14. Die Aufstände in Palästina unter Trajan und Hadrian und das Aprokryphon Judith.

[405] Sehr viel ist in jüngster Zeit über das apokryphische Buch Judith geschrieben worden. Prof Volkmar hat in verschiedenen Zeitschriften und in einer eigenen Schrift (Handbuch der Einleitung in die Apokryphen, T. I., [405] Tübingen 1860) die von Hitzig hingeworfene Ansicht zu immer größerer Klarheit und historischer Tatsächlichkeit entwickelt, daß dieses Apokryphon im Ausgange der Trajanischen und im Beginne der Hadrianischen Regierungszeit gedichtet worden ist. Trotz der wuchtigen Einwürfe von Seiten Hilgenfelds und Lipsius' (in Hilgenfelds Zeitschr. f. wissensch. Theol. Jahrg. 1858-59-61) schließe ich mich doch Volkmars Annahme vollständig an, bis auf das, wo – mein geehrter Freund gestatte mir den Ausdruck – er des Guten zu viel getan hat. Da die Basis für diese Ansicht meine Kombination vom Krieg des Quitos oder Quietus (Polemos schel Quitos) bildet, so muß ich gewissermaßen solidarisch dafür aufkommen, meine Kombination gegen alle Anfechtung wahren und die Haupteinwürfe widerlegen, welche von gegnerischer Seite dagegen geltend gemacht wurden. Mit Recht bemerkt nämlich Lipsius, der recht gründlich auf dieses Thema eingegangen ist, daß, wenn der Polemos schel Kitos in nichts oder in einen Scheinbeweis aufgelöst wird, die übrigen von Volkmar und von mir aufgestellten Argumente ihre Beweiskraft verlieren. Der Beweis von Dio Cassius (68, 32), das Lusius Quietus wegen seines Vernichtungskrieges in Mesopotamien und auch gegen die dortigen Juden zum Hegemon, gewissermaßen zum Legaten von Palästina, von Trajan ernannt worden (ὤστε ἐς τοὺς ἐστρατƞγƞκότας ἐγγραφῆναι καὶ ὑπατεῠσαι τῆς τε Παλαιστίνƞς ἄρξαι Κύƞτον) ist allein nicht entscheidend; denn es folgt noch nicht daraus, daß in Trajans Zeit in Palästina ein Aufstand ausgebrochen wäre, den Quietus zu dämpfen gehabt hätte. Auch das Zeugnis Spartians, daß im Anfang der hadrianischen Regierung Palästina und Lycien einen aufständischen Sinn gezeigt haben: Lycia et Palaestina rebelles animos efferebant (in Hadrianum c. 1.) spricht nicht deutlich genug von einem faktischen Aufstande. Das Märtyrertum des Bischofs oder Presbyters Simeon Clopa, dessen Datum Volkmar ins Jahr 116 versetzen zu können glaubte, hat Lipsius so ziemlich aller Beweiskraft entkleidet. Dieses ist entweder überhaupt sagenhaft oder fällt, wenn geschichtlich, ins Jahr 102-103 (Lipsius, das. Jahrg. 1859, S. 90 ff.).

So bleibt denn nur noch meine Kombination des Polemos schel Quitos als alleiniges Argument für einen Aufstand der palästinensischen Juden unter Trajan übrig. Da nur dieses allein das ganze Gewicht der Beweiskraft tragen muß, so bin ich verpflichtet, es besser zu begründen und auch Lipsius' Einwürfe zu widerlegen und zu beweisen, daß derselbe sich nicht auf den Aufstand der Juden in Mesopotamien, sondern gerade auf Palästina bezieht. Um den Leser in den Stand zu setzen, selbst darüber zu urteilen, setze ich die betreffende Stelle aus der quasi-Chronik des Seder Olam (Ende) hierher. Dieses tradiert (nach der richtigen Lesart, welche Asarja de' Rossi aus einer Handschrift vom Jahre 1370 erhalten hat (Meor Enajim, c. 19): לש םיימור סומלופ דע סוריוסא לש סומלופמ לש סומלופ דע סוניספסא לש סומלופמ .הנש םינומש סוניספסא ו"י אביזוכ ןב תוכלמ דע סוטיק לש סומלופמ .הנש ב"נ סוטיק הצחמו םינש 'ג אביזוכ ןב תוכלמו .הנש Also vier Polemoi oder Kriegsfährlichkeiten werden hintereinander aufgezählt, wohlverstanden solche, die sämtlich in Palästina gespielt haben. Von diesen vier zählt die Mischna, also eine mit dem Seder Olam ziemlich zeitgenössische Quelle, nur die drei letzten auf, aber nicht zu chronologischen Zwecken, sondern als Data für eingeführte Trauerbräuche (Sota Ende) לש סומלופב לש סומלופב .סוריאה לעו םינתח תורטע לע ורזג סוניספסא ונב תא םדא דמלי אלשו תולכ תורטע לע ורזג (סוטיק) סוטיט ךותב ןויריפאב הלכ אצת אלש ורזג ןורחאה סומלופב תונוי ריעה. Meine Kombination, daß man auch סוטיק statt סוטיט lesen müsse, hat sich durch eine alte Handschrift der Mischna (im Besitz des Buchhändlers Herrn Adolph in Berlin) bestätigt; [406] (Maskir, hebr. Bibliographie B. VII., Jahrg. 1864, S. 22). So ist denn die Lesart und damit der Polemos schel Quitos gesichert und unanfechtbar. Gehen wir diese vier Polemoi der Reihe nach durch, um die chronologischen Punkte zu fixieren. 1. סוריוסא לש סומלופ 80 Jahre bis zum Kriege Vespasians. Ich habe B. III, 4. Aufl., Note 18, S. 714 aufgestellt, daß man für das jedenfalls korrumpierte סוריוסא lesen müsse סוריו oder סוראו, und das Faktum bezieht sich demnach auf die kriegerische Verwirrung nach Herodes' Tod und auf Varus, der sie mit Blut gedämpft hat. Die Zahl der Jahre stimmt allerdings nicht ganz; denn von Herodes' Tod bis zu Vespasian, d.h. bis zur Tempelzerstörung verliefen nur 3 + 68 = 71 Jahre. Neulich erfuhr ich, daß in einer Handschrift des Seder Olam im Besitze des Herrn Mandelstamm die Lesart vorkommen soll סודרוה לש סומלופ. Aber auch dieses gibt keine genaue Zahl an. Denn Herodes hat nur zu Anfang und am Ende seiner Regierung ein imposantes Gemetzel unter den Patrioten angerichtet; für das erste ist die Zahl zu wenig und für das letzte auch um 8 oder 9 Jahre zu viel. Die Zahl 80 muß also als eine runde angesehen werden. 2) סוניספסא לש סומלופ. »Der Krieg der Römer des Vespasian« braucht weiter nicht beleuchtet zu werden. Nur muß ich gegen Volkmar und Lipsius hervorheben, daß er durchaus identisch ist mit der Tempelzerstörung תיבה ןברח, Ende des Krieges, und nicht etwa mit dem Beginne desselben, wie diese beiden Autoren annahmen, um die Zahl der Jahre zu rechtfertigen. Abgesehen davon, daß man wohl schwerlich Trauerzeichen während der Dauer oder gar im Anfang eines Kampfes einführt, wenn man noch auf Sieg hofft, so erscheint in der Mischna jene Nachricht von Polemos schel Aspasianos in Verbindung mit der Tempelzerstörung: תיבה ברחשמ unter Vespasian. Den Kalkül von Volkmar und Lipsius das. muß ich für verfehlt halten. Die sichere Basis dafür ist, daß die jüdischen Chronographen – ebenso die syrischen – die Tempelzerstörung um zwei Jahre früher als üblich ansetzen, nämlich 3828 aera mundi oder 379 aera Seleucidarum, also nicht 70 nach der christlichen Zeitrechnung, sondern 68 (vgl. Babli Aboda Sara 8. b: Seder Tannaim we Amoraim, p. 7, םיפלא העברא ומלש הינשב תיבה ןברחל ב"עק תנש). Auf diesen chronologischen Punkt glaube ich christliche Forscher aufmerksam machen zu müssen. Ein zweiter, ebensowenig beachteter Punkt ist, daß das damalige jüdische Jahr, meistens ein Mondjahr, viel kürzer war, als das römische, nur aus 354-355 Tagen bestehend. Schaltjahre zur Ausgleichung des Sonnenjahres mit dem Mondjahre waren nicht regelmäßig eingefügt worden. Wenn demnach der Terminus a quo des Polemos schel Aspasianos 68 war, so bleibt allerdings der Terminus ad quem bis zum Polemos schel Quitos 52 Jahre zweifelhaft, maximum bis 120, aber ebensogut 118 der christl. Zeit. Man ist sogar genötigt, das Jahr 118 anzunehmen; denn bis Bar-Kochba und den Untergang Betars werden noch 16 + 3 1/2 = 19 1/2 Jahre angesetzt, was sich gar nicht ausgleichen läßt, wenn man den Polemos Q. 120 setzt. Allein hier kommen uns die römischen Quellen zu Hilfe. Dio Cassius referiert (69. 2), daß Hadrian Lusius Ouietus mit noch drei Konsularen im Anfang seiner Regierung (ἐν ἀρχῇ τῆς ƞγεμονίας) habe hinrichten lassen. Spartian erzählt (in Hadrianum c. 5., 6.), Hadrian sei im Anfang seiner Regierung, um den üblen Eindruck von der Hinrichtung der vier Konsularen zu verwischen, nach Rom geeilt: unde statim Hadrianus ad refellendam tristissimam de se opinionem, quoad occidi passus esset uno tempore quatuor consulares (Lusium Quietum in itinere) Romam venit. Nun war Hadrian, wie die Münzen dokumentieren (bei Eckhel und Clinton, Fasti Romani ad. 118), im Jahre 118 in Rom.[407] Folglich ist Quietus spätestens 118 getötet worden. Daran ist nicht zu rütteln. Was Lipsius dagegen geltend gemacht hat, ist nicht stichhaltig (Zeitschrift a.a.O. S. 111 folg). Der Polemos schel Quitos ist also spätestens 118 anzusetzen. Wir kommen jetzt zu 3. סוטיק לש סומלופ.

