Vorworte zur ersten Auflage

[9] Der dritte Teil meiner »Geschichte des Altertums« umfaßt die Zeiten des Perserreichs und die griechische Entwicklung bis zu ihrem Ausgang in voller und hoffnungsloser Zersetzung, der durch die Schlacht bei Mantinea, die Auflösung des attischen Seebundes und die Zerstörung des Reichs des Dionys bezeichnet wird. Von da an liegt der Schwerpunkt der Entwicklung nicht mehr in Griechenland, sondern in der neuaufstrebenden makedonischen Macht, welche die Aufgaben in die Hand nimmt, die die Hellenen selbst zu lösen sich unfähig erwiesen haben. Beim Fortschreiten der Arbeit stellte sich alsbald die Unmöglichkeit heraus, den Gegenstand, wenn ich ihn seiner alle anderen Perioden der weltgeschichtlichen Entwicklung überragenden Bedeutung entsprechend behandeln wollte, im Rahmen eines Bandes darzustellen. Die beiden Hälften, in die er zerlegt werden mußte, sind auf Wunsch der Verlagsbuchhandlung als dritter und vierter Band bezeichnet worden. Ihre innere Einheit soll aber dadurch nicht aufgehoben werden; daher habe ich die Bucheinteilung und Paragraphenzählung im vierten Band weitergeführt, und ein gemeinsames Register wird beide Bände beschließen. Der Druck des vierten Bandes soll sofort beginnen, und ich hoffe, ihn so fördern zu können, daß er in Jahresfrist erscheinen kann. Ich darf daher wohl die Bitte aussprechen, bei der Beurteilung des dritten Bandes und vor allem der Disposition und der Verteilung des Stoffs nicht außer acht zu lassen, daß er nur einen Teil eines einheitlich entworfenen Ganzen bildet.

Die Ausarbeitung hat sich auch diesmal viele Jahre lang hingezogen. Eingehendere Vorarbeiten, die zu selbständigen Untersuchungen anwuchsen, ließen sich auch hier nicht vermeiden; sie sind meist im zweiten Bande meiner »Forschungen zur alten Geschichte« (Halle 1899) veröffentlicht. Eine andere Vorarbeit war mein Buch »Die Entstehung des Judentums«, eine historische [9] Untersuchung (Halle 1896). Ich möchte ausdrücklich hervorheben, daß ich das erste Buch des dritten Bandes, die Darstellung des Perserreichs, in unmittelbarem Anschluß an diese Schrift im Sommer 1896 zum Abschluß gebracht habe. Was von neuem Material seitdem hinzugekommen ist, habe ich zu verwerten gestrebt; man wird es aber, hoffe ich, begreiflich und entschuldbar finden, wenn ich die zahlreichen Arbeiten über die älteste jüdische Zeit, welche seitdem erschienen sind, nur ganz ausnahmsweise berücksichtigt habe. Immer aufs neue zu diesen Fragen zurückzukehren, wäre mir ganz unmöglich und für mein Buch schwerlich von Vorteil gewesen. An der Richtigkeit meiner Auffassung der Hergänge hat mich weder eine dieser Schriften irregemacht – am wenigsten die immer aufs neue wiederkehrenden Versuche, die überlieferten Daten für Ezra und Nehemia durch andere zu ersetzen und den inneren Zusammenhang zwischen der Wirksamkeit der beiden Männer aufzuheben –, noch der ebenso gehässige wie oberflächliche Angriff, den J. WELLHAUSEN gegen mein Buch gerichtet hat1.

Während der Drucklegung ist H. DELBRÜCKS »Geschichte der Kriegskunst« (I. Das Altertum, 1900) erschienen, in der die Perserkriege in sehr eingehender und interessanter Weise behandelt sind: der Verfasser hat seine früheren Ansichten mehrfach modifiziert und ergänzt. Beizustimmen vermag ich ihm allerdings da, wo wir zu verschiedenen Ergebnissen gelangt sind, nirgends. DELBRÜCK hat meine Untersuchungen über Herodot und über die Wehrkraft und Bevölkerungszahl Attikas im zweiten Bande meiner »Forschungen« noch nicht berücksichtigt; sonst würde er vielleicht selbst in einzelnen Punkten zu einer anderen Auffassung gelangt sein.

Daß ich die neuesten Berliner Offenbarungen, durch die die [10] alte Geschichte von orientalischer Seite her ganz neu beleuchtet wird, völlig unberücksichtigt gelassen habe, wird man hoffentlich billigen. Wo die Auffassungen der Grundfragen, der Methode und der wissenschaftlichen Arbeit überhaupt so fundamental verschieden sind, ist jede Möglichkeit nicht nur einer Verständigung, sondern selbst einer Diskussion ausgeschlossen.

