13. Die Eroberung der Burg Zion, das ursprüngliche Cerrain Jerusalems und die Bedeutung des Millo.

[409] Die Einnahme der Burg Zion ist in so dunklen Worten erzählt, daß sie zu Mißverständnissen Anlaß gegeben hat. Glücklicherweise besitzen wir zwei Quellen darüber, im Buche Samuel (II. 5, 6-10) und in der Chronik (I. 11, 4-8). Durch Vergleichung beider kann das Rätselhafte gelöst werden. Im Grunde ist es nur eine einzige Quelle, nur hat die Chronik manches von dem ursprünglichen Texte treuer erhalten, was in Samuel vermißt wird. In der Chronik fehlt indes manches, was aus Samuel ergänzt werden kann. Die Parallelisierung beider Relationen veranschaulicht das Richtige und läßt die Lücken erkennen.


Chronik.

איה םלשורי ... דוד ךליו V. 4.

.ץראה יבשי יסוביה םשו סובי

דודל סובי יבשוי ורמאיו V. 5.

.הנה אבת אל ...

.דוד ריע איה ןויצ תדצמ תא דוד דכליו

יסובי הכמ לכ ... דוד רמאיו V. 6.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

.רשלו שארל היהי הנושארב

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

היורצ ןב באוי הנושארב לעיו

.שארל יהיו

ול וארק ןכ לע דצמב דוד בשיו V. 7.

אולמה ןמ ריעה דוד ןביו .דוד ריע

ראש תא היחי באויו ביבסה דעו

.ריעה


Samuel.

םלשורי וישנאו ךלמה ךליו V. 6.

רמאיו ץראה בשוי יסוביה לא

םא יכ הנה אבת אל ... דודל

רמאל םיחספהו םירועה ךריסה

.הנה דוד אובי אל

איה ןויצ תדצמ תא דוד דכליו V. 7.

.דוד ריע

הכמ לכ אוהה םויב דוד רמאיו V. 8

םיחספה תאו רונצב עגיו יסבי

לע דוד שפנ ואנש םירועה תאו

לא אבי אל חספו רוע ורמאי ןכ

.תיבה

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

הל ארקיו הדצמב דוד בשיו V. 9.

אלמה ןמ ביבס דוד ןביו .דוד ריע

..... התיבו

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .


Aus dieser Gegenüberstellung geht hervor, daß David zuerst friedlich mit den Jebusitern unterhandelt und ihnen zugemutet hat, ihm die Burg Zion einzuräumen. Darauf haben diese ihm – wahrscheinlich auf[409] seine Drohung – die spöttische Antwort gegeben (ורמאיו)24, er werde nicht eindringen können, es sei denn, daß er die Blinden und Lahmen beseitigt haben werde, d.h. auch diese allein würden imstande sein, ihm die Eroberung streitig zu machen. (Vor ךריסה muß דע ergänzt werden und das Wort רמאל gibt die Erklärung: Das will sagen [vgl. o. S. 262, Anm. 3]). Im folgenden Vers wird erzählt, daß David die Burg trotzdem eingenommen habe, und Vers 8 (Chronik 6) gibt nachträglich an, auf welche Weise die schwer zugängliche Felsenfeste genommen wurde. David habe nämlich den Wetteifer seiner Helden herausgefordert (רונצ = ארנט, abgekürzt רוצ = רוט, bedeutet ursprünglich Fels, hier also Felsspitze): Wer die Jebusiter schlagen, die Felsspitze zuerst erreichen und die Blinden und Lahmen entfernen werde ... solle Anführer oder Feldherr werden. (Hinter םירועה muß ריסי ergänzt werden; דוד שפנ ואנש ist, auch als ironische Wendung, noch ein wenig dunkel.) Zur faktischen Bestätigung des Nebenzuges von den Blinden und Lahmen wird das kursierende Sprichwort angeführt, wie öfter geschieht (I. Sam. 19, 24 = 10, 12). Joab erstieg zuerst den Felsen (und wurde infolgedessen Feldherr). Bis hierher ist alles bis auf eine Kleinigkeit verständlich. – Ewalds »Sturz vom tarpejischen Felsen« ist ein exegetischer Mißgriff.