Dieser Polemos hat ebensogut wie die zwei vorangegangenen in Palästina stattgefunden. Denn es sind Verordnungen von einer palästinensischen Behörde deswegen erlassen worden, daß die Bräute nicht mehr Kronen tragen und Juden nicht mehr das Griechische lernen sollen. Dieses galt den palästinensischen Juden. Zum Überflusse kann die Tosifta Sota als Beweis dienen, das. heißt es: (סוטיק) סוטיט לש סומלופב) לאילמג ןבר תיבל םהל וריתה ,תינוי וינב תא דמלי אלש... ורזג תוכלמל ןיבורק ןהש ינפמ תינוי ןהיתונב תא דמלל. Man hat also in Palästina zugunsten des Patriarchenhauses eine Ausnahme gemacht.

Dasselbe Resultat, daß in Trajans Zeit in Palästina ein Aufstand der Juden ausbrach, wird auch von einer andern Seite aus bestätigt. Der armenische Text von Eusebius' Chronik hat zum ersten Jahre Hadrians: Hadrianus Judaeos subegit tertio contra Romanos rebellantes. Hieronymus gibt diesen Passus wieder: H. Judaeos qui ter contra Romanos rebellaverant, ad oboedientiam revocavit. Nach dieser Parallele hat man keinen Grund, im armenischen Texte tertio in secundo zu emendieren. Denn Eusebius schwankte zwischen zwei Nachrichten, von denen die eine den Aufstand der Juden unter Hadrian in sein erstes Regierungsjahr setzte, und die andere ihn gegen das Ende der hadrianischen Zeit verlegte. Jedenfalls hat auch die Eusebianische Quelle die Tradition erhalten, daß die Juden dreimal Aufstände gemacht haben, nämlich den ersten unter Nero-Vespasian =סונייספסא לש סומלופ, den dritten unter Hadrian, der dem ןורחאה סומלופ der Mischna entspricht. So bleibt noch der mittlere Aufstand übrig, der also unter Trajan oder Quietus zu setzen ist, und dem סוטיק לש סומלופ entsprechen muß. Auch diese dritte στάσις muß nach Palästina verlegt werden. Durch diese feste Grundlage, daß Quietus einen Aufstand in Judäa niedergeschlagen hat, erhalten sowohl Dio Cassius' wie Spartians Züge mehr Deutlichkeit und Prägung. Mit Recht hebt Volkmar hervor, wenn Quietus eine so hohe Stellung unter Trajan eingenommen habe, daß er ἐστρατƞγƞτικός, d.h. legatus pro praetore, ferner Konsul (suffectus) war und gar zum Nachfolger designiert wurde, so muß es für ihn, den rauhen, rücksichtslosen Krieger, in Palästina eine schwere Arbeit gegeben haben. Warum hat ihn Trajan zum Statthalter dieses kleinen Ländchens gemacht (Ἰουδαίας ἡγεμών bei Eusebius hist. eccl. IV, 2), das sonst nur ein Anhängsel von Syrien war und nur einen Landpfleger (ἐπάρχων) zu haben pflegte? Spartians Darstellung: Palaestina animum rebellem efferebat erhält auch einen guten Sinn. Bei Hadrians Regierungsantritt war der Aufstand bereits gedämpft, d.h. die Krieger niedergeschlagen, aber es gärte noch in den Gemütern. Diese Aufregung scheute Hadrian und machte auch den Juden Konzessionen. Das will doch offenbar Spartian mit den Worten aus sagen: tenendae per orbem terrarum paci operam intendit Nam ... Lycia denique ac Palaestina rebelles animos efferebant. Hier schließt sich die Nachricht in Genesis Rabba (c. 64) vortrefflich an, daß das sündhafte Reich zur Zeit R. Josuas angeordnet habe, den Tempel wieder aufzubauen, daß Pappus und Julianus Wechseltische für die Beisteuer zum Bau von Akko bis Antiochien aufgestellt haben סונאילולו סופפ ובישוה בהזו ףסכ הלוג ילועל (ןיקפסמ היה) איכוטנא (דע וכעמ ןיזיפרט םכרצ לכו, daß der Befehl infolge der Denunziation von Samaritanern zurückgenommen wurde, daß sich das Volk [408] in der Rimmonebene zum Aufstande zusammengerottet habe (... ןומר תיב תעקב אדהב ןיתוצמ אילהק ןווהו וכלמ לע דרממל ןועב), und daß R. Josua sie durch eine Fabel beschwichtigt hat, deren Nutzanwendung war: »Es ist genug, daß wir von diesen (den Römern) mit heiler Haut davon gekommen sind המואל ונסנכנש ונייד םולשב ונאציו םולשב וז). Die Konzession, welche Hadrian den Juden bei der Übernahme des Imperium machte, war also die Erlaubnis gewesen, den Tempel wieder aufbauen zu dürfen.

Der Tempelbau oder auch nur die Intention dazu, sowie die Restauration Jerusalems zugunsten der Juden in der hadrianischen Zeit ist auch ein wichtiges Moment für diese Untersuchung. Denn diese Konzession des Kaisers würde auf eine vorangegangene Schilderhebung schließen lassen. Wir müssen daher diesen Punkt näher ins Auge fassen. Auf die Notiz bei dem konfusen Kirchenvater Epiphanius, auf welchen man sich zum Beleg dafür beruft (de ponderibus et mensuris No. 14) kann ich bei näherer Betrachtung nicht viel geben. Sie spricht offenbar von der Restauration Jerusalems nach dem Bar-Kochba-Kriege, als die heilige Stadt Älia genannt wurde. Epiphanius setzt dieses Faktum nach Hadrians großen Reisen, als er Ägypten und Judäa besucht hatte (στέλλεται τὴν πορείαν ἐπὶ τὴν τῶν Αἰγυπτίων γῆν. ... καὶ ἔρχεται εἰς τὴν Παλαιστίνƞν), wenn er auch in konfuser Weise die Zeit näher bestimmt: 47 Jahre nach der Tempelzerstörung μετὰ ἔτƞ μζ᾽ τῆς τῶν Ἱεροσολύμων ἐρƞμώσεως. Er ist nämlich befangen von der Nachricht, daß der Bar-Kochba-Krieg, die Vertilgung der Juden und die Verwandlung Jerusalems in Älia Kapitolina, das alles im ersten Jahre Hadrians, also ungefähr 47 Jahre nach der Tempelzerstörung stattgefunden habe. Es stimmt allerdings damit sehr schlecht, daß Hadrian zum Aufseher über den Bau der heidnisch metamorphosierten Stadt den jüdischen Proselyten und Übersetzer Akylas gesetzt habe, der Hadrians Schwiegervater gewesen sei: καὶ λαβὼν τὸν Ἀκύλαν ... τὸν ἑρμƞνευτὴν καὶ αὐτοῠ πενϑερίδƞν18 ἀπὸ Σινώπƞς δὲ τῆς Πόντου ὁρμώμενον, καϑίστƞσιν αὐτὸν ἐκείσε ἐπιστάτƞν τοῖς ἔργοις τῆς πόλεως κτισμάτων. [409] Von mehr Beweiskraft ist, abgesehen vom Hymnos der jüdischen Sibylle im ersten Buche der Sibyllinen, aus Hadrians Zeit, worüber sich aber streiten läßt, ich sage von mehr Beweiskraft ist die Notiz im Barnabasbrief (Nr. 12 der alten Edition), auf die Volkmar aufmerksam gemacht hat. Der angebliche Mitapostel Paulus polemisiert gegen die Heiligkeit des jüdischen Tempels. Dann heißt es: Diejenigen, welche diesen Tempel zerstört haben, werden ihn erbauen. Weil sie (die Juden) Krieg führten, wurde er von den Feinden zerstört. Jetzt werden ihn die Diener der Feinde wieder aufbauen, aber offenbar nur, damit die Stadt, der Tempel und das Volk Israel wieder preisgegeben werde.« Die ganze Stelle lautet im Original: νῶτε, ὅτι μάταια ἡ ἐλπὶς αὐτῶν. Πέρας γοῠν λέγε (λέγουσι?). ἰδοῠ οἱ καϑελόντες τὸν ναὸν τοῠτον, αὐτοὶ αὐτὸν οἰκοδομἠσουσι: γίνεται διὰ γὰρ τὸ πολεμεῖν αὐτοὺς καϑερέϑƞ ὑπὸ τῶν ἐχϑρῶν. νῠν καὶ αὐτοὶ οἱ τῶν ἐχϑρῶν ὑπƞρέται αὖϑις οἰκοδομἠσουσι αὐτὸν κ. τ. λ. (Über die Abfassungszeit des Barnabas-Briefes, s. die vortreffliche Dissertation von Volkmar im Programm der Züricher Universität von 1865).

