[78] OBERST STOREY: Hoher Gerichtshof! Vor der Vertagung gestern Nachmittag stellten die Herren Richter ein oder zwei Fragen zu den Dokumenten 3051-PS und 3063-PS. Ich glaube, ich habe nun hierauf eine Antwort, mit der der Gerichtshof weiterkommen wird. Sie werden sich hinsichtlich des Dokuments 3051-PS erinnern. ... Ich glaube, es wäre gut, sich diesem Dokument noch einmal zuzuwenden.
VORSITZENDER: Ja.
OBERST STOREY: Als wir uns gestern Nachmittag mit dem SD und der SS befaßten, warfen Sie die Frage auf, inwieweit die Partei hineinverwickelt war. Ich möchte hierzu gern den ersten Absatz auf Seite 2 der englischen Übersetzung verlesen, der diese Frage beantwortet und folgendermaßen lautet:
»Die Leiter der Staatspolizeistellen oder ihre Stellvertreter haben sofort nach Eingang dieses Fernschreibens mit den für ihren Bezirk zuständigen politischen Leitungen – Gauleitung oder Kreisleitung – fernmündlich Verbindung aufzunehmen und eine Besprechung über die Durchführung der Demonstrationen zu vereinbaren, zu der der zuständige Inspekteur oder Kommandeur der Ordnungspolizei zuzuziehen ist. In dieser Besprechung ist der politischen Leitung mitzuteilen, daß die deutsche Polizei vom Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei die folgenden Weisungen erhalten hat, denen die Maßnahmen der politischen Leitungen zweckmäßig anzupassen wären.«
Das bezog sich auf die Verbreitung der allgemeinen antijüdischen Ausschreitungen. Dokument 3063-PS, welches das nächste Stück ist.
VORSITZENDER: Sehr gut.
OBERST STOREY: Wie sich die Herren Richter erinnern werden, war dies ein Bericht des Obersten Parteirichters Buch an den Angeklagten Göring über die Bestrafung für Ausschreitungen im Gefolge der Demonstration vom 9. und 10. November. Ich mochte nun den Teil zitieren, der von dem Angeklagten Göring unterschrieben ist. Ich glaube, es ist die zweite Seite der englischen Übersetzung. Es ist datiert:
»Berlin, den 22. Februar 1939.
Lieber Parteigenosse Buch! Ich danke Ihnen für die Übersendung des Berichtes Ihres Sondersenats über die bisher [78] abgeschlossenen Verfahren betr. die Ausschreitungen anläßlich der judengegnerischen Aktionen vom 9. und 10. November 1938, von dem ich Kenntnis genommen habe. Heil Hitler! Ihr gez. Göring.«
Und dann werden unmittelbar danach auf Seite 1 der englischen Übersetzung die beiden nächsten Absätze Ihre Frage wohl beantworten; ich zitiere:
»Am Abend des 9. November 1938 teilte der Reichspropagandaleiter Pg. Dr. Goebbels den zu einem Kameradschaftsabend im Alten Rathaus zu München versammelten Parteiführern mit, daß es in den Gauen Kurhessen und Magdeburg-Anhalt zu judenfeindlichen Kundgebungen gekommen sei, dabei seien jüdische Geschäfte zertrümmert und Synagogen in Brand gesteckt worden. Der Führer habe auf seinen Vortrag hin entschieden, daß derartige Demonstrationen von der Partei weder vorzubereiten noch zu organisieren seien; soweit sie spontan entstünden, sei ihnen aber auch nicht entgegenzutreten. Im übrigen führte Pg. Dr. Goebbels sinngemäß das aus, was in dem Fernschreiben der Reichspropaganda vom 10. 11. 1938,...«
VORSITZENDER: Was bedeutet 12,30 Uhr bis 1 Uhr?
OBERST STOREY: Das ist meines Erachtens die Zeit des Fernschreibens.
VORSITZENDER: Ja.
OBERST STOREY:
»Die mündlich gegebenen Weisungen des Reichspropagandaleiters sind wohl von sämtlichen anwe senden Parteiführern so verstanden worden, daß die Partei nach außen nicht als Urheber der Demonstration in Erscheinung treten, sie in Wirklichkeit aber organisieren und durchführen sollte. Sie wurde in diesem Sinne sofort – also geraume Zeit vor Durchgabe des ersten Fernschreibens – von einem großen Teil der anwesenden Parteigenossen fernmündlich an die Dienststelle ihrer Gaue weitergegeben.«
Meine Herren Richter! Sie haben gestern Nachmittag gefragt, was die »Blockleiter« damit zu tun hatten. Sie werden sich daran erinnern, daß in den Anweisungen an den Blockleiter, die seinen Aufgabenbereich umrissen, angeordnet war, daß er seine Anweisungen mündlich erhalten und weitergeben solle, und daß er niemals, ausgenommen in ganz besonderen Fällen, schriftlich verkehren dürfe. Ich behaupte deshalb, daß die zitierten Stellen deutlich beweisen, daß die Partei tatsächlich in Verbindung mit diesen berüchtigten judenfeindlichen Kundgebungen vom 9. und 10. November 1938 eingesetzt war.
[79] Ich komme nun zu der Stelle zurück, bei der ich gestern Nachmittag stehengeblieben bin.
Das Führerkorps der NSDAP beteiligte sich an der Beschlagnahme von Kirchen und kirchlichem Eigentum.
Ich lege zum Beweis Dokument 072-PS, US-357, vor. Es ist ein Brief des Reichsleiters Bormann an Reichsleiter Rosenberg vom 19. April 1941. Dieser Brief legt die Teilnahme der Gauleiter an Maßnahmen zur Beschlagnahme von kirchlichem Eigentum dar.
Ich zitiere nun den letzten Absatz auf Seite 1 der englischen Übersetzung des Dokuments 072-PS; er lautet:
»Die Büchereien und Kunstgegenstände der im Reich beschlagnahmten Klöster sollten zunächst in diesen Klöstern verbleiben, soweit die Gauleiter nichts anderes bestimmten. ...«
Am 21. Februar 1940 schrieb der Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Heydrich, einen Brief an den Reichsführer SS Himmler, in dem er vorschlug, daß bestimmte in einer Liste aufgeführte Kirchen und Klöster zur Unterbringung von »Volksdeutschen« enteignet werden sollten.
Der Gerichtshof wird sich sicher der Stellung Himmlers erinnern.
Nachdem er aufgezeigt hatte, daß aus politischen Gründen eine vollkommene Enteignung der kirchlichen Besitztümer zur Zeit nicht tunlich sei, schlug Heydrich zunächst gewisse Scheinaktionen vor, denen dann nach und nach die völlige Enteignung folgen sollte.
Ich lege nunmehr Dokument R-101 (a) als Beweisstück US-358 vor. Es ist ziemlich am Schluß des Beweisstücks.
Unter R-101 befinden sich mehrere Dokumente, jeweils am Fuß derselben werden Sie die Buchstaben (a), (b) und (c) finden. Das erste ist R-101 (a); und ich zitiere die ersten fünf Absätze auf Seite 2 der englischen Übersetzung:
»Anliegend wird gegen Rückgabe eine Aufstellung der für die Unterbringung von Volksdeutschen in Frage kommenden kirchlichen Besitzungen übersandt. Der Aufstellung sind entsprechende Beschreibungen sowie Bildmaterial über die einzelnen Komplexe beigefügt.
Eine entschädigungslose Enteignung dieses gesamten Kirchen- und Ordensbesitzes wird zur Zeit aus politischen Gründen wohl nicht in Frage kommen.
Eine Enteignung gegen Entschädigung oder gegen Überweisung anderen Grund und Bodens kommt wohl noch weniger in Frage.
Es wird deshalb vorgeschlagen, daß den in Frage kommenden Ordensoberen mitgeteilt wird, daß sie die in Betracht [80] kommenden Klöster für die Unterbringung von Volksdeutschen zur Verfügung zu stellen haben, und ihre eigenen Ordensmitglieder deshalb in schwach belegten anderen Klöstern unterzubringen sind.«
Am Rande neben diesem Absatz findet sich die Bemerkung »sehr gut«.
»Die endgültige Enteignung dieser so zur Verfügung gestellten Ordensbesitzungen kann dann im Laufe der Zeit Schritt für Schritt durchgeführt werden.«
Am 5. April 1940 sandte die Sicherheitspolizei und der Sicherheitsdienst der SS einen Brief an den Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums, dem eine Abschrift des oben erwähnten Briefes von Heydrich an Himmler vom 21. Februar 1940 beilag, und der den Vorschlag für die Enteignung von Kirchenbesitz enthielt. Der Brief vom 5. April 1940 ist im Dokument R-101 (a), das soeben als Beweisstück vorgelegt wurde, enthalten. Ich zitiere den zweiten Satz des ersten Abschnitts auf Seite 1 der englischen Übersetzung des Dokuments R-101 (a):
»Der Reichsführer SS hat den in dem anliegenden Schreiben gemachten Vorschlägen zugestimmt und Anweisung gegeben, daß die Bearbeitung der Dinge in Zusammenarbeit zwischen dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD und der dortigen Dienststellen vorgenommen werden sollen.«
Ich lege nun Dokument R-101 (c), US-358, als Beweismittel vor. Es ist ein Brief vom 30. Juli 1941 von einem SS-Standartenführer, dessen Unterschritt unleserlich ist, an den Reichsführer-SS. Der Brief enthält weiteres Beweismaterial für die Teilnahme der Gauleiter an der Beschlagnahme von Kircheneigentum. Ich zitiere die ersten drei Abschnitte der englischen Übersetzung von Dokument R-101 (c), am Ende der Seite:
»Im Nachgang zu dem Bericht vom 30. Mai 1941 hält es die hiesige Dienststelle für ihre Pflicht, Reichsführer auf die Entwicklung aufmerksam zu machen, die sich inzwischen auf dem Gebiete der Erfassung und Einziehung des Kirchen-Vermögens in den eingegliederten Ostgebieten vollzieht.
Der Reichsstatthalter und Gauleiter im Reichsgau Wartheland ist anläßlich der Einführung reichsrechtlicher Enteignungsvorschriften dazu übergegangen, kirchlichen Grundbesitz im Wohnungszwecke zum Schätzungswert, zu enteignen und den Gegenwert auf Sperrkonten einzuzahlen.
Die ostdeutsche Landwirtschafts-Ges.m.b.H. meldet darüber hinaus, daß der gesamte kirchliche Grundbesitz im Warthegau von der Gauselbstverwaltung in Anspruch genommen wird.«
[81] Ich lege nun das unmittelbar folgende Dokument B-101 (d) vor; es ist Beweisstück US-358, das bereits eingeführt ist. Es ist ein Brief des Chefs des Stabshauptamtes an Himmler vom 30. März 1942 und behandelt ebenfalls die Beschlagnahme von Kirchenbesitz. Der Brief beweist die aktive Teilnahme der Parteikanzlei an der Beschlagnahme kirchlichen Besitzes.
In diesem Brief berichtet der Chef des Stabshauptamts an Himmler über die Politik der SS, alle Mietzahlungen an Klöster und andere kirchliche Einrichtungen, deren Eigentum enteignet wurde, einzustellen. Dieser Brief erörtert einen Vorschlag des Reichsinnenministers, an dem die Parteikanzlei in entscheidender Weise beteiligt war, und kommt zu dem Schluß, daß den kirchlichen Einrichtungen nur die Beträge gezahlt werden sollten, die zur Erfüllung der laufenden Hypothekenverpflichtungen erforderlich seien, ohne irgendeinen Gewinn zu belassen. Ferner schlägt der Verfasser vor, daß solche Zahlungen niemals direkt an die kirchlichen Einrichtungen, sondern an deren Gläubiger entrichtet werden sollten. Ich weise auf den vierten Satz auf Seite 3 dieses Dokuments hin, die englische Übersetzung, nach dem eine solche Regelung »dem Grundgedanken der ursprünglich von der Parteikanzlei und dem Reichsinnenminister ausgearbeiteten Regelung« entsprach.
Meines Wissens war der Angeklagte Frick von 1933 bis 1944 Reichsinnenminister.
Das Führerkorps der Nazi-Partei wirkte an der Unterdrückung religiöser Zeitschriften mit und mischte sich in die freie religiöse Erziehung ein.
In einem Brief vom 27. September 1940 übermittelte der Reichsleiter und Stabschef des Stellvertreters des Führers, Bormann, dem Angeklagten Rosenberg die Photokopie eines Briefes von Gauleiter Florian vom 23. September 1940, in dem der Gauleiter aus naziideologischen Gründen seine äußerste Mißbilligung über eine von Generalmajor von Rabenau verfaßte religiöse Broschüre, »Von Geist und Seele des Soldaten«, ausdrückt.
