10. Die Teile der Salomonischen Sprüche (Mischlé) und mutmaßliches Alter einiger derselben.

[350] In jedem Lehrbuche zu dem unter dem Namen »Sprüche Salomos« (המלש ילשמ) kursierenden hagiographischen Buche und in jeder Einleitung zur heiligen Schrift wird auseinandergesetzt, daß die ganze Komposition aus drei ungleichen Teilen mit drei Appendizes zum Schlusse besteht, die erste von Kap. 1-9 inkl., die zweite von Kap. 10-24 und die dritte von Kap. 25-29. Kap. 30-31 bilden die Anhänge. Der zweite Teil gibt sich allerdings selbst als eine von der vorhergehenden gesonderte Partie durch die besondere Überschrift המלש ילשמ zu erkennen, sowie der dritte Teil durch die Überschrift: רשא המלש ילשמ הלא םג הדוהי ךלמ היקזח ישנא וקיתעה. Diese Einteilung ist zwar nicht ganz richtig, wie sich weiter zeigen wird. Wir wollen sie indes vor der Hand gelten lassen. Über das Zeitalter aller dieser Teile gehen die Ansichten der Exegeten weit auseinander. Aus den meistens isolierten und untereinander unzusammenhängenden Sentenzen des zweiten Teiles wird sich schwerlich die Abfassungszeit derselben ermitteln lassen, und ebensowenig die der Appendizes. Wohl aber dürfte die Entstehungszeit des ersten und dritten Teils sich mit einiger Wahrscheinlichkeit feststellen lassen. Wir müssen von dem ersten Teil ausgehen. Dieser gibt sich selbst als Einleitung zur ganzen Sammlung zu erkennen. Er gibt nämlich selbst den Zweck der Spruchsammlung an. Dieser Zweck sei, den Unerfahrenen und Jüngeren Lebensklugheit, Erkenntnis und Überlegung zu gewähren (1, 4): המזמו תעד רענל המרע םיאתפל תתל, aber auch den Weisen und Verständigen, welche sich aus eigener Erfahrung gewisse Lehren abstrahiert haben, noch mehr Einsicht zu verschaffen, die sie aus ihrer Sphäre nicht erkannt haben können (1, 6): םכח עמשי הנקי תולבחת ןובנו חקל ףסויו; vergl. noch 9, 9. Der Verfasser der Einleitung gibt auch das Motiv an, das ihn bewogen hat, dieselbe voranzuschicken, weil er nämlich wahrgenommen habe, daß die Gottesfurcht, das erste aller Erkenntnis, die Weisheit und die Lehre der Sittlichkeit in seinem Zeitalter verachtet werden (1, 7): וזב םיליוא רסומו המכח – תעד תישאר – 'ה תארי. Dieser Vers ist nicht ein Motto zur ganzen Einleitung, sondern der Anfang derselben. Das, was dieser Teil gegen Ende als die Hauptsumme der Erkenntnis aufstellt (9, 10): הניב םישדק תעדו 'ה תארי המכח תלחת, und was die Freunde Hiobs, die Vertreter der altisraelitischen Anschauung, als das Alpha und Omega hervorheben (Hiob 28, 28): הניב ערמ רוסו המכח איה 'ה תארי ןה, das nimmt der Verfasser der Einleitung vorweg: »die Gottesfurcht, als Anfang und Bestes der Weisheit« verachten die Toren (vergl. noch 1, 29). Diese Toren und Unerfahrenen, welche aus Mangel an Überlegung nicht wissen, von welchen Folgen ihre Handlungen begleitet seien, will er belehren. Daher die [350] öfter angebrachte Anrede ינב oder םינב und die Apostrophe an die םיאתפ (1, 22; 8, 5; 9, 6). Es kommt also darauf an, zu bestimmen, welcher Zeit diese Einleitung angehört. Was bisher darüber bemerkt wurde, ist weit entfernt zu befriedigen.