Volkmar zieht auch als Beweis für die Vorbereitung, den Opferkultus in der hadrianischen Zeit zu restaurieren, jene halachische Differenz zwischen R. Elieser ben Hyrkanos und R. Josua, ob man ohne Surrogate für Tempelmauern opfern dürfe (Edujot VIII, 6 und Parallelst.): ןיאש וליפאו ןיבירקמש יתעמש עשוהי ר"א תיב. Es kann wohl sein, daß diese Frage damals von praktischer Bedeutung war; aber zwingend ist der Beweis keineswegs. Man müßte denn die damit zusammenhängende Tradition zu Hilfe nehmen, die in Tosifta Edujot (III. Ende) erzählt wird. Einst fand man auf dem Platze einer ehemaligen Tempelhalle Menschengebeine; aus diesem Grunde wollten die damaligen Weisen Jerusalem für durchweg unrein erklären (wie ehemals Tiberias). Darauf fuhr R. Josua sie an: »Schämt ihr euch nicht, daß wir unseren Tempelplatz für unrein halten sollen? Wo bleiben die in der Sintflut Umgekommenen, wo die von Nebuchadnezar Erschlagenen, wo die, welche seit dem letzten Kriege gefallen?« םיצע תרידב םלשוריב תומצע ואצמנש השעמ (אל) עשוהי 'ר םהל רמא הלכ םלשורי תא אמטל םימכח ושקבו היא לובמ יתמ היא !ונתיב תא אמטנש ונל איה המילכו השוב וישכע דעו המחלמה ןמ וגרהנש םיגורהה היא רצנדכובנ יגורה. Diese Erzählung wird auch in Babli Sebachim (113. a.), mit einigen Varianten mitgeteilt. Der letzte Passus von den Erschlagenen im (letzten) Kriege fehlt, scheint jedoch nur ausgefallen. Es ergibt sich daraus, daß das Faktum nach dem römischen Kriege und nach der Tempelzerstörung spielte. Wichtiger ist die Variante statt ונתיב תא אמטנש die Lesart: לע האמוט רוזגנש וניתובא ריע. Nach dieser handelt es sich um die Verunreinigung der Stadt, nach der ersten dagegen gar um die der Tempelstätte. Man könnte daraus folgern, daß damals die Frage auftauchte, ob man diese Stadt zum Kultus einrichten dürfe, da man unter der Erde Menschengebeine gefunden. R. Josua wollte es gestatten.[410] und diesem schließt sich in der Tosifta unmittelbar die Tradition an, daß R. Josua auch für unbedenklich erklärt habe, zu opfern, wenn auch keine Mauern und keine Umhänge (als Surrogat) um die Tempelstätte gezogen sind. Ja schon der Umstand, daß man in der ehemaligen Holzhalle (םיצעה רוד תכשל), im Frauenvorhofe Gebeine gefunden, also gegraben hat, spricht dafür, daß man damals etwas mit dem Tempelplatze vorhatte, also wahrscheinlich ihn zum Kultus einrichten wollte.

Dieses Faktum, daß zur Zeit Hadrians oder, was dasselbe ist, zur Zeit R. Josuas der Tempel wieder hergestellt werden sollte, daß sich aus Midrasch zu Genesis, aus des Barnabas' Brief und aus einer alten talmudischen, richtiger mischnaitischen Tradition ergeben hat, wird noch von einer andern Seite bestätigt.

Ich komme noch einmal darauf zurück: Die Vorbereitungen zum Tempelbau in der ersten Regierungszeit Hadrians können nur als ein Zugeständnis dieses Kaisers an die Wünsche der palästinensischen Juden angesehen werden, und dieses läßt auf einen vorangegangenen Aufstand der Juden schließen. Bei jenen Vorbereitungen haben Julianus und Pappus eine Rolle gespielt (a.S. 408). Aus einer alten Tradition ergibt sich, daß dieselben der »Stolz Israels« genannt wurden (Sifra oder Thorat Kohanim sec. Bechukotaj): סופפ ןוגכ לארשי לש םנואג םהש םיאגה ולא םכזע ןואג יתרבשו וירבחו ירדנסכלא סוניילולו (הדוהי ןב)19. Einer von diesen beiden oder vielleicht beide, waren Alexandriner, wenn sie nämlich Brüder waren, und konnten recht gut mit dem Leiter des Aufstandes in Ägypten, Andreas, in Verbindung stehen.

Wir kommen jetzt auf den Punkt des סיניירוט םוי, der mit diesem Thema zusammenhängt und von Lipsius anders aufgefaßt wurde (Hilgenfelds theol. Zeitschr. II. S. 105 f.). In der Rolle der Halbfeiertage oder der sogenannten Fastenrolle (Megillat Taanit) wird nämlich der 12. Adar ebenfalls als ein Gedenktag aufgeführt unter diesem Namen, schreiben wir vor der Hand Turjanus-Tag. An fünf verschiedenen Stellen, die in einigen Punkten variieren, wird ein Ereignis, das Julianus und Pappus betraf, als Grund dieser Halbfeier angegeben, aber gerade diese Varianten sind für unser Thema von Erheblichkeit. Sie sind sämtlich eine und dieselbe Tradition in der Fassung einer alten Boraïta. Diese Stellen sind (um Wiederholen zu vermeiden, bezeichne ich sie durch römische Zahlzeichen): I. im Scholion zu Megillat Taanit zur Stelle: II. Sifra (oder Thorat Kohanim) sect. Fmor. Perek 9 gegen Ende; III. Babli Taanit p. 18. b; IV. in dem apokryphischen Traktat Semachot (oder Ebel Rabbati) c. 8; V. Midrasch Rabba zu Kohelet p. 93. c. Der Hauptinhalt ist in allen diesen Stellen derselbe; Turjanus hat Julianus und seinen Bruder Pappus in Laodicea gefangen, ihnen den Prozeß auf den Tod gemacht, und höhnisch ihnen zugerufen: »Wenn ihr vom Volke des Ananja, Michael und Asaria seid, so möge Gott euch aus meiner Hand retten, wie er jene aus der Hand Nebuchadnezars gerettet hat.« Darauf hätten sie erwidert, der chaldäische König sei würdig gewesen, daß vor ihm ein Wunder geschehe, Turjanus dagegen sei nicht würdig dazu. Ohnehin hätten sie den Tod verdient. [411] und falls er sie in Freiheit setzen sollte, so würde sie Gott durch andere Schickungen umkommen lassen. Gleich darauf sei eine Staatsschrift eingelaufen, (ימורמ ילפויד)20, und man hätte diesem Turjanus das Gehirn mit Keulen eingeschlagen. Die Varianten sind nun folgende: Den Namen schreibt I, III סוניכרט; V סוניכרט, IV סונאיגרט und II gar סונירמ. – I, II, III geben nur an, Turjanus habe Julianus und Pappus lediglich gefangen, סופפ תאו סוניולול תא סוניירוט ספתשכ איקדילב ויהא; I hat: גורהל 'ט שקבשכ, IV und V haben dagegen: סוניירוט גרהשכ, als wenn er sie faktisch hätte hinrichten lassen. – Eine fernere Variante ist: Vier Stellen haben den Zug gar nicht im Kontexte, daß er sie hätte erschlagen lassen; nur III hat den Zusatz: ףא דימ ןגרה ןכ יפ לע; V hat die Variante: דע ותמ אל ורמא ויניעב ןיטטחמ וארש, abweichend von den übrigen. Das hieße also, Julianus und Pappus hätten noch das Strafgericht über Turjanus mit angesehen und erlebt. Endlich vier Stellen: Turjanus König: עשר ךלמ; III. dagegen spitzt den Gegensatz derart zu, daß Turjanus ein Privatmann gewesen, im Gegensatz zum König Nebuchadnezar und also nicht verdiente, daß durch ihn ein Wunder geschehe: ותואו ... היה ןוגה ךלמ רצנדכובנ אוה טוידה עשרה. Es ist also nach den Quellen zweifelhaft, ob Julianus und Pappus bei dieser Verfolgung umgebracht wurden oder nicht.

Es stellt sich aber heraus, daß zwei Versionen darüber existieren. Der babylonische Talmud unterscheidet nämlich ganz entschieden Schemaja und Achija, seinen Bruder (ויחא היחאו היעמש), welche später, an demselben Tage, am 12. Adar umgekommen sind, von Julianus und Pappus. Babli das. wird erzählt, R. Nachmann habe am 12. Adar einen Fasttag ausgeschrieben. Interpelliert, wie das geschehen durfte, da man doch an demselben wegen des Gedenktages םוי סוניירוט nicht fasten dürfe, erwiderte R. Nachmann, diesen Tag habe man (später) aufgehoben, weil Schemaja und Achija an demselben hingerichtet worden seien. Raschi erzählt z. St. und Pesachim p. 50 b., sowie Nathan Romi im Aruch (s.v. גרה) eine Tradition. Eine Kaisertochter wurde erschlagen und die Juden seien dieses Mordes beschuldigt worden; dar auf hätten sich Schemaja und sein Bruder selbst als Mörder angegeben, um Israel zu retten. Das seien die in Lydda Hingerichteten דול יגורה. Man muß also im babylonischen Talmud unterscheiden: סיוניירוט םוי ויחא היחאו היעמש וב וגרהנו ליאוה הילטב ילוטב היפוג, die also wirklich hingerichtet worden sind, von: שקבשב איקדולב (?) ויחא סופפו סונילול תא גורהל סוניירוט, welche hingerichtet werden sollten. Das erstere spielte in Lydda, das letztere in Laodikea. Nach der Darstellung im babylonischen Talmud und den damit gleichlautenden Quellen war der Sachverhalt also: Turjanus, ein Privatmann (טוידהἰδιώτƞς) wollte Julianus und Pappus in Laodikea hinrichten lassen und rief ihnen höhnend zu, Gott möge doch ein Wunder für sie tun sie aus seiner Hand zu retten. Ehe sie aber hingerichtet werden sollten, traf aus Rom ein Schreiben ein, welches befahl, Turjanus zu erschlagen. Der jerusalemische Talmud dagegen, oder richtiger ein Amora des 5. Jahrhunderts Jakob ben Acha gibt an, Julianus und Pappus seien an diesem Tage erschlagen worden (j. Taanit II. p. 66. b.): לטב אחא רב בקעי ר"א סופפו סונילול גרהנש םוי ןוירית םוי. Dieser Jakob ben Acha hat also entweder Julianus-Pappus mit Schemaja-Achija identifiziert oder verwechselt, oder gar das Faktum so gedeutet als wenn der Turjanustag deswegen aufgehoben wurde, weil die Freude an der Rettung keine ungemischte war, indem doch die Angeklagten Julianus und Pappus an [412] demselben hingerichtet worden wären. Seine Angabe hat also keineswegs den Wert einer Tradition, sondern den einer harmonistischen Ausgleichung, einer Privatansicht. Noch wird zwar im jerusalemischen Talmud von den beiden erzählt, sie hätten sich dem Märtyrertume unterziehen wollen, indem sie nicht einmal Wasser in gefärbtem Glase, das eine Weinfarbe hatte, auf Verlangen eines Machthabers, hätten trinken wollen: סופפו סוניילול ןוגכ ןהמ ולבק אלו העובצ תיכוכז ילכב םימ םהל ונתנש ויחא j. Schebiit IV. p. 35 a. Synhedrin III. p 21. p.) Allein daraus geht noch nicht hervor, daß sie faktisch als Märtyrer gefallen sind, sondern nur, daß sie sich dem Tod hätten unterziehen wollen, um auch den Schein zu vermeiden, als hätten sie Heidenwein getrunken.

Es scheint aber, daß diejenige Version, welche annimmt, daß Julianus und Pappus beim Verhöre, noch vor dem gewaltsamen Tode des Turjanus hingerichtet worden wären, von einem Mißverständnis beherrscht ist. Es zirkulierte eine Tradition von den דול יגורה, welche am 12. Adar in Lydda erschlagen worden sind. Darunter sind nun, wie R. Nachman im babylonischen Talmud angibt, Schemaja und Achija zu verstehen. Da aber Julianus und Pappus in dem ähnlich klingenden Laodikea hochnotpeinlich verhört worden sind, so verwechselte man דול יגורה mit אייקדול יסופת. Eine Notiz in Midrasch Kohelet p. 104 c. stellt sie zu sammen: .רדנסכלא יבר(ד) יופא ימחמל דמחתמ הוה אחא 'ר .ןתציחמה םינפל ןיא דול יגורה 'ב והארה הימלוחב היל ימחתיא ןאכל אבש ימ ירשאו .סופפו סונאילול לש ןתפרח ריבעהש ךורב ודיב ודומלתו. Der Satz von Julianus und Pappus ist hier offenbar bloß eingeschoben, um die »Märtyrer von Lydda« näher zu bezeichnen, denn der Träumer sollte doch bloß zwei Sentenzen gehört haben, während hier drei aufgezählt sind. Dieselbe Erzählung kommt auch im babylonischen Talmud vor (Pesachim p. 50. a. Baba Batra 10. b.) mit andern Namen der Tradenten, aber da heißt es ganz einfach: ןיא דול יגורה ןתציחמב דומעל לוכי םדא oder תוכלמ יגורה; nur die Kommentatoren, wie Raschi (jedoch schwankend) identifizieren Julianus und Pappus mit den »Märtyrern von Lydda«, d.h. mit Schemaja und Achija.