Ich lege nunmehr Dokument 064-PS, US-359, zum Beweis vor. Es ist ein von Rosenberg unterschriebener Originalbrief mit Abschriften der oben erwähnten Schreiben und enthält den Brief des Angeklagten Bormann an Rosenberg vom 27. September 1940, mit dem der Brief des Gauleiters vom 23. September 1940 an den Angeklagten Heß übermittelt wird. Der Gauleiter drängt darauf, daß die religiösen Schriften des Generals von Rabenau verboten werden. Gauleiter Florian bespricht in seinem Brief an den Angeklagten Heß eine Unterredung, die er mit General von Rabenau im Anschluß an eine Rede hatte, die der General vor einer Gruppe jüngerer Heeresoffiziere in Aachen hielt. Diese Unterredung [82] beleuchtet die feindliche Einstellung des Führerkorps der Nazi-Partei gegen die christlichen Kirchen. Ich zitiere von dem zweiten Satz des zweiten Absatzes auf der zweiten Seite des Briefes des Gauleiters an den Angeklagten Heß an, auf Seite 2 der englischen Übersetzung, der zweite Absatz:
»Nachdem er die Notwendigkeit der Kirchen bejaht hatte, sagte Rabenau mit betonter Selbstsicherheit sinngemäß etwa folgendes: ›Lieber Gauleiter, die Partei begeht in der Behandlung der Kirchen Fehler auf Fehler. Verschaffen Sie mir die notwendigen Vollmachten vom Führer, und ich garantiere, daß es mir in wenigen Monaten gelingen wird, den Frieden mit den Kirchen für allezeit herzustellen.‹ Nach dieser katastrophalen Ahnungslosigkeit habe ich die Unterhaltung... aufgegeben.
Sehr geehrter Parteigenosse Heß! Dieses Erlebnis mit General von Rabenau ist beim Lesen seiner Broschüre ›Von Geist und Seele des Soldaten‹ in mir wieder lebendig geworden. In dieser Broschüre bejaht Rabenau, genau wie damals, die Notwendigkeit der Kirche, wenn auch geschickt vorsichtig, so doch eindeutig und klar. Er schreibt auf Seite 28: ›Es gäbe viel mehr Beispiele; sie mögen genügen, um zu zeigen, daß ein Soldat im Diesseits kaum ohne Jenseitsgedanken aufkommen kann.‹ Weil General von Rabenau geistig falsch fundiert ist, halte ich seine erzieherische Tätigkeit auf geistigem Gebiet für gefährlich und bin der Meinung, daß seine Erziehungsbeiträge durchaus entbehrlich sind, und daß die Schriftenreihe der NSDAP auf diese Beiträge verzichten kann und muß...
Die Kirchen mit ihrem Christentum sind diese Gefahr, deren Bekämpfung unbedingt zu fördern ist.«
Daß die Parteikanzlei die feindliche Einstellung gegen die christlichen Kirchen mit den Gauleitern teilte, ist weiterhin aus der Anweisung des Angeklagten Bormann an den Angeklagten Rosenberg, die in dem Begleitbrief Bormanns ausgesprochen ist, ersichtlich. Danach sollte Rosenberg auf Empfehlung des Gauleiters, die Schriften des Generals zu unterdrücken, das Erforderliche veranlassen.
Ich lege nun zum Beweis Dokument 089-PS, US- 360, vor. Es ist ein Brief des Angeklagten Bormann als Stabschef des Stellvertreters des Führers an den Angeklagten Rosenberg vom 8. März 1940; ihm liegt Abschrift eines Briefes von Bormann an den Reichsleiter Amann vom selben Tage bei. Amann war durch seine Stellung als Reichspresseleiter und Leiter des Parteiverlags ein hohes Mitglied des Führerkorps. In diesem Brief an Amann drückt Bormann seine Bestürzung und Unzufriedenheit darüber aus, daß nur 10 % der 3000 [83] protestantischen Zeitschriften in Deutschland ihr Erscheinen aus, wie er es nennt, »Gründen der Papierersparnis« eingestellt haben. Bormann teilt sodann Reichsleiter Amann mit, daß »die Zuteilung jeglichen Papiers für derartige Zeitschriften gesperrt sei«.
Ich verweise nun auf dieses Dokument 089-PS und zitiere den zweiten Absatz des Briefes Bormanns an Amann; die zitierte Stelle erscheint als zweiter Absatz auf der ersten Seite der englischen Übersetzung:
»Ich bitte Sie, bei einer später in Erwägung zu ziehenden Neuzuteilung von Papier dafür Sorge zu tragen, daß das konfessionelle Schrifttum, das nach den bisher gemachten Erfahrungen für die Stärkung der Widerstandskraft des Volkes gegenüber seinen äußeren Feinden doch nur recht zweifelhaften Wert besitzt, zugunsten politisch und weltanschaulich wertvollerer Literatur noch stärkere Einschränkungen erfährt.«
Ich führe weiterhin als Beweismaterial Dokument 101-PS, US-361, an. Dies ist ein weiterer Brief des Angeklagten Bormann an den Reichsleiter Rosenberg vom 17. Januar 1940, in dem er den Widerspruch der Partei gegen die Verbreitung religiöser Schriften an Angehörige der deutschen Wehrmacht zum Ausdruck bringt.
Die Behauptung, daß es keine Atheisten in den Schützengräben gäbe, fand unter den Soldaten der vereinten Nationen allgemeinen und ehrfurchtsvollen Glauben. In dieser Urkunde ist jedoch die gegenteilige Meinung zum Ausdruck gebracht; und ich zitiere von Seite 1 der englischen Übersetzung:
»Fast alle Gauleitungen berichten mir regelmäßig, daß die Betreuung der Angehörigen der Wehrmacht durch die Kirchen beider Konfessionen nach wie vor überaus rege ist. Sie finden ihren Ausdruck vor allem darin, daß den Soldaten von den Geistlichen der Heimatgemeinden laufend religiöse Druckschriften zugesandt werden. Diese Schriftchen sind zu einem Teil nicht ungeschickt abgefaßt. Ich erhalte auch immer wieder Berichte, daß diese Schriften von den Soldaten gelesen werden und somit auf die Stimmung der Truppe einen gewissen Einfluß ausüben.
Ich habe seinerzeit sofort durch Fühlungnahme mit dem Herrn Generalfeldmarschall, dem Oberkommando der Wehrmacht und Parteigenossen Reichsleiter Amann versucht, die Herstellung und Versendung derartiger Druckschriften weitgehend einzuschränken. Der Erfolg dieser Bemühungen blieb unbefriedigend. Wie mir Reichsleiter Amann immer wieder mitteilt, läßt sich die Einschränkung dieser Traktate im Wege einer Kontingentierung des Druckpapiers nicht [84] erreichen, weil das zur Herstellung dieser Schriften benutzte Papier im freien Handel gekauft wird...
Wenn der Beeinflussung der Soldaten durch die Kirchen wirksam entgegengetreten werden soll, so kann es meines Erachtens nur dadurch geschehen, daß unter Mithilfe der Partei in kürzester Frist möglichst viele gute Schritten geschaffen werden...
Auch bei der letzten Tagung der stellvertretenden Gauleiter wurde Beschwerde darüber geführt, daß ein solches Schrifttum nicht in ausreichender Menge vorhanden sei...
Ich halte es für notwendig, daß wir in allernächster Zeit den Parteidienststellen bis zu den Ortsgruppenleitern herab eine Liste weiterer derartiger Schriften übersenden, die unseren Soldaten durch die Ortsgruppen... übersandt werden sollen...«
Das Führerkorps wirkte auch bei der Schließung und Auflösung von theologischen Schulen und anderen religiösen Einrichtungen mit. Ich lege Dokument 122-PS, Beweisstück US-362, vor, wieder ein Brief des Angeklagten Bormann an den Angeklagten Rosenberg als Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP. Dieser Brief ist vom 17. April 1939 und übermittelt Rosenberg die Photokopie eines Planes des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung für die Zusammenlegung und Schließung gewisser besonders angeführter theologischer Fakultäten. In seinem Begleitbrief ersuchte der Angeklagte Bormann den Reichsleiter Rosenberg, Kenntnis zu nehmen und sofortige Maßnahmen zur vorgeschlagenen Unterdrückung von religiösen Einrichtungen zu treffen. Ich zitiere den vorletzten Absatz auf Seite 2 der englischen Übersetzung dieses Dokuments, in dem der Plan zur Unterdrückung von religiösen Einrichtungen zusammengefaßt ist. Er lautet:
»Zusammengefaßt würde diese Planung neben der bereits vollzogenen Schließung der Fakultäten Innsbruck, Salzburg und München und der bevorstehenden Verlegung der Fakultät Graz nach Wien, also das Verschwinden von vier katholischen theologischen Fakultäten bedeuten:
a) Fortfall weiterer drei katholisch-theologischer Fakultäten oder Hochschulen und von vier evangelisch-theologischen Fakultäten zum Wintersemester 1939/40.
b) Fortfall einer weiteren katholischen und dreier weiterer evangelisch-theologischer Fakultäten in absehbarer Zeit.«
Aus dem vorstehend angeführten Beweismaterial ergibt sich die nicht zu bestreitende Folgerung, daß das Führerkorps der Nazi-Partei die Mitverantwortung für die Maßnahmen zur Unterdrückung [85] der christlichen Kirchen und zur Verfolgung des christlichen Klerus trägt, dies sowohl in Deutschland als auch in den von Deutschen besetzten Gebieten Europas.
Das jetzt eben vorgelegte und das bereits früher von der Anklagebehörde vorgetragene Beweismaterial zeigt deutlich, daß das Führerkorps im allgemeinen, vom Reichsleiter bis hinunter zu den Gauleitern und in deren Anhang all die kleineren Parteiführer an dem ausgeklügelten Programm, die christliche Religion zu untergraben, tätigen Anteil hatten.
Wir weisen besonders auf die Bedeutung der Ernennung des Angeklagten Rosenberg, dessen antichristliche Einstellung bekannt ist, zum »Abgeordneten« oder »Beauftragten« des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Erziehung der Nazi-Partei hin. Es war gerade diese Stellung, die Rosenberg einen Sitz in der Reichsleitung, dem Generalstab der Partei, der alle Reichsleiter umfaßte, gab. Aber von Bedeutung ist nicht nur die Tatsache, daß solche Anti-Christen, wie die Angeklagten Bormann und Rosenberg, leitende Stellungen im Führerkorps einnahmen, sondern auch der Umstand, daß ihre Anweisungen und Befehle auf dem Dienstweg innerhalb des Führerkorps nach unten gingen und die Teilnahme seiner Mitglieder an feindlichen Handlungen gegen die Kirche veranlaßten.
Aus dem Dokument D-75, das, wie ich glaube, schon eingeführt wurde, möchte ich nur eine Zeile vorlesen; der Angeklagte Bormann stellte dort fest:
»Nationalsozialistische und christliche Auffassungen sind unvereinbar.«
Der Angeklagte hatte niemals mehr recht; er hat sich aber grundsätzlich in seiner Prophezeiung geirrt, welche von beiden zuerst verschwinden würde.
Ich wende mich nun der Verantwortlichkeit des Führerkorps für die Zerschlagung der freien Gewerkschaften und die Einführung der verschwörerischen Kontrolle über die schöpferische Arbeitsfähigkeit der deutschen Nation zu.
Das Beweismaterial über die Verantwortlichkeit der Nazi-Verschwörer für die Zerschlagung der unabhängigen Gewerkschaften ist bereits in dem US-Beweisstück G eingeführt worden. Es war dies das Dokumentenbuch, das Beweismaterial über die Zerschlagung der Gewerkschaften enthält. Das wenige Beweismaterial, das ich jetzt noch vorlegen werde, soll die Verantwortlichkeit des Führerkorps der Nazi-Partei für die Vernichtung der unabhängigen Gewerkschaften und die Einführung der verschwörerischen Kontrolle über die schöpferische Arbeitsfähigkeit der deutschen Nation aufzeigen.
[86] Kurz nach der Machtübernahme haben führende Mitglieder des Führerkorps an der Zerschlagung und Auflösung der unabhängigen Gewerkschaften Deutschlands teilgenommen. Der Angeklagte Robert Ley, in seiner Eigenschaft als Reichsorganisationsleiter und Reichsleiter im Führerkorps wurde von Hitler Mitte April 1933 beauftragt, die freien Gewerkschaften zu zerschlagen.
