabinett geschaffen.

Die durch das Kabinett erlassenen Gesetze bildeten den Rahmen, in dem die Nazi-Verschwörer ihre Kontrolle über Deutschland ausübten, wie es in Punkt 1 der Anklageschrift dargelegt ist; sie ermöglichte es ihnen, die Verbrechen, die in den Punkten 1, 2, 3 und 4 der Anklageschrift angeführt sind, zu begehen. In Verletzung der Grundsätze der Gerechtigkeit und Menschlichkeit erließ das Kabinett harte Strafgesetze, Gesetze, die bestimmte Gruppen benachteiligten, und Beschlagnahmegesetze.

Die während des Krieges von dem Ministerrat herausgegebenen Verordnungen umkleideten die verbrecherischen Handlungen der Nazi-Verschwörer mit dem Anschein der Gesetzmäßigkeit. Als Werkzeug der Partei führte das Kabinett wirksam die bekannten Punkte des Parteiprogramms aus.

Dadurch, daß das Kabinett im Jahre 1933 einen Reichsverteidigungsrat errichtete und aktiv an den Entwürfen und Plänen für einen Angriffskrieg teilnahm, wurde es schließlich fast unmittelbar nach der Machtübernahme Hitlers eine Gruppe, die den Krieg plante.

Es wird deshalb ergebenst beantragt, daß die Reichsregierung, wie in Anhang D, Seite 35 der Anklageschrift definiert, auf Grund des vorgetragenen Sachverhalts zur verbrecherischen Gruppe im Sinne des Artikels 9, Abschnitt 2 des Statuts erklärt wird.

Hoher Gerichtshof! Damit schließe ich diesen Beweisvortrag und komme nun zur »SA«. Ich möchte ein paar Minuten für die Einführung in Anspruch nehmen.

Ich habe das Dokumentenbuch »Y« überreicht, das die englischen Übersetzungen der in diesem Vortrag erwähnten Dokumente enthält.

[141] Die Organisation, über die Sie nun urteilen sollen, ist die Sturmabteilung; die Welt erinnert sich ihrer als der »Braunhemden« oder »Sturmtruppen«, als der Gangster der frühen Tage der Nazi-Schreckensherrschaft. Später wurde sie als »SA« bekannt; in meinem Vortrage werde ich sie immer in dieser Weise bezeichnen.

Die SA war die erste Organisation, die von den Nazis als Werkzeug und Waffe erdacht und geschaffen wurde, um ihre teuflischen Ziele zu verwirklichen. Sie spielte in dem Plan der Verschwörer eine ganz besondere und bedeutende Rolle. Im Unterschied zu den anderen Organisationen war die Tätigkeit der SA nicht fest bestimmt und gleichbleibend. Im Gegenteil war sie ein Organ, das vielen Bestimmungen und Zwecken diente. Ihre Rolle in der Verschwörung änderte sich von Zeit zu Zeit, immer in Einklang mit dem Fortschreiten der Verschwörung durch ihre verschiedenen Phasen bis zum Endziel: der Aufhebung des Versailler Vertrags und der Eroberung von Gebieten anderer Völker und Nationen.

Wenn wir die Verschwörung mit einem Zusammensetzspiel vergleichen, dessen Einzelteile zueinander passen, so werden wir finden, daß der Teil, der die SA darstellt, ein Glied in dem Muster bildet, das zur Gestaltung und Formung des Gesamtbildes unbedingt notwendig ist.

Die SA nahm an der Verschwörung als eine deutlich getrennte Einheit teil und besaß eine eigene Rechtspersönlichkeit. Dies zeigt sich im Dokument 1725-PS, das im Dokumentenbuch besonders angezeichnet ist. Ich bitte den Gerichtshof, es amtlich zur Kenntnis zu nehmen. Es ist eine Durchführungsverordnung vom März 1935, Reichsgesetzblatt Teil I, Seite 502; sie bestimmt, daß die SA und gewisse andere Organisationen von nun ab Gliederungen der Nazi-Partei sind. Diese Durchführungsverordnung sieht in Paragraph 5 vor, es ist Seite 2 der englischen Übersetzung unmittelbar nach dem Wort Paragraph 5; ich zitiere:

»Die angeschlossenen Verbände können eigene Rechtspersönlichkeit besitzen.«

Ähnlich bezeichnet das Organisationsbuch der Nazi-Partei die SA als »geschlossenes Ganzes«.

