12. Der Konsul-Proselyte Flavius Clemens.

[402] Die eingehende Untersuchung Volkmars über Clemens von Rom (Baur und Zeller, Theol. Jahrb. 1856, S. 287 ff.), die zum Teil gegen meine Annahme gerichtet ist, daß Clemens, Domitians Neffe, eine Vorliebe für das Judentum gehabt und deswegen hingerichtet worden, diese Untersuchung hat mich nicht vom Gegenteil überzeugen können. Dio Cassius, zu dessen Zeit Judentum und Christentum nicht mehr promiscue zusammengewürfelt wurden, erzählt nach dem Auszuge des Xiphilinus mit deutlichen Worten, Domitian habe Flavius Clemens, seinen Neffen, hinrichten und dessen Frau Domitilla, auch eine Verwandte Domitians, verbannen lassen, indem er beide wegen »Gottlosigkeit« anklagte. Diese ἀϑεότƞς, deren sie beschuldigt wurden, wird sofort von Dio erklärt, daß sie in die Verirrung jüdischer Gebräuche gerieten: ἐπƞνέχϑƞ δὲ ἀμφοῖν (Κλἠμƞντι καὶ γυναικὶ αὐτοῠ) ἔγκλƞμα ἀϑεότƞτος, ὑφ᾽ ἡς καὶ ἄλλοι ἐς τὰ τῶν Ἰουδαίων ἤϑƞ ἐξοκάλλοντες πολλοὶ κατεδικάσϑƞσαν (57, 14). Eusebius oder sein Vordermann Bruttius (um 250), erzählen nur, Flavia Domitilla sei christliche Proselytin gewesen, woraus eben stillschweigend hervorgeht, daß die kirchliche Tradition nichts davon gewußt hat, Clemens habe nur um des Christentums willen das Märtyrertum erlitten: ἐν ἔτει ιέ Δομιτιανοῠ μετὰ πλείστων ἑτέρων καὶ Φλαβίαν Δομιτίλλαν ἱστορἠσαντες ἐξ ἀδελφῆς γεγονυίαν Φλαβίου Κλἠμεντος ἑνὸς τῶν τƞνικάδε ἐπὶ Ῥώμƞς ὑπάτων, τῆς εἰς Χριστὸν μαρτυρίας ἕνεκεν εἰς νῆσον Ποντίαν κατὰ τιμωρίαν δεδόσϑαι (h.e. III, 18). Dasselbe erzählt Eusebius in seinem Chronicon zur 218. Olympiade. War aber Clemens nicht Christ, so wird es zweifelhaft ob Domitilla Christin gewesen sei. Ohnehin ist die dem Bruttius entlehnte Nachricht verdächtig; denn Domitilla wird hier zur Nichte des Clemens gemacht (ἐξ ἀδελφῆς, ex sorore neptis), während sie Dio als dessen Frau angibt. Auch eine, allerdings sehr verwitterte, talmudische Sage unterstützt dieses Faktum, daß ein Schwestersohn des Titus, also auch des Kaisers Domitian, oder ein hochgestellter Senator (συγκλƞτικὸς) jüdischer Proselyte geworden. Sogar der Name Clemens schimmert noch durch (Gittin 56 b) סוטיתד היתחא רב סיקונולק רב סולקנוא ירויגתאל יעב הוה. Statt סוקינולק heißt es in einer anderen Sage (Aboda Sara 11 a): רייגיא סומינולק רב סולקנוא. Nun, Onkelos ist eine Verwechselung mit dem proselytischen Bibelübersetzer Akylas (s. Note 13). Klonimos dagegen ist eine Entstellung von Clemens, wie in einer kirchlichen Sage aus Clemens Anakletos geworden ist. Ohne Namen, aber mit Angabe der Zeit unter Domitian erzählt eine nüchterne und historisch gehaltene Notiz. Zur Zeit, als R. Elieser, Josua und Gamaliel in Rom waren, hätte der Senat (ןיטילקנס) dekretiert: Nach 36 Tagen soll kein Jude im Reiche mehr existieren. Ein Senator, der gottesfürchtig gewesen, hätte den Beschluß R. Gamaliel verraten und ihn durch seinen Tod – durch Gift – vereitelt וטילקנס היהו רבדה תא לאילמג ןברל דיגהו םימש ארי ךלמ לש. Nach seinem Tode hätte es sich gezeigt, daß derselbe sich gar vorher beschnitten hatte (Deuteron. Rabba, c. 2, p. 230 a, b). Dieselbe Geschichte ist sagenhaft [402] entstellt in Aboda Sara, p. 10 b, und hier heißt der Proselyte, welcher sich den Juden geopfert םולש רב עיטק. Aus dem Verlaufe ergibt sich, daß deselbe identisch ist mit סומינולק רב סולקנוא oder mit Clemens. עיטק erscheint überhaupt daselbst als allegorischer Name, so bleibt nur םולש übrig, welcher die hebräische Übersetzung von Clemens sein kann. Mit einem Worte, die talmudisch-agadische Literatur hat den Kern erhalten, daß ein Schwestersohn des Titus und Domitian ein Senator, jüdischer Proselyte geworden, und daß zu seiner Zeit jüdische Weisen in Rom gewesen wären.