Ich möchte nun zu Dokument 392-PS, Beweisstück US-326, übergehen und zitiere von Beginn der Seite 1 der englischen Übersetzung an:
»Dienstag, den 2. Mai 1933,... beginnt die Gleichschaltungsaktion gegen die Freien Gewerkschaften... Im wesentlichen richtet sich die Aktion gegen den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) und den Allgemeinen Freien Angestelltenbund (AFA-Bund). Was darüber hinaus von den Freien Gewerkschaften abhängig ist, ist dem Ermessen des Gauleiters anheimgestellt. Verantwortlich für die Durchführung der Gleichschaltungsaktion in den einzelnen Gebieten sind die Gauleiter. Träger der Aktion soll die Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation sein... Der Gauleiter trifft seine Maßnahmen im engsten Einvernehmen mit dem zuständigen Gaubetriebszellenleiter... Im Reich werden besetzt:
Die Leitung der Verbände...«
Dann sind eine Anzahl von Büros aufgeführt, und ich erwähnte bereits, wer in Schutzhaft genommen werden sollte. Die nächste Bestimmung lautet:
»Ausnahmen sind nur mit Genehmigung des Gau leiters zulässig... Es ist selbstverständlich, daß die Aktion in größter Disziplin vor sich zu gehen hat. Die Gauleiter sind dafür verantwortlich, daß sie die Leitung der Aktion fest in der Hand behalten. Heil Hitler! gez. Dr. Robert Ley.«
Die Anordnung des Angeklagten Ley, die freien Gewerkschaften aufzulösen, wurde, wie geplant und befohlen, durchgeführt. Die Gebäude der freien Gewerkschaften wurden in ganz Deutschland von der SA besetzt und die Gewerkschaften aufgelöst. Am 2. Mai 1933 berichtete der offizielle Pressedienst der NSDAP, daß die nationalsozialistische Betriebszellenorganisation, NSBO, »die bisherige Führerschaft der Freien Gewerkschaften beseitigt« und ihre Führung übernommen habe.
Ich lege nun Dokument 2224-PS, Beweisstück US-364, vor; es sind die Seiten 1 und 2 einer Ausgabe der Nationalsozialistischen Partei-Korrespondenz vom 2. Mai 1933. Ich zitiere von Absatz 5 auf Seite 1 der englischen Übersetzung:
[87] »Der Nationalsozialismus, der heute die Führung der deutschen Arbeiterschaft in Händen hat, kann es nicht mehr verantworten, die Männer und Frauen des werktätigen Volkes, die Mitglieder der größten Berufsorganisationen der Welt, die deutsche Gewerkschaftsbewegung in Händen von Menschen zu belassen, die kein Vaterland kennen, das Deutschland heißt. Deshalb hat die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation die Führung der Gewerkschaften übernommen. Die NSBO hat die bisherige Führerschaft der Freien Gewerkschaften des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes und des Allgemeinen Freien Angestelltenbundes beseitigt... Am 2. Mai 1933 sind von der NSBO die Leitungen aller Gewerkschaften übernommen worden, sämtliche Gewerkschaftshäuser wurden besetzt und schärfste Kontrolle des Kassen- und Personalwesens der Verbände ist organisiert worden.«
Wie sich aus diesem Beweismaterial ergibt, wurde der Angriff auf die freien Gewerkschaften vom Angeklagten Ley in seiner Eigenschaft als Reichsorganisationsleiter der Partei unter Mitwirkung der Gauleiter und Parteigliederungen geleitet und erstreckte sich auch auf die Beschlagnahme des Vermögens und Eigentums der Gewerkschaften. In diesem Zusammenhang lege ich das Dokument 1678-PS, Beweisstück US-365, vor. Dieses Dokument ist ein Rechenschaftsbericht des Reichsleiters Ley vom 11. September 1937 auf der fünften Jahrestagung der Deutschen Arbeitsfront.
In dieser Rede gab Ley in schamloser Weise die Beschlagnahme des Gewerkschaftsvermögens zu. Ich zitiere von Seite 1, Absatz 4 der englischen Übersetzung an:
»Ich habe dem Führer einmal gesagt: ›Mein Führer, an sich stehe ich täglich mit einem Fuß im Gefängnis; denn ich bin heute noch der Treuhänder der Genossen Leipart und Imbusch, und wenn die einmal ihr Vermögen von mir zurück verlangen, dann habe ich das verbaut oder sonst verausgabt. Aber sie werden es in dem Zustand, in dem sie es mir übergeben haben, nicht mehr vorfinden. Also müßte ich verurteilt werden.‹
Da lachte der Führer und meinte, ich fühlte mich aber scheinbar äußerst wohl bei diesem Zustand.
Es war für uns alle sehr schwer. Wir lachen heute darüber. ...«
Der Plan der Nazi-Verschwörer, die freien Gewerkschaften zu beseitigen, wurde durch ein Gesetz vom 19. Mai 1933 vorangetrieben; es schaffte den Abschluß von Kollektiv-Verträgen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ab und ersetzte ihn [88] durch eine Neuregelung der Arbeitsbedingungen durch Treuhänder der Arbeit, die von Hitler ernannt wurden.
Ich verweise auf Dokument 405-PS; es ist der Text des Gesetzes Reichsgesetzblatt 1933, Teil I, Seite 285. Paragraph 1 bestimmt die Ernennung von Treuhändern der Arbeit durch Hitler; Paragraph 2 des Gesetzes, den ich aus der englischen Übersetzung des Dokuments 405-PS zitiere, sieht dann vor:
»Bis zur Neuordnung der Sozialverfassung regeln die Treuhänder an Stelle der Vereinigung von Arbeitnehmern, einzelner Arbeitgeber oder der Vereinigung von Arbeitgebern rechtsverbindlich für die beteiligten Personen die Bedingungen für den Ab schluß von Arbeitsverträgen...«
Nachdem so die freien Gewerkschaften und der Abschluß von Kollektiv-Verträgen abgeschafft waren, war der nächste Schritt der Nazi-Verschwörer, die Nazifizierung auf dem Industriesektor sicherzustellen. Ich verweise auf Dokument 1861-PS, den Text des Gesetzes vom 20. Januar 1934, Reichsgesetzblatt 1934, Teil I, Seite 45. Dieses Gesetz hatte den Titel »Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit« und führte das Führerprinzip in den industriellen Betrieben ein. Teil I, Paragraph 1, bestimmte, daß der Arbeitgeber der Führer des Betriebs und die Arbeiter seine Gefolgschaft sein sollten. Nun zitiere ich Teil I, Paragraph 2, auf der ersten Seite des Dokuments 1861-PS:
»Der Führer des Betriebes entscheidet der Gefolgschaft gegenüber in allen betrieblichen Angelegenheiten, soweit sie durch dieses Gesetz geregelt werden.
Er hat für das Wohl der Gefolgschaft zu sorgen. Diese hat ihm die in der Betriebsgemeinschaft begründete Treue zu halten.«
Nachdem die Gewerkschaften aufgelöst waren, und das Führerprinzip in den Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgezwungen worden war, traten die Mitglieder, des Führerkorps zusammen und trafen Maßnahmen, die die freien Gewerkschaften durch die Deutsche Arbeitsfront, die DAF, einen der Partei angeschlossenen Verband, ersetzen sollten. Am selben Tag, an dem die Nazi-Verschwörer die freien Gewerkschaften übernahmen und auflösten, am 2. Mai 1933, gaben sie öffentlich bekannt, daß bei einem Arbeiterkongreß unter der Schirmherrschaft Hitlers am 10. Mai 1933 eine »Einheitsfront der deutschen Arbeiter« gebildet werden würde. Ich zitiere jetzt aus einem Bericht der Nationalsozialistischen Parteikorrespondenz den vorletzten Absatz von Seite 2 des Dokuments 2224-PS:
»Wie die ›Nationalsozialistische Partei-Korrespondenz‹ erfährt, wird am Mittwoch, den 10. Mai, in Berlin im Preußischen Herrenhaus ein großer Arbeiterkongreß stattfinden, [89] auf dem die Einheitsfront der deutschen Arbeit gebildet werden wird. Adolf Hitler wird gebeten werden, die Schirmherrschaft zu übernehmen.«
Die Nazi-Verschwörer benutzten die Deutsche Arbeitsfront, die DAF, als Werkzeug zur Verbreitung ihres Ideengutes unter den Millionen ihrer Zwangsmitglieder. Die Kontrolle des Führerkorps über die Deutsche Arbeitsfront war sichergestellt nicht nur durch die Bestellung des Reichsleiters für die Parteiorganisation, Ley, zum Führer der Arbeitsfront, sondern auch durch die Verwendung einer großen Anzahl »politischer Leiter« zur Verbreitung und Aufzwingung der Nazi-Weltanschauung bei den vielen Mitgliedern der DAF.
Ich zitiere jetzt Dokument 2271-PS, Beweisstück US-328; es sind die Seiten 185 bis 187 des Partei-Organisationsbuchs, auf das ich gestern verwiesen habe. Ich möchte von der ersten Seite der englischen Übersetzung den ersten Absatz verlesen:
»Die Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation (NSBO) ist die Zusammenfassung der politischen Leiter der NSDAP in der Deutschen Arbeitsfront.
Die NSBO ist der Organisationsträger der Deutschen Arbeitsfront.
Die Aufgaben und Zuständigkeit der NSBO sind in die DAF übergegangen.
Die seitens der NSBO in die Deutsche Arbeitsfront abgestellten Politischen Leiter gewährleisten die weltanschauliche Ausrichtung der Deutschen Arbeitsfront im Sinne der nationalsozialistischen Idee.«
Hoher Gerichtshof! Außer dem bereits vorgelegten Beweismaterial gibt es nach Ansicht der Anklagebehörde weitere Beweise für ein Verbrechen insofern, als das Führerkorps der NSDAP für die Plünderung von Kunstschätzen durch den »Einsatzstab Rosenberg« des Angeklagten Rosenberg verantwortlich war; die Definition für »Einsatzstab« ist »Sonderstab«, und mir wurde gesagt, daß »Einsatz« soviel wie »Tätigkeitsausübung« bedeutet. Mit anderen Worten, es war also ein Stab für Sonderaufgaben.
Dieses besondere Thema wurde im Zusammenhang mit dem allgemeinen Thema der »Plünderung von Kunstgegenständen« vorbereitet; ich werde mich daher jetzt den Dokumentenbüchern über die »Plünderung von Kunstschätzen« zuwenden, da sich die Stellen, die ich zitieren will, in diesem kleinen Dokumentenbuch befinden.
Ich komme jetzt zu dem Dokumentenbuch »W« und, vom Text abweichend, möchte ich bemerken, daß der sehr kurze Schriftsatz hierzu, wie mir mitgeteilt wurde, in alle vier Sprachen übersetzt worden ist. Oberst Dostert wird ihn an die einzelnen Delegationen in ihren Sprachen verteilen.
[90] Weiterhin möchte ich erklären, daß sich zu Beginn des Dokumentenbuchs ein Hinweis auf die Plünderung von Kunstgegenständen in den besetzten Gebieten Polens befindet, der zwar nicht direkt zu diesem Thema gehört, wohl aber mit der Verschwörung im allgemeinen zusammenhängt. Ich dachte, daß wir, um Zeit zu sparen, der Zusammenstellung im Dokumentenbuch folgen sollten, da es sehr kurz ist.
Hoher Gerichtshof! Die Teile der Anklage, die hier zu beweisen sind, befassen sich mit der Plünderung von öffentlichem und privatem Eigentum unter Anklagepunkt 1, dem allgemeinen Plan oder Verschwörung. Es ist nicht meine Absicht, alle Stadien der gemeinen Plünderung aufzuzeigen, an denen die Deutschen beteiligt waren. Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs und der Welt auf das von den Angeklagten organisierte gewaltige systematische Programm der kulturellen Aussaugung fast jeden Gemeinwesens in Europa und der damit verbundenen Bereicherung Deutschlands lenken.
Besondere Bedeutung kommt der Tätigkeit des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg zu; die Verantwortlichkeit des Führerkorps wird in diesem Fall von den Angeklagten Rosenberg, Göring und Keitel und von folgenden angeklagten Organisationen geteilt: dem Generalstab, dem Oberkommando, der Gestapo, dem Sicherheitsdienst und der SS.
Bevor ich mich mit der Plünderung von Kunstschätzen durch den Einsatzstab Rosenberg befasse, möchte ich kurz die davon unabhängigen Plünderungsaktionen berühren, die im Generalgouvernement des besetzten Polen mit Ermächtigung des Angeklagten Göring und unter Aufsicht des Angeklagten Frank, des Generalgouverneurs, ausgeführt wurden.
Im Oktober 1939 erteilte Göring einem gewissen Dr. Mühlmann einen mündlichen Befehl, alle polnischen Kulturschätze sofort sicherzustellen. Dr. Mühlmann bezeugt diesen Auftrag im Dokument 3042-PS, das Sie in dem zuletzt vorgelegten Dokumentenbuch, Beweisstück US-375, finden.
VORSITZENDER: Sind die Dokumente im Buch W enthalten?
OBERST STOREY: Ja, im Buch W.
VORSITZENDER: Ich wollte fragen, ob diese Dokumente im Buch W nach den PS-Nummern geordnet sind?