Unverkennbar warnt dieser Teil ganz besonders vor zwei groben Lastern, vor Räuberei und vor Unzucht. Die Verführung zum Straßenraub, der selbst vor Mord nicht zurückschreckt, ist 1, 11-14 geschildert. Noch drastischer ist die Schilderung der Verführung zur Unzucht 7, 6-22. In welcher Zeit waren diese beiden groben Laster unter den Israeliten oder Judäern im Schwange? Ziehen wir Deutero-Jesaia zu Rate. In Kap. 59 wird ein ganzes Register von Sünden und Lastern aufgezählt, welche eine Scheidewand zwischen Gott und seinem Volke bilden (V. 2): םכיתונוע םכיהלא ןיבו םכיניב םילידבמ ויה. Unter den Lastern wird besonders Mord und Blutvergießen hervorgehoben (V. 3): ןועב םכיתועבצאו םדב ולאגנ םכיפכ יכ. In dieser Aufzählung kommt ein Vers vor (7): וצורי ערל םהילגר יקנ םד ךפשל ורהמיו, der ganz ebenso in dem Einleitungsteil zu den Sprüchen lautet (1, 16): ערל םהילגר יכ םד ךפשל ורהמיו וצורי. Ist diese Gleichheit des Ausdruckes bei zwei verschiedenen Schriftstellern zufällig? Man hat diese Parallele durch Entlehnung erklärt. Allein es ist nicht die einzige Parallele bei Deutero-Jesaia und beim Proömium zu den Sprüchen; (das. 2, 15). םתולגעמב םיזולנו םישקע םהיתחרא רשא, (Jesaia 59, 8): םהל ושקע םהיתוביתנ םתולגעמב טפשמ ןיא. Man vergleiche nur die Anhäufung von Rügen (Sprüche 6, 12 bis 19): ובלב תכפהת... הפ תושקע ךלוה ןוא שיא לעילב םדא בל .יקנ םד תוכפש םידיו רקש ןושל תומר םיניע... ער שרח םיבזכ חיפי הערל ץורל םירהממ םילגר ןוא תובשחמ שרח, man vergleiche diese mit (Jesaia 59, 3b–6): ורבד םכיתותפש סמה לעפו ןוא ישעמ םהישעמ .הגהת הלוע םכנושל רקש םהיפכב. Auch V. 13 'וגו הרסו (קתע) קשע רבד. Also in beiden Schriften dieselbe Rüge über Herzensverdorbenheit, Unwahrhaftigkeit und Gemeinheit fast mit denselben Worten ausgedrückt. Diese frappante Parallele führt schon darauf, daß das Proömium derselben Zeit wie Deutero-Jesaia angehört, nämlich der Zeit während des babylonischen Exils.