Sehen wir das Faktum kritisch an, so kann der Sachverhalt gar nicht zweifelhaft sein. Vorausgesetzt, daß die Motivierung des Turjanustages als Halbfeiergedenktages richtig ist, daß die Rettung erfolgte, weil Turjanus, der Blutrichter von Julianus und Pappus, plötzlich, kurz nach dem angeführten Dialoge durch einen Befehl von Rom getötet worden ist, so müssen die beiden Angeklagten am Leben geblieben sein. Denn waren sie so wichtig, daß sich die Nation mit ihnen gewissermaßen identifizierte, so kann sich die Feier des Tages nur auf ihre Rettung durch die plötzliche Hinrichtung des Blutrichters beziehen. Wären sie an dem Tage doch getötet worden, so gab es keinen Grund für eine freudige Stimmung. Wenn es ferner heißt, daß man den Turjanustag aufgehoben hat הילטב ילוטב, weil an demselben Märtyrer, seien es zwei oder mehrere, gefallen sind, so können diese nicht Julianus und Pappus gewesen sein, sondern die דול יגורה, oder wie R. Nachman tradiert, Schemaja und Achija. Für die Identität dieser zwei Paare, nehmen wir gar an, spricht gar nichts, als bloß die unkritische Verwechselung von דול und הייקדול und allenfalls die Identität des Tages. Schon aus dieser Erwägung ergibt sich, daß Lipsius' Vermutung unrichtig ist, Julian und Pappus seien während der hadrianischen Verfolgung hingerichtet worden, und zwar durch Tinius Rufus. Alles spricht dafür, daß diese beiden gar nicht hingerichtet wurden, im Gegenteil durch eine Art Wunder gerettet worden sind. Noch mißlicher steht es mit den Namen. Der Prokurator oder ἔπαρχος unter Hadrian, welcher so viele jüdische Märtyrer gemacht hat, [413] dessen Vorname durch die Varianten bei Eusebius schwankend ist: Tinius Rufus, oder Thyonius, Ticinius, oder nach Hieronymus Titus Anius Rufus, wird im babyl. Talmud und in der agadischen Literatur genannt סופור סונרוט, im jerusalemischen Talmud (Berachot IX. p. 4. b. Sota V. p. 20. c.) סופור סונוט (was, beiläufig gesagt, für Tinius spricht) immer ist Rufus der Hauptname. Während er in der Boraïta von Julianus und Pappus: סוניירוט, ןוירית, סוניכרט oder סונאיגרט lautet, (סונירמ verschrieben für סונירוט), gerade so wie Trajanus in den Talmuden geschrieben wird (Jerus. Sukka V. 55. b.) עשרה סונינורט. In Midrasch Threni p. 75. b. heißt es הז םירתסמב ירא סוניספסא הז ברוא בוד סניכרט, wo סניכרט für Trajanus steht; Babli Aboda Sara p. 52. b.: אניירוט אנאיירדה ארניד זונגל ושקב, wo offenbar אניירוט für Trajan orthographiert ist. Lipsius' Annahme, daß das Märthrertum von Julianus und Pappus zur Zeit des Rufus stattgefunden habe, hat daher gar keine Basis, man muß es vielmehr in Trajans Zeit setzen, und da Trajan nie in Palästina war, so gehört es ohne Zweifel, wie ich früher kombiniert habe, in die Verfolgungszeit des Lusius Quietus, des alter ego Trajans.21

Der Widerspruch, den Lipsius darin hat finden wollen, daß einerseits wegen der Verfolgung des Quietus neue Trauerzeichen eingeführt, und anderseits in derselben Zeit ein Halbfeiertag, der Turjanus- oder Trajanstag eingesetzt worden ist (a.a.O. S. 101 f.), ist keiner. Trotz der Zerstörung Jerusalems und des Tempels, mit einem Worte des Polemos schel Aspasianos, blieben doch jene Gedenktage bestehen, welche Rettung und Siegesfeier verewigen sollten. Es liegt eben in der Eigenart des jüdischen Wesens, daß es Trauerzeichen wegen Katastrophen und doch zugleich Halbfeier zur Erinnerung an Gottes waltende Hand über sein Volk oder seine Frommen anordnet. – Von vielen Seiten hat es sich also bestätigt, daß ungefähr gleichzeitig mit dem Ausbruche der Aufstände der Juden in der Euphratgegend, in Alexandrien, Kyrene und andern Orten auch in Judäa eine Schilderhebung stattgefunden hat, welche zuerst Quietus durch Blutvergießen gestillt, später aber Hadrian, um neue Ausbrüche zu verhüten, durch die Konzession zum Tempelbau beschwichtigt hat. Der Polemos schel Quietus spielte in Palästina, dagegen läßt sich nichts Erhebliches einwenden. Selbst der Irrtum, der sich in Eusebius' Chronik und noch flagranter im Chronicon Paschale findet, daß die palästinensischen Juden im ersten Jahre Hadrians (oder in den ersten Jahren) einen Aufstand gemacht, infolgedessen Jerusalem in eine heidnische Stadt mit dem Namen Älia Capitolina verwandelt wurde, beruht eben darauf, daß sie eine kriegerische Bewegung im letzten Jahre Trajans, das zugleich das erste Hadrians, unternommen haben. Sie verwechselten nämlich den Polemos schel Quietos mit dem letzten Polemos unter Bar-Kochba.

Übrigens war der Aufstand der Juden in der Euphrat- und Tigrisgegend nicht so unbedeutend, als Lipsius annehmen zu müssen glaubt. Freilich ist Dio Cassius oder sein Epitomator sehr karg darüber, aber wir erfahren am besten die Ausdehnung des mesopotamischen Aufstandes der Juden aus der ursprünglichen [414] Fassung der Nachricht in der eusebianischen Chronik, welche der syrische Chronist Dionysius von Telmahor (Chronicon Syriacum ed. Tullberg 1850 p. 153) am vollständigsten erhalten hat, viel vollständiger als der armenische Text: ןיתרתו אאמו ןיפלא 'ב תנש סונירט ןוהילע דקפ ןורהנ תיבד אידוהי ןיסטסא ןידבע דכ אדחו אתוברו סטאוק ןודזאו .איכרפוה ןמ ןוהנא אכדנד סטאוק איסולל לכו אליבשו אתחרואו אתבו אקושד אנכיא לטק ןוהנמ אתאיגס רבקד תילו .תוה אילמ ןיהידלש ןמ ךוד. Wenn demnach »alle Marktplätze, Straßen, Wege und jeder Ort von jüdischen Leichen voll war, ohne daß sie jemand begrub,« so muß die Bewegung große Dimensionen angenommen haben. Die Parther waren nicht dabei beteiligt, wie aus Dio (das. c. 30) hervorgeht. Stellt man die beiden Sätze Dios zusammen (c. 32): ἀλλ᾽ Ἰουδαίους μὲν ἄλλοι τε, ταὶ Λούσιος (Κύƞτος) ὑπὸ Τραϊανοῠ πεμφϑεὶς, κατεστρέψαντο (und c. 30): τόντε Λούσιον καὶ τὸν Μάξιμον ἐπὶ τοὺς ἀφεστƞκότας ἔπεμψε καὶ οὗτος μὲν ἀπέϑανεν, ἡττƞϑεὶς μάχς. Λούσιος δὲ ἄλλα τε πολλὰ κατώρϑωσε, και τὴν Νίσιβιν ἀνέλαβε κ. τ. λ. so ist man gezwungen anzunehmen, daß die jüdische Bevölkerung allein hinter Trajans Rücken operiert hat. Die Sätze sagen aus: Lusius Quietus, von Trajan beordert, mit noch andern Feldherren unterwarf die Juden, und er hat beordert auch Nisibis und Edessa zu unterwerfen. Also hätten die Juden dieser Gegend Mesopotamiens den Aufstand gemacht. Die »andern« waren Maximus, welcher in der Schlacht blieb, ferner Erocius Clarus und Julius Alexander, welche Seleucia eingenommen und verbrannt haben. In allen diesen Städten wohnten Juden und diese wurden von Trajans Feldherren vertilgt.

4) ןורחאה סומלופ. Ehe ich auf den Ausgangspunkt, das Buch Judith, zurückkomme, will ich noch den letzten wichtigen Polemos beleuchten, weil das Vorangegangene chronologisch darin befestigt wird. Offenbar ist die Begebenheit, welche die Mischna mit dem »letzten Kriege« bezeichnet, dieselbe, welche das Seder Olam als אביזוכ ןב תוכלמ bezeichnet, und es ist vielleicht dabei zu ergänzen: אביזוכ ןב תוכלמ סומלופ. Es ist also hier von dem blutigen Hadrian-Bar-Kochbaschen Kriege die Rede. Nach Seder Olam sollen von Quietus bis Bar-Kochba 16 Jahre verlaufen sein. Schon daraus ergibt sich die Unrichtigkeit von Rapoports Annahme, daß der Bar-Kochba-Krieg in den ersten Regierungsjahren Hadrians stattgefunden habe, was sich allenfalls durch Eusebius' Chronik zum Teil und durch das Chronicon Paschale und andere abhängige christliche Chronisten belegen läßt. Dagegen hat Eusebius richtig ein anderes Zeugnis erhalten, daß dieser Krieg im 16. Jahre Hadrians ausgebrochen ist und sich bis zum 19. Jahre desselben erstreckt hat. Dieses Zeugnis stimmt also vollständig mit der Angabe des Seder Olam überein. Maßgebend ist dafür der Hauptbericht des Dio Cassius (69. 12. f.). Der Eingang ist sehr wichtig: »Als er (Hadrian) die Stadt Jerusalem anstatt der zerstörten wieder aufbaute, die er Älia Capitolina nannte, und als er auf der Stätte des Gottestempels einen andern für Zeus errichtete, erstand ein nicht kleiner, doch kurzdauernder Krieg. Denn die Juden, empfindlich darüber, daß sich Menschen von andern Nationen darin ansiedeln, und daß ein anderer Kultus darin gehegt werden sollte, hielten zwar, so lange Hadrian in Ägypten und dann zum zweiten Male in Syrien war, an sich, aber sie verfertigten die ihnen zugewiesenen Waffen schlecht usw.« Im vorhergehenden Kapitel berichtet derselbe, Hadrian habe von Griechenland die Reise durch Judäa nach Ägypten gemacht. Es ist dabei zu bemerken, daß Dio Cassius ein vollgiltiger Zeuge für die hadrianische Zeit ist. Sein Vater Apronian war unter diesem Kaiser Statthalter von Sizilien, erinnerte sich aller Umstände aus der hadrianischen Regierungszeit genau und [415] tradierte sie seinem Sohne (das. c. 1.). Durch Münzen ist es beurkundet, daß Hadrian im Laufe von 130 in Gaza und im Herbste desselben Jahres in Ägypten war (Eckhel, doctrina nummorum III. p. 453, 490; Clinton, fasti Romani I. ad. an. 130). Die Münzen mit der Inschrift: Adventui Aug(usti) Indaeae mit dem Emblem drei Palmen haltende Knaben und ein vom Kaiser von der Erde aufgehobenes Weib, oder der Genius Judäas mit dem Kaiser opfernd (bei Eckhel, IV. p. 495), diese Münzen stammen wohl auch aus dieser Zeit. Wann Hadrian auf der Rückreise von Ägypten in Syrien war, läßt sich nicht bestimmen; doch wohl nicht vor Frühjahr 131. Es wird sich weiter zeigen, daß der Bar-Kochbasche Krieg im Frühjahr ausgebrochen ist, aber nach Cassius' Angabe nicht während des Kaisers Aufenthalts in Syrien, also erst 132, d.h. im 16. Jahre Hadrians von 117 an gerechnet. Also verliefen gerade vom Polemos schel Quietus bis zum Beginne des letzten Krieges 16 Jahre, wie das Seder Olam tradiert.