Dokument 3220-PS, das ich nunmehr vorlege, ist ein Auszug aus dem Organisationsbuch, Ausgabe 1943, Seite 358 des Originals; ich zitiere aus der englischen Übersetzung, wo es heißt:

»Der Führer schreibt ihr das Gesetz des Handels vor, er befiehlt ihren Einsatz. Der Stabschef vertritt im Auftrage des Führers die SA als geschlossenes Ganzes.«

Ich bin mir sicher, daß das Beweismaterial die SA als eine geschlossene Einheit und als eine Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit zeigen und charakterisieren wird. Wir werden [142] beweisen, daß die Mitglieder der SA als eine geschlossene und zusammengeschweißte Einheit handelten, obwohl die SA aus vielen Einzelmitgliedern zusammengesetzt war. Sie waren durch viele gemeinsame Umstände, wie die Mitgliedschaftsbestimmungen und die Disziplinarordnung, durch eine besondere einheitliche Uniform, einheitliche Ziele und Zwecke, einheitliche Tätigkeit, Pflichten und Verantwortlichkeiten und – wahrscheinlich ist dies der wichtigste Umstand von allen – durch ein fanatisches Anklammern an die von den Nazi-Verschwörern ersonnene Weltanschauung eng miteinander verbunden und vereint. Dies ergibt sich teilweise aus dem Dokument 2354-PS, das wiederum nur ein Auszug aus dem Organisationsbuch der Nazi-Partei ist. Auf Seite 7 der englischen Übersetzung findet sich die Bestimmung, daß die Mitgliedschaft in der SA freiwillig war, daß aber der SA-Mann ausscheiden sollte,

»wenn er glaubt, mit der Linie der SA nicht mehr übereinstimmen zu können, oder wenn er nicht in der Lage ist, den ihm durch die SA-Zugehörigkeit auferlegten Pflichten voll und ganz nachzukom men«.

Der SA-Mann wurde in seiner Weltanschauung, in seiner Einstellung und seinem Benehmen geschult und man erwartete und forderte von ihm, daß er diese Schulung annahm und in seinem täglichen Leben widerspiegelte. Gemeinsames Denken und einheitliches Handeln in solchen Dingen wurden teilweise durch Veröffentlichung und Verteilung einer Wochenzeitschrift mit dem Titel »Der SA-Mann« erreicht.

Diese Zeitschrift diente hauptsächlich der Schaffung und Pflege der verschiedenen Seiten der Nazi-Weltanschauung, die die doktrinären Beweggründe für viele der Verschwörer bildete.

Darf ich hier abschweifen und dem Gerichtshof mitteilen, daß wir hier auf dem Tisch sämtliche dieser Veröffentlichungen vom Jahre 1934 bis zum Jahre 1939 einschließlich haben. Die offizielle Wochenzeitschrift »Der SA-Mann« wurde in München herausgegeben und hatte einen großen Leserkreis; sie war an allen Zeitungsständen ausgelegt und wurde in ganz Deutschland und in den besetzten Ländern vertrieben.

Außerdem diente »Der SA-Mann« der Berichterstattung und Dokumentierung der Tätigkeit der SA als einer Organisation, wie auch der ihrer wesentlichen Gruppen. Ich werde später Gelegenheit haben, bestimmte Stellen dieser Zeitschrift dem Gerichtshof zur Betrachtung vorzulegen.

