Die fünfte Dynastie und der Sonnendienst

[201] 249. Die vierte Dynastie ist beherrscht von einer einzigen Idee, der des Pharao. Das Antlitz der Kultur dieser Epoche ist ausschließlich den materiellen Interessen des Erdenlebens zugewandt, die man in alle Ewigkeit festzuhalten strebt: man beurteilt sie ganz falsch, wenn man in ihren Totendienst transzendente Ideen oder gar die Sehnsucht nach einem höheren und besseren Dasein hineinträgt.

Aber auch in Aegypten deckt sich die Welt der Tatsachen nicht mit der Idee. Der Pharao ist nicht ein Gott auf Erden, sondern ein Mensch, mit allen Gebrechen der Menschlichkeit; und wenn Snofru und Cheops energische Persönlichkeiten von festem Willen gewesen sein werden, so mögen bei ihren Nachfolgern die Schwächen um so stärker hervorgetreten sein, je unumschränkter ihre Stellung war. Die Interessen der Untertanen, welche der Theorie nach ganz im Willen des Pharao aufgehen sollen, machen sich in Wirklichkeit ununterbrochen fühlbar und erhalten um so größeres Gewicht, je mehr die volle Durchführung des Beamtenstaats dem Beamtenstande eine selbständige, materiell unabhängige Existenz gewährt. Wir haben bereits gesehen, daß die vierte Dynastie in schweren Erschütterungen und Thronwirren ihr Ende gefunden[201] hat (§ 235); die dabei wirksamen Faktoren können wir vielleicht ahnen, aber in unserem ganz einseitigen Material nicht aufweisen. Nach der ephemeren Regierung des Thamphthis, des Nachfolgers Šepseskafs, gelangt ein neues Geschlecht auf den Thron, die fünfte Dynastie, die nach Manetho aus Elephantine stammt, nach einer im Papyrus WESTCAR erhaltenen Sage dagegen aus Sachbu im letopolitischen Gau (unterhalb Memphis). Es sind zunächst drei Herrscher: Userkaf (reg. 7 Jahre), Saḥurê' (reg. 12 Jahre) und Kakai (reg. mindestens 10 Jahre). Nach der erwähnten, zu Ende des Mittleren Reichs aufgezeichneten Sage waren sie Drillinge, die der Gott Rê' von dem Weibe seines Priesters Userrê' in Sachbu gezeugt hat, auf daß sie nacheinander den Thron besteigen sollten. Das ist Legende, und vielleicht sind sie in Wirklichkeit nicht einmal Brüder gewesen. Wohl aber werden sie gemeinsam die alte Dynastie gestürzt und sich die Thronfolge nacheinander zugesichert haben. So ist erst Kakai der Stammvater der neuen Dynastie geworden; daher macht, abweichend von Manetho, der Turiner Papyrus bei ihm den Dynastieeinschnitt. Kakai ist zugleich der erste Pharao, der außer dem Horusnamen auch noch einen Thronnamen, Nefererkerê', angenommen hat. Auf ihn folgen zunächst zwei kurze Regierungen, dann die lange des Neweserrê' Ini. Er hat über 30 Jahre auf dem Thron gesessen und so nach langer Unterbrechung wieder einmal das Seṭfest feiern können. Ihm folgt Menkeuḥor mit 8 Jahren, und dann nochmals zwei lange Regierungen, Ṭeṭkerê' Asosi (28 Jahre) und Unas (30 Jahre). Die Gesamtdauer der Dynastie hat ziemlich genau 140 Jahre betragen, ca. 2680-2540 v. Chr.


ERMAN, Die Märchen des Pap. Westcar (Mitteil, aus den oriental. Samml. des Berl. Mus. V, 1890; übersetzt auch in: Aus den Papyrus der Kgl. Museen). MASPERO, Contes populaires 21ff. – Königsdekrete § 241 A. – Die ersten Könige haben ihre Pyramiden bei Abusir gebaut, wo drei von ihnen mit den Totentempeln und Portalbauten durch die Deutsche Orientgesellschaft unter BORCHARDTS Leitung aufgedeckt und von ihm publiziert sind: Grabdenkmal des Königs Ne-user-re', 1907; Grabd. des K. Nefererkerê', 1909; Grabd. des K. Saḥurê', Bd. I 1910. Der Tempel [202] des Saḥurê' ist unter ihm selbst vollendet; Nefererkerê' dagegen ist mit seinem Bau nicht fertig geworden, und der Nachfolger hat ihn notdürftig in Ziegeln vollendet. Die Städte und Sonnentempel der Könige lagen zum Teil etwas weiter nördlich. Die späteren Könige der Dynastie sind dann weiter südlich nach Sakkara gegangen. [Die Ansicht von A. BAUER, Klio VIII 69ff., auf dem Palermostein habe man die Annalen des Saḥurê' und Nefererkerê' absichtlich zu tilgen versucht, ist unmöglich; die Abreibung des Steins stammt von Zufällen, etwa seiner Benutzung als Türschwelle u.ä. her.]-Das Setfest hat auch Asosi gefeiert (SETHE, Urk. des A. R. 57); daraus folgt aber nicht, daß er 30 Jahre regiert haben muß. – Zur Königsfolge s. Aeg. Chron. 148ff. Nur der 4. und 5. König sind nicht völlig ge sichert. Den König Akeuḥor, den ich mit Cha'neferrê' gleichsetzen wollte, hat BORCHARDT, ÄZ. 42, 9, jetzt mit Menkeuḥor identifiziert, weil beide denselben Pyramidennamen haben. Der Königsname Asi, der ganz vereinzelt vorkommt (SCHÄFER, Priestergräber S. 11; Borchardt, Neuserre S. 72), ist vielleicht Eigenname des Userkaf oder Sahurê'. Auf einem Siegel aus dem Ende der Dynastie (Berlin no. 20384) findet sich der Name User-neter. – Die Zahlen sind im Tur. Pap. fast alle erhalten, aber von den Namen nur die drei letzten.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 81965, Bd. 1/2, S. 201-203.
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