Wichtiger ist der folgende Passus von dem ursprünglichen Anbau Jerusalems. David bewohnte die Burgfeste Zion, und davon hat sie den Namen Davidstadt erhalten. Er hatte hier einen Palast für sich erbaut aus Zedernholz, das ihm Hiram geliefert (II. Sam. 5, 11). Daß auch die Wohnungen für seine Gibborim auf dem Zion erbaut wurden, folgt aus der Erzählung von Bathseba und ihrem Gatten Urija, einem der Gibborim. Denn da David sie von seinem Palast aus im Bade gesehen hat (II. Sam. 11, 2), muß Urijas Haus seinem Palast nahe gewesen sein. Der Platz hieß in der Tat auch später noch םירובגה תיב (Nehemia 3, 16). Da aber Jerusalem Hauptstadt werden sollte oder wurde und eine zahlreiche Bevölkerung von Judäern und Benjaminiten sich hier niederließ, so reichte der Zionberg nicht dafür aus. Es mußte ein neuer Stadtteil erbaut werden.

Doch ehe die Lage dieses Stadtteils erörtert wird, muß der Versteil I. Chron. 11, 8 verstanden werden ריעה ראש תא היחי באויו, der in der griechischen Version fehlt, weil der Vertent ihn nicht verstanden hat. Daß Joab den übrigen Teil der Stadt erbaut und gar »an Leute vermietet« hat (Ewald), sagt der Wortlaut nicht. Denn היחי ist nicht הנבי. Und warum sollte gerade Joab zum Bauunternehmer gemacht worden sein? Die syrische Version hat dafür die auffallende Übersetzung: אירוקב תיאד אשנא ינבד אכרשל אנימי דוד בהיו, »David gab seine Rechte dem Rest der Leute, welche in den Städten waren«, d.h. er machte Frieden mit ihnen, rottete sie nicht aus, ließ sie am Leben (היחי hat auch diese Bedeutung: »am Leben lassen«, Exodus 1, 17. 18). Ohne näher darauf einzugehen, ob der Vertent hier eine andere Lesart vor sich hatte oder den Versteil aus richtigem Takt wiedergegeben hat, und ohne zu untersuchen, ob er דוד statt באוי gelesen hat, kann doch daraus konstatiert werden, daß die Bewohner von סובי von David oder Joab nicht vertilgt wurden. Das folgt auch aus dem Faktum, daß Arawna, der Jebusiter, tatsächlich auf dem Hügel Morija gewohnt hat. Von ihm kaufte David den Hügel, worauf später der Tempel erbaut wurde. [410] Arawna war wohl nicht der einzige Jebusiter, der verschont worden war. David muß ihnen also wohl Heimatsrechte gewährt haben. Und das kann in dem Verse liegen: David oder Joab ließ den Rest der Stadt, d.h. der Einwohner am Leben.

Über die ursprüngliche und mit der Zeit veränderte Gestaltung des Terrains von Jerusalem ist eine kaum zu bewältigende Literaturmasse vorhanden, die aber aus Mangel an bestimmten Anhaltspunkten keine Gewißheit gewährt. [S. jetzt die Literaturangaben bei Buhl, S. 132 ff., und zu den Artikeln »Jerusalem« bei Riehm-Bäthgen und bei Herzog-Hauck.] Die drei jüngst erschienenen englischen Schriften über Jerusalem tragen auch nicht viel zur Aufhellung des Dunkels bei. Die eine ist betitelt The recovery of Jerusalem, a narrative of exploration and discovery of the holy city and the holy land. by Capitain Wilson and Capitain Warren 1871. Die andere Jerusalem, the city of Herod and Saladin, by Walter and E. H. Palmer 1871. und die dritte Our work in Palestine, being an account of the different expeditions sent out to the holy Land by the Comittee of Palestine-Exploration-Fund since 1865, London 1873.

Der Streitpunkt zwischen Katholiken und Protestanten über die Lage der Grabeskirche in Jerusalem trägt noch mehr zur Verdunklung bei. Steht die Grabeskirche wirklich über Jesu Grab, so muß dieser Stadtteil, der jetzt im Westen, fast in der Mitte der Stadt liegt, früher außerhalb der Mauern gelegen haben. Dann könnte der Haramsplatz nicht identisch mit dem Morija sein. Der Moscheeplatz ist also streitig und kann nicht als Ausgangspunkt genommen werden. Auch sonst läßt das gegenwärtige Jerusalem wenig von dem ursprünglichen Plane erkennen. Es ist alles verbaut, die Höhen sind abgetragen, die Täler ausgefüllt. Wenn man nicht von sicheren Punkten ausgeht, kann sich der Streit bis in die Ewigkeit hinziehen. Sicher ist nur die Lage des Ölbergs im Osten, des Kidrontals zwischen diesem und der Stadt und endlich die Lage des Berges Zion, der noch jetzt die Stadt überragt, im Südwesten. Sonst ist alles zweifelhaft, wenn man nicht die ursprüngliche Lage einiger Stadtteile aus sicheren Ausgangspunkten ermitteln kann.