Die beigegebene Karte hat ihren Zweck erfüllt, wenn es ihr gelingt, dem Leser die Weltlage zur Zeit des Entscheidungskampfes von 480 in ihrer Totalität anschaulicher vor Augen zu führen, als das Wort es vermag. Um einen richtigen Begriff vom Perserreich und überhaupt von jedem asiatischen Reich zu gewinnen, ist das wichtigste Erfordernis, das bewohnte Kulturland von den unter der Hoheit des Reichs stehenden Wüsten- und Steppengebieten scharf zu scheiden, eine im einzelnen allerdings sehr schwer mit Sicherheit zu lösende Aufgabe, die unsere Atlanten und Karten fast immer völlig außer Augen lassen. Soweit es der Maßstab gestattet, habe ich versucht, ihr wenigstens in den gröbsten Umrissen zu genügen.

Meinem lieben Freund OTTO CRUSIUS bin ich auch diesmal für seine tatkräftige Beihilfe bei der Korrektur zu lebhaftem Danke verpflichtet.


Halle a.d.S., den 21. November 1900.


*


Als ich vor Jahresfrist die Vorrede zum dritten Band meiner »Geschichte des Altertums« schrieb, glaubte ich mit Sicherheit annehmen zu dürfen, daß es möglich sein werde, das dritte und vierte Buch des dritten Teils in einem Band zu umfassen, wenn derselbe auch an Umfang den vorhergehenden etwas übertreffen möchte. Lag doch damals bereits etwa die Hälfte des jetzt ausgegebenen dritten Buchs und damit zugleich der weitaus schwierigste Teil des gesamten Werks, die Darstellung der griechischen Kultur des 5. Jahrhunderts, druckfertig ausgearbeitet vor, während ich für den Rest eine ziemlich eingehende Disposition entworfen hatte. Aber der Fortgang der Ausarbeitung hat mir wieder [11] einmal gezeigt, wie unmöglich es ist, über den Umfang einer historischen Darstellung irgend etwas im voraus auszusagen; er ist weit über alle Berechnung hinaus angewachsen, so sehr ich mich auch bemüht habe, die Darstellung möglichst gedrängt zu halten. Die äußere Geschichte, namentlich im Peloponnesischen und Korinthischen Kriege, wurde ich allerdings etwas kürzer gestaltet haben, wenn nicht gerade hier die Anlage des ganzen Werks, welches das gesamte Material in durchgearbeiteter Gestalt vorzulegen beabsichtigt, ein Eingehen auf mancherlei Detail namentlich in den Anmerkungen geboten hätte; und doch hätten sich auch hier durch stärkeres Zusammendrängen im günstigen Fall nur wenige Bogen gewinnen lassen. Bei der Darstellung der inneren Entwicklung der Staaten und in den kulturgeschichtlichen Abschnitten dagegen war jede Kürzung ausgeschlossen. Der geschichtliche Stoff trägt eben auch die Form seiner Darstellung in sich selbst; nicht wir gestalten ihn, sondern er gestaltet sich in uns, und es wäre eine Versündigung an seiner Aufgabe, wollte der darstellende Historiker hier gewaltsam eingreifen und um äußerer Rücksichten willen den Stoff in Formen zwängen, die seinem inneren Wesen nicht entsprechen.

So blieb nichts übrig, als die »zweite Hälfte« des dritten Teils nochmals zu teilen. Der vorliegende vierte Band umfaßt das dritte Buch, Athen, d.h. die Zeit von 446 bis 404; der fünfte Band wird das vierte Buch enthalten, den Ausgang der griechischen Geschichte, die Zeit von 404 bis 355. Auch der fünfte Band ist vollständig ausgearbeitet und größtenteils bereits gedruckt; er wird in wenigen Monaten erscheinen können und wird auch den Index für die drei Bände des dritten Teils enthalten.

Meinen lieben Freunden BENNO ERDMANN, CARL ROBERT und GEORG WISSOWA bin ich für die Durchsicht einzelner Abschnitte des vierten und fünften Bandes und für manche wertvolle Bemerkung zu lebhaftem Danke verpflichtet. OTTO CRUSIUS aber hat mir wie früher so auch diesmal bei der Korrektur mit unermüdlicher Ausdauer zur Seite gestanden.


New Brighton in Cheshire, den 10. Oktober 1901.

Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. IX9-XIII13.
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