OBERST STOREY: Jawohl. Das erste Dokument befindet sich auf der ersten Seite. Entschuldigen Sie, das ist nicht ganz richtig; 3042-PS würde sich der zahlenmäßigen Reihenfolge nach am Schluß des Buches befinden.
VORSITZENDER: Ich habe es; ich wollte es nur allgemein wissen.
[91] OBERST STOREY: Sie folgen aufeinander. Ich möchte diese eidesstattliche Erklärung vorlegen und vollständig verlesen. Sie wurde in Osterreich abgegeben.
Dr. Kajetan Mühlmann erklärt unter Eid:
»Ich bin seit 1. April 1938 Mitglied der NSDAP; in der SS war ich Oberführer. Ich war nie ein illegaler Nazi.
Ich war der Sonderbeauftragte des Generalgouverneurs von Polen, Hans Frank, für die Sicherung der Kunstschätze im Generalgouvernement, Oktober 1939 bis September 1943.
Den Auftrag hatte mir Göring in seiner Funktion als Vorsitzender des Reichsverteidigungsausschusses erteilt.
Ich bestätige, daß es die offizielle Politik des Generalgouverneurs, Hans Frank, war, alle wichtigen Kunstwerke, die polnischen öffentlichen Einrichtungen, privaten Sammlungen und der Kirche gehörten, in Verwahrung zu nehmen. Ich bestätige, daß die erwähnten Kunstwerke tatsächlich konfisziert wurden, und ich bin mir darüber klar, daß sie im Falle eines deutschen Sieges nicht in Polen geblieben wären, sondern zur Vervollständigung des deutschen Kunstbesitzes verwendet worden wären.«
Unterschrieben und beschworen von Dr. Mühlmann.
Am 15. November 1939 gab Frank eine Verordnung heraus, die offiziell im »Recht des Generalgouvernements« veröffentlicht wurde, Dokument 1773-PS, Beweisstück US-376. Sie findet sich unter E-800, Paragraph 1, Absatz 1. Sie steht nicht im Dokumentenbuch; es ist nur ein kurzes Zitat, und wir bitten den Gerichtshof, von ihm amtlich Kenntnis zu nehmen. Ich zitiere:
»Das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen des früheren polnischen Staates... wird zum Zwecke der Sicherstellung gemeinnütziger Werte aller Art beschlagnahmt.«
In einer weiteren Verordnung vom 16. Dezember 1939, die unter E-845 desselben Werkes erscheint, bestimmte Frank, daß der gesamte öffentliche Kunstbesitz im Generalgouvernement zur Erfüllung gemeinnütziger öffentlicher Aufgaben beschlagnahmt werden sollte, soweit er nicht schon durch die Verordnung vom 15. November erfaßt worden sei. Die Verordnung bestimmt weiter, daß, abgesehen von den Kunstsammlungen und Kunstgegenständen, die Eigentum des polnischen Staates sind, auch diejenigen privaten Sammlungen als öffentlicher Besitz galten, die durch den Sonderbeauftragten noch nicht unter Schutz gestellt waren, sowie der gesamte kirchliche Kunstbesitz.
Am 24. September 1940 ordnete Frank an, daß alles durch die Verordnung vom 15. November 1939 beschlagnahmte Vermögen Eigentum des Generalgouvernements werde. Diese Verordnung findet sich ebenfalls unter E-810 desselben Werkes.
[92] Es ist mir unmöglich, dem Gerichtshof ein vollständiges Bild des gewaltigen Programms zur kulturellen Aussaugung Polens zu geben, die auf Grund dieser Weisungen durchgeführt wurde; denn ich kann nicht die über 500 zählenden Meisterwerke im einzelnen aufführen, die in Dokument 1233-PS, Beweisstück US-377, verzeichnet sind, oder die viele hundert betragenden weiteren Gegenstände, die in Dokument 1709-PS, Beweisstück US-378, verzeichnet sind.
Dokument 1233-PS, das ich in der Hand habe, ist ein fein gebundener und wunderschön gedruckter Katalog, in dem der Angeklagte Frank mit Stolz die größeren Kunstwerke verzeichnet und beschreibt, die er zum Nutzen des Reiches geraubt hat. Dieser Band wurde von der Abteilung für Denkmäler, Schöne Künste und Archive der 3. US-Armee erbeutet und in Franks Wohnung in der Nähe von München gefunden. In der Einleitung wird die Sorgfalt beschrieben, mit welcher der Generalgouverneur Polen seiner kulturellen Besitztümer beraubte. Dies ist im Dokument 1233-PS angeführt.
VORSITZENDER: Wollen Sie es einreichen?
OBERST STOREY: Ich zitiere jetzt vom ersten Absatz der Einführungsseite der englischen Übersetzung. Ich möchte erklärend hinzufügen, daß das Buch die wertvollen Kunstgegenstände namentlich verzeichnet.
Ich zitiere nun aus der Einführungsseite:
»Auf Grund der Verordnung des Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete vom 16. Dezember 1939 konnte der Sonderbeauftragte für die Sicherung der Kunst-, und Kulturgüter innerhalb von sechs Monaten fast den gesamten Kunstbesitz des Landes erfassen, mit einer einzigen Ausnahme: der vlämischen Gobelinfolge aus der Krakauer Burg. Den letzten Nachrichten zufolge befindet sich diese in Frankreich, so daß eine nachträgliche Sicherstellung möglich sein wird.«
Beim Durchblättern dieses Katalogs finden wir, daß er auch Hinweise auf Gemälde deutscher, italienischer, holländischer, französischer und spanischer Meister enthält; auf seltene illustrierte Bücher, indische und persische Miniaturen, Holzschnitte, den berühmten, handgeschnitzten Veit-Stoß-Altar – hier in Nürnberg geschaffen und für Polen angekauft-, kunsthandwerkliche Arbeiten in Gold und Silber, antike Gegenstände aus Kristall, Glas und Porzellan, Gobelins, antike Waffen, seltene Münzen und Denkmünzen. Wie aus dem Katalog hervorgeht, wurden diese Gegenstände aus öffentlichen und privaten Sammlungen einschließlich der Nationalmuseen von Krakau und Warschau, der Kathedralen von [93] Warschau und Lublin, einer Reihe von Kirchen und Klöstern, Universitätsbibliotheken und sehr vielen privaten Sammlungen des polnischen Adels beschlagnahmt.
Ich möchte nun den Katalog vorlegen, der unsere Nummer 1233-PS trägt, und den ich eben als Beweismittel angeführt habe, außerdem das Dokument 1709-PS. Jener letztere Bericht verzeichnet, abgesehen von den 521 größeren Gegenständen, die im Katalog beschrieben sind, viele andere Stücke, die zwar vom künstlerischen Standpunkt nicht weniger bedeutend, von den Deutschen aber vom Standpunkt des Reiches aus als weniger wichtig angesehen wurden.
Es ist interessant festzustellen, welche Mühe sich der Angeklagte Frank gab, den wirklichen Zweck der Beschlagnahme dieser Schätze zu verbergen. Eine Notiz auf dem Umschlag des Dokuments besagt, daß die verzeichneten Werke erfaßt und sichergestellt waren. Seltsam genug, daß man es für notwendig fand, einige dieser Kunstwerke zu ihrem Schutze nach Berlin zu bringen und dort im Depot des Sonderbeauftragten oder im Safe der Deutschen Bank zu verwahren, wie aus Seite 80 des Dokuments 1709-PS, Beweisstück US-378, hervorgeht. Die Gegenstände, die laut Aufstellung nach Berlin gebracht wurden, sind im Katalog für sichergestellte Werke angeführt; ihre Nummern sind 4, 17, 27, 35 und so weiter. 31 besonders wertvolle und weltbekannte Handzeichnungen Albrecht Dürers, die aus der Sammlung Lubomirski in Lemberg genommen wurden, sind ebenfalls sichergestellt worden. Auf Seite 69 dieses Berichts gibt Dr. Mühlmann an, daß er persönlich diese Skizzen Göring übergab, der sie dann dem Führer ins Hauptquartier überbrachte.
Zahlreiche Kunstwerke, Gemälde, Gobelins, Platten, Schüsseln und anderes Tafelgeschirr wurden ebenfalls von Frank sichergestellt; er veranlaßte den Sonderbeauftragten, diese Gegenstände einem Architekten zu übergeben, der mit ihnen das Schloß in Krakau und das Schloß Kressendorf, beides Residenzen des Generalgouverneurs Frank, ausstatten sollte. Anscheinend glaubte Frank, daß diese Gegenstände in seinem eigenen Besitz sicherer wären, besonders, wenn sie dazu verwandt wurden, seine eigene Tafel zu zieren und seine Gäste zu blenden, als wenn sie im Besitz des rechtmäßigen Eigentümers verblieben wären.
Es besteht überhaupt kein Zweifel, daß tatsächlich der gesamte Kunstbesitz Polens für Deutschland beschlagnahmt wurde und im Falle eines Sieges Deutschlands niemals zurückgegeben worden wäre. Dr. Mühlmann, ein bekannter deutscher Kunstsachverständiger, der das Beschlagnahmeprogramm vier Jahre lang leitete und von Frank mit genügenden Vollmachten ausgestattet war, um Erlasse herauszugeben, die im ganzen Land allgemein Geltung [94] hatten, hat das Ziel des Programms in seiner eidesstattlichen Erklärung, auf die ich gerade verwiesen habe, eindeutig klargestellt.
Soviel zum Fall Polen.
Ich möchte nun die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die Tätigkeit des Einsatzstabs Rosenberg lenken, einer Organisation, die die Plünderung der Kunstschätze von fast ganz Europa geplant und geleitet hat. Um einen richtigen Begriff von der Ungeheuerlichkeit dieses Plünderungsprogramms zu bekommen, wird es notwendig sein, sich Europa als Schatzkammer vorzustellen, in der der größere Teil von Werken der Kunst und Literatur aus 2000 Jahren westlicher Zivilisation aufgestapelt war. Man muß sich dann weiter vorstellen, wie diese Schatzkammer von einer Horde Vandalen erbrochen wurde, die entschlossen war, diese Schätze, die in gewissem Sinne Erbgut von uns allen sind, systematisch nach Deutschland zu verbringen, um sie dort zum Genuß, und zur Belehrung nur von Deutschen aufzubewahren. Einmalig in der Geschichte, macht dieses Kunstbeschlagnahmeprogramm unser Vorstellungsvermögen wankend und fordert unsere Leichtgläubigkeit heraus. Die Dokumente, die ich jetzt zum Beweis vorlegen möchte, werden den unanfechtbaren Beweis von der Ausführung der Absicht erbringen, den besetzten Ländern den ganzen Jahrhunderte alten Bestand von künstlerischen und wissenschaftlichen Werken zu rauben.
Ich möchte hier einschalten, daß wir nicht alle Dokumente und Einzelheiten bringen wollen, da unsere sowjetischen und französischen Kollegen eine ganze Menge einzelner Dokumente zur Unterstützung ihrer Anklage wegen Kriegsverbrechen vorlegen werden.
Ich lege jetzt Dokument 136-PS als Beweisstück US-367 vor. Es ist ein Befehl Hitlers vom 29. Januar 1940, der das Kunstbeschlagnahmeprogramm, das sich auf den ganzen Kontinent erstrecken sollte, in Gang brachte. Ich möchte die Aufmerksamkeit der Herren Richter auf dieses Originaldokument lenken, das von Adolf Hitler gezeichnet und in der bekannten Riesenschrift geschrieben ist. Ich verlese den ganzen Befehl; er ist sehr kurz:
»›Die Hohe Schule‹ soll ernst die zentrale Stätte der nationalsozialistischen Forschung, Lehre und Erziehung werden. Ihre Errichtung wird nach dem Kriege stattfinden. Um jedoch die begonnenen Vorarbeiten zu fördern, ordne ich an, daß Reichsleiter Alfred Rosenberg diese Vorbereitungsarbeiten, vor allem auf dem Gebiet der Forschung und Errichtung der Bibliothek, weiterführt. Die Dienststellen von Partei und Staat sind gehalten, ihm in dieser Arbeit jede Unterstützung angedeihen zu lassen.«
Obwohl der oben erwähnte Erlaß die Beschlagnahme von Kunstbesitz nicht besonders erwähnt, wurde das Programm am [95] 5. November 1940 weit über sein ursprüngliches Ziel hinaus ausgebaut und umschloß die Beschlagnahme von jüdischen Kunstsammlungen.
Ich lege nun zum Beweis Dokument 141-PS als Beweisstück US-368 vor, eine beglaubigte Abschrift eines von Göring gezeichneten Erlasses vom 5. November 1940. In ihm ordnet der Angeklagte Göring folgendes an, und ich zitiere:
»In Fortführung der bisher getroffenen Maßnahmen zur Sicherstellung des jüdischen Kunstbesitzes durch den Chef der Militärverwaltung Paris und durch den Einsatzstab Rosenberg... wird mit den in den Louvre gebrachten Kunstgegenständen in folgender Weise verfahren.
1. Diejenigen Kunstgegenstände, über deren weitere Verwendung sich der Führer das Bestimmungsrecht vorbehalten wird,
2. diejenigen Kunstgegenstände, die zur Vervollständigung der Sammlungen des Reichsmarschalls dienen,
3. diejenigen Kunstgegenstände und Bibliotheksbestände, deren Verwendung beim Aufbau der Hohen Schule und im Aufgabenbereich des Reichsleiters Rosenberg angebracht erscheinen,
4. diejenigen Kunstgegenstände, die geeignet sind, deutschen Museen zugeleitet zu werden,...«
So wurde zu Beginn des Jahres 1940, elf Monate nach der Einführung eines Programms zur Errichtung der Bibliothek für ideologische Forschung, das ursprüngliche Ziel dahin erweitert, daß es die Beschlagnahme von Kunstwerken mitumfaßte, jedoch nicht nur zu Forschungszwecken, sondern auch zur Ergötzung Hitlers und Görings und zur Vermehrung der Sammlungen deutscher Museen.
Angetrieben durch den perfiden Traum, einen Kontinent zu unterjochen, konnten sich die Nazi-Verschwörer nicht bloß mit der Ausbeutung der kulturellen Reichtümer Frankreichs zufrieden geben, sondern dehnten ihre Tätigkeit auch schnell auf die anderen besetzten Länder aus. Ich lege jetzt Dokument 137-PS als Beweisstück US-379 zum Beweis vor. Es ist die Abschrift eines von dem Angeklagten Keitel gezeichneten Befehls vom 5. Juli 1940. Ich möchte diesen kurzen Befehl ganz verlesen:
»An den Oberbefehlshaber des Heeres, den Wehrmachtsbefehlshaber in den Niederlanden.
Reichsleiter Rosenberg hat beim Führer beantragt:
1. die Staatsbibliotheken und Archive nach für Deutschland wertvollen Schriften,
2. die Kanzleien der hohen Kirchenbehörden und Logen nach gegen uns gerichteten politischen Vorgängen [96] zu durchforschen und das in Betracht kommende Material beschlagnahmen zu lassen.
Der Führer hat angeordnet, daß diesem Vorschlage zu entsprechen sei und daß die Geheime Staatspolizei – unterstützt durch Archivare des Reichsleiters Rosenberg – mit den Nachforschungen betraut werde. Der Chef der Sicherheitspolizei, SS-Gruppenführer Heydrich, ist benachrichtigt; er wird mit den zuständigen Militärbefehlshabern zwecks Ausführung des Auftrages in Verbindung treten.
Diese Maßnahme soll in allen von uns besetzten Gebieten der Niederlande, Belgien, Luxemburg und Frankreich durchgeführt werden.
Es wird gebeten, die nachgeordneten Dienststellen zu unterrichten.
Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht gez. Keitel«.
Die Tätigkeit des Einsatzstabes Rosenberg wurde von den Niederlanden, Belgien, Luxemburg und Frankreich schließlich auch noch auf Norwegen und Dänemark ausgedehnt. Ich lege hier Dokument 159-PS, US-380, zum Beweis vor; es ist die Abschrift eines von Utikal, dem Chef des Einsatzstabes, unterschriebenen Befehls vom 6. Juni 1944; aus ihm kann man ersehen, daß eine Sonderkommission des Einsatzstabes nach Norwegen und Dänemark gesandt wurde.
Als die deutsche Armee nach dem Osten vordrang, beschlagnahmte der Einsatzstab alle kulturellen Reichtümer, an die er nur heran konnte, und dehnte seine Tätigkeit auf die besetzten Ostgebiete, einschließlich der Baltischen Staaten, der Ukraine, Ungarns und Griechenlands aus. Ich lege nun Dokument 153-PS als Beweisstück US-381 vor; es ist eine beglaubigte Abschrift eines Briefes von Rosenberg an den Reichskommissar für die Ukraine vom 27. April 1942. Der Inhalt dieses Briefes lautet wie folgt:
»Die Errichtung einer Zentralstelle zur Erfassung und Bergung von Kulturgütern in den besetzten Ostgebieten.«
Ich zitiere aus dem letzten Absatz dieses Dokuments:
»Bei den Reichskommissaren wird in der Hauptabteilung II (Politik) für beschränkte Dauer ein Sonderreferat für die Erfassung und Bergung von Kulturgütern geschaffen, dessen Leitung dem zuständigen Leiter der Hauptarbeitsgruppe des ›Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg für die besetzten Ge biete‹ zu übertragen ist.«
VORSITZENDER: Ich glaube, wir können jetzt für 10 Minuten unterbrechen.
[Pause von 10 Minuten.]
[97] OBERST STOREY: Ich lege das Dokument 158-PS als Beweisstück US-382 vor, um zu zeigen, wie die Tätigkeit des Einsatzstabes in Ungarn begann. Es handelt sich um die Abschrift eines Auftrages mit der Initiale von Utikal, dem Stabschef Rosenbergs. Der erste Absatz dieses Dokuments lautet:
»Der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg für die besetzten Gebiete entsendet ein Sonderkommando unter Leitung von Stabseinsatzführer Dr. Zeiß, der durch sein Dienstbuch Nr. 187 ausgewiesen ist, zur Durchführung der im Führererlaß vom 1. März 1942 umschriebenen Aufgaben des Einsatzstabes nach Ungarn.«
Ich unterbreite nun als Beweismaterial Dokument 171-PS, Beweisstück US-383, einen Bericht ohne Datum über »Die Bibliothek zur Erforschung der Judenfrage«. Der fünfte Absatz lautet:
»Die bedeutendsten Büchersammlungen, die heute zum Bestand der Bibliothek zur Erforschung der Judenfrage gehören, sind folgende:«
Der 9. Punkt der folgenden Liste bezieht sich auf:
»Büchersammlungen aus den jüdischen Gemeinden Griechenlands (ca. 10000 Bände).«
Es war natürlich, daß eine in so gewaltigem Umfang durchgeführte Operation, die sich auf Frankreich, Belgien, die Niederlande, Luxemburg, Norwegen, Dänemark, die besetzten Ostgebiete, die Baltischen Staaten, die Ukraine, Ungarn und Griechenland erstreckte, die Mitarbeit einer ganzen Reihe von anderen Dienststellen erforderte. Unter den anderen Dienststellen, die an diesem Plünderungsprogramm mitarbeiteten, waren einige, die hier als Verbrecherorganisation angeklagt sind. Die Mitarbeit des Oberkommandos der Wehrmacht wurde von Hitler durch Erlaß vom 1. März 1942 angeordnet; ich lege ihn jetzt als Dokument 149-PS, US-369, zum Beweis vor. Er ist von Adolf Hitler persönlich unterschrieben und ebenfalls in Riesenbuchstaben geschrieben. Dieser Befehl verlangt den weltanschaulichen Kampf gegen die Feinde des Nationalsozialismus als eine militärische Notwendigkeit und bestätigt erneut die Ermächtigung des Einsatzstabes Rosenberg zu Durchsuchungen und Beschlagnahmungen von Material, das für die Hohe Schule von Wert ist.
Der fünfte Absatz besagt:
»Die Durchführungsbestimmungen über die Zusammenarbeit mit der Wehrmacht erläßt der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht im Einvernehmen mit dem Reichsleiter Rosenberg.«
Da ich gerade bei diesem Dokument bin, auf das später noch einmal verwiesen wird, möchte ich auch die anderen Teile [98] verlesen. Ich mache den Hohen Gerichtshof auf die Verteilerliste aufmerksam. Der Befehl ging an alle Dienststellen der Wehrmacht, der Partei und des Staates. Er lautet:
»Juden, Freimaurer und die mit ihnen verbündeten weltanschaulichen Gegner des Nationalsozialismus sind die Urheber des jetzigen gegen das Reich gerichteten Krieges. Die planmäßige geistige Bekämpfung dieser Mächte ist eine kriegsnotwendige Aufgabe.
Ich habe daher den Reichsleiter Alfred Rosenberg beauftragt, diese Aufgabe im Einvernehmen mit dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht durchzuführen. Sein Einsatzstab für die besetzten Gebiete hat das Recht, Bibliotheken, Archive, Logen und sonstige weltanschauliche und kulturelle Einrichtungen aller Art nach entsprechendem Material zu durchforschen und dieses für die weltanschaulichen Aufgaben der NSDAP und die späteren wissenschaftlichen Forschungsarbeiten der Hohen Schule beschlagnahmen zu lassen. Der gleichen Regelung unterliegen Kulturgüter, die im Besitz oder Eigentum von Juden, herrenlos oder nicht einwandfrei zu klärender Herkunft sind.«
Im letzten Absatz heißt es:
»Die notwendigen Maßnahmen innerhalb der in deutscher Verwaltung befindlichen Ostgebiete trifft Reichsleiter Rosenberg in seiner Eigenschaft als Reichsminister für die besetzten Ostgebiete.«
Unterschrift: »Adolf Hitler.«
VORSITZENDER: Oberst Storey! Ich glaube, der Gerichtshof würde es begrüßen, und wir würden Zeit sparen, wenn die Dokumente, auf die Sie verweisen, vollständig verlesen würden, falls Sie das wünschen; das wäre besser, als wenn Sie jetzt den einen Teil lesen und später nochmals auf dasselbe Dokument zurückkommen.
OBERST STOREY: Sehr wohl. Darf ich erklären, warum das geschah? Ich hatte die Absicht, diese Beweisvorlage in Zusammenhang mit dem Führerkorps zu bringen. Das Dokument wurde an zwei Stellen zitiert, und ich habe es erst bemerkt, als ich anfing.
VORSITZENDER: Ich glaube, es ist viel leichter, den Dokumenten zu folgen, wenn alle Teile eines Dokuments, die Sie verlesen wollen, auf einmal verlesen werden; das ist besser, als einmal einen Satz vorzulesen, später noch einmal einen Satz zu zitieren und dann vielleicht wieder auf dasselbe Dokument zurückkommen, um einen dritten Satz zu lesen. Ich weiß nicht, ob Ihnen das möglich sein wird.
[99] OBERST STOREY: Wir werden versuchen, in dieser Weise zu verfahren.
VORSITZENDER: Danke.
OBERST STOREY: Die Zusammenarbeit mit der SS und dem SD geht aus einem Brief Rosenbergs an Bormann vom 23. April 1941 hervor, Dokument 071-PS, Beweisstück US-371, das ich nunmehr zum Beweis vorlege. Der fünfte Satz des mit »1.« numerierten Absatzes lautet:
»Es versteht sich hierbei von selbst, daß die Gauleitungen von sich aus nicht die Beschlagnahmungen durchführen, sondern daß dies seitens des SD, beziehungsweise der Polizei geschieht.«
Weiter unten im selben Absatz heißt es:
»... weil von einem Gauleiter mir schriftlich mitgeteilt wurde, daß aus der Bücherei eines beschlagnahmten Klosters das Reichssicherheitshauptamt der SS für sich angefordert habe: das katholische Handbuch, Albertus Magnus, die Kirchenväterausgabe, die Geschichte der Päpste von L. v. Pastor und andere Werke.«
Der zweite und letzte Absatz lautet:
»Ich möchte hierzu bemerken, daß hier unsererseits mit dem SD bereits in loyalster Weise auch diese Angelegenheit erledigt ist.«
Der Angeklagte Göring war bei der Förderung der Zwecke des Einsatzstabes Rosenberg besonders eifrig. Wir werden diesen Eifer leicht verstehen, wenn wir uns die Tatsache vor Augen halten, daß er selbst bestimmte, es sollten, nur den Forderungen des Führers nachstehend, »diejenigen Kunstgegenstände, die zur Vervollständigung der Sammlungen des Reichsmarschalls dienen«, einen Vorrang haben. Dieser Reichsmarschall ist Göring.