Während seines Aufenthaltes in Judäa oder in Ägypten hatte Hadrian wohl Unterredungen mit R. Josua ben Chananja. Die beiden Talmude und die Midraschliteratur tradieren mehrere Gespräche dieses eitlen, wißbegierigen Kaisers mit dem milden Tannaiten, und wenn auch manche von ihnen höchst zweifelhaft erscheinen, weil die beabsichtigten Pointen in den Antworten hin und wieder andern talmudischen Autoritäten in den Mund gelegt werden, so liegt den Sagen doch zugrunde, daß R. Josua mit Hadrian, R. Akiba mit Tinius Rufus und R. Gamaliel mit vornehmen Römern in Rom einmal religiöse Dialoge geführt haben. Für echt halte ich das Gespräch in Berachot 56. a., worin erzählt wird, R. Josua habe dem Kaiser (Hadrian) verkündet, was dieser träumen würde, nämlich daß die Perser ihn in Gefangenschaft führen würden, was Hadrians feiger Gemütsart gut entspricht. Auch was Chagiga 5. b. erzählt wird, scheint echt zu sein. R. Josua und ein Judenchrist (האנימ) stehen vor dem Kaiser. Der letztere macht ein pantomimisches Zeichen, Gott habe von seinem Volke das Angesicht abgewendet, und R. Josua gibt ebenfalls durch ein Zeichen zu verstehen, Gott halte noch seine Hand waltend über sein Volk. Dieses Zeichen läßt sich der Kaiser erklären. Auch das ist situationsgemäß, daß ein Christ vor Hadrian verächtlich von der jüdischen Nation spricht. Daß Hadrian selbst in seinem Brief an seinen Schwager Servianus (Vopiscus in Saturninum c. 8) von einem jüdischen Patriarchen spricht, der nach Ägypten gekommen war, ist bekannt: Nemo illic (Aegypti) archisynagogus Judaeorum, nemo Samaritus.. ipse ille patriarcha cum Aegyptum venerit, ab aliis Serapidem adorare, ab aliis cogitur Christum. Dieser Patriach vom Jahre 130 ist wohl kein anderer, als R. Josua ben Chananja gewesen. Zum Überfluß folgt aus einer talmudischen Relation, daß R. Josua in Alexandrien war (Nidda p. 69 b.): ישנא ולאש םירבד ב"י (.היננח .l) אנניה רב עשוהי 'ר תא אירדנסכלא

Die Hauptfrage ist nur diese: War die Verwandlung Jerusalems in Älia Capitolina und der Tempelstätte in einen Zeustempel die Ursache des Krieges gegen Hadrian, wie Dio Cassius erzählt, oder die Folge desselben, wie Eusebius (Kirchengeschichte IV. 6.) aus unbekannter Quelle referiert? Auch aus der Mischna scheint hervorzugehen, daß Jerusalem erst nach dem Fall Betars, d.h. nach Beendigung des Bar-Kochba-Krieges gepflügt worden ist (Taanit Ende): ריעה השרחנו רתיב הדכלנ ... באב העשתב, eine Tradition, die auch Hieronymus (zu Zacharia c. 8.) erhalten hat, daß die Tempelarea gepflügt worden wäre: In hoc mense (quinto) ... capta est urbs Bethel (l. Bethar). ... aratum templum in ignominiam gentis oppressae a Tito Annio Rufo. Auch in einer Boraïta[416] wird das Pflügen des Tempels auf Rufus zurückgeführt (das. 29. a.) לכיהה תא סופור סונרוט שרחשכ, ebenso Jerus. das. IV. p. 86. b.: תא תומצע קיחש סופור שרח לכיהה. Ich sage, es scheint nur aus dem Talmud hervorzugehen, daß der Bau von Älia Capitolina und die Entweihung des Tempels erst nach dem Falle Betars erfolgten, weil die Aufzählung der Katastrophen in der Mischna nicht gerade chronologisch zu sein braucht, es kann sein, daß jene dem Fall Betars vorangegangen sind. Wenn nun das klassische Zeugnis Dio Cassius' erzählt, daß die Verwandlung der Stadt und des Tempels dem Kriege vorangegangen und Veranlassung dazu war, so muß das berücksichtigt werden. Es wiegt viel schwerer als der vage Bericht Spartianus' (in Hadrianum c. 14): Moverunt ea tempestate et Judaei bellum, quod vetebantur mutilare genitalia. Diese Religionsverfolgung war unzweifelhaft eine Wirkung der Niederlage und des Zorns Hadrians wegen des Aufstandes der Juden.

Mir scheint der Widerspruch der beiden Relationen nicht unlöslich zu sein.

Zunächst liegt wohl eine Differenz in der Variante, ob die Stadt Jerusalem oder der Tempelplatz auf Veranlassung von Rufus gepflügt worden ist. Traf es den letztern, so konnte es nur ein Racheakt gewesen sein und zwar wegen des stattgehabten Aufstandes und erbitterten Krieges, und also später als dieser. Ist dagegen nur die Stadt gepflügt oder richtiger umgepflügt worden, dann hatte dieser Aktus einen ganz andern Sinn und konnte auch dem Krieg vorangegangen sein. Das Chronicon Paschale tradiert aus einer, wie es scheint, sehr guten Quelle, daß Hadrian eine neue Stadt aus Jerusalem machen ließ, aus sieben Quartieren bestehend; es war auch eine neue Mauer zur Anlage dieser neuen, Älia zu nennenden Stadt gezogen worden, verschieden vom Umkreise des alten Jerusalem. Mit einem Worte, Hadrian machte daraus eine römische Kolonialstadt. Dazu pflegten die Römer bekanntlich den Umkreis, wo die Mauern aufgerichtet werden sollten, mit dem Pfluge unter Beobachtung eigener Zeremonien zu umfahren. Das ist auch wohl nur der Sinn in der Mischna ריעה השרחנו: die Stadt Jerusalem wurde umgepflügt, zum Zwecke eine neue zu bauen. Und das ist auch die richtige Fassung; denn לכיהה שרחנו, der Tempel sei gepflügt worden, hat keinen rechten Sinn; wäre nämlich dieses geschehen, so durfte nach römischer Superstition nichts darauf gebaut werden, und doch berichten einstimmig die Quellen, Hadrian habe einen Zeustempel auf demselben Platze erbauen lassen. »Der Tempel ist gepflügt worden« ist wohl eine Übertreibung der ursprünglichen Lesart »ריעה«, und auch Hieronymus' Angabe in ignominiam gentis oppressae scheint mir ein individueller Zusatz zu sein. Legt man nun Dio Cassius' Pragmatismus zugrunde, daß der Neubau Jerusalems die Ursache des Krieges war, so mag Hadrian bei seiner Anwesenheit in Judäa 130 das Umpflügen der Stadt befohlen haben, aber dieser Befehl braucht nicht sofort ausgeführt worden zu sein. Er hat sicherlich die Juden bei seiner Anwesenheit nicht so loyal und unterwürfig gefunden, als er es gewünscht hat. Gerade weil er früher die Restauration des Tempels zugesagt und sein Wort gebrochen hat, muß er darauf bedacht gewesen sein, den Juden alle Hoffnung auf eine Restauration zu benehmen. Heiden, Christen und Samaritaner werden es auch nicht an Ohrenbläserei gegen den rebellischen Sinn der Juden haben fehlen lassen. Mögen die Embleme auf der Denkmünze adventui Aug. (o. S. 416) ein freundliches Verhältnis zwischen Hadrian und den Juden andeuten – was noch nicht so ausgemacht ist – so braucht das nicht der Wirklichkeit entsprochen zu haben, sondern kann nur eine zu häufig vorgekommene Adulation gegen den Kaiser gewesen sein. Genug, es ist wohl [417] anzunehmen, daß Hadrian bei seiner Anwesenheit in Judäa den Plan faßte, Jerusalem eine andere, heidnische Gestalt zu geben, sei es, daß es sofort oder erst während seines Aufenthaltes in Ägypten in Angriff genommen wurde. Möglich, daß der damals beinah achtzigjährige R. Josua, als patriarcha Judaeorum, zu diesem Zwecke nach Alexandrien gereist ist, um den Kaiser zu bewegen, seinen Plan aufzugeben, weil dadurch kriegerische Aufstände zu befürchten waren. Dieser Plan, Jerusalem neu zu erbauen und einen Tempel für Zeus zu errichten, war durch den Krieg unausgeführt geblieben, und erst nach Beendigung desselben in Vollzug gesetzt worden. Daher die schwankenden Angaben in den Quellen, daß der Neubau Ursache oder Folge des Aufstandes gewesen ist.