Diese Annahme wird noch durch folgende Momente unterstützt. Deutero-Jesaia, welcher die Erlösung und die Rückkehr nach Judäa zum Hauptthema hat, sichert sie nur den Frommen, Auserwählten, den Gottesdienern zu; nur um dieser wenigen willen werde Gott das Volk nicht untergehen lassen (65, 8-9): ןכ ערז בקעימ יתאצוהו לכה תיחשה יתלבל ידבע ןעמל השעא המש ונכשי ידבעו יריחב הושריו ירה שרי הדוהימו. Den Frevlern dagegen wird Untergang angedroht, sie sollen keinen Anteil an dem heiligen Lande haben. (V. 11 bis 14): ישדק רה תא םיחכשה 'ה יבזע םתאו. Die Frommen nennt auch dieser exilische Prophet םיונע, und nur zu ihrer Freude will er frohe Botschaft verkünden (61, 1): ינחלש םיונע רשבל. Der Hauptgedanke ist also, daß nur die »sanftmütigen Dulder« die Anawim, das heilige Land in Besitz nehmen werden, die Frevler dagegen werden davon ausgeschlossen sein. Derselbe Gedanke kommt auch in Psalm 69 vor, dessen exilischer Ursprung von sehr vielen Auslegern, sogar schon von Kirchenvätern anerkannt wird. Es liegt deutlich genug im Schlusse (V. 35): הדוהי ירע הנביו ןויצ עישוי םיהלא יכ. Nun, dieser Psalm verkündet die Erlösung und die Rückkehr lediglich den Anawim: הולחני וידבע ערזו המש ונכשי ומש יבהאו. – (V. 32): .l) וחמשו םיונע ואר תאו 'ה םינויבא לא עמש יכ םכבבל יחיו םיהלא ישרד (וחמשו הזב אל ויריסא [l. wesimchu] betont doch handgreiflich das Leiden der Frommen im Exile und ihre Hoffnung[351] auf die Erlösung. (Vergl. Ps. 102, der mit diesem viel Ähnlichkeit hat, V. 14 'וגו ןויצ םחרת םוקת התא und V. 21 ריסא תקנא עמשל). Aus Deutero-Jesaia und Ps. 69 lernen wir die Bedeutung der so häufig vorkommenden Redeweise: ץרא ןכש oder ץרא שרי kennen; sie will nichts anderes sagen, als das Land der Heimat wieder in Besitz nehmen, es wieder bewohnen. Sie setzt durchweg die Exilszeit voraus. So Ps. 37, der diese Zusammenstellung wiederholt. (V. 9): ןותרכי םיערמ יכ ץרא ושריי המה 'ה יוקו. Dabei ist die Emphase des Pronomens המה zu beachten: »sie, nur sie werden das Land wieder in Besitz nehmen. (V. 11): ושריי םיונעו ץרא. (V. 22): ותרכי ויללקמו ץרא ושריי ויכרבמ יכ. (V. 29): הילע דעל ינכשיו ץרא ושריי םיקידצ. (V. 34b): ךממוריו הארת םיעשר תרכהב ץרא תשרל. Unstreitig ist auch dieser Psalm exilisch. Der Gegensatz der םיעשר und םיונע ist hier ebenso scharf markiert, wie in Deutero-Jesaia. Wie dieser Prophet, so stellt auch dieser Psalm die Rückkehr, Glück und Freude lediglich den Frommen in Aussicht, den Frevlern dagegen verkündet er völligen Untergang (ןותרכי).

Dieses Kriterium der exilischen Abfassungszeit gibt die Gewißheit an die Hand, daß auch das Proömium zu Mischlé der exilischen Zeit angehört. Dieselbe Redeweise wie in Deutero-Jesaia und in den exilischen Psalmen findet sich hier (2, 21): םירשי יכ וחסי םידגבו ותרכי ץראמ םיעשרו הב ורתוי םימימתו ץרא ונכשי הנממ. Die Bezeichnung der Anawim fehlt auch hier nicht (3, 34): ןח ןתי םיונעלו. Die verwilderten Zustände, das Räuberleben und das Laster der Unzucht, die Parallelen mit Deutero-Jesaia, die Hinweisung auf den Wiederbesitz des Landes für die Frommen, alle diese Momente weisen das Proömium der exilischen Zeit zu. Dazu kommen noch einige Eigentümlichkeiten. Der ägyptische Stoff ןוטא (7, 16) ὀϑόνια und zwar die Bettücher aus feinem ägyptischen Linnen, ὀϑόνια, םירצמ ןוטא תיבטח, was sonst in der Bibel nicht vorkommt, weist auf Babel hin; ebenso die Handelsgeschäfte mit weiten Reisen verbunden (7, 19-20): .ודיב חקל ףסכה רורצ קוחרמ ךרדב ךלה