Am 1. Mai 1941 erließ Göring an alle Partei-, Staats- und Wehrmachtstellen eine Anweisung, die ich zum Beweis als Dokument 1117-PS, US-384, vorlege; es ist ein Originalschriftstück, das Görings Unterschrift trägt. Alle Dienststellen von Partei, Staat und Wehrmacht wurden angewiesen; und nun zitiere ich:
»... dem Stabsführer der Einsatzstäbe des Reichsleiters Rosenberg... jede nur denkbare Unterstützung und Hilfe angedeihen zu lassen. Die Obengenannten sind angewiesen, mir über die Arbeit, insbesondere aber über entstehende Schwierigkeiten zu berichten.«
Am 30. Mai 1942 erhob Göring den Anspruch, daß ein großer Teil des Erfolges des Einsatzstabes ihm zuzuschreiben sei. Ich lege zum Beweis die erbeutete Photokopie eines Briefes von Göring an [100] Rosenberg mit Görings Unterschrift vor. Es ist Dokument 1015 (i)-PS, US-385. Der letzte Absatz dieses Briefes lautet:
»... Andererseits unterstütze ich persönlich ja auch die Arbeit Ihres Einsatzstabes, wo immer ich kann, und ein großer Teil der erfaßten Kulturgüter ist mit darauf zurückzuführen, daß ich durch meine Orga ne dem Einsatzstab hierbei behilflich sein konnte.«
Ich habe die Geduld des Gerichtshofs mit zahlreichen Einzelheiten über Herkunft, Umfang und Tätigkeit der kunstplündernden Organisation in Anspruch genommen, da ich das Gefühl habe, daß es mir unmöglich sein wird, Ihnen über die Größe der Plünderungen die richtige Vorstellung zu vermitteln, wenn ich Ihnen nicht vorher über die gewaltige organisatorische Arbeit berichte, die notwendig war, um den Angeklagten die Möglichkeit zu geben, in Deutschland Kunstschätze von verblüffenden Ausmaßen zu sammeln.
Nichts von Wert war vor dem Zugriff des Einsatzstabes sicher. In Anbetracht der großen Erfahrung des Einsatzstabes in der komplizierten Durchführung der organisierten Plünderung eines Kontinents waren seine Einrichtungen auch geeignet, andere Dinge als nur Kulturgüter zu erbeuten. Als daher Rosenberg Gegenstände für die Ausstattung seiner Verwaltungsämter im Osten benötigte, wurde sein Einsatzstab gedrängt, jüdische Wohnungen im Westen zu beschlagnahmen. Dokument L-188, das ich als Beweisstück US-386 vorlege, ist die Abschrift eines Berichts des Leiters von Rosenbergs Dienststelle Westen, die unter dem Minister für die besetzten Ostgebiete arbeitete. Ich möchte ziemlich ausführlich aus diesem Dokument zitieren und lenke die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs zunächst auf den dritten Absatz von Seite 3 der Übersetzung hin:
»Mit der Durchführung dieser Aufgabe« – das heißt, der Erfassung von Kunstbesitz – »wurde der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg beauftragt.
Im Zuge dieser Erfassung wurde auf Vorschlag durch den Leiter Westen des Einsatzstabes dem Reichsleiter der Vorschlag unterbreitet, die Möbel und sonstigen Einrichtungsgegenstände in den unbewachten jüdischen Wohnungen ebenfalls sicherzustellen und sie dem Reichsminister für die besetzten Ostgebiete zur Verwendung in den besetzten Ostgebieten zuzuführen.«
Der letzte Absatz auf derselben Seite lautet:
»Zunächst wurden sämtliche erfaßten Wohnungseinrichtungen und Gebrauchsgegenstände den Verwaltungen in den besetzten Ostgebieten zugeführt. Durch die einsetzenden Terrorangriffe auf die deutschen Städte und in der Erkenntnis, daß die Belange der Bombengeschädigten des Reiches den[101] Belangen des Ostens vorgehen mußten, hat der Reichsminister und Reichsleiter Rosenberg einen neuen Führerentscheid herbeigeführt, wonach den Bombengeschädigten im Reich die aus der ›M-Aktion‹ anfallenden Wohnungseinrichtungen etc. zur Verfügung gestellt werden.«
Der Bericht fährt mit einer Beschreibung der wirksamen Methoden, die bei der Plünderung jüdischer Wohnungen im Westen angewendet wurden, fort; Anfang von Seite 4 der Übersetzung:
»Die Beschlagnahme der jüdischen Wohnungen erfolgte in der Weise, daß in den meisten Fällen sogenannte Erfassungsbeamte, soweit Adressenmaterial der geflohenen und abgereisten Juden nicht vorlag, wie z.B. in Paris, von Haus zu Haus gingen und feststellten, ob verlassene Judenwohnungen vorhanden waren. Das Inventar dieser Wohnungen wurde durch den Beamten aufgenommen und die Wohnung versiegelt. ... In Paris allein wurden durch rund zwanzig Erfassungsbeamte über 38000 Wohnungen erfaßt. Der Abtransport der Wohnungen erfolgte unter Hinzuziehung des gesamten Fuhrparks der Vereinigung der Pariser Möbelspediteure, die täglich bis zu 150 Lastfahrzeuge mit 1200 bis 1500 französischen Arbeitern zu stellen hatten.«
Hoher Gerichtshof, ich lasse die restlichen Einzelheiten dieses Berichts aus, weil meine französischen Kollegen diese Einzelheiten später vortragen werden.
Plünderungen in solchem Ausmaß erscheinen phantastisch. Ich glaube aber, ich muß eine weitere Feststellung treffen. Obwohl die Beschlagnahme der Einrichtungen von 71000 Wohnungen und ihr Abtransport nach dem Reich in mehr als 26000 Eisenbahnwaggons keineswegs ein kleines Unternehmen ist, so sind doch diese Zahlen im Vergleich zu den Mengen der geplünderten Kunstschätze und Bücher, deren unermeßlicher Wert sich aus dem Dokument er gibt, das ich gerade vorlegen will, verschwindend.
Ich weise nun auf die vor mir liegenden Stapel von ledergebundenen Büchern hin, auf die Herr Justice Jackson in seiner Eröffnungsrede eingegangen ist.
Diese 39 Bände hier vor mir enthalten Photographien von Kunstwerken, die vom Einsatzstab erfaßt wurden; die Bücher sind von Angehörigen des Stabes Rosenberg zusammengestellt worden. Alle diese Bände tragen unsere Dokumentennummer 2522-PS; und ich lege sie jetzt ab Beweisstück US-388 vor.
Ich überreiche den Herren Richtern acht Bände, so daß jeder von Ihnen – sie sind alle verschieden – in eine Probe ihres Inhalts Einblick nehmen kann. Ich weise besonders auf die Titelblätter in den Bänden hin. In den meisten Bänden befindet sich ein Inhaltsverzeichnis des einzelnen Buches in deutscher Sprache; dann folgt [102] eine getreue Photographie nach jedem einzelnen dieser unbezahlbaren Kunstwerke, durch dünnes Seidenpapier voneinander getrennt.
Es handelt sich um 39 solcher Bände, die von unseren Streitkräften erbeutet wurden, als sie in den südlichen Teil des besetzten Deutschlands eindrangen.
VORSITZENDER: Ist irgend etwas über die hier abgebildeten Kunstwerke bekannt?
OBERST STOREY: Ja, ich werde sie später beschreiben. Ich glaube, daß abgesehen von der Erwähnung im Inhaltsverzeichnis jedes einzelne von ihnen noch besonders beschrieben ist.
VORSITZENDER: Ich meinte, ob die Gegenstände, die Möbelstücke oder Gemälde selbst gefunden worden sind?
OBERST STOREY: Ja, Herr Vorsitzender. Die meisten wurden in einer unterirdischen Höhle, ich glaube in Südbayern gefunden. Die Bücher dagegen wurden von unserem Stab in Verbindung mit einer Gruppe von Leuten der US-Armee gefunden, die diese Kunstwerke sammelten und jetzt damit beschäftigt sind, sie ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben. So sind wir in den Besitz dieser Bücher gekommen.
Während die Herren Richter sie betrachten, möchte ich auf die vollständige Zusammenstellung der verschiedenen Gemälde aufmerksam machen; sie ist aus dem Dokument 1015 (b)-PS zu ersehen, das im Dokumentenbuch enthalten ist. Da wir eine solche Zusammenstellung haben, glaube ich nicht, daß die Herren Richter dem Dokument zu folgen brauchen. Falls Sie es wünschen, können Sie die Betrachtung der Bücher fortsetzen.
»Es wurden bis zum 15. Juli 1944 wissenschaftlich inventarisiert:
21903 Kunstgegenstände,
5281 Gemälde, Pastelle, Aquarelle, Zeichnungen,
684 Miniaturen, Glas- und Emaillemalereien, Buch- und Handschriften,
583 Plastiken, Terrakotten, Medaillen und Plaketten,
2477 Möbel von kunstgeschichtlichem Wert,
583 Textilien (Gobelins, Teppiche, Stickereien, koptische Stoffe).
5825 kunsthandwerkliche Gegenstände (Porzellan, Bronzen, Fayencen, Majoliken, Keramik, Schmuck, Münzen, Kunstgegenstände aus Edelsteinen),
1286 Ostasiatische Kunstwerke (Bronzen, Plastik, Porzellan, Gemälde, Wandschirme, Waffen),
259 antike Kunstwerke (Skulpturen, Bronzen, Vasen, Schmuck, Schalen, geschnittene Steine, Terrakotten).«
[103] Die Feststellung allein, daß 21903 Kunstwerke beschlagnahmt wurden, ermöglicht noch keine hinreichende Vorstellung von ihrem Wert. Ich verweise nochmals auf die Erklärung im Dokument: »Der außergewöhnliche künstlerische und materielle Wert der erfaßten Kunstwerke ist in Zahlen nicht erfaßbar«, und auf die Tatsache, daß es Gegenstände von solch einzigartigem Gepräge sind, daß ihre Schätzung gänzlich unmöglich ist. Diese 39 Bände stellen keineswegs einen vollständigen Katalog dar. Es sind höchstens Bilder von etwa 2500 der beschlagnahmten Kunstwerke. Stellen Sie sich bitte vor, dieser Katalog wäre fertiggestellt worden; dann hätten wir anstatt 39 Bände 350 bis 400 Bände. Mit anderen Worten, wären alle Kunstgegenstände inventarisiert worden, wie in diesen 39 Bänden, so wären 350 bis 400 Bände nötig gewesen, um alle zu erfassen.
Hoher Gerichtshof! Wir haben Vorsorge getroffen, ein paar dieser Bilder auf der Leinwand zu zeigen. Bevor wir das jedoch tun und damit zum Ende unserer Beweisführung für diesen Teil des Verfahrens kommen, möchte ich die Aufmerksamkeit des Hohen Gerichtshofs auf Dokument 015-PS lenken. Es trägt das Datum des 16. April 1943 und ist die Abschrift eines Briefes von Rosenberg an Hitler. Der Brief wurde anläßlich des Geburtstags des Führers geschrieben, und als Geschenk überreichte Rosenberg einige Mappen mit Photographien von Gemälden, die sein Einsatzstab beschlagnahmt hatte. Obgleich wir keinen authentischen Beweis dafür haben, nehme ich an, daß wahrscheinlich einige dieser Photographien bei dieser Gelegenheit angefertigt wurden. Im letzten Absatz seines Briefes, Dokument 015-PS, Beweisstück US-387, sagt Rosenberg:
»Ich bitte Sie, mein Führer, mir bei meinem nächsten Vortrag Gelegenheit zu geben, Ihnen über den gesamten Umfang und den Stand dieser Kunsterfassungsaktion mündlich Bericht erstatten zu dürfen. Ich bitte Sie, als Grundlage dieses späteren mündlichen Berichts einen kurzen schriftlichen Zwischenbericht über Verlauf und Umfang der Kunsterfassungsaktion sowie drei Bände des vor läufigen Bilderkatalogs, der auch erst einen Teil der zu Ihrer Verfügung stehenden Sammlung umfaßt, entgegenzunehmen. Die weiteren Kataloge, die sich in Bearbeitung befinden, werde ich in entsprechenden Zeitabständen überreichen.«
Rosenberg schließt dann mit dieser rührenden Huldigung des ästhetischen Geschmacks des Führers, eines Geschmacks, der auf Kosten eines ganzen Kontinents befriedigt wurde; ich zitiere:
»Ich werde mir erlauben, bei dem erbetenen Vortrag weitere 20 Bildermappen Ihnen, mein Führer, zu übergeben in der Hoffnung, daß durch diese kürze Beschäftigung mit [104] den schönen Dingen der Ihnen so am Herzen liegenden Kunst ein Strahl von Schönheit und Freude in die Schwere und Größe Ihres gegenwärtigen Lebens fallen möge.«
VORSITZENDER: Wollen Sie bitte den ganzen Absatz lesen, mit dem Sie begannen; fünf Zeilen vorher, beginnend mit den Worten: »Diese Bildermappe stellt...«
OBERST STOREY:
»Diese Bildermappe stellt eine Ergänzung zu den aus dieser Aktion Ihrer Sammlung bereits seinerzeit zugeführten 53 wertvollsten Kunstwerken dar. Auch diese Mappe vermittelt nur einen schwachen Eindruck von dem außerordentlichen Wert und Umfang der von meiner Dienststelle in Frankreich erfaßten und im Reich sicher geborgenen Kunst werte.«
Meine Herren Richter! Wir möchten jetzt auf der Leinwand ein paar dieser Photographien zeigen. Die Photographien von Gemälden, die wir jetzt zeigen werden, wurden einem einzigen Bande des Katalogs entnommen; sie sind nur Beispiel für die vielen Bände von Bildern ähnlicher Werke. Die anderen Gegenstände, von denen jetzt Aufnahmen vorgeführt werden, stammen aus verschiedenen Bänden über besondere Werke. Zum Beispiel ist der Gobelin, den Sie gleich sehen werden, nur ein Bild aus einem ganzen Bande mit Photos von Wandteppichen. Jedes Bild, das Sie sehen werden, stellt nur ein Exemplar aus einer Anzahl von Bänden mit ähnlichen Bildern dar. Jeder Band, dem diese einzelnen Bilder entnommen sind, stellt nur ungefähr ein Zehntel aller Bände dar, die notwendig wären, um alle Gegenstände darzustellen, die tatsächlich durch den Einsatzstab geraubt wurden. Wir werden jetzt nur einige dieser Aufnahmen sehen.
