III. Die Salonicher Apostaten: Jakob Querido, Berachja und ihre Helfershelfer.

[471] Tobia Kohen Rofe, eine Hauptquelle für die Verirrungen dieser Zeit, berichtet, daß Sabbataïs Schwager, Jakob Querido, Sohn des Joseph Philosoph, nach des Pseudomessias Tode in Salonichi auftrat, mit dem Vorgeben, S. Zewis Seele sei auf ihn übergegangen: ףסוי ... םכחה ןב בקעי רוחבה וסיג םק יבצ יתבש תתימ רחאו ודיריק םשב וירוענמ ותוא םיארוק ויהו יקינולאש ריעב ףוסוליפ לגלגתנ צ"שש רמול םנוצרב יבצ בקעי םשב ומש ופלח כ"חאו ףסוי םכח ויבא רובע הז לכו יתמא חישמ אוהש ונימאהו ... וב םתבסבו ןיטנירולפ םכח אוהו הרבעל עייסמה תביסבו ףוסוליפ תילארשיה המואהמ תואמ המכ ודימשה. [471] Jakob Querido oder Jakob Zewi mit seinen Anhängern Joseph Philosoph und Florentin, beide als םימכח bezeichnet, d.h. Tal mudkundige, stiftete demnach die radikalste Sekte der Sabbatianer, die sich vollständig vom Judentum losgesagt hat. Tobia Kohen erzählt weiter, daß Querido nach Mekka gewallfahrtet und auf der Rückreise in Alexandrien gestorben ist. Zur Ergänzung dieser Nachricht dient die Notiz in der hebräischen Relation über S. Zewi (bei Emden תואנקה תרות, p. 12 b), daß S. Zewi nach dem Tode seiner polnischen Frau Sara die Tochter des Joseph Philosoph geheiratet hat: ... צ"שו ’ר תב תרחא השא חקיו ןילופ תנידממ התיה רשא ותשא ול התמ אוה םג רופכיו ... ףסוי ’רל ומירחה םימכחו השאל ףוסוליפ ףסוי םישנא המכ כ"ג הידהו לארשי יקלאב (s.o. S. 310).

Dazu gehört auch das Zeugnis des Mose Chabib, daß S. Zewis letzte Frau vermittelst ihres Bruders viele Schwindeleien getrieben und diesen als reif und erwachsen von ihrem Gatten gezeugten Sohn ausgegeben habe, was sich eben auf Querido bezieht. Von ihm, seinem Vater und einem anderen Talmudkundigen sei die apostatische Sekte der Salonicher gestiftet worden, welche vielen Unfug und Weiberkommunismus getrieben habe (bei Emden das. p. 25 b): דיעמ םג ותשא תאבש יקינולאסב לודג לושכמ אצי ... וז הנומא י"עש ינא ו"ט ןב היחא החקל םישדח ’ו רחאו ... ותתימ רחאל צ"ש לש החינהו רענהל הדליו ... דחוימ רדחב ומע המצע הריגסהו םינש םינבר ינש וירחא וכשמנו ... ףסוי ןב חישמ אוה ךכלו ... ותוא וא ’ג וא ’ב ומכ םהירחא וכשמנו ... רפס רביחש דחא ברו ויבא ינפל ויבאו אוה ותד רימהו ... וב ונימאהו םיתב ילעב תואמ ’ד וב םינימאמה לכש ורמא יקינולאסל (fol .26 a) ואבשכו ךלמה ולאו ... ותד רימה רבחמה ברה םגו ... לודג ןוקת והזו ותד ורימי םיאצמנה םיאיבנ לבח םהו ... שיא תשא המכ וריתה םינבר ינש יקינולאסב ושכע. Diese drei Nachrichten ergänzen einander. Jakob Querido, seine Schwester, Frau S. Zewis, Joseph Philosoph, ihr Vater, und Florentin, Verfasser eines rabbinischen Werkes, welcher sich der Apostasie angeschlossen hat, bilden demnach die Stifter der Salonicher Judentürken, von welchen Niebuhr im Deutschen Museum, Jahrg. 1774, S. 17, berichtet: »Nach seiner (S. Zewis) Flucht (richtiger nach seinem Tode) war sein Schwager Jakob und nach dessen Tode Barochja, Jakobs Sohn, das Oberhaupt der neuen Sektierer, und von diesen soll letzterer eine ganz neue Religion gestiftet haben. Ihr vornehmster Aufenthalt ist Salonik, Jakobs Geburtsstadt. Daselbst findet man wohl (damals 1784) 600 Familien, genannt Donmäh, d.h. Abtrünnige, die sich untereinander verheiraten.«

