Salmanassar V. Zerstörung des Reiches Israel

[26] Gegen Ende seines 18. Regierungsjahres, im Ṭebet (Januar) 726, ist Tiglatpileser III. gestorben. Sein Sohn Salmanassar V. hat in beiden Reichen den Thron bestiegen, in Akkad (Babel) [26] unter dem Namen Ululai44, vermutlich dem Namen, den er als Prinz geführt hatte und den er nach dem Vorbilde seines Vaters hier beibehielt, um den Charakter der Personalunion äußerlich hervortreten zu lassen. Über seine fünfjährige Regierung (726-722) haben wir nur ganz dürftige Kunde; eigene Inschriften fehlen völlig45.

Der Tod des großen Kriegsfürsten rief eine neue Gärung in den syrischen Landen hervor. Man rechnete auf ein Einschreiten Ägyptens, auf das, wie Hosea bezeugt, die Nationalpartei in Israel immer schon Hoffnungen gesetzt hatte; und in der Tat konnte Ägypten es kaum dulden, daß der Assyrerkönig nicht nur vorübergehend, wie früher unter Adadnirari III., in Palästina eingegriffen, sondern jetzt das alte Machtgebiet Ägyptens sich dauernd unterworfen hatte und durch die Verpflanzung des Stammes Idiba'il ins Sinaigebiet unmittelbar an seine Grenze vorgerückt war.

Trübselig genug freilich sah es damals in Ägypten aus; eben in diese Jahre fällt der Versuch des Tefnacht, von Sais aus wieder über den lokalen Dynasten ein einheitliches Reich aufzurichten, und der Kriegszug des Pi'anchi von Napata, der zwar die Herrschaft über die Thebais behauptete, aber für Unterägypten nur eine kurze Episode ohne weitere Nachwirkung geblieben ist46. So ist es begreiflich, daß hier die Kunde aus Ägypten, abgesehen von der Königsliste Manethos, völlig versagt und wir lediglich auf ein paar Notizen bei den Israeliten und den Assyrern angewiesen sind. Nach dem Königsbuch hat Hosea von Samaria mit Sewe'47, dem König von Ägypten, Verhandlungen angeknüpft und die Tributzahlung an Salmanassar eingestellt; darauf hat dieser ihn gefangengesetzt und Samaria nach dreijähriger Belagerung [27] erobert. Sargon berichtet diese Eroberung zu Anfang seiner Annalen unter seinem Antrittsjahr 722/1; von den übrigen Vorgängen redet er kurz bei der Eroberung von Ḥamât und Gaza in seinem zweiten Jahr (720). Als den Hauptschuldigen nennt er hier den Usurpator Jaubi'di von Ḥamât, der Arpad, Simyra, Damaskus und Samaria zum Abfall verlockt habe48; es ist aber klar, daß er hier die Vorgänge unter Salma nassar rekapituliert, da der Abfall und die Eroberung von Samaria ja bereits unter diesen fällt. Sewe' erscheint hier als Sib'i, »General (turtan) von Ägypten«49, und neben ihm steht Pir'u, König von Ägypten, d.i. der Pharao. Das ist gewiß richtig; dieser Pharao kann kein anderer sein als Tefnacht oder Bokchoris50, die jetzt nach dem Abzug Pi'anchis ihre politischen Ziele wieder aufnehmen konnten.

Die Einzelheiten lassen sich nicht ermitteln; aber der allgemeine Zusammenhang tritt klar hervor. Im Vertrauen auf die Hilfe des Pharao verweigerte Hosea von Samaria die Tributzahlung, der vor Tiglatpileser geflüchtete Hanno von Gaza kehrte aus Ägypten zurück. Große Aussichten eröffnete, daß in Ḥamât ein Militär, den Sargon bald Jaubi'di, bald Ilubi'di nennt, die Dynastie, die Tribut gezahlt hatte, stürzte; seinem Namen nach wird er ein israelitischer Reisläufer gewesen sein wie 'Azarja von Ja'udi, der hier zu Ansehen gelangt war51. Er trat mit Samaria [28] in Verbindung, gewann auch Arpad, Damaskus und die Küstenstadt Simyra zum Abfall und konnte ein großes Heer aufstellen.

Nach der Eponymenchronik ist Salmanassar im J. 726 »im Lande« geblieben, dann aber in den drei Jahren 725-723 ins Feld gezogen52; der Name des Kriegsziels ist weggebrochen. Es kann kein Zweifel sein, daß diese drei Jahre identisch sind mit den drei Jahren, die nach dem Königsbuch (II 17, 5. 18, 10) die Belagerung Samarias durch Salmanassar gedauert hat. Hosea war danach schon zu Anfang des Krieges in seine Hände gefallen und gefesselt ins Gefängnis gesetzt worden. Die Einnahme der Stadt setzt Sargon in den Anfang seiner Regierung und schreibt sie sich selbst zu53; wenn das richtig ist, wird sie in den Anfang (Januar) des J. 722 fallen, und er mag sie als Heeresoberst geleitet haben. Das Schicksal der Stadt und des Volkes war das übliche; 27290 Menschen, berichtet Sargon, also die gesamte Oberschicht, habe er fortgeführt, über das Land einen Statthalter gesetzt und ihm Tribut und Abgaben auferlegt gleich den Assyrern. Die Stadt wurde wieder aufgebaut, die Mauern erhöht, Scharen von Gefangenen aus allen Ländern hier angesiedelt.

Durch diese Katastrophe ist, wie Amos verkündet hatte, das israelitische Volk vernichtet und aus der Zahl der Nationen gestrichen; die von Hosea erhoffte Wiederherstellung ist ihm nicht gewährt worden. Die Deportierten wurden in Mesopotamien und Medien angesiedelt54 und sind hier in der übrigen Bevölkerung aufgegangen. An ihre Stelle wurden nach Samaria und den übrigen Ortschaften Scharen von Ansiedlern aus Ḥamât (erobert 720) und nach der Unterwerfung Babyloniens im J. 709 aus den [29] Städten dieses Landes geführt55; außerdem hat Sargon im J. 715 nordarabische Stämme (Thamûd, Chajâpa u.a.) nach Samaria verpflanzt56. Der jüdische Bericht erzählt, daß diese Leute ihre eigenen Götter mitbrachten, daß sie aber, als Jahwe sie durch Löwen, die er auf sie losließ – das ist bei der Verödung des Landes durchaus begreiflich –, seine Macht fühlen ließ, vom König die Entsendung eines Jahwepriesters erbaten, der dann in Bet-el seinen Sitz nahm. Allmählich hat dann der Jahwekultus wieder die volle Herrschaft gewonnen; man verehrte ihn auf allen Höhen des Landes, vor allem aber in dem alten Zentralheiligtum auf dem Garizîm bei Sichem. Indessen zu neuem selbständigen Leben ist die samaritanische Mischbevölkerung nicht wieder gelangt; die Erbschaft der geistigen und religiösen Entwicklung, die sich hier abgespielt hatte, nebst den Resten der israelitischen Literatur hat der Bruderstamm Juda übernommen, und hier hat sie befruchtend weiter gewirkt57.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 3, S. 26-30.
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