Sicher ist nächst dem Zionshügel die Quelle Siloa (חליש) im Südostwinkel des Kidrontales. Sicher ist ferner das, was aus Josephus' Beschreibung von der Lage Jerusalems zu seiner Zeit für die Lage der ältesten Zeit folgt. Denn wenn seine Angaben sonst auch nicht ganz zuverlässig sind, so kann doch die Richtigkeit seiner Beschreibung Jerusalems, worin er geboren und erzogen war und lange gelebt hat, nicht angezweifelt werden. Freilich müssen seine Benennungen geprüft und mit anderweitig bekannten Notizen verglichen werden. Seine Beschreibung (Jüd. Krieg V. 4, 1) lautet: Jerusalem ist erbaut auf zwei einander zugekehrten Hügeln (λόϕοι), welche durch eine Schlucht oder ein Tal voneinander getrennt sind. An dieses Tal (ϕάραγξ) grenzen die Häuser einander gegenüber (auf beiden Seiten). Der eine dieser Hügel umfaßt die Oberstadt (ἡ ἄνω πόλις), die um vieles höher und langgestreckter als der andere Hügel ist. Unter David hieß er die Burg (ϕρούριον), von uns wird er der obere Markt genannt (ἡ ἄνω ἀγορά). Der andere, Akra genannt, bildet die Unterstadt (ἡ κάτω πόλις), ist halbmondförmig oder auf beiden Seiten abschüssig (ἀμϕίκυρτος). Diesem zweiten gegenüber (ἀντικρύ) war ein dritter Hügel, von Natur niedriger als die Akra und [411] früher durch eine tiefe Schlucht getrennt. Die Hasmonäer haben aber, da sie die Stadt mit dem Tempel verbinden wollten, die Schlucht zugeschüttet und die Höhe der Akra niedriger gemacht, damit der Tempel darüber hinweg sichtbar werde. Dieses sogenannte Käsemachertal oder die Schlucht (τυροποιῶν ϕάραγξ), welche die Oberstadt von der Unterstadt trennt, reicht bis Siloa. Im folgenden Kapitel spricht Josephus noch von einem Platz (χῶρος), Ophla genannt, welcher im Süden an den Tempel stieß. Dieselbe Beschaffenheit wie zu Josephus' Zeit muß Jerusalem auch zu Davids Zeit gehabt haben, nämlich drei Hügel und die Fortsetzung des dritten, die Ophla.

Über den obern Markt herrscht kein Zweifel, das war der Zion. Er wird auch in der Mischnah so genannt ןוילעה קוש (Tr. Schekalim VIII, 1). Welche Bewandtnis hat es aber mit der Unterstadt, und warum wurde sie Akra genannt? Unter ἄκρα versteht man einen hohen dominierenden Hügel: Josephus aber gibt selbst an, die Akra sei niedriger als der die Oberstadt bildende Hügel gewesen. Zur Vermehrung der Dunkelheit identifiziert noch das erste Makkabäerbuch die Davidstadt mit der Akra. Hier liegt der Knäuel, um dessen Entwirrung so viele Forscher sich vergeblich abgemüht haben. Mir scheint, daß man zur Lösung der Frage von folgender Betrachtung ausgeben muß: Wie kam Josephus dazu, die Unterstadt oder den niedrigeren Hügel Akra zu nennen oder ihn als die von den Einwohnern so genannte Akra zu bezeichnen (ὁ καλούμενος Ἄκρα)? Akra ist ein griechisches Wort, und die Jerusalemer haben Hebräisch oder Aramäisch gesprochen. Offenbar hat er – da er sich überhaupt bei seiner Darstellung für Griechen der griechischen Version bedient hat – hebräische Benennungen gräzisiert. Nun gibt der griechische Vertent (II. Sam. 5, 9) אולמה ןמ durch ἀπὸ τῆς ἄκρας wieder und ebenso (I. Könige 11, 27) ᾠκοδόμƞσε τὴν ἄκραν25. Die Unterstadt wurde hebräisch Millo (אולמה) genannt; das übersetzte Josephus für griechische Leser laut der griechischen Version mit Akra. Der Ursprung der Verirrungen und Verwirrung bezüglich der Akra liegt also in Josephus' Unbeholfenheit.

