10. Kapitel. Zustände und Wandlungen, Gesetz und Sitte, Kunst und Literatur.

[300] Anbau und Fruchtbarkeit des Landes. Handelsstraßen. Münzwesen. Zeiteinteilung. Bevölkerungsklassen: die Eingebornen, die Halbsklaven und die Fremdlinge. Die Königin von Saba. Das israelitische Recht der Gleichheit, die Asylstädte, die Gerichtsbarkeit. Gesetze der Milde und der Keuschheit. Die Ehe. Stellung der Frauen. Entwicklung der Musik und der Dichtkunst. Rätselpoesie, nationale Poesie. Entwicklung der Prosa. Die beiden Flugschriften. Salomos letzte Jahre. Jerobeams Empörung. Salomos Tod.


Nicht alles ist unter dem Monde dem Wechsel unterworfen, nur die Lebewesen; die träge Masse dagegen, der Felsen, der mit dem Erdenleib innig verwachsen ist, die starren Eisflächen und Eisberge, welche die Polarsäume der Erde bilden, verharren, wenn sie nicht durch einen Stoß von außen erschüttert werden, in der Ewigkeit der Jahrtausende in denselben Zuständen. Aber auch unter den Lebewesen verwandeln sich nur die höherbegabten am meisten und verwandeln sich derart, daß für den oberflächlichen Blick die Züge des Ursprungs in dem ausgebildeten Gepräge des Ausgewachsenen nicht mehr erkennbar sind, so bei einzelnen Menschen, so bei menschlichen Gemeinwesen und Völkern. Dieses Gesetz der Veränderung gestattet daher einen Rückschluß. Wo sich eine durchgreifende Wandlung und Entwicklung bei Völkern zeigt, müssen diese auch höher begabt und reicher ausgestattet gewesen sein, als die, welche ihren uralten ursprünglichen Zustand nur wenig verändert und nach Jahrhunderten und Jahrtausenden, wenn sie es überhaupt so weit gebracht, dieselben Züge wie in ihren Anfängen gezeigt haben. Wenn Veränderung und Formwechsel den Bestand und das Leben eines Volkes unangetastet lassen, so bekunden sie nur noch mehr dessen Kernhaftigkeit und Gediegenheit.

Die Urangesessenen des Landes Israel haben sich in dem fast halben Jahrtausend, seitdem die Israeliten Hauptbesitzer des Landes geworden waren, wenig verändert; die Kanaaniter, Moabiter, Ammoniter, [300] Idumäer und selbst Philister und Phönizier sind stets in demselben Einerlei geblieben. Oder hätten sie sich dennoch gewandelt, ohne daß auf die Nachwelt Kunde davon gekommen wäre? Dieses Stillschweigen wäre dann ein noch schlimmeres Zeugnis für ihre Kraftbegabung. Sie hätten demnach nicht einmal vermocht, ihr eigenstes Wesen und ihre Wandlung in Denkmäler für die künftigen Geschlechter zu prägen. Oder haben sie dennoch Denkmäler hinterlassen und die Zerstörerin Zeit hat sie vernichtet? Dann bekunden sie um so mehr ihre Armut, als die späteren Ge schlechter so wenig Wert auf ihre Erhaltung gelegt haben, daß ihr Andenken aus der Erinnerung völlig schwinden konnte.

Nicht so die Israeliten. In demselben Zeitraume eines fast halben Jahrtausends seit ihrem Einzuge bis zu der salomonischen Zeit haben sie sich außerordentlich verändert und haben von ihrem jedesmaligen Wandel ein Zeitbild hinterlassen, woran noch die gegenwärtigen und späteren Geschlechter ihn erkennen können. Dieser Wechsel zeigt sich in allen Äußerungen des Volkslebens. Das wandelbare Zelt und die schwanke Hütte waren größtenteils – bis auf die zurückgebliebene Triftengegend – verschwunden und haben dem festen Hause aus Zypressenstämmen Platz gemacht. Die Bergspitzen waren von befestigten Städten belebt, Weideplätze mit grasenden Herden und patriarchalischen Hirten waren seltener geworden; in den Tälern und an den sanft ansteigenden Berghöhen waren Getreidefelder ausgebreitet, die, wenn der Regen nicht mangelte, reichen Segen spendeten. Der Boden brachte nicht bloß Weizen und Spelt hervor, sondern trug auch schattige Bäume mit saftigen Früchten. Der Weinstock rankte sich an den Berglehnen empor und sog aus dem sorgfältig gepflegten Erdreich den Saft und von der glühenden Sonne das Feuer. »Man band an den Weinstock den Esel und das Füllen an die Edelrebe, man wusch in Wein das Gewand und tauchte das Kleid in Traubenblut, rot war das Gesicht von Wein und weiß die Zähne von Milch1«. Ackerbau, Gartenzucht und Weinbau bildeten in der salomonischen Zeit die Hauptbeschäftigung der Israeliten. Geebnete Straßen durchschnitten das Land und waren von langen Zügen beladener Kamele oder rasch trabender Rosse belebt. Der König ging nicht mehr hinter dem Pfluge her, sondern fuhr in einem Prachtwagen. Zur Zeit der Richterin Deborah galt es noch als bevorzugte Stellung der Vornehmen, auf weißen Eseln zu reiten. David ritt schon ein Maultier und ließ seinen Sohn zum feierlichen Salbungs- und Krönungszuge auf einem solchen [301] reiten. Salomo dagegen machte Ausflüge zur Erholung auf stolzen ägyptischen Rossen nach der paradiesischen Gegend von Etham und war in ein glänzend weißes Gewand gehüllt2. Und wie der König und die Hofleute, so machten auch die Wohlhabenden des Volkes in Kleidung, Gerätschaften und Tafel augenfälligen Aufwand, die Grundlage und Bedingung einer höhern Kultur. Gold war in solcher Fülle im Lande verbreitet, daß das Silber seinen frühern Wert verloren hatte. Wie das Land unter David und Salomo einen weit gebietenden Großstaat bildete, so war das Volk nahe daran, im Wetteifer mit den Sidoniern und Tyriern ein Handel und Schiffahrt treibendes Volk zu werden; zu einem Handelsstaate hatte es besonders bereits einen Ansatz gemacht.

Das Münzwesen erhielt infolge des zunehmenden Handels und der geschäftlichen Verbindung mit dem Auslande eine feste Ordnung und eine zuverlässige Gangbarkeit. Während man in der ältesten Zeit die Werte der Waren nur nach Kleinvieh (Kesitâ) berechnete oder nur ungefähr bestimmte, eigentlich nur Tauschgeschäfte machte, und später kleine walzenförmige Silberstücke (Gerah) in Verkehr kamen, hat es Salomo für nötig erachtet, den Wert der edlern Metalle, welche den Handel vermitteln sollten, nach feststehendem Gewichte zu regeln, nach babylonischphönizischem Muster. Ein Steinchen von einem angenommenen bestimmten Gewichte (Schekel, Sekel) galt als Einheit und hieß der königliche Stein (Eben ha-Melech), wie die gebahnten Straßen königliche Wege genannt wurden (o. S. 297). Der große Sekel führte den Namen das heilige Gewicht (Schekel ha-Kodesch). Da für den Handel im großen indessen das mühsame Abwägen und Zählen von kleineren Münzen zu zeitraubend befunden wurde, so wurden große Klumpen von Silber und Gold von scheibenförmig- runder Gestalt gegossen, welche das Gewicht von 3000 Sekel enthielten (Klikhar)3. Die verläßliche Bestimmung des Gewichtes der Münzen erforderte die Anfertigung von genauen Wagen mit zwei ohrenförmigen Schalen. So wie das Gewicht, so hat wohl auch das Längen-und Hohlmaßsystem unter Salomo die Ausbildung erhalten.

[302] Wie stand es mit dem Zeitmaße? War auch der flüchtige, unmerklich verrinnende Abstand zwischen einer Erscheinung und der andern, zwischen einer Handlung und der andern über die von der Natur gegebene Abgrenzung hinaus in kleinere und größere Abschnitte eingeteilt? Die Urkunden lassen uns darüber in Stich. Doch läßt sich wohl mit Wahrscheinlichkeit annehmen, daß die Israeliten ebensowenig, wie alle alten Völter, die Einteilung des Tages in Stunden gekannt haben. Der Tag wurde nur in drei Teile zerlegt, Morgen, Mittag und Abendzeit (bên ha-Arbajim), und die Nacht, wie es im Kriege die Not erforderte, für Ablösung der Wachtposten in drei Nachtwachen eingeteilt (Aschmora). Der Tagesanfang scheint mit dem Morgen begonnen zu haben4. Die Woche zählte man nicht wie bei den Ägyptern nach dem Sonnenkalender zehntägig, sondern nach dem vierfachen Mondwechsel siebentägig, wie denn überhaupt die Umlaufszeit des Mondes den Kalender bestimmte. Jeder Neumondstag war zugleich ein Festtag. Wie ist aber der Überschuß von beinahe zwei Tagen des Monats mit der Zählung von vier Wochen ausgeglichen worden? Dafür fehlt uns jeder Anhalt und ebenso für eine andere Zeitbestimmung. Das Ende der Ernte galt als ein bedeutsamer Zeitabschnitt, so daß das Jahr mit dem Herbste begann5. Auf der andern Seite sollte zur Erinnerung an die Befreiung von Ägypten von dem ersten Frühlingsmonat gezählt werden, so daß der Jahresanfang mit dem Frühling begann und das Herbstfest in den siebenten Monat fiel6. Wie wurden diese zwei verschiedenen Jahresformen ausgeglichen? Hatte die eine etwa bürgerliche und die andre religiöse Geltung? Wer regelte den Monats-, Jahres- und Festkalender? Gab es eine Behörde dafür? Lag das Kalenderwesen in der Hand der Ahroniden?

Größere Zeitabschnitte von sieben (Erlaßjahr) und von siebenmal sieben (Jobeljahr) Jahren sind wohl bis zur salomonischen Zeit nicht ins Leben der Israeliten gedrungen, wenigstens zeigt sich in dem bisherigen Geschichtsverlauf keine Spur davon. Auch die Zählungsweise nach dem Auszug aus Ägypten war schwerlich im bürgerlichen Leben im Gebrauche. Nur die Ahroniden und Leviten, welche die Erinnerung an die Vergangenheit treuer bewahrten, mögen diese Zeitrechnung angewendet haben. Im öffentlichen Leben dagegen wurde es seit Salomo [303] stehende Sitte, nach den Regierungsjahren der Könige zu zählen7, in Nachahmung der ägyptischen Königsverehrung, damit das Königtum als Mittelpunkt aller Lebensäußerungen gelte. Diese auf den israelitischen Boden verpflanzte Sitte, wie überhaupt die durch Salomo eingeführten fremden Elemente haben das Gefüge der älteren Ordnung zerstört und sie in Vergessenheit gebracht.

Unter Salomos Regierung ist auch eine neue Klasseneinteilung der Bevölkerung entstanden. Die von ihm zur Frohnarbeit gezwungenen kanaanitischen Urbewohner, eine nicht unbeträchtliche Zahl (o. S. 282), bildeten eine eigene Klasse. Sie waren nicht Hörige der einzelnen oder der Familien, sondern Staatssklaven; sie waren dem die Gesamtheit vertretenden König leibeigen. Eine Gruppe dieser leibeigenen Urbewohner, die Gibeoniten, wurde dem Tempel beigegeben, als Holzhauer und Wasserschöpfer für den Altar (o. S. 292). Andere, die in der Nähe der Hauptstadt angesiedelt waren, wurden wahrscheinlich für den niedrigen Dienst des Palastes und überhaupt für öffentliche Arbeiten verwendet. Diese Klasse, welche Hintersassen (Toschabim) genannt wurden, war zwar dem einzelnen gegenüber frei, aber doch insofern unfrei, als sie zu Dienstleistungen gezwungen waren. Von diesen Hintersassen hatten wohl nur wenige Bodenbesitz und lebten nur von ihre Hände Arbeit. In der von öffentlicher Arbeit freien Zeit pflegten sich die besitzlosen Hintersassen zu Feldarbeit und sonstiger Tätigkeit zu vermieten. Sie wurden daher auch Mietlinge genannt (Sechirim). Eine solche unterdrückte Volksklasse ist dem Staatswesen immer nachteilig, über kurz oder lang zernagt sie seinen Fugenbau.

