Die Invasion der Gutaeer

[546] 411. Die Gebirgsvölker des Zagros waren von Šarganišarri und Naramsin bezwungen worden, und mögen sich seitdem längere Zeit ruhig verhalten haben. Aber der Verfall des Reichs und die vergeblichen Versuche der Könige von Uruk, eine gefestigte Dynastie zu gründen, boten Anlockung genug. [546] Völkerbewegungen in ihrem Rücken, an denen es ja nie gefehlt hat, mochten hinzukommen, wenn wir auch von ihnen keine Kunde haben. So sind die Gutaeer gegen Sinear gezogen und haben das Land nicht nur gründlich ausgeplündert, sondern sich in demselben festgesetzt und hier ein Reich gegründet. Ihr Hausen im Lande wird in den düstersten Farben geschildert, wie das der Hyksos in Aegypten: sie sind, wie die Inschrift ihres Besiegers sagt (§ 411 b), »die Drachen des Gebirgs, die dem Gatten die Gattin, den Eltern die Kinder geraubt, das Königtum von Sumer in die Berge geschleppt haben.« Ein in mehreren Abschriften vorliegender sumerischer Hymnus zu Ehren des Gottes Ninib, der in der folgenden Epoche in Nippur als Sohn Ellils zu hohem Ansehen gelangte (§ 396), schildert die Zeit, da das Land in den Händen verheerender Feinde war, seine Götter in die Gefangenschaft fortgeschleppt wurden, die Bevölkerung mit Frohnden und Steuern schwer belastet war, die Kanäle und Gräben verfielen, der Tigris nicht befahren werden konnte, die Felder nicht bewässert wurden und die Ernte ausblieb, bis Ninib seine Gnade dem Lande wieder zuwandte. Ein anderer in einer Kopie aus seleukidischer Zeit erhaltener Hymnus schildert die Klagen von Uruk, Akkad, Charsagkalama, Nippur, Der und anderer Städte des Landes über die Heimsuchung durch die Gutaeer. Aus einer Inschrift Naboneds erfahren wir, daß die Gutaeer den Tempel des Anunit in Sippara zerstört und das Bild der Göttin nach Arrapcha (Arrapachitis, dem Gebirgsland am oberen Zab) fortgeschleppt haben. Daß neben Nippur mit seinen reichen Schätzen die bisherigen Hauptstädte, Akkad mit Sippara im Norden und Uruk, der Sitz der von den Gutaeern überwältigten Dynastie, besonders arg zu leiden hatten, ist begreiflich genug; eine Abrechnung dieser Zeit aus Lagaš ist datiert aus »dem Jahre, in dem Uruk geplündert wurde«.


Daß die Gutaeer eine Zeit lang über Babylonien geherrscht haben müssen, hat zuerst HILPRECHT, dann SCHEIL im Anschluß an die § 411 a erwähnten Texte erkannt; dann hat die SCHEILsche Königsliste die Bestätigung gebracht. Beide haben auch die sonstigen Erwähnungen in [547] der Literatur herangezogen. – Hymnus aus der Seleukidenzeit: LANGDON, Sumerian and Babylonian Psalms no. 25, und dazu Z. Ass. XXIII 220; Hymnus auf Ninib: RADAU, Bab. Exped. XXIX I p. 63ff.; da der Text schon aus der Zeit der Dynastie von Isin vorliegt, hat ihn RADAU mit Recht auf die gutaeische Eroberung gedeutet. Im übrigen ist bei der Deutung derartiger Texte auf bestimmte historische Ereignisse große Vorsicht geboten: Babylonien ist so oft von Feinden heimgesucht worden, daß sich daraus ein allgemeines Schema entwickelt hat, das zugleich die immer wiederkehrenden Naturereignisse (Dürre, Verfall der Kanäle, Epidemien) berücksichtigt, und das die Macht der Götter und in der Regel eines bestimmten Lokalgotts in Zorn und Gnade illustriert. [Auch ob die sogenannte Sage vom König von Kutha (ZIMMERN, Z. Ass. XII 317ff. JENSEN, Keilinschr. Bibl. VI 290ff. und 548ff. UNGNAD bei GRESSMANN, Altor. Texte zum A. T. S. 76ff.), in der von Tiâmat gesäugte Ungeheuer aus dem Gebirge ein Heer des Königs nach dem anderen schlagen und er seine Ohnmacht und Unfähigkeit bekennt, auf einen geschichtlichen Vorgang zu beziehen ist, wie HOMMEL und HILPRECHT annehmen, ist mir sehr fraglich; jedenfalls ist das Ereignis dann in die Urzeit verlegt. Auch das Fragment über die Nöte Uruks während einer dreijährigen Belagerung (JENSEN in der Keilinschr. Bibl. VI 272) ist schwerlich ein Reflex dieser Kämpfe; in der vorliegenden Fassung setzt es übrigens die führende Stellung Babylons voraus.]-Naboneds Angabe: Inschrift v. Constantinopel 4, 14ff. (LANGDON-ZEHNPFUND, Neubab. Königsinschr. S. 176). Datum aus Tello: Nouv. fouilles p. 183.

411 a. Der eigentliche Schwerpunkt der Gutaeerherrschaft und Sitz ihrer Könige mag immer das Gebirge geblieben sein, von dem aus sie den 'Aḍêm hinab, über Opis und Charsagkalama, nach Sinear gelangten. Aber als hier ihre Herrschaft begründet war, haben auch sie, wie die Hyksos in Aegypten und wie später die Kossaeer, die äußere Kultur Sinears und die Formen des hier bestehenden Regiments angenommen. Auch unter ihnen verwalten abhängige Patesis die Städte, auch sie bringen den Göttern Geschenke, auch sie nehmen den Stil der älteren Herrscher an und fügen wie die Könige von Akkad das Beiwort »der Mächtige« ihrem Namen hinzu. In ihren Inschriften schreiben sie semitisch, wie die Könige von Akkad, wenn auch mit einzelnen Abweichungen in der Aussprache. Wir kennen bis jetzt vier gutaeische Könige. Der älteste ist wohl Lasirab »König der Gutî«, der nach altem [548] Herkommen einen Streitkolben nach Sippara geweiht hat, in dessen Inschrift er den Schutz »der beiden Götter der Gutî, Ištar und Sin« anruft. Nach Basiûm »König der Guti« datiert ein Patesi Lugalannatum, der 35 Jahre in Umma regiert und für dessen Tempel gesorgt hat. Von einem dritten König, Enridupizir »König der Gutî und der vier Weltteile«-er tritt also als Nachfolger der Weltherrscher von Akkad auf-ist in Nippur eine große Weihinschrift zu Tage gekommen. Die Zukunft mag noch mehr hierher gehörige Königsnamen bringen; zur Zeit ist nur noch der letzte Herrscher der Dynastie, Tiriqân, bekannt.


Lasirab: WINCKLER, Z. Ass. IV 406. TH.-D. S. 172. – Basiûm: SCHEIL, Comptes rendus de l'ac. des inscr. 1911, 318ff. – Enridupizir: HILPRECHT, Earliest version of the Deluge Story (Bab. Exp. ser. D, V 1) p. 201f.; der Text ist noch nicht veröffentlicht. – Einen weiteren König dieser Dynastie sieht THUREAU-DANGIN, Rev. d'Ass. IX 73 in Sar-a-ti-gu-bi-sin auf einem Votivrelief aus Umma (Djocha).


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 81965, Bd. 1/2, S. 546-549.
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