Der allgemeine Organisationsaufbau oder -plan der SA wird dem Gerichtshof durch später vorzulegende Dokumente gezeigt werden. An dieser Stelle möchte ich nur bemerken, daß sich die SA, wie das Beweismaterial ergibt, aus einzelnen Banden von Raufbolden zu einer festen Einheit verbunden hat; sie wurde auf[143] militärischer Grundlage organisiert, mit einer militärischen Ausbildung, militärischen Funktionen und vor allem mit einem aggressiven, militaristischen und kriegerischen Geist und Weltanschauung. Die Organisation dehnte sich über das gesamte Reichsgebiet aus und war in örtliche Gruppen und Abteilungen eingeteilt. Es gab darin Spezial-Einheiten einschließlich Kavallerie-, Nachrichten-, Pionier- und Sanitäts-Einheiten. Darf ich die Herren Richter bitten, einen Blick auf die Karte an der Wand zu werfen, die ich später als Beweisstück vorlegen werde. Die Gleichschaltung dieser verschiedenen Gruppen und Abteilungen wurde durch das SA-Hauptquartier und Stabsämter strikt durchgeführt. Diese Ämter befanden sich in München.

Das Verhältnis zwischen der SA und der NSDAP ist das nächste Thema.

Die Anklage gegen die SA ist eine schwere und hat ihre Grundlage in der bedeutsamen und besonderen Beziehung und Verbindung mit der Nazi-Partei und den Hauptverschwörern. Unseres Erachtens erbringt die Beziehung und Verbindung zu den genannten Verschwörern einen bedeutsamen und überzeugenden Beweis für die gemeinsame Teilnahme an einer aufgebauten Verschwörung. Das ist besonders deshalb anzunehmen, weil die Verbindung der SA mit den Nazi-Führern so eng gehalten und derart geformt war, daß sie es den Verschwörern ermöglichte, die SA für jeden Zweck und jede Tätigkeit einzusetzen, die im Laufe der Verwirklichung der Verschwörerziele nötig sein mochte.

So erkennen wir, daß die SA schon zu Beginn der Verschwörung im Jahre 1921 tatsächlich von Hitler selbst erdacht und geschaffen wurde.

Hitler behielt die Führung der SA während des ganzen Zeitraums der Verschwörung und übertrug die Verantwortung der Führung einem Stabschef. Hitler war in der Tat in ganz Deutschland als »OSAF«, »Oberster SA-Führer«, bekannt.

Der Angeklagte Göring war eines der ersten Mitglieder der SA und hielt während des ganzen Verlaufs der Verschwörung seine enge Verbindung zu ihr aufrecht.

Der Angeklagte Heß nahm an vielen der ersten Kämpfe der SA teil und war Führer einer SA-Gruppe in München. Die Angeklagten Frank, Streicher, von Schirach und Sauckel bekleideten die Stellung eines Obergruppenführers der SA, eine Stellung, die dem Rang eines Generalleutnants gleichkommt. Der Angeklagte Bormann war Mitglied des Stabes der Obersten SA-Führung.

Die engen Beziehungen zwischen der SA und den Führern der Nazi-Partei sind durch die Tatsache gekennzeichnet, daß die Hoheitsträger des Korps der Politischen Leiter ermächtigt waren, die SA zur Hilfe bei der Ausführung von Sonderaufgaben des [144] Parteiprogramms herbeizurufen. Dies ergab sich gestern aus dem Dokument 1893-PS. Die Herren Richter werden sich erinnern, daß ich daraus eine Anzahl von Stellen im Zusammenhang mit dem Beweisvortrag gegen das Korps der Politischen Leiter zitiert habe. Auf Seite 11 der englischen Übersetzung dieses Auszugs wurde erklärt, daß die Hoheitsträger das Recht hatten, die SA mit der Durchführung politischer Aufgaben im Rahmen der Bewegung zu beauftragen. Diese Verantwortung der SA gegenüber der Partei folgt auch aus Dokument 2383-PS; das ist eine Ausführungsverordnung zu einem Erlaß Hitlers, die ich jetzt als Beweisstück US-410 vorlege. Ich zitiere von Seite 3 der englischen Übersetzung. Wenn Sie sich Seite 3 der englischen Übersetzung zuwenden, so ist es der vierte Absatz:

»Die Gliederungen der NSDAP, mit Ausnahme der SS, für die besondere Bestimmungen gelten, unterstehen dem Hoheitsträger politisch und einsatzmäßig. Die Verantwortung für die Führung der Einheiten liegt in der Hand ihrer Einheitsführer.«

Wie wir gestern beim Vortrag gegen das Korps der Politischen Leiter bewiesen haben, wurde die SA auf Grund einer solchen Ermächtigung zur Beschlagnahme von Gewerkschaftseigentum verwendet. Die SA brachte weiterhin ihre enge Verbindung mit der Nazi-Partei dadurch zum Ausdruck, daß sie sich auf verschiedene Weise an Wahlkämpfen beteiligte. Das ist dem Dokument 2168-PS zu entnehmen, einer Broschüre, die den Titel »Die SA« trägt; es ist Beweisstück US-411. Diese Broschüre beschreibt die Geschichte und die allgemeine Tätigkeit der SA und ist von einem SA-Sturmführer namens Bayer im Auftrag der Obersten SA-Führung verfaßt. Ich zitiere von Seite 4 der englischen Übersetzung, unten am Ende der Seite den letzten Absatz; ich beginne mit Zeile 3:

»Die Arbeit und der Kampf der SA ist nicht umsonst. Sie stehen in vorderster Front der Wahlkämpfe.«

Adolf Hitler selbst übernahm am 2. September 1930 die Führung der SA als Oberster SA-Führer. Er selbst führte seine SA in dem entscheidenden Wahlkampf des Jahres 1930.

Weitere Beweise für das Interesse und die Anteilnahme der Nazi-Führer an der Tätigkeit der SA finden sich in diesen fünf Bänden, welche die Gesamtausgabe der Zeitschrift »Der SA-Mann« von 1934 bis 1939 enthalten. Ich möchte jetzt bitten, daß jeder dieser Bände besonders gekennzeichnet wird, weil wir während dieses Beweisvortrags von Zeit zu Zeit auf jeden einzelnen Bezug nehmen werden. Sie werden mit Beweisstück US-414, 415, 416, 417 und 418 beginnen und sind durch eigene Dokumentennummern bezeichnet, auf die ich verweisen werde, wenn ich zum Zitat der einzelnen Stellen in englischer Übersetzung komme.

[145] In diesen Bänden befinden sich Photographien, die die Teilnahme von Nazi-Führern an SA-Veranstaltungen zeigen. Ich möchte jetzt einige dieser Photographien beschreiben, und ich werde die Seitenzahlen, auf welchen sie zu finden sind, angeben. Hoher Gerichtshof! Wir überreichen eine Anzahl dieser Bilder und Photographien. Eines davon, das ich jetzt dem Gerichtshof als Beweis unterbreiten möchte, erscheint in der Ausgabe vom Januar 1937; es ist eine Photographie von Göring bei der Feier anläßlich seiner Ernennung zum Obergruppenführer der SA-Standarte Feldherrnhalle am 23. Januar 1937. Wir legen die Photographie und die Seite der Zeitung als Beweismaterial vor. Wir würden den Herren Richtern dieses Bild aushändigen, wenn Sie es anzuschauen wünschen. Wir legen es als Beweisstück vor.

Hier ist ein weiteres Bild von Göring an der Spitze der SA-Standarte Feldherrnhalle bei einer Parade vom 18. September 1937, das sich auf Seite 3 befindet. Das andere Bild befand sich auf Seite 3 der Januarausgabe des »SA-Mann« von 1937.

Ich weise den Gerichtshof noch auf einige andere Photographien hin. Hier ist eine Photographie Hitlers, wie er Hühnlein begrüßt; es trägt die Überschrift »Der Führer begrüßt Korpsführer Hühnlein bei der Eröffnung der Internationalen Automobilausstellung 1935«. Dies ist vom 23. März 1935 und erscheint auf Seite 6.