Neben diesen Hintersassen sammelte sich unter David und noch mehr unter Salomo eine Klasse von Ausländern, Eingewanderten, Fremdlingen (Gerim), die sich dauernd im Lande Israel ansiedelten. Die Handelsverbindungen, der Wohlstand des Landes, die Sicherheit des Daseins durch den langen Frieden unter Salomos Regierung zogen nahe und entfernte Nachbarfamilien, Moabiter, Ammoniter, Idumäer, auch Ägypter8 ins Land. Wahrscheinlich hat auch die eigentümliche, dem Götzentum überlegene Gottesverehrung der Israeliten, welche im Tempel zu Jerusalem eine glänzende Stätte gefunden hatte, geistesgeweckte Ausländer angezogen, daran teilzunehmen, sich unter den »Flügeln des Gottes Israel« zu bergen. Das Land, das Volk und der Gott Israels waren unter Salomo weit [304] und breit bekannt. Die israelitischen Seefahrer, die so viele Hafenplätze, Küstenländer und Märkte berührten, und die israelitischen Kaufleute, welche mit dem Auslande in Verkehr traten, brachten den entfernten Völkern und Zungen Kunde von ihrer Heimat. Der Ruhm des weisen, mächtigen und glanzvollen Königs Salomo war zu seiner Zeit weit verbreitet. Er hob in den Augen der damaligen Welt den Ruhm des Gottes, den er verehrte, und zu dessen Ehre er einen so prachtvollen Tempel erbaut hatte. Die israelitischen Seefahrer und Kaufleute waren unbewußt die ersten Sendboten und Verkünder des Gottes Israels an die götzendienerischen Völkerschaften. Eines Tages wurde Jerusalem von einem merkwürdigen Besuche überrascht. Eine weise Königin aus dem gewürzreichen Lande Sabäa (Saba, Schebâ), welches an der arabischen Küste des roten Meeres lag und von den israelitischen Seefahrern besucht wurde, kam einst mit einem großen Gefolge nach Jerusalem, weil sie von dem Ruhme Salomos und dem Namen des Gottes Israels so Außerordentliches vernommen hatte. Sie wollte sich mit eignen Augen von der Wahrheit oder Unwahrheit der in ihr Ohr gedrungenen Gerüchte überzeugen. Mit Aufmerksamkeit von Salomo empfangen, hatte die Königin von Saba (die Sage nennt sie Belkis9) vielfache Unterredungen mit ihm und bewunderte seine Weisheit, den Tempel Gottes, den er erbaut hatte, und die Ordnung und den Glanz seines Hofes. Seine Weisheit soll sie durch Rätselfragen erprobt haben, die sie ihm aufgegeben, und die er zu ihrer Bewunderung beantwortet habe. Sie konnte nicht umhin dem König zu gestehen, daß ihre Erwartungen übertroffen worden seien, und pries den König wegen seiner Weisheit und Gerechtigkeit und den Gott Israels, der ihn auf den Thron eines so großen Volkes gesetzt habe10.

Wie die Königin von Saba, so sind ohne Zweifel auch andere Ausländer nach Jerusalem gekommen, um dem König Salomo ihre Huldigung darzubringen und haben sich in dem Lande, wo sie eine reine Gottesverehrung ohne sichtbares Bild und ohne unzüchtige Zeremonie [305] vorfanden, dauernd niedergelassen. Diese Ausländer oder Eingewanderten konnten aber keinen Bodenbesitz erwerben, weil der Acker den eingeborenen Israeliten gehörte und nicht veräußert wurde. Sie mußten sich daher den israelitischen Familien anschließen, um ein Ansiedlungsrecht zu erwerben. Es gab demgemäß im israelitischen Lande drei oder vier Menschenklassen, eingeborene Israeliten (Esrach), eingeborene Kanaaniter, die Halbhörige waren, Beisassen oder Hintersassen (Toschab), die zum Teil noch ihren Bodenbesitz behalten hatten, ferner eingewanderte Fremdlinge, welche Schützlinge einzelner Familien waren, und endlich Sklaven, teils Kriegsgefangene teils Kanaaniter, die sich als Sklaven verkauften11. Bei allen Völkern des Altertums waren die unterjochten Stämme und die Fremden völlig rechtlos, sie durften gekränkt und mißhandelt werden, ohne daß ihre Klagen bei den Vertretern des Rechtes Gehör fanden; der Richterstand hatte nicht die Befugnis, für sie einzutreten. Das israelitische Gesetz dagegen, auch das allerälteste, hat die Fremden ganz besonders in Schutz genommen und bestimmt, daß der Fremde nicht gekränkt, noch bedrückt werden dürfe, weil die Israeliten stets eingedenk bleiben sollen, daß sie einst selbst Fremdlinge in Ägypten waren und dort durch Ungerechtigkeiten Unsägliches zu leiden hatten12.

Das israelitische Recht enthielt überhaupt von Anfang an einen idealen Zug vollständiger Gleichheit. Den empörenden Unterschied, daß es auch bei Mord und Totschlag auf die Menschenklasse ankäme, und daß der Frevel, wenn an einem Gliede des herrschenden Volkes begangen, strenger geahndet werden sollte, als wenn er an einem bloß geduldeten menschlichen Wesen verübt wurde – ein Unterschied, der sich bis in das christliche Mittelalter hineinzog – kannte das israelitische Gesetz niemals. Wer einen Menschen tötete, gleichviel aus welcher Klasse, sollte mit dem Tode bestraft werden; denn »jeder Mensch ist im Ebenbild Gottes geschaffen.« Auch der Mord an einem Sklaven sollte dieselbe Strafe nach sich ziehen, selbst wenn der eigene Herr dem Sklaven das Leben raubte. Durch die Mißhandlung eines Sklaven, die eine körperliche Verletzung nach sich zog, verwirkte der Eigentümer sein Besitzrecht und mußte dem Sklaven die Freiheit geben. Die Blutrache war allerdings auch bei den Israeliten in Gebrauch. Der heißblütige Südländer hat nicht die Geduld und Besonnenheit, das Verfahren [306] und den Spruch des Richters gegen den Mörder abzuwarten, oder er traut seiner Unparteilichkeit nicht so viel zu, daß er den Mörder zur Rechenschaft ziehen und ihn verurteilen werde. Der Verwandte des Ermordeten sucht daher den Mörder oder Totschläger auf, um an ihm Blut mit Blut zu vergelten. Allmählich wurde es Ehrensache der Familie, den Mörder durch die Hand der Blutsverwandten fallen zu lassen. Das Gesetz hatte indessen das Bestreben, die Blutrache aufhören zu machen oder mindestens einzuschränken. Es bestimmte, daß Asylstädte für unabsichtliche Mörder ausgewählt werden sollten, welche ihnen gegen Verfolgung Schutz zu gewähren hatten. Wenn je dieses Gesetz zur Ausführung gekommen ist, so ist es wohl unter Salomo geschehen, der für Recht und Gerechtigkeit sorgte. Sechs feste Städte wurden als Asyle bestimmt, drei für die diesseitigen und ebenso viel für die jenseitigen Stämme. Hier Hebron im Süden, Sichem in der Mitte und Kadesch im Norden, dort Bézer, Ramoth-Gilead (oder Mizpeh) und Golan13. Hatte der Mörder in einer dieser Städte Zuflucht gefunden, und war die Unabsichtlichkeit des Mordes erwiesen, so durfte er nicht an den Bluträcher ausgeliefert werden. Diese Zufluchtsstädte schützten nicht bloß Israeliten, sondern in gleicher Weise auch die kanaanitischen Beisassen und die Fremdlinge14.

Die Gerichtsverhandlung und das Strafurteil für Verbrechen und Vergehen standen ursprünglich der Gemeinde (Edáh) in jeder Stadt zu; die Ältesten vertraten die Gemeinde15, wie sie überhaupt die gemeinsamen Angelegenheiten zu leiten und zu Ratsversammlungen (Sod) zusammenberufen zu werden pflegten. Sie hießen die Berufenen der Gemeinde (Keruê ha-Edáh)16. Als das Königtum entstand und alle Machtbefugnisse, auch die richterlichen, an sich zog, scheint die Ernennung der Ältesten zu Richtern vom König ausgegangen oder ihre [307] Bestätigung von ihm vollzogen worden zu sein.17 Unter dem Königtume entstand daher eine geteilte Gerichtsbarkeit, neben der bürgerlichen die königliche, und sie scheint in der Art geordnet worden zu sein, daß nur wichtige und verwickelte Straffälle und Rechtsstreitigkeiten vor das Tribunal des Königs gebracht wurden18. Die Gerichtsverhandlung war öffentlich vor dem Stadttore, auf einem geräumigen Platze; in der Stadt selbst war in den engen Gäßchen kein Raum dafür, überhaupt fand die Zusammenkunft der Stadtleute zum Kauf und Verkauf vor dem Tore statt19. Die Richter saßen hoch in Mitte der Versammlung, und das Volk stand je nach Abkunft und Rang in Kreisen um die Richtersitze20.

Als Quelle des Rechts und Beschützer der Gerechtigkeit wurde Gott selbst angesehen; »ihm, dem Richter der ganzen Erde, ist Ungerechtigkeit ein Gräuel.« Das Gerichtswesen wurde daher als unter Gottes Auge stehend betrachtet, daß Gott selbst in der richtenden Gemeinde gewissermaßen anwesend sei und sie beaufsichtige21. Da das Gericht Gottes sei, so sollen die Richter sich vor ungerechtem Urteilsspruch hüten, kein Ansehen der Person kennen, den Geringen wie den Vornehmen in unparteiischer Weise anhören, dem Fremdling wie dem Stammgenossen Recht verschaffen und ganz besonders sich vor Bestechung hüten22. Als Beweis der Schuld eines Angeklagten wurde nur die Aussage von mindestens zwei Zeugen angenommen23. Salomo, welcher auf die Ausübung der Gerechtigkeit großes Gewicht legte, hat ohne Zweifel für die strenge Handhabung des Gerichtswesens Sorge getragen und sie überwacht. Der Amtsschreiber (Schotêr) war zugleich der [308] Vollstrecker des Urteils24. Indessen hatte das Recht noch nicht das grausame Herkommen zu überwinden vermocht. Wurde ein Familienvater zum Tode verurteilt, so wurden auch dessen Kinder dem Tode überliefert. Um der Väter willen mußten die Kinder ihr Leben einbüßen25. Die Gibeoniten hatten deswegen verlangt, daß die Grausamkeit Sauls an ihnen an seinen Nachkommen bestraft werden sollte, und David hatte es gewährt (o. S. 224).

Und doch hat das altisraelitische Gesetz, der Ausfluß der sinaitischen Gesetzgebung, neben der Pflege des strengen Rechtes auch die Milde gegen Notleidende, Enterbte und Schwache eingeschärft und dem Herzen empfohlen. Aus dem Grundsatz vollständiger Gleichheit der Volksgenossen untereinander sollte auch der Unterschied von Reichtum und Armut, der Quell so vieler Laster und Kämpfe, aufgehoben werden. Wenn es auch dem Wohlhabenden unverwehrt blieb, immer reicher zu werden, so sollte es dennoch im israelitischen Staatsumfange keinen Armen geben26. Und nach dem Grundsatz der Menschenliebe – »du sollst deinen Bruder wie dich selbst lieben« – sollte dem heruntergekommenen Verarmten unter die Arme gegriffen werden, daß er nicht tiefer sinke. Zunächst ist den Familiengliedern die Pflicht auferlegt worden, einem verarmten Gliede durch kräftige Unterstützung die eingebüßte Selbständigkeit wieder zu verschaffen27. Indessen hatten in Salomos Zeit die bedeutungsvollen Gesetze, daß, wenn ein Israelit in Schulden geraten war, das siebente Jahr die Schuld aufheben, oder wenn er sein Erbgut veräußert und die Verwandten es nicht für ihn eingelöst hatten, es im Jubeljahr ihm unentgeltlich zurückerstattet werden, oder wenn ein Freier aus Not sich selbst als Sklaven verkauft hatte, das siebente Jahr ihm die Freiheit bringen sollte, noch keine Anwendung. Alle diese Gesetze, welche die fortschreitende Verarmung und den stillen Krieg zwischen Armen und Reichen verhüten sollten, hatten in dem allgemein verbreiteten Wohlstand der salomonischen Regierung keinen Boden. Allein es gab dennoch eine ganze Klasse Besitzloser, die auf die Milde der Besitzenden angewiesen war, den Stamm Levi, dem bei der Besitznahme des Landes kein Ackerfeld zugewiesen war, dem der Segen der Erde und des Taues nicht zu statten kam. Die Leviten [309] waren von Haus aus arm und konnten bei der Unveräußerlichkeit der Erbgüter niemals zu festem Besitze und daher niemals zu Wohlstand gelangen. Sie sollten allerdings nach der ganzen Ordnung des Staatswesens weder an Besitz gebunden sein, noch in der Scholle aufgehen. Aber es mußte doch für ihre Lebensexistenz gesorgt werden, damit sie nicht in Dürftigkeit umkämen. Für den Teil der Leviten, dem das Opferwesen im Tempel oblag, für die Ahroniden, war allerdings einigermaßen gesorgt; sie bezogen Lebensmittel von den Opfergaben und Weihegeschenken. Aber die Leviten, die anderweitige Funktionen hatten, die Türhüter am Tempel, die Handlanger beim Opfern und die Sänger und Psalmisten, hatten keinen Anteil an den Opfergaben. Diese waren so recht die Dürftigen und Enterbten, und sie hätten in ihrer Besitzlosigkeit verkommen müssen, wenn nicht anderweitig für sie gesorgt worden wäre. Höchstwahrscheinlich hat Salomo für sie Sorge getragen und das Zehntengesetz streng durchführen lassen. Jeder Ackerbauer und Viehzüchter war verpflichtet, den zehnten Teil seiner Ernte und seines jungen Viehzuwach ses für die Leviten herzugeben. Das Gesetz hatte zwar keine Zwangsmittel für die Hartherzigen bestimmt, die sich der Pflicht entziehen wollten; allein der König hatte wohl die Macht, dem Gesetze Nachdruck zu geben, und es nicht zum toten Buchstaben werden zu lassen, und Salomo hat wohl von dieser Macht Gebrauch gemacht28. Diejenigen Leviten, die nicht beim Tempel beschäftigt waren, wurden wohl unter den Stämmen in Städten untergebracht. Hier mögen sie des Lehramtes gepflogen haben. Für diese geborenen Armen, denen nicht einmal die Hoffnung auf Reichtum lächelte, war in Salomos Regierungszeit gewiß einigermaßen gesorgt.