[Auf der Filmleinwand im Gerichtssaal werden Bilder gezeigt.]
Das erste Bild ist das Porträt einer Frau, ein Gemälde des italienischen Malers Palma Vecchio.
Dieses Bild ist das Porträt einer Frau vom spanischen Maler Velasquez.
Dies ist ein Porträt der Lady Spencer vom englischen Maler Sir Joshua Reynolds.
Dies ist ein Gemälde des französischen Malers Watteau.
Dieses Gemälde zeigt Die Drei Grazien von Rubens.
Dies ist das Porträt einer alten Frau von dem berühmten Maler Rembrandt.
Dieses Gemälde einer jungen Frau stammt von dem holländischen Maler Van Dyck.
[105] Dieses Bild ist das Muster eines Schmuckstückes aus dem 16. Jahrhundert in Gold und Email, mit Perlen verziert.
Dieses Bild zeigt einen Gobelin aus dem 17. Jahrhundert.
Dieses Bild ist ein japanisches Gemälde aus dem Katalogband über Ostasiatische Kunst.
Dann folgt ein Musterstück des berühmten chinesischen Porzellans.
Dieses ist die Abbildung eines kleinen Schrankes mit Silbereinlagen im Stil Louis XIV.
Das letzte Bild zeigt ein silbernes Altarstück spanischer Herkunft aus dem 15. oder 16. Jahrhundert.
Noch einmal mache ich Sie darauf aufmerksam, daß jedes dieser Bilder, die Sie eben sahen, nur ein Musterstück einer großen Anzahl ähnlicher Kunstgegenstände darstellt, die in dem aus 39 Bänden bestehenden Katalog, der an sich nur teilweise vollständig ist, abgebildet sind.
Es ist nicht verwunderlich, daß die Beschäftigung des Führers mit diesen herrlichen Kunstwerken, die ihm sehr am Herzen hingen, einen Strahl von Schönheit und Freude in sein teures Leben brachte. Ich bezweifle, daß irgendein Museum der Welt, gleichgültig ob das Metropolitan in New York, das Britische Museum in London, der Louvre in Paris oder die Tretiakov Galerie in Moskau, einen solchen Katalog wie diesen vorlegen könnte. Selbst wenn alle diese Museen ihre Schätze zusammenlegen wollten, würde diese Kunstsammlung hinter der zurückstehen, die sich Deutschland auf Kosten der anderen Völker Europas zugelegt hatte. Noch nie zuvor in der Geschichte wurde eine so große Sammlung mit so geringen Skrupeln zusammengerafft.
Es ist jedoch erfreulich zu wissen, daß die siegreichen alliierten Armeen die meisten dieser Schätze wieder aufgefunden haben, die zum größten Teile in Salinen, Tunnels und abgelegenen Schlössern verborgen waren; die zuständigen Regierungsstellen sind jetzt damit beschäftigt, diese unschätzbaren Kunstwerke den rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben.
Ich verweise nunmehr auf Dokument 154-PS, einen Brief des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei Dr. Lammers vom 5. Juli 1942 an die Obersten Reichsbehörden und die dem Führer unmittelbar unterstehenden Dienststellen. Dieser Brief wiederholt und ergänzt den Hitlerbefehl, der bereits als Beweisstück vorgelegt wurde; er gibt davon Kenntnis, daß der Führer dem Stab des Angeklagten Rosenberg das Recht verliehen hatte, nach Kulturbesitz zu forschen und ihn zu beschlagnahmen, und zwar kraft der Stellung des Reichsleiters Rosenberg als Beauftragter des Führers für die Überwachung der weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP.
[106] Der Gerichtshof wird sich jedoch daran erinnern, daß der Angeklagte Rosenberg auf Grund dieses Amtes einen Platz in der Reichsleitung oder der Parteileitung des Führerkorps innehatte. Das ergibt sich aus Beweisstück US-370; es wird nur vorgelegt, um den Kreis der Obersten Reichsbehörden und der dem Führer unmittelbar unterstehenden Dienststellen aufzuzeigen.
In einem Brief an den Angeklagten Bormann vom 23. April 1941 protestierte der Angeklagte Rosenberg gegen das willkürliche Ausräumen von Bibliotheken, Klöstern und ähnlichen Instituten durch den SD und andere öffentliche Dienststellen und schlug vor, daß bei Ansprüchen des SD und seines Vertreters die endgültige Regelung über die Beschlagnahme durch den Gauleiter getroffen werden sollte. Dieser Brief ist kürzlich als 071-PS vorgelegt worden; ich zitiere, beginnend mit dem vorletzten Satz am Ende der Seite 1 der englischen Übersetzung, – – ich bedauere, meine Herren Richter, es befindet sich in dem anderen Buch.
VORSITZENDER: Sie haben 071-PS bereits heute Morgen zitiert.
OBERST STOREY: Ja, Herr Vorsitzender, ich werde es für den Augenblick zurückstellen, weil ich sonst auf das andere Dokumentenbuch zurückgreifen müßte.
Ich möchte abschließend zu diesem Thema bemerken, daß die Summe des Beweismaterials meines Erachtens ergibt, daß die Angeklagten und die Verschwörer Rosenberg und Bormann, die in ihrer Eigenschaft als Politische Leiter des Führerkorps der NSDAP und als dessen Mitglieder handelten, an der Verschwörung oder dem allgemeinen Plan teilnahmen, die in Anlagepunkt 1 der Anklageschrift angeführt sind, und daß sie Handlungen begingen, die als Verbrechen in dem dort geprägten Sinne gelten. Demzufolge behaupten wir:
1. Das Korps der Politischen Leiter der Nazi-Partei ist eine Gruppe oder Organisation im Sinne der Begriffsbestimmung des Artikels 9 des Statuts;
2. Die Angeklagten und die Verschwörer Rosenberg und Bormann begingen die im Artikel 6 des Statuts aufgeführten Verbrechen in ihrer Eigenschaft als Politische Leiter des Führerkorps der Nazi-Partei.
Es war zu allen Zeiten der hauptsächliche und zentrale Plan und das Ziel des Führerkorps der Nazi-Partei, die Verschwörung, die die Begehung von Verbrechen im Sinne des Artikels 6 des Statuts bezweckte und in sich schloß, zu leiten, zu verwirklichen, und an ihr teilzunehmen.
Ich möchte jetzt Ihre Aufmerksamkeit noch einmal auf eine Karte lenken, die bereits zu Anfang, soviel ich mich erinnere, durch Major Wallis erläutert wurde; sie ist einer Veröffentlichung mit dem Titel »Das Gesicht der Partei« entnommen. Sie zeigt deutlicher [107] als ich es vermag, wie vollkommen und gründlich die Kontrolle über das Leben eines jeden Deutschen war; sie beginnt mit dem Alter von zehn Jahren, wie Sie unten am Fuße der Karte sehen; und setzt sich durch die verschiedenen Altersstufen hindurch fort.
Beachten Sie das Jungvolk der Altersstufe von zehn bis vierzehn Jahren; dann folgen auf der rechten Seite die Adolf-Hitler-Schule für das zwölfte bis achtzehnte Lebensjahr, die Hitlerjugend für das fünfzehnte bis achtzehnte; SA, NSKK und NSFK für das neunzehnte und zwanzigste Lebensjahr. Dann kommt der Arbeitsdienst – drüben auf der linken Seite. Es schließen sich wieder SA, SS, NSKK und NSFK an. Es folgt die Wehrmacht, und so kommen wir zu dem obersten Kästchen und auf der linken Seite in dieser Spitzenreihe zu den Politischen Leitern der NSDAP. Alle jene Gebäude dort oben sind, soweit ich es verstehe, Ordensburgen der NSDAP. Am Ende dieser Entwicklung kommen wir schließlich ganz oben zu den politischen Führern des deutschen Volkes. Dies ist das letzte Beweisstück und damit schließe ich meinen Vortrag über das Führerkorps.
Der nächste Vortrag befaßt sich mit dem Reichskabinett, der »Reichsregierung«; sie wird nur kurze Zeit beanspruchen.
Meine Herren Richter, ich habe noch etwas nachzutragen, worauf mich Oberst Seay aufmerksam machte; ich möchte es nur erwähnen, damit es ins Protokoll aufgenommen wird. In einem der früheren Dokumente, 090-PS, Beweisstück US-372, das sich in dem anderen Dokumentenbuch befindet, ist eine Erklärung enthalten, aus der klar hervorgeht, daß die Ausgaben des Einsatzstabes Rosenberg, das heißt, die Kosten seiner Tätigkeit, von der Nazi-Partei bestritten wurden.
Hoher Gerichtshof! Ich lege jetzt das Dokumentenbuch »X« vor, das, wie ich glaube, den Herren Richtern schon ausgehändigt wurde. Oberst Dosterts Stab hat überdies eine Tabelle über die Reichsregierung in verschiedenen Sprachen angefertigt; ich glaube, die Herren Richter haben bereits Abschriften davon erhalten. Ich habe hier eine Abschrift in deutscher Sprache, die ich gern dem Verteidiger, der besonders mit diesem Fall befaßt ist, überlassen möchte. Die Verteidigung besitzt ein deutsches Exemplar. Ich weiß nicht, wer es ist...
VORSITZENDER: Meinen Sie den Verteidiger für das Reichskabinett?
OBERST STOREY: Jawohl. Darf ich noch einleitend hinzufügen, daß wir heute Morgen die Eingänge in der Sammelstelle eingesehen haben; nur eine schriftliche Intervention für das Reichskabinett ist eingegangen, und zwar von dem Angeklagten Keitel.
Wir wollen nun die »Reichsregierung« besprechen. Einige einleitende Bemerkungen über diese Gruppe machte bereits Herr [108] Albrecht, als er die Regierungstabelle besprach. Im Interesse des Zusammenhangs wird es jedoch erforderlich sein, einige seiner Bemerkungen kurz zu wiederholen; deshalb bitte ich den Gerichtshof um Nachsicht.
Im Gegensatz zu den meisten anderen in der Anklageschrift erwähnten Gruppen wurde die »Reichsregierung« – damit ist das Reichskabinett gemeint – von der Nazi-Partei nicht besonders geschaffen, um ihre ruchlosen Pläne und Zwecke auszuführen oder zu vervollkommnen. Die »Reichsregierung«, gewöhnlich als das Kabinett bezeichnet, hatte bereits ihren Platz in der verfassungsmäßigen und politischen Geschichte des Landes, bevor die Nazis zur Macht kamen. Wie bei anderen Kabinetten verfassungsmäßig gebildeter Regierungen war auch hier die Exekutivgewalt des Reiches in dieser Körperschaft zusammengefaßt. Die Nazi-Verschwörer wußten das nur zu gut. Sie erkannten sehr wohl, daß ihr Ziel einer totalitären Kontrolle über den Staat nur erreicht werden konnte, wenn sie die obersten Stellen des Staatsapparats an sich reißen, besetzen und ausnutzen konnten. Und das taten sie auch. Unter der Nazi-Herrschaft entwickelte sich die Reichsregierung allmählich zum Hauptagenten der Nazi-Partei; ihre Aufgaben und ihre Politik wurden in Übereinstimmung mit den Zielen und Methoden der Partei formuliert. Die Einrichtung der »Reichsregierung« selbst wurde, zuerst langsam, dann mit wachsender Geschwindigkeit durch die Aufnahme der Nazi-Verschwörer in das Kabinett beschmutzt. Viele von ihnen – sechzehn, um genau zu sein – sitzen heute vor Ihnen auf der Anklagebank. Es gab keinen Plan, kein Komplott, kein Vorhaben, wie gemein, unmenschlich oder ungesetzlich in jedem Sinne des Wortes es auch sein mochte, das die Nazi-Reichsregierung nicht mit dem Schein der Gesetzmäßigkeit umhüllte.