Von Jakob Querido teilt auch einiges ein Schreiben des Smyrnaer Rabbiners Benjamin Levi mit, allerdings erst vom Jahre 1714, aber aus selbsterlebten Erinnerungen (Ms. Halberst. B, Bl. 66), und nennt dabei einige Miturheber dieser Sekte: יעשופ השלשו ויקסעש רומח תורומח שיא לאינד איבנה ליוא ... ןושארה לארשי ןאגראט בקעי ללוקמה תיחשמ שיאל אוה רבח וריבחו ,םיער השלש (צ"ש) שיאה ותוא לש ודימלתו ונתוה אמטל רבוחמהו םנועב וקמנ םיראשנהו ןישוריגל םתוא וננד התומת ינב הלא וטעמי לבהמו. Unter der Bezeichnung »Schwager und Jünger S. Zewis« [472] ist hier Jakob Querido deutlich genug genannt. Der zuerst Genannte, namens Daniel, ist ohne Zweifel Daniel Israel, ein Pseudoprophet, wovon später. Der dritte ist sonst nicht bekannt: Jakob Targan. Es würde aus dieser Notiz folgen, daß diese drei zuerst in Smyrna aufgetreten sind und von da verwiesen wurden, was auch das Zeugnis des Mose Chabib andeutet, daß S. Zewis letzte Frau und ihr Bruder sich von Smyrna nach Salonichi begeben haben. Von Daniel Israel, einem sabbatianischen Pseudopropheten, tradiert Jakob Emden (a.a.O. p. 26a), daß er einige Jahre nach S. Zewis Tod aufgetreten sei: לאינד ... דהא העתמ םק צ"ש תמוהש רחא םינש הזיא הברה ... רימזאב ןזח קר ןדמל היה אל אמטה הזו ... לארשי ... םילעמשיה טפוש לא וכלהו ... עשרה דגנ ודמע ... םישנא ... אבאסאק ... הנטק ריעב רודל ךליו רימזאמ יאמרה תא שרג ימרגות השענ לאינד ללוקמה. Jakob Emden scheint nicht gewußt zu haben, daß Daniel Israel zu dem Salonicher Apostatenkreise, zu den Donmäh, gehört hat. Laut Benjamin Levis Sendschreiben müssen wir ihn aber dazu zählen. Er ist identisch mit Daniel Bonafoux, Cardosos Parteigänger (o. S. 465). – Über Florentin und Joseph Philosoph, Queridos Vater, gibt ein Ms. (in der Günzburgischen Sammlung) von Chajim (Vital) Segre einige Auskunft. Beide waren Jünger des Pseudopropheten Nathan, und der erstere, Salomo Florentin, stand bei den Sabbatianern in solchem Ansehen, daß sie ihn für den wiedergeborenen Chajim Vital und seinen Meister Nathan für den wiedergeborenen Isaak Lurja hielten: לוגלג (ןתנ) ברה תלעמ הרשע .לאטיו םיוח ’רה לש לוגלג וניטנירולפ המלש ’ר ,י"ראה םכחהו ןיטנירולפ םכחה תלעמ ;םתומש ןה ולאו ןתנ ’רה ידימלת ... ףוסוליפ ףסוי ’ר

Die Chronologie für die Entstehung und Verbreitung dieser Sekte ist nirgends genau angegeben. Im allgemeinen kann man nur annehmen, daß die Apostasie zwischen 1676, S. Zewis Todesjahr, und 1696, dem Todesjahre Mose Chabibs, welcher Zeugnis darüber abgelegt hatte, fiel. Man muß sogar diese Zeit noch einschränken: denn Mose Chabib spricht noch von Jakob Queridos Tod und der Nachfolgerschaft Berachjas. Diesen Berachja oder Barochja nennt Niebuhr einen Sohn Jakobs. Aus einer Angabe Mose Chagis' läßt sich indes das Jahr der Apostasie dieser Sekte genau fixieren. Er bestimmt das Jahr 1687, das ihm denkwürdig war, weil die Nachricht von dieser Apostasie gerade an seinem Hochzeitstage eintraf (םיעשופ רבש gegen Ende des Hauptteils): יתעמש רשאו םאו ריעב עריאש דמשהמ ... הפוחל סנכנ יתויהב ז"מת תנשב ןיטנירולפ וריבחו ףוסוליפ ףסוי תכמ (יקינולאש) לארשיב. Auch an anderen Stellen datiert Mose Chagis vom Jahre 1714 an 27 Jahre zurück bis zum Beginne der Wirren in Salonichi. Im Eingange zur selben Schrift bemerkt er: ןיטנירולפ ודיריק םינוכמה םיפרשה םישחנהו םאו ריעב ... לארשימ בר םע ותימהו םעה תא וכשנ ףוסוליפו תושפנ תואמ המכ ... לופונירדנאו יקינולאש לארשיב. Man muß demnach annehmen, daß die prophetischen Spiegelfechtereien Daniel Israels und die Schwindeleien der letzten Frau S. Zewis wenige Jahre nach dem Tode des Pseudomessias in Smyrna stattgefunden haben, um 1680. Darauf sind sie durch Bestechung des Kadi aus Smyrna ausgewiesen worden und begaben sich nach Salonichi, wo Joseph Philosoph wohnte. Dort trieben sie noch einige Jahre als Juden ihren Spuk, bis sie den Behörden denunziert worden sind. Um der Strafe zu entgehen und sich vom Judentume loszusagen, an dem sie nur noch mit einem dünnen Faden hingen, nahmen sie, 200-400 [473] Glieder, den Turban erst im Jahre 1687. Um seine islamitische Rechtgläubigkeit darzutun, begab sich das Haupt dieser Donmähs, Querido, auf die Wallfahrt nach Mekka, etwa um 1690. So bleiben noch immer einige Jahre bis 1696 Spielraum für die Tollheiten Berachjas, wovon Mose Chabib vor seinem Tode 1696 Zeugnis ablegte.

Sämtliche gegnerische Berichterstatter beschuldigen die Salonicher Judentürken oder Donmähs der Laszivität, des Weiberkommunismus, der κοινωνία μυστικὴ τῶν ἀφροδισίων, wie die Christen ehemals die gnostischen Sekten. Die Bannbulle des Konstantinopolitaner Rabbinats gegen Chajon (d.d. 1714, Emden 31 a), welche auch der Salonicher Erwähnung tut, sagt von denselben:, ,תורותה תאו םיקחה תא וסאמיו היה םב ,הסרואמה הרענ לע ואב ,הז םע הז םהיתושנ ופילחה לודג ןוקת היה לכהו ומא לעו ותוחא לע אבה אצמנ םבו םתושפנל. Dasselbe berichtet von früherer Zeit Mose Chabib im Zeugnisse (das.). Joseph Ergas, ebenfalls Zeitgenosse, sagt ganz dasselbe (שחנ דצה, p. 49 b): צ"שה ןמזמ לארשימ תושפנ המכ דבאל םרג רשא רבדה הז אלה םהיתושנ ףילחהלו םתד רימהל ... ידכ תומדקה המכ םבלמ ודבש .תורומח תורבע רובעלו. Auch mehrere andere Zeitgenossen bezeugen diesen Unfug. Niebuhr berichtet allerdings (a.a.O.), daß sie meistens geachtete reiche Kaufleute waren, denen man nichts Böses nachsagte; aber das war ein Jahrhundert später. Ihr schlimmer Ruf kann von zwei Momenten herrühren. 1. Sie schätzten, wie Niebuhr berichtet, »das Hohe Lied höher als die Bücher Moses und den Koran.« Das ist leicht erklärlich, weil dieses erotisch-mystisch auslegbare Buch für die kabbalistische Theorie, welche die gradweise Emanation der Gottheit und die Rückkehr der Wesen in ihren Urgrund blasphemierend als Begattung und Verbindung (הליעבו גווז) bezeichnete, scheinbar biblische Belege bietet. Dieses Handhaben und Umsichwerfen mit erotischen Termen und Versen stempelte diese Sekte zu einer die Keuschheitsgesetze mißachtenden. 2. In der Wahl der Ehefrauen und in der Ehescheidung ließen sich die Sabbatianer nach der lurjanischen Theorie von der mystischen Seelenharmonie und Disharmonie oder Wahlverwandtschaft leiten, und um so mehr die Donmähs, welche sich an die jüdischen Gesetze nicht mehr banden. Nach außen mag es daher ausgesehen haben, daß sie untereinander die Ehefrauen wechselten. Indessen mögen sie im Hasse gegen das rabbinische Judentum manches Ehegesetzliche geradezu aus Trotz und Widerspruch übertreten haben.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1897], Band 10, S. 471-474.
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