Ebenso wie für das Recht und die Milde gegen die Notleidenden hat das Gesetz mit besonderer Aufmerksamkeit für die Keuschheit gesorgt. Durch diese Sorgfalt war bereits zu Davids Zeit die Züchtigkeit so fest in den Gemütern eingewurzelt, daß die Sitte ihre Wächterin geworden war. Eine Jungfrau schänden galt als eine empörende Handlung, die in Israel nicht vorkommen durfte29. Diejenigen, welche die Bestimmung hatten, Familienmütter zu werden, sollten rein und keusch in das Haus des Gatten eintreten. Brüder überwachten die Keuschheit [310] ihrer Schwestern und rächten den Angriff darauf an dem Frevler:30 »Soll unsere Schwester wie eine Buhlerin behandelt werden?!« – Für die Unersättlichkeit der Lüstlinge scheinen indes Buhldirnen geduldet worden zu sein, Ausländerinnen, die sich für Geld (Nedân) preisgaben31. Die Reinheit der Ehe wurde mit besonders peinlicher Gewissenhaftigkeit bewahrt. Ehebruch galt als ein schweres Verbrechen, welches das Gesetz mit der Todesstrafe belegte und die Sitte mit Schmach verdammte. Die Ungelegenheiten, die David über sich brachte, waren eine Folge des Ehebruchs, und dieses Verbrechen wurde ihm von Menschen nie verziehen. Das Familienhaupt verheiratete seine Tochter, allerdings ohne ihre Zustimmung, so wie er für seinen Sohn eine Frau auswählte. Der Bräutigam übergab dafür dem Vater eine Morgengabe (Mohâr), wohl ein Überbleibsel der alten Sitte, als der Vater noch seine Tochter verkaufte. Das Recht des Vaters, seine Tochter zu verkaufen, war bereits nach dem Gesetze beschränkt. Der Werber selbst mußte sie ehelichen oder durfte sie allenfalls seinem Sohne zur Frau geben, aber er durfte sie nicht weiter an eine andere Familie übergeben32. Er durfte sie überhaupt nicht als Sklavin behandeln und mußte alle Pflichten gegen sie, wie gegen eine in bester Form geehelichte Frau erfüllen. – Die Hochzeitszeremonie war einfach. Die jungfräuliche Braut trug an diesem Tage einen Hochzeitskranz, wohl aus Blumen, und hatte davon ihren Namen »die Bekränzte« (Kallah). In diesem Schmuck wurde sie aus dem elterlichen Hause ins Haus des Schwiegervaters ein geführt, aber zuerst in einem eigens geschmückten Gemache (Chuppa) mit dem Bräutigam vereinigt.

In der Regel hatte jeder Ehemann nur eine einzige Frau, und nur im Notfalle, wenn die Ehe kinderlos blieb, führte er eine zweite ins Haus33. Nur die Könige hatten aus Nachahmungssucht und nach dem [311] Beispiele der benachbarten Höfe viele Weiber in ihren Frauengemächern, wie es auch nur die Könige waren, die mit der Ehe ein Spiel trieben. Saul entriß seine Tochter dem David, als er ihn zu hassen begann, und übergab sie einem andern Manne, und David hatte kein Bedenken, sie diesem zweiten Gatten wieder zu entreißen. Die Stellung der israelitischen Frauen war durchaus nicht niedrig und sklavenähnlich wie bei vielen Völkern des Altertums und bei einigen jüngern der gegenwärtigen Zeit. Es gab keine Frauengemächer34 in den Häusern, worin die Frauen, eingekerkert wie bei den Griechen, hätten weilen müssen. Sie durften sich vielmehr auch außer dem Hause frei bewegen. Jungfrauen führten zur Zeit der Weinlese öffentlich Tänze auf (o. S. 97). Abigail, die schöne Frau des Karmeliten Nabal, ritt David entgegen, um seinen Zorn zu beschwichtigen (o. S. 194). Bei der Heimkehr Sauls und Davids von ihren Siegen zogen ihnen Frauenchöre entgegen und sangen Loblieder. Infolge der freien Stellung der Frauen konnten einzelne Hervorragende unter ihnen an dem Geschicke ihres Volkes teilnehmen. Zu der prophetisch-dichterischen Deborah kamen die Ältesten des Volkes und baten sie, daß sie sie mit ihrem Geiste erleuchte. Die kluge Thekoerin trug dem König David eine Parabel vor, um ihn zur Aussöhnung mit seinem Sohne geneigt zu machen. Eine Frau in der Stadt Thebez und eine andere in der Stadt Abel machten dem Bürgerkriege ein Ende, und die von Abel sprach zu den Männern von der Mauer herab verständige Worte. Als Musterbilder schwebten den Israeliten die Erzmütter vor, die mit ihren Gatten auf dem Fuße der Gleichheit standen und von ihnen mit besonderer Achtung behandelt wurden. Das Gesetz stellte Mann und Frau ganz gleich und ermahnte die Söhne, die Mutter ebenso zu ehren wie den Vater. Allerdings [312] verstieß es gegen die Sitte, wenn Frauen sich unter den Männern auf Straßen und Plätzen allzuoft blicken ließen; ihr Kreis war das Zelt oder das Haus. Da pflegten sie täglich Brot zu backen, zu spinnen und zu weben. Erschienen sie in der Öffentlichkeit, so pflegten die Ehefrauen einen Teil ihres Gesichtes mit einem durchsichtigen Halbschleier (Zeïf), der die Augen frei ließ, zu bedecken. Dieser Halbschleier war an einem runden Nasenstäbchen (Nesem) befestigt, welches von der Stirn bis zur Mitte der Nase reichte35. Selbstverständlich machten die Frauen mit der Zunahme des Wohlstandes unter Salomo und mit der Häufigkeit des Goldes und der Edelsteine einen größeren Aufwand als in früheren Zeiten. Die Nasenstäbchen für den Halbschleier, früher aus Erz, wurden aus Gold verfertigt. Arme und Hals wurden mit Schmuck geziert; an den Fingern prangten Ringe. Glänzenden Purpur und schneeweißes Linnen konnten sie ohne Mühe haben, da Phönizien und Ägypten dem Lande näher gerückt waren, und Händler durch das Land zogen und Schmuckwaren so wie duftende Salben feilboten.

Indessen nicht bloß die Verschönerung des Daseins und die Sittlichkeit hatten seit der Entstehung des Königtums einen Aufschwung genommen und die Roheit des ursprünglich barbarischen Zustandes gebannt, sondern auch die Kunst. Vor allem hatten die Dichtkunst und die damit verbundene Musik eine größere Pflege gefunden. Früher begleiteten die Frauen den Gesang lediglich mit Handpauken (Toph-Tuppim); seit Samuel und David waren neue musikalische Instrumente [313] (Khle-Schir) eingeführt worden, die Harfe (Khinnor), die Laute (Nebel), ein Saiteninstrument, öfter mit zehn Saiten bespannt (Nebel-Assor), und die Flöte (Chalil). Von welcher Art die Melodien und der Gesang waren, hat die Erinnerung nicht überliefert. Form und Inhalt der Poesie aus der salomonischen Zeit haben sich zwar ebenso wenig erhalten, aber doch sind Andeutungen darüber vorhanden, wie sie geartet waren. Auch die Namen einiger Dichter sind in Erinnerung geblieben. Neben dem König Salomo und neben den Leviten gab es noch andere zeitgenössische Dichter und zwar aus dem Stamme Juda, Ethan aus der Familie Zerach und drei Brüder oder Verwandte, Heman, Khalkhol und Darda aus der Familie Perez, Söhne Machols (oder Chamuls)36. Die Poesie, die aus dem tiefen Born des Volkstums entspringt und dessen innerstes Wesen und Weben offenbart, war im israelitischen Kreise nicht eine bloße Spielerei, um müßige Stunden zu verkürzen, mythologische Wahngebilde in anziehender [314] Form zu verknüpfen, oder der gierigen Phantasie immer neue Stoffe zuzuführen. Sie war ernst, auch wenn sie scherzte. Unbewußt war das Ziel der hebräischen Poesie von ihrer Jugend an dahin gerichtet, die Seele zu erheben und nicht zu verweichlichen oder in Schlummer zu wiegen, den Flug der Gedanken anzutreiben und nicht einzulullen, die sinnlichen Regungen und die Verirrungen des Herzens zu hemmen und nicht zu fördern. Sie bewahrte diesen Zug, auch ohne stets einen religiösen Charakter zu zeigen. Es gab vielmehr neben der religiösen Poesie auch eine Gattung, die man die weltliche nennen könnte; neben Psalmen und Lobliedern auf die Gottheit entstanden Fabeln, Parabeln und Rätselsprüche, und der König Salomo wird als Muster dieser Gattung der Poesie gerühmt. Aber auch diese weltliche Poesie hatte ihr Augenmerk auf höhere Ziele gerichtet, auf das Reich der Sittlichkeit und der fördersamen Lebenstätigkeit.

Ein Frage- und Antwortspiel in Rätselform hat sich in der hebräischen Literatur erhalten, das zwar nicht gerade als echtes Erzeugnis der salomonischen Zeit beurkundet ist, aber das Gepräge und den Geist der Dichtungsgattung an sich trägt, die Salomo beigelegt wird. Es sind Lebenserfahrungen darin niedergelegt mit Nutzanwendung auf sittliche oder gesellschaftliche Verhältnisse:


Frage: »Drei Dinge gibt es die nicht gesättigt werden

Und ein viertes, das nie ›genug‹ sagt?«


Antwort: »Das Grab und des Schoßes Pforte,

Die Erde, die nicht satt des Wassers,

Und das Feuer sagt nie ›genug‹37


Frage: »Drei Dinge sind mir wunderbar

Und ein viertes verstehe ich nicht?«


Antwort: »Der Weg des Adlers in Himmelshöhen,

Der Weg der Schlange auf dem Felsen,

Der Weg des Schiffs auf des Meeres Fläche

Und der Weg des Mannes bei der Sklavin.«


[315] Frage: »Unter dreien erzittert die Erde,

Unter einem vierten kann sie es nicht ertragen?«


Antwort: »Unter einem Sklaven, wenn er zur Macht gelangt,

Unter einem Gemeinen, wenn er satt wird des Brotes,

Unter einer Häßlichen, wenn sie geehelicht wird,

Und unter einer Sklavin, wenn sie ihre Gebieterin beerbt.«


Frage: »Vier sind die Kleinen auf Erden,

Und sind doch gescheit und gewitzigt?«


Antwort: »Die Ameisen, ein ohnmächtiges Völkchen,

Bereiten in der Ernte ihre Nahrung vor.

Bergkaninchen, ein schwaches Völkchen,

Errichten auf Felsen ihr Haus.

Die Heuschrecken haben keinen König

Und ziehen in Scharen aus.

Die Eidechse kannst du mit den Händen fangen,

Und sie wohnt in Königs Palästen.«


[316] So viel Wert ist auf die Poesie gelegt worden, daß frühzeitig eine Sammlung älterer Lieder angelegt wurde. Das Triumphlied über den Sieg Josuas über die Kanaaniter, das Klagelied Davids auf den Tod Sauls und Jonathans, wahrscheinlich auch das Deborahlied und noch andere wurden darin aufgenommen. Diese poetische Blumenlese wurde die »Rolle der Lieder« genannt38.