Aus diesem Grunde werden wir den Gerichtshof nach Vorlage der Beweise bitten, diese Körperschaft, wie sie in der Anklageschrift definiert ist, als verbrecherische Organisation zu erklären.
Die Beweisführung zerfällt in zwei Hauptteile: Im ersten Teil werden wir versuchen, die Zusammensetzung und Natur der Reichsregierung unter den Nazis herauszuarbeiten; dabei werden wir kurz ihre Funktionen und Machtvollkommenheiten schildern. Im zweiten Teil werden wir, wie wir glauben in schlüssiger Weise, die Gründe darzulegen trachten, aus denen diese Gruppe mit dem Brandmal »verbrecherisch« behaftet werden sollte.
Wörtlich übersetzt heißt der Begriff »Reichsregierung« »Reich Government«. Tatsächlich wurde, wie schon erwähnt, der Begriff im allgemeinen nur zur Bezeichnung des gewöhnlichen Reichskabinetts verwendet. In der Anklageschrift ist der Ausdruck »Reichsregierung« so definiert, daß er nicht nur die Mitglieder des gewöhnlichen [109] Reichskabinetts, sondern auch die Mitglieder des Ministerrats für die Reichsverteidigung und des Geheimen Kabinettsrats einschließt. Der wirklich wichtige Teil dieser drei ist jedoch, wie die Beweisführung zeigen wird, das gewöhnliche Kabinett. Die Unterscheidung zwischen ihm und den anderen beiden Teilen war in Wirklichkeit nur eine künstliche. Tatsächlich bestand eine personelle Einheit, ebenso wie eine Einheit der Handlungen, Funktionen und Ziele, die jede akademische Trennung verwischte. Wie in der Anklageschrift verwendet, erfaßt der Ausdruck »gewöhnliches Kabinett« die Reichsminister, das heißt die Leiter von Abteilungen der Zentralregierung, ferner die Reichsminister ohne Portefeuille, die Staatsminister, die als Reichsminister handelten, und andere Beamte, die an Sitzungen teilnehmen durften.
Ich möchte hier feststellen, daß insgesamt achtundvierzig Personen dem gewöhnlichen Kabinett angehörten; davon stehen siebzehn vor diesem Gerichtshof als Angeklagte. Bormann ist abwesend. Von den übrigen einunddreißig nimmt man an, daß acht tot sind.
In das gewöhnliche Kabinett wurden die führenden Nazi-Mitarbeiter, die verläßlichen Anhänger, aufgenommen; wenn von Hitler oder dem Kabinett selbst neue Regierungsstellen oder Körperschaften geschaffen wurden, besetzte man die neuen Stellen mit Mitgliedern des gewöhnlichen Kabinetts.
Als am 30. Januar 1933 das erste Hitler-Kabinett gebildet wurde, gab es zehn Ministerien, die als Abteilungen der Zentralregierung betrachtet werden konnten. Ich habe hier eine Schreibmaschinenabschrift der Niederschrift über die erste Sitzung dieses Kabinetts. Sie wurde in den Akten der Reichskanzlei gefunden und trägt die maschinengeschriebene Unterschrift eines Ministerialrats Weinstein, der in der Niederschrift als verantwortlich für das Protokoll bezeichnet wird. Dieses Schriftstück erscheint bereits im Dokumentenbuch »B«, aber ich möchte den Gerichtshof noch einmal auf Seite 4 der Übersetzung hinweisen; es ist Dokument 351, befindet sich in Ihrem Dokumentenbuch und enthält eine Liste der Anwesenden.
VORSITZENDER: 351-PS?
OBERST STOREY: Ja, Herr Vorsitzender, 351-PS, Beweisstück US-389. Die erwähnten zehn Minister sind dort aufgeführt. Es sind: Reichsminister des Auswärtigen, der Angeklagte von Neurath; Reichsminister des Innern, der Angeklagte Frick; Reichsminister der Finanzen, von Krosigk; Reichswirtschaftsminister und Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, Dr. Hugenberg; Reichsarbeitsminister Seldte; Reichsminister der Justiz – hier ist kein Name angegeben, der Posten wurde zwei Tage später mit Gürtner besetzt; Reichskriegsminister, von Blomberg; Reichspost- und Reichsverkehrsminister von Eltz-Rübenach.
[110] Sie werden bemerken, daß der Angeklagte Göring als Reichsminister damals ohne Geschäftsbereich und als Reichskommissar für die Luftfahrt anwesend war, Dr. Gereke als Reichskommissar für Arbeitsbeschaffung. Zwei Staatssekretäre waren anwesend: Dr. Lammers von der Reichskanzlei und Dr. Meißner vom Büro des Reichspräsidenten.
VORSITZENDER: In der mir vorliegenden Abschrift erscheint der Angeklagte Göring als Reichsminister der Luftfahrt.
OBERST STOREY: Ja, Herr Vorsitzender. Ich erwähnte, daß er als Reichsminister und als Reichskommissar für die Luftfahrt erscheint.
VORSITZENDER: Allerdings. Ich las aus den ersten beiden Seiten des Schriftstücks. Sie aber lasen auf Seite 4?
OBERST STOREY: Jawohl.
VORSITZENDER: Sehr gut.
OBERST STOREY: Man hat mir gesagt, daß das Ministerium erst später geschaffen wurde; hier ist es als Reichskommissariat für die Luftfahrt bezeichnet.
Weiter waren anwesend der Angeklagte Funk als Reichspressechef und der Angeklagte von Papen als Stellvertreter des Reichskanzlers und als Reichskommissar für den Staat Preußen.
Nicht lange danach wurden neue Ministerien oder Abteilungen geschaffen, in die führende Nazis eingesetzt wurden. Am 13. März 1933 wurde das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda errichtet. Der betreffende Erlaß erscheint im Reichsgesetzblatt 1933, Teil I, Seite 104, unser Dokument 2029-PS.
Ich nehme an, daß der Gerichtshof Gesetze und Erlasse zur amtlichen Kenntnis nehmen wird wie in den bisherigen Verfahren.
Der verstorbene Goebbels wurde zum Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda ernannt. Am 5. Mai wurde das Luftfahrtministerium errichtet, Reichsgesetzblatt 1933, Teil I, Seite 241, unser Dokument 2089-PS. Am 1. Mai 1934 wurde das Unterrichtsministerium geschaffen. Ich verweise auf Reichsgesetzblatt 1934, Teil I, Seite 365, unser Dokument 2078-PS. Am 16. Juli 1935 wurde das Ministerium für kirchliche Angelegenheiten errichtet, Reichsgesetzblatt 1935, Teil I, Seite 1029, unser Dokument 2090-PS. Der Angeklagte Göring wurde zum Luftfahrtminister, Bernhard Rust, Gauleiter von Süd-Hannover, zum Unterrichtsminister und Hans Kerrl zum Minister für kirchliche Angelegenheiten ernannt.
Nach Ausbruch des Krieges kamen zwei weitere Ministerien hinzu. Am 17. März 1940 wurde das Reichsministerium für Bewaffnung und Munition errichtet, Reichsgesetzblatt 1940, Teil I, Seite 513, unser Dokument 2091-PS. Der verstorbene Dr. Todt, ein hoher Parteifunktionär, wurde auf diesen Posten berufen. Der Angeklagte [111] Speer war sein Nachfolger. Der Name dieser Abteilung wurde im Jahre 1943 in »Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion« geändert, Reichsgesetzblatt 1943, Teil I, Seite 529, unser Dokument 2092-PS. Am 17. Juli 1941, als die Eroberung der Ostgebiete fortschritt, wurde das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete geschaffen. Der Erlaß, durch den der Angeklagte Rosenberg auf den Posten eines Ministers dieser Abteilung berufen wurde, ist bereits als Beweisstück US-319 vorgelegt.
Während der Jahre 1933 bis 1945 wurde ein Ministerium aufgelassen, und zwar das Reichswehrministerium, das später Kriegsministerium hieß. Dies geschah im Jahre 1938, als Hitler am 4. Februar den Oberbefehl über die gesamte Wehrmacht übernahm. Gleichzeitig schuf er die Stelle des »Chefs des Oberkommandos der Wehrmacht«, oder mit anderen Worten, des »Chef des OKW«. Dies war der Angeklagte Keitel. Der Erlaß, der diese Änderung vollzieht, ist im Reichsgesetzblatt 1938, Teil I, Seite 111, veröffentlicht. In unserem Dokumentenbuch erscheint er als 1915-PS; ich möchte eine kurze Stelle aus diesem Erlaß zitieren; sie beginnt am Schluß des zweiten Absatzes:
»Er«, – damit ist der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht gemeint – »ist im Range den Reichsministern gleichgestellt.
Das Oberkommando der Wehrmacht nimmt zugleich die Geschäfte des Reichskriegsministeriums wahr, der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht übt in meinem Auftrage die bisher dem Reichskriegsminister zustehenden Befugnisse aus.«
Noch eine weitere Änderung in der Zusammensetzung des Kabinetts im Laufe der in Frage stehenden Jahre soll hervorgehoben werden. Die Stelle des Vizekanzlers wurde niemals wieder besetzt, nachdem der Angeklagte von Papen am 30. Juli 1934 zurückgetreten war.
Neben den Leitern der von mir erwähnten Abteilungen gehörten zu dem Kabinett auch Reichsminister ohne Geschäftsbereich. Das waren unter anderen die Angeklagten Hans Frank, Seyß-Inquart, Schacht nach seinem Ausscheiden aus dem Wirtschaftsministerium, und von Neurath, nachdem er als Außenminister ersetzt worden war. Es gab noch andere Stellungen, die ebenfalls ein integraler Bestandteil des Kabinetts waren. Dies waren: der Stellvertreter des Führers, der Angeklagte Heß, und sein späterer Nachfolger; der Leiter der Parteikanzlei, der Angeklagte Bormann; der Stabschef der SA, Ernst Röhm, während der sieben Monate vor seiner Ermordung; der Chef der Reichskanzlei Lammers, und, wie bereits erwähnt, der Chef des OKW, der Angeklagte Keitel. Diese Männer hatten entweder den Titel oder den Rang eines Reichsministers. [112] Ich habe bereits Stellen aus dem Erlaß über die Einsetzung des Chefs des OKW verlesen, wo seine Bedeutung in Kabinettsangelegenheiten beschrieben ist. Auf die Bedeutung der Angeklagten Heß und Bormann wird in Kürze eingegangen wer den, während die des Chefs der Reichskanzlei, Lammers, auch bald einleuchtend werden wird.
Es gab aber noch andere, wie zum Beispiel Staatsminister, die als Reichsminister fungierten. Nur zwei Personen fielen unter diese Kategorie: der Chef der Präsidialkanzlei, Otto Meißner, und der Staatsminister für das Protektorat von Böhmen und Mähren, Karl Hermann Frank.
Weiterhin nennt die Anklageschrift als zum ordentlichen Kabinett gehörend »andere, die berechtigt waren, an Kabinettssitzungen teilzunehmen«. In den Jahren 1933 bis 1945 wurden von den Nazis viele Regierungsstellen errichtet; die Besonderheit solcher Errichtungen aber lag darin, daß den Inhabern dieser Posten in den meisten Fällen das Recht der Teilnahme an Kabinettssitzungen verliehen wurde. Diese Liste ist lang, aber von Bedeutung. Teilnahmeberechtigt an Kabinettssitzungen waren die Oberbefehlshaber der Armee und der Marine, der Reichsforstmeister, der Generalinspektor für Wasser und Energie, der Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen, der Reichsarbeitsführer, der Reichsjugendführer, der Chef der Auslandsorganisation im Auswärtigen Amt, der Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern, der preußische Finanzminister und der Reichspressechef.
Dies waren damals die Stellen und einige der Mitglieder des gewöhnlichen Kabinetts. Es waren alles Stellungen, die so allgemein bekannt und offenkundig waren, daß der Gerichtshof amtlich davon Kenntnis nehmen kann. Sie erscheinen überdies alle auf der Karte, die den Titel »Organisation der Reichsregierung« trägt, die vom Angeklagten Frick beglaubigt und von Herrn Albrecht am zweiten Tage der Verhandlung als Beweisstück US-3 eingeführt wurde. Sie können auch durch Gesetze und Erlasse bewiesen werden, die im Reichsgesetzblatt und in der halbamtlichen Monatszeitschrift »Das Archiv« veröffentlicht sind; letztere wurde von einem Beamten des Ministeriums für Volksaufklärung und Propaganda herausgegeben. Alles das liegt jedenfalls meiner Ansicht nach im Bereich der amtlichen Kenntnisnahme durch den Gerichtshof.
Die Personen, die diese Posten im gewöhnlichen Kabinett, bekleideten, wechselten in den Jahren 1933 bis 1945.
Wünschen die Herren Richter, sich um 12,45 Uhr zu vertagen?
VORSITZENDER: Gewiß, wir unterbrechen jetzt.
[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]
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