Die Dauer des Bar-Kochba-Krieges betrug nach Angabe des Seder Olam 3 1/2 Jahre, Lesart bei de Rossi הצחמו 'ג אביזוכ ןב תוכלמו (in der Edition 2 1/2 Jahre). Von diesen 3 1/2 Jahren spricht auch der Bericht vom Betarschen Kriege: Jerus. Talmud und Midr. Threni (s. unten); nur werden sie auf die Belagerung Betars bezogen: סונאירדא השע הצחמו םינש 'ג רתיב לע ףיקמ. Die größere Zahl wird durch Hieronymus bestätigt, der sie aus einer jüdischen Tradition hatte (zu Daniel 9): Tres anni et sex menses sub Hadriano supputantur, quando Hierusalem omnino subversa et Judaeorum gens acervatim caesa. Das stimmt auch mit Eusebius' Chronik, daß der Krieg im 16. Jahre Hadrians begann, im 18. hochging und im 19. beendet war. Mit dem Fall Betars war er zu Ende, und dieses geschah nach der mischnaitischen Tradition am 9. Ab, d.h. 135, begann also 132 etwa im Adar, d.h. im Beginn des Frühjahrs, die geeignetste Zeit für Aufstände, ungefähr zwei Jahre nach Hadrians Besuch in Judäa, als er Ägypten und Syrien verlassen hatte, also übereinstimmend mit Dio Cassius' Angabe. Von der Tempelzerstörung Ab 70 bis zum Falle Betars Ab 135 verliefen also 65 Sonnenjahre. Das Seder Olam rechnet aber, wie wir gesehen, vom Polemos Vespasians bis zu Quietus' 52, von diesem bis zum Beginne des Aufstandes unter Bar-Kochba 16 und dieser selbst dauerte 3 1/2, also im ganzen 71 1/2 Jahre. Diese müssen als kürzere Mondjahre angesehen werden, außerdem 2 Jahre, um welche die talmudische Chronologie die Tempelzerstörung und den Polemos Vespasians früher ansetzt (o. S. 407) und endlich liegt ihnen noch eine ungenaue Doppelzählung eines und desselben Jahres zugrunde. Die Relation R. Josés (ben Chalafta) von 52 Jahren Betars nach der Tem pelzerstörung, auf die sich Rapoport, als auf eine Hauptstütze für seine Annahme, der Betarsche Krieg in der ersten Zeit Hadrians, beruft, steht mit diesem Kalkul durchaus nicht in Widerspruch. Es heißt nämlich: ןברח רחאל רתיב תשע הנש םיתשו םישמח יסוי 'ר ינת תיבה (so Jerus. Taanit IV. p. 69 a.; Midrasch Threni Rabba p. 71 b. und 8 a, a.). רתיב התשע oder רתיב תשע ist aber nicht dasselbe wie רתיב התלג oder רתיב הברחנ, wie es Rapoport nach dem unzuverlässigen Seder Olam Sutta auffaßt. Es scheint weit eher Anfang der Blüte als Zerstörung zu bedeuten.

So hat sich denn, ich möchte sagen, unwiderleglich gezeigt, daß das Seder Olam von José ben Chalafta und die Tradition der Mischna den chronologischen Rahmen zu den drei Revolutionen oder Kriegen der Juden auf palästinensischem Boden gegen Vespasian, Quietus-Trajanus und Hadrian enthalten, der durch anderweitige Nachrichten ausgefüllt wird. – Wir kommen jetzt zum Apokryphon Judith, nachdem alle Hindernisse beseitigt sind, welche das richtige Verständnis desselben erschweren. Ich wiederhole noch einmal, daß Hitzig-Volkmars Ansicht von der Abfassungszeit desselben unter dem Eindrucke des Quietus-Hadrianischen [418] Aufstandes sich als das Plausibelste empfiehlt. Daß das Buch keine wahre Historie enthält, gibt wohl heutigen Tages jeder Theologe zu, der nicht ganz und gar mit der Wissenschaft gebrochen hat und sich geflissentlich gegen kritische Überzeugungen verstocken will. Die makkabäische oder richtiger vorhasmonäische Zeit während des Druckes und des Hellenisierungszwanges unter Antiochos Epiphanes reflektiert der Inhalt nur sehr dürftig; gerade das Hauptmoment und das Pathos jener Zeit sind gar nicht darin angedeutet. Wie gut sind dagegen die Gestalten aus der Trajanischen Zeit gezeichnet. Arphaxad = Arsaces, König der Parther, Nebukadnezar, König von Assyrien in Ninive = Trajan und Holophernes I., sein gewissenloser Feldherr = Quietus! Wie deutlich hebt die Jahresangabe diese Parallele hervor. Im 17. Jahre Nebukadnezars wird Arphaxad von ihm besiegt (1, 13); im 18. sendet er Holophernes, den zweiten nach ihm, alle Völker zu unterwerfen (2, 1), und so muß auch gleich im Anfang das sechzehnte Jahr Nebukadnezar, als er sich zum gewaltigen Kriege rüstet, stehen, mag nun eine Handschrift diese Zahl statt 12. oder 13. haben oder nicht; man lese die durchgreifende Parallele zwischen den angeblichen Zügen und Siegen Nebukadnezars und denen Trajans bei Volkmar nach; sie ist schlagend. Warum hat der Verf. aber gegen die geschichtliche Wahrheit Nebukadnezar gerade nach Assyrien und Ninive verlegt, warum hat er ihn nicht in Babylonien gelassen? So fragt Lipsius (das. S. 44 fg.). Diese Frage kann nur aus der damaligen jüdischen Anschauung und Stimmung beantwortet werden, deren Niederschlag die agadische oder Midrasch-Literatur ist. Man kann christliche Forscher auf diesem Gebiete nicht genug ermahnen, sich mit der Agada vertraut zu machen, ohne welche jeder Schritt zur Erklärung der Evangelien und Apokryphen unsicher bleibt. Das Beispiel, das ich hier anführe, wird die Mahnung bestätigen. Agadische Sentenzen in Genesis Rabba c. 16. lauten, nachdem vorangegangen ist: Griechenland hat drei Vorzüge vor dem boshaften (römischen) Reiche; in Gesetzen, Büchern (Literatur) und Sprache (ןיסומנב ןושלבו ןיסוקניפב), darauf R. Huna im Namen R. Achas: alle Reiche werden nach Assyrien genannt, R. José ben Chanina: alle Reiche werden nach Ninive genannt: וארקנ תויכלמה לכ ... רושא םש לע וארקנ תויכלמה לכ הונינ םש לע. Es darf also nicht auffallen, wenn im Buche Judith das römische Reich durch Assyrien und Rom durch Ninive bezeichnet wird.