Fruchtbarer und eindringlicher war die nationale Poesie, welche die Bedeutung des israelitischen Volkstums zum Inhalt hat. Es sprach sich darin ein frohes Selbstbewußtsein und ein festes Vertrauen auf die Zukunft aus, daß dieses von Gott geleitete Volk einer höhern Bestimmung vorbehalten sei, und daß es nie dem Untergang verfallen werde. Die großen Errungenschaften in den Kriegen unter David und die Erfolge der Machtvergrößerung im Frieden unter Salomo haben dieses Selbstbewußtsein erhöht. Indessen verstieg es sich nicht zum Hochmut und zur Selbstüberschätzung. Es verweist vielmehr auf Gott, welcher diese Erfolge verliehen hat, es erwartete alles von ihm allein, von der eigenen Kraft des Volkes und seinen Führern nichts. Die Fülle des Segens, welcher Israel zuteil wurde, stellte die Poesie als eine Folge seines sittlichen Lebens und seines heiligen Wandels dar. Prophetisch wird von dem Volke verkündet:


»Man schaut nicht Gewalttätigkeit in Jakob

Und nicht Frevel in Israel,

Ihwh, sein Gott ist mit ihm

Und das Wohlwollen39 des Königs in seiner Mitte.«


[317] »Der Gott, der es aus Ägypten geführt,

Hat ihm des Riesentieres Höhe (gewährt).

Denn nicht Zauberspruch vermag gegen Jakob

Und nicht Orakelspruch gegen Israel.«


»Bald wird Jakob genannt werden und Israel,

(sehet): ›Was Gott getan hat‹.

Sieh! ein Volk, das wie eine Löwin aufsteht,

Und wie ein Löwe sich erhebt.

Er legt sich nicht nieder,

Bis er die Beute verzehrt

Und der Gefallenen Blut getrunken.«


»Wie schön sind Deine Zelte, o Jakob!

Deine Wohnungen, Israel!

Wie Täler, die bepflanzt sind,

Wie Gärten am Flusse,

Wie Aloe, die der Herr eingepflanzt,

Wie Zedern am Wasser«40.


Indes so lange ein Volk lediglich die Dichtkunst hegt, hat es noch nicht die niedrige Stufe der Bildung überschritten. Denn die Dichtkunst ist erst die erste Stufe der ringenden Volksseele, die innigsten Gefühle äußerlich darzustellen. Erst wenn es der Volksgeist dahin bringt, die Vorgänge seines öffentlichen Lebens, seine Erfahrungen, Prüfungen und Gedanken ohne Bilder und Gleichnisse in ungebundener Rede ruhig und leidenschaftslos darzustellen, bekundet er seine Reife. Und auch diese Stufe hat das israelitische Volk in der davidischen und salomonischen Zeit erstiegen. Die wunderbare Geschichte des Volkstums wurde bereits in schlichter Prosa, aber doch mit dichterischem Anflug und mit dramatischer Lebendigkeit schriftlich dargestellt. Die Schreibkunst war selbstverständlich bereits entwickelt. David gab dem Urias den Unglücksbrief an Joab mit41. Der Oberbeamte für die Zählung der zum Heerbann Berufenen pflegte die Namen der streitbaren Mannschaft in eine Rolle einzuschreiben, und der Kanzler hatte die Namen der beim König beliebten oder mißliebigen Personen samt ihren Taten aufzuzeichnen42. Es läßt sich zwar nicht abgrenzen, welche Stücke der israelitischen Geschichtsbücher in dieser Zeit aufgezeichnet wurden. Aber eine geschichtliche Darstellung der Vorzeit hat sicherlich damals bereits begonnen. Ist doch unzweifelhaft in dieser Zeit eine Art von Flugschriften in Gestalt von geschichtlicher Erzählung in die Öffentlichkeit gebracht worden, [318] um den Vorzug des ordnenden und einigenden Königtums gegen die Zerfahrenheit, Unordnung und frevelhafte Willkür der Richterepoche ins rechte Licht zu setzen und hervortreten zu lassen.

Um diejenigen, welche noch bedauern mochten, daß das Königtum die ehemalige Freiheit unterdrückt habe, so recht davon zu überzeugen, wie viel schlechter die Richterzeit gewesen sei, sind in der salomonischen Zeit zwei Schriften entstanden, welche die Ungebundenheit und Unsittlichkeit jener mit Unrecht bedauerten Zeit zu brandmarken suchen. Beide Schriften haben die Absicht, geschichtlich zu vergegenwärtigen, daß, so lange kein König in Israel war, und jedermann das, was ihm gut dünkte, tun durfte, grauenhafte Frevel und Missetaten vorgekommen seien, nicht bloß Götzendienst, sondern auch offene Gewalt und Raub, öffentliche Schändung von Frauen, Ungastlichkeit gegen Fremde, Auflehnung und wütender Bürgerkrieg. Die republikanische Freiheit oder die lockere Stammesverfassung sei die Urheberin solcher Missetaten gewesen, das wollten die beiden Schriften zu verstehen geben und zugleich nahelegen, daß solche Gräuel und solche Verworfenheit (Nebalah) unter dem Königtum nicht möglich sei. Nebenher hatten diese scheinbar harmlosen Erzählungen, angeblich aus der Richterzeit, noch eine andere Absicht im Auge. Das von David begründete Königtum hatte heimliche Feinde im Stamme Benjamin, der nicht vergessen konnte, daß er unter Saul die Herrschaft ausgeübt hatte, und daß diese ihm von dem Stamme Juda entrissen worden war. In der ehemaligen Residenz Sauls, in Gibea, hat es ohne Zweifel Unzufriedene gegeben, die auf den Augenblick lauerten, am Hause Davids den Kronenraub zu rächen und die Herrschaft wieder an Benjamin zu bringen. Gibea, eine Zeitlang Mittelpunkt des Landes, war nämlich durch die Erhebung Jerusalems zu einem gewöhnlichen Landstädtchen herabgedrückt worden. Wie Scheba aus der benjaminitischen Familie Bichri die Verwirrung unter David benutzte, um die Fahne der Empörung aufzupflanzen und zu rufen: »Wir haben keinen Anteil an David« (o. S. 260), so mochten unter Salomo manche davon träumen, bei günstiger Gelegenheit dem Hause Davids die angemaßte Herrschaft wieder zu entreißen. Eine der beiden Flugschriften legte es daher darauf an, die Stadt Gibea zu brandmarken, ihre ehemaligen Freveltaten in Erinnerung zu bringen und sie in starken Farben aufzutragen, um die Unwürdigkeit dieser Stadt offenkundig zu machen.

Die Einwohner Gibeas haben, nach der Darstellung dieser Flugschrift, in alter Zeit Frevel auf Frevel begangen, einem würdigen Mann die Nachtherberge versagt, dessen Frau geschändet und sich gegen ganz[319] Israel gewaffnet, um die in ihrer Mitte weilenden Missetäter zu schützen, und diese Stadt sollte je wieder Mittelpunkt werden und ganz Israel beherrschen! – Nächst Gibea wird auch die gileaditische Stadt Jabesch gegeißelt, sie, welche so treu zu Saul gehalten hat. Ganz Israel hatte sich versammelt, um die Schandtat von Gibea zu züchtigen, nur die Einwohner von Jabesch hatten sich nicht dazu eingefunden; sie hatten also die Schändtat gebilligt und wurden daher auch mit Recht in die Strafe, die Gibea traf, hineingezogen. Das sollte ein Wink für die treuen Anhänger Sauls sein.

Als Scheba das Volk zur Empörung gegen David aufrief, fand er lediglich unter den nördlichen Daniten Aufnahme und Schutz (o. S. 262). Diese Daniten hatten also ebenfalls Anhänglichkeit an Sauls Haus und Abneigung gegen David gezeigt. Sie geißelt daher die andere Schrift und weist den wenig rühmenswerten Ursprung der Stadt Dan nach. Bei der Gründung ihrer Kolonie in der Richterzeit hat Dan offne Gewalttätigkeit und Raub sich zuschulden kommen lassen und noch dazu Götzendienst getrieben. Einen Götzen haben die Daniten verehrt bis zum Ende der Richterzeit, und ein Levite hat bei ihnen gegen Gesetz und Herkommen das Priesteramt versehen. Das ist der andeutende Hintergrund dieser beiden Schriften; es sind höchst künstlerisch angelegte Erzählungen, um in dem harmlosesten Tone mißliebige Stämme und Städte und die ganze Wildheit der Richterzeit zu brandmarken und leise anzudeuten, um wie viel segensreicher und sittlicher das Königtum die öffentlichen Zustände gestaltet hat43.

[320] Die erste Schrift erzählt, wie ein gewisser Micha auf dem Gebirge Ephraim sich ein Götzenbild gemacht und zuerst seinen Sohn und dann einen Leviten, Jonathan, einen Enkel Moses, zum Priester dabei angestellt habe, und wie auswandernde Daniten das Götzenbild samt dem Priester eigenmächtig und taub gegen die Widersprüche des Eigentümers entführt haben. Die Nebenumstände zeugen ebenfalls von häßlicher Gesinnung. Das Silber, woraus das Götzenbild verfertigt wurde, hatte Micha seiner Mutter gestohlen. Dann aber, als die Mutter einen Fluch über den Dieb ausgesprochen hatte, sah sich der Sohn veranlaßt, es ihr wieder zu erstatten, worauf es die Mutter zu einem Götzen widmete. Dieses durch einen Diebstahl entstandene Götzenbild wurde in Dan aufgestellt und von den Daniten die ganze Richterzeit hindurch angebetet, die Nachkommen des Leviten Jonathan fungierten dabei als Priester44.

Wie die erste Erzählung den plumpen Götzendienst brandmarkt, so die zweite die noch größere Schandtat der Einwohner von Gibea, der [321] Residenz Sauls. Ein Levite, der seine ihm entlaufene Frau aus Bethlehem zurückbrachte, suchte für die Nacht ein Unterkommen in Gibea, aber niemand mochte ihm gastfreundliche Herberge gewähren. Nur ein Fremder, der in Gibea wohnte, erbarmte sich seiner und der Frau. Aber in der Nacht versammelten sich sämtliche Einwohner von Gibea, um den zugewanderten Leviten zu töten. Als ihnen dessen Weib zur Beschwichtigung ihrer Aufregung überliefert wurde, befriedigten sie ihre Lust so unmenschlich an ihr, daß sie leblos niederfiel. Der Levite machte diese Untat sämtlichen Stämmen bekannt; diese versammelten sich und forderten die Benjaminiten auf, die Frevler von Gibea zur Bestrafung auszuliefern. Aber diese machten mit ihnen gemeinsame Sache und zogen sogar in den Krieg gegen die übrigen Stämme. Von beiden Seiten fielen dabei viele Tausende, bis es endlich den Verbündeten gelang, durch eine List die Benjaminiten zu besiegen und völlig aufzureiben, bis auf 600, die sich auf einen Felsen geflüchtet hatten. Dann bekriegten sie auch die Bewohner von Jabesch-Gilead, welche dem Aufrufe zum Kriege gegen die Frevler nicht Folge geleistet und stillschweigend für Gibea Partei ergriffen hatten. Sämtliche Stämme schwuren damals, den Benjaminiten keine ihrer Töchter zur Frau zu geben. Um aber den Stamm Benjamin nicht ganz eingehen zu lassen, besannen sie sich eines Bessern und gaben ihnen vierhundert Jungfrauen, die in Jabesch-Gilead zu Gefangenen gemacht worden waren, und den übrigen zweihundert gestatteten sie beim Tanze zur Zeit der Weinlese in Schilo, wo die Familienväter ihre Töchter mitzubringen pflegten, sich Jungfrauen zu rauben. Von diesen sechshundert Benjaminiten und den geraubten Jungfrauen entstand der Stamm Benjamin wieder.

Der Stil dieser beiden Erzählungen ist glatt, anschaulich, dramatisch und lebendig. Er läßt erkennen, daß die Geschichtsdarstellung in fließender Prosa damals nicht mehr in den Anfängen, sondern bereits ausgebildet war. Es muß schon eine geschichtliche Literatur bestanden haben, aus welcher die jetzigen Bücher der Richter und Samuel stammen. Wie die hebräische Poesie an Alter die sämtlichen Völkerpoesien übertrifft, so auch die hebräische Geschichtsprosa; sie ist um vier Jahrhunderte älter als die allerälteste, die griechische. Sie hat allerdings nicht die künstlerische Vollendung der griechischen erreicht, sie hat aber im spätern Verlauf den Vorzug der Schlichtheit, der Anschaulichkeit, der einschmeichelnden Innigkeit und Herzlichkeit vor ihr voraus. Sie hat noch von ihrer Mutter, der Poesie, manche Eigenschaften beibehalten.