Damit ist der Knäuel entwirrt; der nördlich vom Zion gelegene, durch ein Tal von ihm getrennte Hügel hieß Millo. Der Ursprung des Namens ist leicht zu ermitteln. Da er niedrig und leicht zugänglich war, so wurde er durch eine Einfassungsmauer befestigt. אולמ [millo] oder אולמ [milu], Pl. םיאולמ, bedeutet im Hebräischen »Einfassung«, z.B. von Edelsteinen, poetisch תאלמ [milli´t] »Einfassung« der Augen (Hohes Lied 5, 12). Den Namen hat dieser Hügel oder dieser Stadtteil erst erhalten, als Salomo eine Mauer ringsherum ziehen ließ. Zu Davids Zeit hatte er wahrscheinlich noch keinen Namen, aber der später lebende Erzähler berichtet, David baute oder fing an zu bauen den Stadtteil Millo nach innen התיבו אולמה ןמ, d.h. denjenigen Teil, welcher dem Zion zugewendet ist. Erst unter Salomo wurde der Hügel von allen Seiten bebaut und mit einer Mauer umgeben. Dadurch sind sämtliche Stellen, in denen אולמה vorkommt, erklärt, nur II. Chronik 32, 5: תא קזחיו [412] דוד ריע אולמה noch nicht. Da man aber überhaupt nicht דוד ריע אולמה in den Status constr. setzen kann, so muß man dafür lesen דוד ריע תאו אולמה. Chiskija ließ beide Hügel oder beide Stadtteile befestigen, Millo und die Davidstadt. In II. Könige 12, 21 ist, da אלמ תיב und nicht אולמה steht, nicht von diesem Stadtteil, sondern von einem Personennamen die Rede, wie LXX das Wort wiedergeben: Μαλλώ, Μααλώ. Sämtliche Hypothesen über dieses Wort sind damit widerlegt.

Jerusalem erhielt also dadurch, daß der dem Zion gegenüberliegende Hügel sich mit Häusern bedeckte, unter David und Salomo einen zweiten Stadtteil. Dieser erhielt auch den Namen הנשמ, zweite Stadt (bei der Erzählung von der Prophetin Hulda angeführt in II. Könige 22, 14, II. Chronik 34, 22 und Zephania 1, 10). Wo hat nun Salomo seinen großen Palast erbaut? Wo anders als in der zweiten Stadt, d.h. in Millo. Das folgt zunächst schon daraus, daß es keinen andern Stadtteil gegeben hat, und noch dazu aus I. Könige 9, 24, wo es heißt, daß er seine Frau, Pharaos Tochter, ihren Palast beziehen ließ, als er Millo erbaut hatte. זא (המלש) הל הנב רשא התיב לא דוד ריעמ התלע הערפ תב ךא אולמה תא הנב. Man versteht erst dadurch, wozu der Bau des Millo hier erwähnt ist, eben weil der Palast für die Ägypterin darin erbaut war. Daß ihr Palast neben dem Salomos stand, ist vorauszusetzen, folgt aber auch aus Könige das. 7, 8. Es folgt auch aus dem Umstande, daß der Gatte der Prophetin Hulda, die in Mischneh wohnte, königlicher Kleiderbenäher war (החתלמה לע רשא), also in der Nähe des Palastes wohnte.

Die drei Hügel Jerusalems, von welchen Josephus in der nachexilischen Zeit spricht, finden sich also, wie vorauszusetzen ist, auch in der vorexilischen Zeit, nämlich Zion, Millo und Morija. Da der letzte in der nachsalomonischen Zeit stets 'ה תיב רה oder שדקה רה, der Tempelberg, genannt wird, so kann sich (Jesaia 10, 32) םלשורי תעבג ןויצ תב רה ודי ףפני nur auf den Zion und den zweiten Hügel Millo beziehen. Solange der Tempel nicht erbaut war, wohnten die aus Zion verdrängten Jebusiter auf Morija, es war ein entfernter liegender Punkt. Sobald aber Salomo den Tempelbau unternahm, mußten sie von da weichen; es wird sich zeigen, wohin sie verwiesen wurden. Da zwischen Morija und Millo (Unterstadt) eine Schlucht oder ein Tal war, so mußte, als der Tempel erbaut wurde, eine Brücke darüber geschlagen werden, welche von dem königlichen Palaste nach Osten zum Tempel führte. Diese Brücke und die vorauszusetzende Tiefe darunter wird ebenfalls erwähnt. Salomo machte einen Steg aus Sandelholz zum Palast und Tempel (II. Chronik 9, 11): תיבלו 'ה תיבל תולסמ םימוגלא יצע תא ךלמה שעיו ךלמה. In der Parallelstelle I. Könige 10, 12 steht דעסמ für תולסמ, was gar keinen Sinn gibt. Das war der prachtvolle Stufengang (הילע oder הלע)26, den die Königin von Saba bei ihrer Anwesenheit bewunderte.

