5. Die Könige von Schweden und die Karäer.

[478] Wagenseil erzählt, daß König Karl XI. von Schweden, begierig Nachrichten über die Karäer zu erhalten, den Professor Gustav Peringer Lilienbladt aus Upsala nach Polen schickte, um Erkundigungen an Ort und Stelle über sie und von ihnen einzuziehen und ihre Schriften, gedruckte wie Manuskripte, um die höchsten Preise zu kaufen (Hoffnung auf die Erlösung Israels, S. 30, 31). Das Datum ist daselbst nicht angegeben. Annähernd erfahren wir es aus Peringers Brief an Ludolf, d.d. April 1691, worin er diesem einiges über die Resultate seiner Reise zu den Karäern mitteilte (Tentzel, Monatliche Unterredungen ad 1691, S. 572 f., Schudt, Jüd. Merkwürdigkeiten I, S. 109f., Wolf IV, S. 167 f.). Die Reise scheint er also um 1690 angetreten zu haben, wie auch Wolf annimmt (Notitia Karaeorum 2, Note). Viel Neues bietet dieser Bericht nicht, höchstens über die Wohnplätze der Karäer in dieser Zeit, Degunt illi (Karaitae) in Lithuaniae variis locis: Birsae (castellum), [478] Pozvula, Neostadii, Koronae, Trocae alibique. Ob die Blättchen, die Peringer an Wagenseil darüber absandte, mehr enthalten haben, ist nicht bekannt. Das Itinerarium des Karäers Samuel ben David, welches er fragmentarisch mitgebracht und gedruckt hat (Upsala 1691), hat keinen besonderen Wert, wir besitzen es jetzt vollständig durch Gurland gedruckt תועסמה רפס (in seinem יזנג גרוברוטיפ ט"סב לארשי, Heft 1) Lyck 1865. – Von einer anderen Forschungssendschaft erzählt der Karäer Mardochaï ben Nissan (in der Einleitung zu Dod Mardochaï, ed. Wolf, l.c., S. 2 f.): חור תא ’ה ריעה התעו וא םיתש הזש ומכ ... ’ה תרותב רותלו שורדל תוירכנ תומא רהנ לע רשא הייצעווש תוכלממ םימכח םינש ואצי םינש שלש םש רשא םוקמה לכב אוטיל לש היסכודב וטטושיו הניווד עיגהו םירפס ונימכח ירובחמ םהל ורסמיש ושקביו םירד םיארקה ידימלת ינש םלצאמ וחלשיש וניתלהק תא ושקבש ןכיא דע ללוכה םכחה חור תא ’ה רעיו ... םשרדמ בשומ םוקמ לא םימכח לווסאפ ריעמ ןקזה ןורהא ר"רהומכב ו"צי המלש ר’רהומכ ... ךלהש ... ןיטל ןושלב יקב המכחב ןקזו םינשב ךר טיימאז םוחתמ רוציקב םהל בותכיש והושקביו ... והודבכיו םתוכלמ ריעל םלצא ... רצק רמאמ רבחו ... םיארקחו םינברה ןיבש תקולחמה לכ .םהל חלשיו

Da Mardochaïs Angabe, als die eines Zeitgenossen, verläßlich ist, so muß dieses eine andere schwedische Sendschrift an die Karäer gewesen sein, etwa vom Jahre 1696 oder 1697 (zwei oder drei Jahre rückwärts vom Jahre der Abfassung, Juli 1699). Sie berichtet daher von zwei schwedischen wissenschaftlichen Exploratoren, und daß Salomo ben Aaron, Verf. einer Schrift über die Differenz zwischen Rabbaniten und Karäern, selbst nach der Hauptstadt gereist sei. Diese Schrift des Karäers Salomo, von welcher Mardochaï sagt, er habe sie nicht zu Gesicht bekommen, besitzen wir jetzt; sie hat den Titel ול השע ןוירפא (ediert von Neubauer in der Schrift: Aus der Petersburger Bibliothek, als hebr. Beilage). Im Eingang (S. ’ד) sagt der Verf. er habe sie auf Veranlassung des Professors Johann Pufendorf verfaßt, der ihn dazu brieflich aufgefordert habe: ויבתכ פ"ע ינריצפהש ןעי ... המלש רמא זא שאר ףרודנפפ ןנחוי ןודאה תומר תומכחב עדונה שיאה ויתורגאו לארשי תיב תקולח תבס ול עידוהל ... אגירב ידיוש ךלמ תבישי םינבר םגו םיארק םינשל. Dieser Karäer war nicht in Schweden, sondern in Riga bei Pufendorf. Ihm hat er auch seine Abhandlung zugeschickt. Er wohnte, wie Mardochaï angibt, in Poswol (Samogitien), was nicht sehr entfernt von Riga ist. Das wollen auch Mardochaïs Worte sagen. Aus Schweden am Fluß Düna, d.h. aus Livland und Riga. Es ist schade, daß in der Schrift ןוירפא kein Datum angegeben ist. Doch scheint auch dieses Faktum in Karls XI. letzte Regierungsjahre, 1696-1697, zu fallen.