Auch die Beredsamkeit, die bereits einen schönen Anfang gemacht [322] hatte, schmückte sich mit dem Zierrat der Poesie. Die feine, zart anspielende Rede der Thekoerin vor dem König David (o. S. 241) ist von poetischen Blumen durchflochten. Die Beredsamkeit der Propheten dieser Zeit hatte, wenn auch noch nicht in gebundener Rede gehalten, einen dichterischen Anflug. Die hebräische Sprache hatte bereits ihre vollendete Ausbildung erhalten und feste Formen angenommen. Die mundartliche Verschiedenheit war durch die Annäherung aller Stämme unter David und Salomo fast verwischt, die Form und selbst die Schreibweise waren für alle gemeinsam, während die Phönizier noch lange schwankten, wie sie die Sprachformen für das Wenige, was sie schriftlich erhalten wissen wollten, ausprägen und durch welche Buchstaben sie die Laute bezeichnen sollten. Die ereignisreiche Geschichte seit der Entstehung des Königtums hat die hebräische Sprache bereichert und ihr Schmiegsamkeit und Gelenkigkeit verliehen, die öffentlichen Vorgänge treffend zu bezeichnen. Sprüchwörter, welche ihre Entstehung den geschichtlichen Ereignissen verdanken, flogen von Mund zu Mund. »Ist auch Saul unter den Propheten?« – »Blinde und Lahme – man kann nicht ins Haus gehen;« – »Wer kann vor den Söhnen Enaks bestehen?« – »Von Frevlern mag Frevel ausgehen.« Auf andere Künste als Poesie und geschichtliche Darstellung hat sich der Geist des hebräischen Volks auch zur salomonischen Zeit nicht verlegt. Wohl haben Israeliten den Phöniziern manche Fertigkeiten abgelernt, Waffen schmieden (charásch), Häuser bauen, Festungen anlegen (Masger), edle Metalle schmelzen und Zierraten daraus verfertigen, und die Sprache hat Bezeichnungen für Künstler und seine künstlerische Arbeit ausgeprägt45; aber zur Vollendung haben es die Israeliten in keiner bilden den Kunst gebracht.

Aber auch in dem, was die Seele dieses Volkstums bilden sollte, in der Läuterung und Reinerhaltung der Gotteserkenntnis und der religiösen Vorstellung, ist es in dieser Zeit im großen und ganzen nicht über die erste Stufe hinausgekommen. Wohl hatte der rohe Götzendienst seit Samuel größtenteils abgenommen, aber ganz verschwunden war er noch nicht, und die Erkenntnis von einem einzigen, geistigen Gotte war im Volke noch nicht so fest gewurzelt und gekräftigt, daß Rückfälle in die wüsten Vorstellungen ausgeschlossen wären. Der religiöse Sinn war allerdings zum Teil veredelt und geläutert; die Geistesgehobenen [323] im Volke, die Leviten und die Propheten, hatten eine reine Vorstellung von der Erhabenheit Gottes und der würdigen Art seiner Verehrung, Einfalt des Wandels (Tom derech) ohne Erwartung einer Belohnung sei das Erstrebenswerte und Gottgefällige; Gerechte, Einfache (Temimim) seien die Lieblinge Gottes. Aber die Masse konnte den Begriff der Körperlichkeit von Gott nicht trennen, weil sie sich zur Klarheit des Gedankens von einem reinen Geiste nicht aufschwingen konnte. Ihwh, der Gott Israels, der Gott ihrer Väter, der soviel Wunder für das Volk getan, dessen Heere er zum Siege geführt und es groß gemacht, war ihr wohl der höchste Gott; aber neben und unter ihm dachte sich die Masse noch andere Götter, denen sie mehr als eine Scheinexistenz beilegte. In der Gottheit selbst verehrte das Volk bis zur Zeit Davids und Salomos mehr die Allgewalt, womit sie die Frevler und Feinde des von ihr auserwählten Volkes zerschmettert, als die Allliebe welche sich der Schwachen und Leidenden annimmt. Wohl brach schon die Anschauung durch, daß Gott den Sünder nicht ganz verstoße, sondern ihm den Weg zur Rückkehr geöffnet habe46; aber im allgemeinen wurde Ihwh als Gott des Eifers gedacht, der die einmal begangene Sünde nicht verzeihe. Sein Eifer wurde indes von seiner Gerechtigkeitsliebe abgeleitet, weil er als Richter der ganzen Erde betrachtet wurde, der Gerechtigkeit übe, das Böse und die Gewalt hasse. Anderseits war indessen die Heiligkeit Gottes und die Erkenntnis, daß ihm das Niedrige, Gemeine, die tierische Unzucht und Ausschweifung ein Gräuel sei, bereits ins Bewußtsein gedrungen.

Überhaupt war die alte, aus der Zeit des Götzentums stammende Vorstellung mit der neuen sinaitischen Lehre in steter Gärung und im Kampfe. Der Eid wurde selbstverständlich bei dem Namen Ihwh geleistet, weil das Schwören und alles Anrufen Gottes, als Zeugen der Wahrheit oder des Vertrags, als eine feierliche und heilige Handlung galt, die nur bei dem ureignen göttlichen Wesen geschehen müsse. Nichtsdestoweniger wurde dabei das Symbol der Siebenzahl vor Augen gelegt, und »schwören« selbst (hischtabea) erinnerte an diese Zahl, weil nach altheidnischer Vorstellung jede Beteuerung bei den sieben Mächtigen (Kabiren o. S. 85) zu geschehen pflegte47. Überhaupt galt, von [324] dieser heidnischen Vorstellung abgeleitet, die Siebenzahl als eine heilige. Von der Vorstellung, daß die Gottheit durch Opfer zur Abwendung ihres Zorns, zur Umstimmung und zum Wohlwollen gebracht werden könne, konnte das Volk nicht loskommen. Der salomonische Tempel hat diese Vorstellung noch mehr genährt, weil in ihm viele Opfer dargebracht wurden. Der von Samuel geltend gemachte Gedanke, daß Gott kein Wohlgefallen an Opfern und Gaben habe, wurde wieder verdunkelt und trat zurück. Nur durch die Einrichtung, daß neben dem Opferwesen im Tempel ein geistiger Gottesdienst mit Psalmen, Gesang und Saitenspiel bestehen sollte, war die Klärung dieser so tief eingreifenden Anschauung angebahnt.

In dem neuen großen Tempel hatte das Priestertum eine geachtetere offiziellere Stellung erlangt; es war unter Salomo vertreten durch den Hohenpriester Asarja, Sohn Zadoks (o. S. 289). Es war nun allerdings nicht, wie bei den Phöniziern, dem Königtum gleichgestellt, sondern ihm untergeordnet, mußte sich nach ihm richten48 und hatte keinerlei Macht über das Volk. Das Hohepriestertum war erblich im Hause Zadok, nachdem die Nachkommen Abjathars durch Salomo zurückgesetzt worden waren. Überhaupt waren die Zadokiden geehrt, während die Abkömmlinge des Hauses Eli so heruntergekommen waren, daß sie um eine kleine Münze oder um ein Laib Brot betteln mußten49. Der Hohepriester wurde ebenfalls wie der König gesalbt. Bei seinem Dienste trug er Prachtgewänder zur Ehre und Zierde, ein langes Feierkleid ganz aus blauem Purpur, das bis zu den Füßen reichte, und an dessen Saum ringsumher Granatquasten und goldene Schellen angebracht waren. Ein buntgestickter Gürtel hielt das Gewand zusammen. Auf seinem Haupte war ein Kopfbund aus weißem Byssus. An der Stirn trug er ein Diadem aus Gold mit der eingegrabenen Inschrift: »Heilig dem Ihwh.« Über die Schultern und die Brust war eine Art Achseltuch (Ephod) gelegt, aus verschiedenartigen Purpur-, Gold- und Byssusfäden gewebt. Daran war mit goldenen Kettchen und Ringen auf der Brust eine Art spannenlangen Schildes befestigt. In diesem Brustschild (Choschen) waren in vier Reihen verschiedenfarbige Edelsteine angebracht, in welche die Namen der zwölf Stämme eingestochen waren und ebenso war auf den Schulterblättern je ein Edelstein mit je sechs Namen der Stämme eingegraben. Die funkelnden Steine auf der Brust hatten ohne Zweifel eine sinnbildliche Bedeutung, die den Kundigen verständlich war; sie veranschaulichten Glanz und [325] Erleuchtung, Echtheit und Wahrheit (Urim w' Tummim)50 Vermöge ihrer sollte der sie tragende Hohepriester die Gesamtheit der Stämme vor Gott vertreten und zugleich in zweifelhaften Lagen für das Volk und den es vertretenden König Auskunft erteilen. Das von ihm feierlich erteilte Wort galt als ein Gottesspruch. Der Hohepriester wurde unter Salomo, wenn nicht über die Propheten, so doch ihnen gleichgestellt. Bei großen Festversammlungen pflegte er zum Schlusse das Volk zu segnen. Der von ihm gebrauchte Segensspruch bestand nicht, wie bei den götzendienerischen Völkern, aus dunkeln, mystischen, Zaubersprüchen ähnlich klingenden Formeln, sondern drückte einen klaren, jedermann verständlichen Gedanken aus. Gott möge das Volk segnen und beschützen, ihm sein Antlitz gnädig leuchten lassen, ihm freundlich und gewogen sein und ihm Frieden gewähren51. Die übrigen Priester aus dem Hause Zadok trugen kurze Röcke aus Byssus, hohe weiße Kopfbedeckung und Gürtel. Im Gegensatz zu den Priestern der Nachbarvölker, die ihr Haupt- und Barthaar vollständig abzuscheren pflegten, behielten die Ahroniden ihren natürlichen Haarschmuck. Mit den Leichnamen und dem Tode hatten sie nichts zu schaffen, sie sollten sich vielmehr nach dem Gesetze von jeder Verunreinigung durch Berührung von Leichen fernhalten. Der Tempel zu Jerusalem brauchte nicht von den Wehklagen um einen gestorbenen Gott widerzuhallen. Das Volk aber konnte sich von den Trauergebräuchen der Phönizier und Kanaaniter nicht losreißen und fuhr wohl noch lange fort, bei Verlust eines Familiengliedes sich eine Glatze zu machen und sich den Körper mit Messern zu verwunden oder Einschnitte zu machen52.

Das religiöse Leben konzentrierte sich bei den Israeliten wie bei allen Völkern in den großen Volksfesten, die mit den Abschnitten des Ackerbaus zusammenfielen, im Fest der ungesäuerten Brote zur Zeit der Gerstenernte im Frühling, im Schnittfest zur Zeit der Weizenernte fünfzig Tage später, und endlich im Sammelfest zur Zeit der Früchte- und der Weinlese im Beginn des Herbstes. An diesen Festen wallfahrteten die Familien zur nächsten angesehenen Kultusstätte, und davon hatten sie den Namen Wanderfeste (Regalim)53. Der neue [326] Tempel unter Salomo zog zum Sammelfeste eine große Menge Besucher aus allen Stämmen nach Jerusalem, weil im Herbst Feld und Garten nicht mehr ihre Besitzer beschäftigten und diesen Muße zur Festfeier und zum Tempelbesuch ließen. Die freudige Erinnerung an die Einweihung des Tempels trug dazu bei, eine größere Beteiligung an diesem Feste zu veranlassen. Es wurde deswegen ganz besonders das Wallfest (Chag)54 genannt. Die Auswärtigen, welche nach Jerusalem gekommen waren und keine Gastfreunde hatten, die sie in das Haus aufnahmen, bauten sich Hütten, um darin die acht Tage des Festes zu verweilen. Das Frühlings- und das Herbstfest erhielten indessen Beziehungen zu den geschichtlichen Erinnerungen. Das Fest der ungesäuerten Brote diente zum Andenken an den Auszug aus Ägypten und das Herbstfest zur Erinnerung an das Zeltleben in der Wüste. Die sieben Festtage wurden mit Opfern, Freuden und geselligen Mahlen begangen. Der letzte Tag der Frühlings- und der Herbstfeier scheint einer besondern Weihe und dem Ernste gedient zu haben. An ihnen hielten sich die Besucher im Tempelraum auf und enthielten sich der Speisen; er wurde der Tag der Enthaltsamkeit genannt55. Da Jerusalem nicht in der Mitte des Landes lag, so konnten nur die in der Nähe Wohnenden zu den übrigen Festen den Tempel besuchen. Selbst am Passahfeste, welches am Vorabend des Frühlingsfestes gefeiert wurde, fand eine zahlreiche Beteiligung nicht statt56. Da die geheiligten Anhöhen auch nach der Erbauung des allgemeinen Tempels noch fortbestanden, so suchte jeder Familienvater mit seinem Passahlamme die ihm zunächst liegende Stätte auf.