Diese Abfassungszeit läßt sich auch noch von einer anderen Seite erhärten. Delitzsch ist meines Wissens der einzige, welcher die nahe Verwandtschaft des Proömiums mit dem Stücke 22, 17-24, 22 (das von dem Folgenden durch םימכחל הלא םג gesondert ist), erkannt hat (Herzog, Real-Enzykl. XIV, S. 707f.). Es ist geradezu auffallend, daß diese Verwandtschaft nicht früher erkannt wurde und noch gegenwärtig nicht anerkannt ist. Der ganze Ton des letzten Stückes klingt wie in der Einleitung. Die Anrede an ינב, die Warnung vor Unzucht und Gewalttätigkeit, die Empfehlung zur Vorsicht bei Bürgschaft, alles erinnert in dieser Partie an das Proömium. Man kann sie daher geradezu ein Nachwort nennen. Das Verhältnis läßt sich derart denken. Der Verfasser hat eine alte Spruchsammlung (Kap. 10-22) aufgefrischt und sie mit einem Vorworte und Nachworte versehen. Die Anlage der letzten Partie gibt sich eben als Nachwort (V. 22, 17): ךנזא טה םימכח ירבד עמשו bezieht sich nämlich auf die Einleitung (11, 6): םתודחו םימכח ירבד ןיבהל. Die vorgefundene Sammlung bezeichnet der Verfasser als ירבד םימכח, und fordert die Leser auf, sie sich zu merken und zu beherzigen. Ja, er empfiehlt, sie auswendig zu lernen (18b): ךיתפש לע ודחי ונוכי. Er erinnert daran, daß er kurz vorher dergleichen geschrieben (20): אלה תעדו תוצעמב םושלש ךל יתבתכ. Das Ketib םושלש kann nichts anderes bedeuten, als »vorgestern« wie Ibn-Esra, Umbreit und noch einige neuere Exegeten es auffassen. Jede andere Erklärung nach Keri םישלש [shalishim] ist gezwungen. Aber das, was er schon[352] früher geschrieben, will er jetzt wieder einprägen (V. 19): אלה (התע) התא ףא םויה ךיתעדוה ךחטבמ 'הב תויהל םושלש ךל יתבתכ. So werden ja augenfällig hier drei Stücke unterschieden: 1. Die alte Sammlung – ילשמ םימכח ירבד המלש, welche auswendig gelernt werden soll, 2. die Einleitung, die der Verfasser »vorgestern« geschrieben hat, und 3. die Ermahnung, die er heute, eben jetzt התע ףא םויה gibt. Vgl. K. II, 14, 14.

Man ist also kritisch berechtigt, Einleitung und Nachwort als das Erzeugnis eines und desselben Verfassers anzusehen und in eine und dieselbe Zeit zu setzen. Dieses Nachwort hat aber auffallende Parallelen mit exilischen Psalmen, die nicht hätten übersehen werden sollen:


Sprüche.

23, 17: םויה לכ 'ה תאריב םא יכ םיאטחב ךבל אנקי לא

23, 18: תרכת אל ךתוקתו תירחא שי םא יכ

24, 1: הער ישנאב אנקת לא.

24, 14b: תרכת אל ךתוקתו תירחא שיו.

24, 19-20: היהת אל יכ םיעשרב אנקת לא םיערמב רחתת לא .(עשרל) ערל תירחא


Psalm 37.

V. 1: הלוע ישעב אנקת לא םיערמב רחתת לא

V. 7b: תומזמ השע שיאב וכרד חילצמב רחתת לא

V. 37b: םולש שיאל תירחא יכ.

V. 38b: התרכנ םיעשר תירחא.


Der Wohlstand der Optimaten im babylonischen Exile hat einerseits den Neid der Schwankenden und anderseits die Empörung der Frommen erregt. Der Spruchdichter und der Psalmist, beide warnen davor und versichern, daß das Ende dieser Reichen und Optimaten ein unglückliches sein, und auch ihre Nachkommenschaft untergehen werde. Diese Stimmung hat ihren Hintergrund in der Situation der Exulanten in Babylonien. – Es ließe sich noch manches in dem Nachworte für die exilische Abfassungszeit anführen. So z.B. 24, 11: 'וגו תומל םיחקל לצה; V. 21: ינב 'ה תא ארי ברעתת לא םינוש םע ךלמו; doch würde es hier zu weit führen. Auch die Verwandtschaft des Vor- und Nachwortes mit Hiob kann hier nicht auseinandergesetzt werden. Es genügt aus vielen Momenten die exilische Abfassungszeit dieser beiden Partien nachgewiesen zu haben. Der Teil von Kap. 1 bis Kap. 24, 22 bildet demnach nur eine einzige Schrift. Sie besteht, wie gesagt, aus einer älteren Spruchsammlung mit ermahnenden Zusätzen von einem im Exile lebenden Verfasser. – Die wenigen Verse, 24, 23-34, mit dem Eingange םימכחל הלא םג bilden lediglich einen Nachtrag.