Derselbe Mardochaï ben Nissan, welcher Triglands Fragen in betreff der Karäer in der Abhandlung דוד יכדרמ beantwortet und einen zweiten Brief an denselben, d.d. 1700, gerichtet hat, hat ebenfalls eine Schrift über den Karäismus unter dem Titel תוכלמ שובל ausgearbeitet, und zwar auch auf Anregung eines schwedischen Königs Karl. Dieselbe ist ebenfalls von Neubauer (das. Beilage, p. 30 ff.) abgedruckt. Sie beginnt mit den Worten: יתלבה רובגה ראופמהו הלועמה ןודאה וידבע תא לאש ... אייצעווש ךלמ לוראק ומש תרדה חצונמ המו םה המוא וזיאמ םתודוא תעדל אקצול ריעבש םיארקה ... יעמשכו םהיניבו םיידומלתה ןיבש שרפהה המו םתנומא ןוצר תואלמל יתצאו יתשח ... כ"חאו ... יתחמש םיארקה שרדמב ןודאה. Das [479] kann nun nicht Karl XI., sondern sein siegreicher Sohn Karl XII. gewesen sein, der auf seinen Kriegszügen in Polen, wohl gegen Ende 1702, in Luzk gewesen sein kann: denn hier ist von keiner Sendung an die Karäer, sondern von einer persönlichen Unterredung Karls mit den Karäern die Rede. Mardochaï zitiert auch in dieser Schrift öfter seine Schrift für Trigland, die im Jahre 1699 konzipiert ist, also schon nach Karls XI. Tod. Dieses Faktum dürfte nicht bekannt sein, daß der schwedische Held, welcher hochfliegenden Eroberungsplänen nachhing und nachging, sich auch um die Differenz zwischen Rabbanismus und Karäertum gekümmert hat.

Der Karäer Salomo ben Aaron, welcher für Pufendorf oder für Karl XI. die Schrift ןוירפא um 1696 ausgearbeitet hat, führt zu einer anderen Untersuchung. Es hat sich gezeigt, daß er in dieser Zeit noch jung war, und daß er in Poswol wohnte. Simcha Isaak Luzki nennt ihn zwar (im Katalog der karäischen Literatur seines םיקידצ חרא p. 22b): יקורטה ןקזה המלש ןקזה ןורהא ר"רהב, was aber kein Widerspruch zu sein braucht. Salomo kann zur Gemeinde Torok gehört oder später in Torok gewohnt und zur Zeit der Abfassung von S. J. Luzkis Schrift 1756 bereits alt gewesen oder als Greis gestorben sein. Dieser Karäer Salomo erzählt, er sei mit dem damaligen Rabbiner Josua Heschel II. in Wilna befreundet gewesen und habe mit ihm ein hebräisches Rätselspiel unterhalten (J. Finn in הנמאנ הירק, Geschichte der Wilnaer Gemeinde, p. 110, Note): :ןוירפא רפס רבחמ ןורהא ןב המלש ןושל הז בוחרב יתשגפ תחא םעפ אנליוו ק"קב יתויהב תודח ןיבמה רמא ר"רהומכ ןואגה ה"ה ל"נה ק"קד ד"בא תא ה"במ אצוי םידוהיה ןואגה ינמידקהו לואש ר"רהומכ גלפומה ןואגהב לשעה עשוהי הזב ותלעמ םורל יתובישה תחא לגר לעו ... ורמאב תאז הדחב ’וכו ןושלה. Das Rätsel und die Lösung, beide sind abgeschmackt, aber es folgt doch daraus, daß zwischen den Rabbaniten Wilnas und den Karäern kein feindliches Verhältnis bestanden hat, daß sie vielmehr miteinander freundschaftlich verkehrt haben. Solche Indizien von gegenseitiger Duldung und freundnachbarlichem Verhalten, früher unbekannt, kommen noch in dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts vor. Neubauer (a.a.O. S. 73) teilt aus Urkunden mit, daß das Rabbinat zu Wilna ein gerichtliches Urteil von karäischen Chachamim oder Schoftim aus Torok (1712) für gültig erklärt habe. Das Rabbinat von Brzesez empfahl den karäischen Richter (טפוש) Abraham ben Samuel sehr warm und erwähnte die Verdienste, die sich sein Vater und er selbst um das Haus Israel erworben, daß beide die Richterwürde mit vieler Biederkeit geführt haben. Es ist schade, daß Neubauer diese Urkunde nicht mitgeteilt hat, woraus die näheren Umstände und die chronologischen Momente deutlicher und erkennbarer wären. Aber so viel geht wohl daraus hervor, daß Rabbaniten und Karäer in dieser Zeit in Polen einander näher standen als früher. Dadurch erscheint die Nachricht Eliakim Milsahagis (in dessenהיבאר רפס, p. 28, Note) nicht mehr so abenteuerlich, daß die polnischen Karäer im 18. Jahrhundert eine Deputation an die jüdisch-polnische Synode der Vier-Länder geschickt hätten, sich mit ihnen über Anschluß und Vereinigung zu verständigen. Es habe darüber im Schoße der Synode Meinungsverschiedenheit geherrscht. Samuel, Rabbiner von Kremnitz, Großvater des genannten Verfs., eines der Synodalhäupter, habe durch ein Bonmot die beabsichtigte Vereinigung abgeschnitten: לש דעווה תיב לא םהילודג םיארקה וחלש םיארקה ימכחש םישקבמש ... הפע הלגמ םע תוצרא ’ד ינבר הרות םהילע ולבקי םיחצונמ ויהי םאו דעווה ינבר םע וחכותי וזב רמאנו .תוערו הוחאב דחא םעל תויהל ונתא ודחאתיו פ"עבש ינקז יבא ינודא םק זא .םהל בישהל המ דעווה תיבב תובר תועד ’ה הבושת םהל בתכו ... ץינמרק ד"בא לאומש ’מ םסרופמה .םלועל ןיחאתמ ןניא םיארקה ולא :תובת


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1897], Band 10, S. 478-480.
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