Dagegen macht nun Volkmar geltend, daß auch die kirchliche Sage einen christlichen Proselyten Clemens nennt und gewissermaßen glorifiziert. 1. Einem Clemens von Rom wird ein Brief (oder zwei) an die Korinther beigelegt über den Streit in der korinthischen Kirche mit der Ermahnung, sich dem Presbyterium oder der Hierarchie zu unterwerfen. 2. Allenfalls auch zwei (syrisch vorhandene) Briefe eines Clemens Romanus über Askese und Klosterleben. 3. Wird ein Clemens bald als zweiter Bischof von Rom, erster Nachfolger Petrus' und bald als vierter genannt. 4. Werden eine Reihe von Schriften, Homilien, Rekognitionen, Constitutiones apostolicae einem römischen Clemens vindiziert – Clementinen. 5. Endlich wird der Bischof Clemens von Rom auch als Märtyrer unter die »Heiligen« gezählt. Aber in allen diesen kirchlichen Sagen über Clemens ist nicht angegeben, daß er ein Verwandter des Kaisers Domitian gewesen; nur die clementinischen Homilien stempeln ihn in romanhafter Ausschmückung zum Abkömmling des Kaisers Tiberius. Volkmar behauptet nun, daß allen diesen Sagen der Kern von Flavius Clemens zugrunde läge, daß dieser halb und halb ein Judenchrist gewesen, und daß ihn die Kirche wie die Synagoge deswegen zu dem Ihren machen konnte. Dagegen ist nun einzuwenden, daß den christlichen Sagen gerade die Hauptmomente abgehen: Clemens Verhältnis zum flavianischen Kaiserhause und sein Tod durch Domitian wegen seines etwaigen christlichen Bekenntnisses. Diese Sagen scheinen vielmehr an den Clemens anzuknüpfen, welcher im Philipperbrief als Begleiter des Apostels Paulus erwähnt wird. Und das ist ein ganz anderer Clemens; er hatte gar keine Ähnlichkeit mit jenem Neffen des Kaisers Titus und Domitian. Die älteren Kirchenschriftsteller denken daher gar nicht bei Clemens Romanus an Flavius Clemens. Erst jüngere Historiker identifizieren sie künstlich und machen den jüdischen Proselyten zum Christen. Es liegt in der Sucht, jede in den jüdischen Kreisen irgendwie hervorragende Persönlichkeit als Christen auszugeben. Orosius macht die adiabenische Königin Helena zur Christin (hist. 76). Eine christliche Sage, die Eusebius aufbewahrt hat, läßt den jüdischen Philosophen Philo mit Petrus Umgang pflegen und ihn Zuneigung für das Christentum fassen (h. eccl. II, 17). In einer Kirche zu Pisa zeigte man das Grab des älteren Gamaliel, des Enkels Hillels I., der sich zum Christentum bekehrt und von der Kirche in den Rang der Heiligen erhoben worden. Das Grab, welches die Gebeine mehrerer solcher Bekehrten umschließen soll, hat die Inschrtft:


Hoc in Sarcophago requiescunt corpora sacra

Sanctorum –.. Sanctus Gamaliel. ...

Gamaliel divi Pauli didascalus olim,

Doctor et excellens Israelita fuit,

Concilii magni fideique per omnia cultor.


Den Patriarchen Hillel II. läßt Epiphanius vor seinem Tode die Taufe empfangen. Ganz dieselbe Glaubwürdigkeit hat aber auch die Bekehrung von Domitilla und Clemens. Sie hat nicht einmal das Alter für sich.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1908, Band 4, S. 402-404.
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