Der zweite Hauptteil beginnt mit der Überschrift םג 'וגו וקיתעה רשא המלש ילשמ הלא. Das Wort וקיתעה ist von den Auslegern förmlich gepreßt worden. »Transferre e loco in locum« kann doch unmöglich auch involvieren »congerere, zusammentragen, aus einem Buche ausschreiben« (ἐκγράφειν nach LXX) oder aus einer mündlichen Quelle »niederschreiben« bedeuten! Ebenso abgeschmackt ist es, das Wort durch ordine disponere oder durare facere zu erklären, etwa von קתע, alt. Wenn das Wort einen Sinn haben soll, so kann es ihn lediglich durch וקיתמה erhalten. Da man im Hebräischen sagen kann דוס קיתמה »süße Beratung pflegen«, so kann man ebenso gut ausdrücken: םילשמ קיתמה, »süße Sprüche dichten«, wie man auch תורימז םיענמ sagt (Bd. I, S. 265, Anm.). Es ergibt sich daraus, daß dieser Teil von den Leuten Chiskijas oder seinen Freunden (LXX οἱ φίλοι) verfaßt wurde und überhaupt nicht von einem einzigen, sondern von mehreren. Sie gehören [353] alle der Chiskijanischen Zeit an, oder sie können ihr angehören, d.h. es kommt kein Element darin vor, das unzweideutig auf eine frühere oder spätere Zeit hinwiese. An der Überschrift הלא םג המלש ילשמ darf man sich ebenso wenig stoßen, wie an der Überschrift דודל zu den meisten Psalmen. Sie will wahrscheinlich nur sagen: »Salomonische Sprüche« in dem Sinne, daß sie nach Art der Salomonischen gebaut und angelegt seien. Man hat bemerkt, daß in den Sentenzen dieser Abteilung mehr Zusammenhang herrscht, als in denen des ersten Hauptteils. Ganz besonders zeigen die ersten 9 Verse (2-10) strengen Zusammenhang und reflektieren die Chiskijanische Zeit. Wenn dieser Zusammenhang bisher vermißt wurde, so liegt es an der unkritischen Auslegung. Vers 2 דובכ רבד רקח םיכלמ sagt aus, daß der König berufen sei, jede Sache, jede Anklage zu untersuchen, nicht etwa zu verzeihen, dieses sei Gottes Sache רתסה םיהלא דובכ רבד. Auch die folgenden Verse bewegen sich um den Gedanken der Erforschung eines Verbrechens oder Vergehens und der Berechtigung oder Nichtberechtigung, Klagen darüber vor den Richterstuhl des Königs zu bringen. In V. 4-5 wird das Verbum הגה nur als Wortspiel gebraucht. Die Bedeutung von הגה oder הגי als »ziehen, schleifen« ist gesichert durch Samuel II, 20, 13. – ףסכמ םיגיס וגה bedeutet hier, »ziehen Schlacken aus Silber« und ךלמ ינפל עשר וגה »ziehen den Frevler (zur Anklage) vor den König«. »Den Frevler scheiden oder ausscheiden vor dem König« ist Blödsinn. Der Sinn von V. 5 ist demnach, daß es eine Pflicht sei, den ausgemachten Frevler vor den Richterstuhl des Königs zur Bestrafung zu ziehen; denn durch Gerechtigkeit, die der König an Verbrechern übt, wird sein Thron nur befestigt. Er darf nicht nachsichtig sein. VV. 6-7 sind nur verständlich, wenn man den Schluß ךיניע ואר רשא richtig auffaßt. Leider ist dieser Schluß von allen, allen Ausl. verkannt worden, obwohl LXX und Syrer den richtigen Sinn an die Hand geben: ᾃ εἶδον οἱ ὀφϑαλμοί σου λέγε. Peschito: רמא וה ךיניע וזחד םדמ d.h. דגה ךיניע ואר רשא תא [haged] »das, was deine Augen gesehen haben, sage«, d.h. nur das, was du selbst gesehen hast, sage aus – vor dem König. Die Verse enthalten also eine Warnung, sich nicht zu dem Richterstuhl des Königs oder zur Stätte der Großen heranzudrängen – um Anklagen vorzubringen. Die folgenden Verse warnen ebenfalls vor übereilten Anklagen und namentlich vor Einmischung. In Vers 8 setzt das ןפ eine Ellipse voraus, etwa wie 30, 6 תבזכנו ךב חיכוי ןפ; sonst ist der Vers unverständlich, wie sämtliche Übersetzungen beweisen.