[327] Ungeachtet des den Mittelpunkt bildenden Tempels, der von Salomo versuchten Auflösung der Stämmeverbände und der erstrebten straffen Einheit war es noch immer nicht gelungen, eine innige Verschmelzung der Stämme zu einem Volke durchzusetzen. Nur der Stamm Benjamin war fester an den Stamm Juda gekittet, weil Jerusalem und der Tempel auf benjaminitischem Gebiet erbaut waren und vornehme benjaminitische Familien sich wahrscheinlich in der neuen Hauptstadt angesiedelt hatten und auch die auswärtigen Mitglieder dieses Stammes es nahe hatten, den Tempel zu besuchen, näher noch als die an der äußersten Südgrenze wohnenden Jehudäer. Salomo mag auch sonst die Benjaminiten gleich seinem Geburtsstamm vor den übrigen Stämmen bevorzugt heben. Dagegen hatte die gegenseitige Abneigung des Hauses Israel und des Hauses Jakob oder der Nord-und Südstämme gegeneinander nicht aufgehört. In den Nordstämmen gärte eine tiefe Unzufriedenheit mit Salomo trotz des Wohlstandes, den er auch ihnen gebracht hatte; sie fühlten nur den Druck des Joches, das ihnen durch die regelmäßige Lieferung von Naturalien für den Hof und durch die Zwangsleistungen für die Bauten aufgelegt war57. Die Unzufriedenen verhielten sich zwar ruhig, aber es bedurfte für sie nur einer Gelegenheit, um zur Auflehnung überzugehen. So weise auch Salomo war, so war er doch nicht zukunftsdurchdringend genug, um einzusehen, daß er selbst durch Fehler den festen Bau des Staates lockerte.

Unter den Beamten Salomos, die er zur Beaufsichtigung seiner Bauten verwendete, befand sich ein Ephraimite von gewecktem Kopf, großem Mut und noch größerem Ehrgeiz. Es war Jerobeam, Sohn Nebats, aus einem Städtchen Zareda oder Zarthan unweit des Jordans. Er war der Sohn einer Witwe. Frühe der väterlichen Zucht ledig, konnte er sein eigenes Wesen ohne Gegendruck ausbilden. Jerobeam hatte die Befestigung der Mauern um Jerusalem mit vieler Geschicklichkeit und mit großer Festigkeit gegen die Frohnarbeiter geleitet, und Salomo war so zufrieden mit ihm, daß er ihm ein höheres Amt über das Gebiet Ephraim und Manasse anvertraute. Hier hatte Jerobeam Gelegenheit, die unzufriedenen Äußerungen des Volkes über die von Salomo auferlegten Lasten zu vernehmen, Äußerungen, die unter den stets unbefriedigten Ephraimiten stärker als anderswo gelautet haben mögen. Diese Unzufriedenheit war seinen geheimen, ehrgeizigen Plänen erwünscht, er war entschlossen, sie zu [328] benutzen und wartete nur eine günstige Gelegenheit dazu ab. Eine solche fand sich bald. Salomo beging die Torheit, Opferstätten für götzendienerische Kulte zu dulden. Sei es, daß seine ausländischen Weiber ihm im Alter dieses Zugeständnis ablockten, oder daß die Ausländer, Phönizier und Genossen anderer Völkerschaften, die sich in Jerusalem aufhielten, von ihm die Freiheit erhielten, ihre Götter auf ihre Weise im Lande Israel zu verehren, genug, es entstanden auf dem Ölberg und zwar auf dessen hoher Nordspitze götzendienerische Kultusstätten für die Astarte der Sidonier, für den Milkhom der Ammoniter für den Kemosch der Moabiter und noch für andere Götzen58. Noch war der Sinn des Volkes nicht so erstarkt, daß es durch dieses Beispiel der religiösen Verkehrtheit nicht wieder hätte in Götzendienst zurückfallen können. Ein Prophet, vielleicht Achija aus Schilo, hatte den Mut, dem König diese Lauheit vorzuhalten und ihm zu drohen, daß er zur Strafe dafür der Herrschaft über Israel verlustig gehen könne59. Salomo scheint aber die Warnung wenig beachtet zu haben. Entrüstet über diese Gleichgültigkeit, suchte der Prophet Achija aus Schilo Jerobeam auf, um ihn als Werkzeug zur Züchtigung Salomos zu gebrauchen; er hat wohl dessen ehrgeizige Pläne durchschaut. Als Jerobeam einst Jerusalem verließ, näherte sich ihm der Prophet, faßte dessen Obergewand, zerriß es in zwölf Stücke und händigte ihm zehn davon ein mit den Worten: »Nimm diese zehn Stücke, sie bedeuten die zehn Stämme, die sich vom Hause Davids losreißen werden, und deren König du werden sollst.« Was brauchte Jerobeam mehr für seine ehrgeizigen Pläne? Ein Prophet hatte sie gutgeheißen und im Namen Gottes die Empörung gegen den gesalbten König gebilligt! Rasch eilte er in das Gebiet Ephraims und rief die Ephraimiten zur Lostrennung vom Hause Davids auf. Indessen hatte Salomo Kunde davon erhalten, und sandte, ehe noch der Aufstand um sich griff, seine Trabanten, um den Aufwiegler zu töten. Auf Umwegen, wahrscheinlich durch das Land jenseits des Jordans, gelangte dieser nach Ägypten60.

In diesem Lande, das sich, wie später das byzantinische Reich, mehr durch Schwere als durch Kraftentwicklung behauptete, war damals eine neue Königsfamilie auf den Thron gelangt (die XII. Dynastie), die ihren Sitz in der Stadt Bubastis nahm. Scheschenk, (Schischak, Sesonchosis, regierte um 980-959), der erste König aus derselben, hat [329] entweder mit der Tochter des letzten Pharaonen der tanitischen Regentenfamilie, die Krone ererbt61 oder sich des Thrones gewaltsam bemächtigt. Unter diesem neuen König löste sich das Bündnis, das bis dahin zwischen Israel und Ägypten durch Salomos Ehe mit der ägyptischen Königstochter bestanden hatte. Scheschenk hegte vielmehr feindselige Absichten gegen das israelitische Reich, das ihm zu mächtig geworden war. Er nahm daher den Empörer Jerobeam, der sich zu ihm geflüchtet hatte, freundlich auf, um ihn als Werkzeug gegen Salomo zu gebrauchen62. Noch einem anderen Feinde Israels gewährte Scheschenk freundliche Aufnahme und Schutz, einem idumäischen Fürstensohn, der heftige Rachegefühle gegen das israelitische Volk hegte. Hadad (oder Adad), ein Sproß des idumäischen Königs, den David besiegt hatte, war als junger Knabe dem Blutbade entkommen, das Joab infolge einer Empörung in diesem Lande angerichtet hatte (o. S. 232). Freunde des idumäischen Königshauses hatten den jungen Hadad nach einer Oase der Wüste Sinaï (Midjan) in Sicherheit gebracht, wo er heranwuchs und weilte, so lange der Schwiegervater Salomos auf dem ägyptischen Throne saß. Sobald aber Scheschenk den Thron bestieg, eilte der idumäische Königssohn nach Ägypten und wurde von diesem wohlwollend aufgenommen. Scheschenk gab ihm die Schwester der Königin zur Frau, und sein erstgeborener Sohn (Genubat)63 wuchs unter den ägyptischen Königssöhnen auf. Hadad erhielt auch Land in Ägypten und wurde überhaupt mit Auszeichnung behandelt. Nichtsdestoweniger sehnte sich Hadad, nach Edom zurückzukehren, um das ihm entrissene Land wieder an sich zu bringen. In der Tat führte er seinen Plan, wohl von Scheschenk unterstützt, aus, da er wußte, daß der kriegerische Geist, der unter David und Joab geherrscht hatte, unter Salomos friedlicher Regierung abgenommen hatte, und daß ein Krieg im kleinen im Gebirgslande ihm mit wenig Gefahr viel Nutzen bringen würde. Als Hadad mit der Schar, die er zusammengebracht hatte, auf idumäischem Boden angelangt war, fügte er den Karawanen Salomos, welche die Waren vom Meerbusen von Ailat nach den israelitischen Grenzen hin und zurückführten, viel Schaden zu, und Salomos Krieger waren nicht imstande, ihn daran [330] zu hindern64. Es fehlte eben jene Schar der Tapferen Davids, welche den größten Gefahren mutig entgegenging. Alles das waren kleine Vorzeichen, daß die Stärke des israelitischen Staates im Abnehmen begriffen war.

Noch eine andere kleine Wolke, die Salomo nicht beachtete, und die sich später Verderben bringend über Israel ergießen sollte, zog sich im Norden zusammen. Einer der Diener des Königs Hadadeser von Zoba, den David besiegt hatte (o. S. 229), namens Reson, hatte sich nach der Niederlage auf die Flucht begeben, eine Raubschar um sich gesammelt und Streifzüge in der Gegend zwischen dem Euphrat und den nördlichen Ausläufern des Libanon gemacht. Durch glückliche Unternehmungen wuchs Resons Schar immermehr an und damit sein Mut und seine Macht. Zuletzt durfte er es wagen, gegen die alte Stadt Damaskus zu ziehen, und es gelang ihm, diese einzunehmen und sich hier zum König aufzuwerfen. Auch Reson übte Feindseligkeiten gegen die Israeliten und ihre Verbündeten im Norden aus, ohne von Salomo [331] daran verhindert zu werden. Entweder hatte der alternde König eine Scheu vor dem Kriege oder er hatte keine kriegerische Mannschaft, um zugleich Fehden im Norden und Süden zu bestehen. So entwickelten sich hier und da gegen das glückliche Israel aus kleinen Anfängen feindselige Mächte, die leicht im Keime hätten erstickt werden können. Dazu sollte noch ein Riß im Innern kommen. Es war Israel nicht beschieden, ein mächtiger Staat zu bleiben. Jedoch sollte Salomo das sich vollziehende Verhängnis und die Schwächung seines Reiches nicht mehr erleben; er starb im Frieden etwa sechzig Jahr alt (zwischen 977 und 975). Sein Leichnam wurde in der Felsengruft der Könige, die David im Süden des Berges Zion angelegt hatte, wahrscheinlich mit großem Pomp beigesetzt. Man erzählte sich später, daß sowohl Salomo als auch sein Vater im Innern dieser Grabesgrotte unermeßliche Schätze und Kostbarkeiten von Gold in Zellen aufbewahrt hätten, die von jüdischen Königen viele Jahrhunderte später gehoben worden seien65. Obwohl Salomo zahlreiche Frauen hatte, so hinterließ er doch, wie es scheint, nur wenige Nachkommen. Genannt werden nur ein Sohn Rehabeam und zwei Töchter, Tapat und Basmat, welche an zwei königliche Amtsleute verheiratet waren66. Auf Rehabeam ging die Regierung über, und ihm war es vorbehalten, den Riß mit eigener Hand zu vollziehen. Die Nachwelt, welche Salomos Geisteskraft und Weisheit über das Maß des Menschlichen hinaus in gedankenloser Bewunderung übertrieben hat, legte ihm auch Gewalt über geheimnisvolle Geister und Dämonen bei, die, seinem Wink gehorsam, sich sammelten oder zerstreuten. Selbst ein Ring, worin sein Namen eingegraben war, habe stets mit mächtigem Zauber auf die Dämonen67 gewirkt und sie gebändigt.

Das von Salomo zur Größe erhobene israelitische Reich glich einer von geschäftigen Geistern aufgebauten Zauberwelt. Der Zauber wich mit seinem Tode – er hat seinen Zauberring nicht auf seinen Sohn vererbt.


Fußnoten

1 Genesis 49, 11-12.


2 Josephus, Altertümer VIII, 7, 3 aus einer unbekannten, aber gewiß historischen Quelle, vielleicht aus Eupolemos' Schrift περὶ τῶν ἐν Ἰουδαίᾳ βασιλέων.


3 Die Mine, הנמ, μνᾶ, kommt in der althebräischen Literatur nicht vor, das einzigemal, wo sie genannt wird, I. Könige 10, 17 muß dafür nach der Parall. II. Chronik 9, 16 תואמ gelesen werden. Man hat sonst keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Mine aus 100 Sekel bestanden haben soll, vgl. Böckh, metrologische Untersuchungen, S. 62 f.


4 Vgl. Samuel ben Meïr (Raschbam) Kommentar zu Genesis 1, 3. Delitzsch, Komment. zu Gen. das.


5 Exodus 23, 16; 34, 22.


6 Numeri 29, 1.


7 Vgl. Note 19 Chronologie.


8 Vgl. Deuteronom. 23, 4 ff.


9 Koran, Sura 47.


10 I. Könige 10, 1 ff. המלש עמש תא תעמש אבש תכלמו 'ה םשל hat keinen verständlichen Sinn. Die griechische Version hat dafür τὸ ὄνομα Σ. καὶ τὸ ὄνομα κυρίου, ebenso der Syrer אירמד אמשו. Die Königin von Saba hatte ebenso vom Namen Gottes, wie vom Ruhme Salomos vernommen. Daher ist es erklärlich, daß Vers 9 das. sie den Preis Gottes aussprechen läßt. Aus diesem Vorgang hat sich bei Propheten und Psalmisten der Zug ausgeprägt, daß Könige und Fürsten nach Jerusalem kommen werden, um dem Gotte Israels zu huldigen, wobei die Könige von Saba öfter mitgenannt werden.