Nur wer über Jerusalems Lage aus Plänen und Büchern schreibt, ohne es gesehen zu haben, kann die Behauptung aufstellen, Salomos Palast sei auf Ophla erbaut, und von diesem Platze aus sei ein Stufengang zum Tempel [413] angelegt gewesen. Die Ophla war, wie Josephus zweimal angibt (a.a.O. und V. 6, 1), südlich vom Tempelberge gelegen, bildete nur die allmähliche südliche Abflachung des Morija, ist noch jetzt nicht bebaut, liegt daher außerhalb der Einfassungsmauer und ist in der Mitte kaum 300 Fuß breit, noch schmäler im Süden, wo sie zur Siloaquelle abfällt. Zwischen der Ophla und der ehemaligen Tempelarea – mag diese mit dem Platz des Haram sich decken oder mehr nördlich oder mehr südlich davon gelegen haben – ist keine Vertiefung zu bemerken, so daß ein Steg darüber hätte angelegt werden müssen. Mit Recht bemerkt Robinson (Palästina II, S. 742): »Weder jetzt noch ehemals war der schmale Rücken von Ophel südlich von der großen Moschee von Morija durch ein Tal getrennt.« Die Ophla war vielmehr das gemeine Quartier, wo die Tempelsklaven, die Nethinim, wohnten (Nehemia 3, 26; 11, 21)27. Auf der Ophla wohnten auch die Salbenhändler (das. V. 31: םילכרהו םיניתנה תיב דע), eine zu jener Zeit wenig geachtete Menschenklasse. Als David vor Absalom fliehen mußte und von Zion aus ostwärts zog, machte er an einem Punkte halt, um sein Gefolge an sich vorüberziehen zu lassen, noch ehe er das Tal Kidron erreichte. Dieser Punkt wird durch ein unverständliches Wort bezeichnet: קחרמה תיב ודמעיו (II. Sam. 15, 17). Es kann nur dann einen Sinn geben, wenn man dafür liest: חקרמה תיב oder םיחקרה תיב, Platz der Salbenhändler, wie םילכרה תיב. Wenn David zwischen Zion und Kidron haltmachte, kann es nur auf der Ophla geschehen sein. Zu Davids Zeit haben also bereits Salbenhändler sich in Jerusalem eingefunden und sich auf dem Rücken der Ophla angesiedelt. Später, als der Tempel erbaut war, wies Salomo den Gibeoniten daselbst Wohnplätze an, wahrscheinlich auch den Jebusitern, welche früher auf Morija wohnten und diesen Hügel wegen des Tempelbaues räumen mußten.