Hier ist eine weitere Photographie von Himmler, Hühnlein, dem Führer des NSKK, und Lutze, dem Stabschef der SA. Sie trägt die Überschrift »Sie führen die Soldaten des Nationalsozialismus«. 15. Juni 1935, Seite 1.

Ein anderes Bild von Hitler bei einer SA-Feier, wie er die Blutfahne der SA hält, mit der Überschrift: »Wie in den Jahren der Kampfzeit, so weihte auch am Parteitag der Freiheit der Führer die neuen Standarten mit der Blutfahne.« 21. September 1935, Seite 4.

Ich gehe weiter. Hier ist ein Bild von Göring in SA-Uniform, wie er eine Parade der SA abnimmt, mit der Überschrift: »Ehrentag der SA«, 21. September 1935, Seite 3.

VORSITZENDER: Oberst Storey, besteht ein Zweifel, daß Hitler und Göring Mitglieder der SA waren?

OBERST STOREY: Nein, Herr Vorsitzender, wir haben aber diese Bilder gezeigt, um den militärischen Charakter der SA zu beweisen. Wenn hierüber kein Zweifel besteht und dies nur eine Wiederholung darstellt, dann will ich weitergehen.

Die Arbeit der SA war mit der Übernahme der Deutschen Regierung durch die Nazis nicht beendet. Die Verbundenheit zwischen der SA und den Nazi-Führern wurde aufrechterhalten, nachdem die Nazis die Kontrolle über den Deutschen Staat errungen hatten.

[146] Die Bedeutung der SA in Verbindung mit der Nazi-Regierung und Kontrolle über Deutschland zeigt sich in dem Gesetz vom 1. Dezember 1933. Ich habe bereits darauf hingewiesen; es handelt sich um die Einheit von Partei und Staat. Ein Paragraph wurde jedoch noch nicht zitiert, und ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs darauf lenken. Es ist unser Dokument 1395-PS; ich zitiere Paragraph 2, der auf Seite 1 der englischen Übersetzung erscheint:

»Zur Gewährleistung engster Zusammenarbeit der Dienststellen der Partei und der SA mit den öffentlichen Behörden werden der Stellvertreter des Führers und der Chef des Stabes der SA Mitglieder der Reichsregierung.«

Ebenso steht in Dokument 2383-PS, das ich als Beweismaterial soeben vorgelegt habe, und auf das ich nur kurz Bezug nehmen werde, auf Seite 11 letzter Absatz:

»Die Dienststellen von Partei und Staat haben die SA in dieser Erziehungsarbeit zu unterstützen und den Besitz der Urkunde für das SA-Wehrabzeichen entsprechend zu bewerten.«

Daß die Nazis stets eine vollkommene Kontrolle über die SA besaßen, zeigt sich in der sogenannten »Röhm-Säuberungsaktion« vom Juni 1934. Beweismaterial dafür ist im »Völkischen Beobachter« vom 1. Juli 1934 auf Seite 1 zu finden. Ich will hiervon nichts zitieren.

Röhm war einige Jahre lang Stabschef der SA gewesen und war für die Entwicklung der SA zu einer mächtigen Organisation mit bestimmten Programmen und Zielen verantwortlich.

Mitglieder der SA waren verpflichtet, ihm einen persönlichen Treueid zu leisten. Als jedoch seine Politik in Widersprach mit der der Nazi-Führer geriet, wurde er abgesetzt, ermordet und durch Viktor Lutze ersetzt. Diese drastische Maßnahme wurde ohne Revolte oder Zwietracht in den Reihen der SA und ohne Änderungen in den Zielen oder dem Programm der Organisation durchgeführt. Die SA blieb »ein treues und starkes Glied der nationalsozialistischen Bewegung«, wie es in Dokument 2407-PS, Beweisstück US-412 der englischen Übersetzung des »Völkischen Beobachters« heißt. Es ist der letzte Absatz der englischen Übersetzung, gerade über dem Namen »Adolf Hitler«. Ich möchte hierzu für die Übersetzer bemerken, daß das Zitat zu unserem Text gehört. Ich darf fortfahren und zitiere:

»Es ist mein Wunsch, daß die SA zu einem treuen und starken Glied der nationalsozialistischen Bewegung ausgestaltet wird. Erfüllt von Gehorsam und blinder Disziplin, muß sie mithelfen, den heuen deutschen Menschen zu bilden und zu formen.«

[147] Die Bedeutung der SA in dem Nazi-Plan zum Einsatz des deutschen Volkes zeigt sich in Hitlers Ausführungen »Der Weg des deutschen Menschen«. Sie erscheinen in »Der SA-Mann«, Ausgabe vom 5. September 1936, auf Seite 22. Es ist unser Dokument 3050-PS, Beweisstücke US-414 und US-418, Seite 29 der englischen Übersetzung. Ich zitiere den Absatz in der Mitte der Seite:

»... Der Knabe, er wird eintreten in das Jungvolk, und der Pimpf, er wird kommen zur Hitler-Jugend, und der Junge der Hitler-Jugend, er wird einrücken in die SA, in die SS und in die anderen Verbände, und die SA-Männer und die SS-Männer werden eines Tages einrücken zum Arbeitsdienst und von dort zur Armee, und der Soldat des Volkes wird zurückkehren wieder in die Organisation der Bewegung, der Partei, in SA und SS, und niemals mehr wird unser Volk dann so verkommen, wie es leider einst verkommen war!«

So sehen wir, daß während der ganzen Zeit der Verschwörung die Verbindung zwischen der SA und der Nazi-Partei so eng war, daß die SA den Verschwörern ständig als Werkzeug zur Förderung ihrer Ziele zur Verfügung stand. Die SA war von den Verschwörern zu Beginn der Nazi-Bewegung geschaffen worden. Sie war zu allen Zeiten der Weisung Adolf Hitlers unterstellt. Sieben der Angeklagten hatten verantwortliche und führende Posten in der Organisation inne, und zu allen Zeiten hatte die SA dem Ruf der Hoheitsträger zu folgen. Die SA stand bei den Wahlkämpfen in vorderster Front. Die Zusammenarbeit zwischen den Dienststellen der Partei, der SA und des Staates war durch Gesetz sichergestellt.

In diesem Sinne äußerte sich Viktor Lutze, der frühere Stabschef der SA, in einer Broschüre mit dem Titel »Wesen und Aufgaben der SA«. Es ist unser Dokument 2471-PS; das Original legen wir als Beweisstück US-413 vor; und ich zitiere vom Beginn der Seite 1 der englischen Übersetzung. Ich gedenke, den ganzen Absatz zu verlesen, den ersten Absatz am Beginn der Seite:

»Ehe ich zum eigentlichen Thema komme, muß ich Ihnen, um von vornherein die richtige Einstellung zu schaffen, sagen, daß ich nie in erster Linie als SA-Mann, sondern als Nationalsozialist spreche, da die SA nicht selbständig neben der nationalsozialistischen Bewegung, sondern nur in ihr stehen kann.«

Als nächstes möchte ich dem Gerichtshof Beweise vorlegen, die die Hauptaufgaben und die Tätigkeit veranschaulichen, die die SA zufolge ihrer bereits er wähnten Beziehung zur Partei und zur Förderung der Ziele der Verschwörer ausgeübt hat. Diese Tätigkeit kann logischerweise in vier bestimmte Phasen oder Abschnitte geordnet oder eingeteilt werden. Ich möchte hinzufügen, daß jeder [148] dieser Abschnitte mit dem jeweiligen Abschnitt in der Entwicklung der Verschwörung auf die in der Anklageschrift angeführten Ziele hin übereinstimmt.

Der erste Abschnitt besteht aus dem Einsatz der SA und ihrer Mitglieder als Werkzeug zur Verbreitung der Weltanschauung und des Fanatismus der Nazis in ganz Deutschland. Die Verwendung der SA für diesen Zweck hielt während der ganzen Verschwörungszeit an, wie dies sicherlich aus dem Beweismaterial hervorgehen wird.