11 Diese werden ףסכ תנקמ genannt, für Geld erworbene Sklaven; vgl. Levitic. 25, 44 ff. Vgl. über die Toschabim und Gerim, Frankel-Graetz, Monatsschr. Jahrg. 1871, S. 239 ff.


12 Exodus 22, 20 und andere St.


13 Aus ver Parabel der Thekoerin geht hervor, daß zu Davids Zeit die Asylstädte noch nicht ihrer Bestimmung gemäß in Funktion waren. Faktisch bestanden haben sie aber entschieden, da sie öfter als solche aufgeführt werden, auch die Bezeichnung als טלקמה ירע nach einem so selten vorkommenden Verbum טלק spricht für ihren faktischen Bestand. Dann können sie aber nur unter Salomo designiert worden sein; denn nach der Reichsspaltung war der politische Zustand sehr verändert und blieb es bis zum Ende des Reiches.


14 Numeri 35, 15.


15 Das. 35, 12 ff.; Josua 20, 6; Ps. 82, 1 u.a. St.


16 I. Könige 21, 11; Deuteronom. 21, 6, 19 ff.; 22, 17. Numeri 1, 16; 16, 2; 26, 9. Davon hat die Bezeichnung: דעומ ארק die Bedeutung erhalten, die Volksgemeinde zu Gericht und Strafurteil zusammenberufen, und strafen überhaupt, Klagelieder 1, 15; Ps. 75, 3 דעומ חקל, eine Tagsatzung zum Richten bestimmen. Da das Wort םוצ (ursprünglich »Enthaltung von Essen und Trinken«) im Verlaufe die Bedeutung »Volksversammlung« angenommen hat, so wurde auch םוצ ארק für דעומ ארק gesagt, die Versammlung zusammenberufen, um eine Anklage anzuhören und ein Strafurteil zu fällen, I. Könige 21, 9, 12 ff.


17 II. Chronik 19, 5 ff.; vgl. Exodus 18, 25 das Beispiel Moses.


18 Deuteronom. 1, 17; vgl. Exodus 18, 22 ff.


19 Amos 5, 15; Deuteron. 22, 15; 25, 7; Klagel. 5, 14; רעש erhielt dadurch geradezu die Bedeutung von ריע »Stadt«; ךירעשב bedeutet »in deinen Städten«.


20 Exodus 18, 14; darauf beruhen die Ausdrücke ךות oder ךותב, die Mitte, d.h. vornehm und הצקמ [mikatze] am Ende, d.h. gering

21 Deuteronom. 1, 17; Ps. 82, 1; II. Chron. 19, 6 ff.


22 Die Belegstellen sind zahlreich. Die Sprache hat ein besonderes Wort für Unparteilichkeit ausgeprägt: םירשימ, auch einmal dichterisch רושימ Jes. 11, 4.


23 I. Könige 21, 10 ff.; Deuteron. 19, 15 u.a. St.


24 Daher hat das Wort רטש die Bedeutung von Schreiben, und רטש [schter] heißt Vollstrecker. Auch bei den Ägyptern war der Schreiber zugleich Büttel.


25 Folgt aus II. Könige 14, 6 ff., und Josua 7, 24-25.


26 Deuteron. 15, 4.


27 Leviticus 25, 25.


28 Zwar wird erst von Chiskija erwähnt, daß er das Zehntengesetz in Kraft gesetzt habe (II. Chron. 31, 4 ff.). Allein es läßt sich denken, daß Salomo, der die Leviten bereits für den Tempel verwendet hat, auch für sie durch Ausführung des Gesetzes gesorgt haben werde.


29 II. Samuel, 13, 12.


30 Folgt aus der Geschichte von Amnon und Thamar o. S. 240. Vgl. Genesis 34, 31; 49, 5.


31 Folgt daraus, daß הנוז öfter הרז und הירכנ genannt wird.

32 Exodus 21, 8 bedeutet ירכנ םעל, »einer fremden Familie«.


33 Die faktische Monogamie der Israeliten folgt besonders aus der Erzählung von der Schandtat in Gibea, Richter 21, 22: המחלמב ותשא שיא ונחקל אל יכ: es steht nicht וישנ. Die Bigamie aus Not ist angedeutet in der Geschichte Abrahams, Jakobs und Elkanas, weil deren erste Frauen kinderlos waren. Isaak dagegen hatte nur eine einzige Frau. Die Monogamie, als Theorie, ist in der Schöpfungsgeschichte empfohlen (Genesis 2, 24): ותשאב קבדו. Das Gesetz von zwei Frauen im Deuteronom. 21, 15 ff. bezieht sich auf einen König. Auch unter den alten Germanen war bei den Herzögen die Polygamie Sitte, wie Tacitus in der Germania (c. 18), diesem idealisierten Sittenspiegel, den er den verderbten Römern vorhielt, schildert: Nam prope soli barbarorum (Germani) singulis uxoribus contenti sunt, exceptis admodum paucis, qui non libidine, sed ob nobilitatem plurimis nuptiis ambiuntur. Die Monogamie war also bei den Israeliten, wie bei den Germanen noch vor der Entstehung des Christentums stehende Regel. Man ist also nicht berechtigt, die Israeliten bezüglich der Stellung der Frauen mit den Orientalen zusammenzuwerfen. Über die untergeordnete Stellung der Frauen bei Griechen und Römern und auch noch bei den Deutschen bis tief in das Mittelalter hinein, vgl. Prof. Maquardsen, das Recht der Frauen, Augsburg, allg. Zeit., Beil. Nr. 253, 254. [Vgl. Iwan Müllers Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft III.]


34 Wenn םישנה תיב in Esther vorkommt, so gehört diese Sitte den persischen Königen an. Nur einmal ist [vielleicht!] ein Frauengemach angedeutet, Ps. 128, 3 ךתיב יתכריב ךתשא, und dieser Psalm ist jung und reflektiert nachexilische Zustände.


35 Es ist ein unvertilgbarer Irrtum der Archäologen, die israelitischen Frauen bis auf die jüngste Zeit der Bibel herab, Nasenringe, etwa im durchbohrten Nasenknorpel gleich den amerikanischen Wilden, tragen zu lassen. So wird nämlich םזנ erklärt. Allerdings bedeutet es auch einen Schmuck für die Ohren, ob dieser aber ringförmig war, ist nicht erwiesen. Der Schmuck םזנ, welcher mit der Nase in Verbindung genannt wird, war ganz entschieden nicht ein Ring, sondern ein länglich rundes Stäbchen zur Befestigung des Halbschleiers. Theodotion und Symmachos übersetzen םזנ richtig ἐπιῤῥίνιον, ein Schmuck auf der Nase, nicht in der Nase. Das griechische Wort muß wohl in der Gegend, wo diese Übersetzer lebten, für diese Sache eingebürgert gewesen sein. Hieronymus bemerkt zu Ezech. 10, 12: Verbum Nezem, quod circulus in similitudinem factus inaurium eodem vocabulo nuncupetur et.. usque hodie inter cetera orramenta mulierum solent aurei circuli in os ex fronte pendere et immïnere naribus. So wie zur Zeit Hieronymus' tragen noch heutigen Tages die Frauen in Palästina und Ägypten, soweit sie verschleiert ausgehen, ein rundes Stäbchen von Messing oder Gold an der Stirn bis zur Mitte der Nase, woran der Halbschleier befestigt ist. םזנ kann nur ein solches Stäbchen gewesen sein. [S. jedoch Kamphausen bei Riehm-Bäthgen, S. 1073.]


36 I. Könige 5, 11 ist angegeben, Salomo habe an Weisheit übertroffen ינב עדרדו לכלכו ןמיהו יחרזאה ןתיא לוחמ. Mit Recht nimmt man an, daß diese vier Salomos Zeitgenossen und zwar Dichter waren, weil gleich darauf Salomos Weisheit als Dichtkunst erwähnt wird. Die Abstammung dieser vier läßt sich aus I. Chronik 2, 4-8 deduzieren. Sie gibt hier die Genealogie der jehudäischen Familie von Perez und Serach. Zuerst לומחו ןורצח ץרפ ינב; sie zählt dann später die Chezroniden auf (Vers 9). Nun sollte man doch auch die Aufzählung der לומח ינב erwarten, da es neben ינורצח auch eine Familie ילומח gegeben hat (Numeri 26, 21). Die Chronik überspringt sie aber und zählt die Serachiden (Vers 6) auf: ןתיאו ירמז :חרז ינב (עדרדו) ערדו לכלכו ןמיהו. Dann לארשי רכוע רבע ימרכ ינב. Hier fehlt entschieden ein Glied, denn ימרכ ist noch nicht genannt. ירמז war aber gleich ידבז, ein Serachide (Josua 7, 1; 18), dessen Sohn ימרכ und Enkel Achan oder Achor war. Es muß also in der Chronik heißen: 'וגו רכע ימרכ ינבו ,ימרכ (ידבז) ירמז ינבו. Es ist eine Verwirrung in dieser Genealogie wahrzunehmen. Diese besteht auch darin, daß Heman und seine Brüder als Söhne Serachs aufgeführt werden, während sie Söhne Perez' von לומח waren. Es muß also heißen: :לומח ינבו ןתיאו ירמז :חרז ינבו ערדו לכלכו ןמיה. Offenbar ist לומח und לוחמ eine und dieselbe Person, bloß durch durch Konsonantenversetzung verschieden, wie םחוש [IV M. 26, 42] und םשוח [I. M. 46, 23], ferner לאימע [I. Chr. 3, 5] und םעילא [II. Sam. 11, 3] und andere Personennamen. Diese drei waren also Nachkommen von Perez oder Chamul, לוחמ ינב oder לומח ינב. Dagegen gehörte ןתיא zur Familie Serach; denn er wird auch in I. Könige das. יחרזאה ןתיא, d.h. von der Familie חרז genannt und ebenso Ps. 89, 1. Wenn es in Ps. 88, 1 lautet: יחרזאה ןמיה, so muß[?] man auch hier lesen ןתיא יחרזאה. Es folgt also aus dieser Stelle, daß Pereziden und Serachiden sich mit Poesie beschäftigt haben, und zwar wahrscheinlich zur Zeit Salomos.


37 Sprüche 30, 15-31 sind fünf analoge an die Zahl 3 und 4 geknüpfte Sentenzen enthalten, die man nur verstehen kann, wenn man den Eingang als Rätselfrage betrachtet, wie bereits einige Ausleger sie erklärt haben. Der Vers 15 von der Alukah (Blutsaugerin) gehört nicht zum Eingang der ersten Sentenz, sondern scheint Fragment einer anderen, ausgefallenen Sentenz zu sein. Auch die fünfte Sentenz, die dunkelste von allen, scheint defekt zu sein, wenn man die griechische Version mit dem Original vergleicht und den unregelmäßigen Bau des Parallelismus betrachtet. – Vers 19 המלע ist nicht Jungfrau, sondern Sklavin (wie הרענ Amos 2, 7), mit welcher der Herr und Besitzer Unzucht treiben kann, ohne daß es kund wird. Merkwürdig ist es, daß in der indischen Fabelsammlung Hitopadesa eine mit der ersten in den Sprüchen analoge Sentenz vorkommt (Buch II, Fabel 9). Dort ist sie in eine Erzählung eingeflochten von einer ehebrecherischen Frau, welche zugleich mit dem Vater und dem Sohne Unzucht trieb. Darauf wird ein Übergang gemacht, nach Max Müllers Übersetzung (S. 90): »es ist bekannt«, nach Wilkins' und Lanceraus Übersetzung: according to these sayings, oder on a dit, jedenfalls mit Berufung auf einen bekannten Spruch. Die Sentenz selbst lautet nach M. Müllers Übersetzung:


»Das Feuer hat nie genug Holz,

Das Meer nie genug Wasser,

Der Tod nie genug Geschöpfe,

Eine Schönäugige nie genug Männer.«


Ganz gleich sind die beiden Sentenzen keineswegs, die indische betont am stärksten die Brunst der Frau, während die hebräische dieses Glied nur durch zwei Wörter andeutet: םחר רצעו. Das Hitopadesa spricht von der Unersättlichkeit des Meeres, und Mischlé heben die Unersättlichkeit des Erdbodens hervor: ץרא םימ העבש אל. Die Frage über die Entlehnung kann nicht zweifelhaft sein, da das Hitopadesa ein mindestens um tausend Jahre jüngeres Produkt ist. Denn es ist viel jünger als die Fabelsammlung Pantscha-Tantra; es hat die in dieser enthaltenen Fabeln benutzt und Sentenzen daran angeknüpft, wie M. Müller bemerkt (das. Einleitung). Pantscha-Tantra ist erst im fünften Jahrh. nachchristlicher Zeit entstanden, wie Lancerau in der Einleitung angibt: Pantscha-Tantra, recueil plus ancien, lequel a dû recevoir sa forme actuelle vers la fin du V. Siècle de l'ère chrétienne, et a été traduit du Sanscrit en Pehlvi dans la première moitié du VI. S. Folglich ist das Hitopadesa, welches die ältere Sammlung benutzt hat, noch jünger. Mischlé dagegen, selbst die jüngsten Bestandteile, sind nicht jünger als das babylonische Exil, also als das sechste vorchristl. Jahrh. Der hebräische Dichter kann also keineswegs die Sentenz einem indischen Dichter entlehnt haben. Weit eher ist es denkbar, daß der Spruch durch Araber oder gar Juden den Indern bekannt geworden ist, und in Indien eine Modifikation erfahren hat. Einer einzigen Quelle entstammen jedenfalls beide, denn die große Ähnlichkeit schließt ein zufälliges Zusammentreffen aus.