Die neun Verse bilden demnach eine einheitliche Gruppe; sie ermahnen einerseits, zur Entlarvung von Frevlern beizutragen, und warnen anderseits vor Übereifer, Angeberei und Einmischung. Da in Chiskijas Zeit eine Art Revolution stattgefunden hatte, indem die ersten die letzten und die letzten die ersten geworden waren, die Armen aus dem Staube erhoben wurden, und die Satten sich um Brot vermieten mußten (vergl. II. Bd. 1. Hälfte, S. 234 f.), so war Tür und Tor für Anklagen und Angeberei geöffnet. Die früher Unterdrückten konnten durch Anklagen gegen früher Hochgestellte deren Sturz bewirken. Diese Verse wollen nun an die Hand geben, in solchem Falle maßzuhalten und sich nicht an den gerechten König allzusehr heranzudrängen. Diese Gruppe stammt also wahrscheinlich von »Weisen« aus der Chiskijanischen Zeit. Vers 18, welcher die Gefährlichkeit faschen Zeugnisses schildert, könnte auch noch zu dieser Gruppe gehören. Nur müßte man die Gedankenverbindung mit den ihm voraufgehenden Versen suchen, was indes schwierig scheint und allenfalls mit Vers 11-12 gelingen könnte, welche von der Bedeutsamkeit des Wortes an [354] rechter Stelle und von der Nützlichkeit des Tadels gegen einen gefügigen und gelehrigen Menschen handeln. – Ob auch die übrigen Sentenzen dieses Teils, die größtenteils Lebenserfahrungen enthalten – nur wenige derselben sind moralischer und religiöser Natur – der Chiskijanischen Zeit angehören, wird sich schwer ermitteln lassen. Sie stammen übrigens nicht von einem einzigen Spruchdichter, sondern von mehreren, von den היקזח ישנא, wie die Überschrift sagt. Bilden diese Sprüche einen abgeschlossenen Teil, so könnte die Partie von Kap. 30 an als Anhang zu demselben betrachtet werden. – Das ganze Buch der Sprüche zerfällt demnach in zwei umfassende Teile, gewissermaßen in Salomonische und Chiskijanische Sprüche, wie der Psalter ursprünglich ebenfalls in zwei Teile angelegt war, in Davidische Gesänge und anderweitige, nämlich Korachidische, Assaphidische usw.

Der erste Teil besteht 1. aus der Hauptpartie Kap. 10-22, 16; 2. der Einleitung Kap. 1-9; 3. dem Nachworte 22, 17-24, 22, und endlich einem kurzen Anhang 24, 23-34, nämlich םימכחל הלא םג. – Der zweite Hauptteil besteht 1. aus der Hauptpartie 24-29; 2. einem Anhang Kap. 30 רוגא ירבד; 3. einem zweiten 31, 1-9 לאומל ירבד und 4. dem Lobspruch auf ein wackeres Weib 31, 10f. ליח תשא.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1902], Band 2.2, S. 350-355.
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