Zwei Bemerkungen habe ich noch zu machen, welche vielleicht zum nähern Verständnis des Judithbuches beitragen werden. Die Stadt, welche gewissermaßen den Mittelpunkt der ganzen Fiktion bildet, Baitylua oder Betylua (Βαιτυλούα, so die richtige Lesart, vergl. Volkmar, Judith, S. 227, statt Bethulia) ist noch immer ein Rätsel. Wenn die übrigen dort genannten Lokalitäten real sind, kann dieses ebensowenig wie das dabei genannte Betomastaïm allegorischer Natur sein; die Erklärung הולא תיב ist ebenso abgeschmackt wie הילותב. Es muß eine Stadt dieses Klanges in der Ebene Jesreël auf einer Anhöhe gegeben haben, welche den Paß nach dem Binnenlande beherrschte. Und da scheint mir ein Ortsname zu entsprechen, der noch gar wenig bekannt ist. In der Mischna (Menachot IX. Ende oder VIII. 6) wird als der beste Wein angegeben, der als Gußopfer auf den Altar kommen sollte, und dessen Trauben der Sonne am meisten ausgesetzt waren, der von zwei Ortschaften: ןייל אפלא ןילוטעו םיחודק ?ןייה תא ןיאיבמ ויה ןיאמ. Die richtige Lesart für ןיחודק ist ןיחולק oder ןייחרוק = יחרוק, (vergl. den Mischnatext ohne Talmud, wo korrumpiert םיתורק steht und Maimuni חבזמ ירוסא VII. 2). Das Wort ist eine Dual- oder Pluralform; es ist vielleicht identisch mit Koreai, welches Josephus erwähnt beim Zuge Pompejus' nach [419] Jerusalem, von Damaskus über Pella jenseits des Jordans, Skythopolis diesseits εἰς Κορέας ἥτις ἐστὶν ἀρχὴ τῆς Ἰουδαίας διεξίοντι τὴν μεσόγειον (Antiqq. XIV. 3, 4). Wenn Κορέαι gleich יחרוק ist, so lag es in der Gegend der Ebene Jesreël, und ebenso das wohl benachbarte ןילוטע oder םילוטע. Dieser Ortsname wird verschieden orthographiert: in dem bloßen Mischnatexte םילוטה, Maimuni םילוטה. Es ist ohne Zweifel derselbe Ort, welcher in der Tosifta und in beiden Talmuden einigemal vorkommt: b. Jebamot 59 b: תחא הבירב השעמ הירחאמ ירפוכ בלכ העבר ולתיהב: Nidda 9 b: הבירב השעמ תונוע 'ג הקיספהש ולתיהב תחא, dafür in Tosifta Nidda I. תולתיה, und im Jerus. Nidda I, 4: רחא הבירב השעמ הקיספהש ולתייעב. In der Kalirischen Kinah הבשי הכיא ןורשה תלצבח, deren Inhalt einer für uns verloren gegangenen Agada entnommen ist, die die palästinensische Ephemeridenvororte aufgezählt hat, wird neben bekannten und unbekannten, neben תרצנ (Nazareth) auch ולהתיע ןהכ genannt, richtiger וליתיע; denn das Wort wird daselbst gereimt mit ותיתש – ולת – וליתפ. Diese Stadt vielleicht ולותיה oder ולוטיה, wenn man sich ein יב (abgekürzt für תיב) hinzudenkt, entspricht vollständig dem Βαιτυλούα etwa הולוט יב. Es muß eine gebirgige Stadt gewesen sein, da der beste Wein daselbst neben חרוק-Κορέαι gezogen wurde. Mag es nun dieses Bai-Haitylu gewesen sein oder nicht, eine faktisch existierende Ortschaft bildet den Schwerpunkt der ganzen Dichtung. An die Bewohner dieser Stadt schrieben die Hohenpriester und die Gerusia, die Gebirgspässe zu bewachen, um den Feind nicht in die Mitte von Juda eindringen zu lassen (4, 6 f.). Und weil der erste dieser Stadt, Ozias, beschließt, die Festung Betylua in 5 Tagen Holophernes zu übergeben, ist alles voller Trauer und ganz Judäa scheint verloren. Judiths zweideutige Tat wird darum als Großtat gepriesen, weil sie diese Festung und damit ganz Judäa vor Invasion gerettet. Jerusalem-Zion sind in diesem Buche untergeordnet, und schon aus diesem Grunde kann es nicht in der Hasmonäerzeit spielen, in welcher Jerusalem und der Tempel den Vordergrund bildeten.

Die zweite Bemerkung betrifft den Namen von Nebukadnezars Feldherrn Holophernes. Man hat viele unglückliche Versuche gemacht, diesen Namen zu deuten; ich erinnere nur an die Deutung von Hugo Grotius שחנ רפלח, lictor serpentis!!! Man hat die Klänge aus dem Persischen oder Indischen herbeigezogen, als wenn der Verf. ein sprachvergleichender Indogermanist wäre. Der Name eines historischen Feldherrn ist Holophernes allerdings nicht, sonst läge dem Verf. Nebusaradan viel näher. Er hat also wohl damit etwas andeuten wollen wie mit dem Namen Achior, dem Heiden, der den Juden das Wort redet. Ich möchte auch eine Deutung zum besten geben. Wenn dabei an eine Fremdsprache gedacht werden soll, so lag den palästinensischen Juden das Griechische viel näher als das Arische. – Die Rettung durch Judith ist auch agadisch oder halbagadisch bearbeitet worden, und es bleibt noch zu untersuchen, wie sich diese Bearbeitung zum Original verhält. Diese agadische Judith spielt allerdings in der Hasmonäerzeit (vergl. Jellinek Bet ha-Midrasch I, S. 130 f. und Einl. S. XII f.). In der Erzählung, welche das Sammelwerk םימיה תרמח davon erhalten hat (zu Chanuka) heißt der Feldherr oder König ינרופילא. Kann man nicht dabei an ein griechisches Kompositum Ὁλοπόρνƞς »ganz geil« denken? Als geil wird Holophernes im Judithbuche geschildert (12, 16), auf Schändung von Jungfrauen spielt auch das Gebet 9, 2 an.

Es kommt aber dabei auf die Tendenz der Dichtung an. Ich kann mich nicht mit Volkmars Ansicht befreunden, daß das Judithbuch einen Hymnus bildet, gedichtet zur Erinnerung an die Erlösung von Quietus' Grausamkeiten. [420] Denn welcher Schriftsteller wird maskierte Personen auftreten lassen, wenn er mit der Erzählung faktischer Begebenheiten einen größeren Eindruck hervorbringen kann? Man muß sich fragen, wozu die ganze Maskerade von fingierten Personen? Mir scheint das Buch Judith eine ähnliche Tendenz zu haben, wie das Buch Esther und das sogenannte dritte Makkabäerbuch (vergl. B. III. Note 3. S. 615 f.). Es will das Gottesvolk vor Verzweiflung warnen und es darauf hinweisen, daß Gott durch Schwache eine unerwartete Errettung herbeiführen könne, wo die Kraft nicht ausreicht. Es wollte vielleicht auch einen Wink geben, wie dem Bedränger (dem geilen Holophernes-Quietus?) beizukommen wäre, wie sich ein jüdisches Mädchen opfern sollte, um ihn durch ihre Reize zu berücken und unter Umarmungen ihm den Garaus zu machen. Der Dränger bedrohte nicht Jerusalem, sondern hatte seine Heere in der Ebene Jesreël oder Es drelom versammelt, wollte aber von da aus ins Herz des Landes über das Mittelgebirge, das Königsgebirge (אכלמ רוט) nach dem Süden dringen. Der Verf. wollte durch Fiktion angeben, wie der Feind daran gehindert werden könnte, wenn sich eine kleine Festung, die einen Engpaß beherrscht, anstrengte, ihm den Durchzug zu wehren. Ich meine, daß durch diese Auffassung alle Teile des Buches zu ihrem Rechte kommen; sie erscheinen dadurch wohl gegliedert und es ist nichts überflüssiges Beiwerk daran. Die allerdings nicht gewichtlose Frage, welche Lipsius aufgeworfen hat, warum denn die Synhedrialstadt Jabne im Judithbuche als eine heidnische gilt, wenn es zur Zeit des Quietus gedichtet ist, diese Frage verliert ihr Gewicht, wenn man annimmt, daß der Verf. nicht die damalige Gegenwart treu abkonterfeien, sondern sie in einem Nebelbild aus der Vergangenheit zeigen wollte.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1908, Band 4, S. 405-421.
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