38 Zweimal wird das רשיה רפס genannt, Josua 10, 13; II. Samuel 1, 18 und von den daselbst angeführten Liedern wird angegeben: הבותכ איה הנה (oder אלה). Es war also eine Liedersammlung. Da David das eine Lied auswendig lernen ließ (o. S. 225), so ist es wohl zu seiner Zeit schriftlich aufbewahrt worden. Die Bedeutung von רשיה 'ס hat wohl Herder (Geist der hebr. Poesie) am richtigsten erklärt als Buchstabenversetzung für רישה רפס, zumal die syrische Version das Wort רשיה zu Samuel zwar durch רשיא רפס, aber zu Josua durch אתחבשותד ארפס, »Rolle des Liedes« wiedergibt. Vgl. Gesenius' Thesaurus II, p. 642.


39 Numeri 23, 21-24, ךלמ תעורת bedeutet wie Hiob 33, 26: העורתב וינפ אדיו Freundschaft, Freundlichkeit, Wohlwollen (vielleicht von הער gleich הצר?). – Vers 23 'ל רמאי [jeamer l´] bedeutet hier, wie öfter »genannt werden«, und לא לעפ המ ist der Name, der Israel einst beigelegt werden wird, wie Hosea 2, 1 רמאי יח לא ינב םהל, Jeremia 33, 16 ונקדצ 'ה הל ארקי רשא חזו. So ist dieser dunkle Vers verständlich.


40 Numeri 24, 5, 10.


41 II. Samuel 11, 14.


42 S. Note 16.


43 Daß die Erzählung von der Schandtat Gibeas (Richter 19-21) eine Tendenzschrift sei, um die Zuchtlosigkeit der Richterzeit zu geißeln, haben bereits einige Ausleger erkannt und diese Tendenz in der, im Anfang und am Ende hervorgehobenen, Bemerkung ויניעב רשיה לכ שיא לארשיב ךלמ ןיא םהה םימיב השעי gefunden. Güdemann hat aber mit Recht nachgewiesen, daß noch eine andere Tendenz darin vorwaltet, die Stadt Gibea, die Benjaminiten, die Anhänger Sauls und die Stadt Jabesch-Gilead der Verachtung preiszugeben (Frankel-Graetz, Monatsschr. Jahrg. 1869, S. 377 ff.). Daß aber die vorangehende Erzählung (Richter 17-18) von Michas Götzentum und der Gewalttätigkeit der Daniten ebenfalls eine Tendenzschrift sei, hat bisher niemand erkannt. Und doch hat diese mit der anderen auffallende Analogie. Auch diese erwähnt zweimal שיא לארשיב ךלמ ןיא םהה םימיב 'וגו רשיה לכ (17, 6; 18, 1). In beiden ist das Gebirge Ephraim ohne genaue Angabe der Lokalität erwähnt. In beiden wird Bethlehem, Davids Geburtsort, mit einem rühmenden Zug erwähnt (17, 8 ff.; 19, 1, 18). Juda hat die Führerschaft im Kriege gegen Gibea (20, 18); dieser Stamm wird also im Gegensatz zu Benjamin hingestellt. Da nun beide Nachträge zum Buche der Richter bilden, so ist die Charaktergleichheit beider erwiesen. Der Verfasser oder Redakteur des Buches der Richter hat beide Schriften vorgefunden und sie als Anhängfel dem Buche einverleibt. Sie müssen also als gleiche Schriften angesehen werden. Daß die zweite erst in späterer Zeit verfaßt wurde, folgt daraus, daß, obwohl die Geschichte noch zu Pinehas' Zeiten spielen soll (20, 28), als die Daniten noch nicht die Stadt Dan im Norden kolonisiert hatten, dennoch angegeben wird, die Stämme vereinigten sich gegen Gibea von Dan bis Berseba (20, 1). Als Sammelpunkt wird Mizpah angegeben, das erst unter Samuel Bedeutung erhielt. Die Schrift kann entschieden erst zu Salomos Zeit verfaßt sein, da Scheba erst zu Ende der davidischen Regierungszeit eine Empörung veranlaßte (o. S. 260) und da Schimi, der Benjaminite noch gefürchtet war (I. Könige 2, 36). In der nachsalomonischen Zeit, als Benjamin eng mit Juda verbunden war, lag keine Veranlassung vor, die häßliche Vergangenheit jenes Stammes zu brandmarken. Die erste Schrift kann aber ebenfalls nur in der salomonischen Zeit verfaßt sein, da auch sie die Beteiligung der danitischen Städte an Schebas Aufstand (o. S. 262) geißelt, und dieser erst, wie schon erwähnt, in Davids Alter vorfiel. Indessen, so sehr sich auch in der Unbestimmtheit der Lokalitäten, in der Übertriebenheit der Zahlen und auch in der unhistorischen Einmütigkeit der Stämme der fiktive Charakter beider Erzählungen zeigt, so muß doch beiden ein historischer Kern zugrunde liegen. Auf die Schandtat in Gibea spielt der Prophet Hosea (9, 9, 10, 9) öfter an. Die Auswanderung der Daniten ist historisch, auch ihr Götzenkultus muß faktisch gewesen sein. Nur die näheren Umstände sind in der Erzählung tendenziös geschildert.


44 Richter 17, 2 kann חקל nur »stehlen« bedeuten. Vers 4 ומאל ףסכה ... תא בשיו ist eine Dittographie von Vers 3; ךל ונבישא התעו kann nur bedeuten, wie die syrische Version den Sinn wiedergibt: יל יהינפ אשהו, d.h. יל ונבישה התעו. Daraus folgt ebenfalls, daß Micha das Silber seiner Mutter gestohlen hatte.


45 Für Kunstarbeit wurde תבשחמ תכאלמ ausgebildet, בשח Künstler, בשח als Verbum bedeutet zugleich »künstlerisch anfertigen, berechnen, ausdenken, erdenken«.


46 Vgl. o. S. 242, Anmerk. 1 die Äußerung der Thekoerin.


47 Das Symbol der Zahl sieben kommt oft bei Eiden in der hebräischen Literatur vor, vgl. auch Herodot III, 8 –עבשה [hischawea-], »sich siebnen« für schwören, stammt eher von den Kabiren, welche den sieben Wochentagen vorstehen, als von den sieben Planeten. Der Planetarismus kann nicht das Ursprüngliche bei Hirtenvölkern gewesen sein.


48 Vgl. I. Samuel 2, 35.


49 I. Samuel 2, 36.

50 Exodus Kap. 25. Über die םימתו םירוא vgl. Note 20.


51 Numeri 6, 23 ff. Daß dieser Segensspruch alt ist, ergibt sich aus Ps. 67, in welchem bereits dieselbe Formel vorkommt; vgl. auch Ps. 134.


52 Folgt daraus, daß in der Sprache des gewöhnlichen Lebens und im Stil der Propheten חרקה und החרק, sowie דדוגתה gleichbedeutend ist mit »trauern, Trauer« überhaupt.


53 Exodus 23, 14.


54 Nicht bloß zur Zeit des zweiten Tempels und später, sondern auch schon zur Zeit des ersten wurde גח ףיסאה oder תוכסה גח κατ᾽ ἐξοχήν גח genannt, I. Könige 8, 2, 65; 12, 32 ff.; Ezech. 45, 25; Jesaia 30, 29. לילכ גח שדקתה ist demnach vom Hüttenfest zu verstehen, und ebenso Psalm 81, 4 ונגח םויל הסכב (das Wort הסכ oder אסכ bedeutet in der syrischen Sprache »Zeit des Vollmonds«). Weil an diesem Feste ein massenhafter Besuch des Tempels stattfand, darum verkündete Zacharias, daß dereinst auch alle Völker an ihm nach Jerusalem wallfahrten würden (14, 16 ff.)


55 Das folgt daraus, daß תרצע oder הרצע synonym mit םוצ gebraucht wird. Joël 1, 14; 2, 15 f. [Nach den meisten Auslegern bedeuten die Worte gerade verschiedene Kategorien von Feiern]. Jesaia 1, 13 ןוא הרצעו haben LXX νƞστείαν καὶ ἀργίαν d.h. םוצ הרצעו. Dabei wird stets das Verbum שדק gebraucht »weihen«, »große Reinigung und Weihen« vornehmen. Die Bezeichnung kann vom Verbum רצע oder רצעה »sich enthalten« oder sich »einschließen« hergenommen sein.


56 II. Könige 23, 22.


57 Folgt aus I. Könige 12, 4.


58 I. Könige 11, 4 ff. 33; II, 23, 13; s. Frankel-Graetz, Monatsschrift, Jahrgang 1873, S. 97 ff.


59 I. Könige 11, 11 ff.


60 Das. 11, 26 ff.


61 Brugsch, histoire d'Egypte, p. 219 ff.


62 I. Könige 11, 40. Daraus folgt, daß Jerobeams Empörungsversuch in Salomos letzten Regierungsjahren stattgefunden hat, als Salomos Schwiegervater bereits gestorben war und Schischak an seiner Stelle regierte.


63 Genubat soll ein ägyptisches Wort sein, Brugsch a.a.O., S. 225.


64 I. Könige 11, 17 ff. Josephus setzt mit Recht die Rückkehr Hadads nach Idumäa in Salomos Alter, und zwar sei sie mit Zustimmung des Königs von Ägypten (Altert. VIII, 7, 6) erfolgt: ... συγχωρήσαντος Φαραῶνος ὁ Ἄδερος ἧκεν εἰς τὴν Ἰδουμαίαν. Dieser zustimmende König kann eben nur Schischak gewesen sein, der auch den Flüchtling Jerobeam freundlich aufgenommen hatte. Es läßt sich in der Tat nicht denken, daß Salomos Schwiegervater Psusennes den Feind seines Schwiegersohnes gehegt und gefördert haben sollte. Hadad ist auch nicht sogleich als Knabe nach Ägypten entflohen. V. 17 םירצמ אובל scheint nach dem folgenden Vers in ןידמ אובל emendiert werden zu müssen. Er entfloh also zuerst in die Sinaïwüste nach Midian (Exodus 2, 15). Von hier brach er mit seinen Leuten auf und kam nach Paran, d.h. in die Gegend von Kadesch (S. Note 4). Von hier begaben sie sich erst später nach Ägypten. In der Erzählung ist die geraume Zeit der Kürze wegen zusammengedrängt, und das Plusquamperfektum durch Aoriste ausgedrückt. Wenn in Vers 21 angegeben ist, daß Hadad infolge der Nachricht von Davids und Joabs Tode dem Pharao seinen Entschluß kundgegeben hat, nach Idumäa zurückzukehren, so darf man diesen Punkt nicht allzusehr betonen, sondern den Sinn hineinlegen, Hadad habe wahrgenommen, daß der kriegerische Geist Davids und Joabs aus Israel gewichen war. Es geht auch aus Vers 25 hervor, wo es heißt, daß Rezon von Damaskus die ganze Regierungszeit Salomos für Israel ein Hindernis gewesen sei המלש ימי לכ לארשיל ןטש יהיו. Diese Zeitdauer fehlt aber bei Hadad; daraus ergibt sich, daß seine Feindseligkeit nicht so lange dauerte, sondern erst in Salomos Alter begann. Es herrscht übrigens in der griechischen Version eine auffallende Abweichung vom Original in der Reihenfolge der Verse. In Vers 25 las sie statt דדה רשא הערה תאו: αὕτƞ ἡ κακία ἣν ἐποίƞσεν Ἄδερ d.h. דדה השע רשא הערה תאז. Statt םרא hat sie םודא vgl. Note 7 [und Klostermann z. St.].


65 Josephus, jüdischer Krieg I, 2, 5; Altert. VII, 15, 3; XVI, 7, 1. Die dritte Stelle steht übrigens mit der zweiten in Widerspruch. In dieser heißt es, daß Herodes in der Davidsgruft viel Gold, in jener aber, daß er kein Gold, sondern nur Schmuck gefunden hätte.


66 I. Könige 4, 11, 15.


67 Josephus, Altert. VIII, 2, 5. Talmud Traktat Gittin, p. 88 a b und andere Stellen.



Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1908], Band 1, S. 333.
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