Die Benennung Käsemachertal (τυροποιῶν ϕάραγξ), die nur bei Josephus vorkommt und wofür es weiter keinen Beleg gibt, ist sehr auffallend. Sie muß auf einem Schnitzer beruhen, wie Akra für אולמ und wie Neustadt (אתדח תיב) für Βεζεϑά = אתיציב. Gegenwärtig bemerkt man nur noch außerhalb der Einfassungsmauer zwischen dem Zionsberg und der Fortsetzung der Haramarea, also der Ophla, allenfalls noch innerhalb der Mauer im Südwesten des Judenquartieres, eine Vertiefung, die bis zur Siloaquelle geht. Wie Josephus angibt, trennte diese Vertiefung nicht nur die Oberstadt (Zion) von der Ophla, sondern auch jene von der Akra, d.h. von dem Millo, dem zweiten Stadtteil. Diese Vertiefung muß sich also zuerst von West nach Ost und dann von Nord nach Süd geschlängelt haben. Sollte in der biblischen Literatur gar nichts davon erwähnt sein? In Zephanja 1, 10 werden mehrere Stadtteile Jerusalems genannt, über welche Wehe gerufen wird: 1. Zuerst םיגדה רעש, das war der weite Platz nordwestlich vom Zion, wo die von der Meeresgegend importierten Fische feilgeboten wurden (Nehemia 13, 16); der [414] Platz entspricht dem Eingange zu Jerusalem beim Jaffator. 2. הנשמה28, das war, wie wir gesehen haben, der zweite Stadtteil, das Millo; 3. תועבגה kann sich nur auf Zion beziehen. 4. שתכמ. Daß dieses Wort einen Punkt in Jerusalem bedeuten muß, haben die alten Kommentatoren geahnt. Raschi erklärt םלשוריב קומע םוקמ, das Targum nimmt eine Anspielung auf den Kidron an. Allein dieser ist nicht mörser- oder kesselförmig. Vergegenwärtigt man sich, daß an einem gemeinsamen Punkte, wo der Zion von Nordost, der Akrahügel im Süden und der Morija im Nordwest zusammentreffend sich abgestuft und das sogenannte Käsemachertal von drei Seiten umgeben haben, so muß diese Tiefe sich wie ein Mörser ausgenommen haben. Es scheint der Punkt gewesen zu sein, wo in der nachexilischen Zeit eine Brücke die Abendseite des äußersten Tempels mit der Oberstadt (Zion) verband, und wo der Xystus, ein bedeckter Säulengang, erbaut war (Josephus, Jüd. Krieg I, 7, 2; II, 16, 3; VI, 6, 2; VI, 8, 1; Altert. XII, 4, 2). Hier, an dem Vereinigungspunkte der drei Stadtteile, des Zion, des Millo und des ein besonderes Quartier bildenden Tempels, war wahrscheinlich ein Basar, wo Phönizier oder Kaufleute ihre Waren feilboten. Dann ist der Ausspruch des Propheten vollständig verständlich. »Klaget, ihr Bewohner des Mörsers, denn vernichtet wird das Krämervolk (ןענכ םע), vernichtet alle Silberbarren.«

Durch dieses aus sicheren Prämissen gewonnene Resultat, daß nämlich, was sich eigentlich von selbst versteht, aus den drei Hügeln in der vorexilischen wie in der nachexilischen Zeit sich drei Stadtteile gebildet haben, daß der Ophel eine Fortsetzung des Morija und das Quartier des gemeinen Volkes war und daß der Salomonische Palast auf dem Millo oder der Unterstadt (= Akra) erbaut war, lassen sich manche Dunkelheiten in der Topographie des alten Jerusalems aufhellen. Die Lage der verschiedenen Tore und der Teiche, namentlich des sogenannten Hiskijateiches, kann dadurch leicht ermittelt werden. Doch würde die Untersuchung hier zu weit führen. Daß übrigens David schon begonnen hat, Jerusalem zu befestigen, folgt aus einigen Andeutungen: I. Könige 11, 27 heißt es von Salomo דוד ריע ץרפ תא רגס. Das Wort ץרפ »Bresche« setzt voraus, daß eine Mauer vorhanden war, welche einen Durchbruch erlitten hatte. Diesen Schaden, der vielleicht durch einen schwachen Unterbau entstanden war, hat Salomo ausbessern lassen. Dann heißt es II. Samuel 5, 11, Hiram habe David zugeschickt nebst Zimmerleuten auch דיק ןבא ישרח. Das kann nur Festungsbauleute bedeuten. Denn da Davids Palast nur aus Zedern erbaut war (das. 7, 2), so brauchte er keine Steinmetzen oder Maurer dazu. Diese Maurer, welche Hiram David zugeschickt hat, müssen also die Befestigung Jerusalems zu Davids Zeit ausgeführt haben.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1908], Band 1, S. 409-416.
Lizenz:
Faksimiles:
409 | 410 | 411 | 412 | 413 | 414 | 415 | 416
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen »Ich habe zu zwei verschiedenen Malen ein Menschenbild gesehen, von dem ich jedes Mal glaubte, es sei das schönste, was es auf Erden gibt«, beginnt der Erzähler. Das erste Male war es seine Frau, beim zweiten Mal ein hübsches 17-jähriges Romamädchen auf einer Reise. Dann kommt aber alles ganz anders. Der Kuß von Sentze Rupert empfindet die ihm von seinem Vater als Frau vorgeschlagene Hiltiburg als kalt und hochmütig und verweigert die Eheschließung. Am Vorabend seines darauffolgenden Abschieds in den Krieg küsst ihn in der Dunkelheit eine Unbekannte, die er nicht vergessen kann. Wer ist die Schöne? Wird er sie wiedersehen?

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon