10. Die Einsetzung des Abendmahles.

[398] Kein Zug verrät so sehr die Unechtheit der von Jesu in den Evangelien tradierten Reden und Institutionen, als die Einsetzung des Abendmahls. Am Rüsttag des Festes der ungesäuerten Brote (τῇ πρώτς τῶν ἀζύμων, näher im Lukasevangelium ἡ ἡμέρα τῶν ἀζύμων ἐν ἧ ἔδει ϑύεσϑαι τὸ πάσχα), d.h. am vierzehnten Nisan gab Jesus seinen Jüngern den Auftrag das Passahlamm vorzubereiten; an demselben aß er das Mahl, indem er das Brot für seine Jünger brach und den Kelch herumgehen ließ, und setzte an demselben Abend das Abendmahl ein. Diese Relation bringt die Interpreten in Verzweiflung. Drei unauflösliche Schwierigkeiten bieten sich hierbei dar: 1. Wie konnte Jesus am Abend des vierzehnten Nissan das Passahmahl feiern, da er doch an demselben Tage [398] gekreuzigt wurde? 2. Warum kennen nur die drei synoptischen Evangelien die Einsetzung des Abendmahls, während das Johannisevangelium seiner auch nicht mit einer Silbe erwähnt? 3. Warum kommt bei diesem Passahmahl Jesu nur Brot und Wein, und nicht das Hauptrequisit, nämlich das Fleisch vom Passahlamm vor, um dessentwillen er doch seinen Jüngern den Auftrag gegeben hat? Um die erste Frage zu beantworten, haben die Interpreten und Harmonisten zu allerlei Hypothesen gegriffen, die aber nur von der großen Not zeugen, etwas als geschichtlich festhalten zu wollen, was sich doch so augenscheinlich als Sage verrät. Man erklärte, Jesus habe schon am dreizehnten Nisanabend das Passah genossen, weil er vorher gewußt, daß er durch seinen Tod an dem folgenden Abend daran verhindert sein werde; oder, Jesus habe es wohl am rechten Tage genossen, das Synhedrion hätte aber das Passah um einen Tag verschoben, weil es den Zusammenlauf des Volkes gefürchtet; weiter, Jesus habe kein wirkliches Passah genossen, sondern nur ein πάσχα μνƞμονευτικόν, das auch am dreizehnten stattfinden durfte; ferner, wegen der Differenz zwischen Sadduzäern und Pharisäern seien damals zwei verschiedene Rüsttage vorgekommen; ferner, man habe überhaupt das Passahlamm schon am dreizehnten Abend genossen, welches der Vorabend des Passahtages sei; endlich, man habe wegen des Sabbats den Passahtag verschoben, weil am Sabbat die Opfervorbereitungen nicht vorgenommen werden durften. Alle diese und noch andere wunderliche Erklärungen finden sich in Wieners biblischen Realwörterbuche, Artikel Passah, zusammengestellt und sehr gründlich widerlegt. Den Schlüssel zu diesen Rätseln gibt aber das Verhältnis der synoptischen Evangelien zu dem johanneischen. Die ersteren enthalten bekanntlich viele judenchristliche Traditionen, während das letztere, im heidenchristlichen Kreise entstanden, wenig davon hat. Die Judenchristen kannten aber nach der Zerstörung des Tempels, als das Opferwesen unmöglich geworden war, nur das πάσχα μνƞμονευτικόν, aus dem ungesäuerten Brote (הוצמ תצמ) und dem Weine (תוסוכ עברא) bestehend. Daher wissen die evangelischen Erzählungen nichts vom Opferlamm, sie heben nur hervor das bestimmte pflichtmäßige Brot (ὁ ἄρτος); so richtig in Matthäus 26, 26, λαβὼν τὸν ἄρτον, in den übrigen, so im ersten Korintherbrief, falsch ohne Artikel) und den bestimmten Kelch (τὸ ποτἠριον). Die Judenchristen nahmen diesen jüdischen Brauch (גהנמ) aus dem Judentum herüber, bildeten ihn aber zu einem Symbol der Eucharista um und brachten ihn mit Jesu Leidensgeschichte in Zusammenhang. Das Andenken an den Auszug aus Ägypten, welches jenes Surrogat des Passah vergegenwärtigen sollte, wurde in das Andenken an Jesus umgedeutet (εἰς τὴν ἀνάμνƞσιν ἐμἠν), und darum mußte Christus selbst das Abendmahl eingesetzt, d.h. das Passah gefeiert haben. Der Anachronismus, in welchen sich die Evangeliendichter verwickelten, Jesus das Passahmahl am Passahabend vor seinem Tode genießen zu lassen, entging ihnen, oder kümmerte sie nicht; ihnen war es nur darum zu tun, Jesus selbst als Stifter dieses Sakraments zu haben. Das heidenchristliche Johannisevangelium ist aber frei von diesem Widerspruch, weil in dem Kreise seiner Entstehung die Erinnerungsfeier des jüdischen Passah durchaus unbekannt war. Merkwürdig ist, daß die späteren Ebroniten in ihrem sogenannten Hebräerevangelium eine eigene Wendung im Passahkapitel hatten. Auf die Frage der Jünger: »Wo willst du, daß wir für dich vorbereiten, das Passah zu essen?« gibt Jesus eine ausweichende Gegenfrage: »Habe ich denn gewünscht, dieses Passah als Fleisch zu genießen: μὴ ἐπιϑυμίᾳ ἐπεϑύμƞσα κρέας τοῠτο τὸ πάσχα φαγεῖν; Epiphanius c. Haereses I, 2, 22, p. 146.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1908, Band 4, S. 398-400.
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