Kriegsverbrechen und Verbrechen

gegen die Menschlichkeit.

[374] Das nach den Anklagepunkten 3 und 4 gegen Speer vorgebrachte Beweismaterial bezieht sich lediglich auf seine Teilnahme am Zwangsarbeitsprogramm. Speer hatte keine unmittelbare verwaltungsmäßige Verantwortung für dieses Programm. Obwohl er die Ernennung eines Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz befürwortet hatte, weil er eine zentrale Behörde wünschte, mit der er Arbeitsfragen behandeln konnte, erlangte er doch nicht verwaltungsmäßige Kontrolle über Sauckel. Sauckel wurde gemäß Erlaß vom 21. März 1942 unmittelbar von Hitler mit der Maßgabe ernannt, daß er Göring als Beauftragten für den Vierjahresplan unmittelbar verantwortlich sei.

Als Reichsminister für Bewaffnung und Munition und Generalbevollmächtigter für Bewaffnung unter dem Vierjahresplan, verfügte Speer über weitgehende Vollmachten auf dem Gebiete der Produktion. Seine ursprüngliche Vollmacht erstreckte sich auf die Konstruktion und die Erzeugung von Waffen für das OKH. Diese wurde nach und nach ausgedehnt, so daß sie Flottenrüstung, zivile Produktion und endlich seit August 1944 auch die Luftrüstung einschloß. Als führendes Mitglied der Zentralen Planung, welche oberste Gewalt über die Ausrichtung der deutschen Produktion und die Zuteilung und Entwicklung von Rohstoffen hatte, vertrat Speer [374] die Ansicht, daß der Ausschuß befugt war, Anweisungen an Sauckel zu erteilen, Arbeitskräfte für die seiner Kontrolle unterstehenden Industrien herbeizuschaffen, und es gelang ihm, diese Haltung trotz der Einwände Sauckels durchzusetzen. Es entwickelte sich nun die Übung, daß Speer an Sauckel eine Schätzung der Gesamtzahl des Bedarfs an Arbeitern übermittelte, Sauckel die Arbeitskräfte herbeischaffte und sie den verschiedenen Industrien im Einklang mit Weisungen zuteilte, die ihm von Speer erteilt wurden.

Wenn Speer seine Anforderungen an Sauckel stellte, so wußte er, daß sie mit Fremdarbeitern, die unter Zwang dienten, erfüllt werden würden. Er nahm an Sitzungen teil, auf deren Tagesordnung die Ausdehnung des Zwangsarbeiterprogramms zum Zwecke der Befriedigung seiner Anforderungen stand. Er war bei einer Besprechung mit Hitler und Sauckel anwesend, die während der Zeit vom 10. bis 12. August 1942 stattfand, auf der Einigkeit bestand, daß Sauckel mit Gewalt Arbeitskräfte aus den besetzten Gebieten beibringen sollte, wo immer dies nötig war, um den Arbeitsmangel der unter der Kontrolle Speers stehenden Industrien zu stillen. Speer war auch auf der Konferenz in Hitlers Hauptquartier am 4. Januar 1944 anwesend, auf der die Entscheidung getroffen wurde, daß Sauckel »mindestens 4 Millionen neue Arbeitskräfte aus den besetzten Gebieten« beschaffen sollte, um das von Speer gestellte Verlangen nach Arbeitskräften zu befriedigen, obwohl Sauckel feststellte, daß er dies nur mit Hilfe Himmlers tun könne.

Sauckel informierte Speer und seine Stellvertreter fortlaufend darüber, daß Fremdarbeiter mit Gewalt herangezogen würden. Bei einer Sitzung am 1. März 1944 befragte Speers Stellvertreter Sauckel sehr eingehend über dessen Versagen bei der Herbeischaffung von 4 Millionen Arbeitskräften aus den besetzten Gebieten. In einigen Fällen verlangte Speer Arbeitskräfte aus bestimmten fremden Ländern. So wurde Sauckel auf der Konferenz vom 10. bis 12. August 1942 angewiesen, Speer »eine weitere Million russischer Arbeitskräfte für die deutsche Bewaffnungsindustrie bis und einschließlich Oktober 1942« zu verschaffen. Auf einer Sitzung der Zentralen Planung am 22. April 1943 erörterte Speer Pläne, russische Arbeitskräfte für die Kohlengruben zu bekommen und sprach sich glatt gegen den Vorschlag aus, daß dieser Arbeitsmangel von deutschen Arbeitern aufgefüllt werden sollte.

Speer brachte vor, daß er die Reorganisierung des Arbeitsprogrammes befürwortete, um mehr Gewicht auf die Verwendung deutscher Arbeitskräfte in der Rüstungsproduktion in Deutschland zu legen, und auf die Verwendung von Arbeitskräften in besetzten Ländern, zur örtlichen Erzeugung von Verbrauchsgütern, die früher in Deutschland erzeugt worden waren. Speer unternahm Schritte in dieser Richtung, indem er die sogenannten »Sperrbetriebe« in den [375] besetzten Gebieten errichtete, die dazu benutzt wurden, Waren für den Versand nach Deutschland zu erzeugen. Beschäftigte dieser Betriebe waren gefeit gegen die Verschickung nach Deutschland, und jeder Arbeiter, der den Befehl bekam, nach Deutschland zu gehen, konnte die Deportation vermeiden, wenn er in einem Sperrbetrieb zur Arbeit ging. Dieses System, obwohl etwas weniger unmenschlich, als die Verschickung nach Deutschland, war noch ungesetzlich. Das System der Sperrbetriebe spielte nur eine kleine Rolle in dem großen Zwangsarbeiterprogramm, und dennoch drängte Speer auf Zusammenarbeit mit dem Zwangsarbeiterprogramm, da er wußte, auf welche Art und Weise es tatsächlich gehandhabt wurde. In einem offiziellen Sinne war er dessen hauptsächlichster Nutznießer, und er drängte fortwährend auf dessen Ausdehnung.

Als Chef der Organisation Todt war Speer ebenfalls unmittelbar an der Verwendung von Zwangsarbeitern beteiligt. Die Organisation Todt betätigte sich hauptsächlich in den besetzten Gebieten mit solchen Projekten, wie dem Atlantikwall und dem Bau von Heerstraßen, und Speer hat zugegeben, daß er sich auf Zwangsarbeit verließ, um diese mit den erforderlichen Arbeitskräften versehen zu halten. Auch verwandte er Arbeitskräfte aus den Konzentrationslagern in den Industrien, die seiner Kontrolle unterstanden. Ursprünglich traf er Anstalten, um diese Arbeitsquelle zur Verwendung in kleinen, entlegenen Fabriken heranzuziehen; und später machte er, aus Angst vor Himmlers Kompetenzehrgeiz, den Versuch, so wenig Arbeiter wie möglich aus den Konzentrationslagern zu verwenden.

Auch war Speer an der Verwendung von Kriegsgefangenen in der Waffenindustrie beteiligt, behauptet aber, daß er sowjetische Kriegsgefangene nur in den Industrien verwandte, die unter die Genfer Konvention fallen.

Die Stellung Speers war derart, daß er nicht unmittelbar mit den Grausamkeiten bei der Durchführung des Zwangsarbeiterprogramms zu tun hatte, obschon er davon wußte. Beispielsweise wurde er in Sitzungen der Zentralen Planung davon in Kenntnis gesetzt, daß seine Forderungen nach Arbeitskräften so groß waren, daß sie gewaltsame Werbungsmethoden notwendig machten. In einer Sitzung der Zentralen Planung am 30. Oktober 1942 gab Speer seiner Meinung Ausdruck, daß viele Zwangsarbeiter, die sich krank meldeten, Drückeberger seien, und sagte: »SS und Polizei könnten hier ruhig hart zufassen und die Leute, die als Bummelanten bekannt sind, in KZ-Betriebe stecken.« Allerdings bestand Speer darauf, den Zwangsarbeitern angemessene Ernährung und Arbeitsbedingungen zu gewähren, so daß sie tüchtig arbeiten konnten.

Als mildernder Umstand muß anerkannt werden, daß Speers Errichtung von Sperrbetrieben viele Arbeiter zu Hause hielt, und [376] daß er im Endstadium des Krieges einer der wenigen Männer war, welche den Mut hatten, Hitler zu sagen, daß der Krieg verloren sei, und Schritte zu unternehmen, um – sowohl in den besetzten Gebieten, als in Deutschland – die sinnlose Vernichtung von Produktionsmitteln zu verhüten. Er führte seine Opposition gegen Hitlers Politik der verbrannten Erde in einigen westlichen Ländern und in Deutschland durch, indem er diese unter beträchtlicher persönlicher Gefahr bewußt sabotierte.


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 1, S. 374-377.
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