Der zweite Abschnitt bezieht sich auf die Zeit vor der Machtergreifung der Nazis. Während dieser Periode war die SA eine militärische und streitlustige Gruppe von Kämpfern und Gangstern, deren Aufgabe es war, alle Gegner der Partei unter Gewaltanwendung zu bekämpfen.

Der dritte Abschnitt bezieht sich auf einen Zeitabschnitt von mehreren Jahren nach der Machtergreifung der Nazis. Während dieser Zeit beteiligte sich die SA an verschiedenen Maßnahmen, die der Festigung der Kontrolle durch die Nazis dienten. Dazu gehören auch solche durch die Nazis inspirierte Programme, wie die Auflösung der Gewerkschaften, die Verfolgung der Kirche und die Judenverfolgungen, auf die ich bereits hingewiesen habe. Während dieser Zeit diente sie auch weiterhin als eine Mannschaft politischer Soldaten mit dem Ziel, Mitglieder politischer Parteien, die von der Nazi-Partei als feindlich oder gegnerisch betrachtet wurden, gewaltsam zu bekämpfen.

Der vierte Abschnitt der SA-Tätigkeit bestand in ihrer Verwendung als einer Organisation zum Aufbau einer Wehrmacht in Deutschland unter Verletzung des Vertrags von Versailles und für die geistige und körperliche Vorbereitung der deutschen Jugend auf den Angriffskrieg.

Ich möchte nun auf die Beweise eingehen, die meines Erachtens ein besonderes Schlaglicht auf diese vier Abschnitte werfen.

Der erste Abschnitt befaßt sich mit der Verbreitung der Weltanschauung. In erster Linie war die SA für die Verbreitung der Weltanschauung und Lehren verantwortlich, deren Annahme für die Erreichung der Nazi-Ziele notwendig war. Schon von Anfang an haben die Nazi-Führer die Bedeutung dieser Aufgabe betont. Im weiteren Verlauf der Verschwörung übernahm die SA viele Aufgaben und Pflichten; aber eine Aufgabe, die immer blieb und fortdauerte, war die, Verbreiter nationalsozialistischer Weltanschauung zu sein.

Ich weise nun auf die englische Übersetzung des Dokuments 2760-PS, Beweisstück US-256, hin, einen Auszug aus »Mein Kampf«, der auf Seite 5 der Übersetzung des Dokuments erscheint. Es ist der dritte Absatz auf Seite 5 des Dokuments. Ich zitiere:

[149] »Als Leitgedanke für die innere Ausbildung dieser Sturmabteilung war immer die Absicht vorherrschend, sie neben aller körperlichen Ertüchtigung zu einer unerschütterlich überzeugten Vertreterin der nationalsozialistischen Idee auszubilden...«

Ich möchte noch hinzufügen, daß diese Erklärung Hitlers über die Aufgaben der SA wirklich zum Leitsatz für die SA-Mitglieder wurde; denn »Mein Kampf« wurde dahingehend verstanden, daß er die Grundanschauung der SA zum Ausdruck bringe.

Aus dem Dokument 2354-PS, einem Auszug aus dem Organisationsbuch der Partei, zitiere ich von Seite 1 der englischen Übersetzung den ersten Absatz:

»Die Erziehung und Ausbildung auf Grund der Lehren und Ziele des Führers, wie sie im ›Kampf‹ und im Parteiprogramm für alle Gebiete unseres Lebens und unsere nationalsozialistische Weltanschauung niedergelegt sind...«

Das gleiche Dokument, das Organisationsbuch der Partei, behandelt auch die Aufgabe der SA als Propagandistin der Partei.

Ich glaube, Herr Vorsitzender, das nächste würde nur eine Wiederholung dessen sein, was bereits vorgetragen wurde. Ich wende mich nun einem Artikel zu...

VORSITZENDER: Vielleicht ist dies ein günstiger Zeitpunkt, die Sitzung zu vertagen.

OBERST STOREY: Jawohl, Herr Vorsitzender.


[Das Gericht vertagt sich bis

19. Dezember 1945, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 4, S. 114-151.
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