Ramses I. Der Säulensaal von Karnak.

Organisation der Armee

[427] Ḥaremḥab hat den ägyptischen Staat auf der Grundlage der restaurierten Orthodoxie wieder aufgebaut. Auch die Wiedergewinnung der Weltstellung des Reichs hat er angebahnt, Nubien aufs neue fest mit Ägypten verbunden und in Asien nicht ohne Erfolg gegen die Beduinen und die Chetiter Krieg geführt, aber dauerhafte Ordnung hier nicht zu schaffen vermocht. Die Durchführung dieser Aufgabe mußte er seinen Nachfolgern überlassen, die zugleich im Innern die Ernte seiner unermüdlichen Arbeit einheimsen konnten.

Der erste von ihnen ist Ramses I. gewesen. In welchem Verhältnis er zu seinem Vorgänger gestanden hat, wissen wir nicht. Sein Sohn ist er nicht gewesen, aber ebensowenig etwa ein Usurpator und Begründer einer neuen Dynastie821; vielmehr gilt Ḥaremḥab dauernd als legitimer Pharao, im Gegensatz zu seinen Vorgängern erscheint sein Name immer an der Spitze der folgenden Herrscherreihe, wenn auch nicht [427] als ihr leiblicher Ahne. Das Verhältnis ist völlig gleichartig dem zwischen Thutmosis I. und den ersten Königen der achtzehnten Dynastie; auch dort liegt in der genealogischen Folge der Dynastie ein Einschnitt, dessen wahres Wesen in den offiziellen Denkmälern offenbar absichtlich verhüllt ist.

Ramses I. war bereits ein älterer Mann und hat nur wenig über ein Jahr auf dem Thron des Horus gesessen822. Aber geschichtlich kommt seiner Thronbesteigung dieselbe Bedeutung zu, wie zwei Jahrhunderte vorher der Thutmosis' I.: mit ihm beginnt, ganz wie bei letzterem, die Entfaltung der Kraft des Reichs in gewaltigen Tempelbauten und die Herausbildung des Kunststils der Ramessidenzeit. Unter seiner Regierung ist der Bau des Säulensaals im Amontempel von Karnak begonnen, der dann unter seinem Sohn und seinem Enkel in jahrzehntelanger Arbeit zum Abschluß gelangt ist823. Dieser Bau in Form einer Basilika ist der gigantischste Säulenwald, den die Erde trägt. Auf den Pylon Amenophis' III. führt der durch zwei Reihen 21 Meter hoher Papyrussäulen824 gebildete Mittelgang, mit überhöhtem Dach, durch dessen[428] Seitenfenster das gedämpfte Tageslicht einströmt; und dieser ist zu beiden Seiten von Seitenschiffen umschlossen, mit je sieben Reihen dichtgedrängter, 13 Meter hoher Bündelsäulen, im ganzen 122; den Eingang bildet ein neuer mächtiger Pylon mit einer Vorhalle. Geplant war ohne Zweifel davor ein großer Hof, wie er am Eingang eines Tempels sonst niemals fehlt, mit einem abschließenden ersten Pylon; begonnen ist freilich die Ausführung erst unter der zweiundzwanzigsten Dynastie, und den Pylon haben erst die Ptolemaeer errichtet, aber auch nicht vollenden können.

Mit diesem Wunderwerk beginnt die unabsehbare Reihe der Riesenbauten, durch die die Dynastie der Ramessiden alle ihre Vorgänger, selbst Amenophis III., überboten und schließlich die Kräfte des Reichs erschöpft hat. Für das Reich aber ist der Säulensaal von Karnak die mächtigste Manifestation des Triumphs der Orthodoxie über die Ketzerbrut, die sie anzutasten gewagt hat825; indem der Gottessohn dem allmächtigen Götterkönig, der ihn erzeugt hat, diesen herrlichen Bau errichtet und sich in allen Gemälden und Skulpturen auf den Säulen und Wänden zu ihm und seinen Genossen bekennt, sichert er sich zugleich die Weltherrschaft, die der Gott ihm verheißen hat.

Wie die Bautätigkeit wird jetzt auch die kriegerische Politik der achtzehnten Dynastie im großen Stil wieder aufgenommen. Auch hier wird die Organisation des Heerwesens, die unter den Ramessiden besteht, bereits von Ḥaremḥab stammen. Die Einteilung des ägyptischen Aufgebots in zwei Phylen (sa), die des Südens und die des Nordens, von der er in seinem Edikt redet, wird in alte Zeiten zurückgehn826; [429] neu dagegen scheint die Gliederung der Feldarmee in nach den Hauptgöttern benannte Legionen, die wir unter Sethos (wo drei erwähnt werden) und Ramses (vier) finden; jeder Legion des Fußvolks ist eine Abteilung Streitwagen zugeordnet. Hinzu kommen die ägyptische Leibwache des Pharao827 und jedenfalls seit Ramses II. als ein zweites Gardekorps die Šerdana (s.u. S. 457, die unter ihm und seinen Nachfolgern immer als eine Kerntruppe, die wesentlich zur Entscheidung beiträgt, besonders hervorgehoben werden.

Diese Šerdana sind nach den Schlachtdarstellungen die einzigen Ausländer, die in der Feldarmee verwendet werden. Wohl gibt es, ganz abgesehn von der Polizeitruppe der Mazoi, zahlreiche fremde Söldner in Ägypten, wie zu allen Zeiten aus Nubien, so jetzt auch aus den libyschen Stämmen; und auch aus Palaestina und Syrien werden sie nicht gefehlt haben. Aber die Stellung, die sie in der Haustruppe Echnatens einnahmen, ist ihnen genommen; die Armee, welche die Macht Ägyptens begründet und in siegreichen Kämpfen aufrecht erhält, ist auch jetzt noch, abgesehn von den Šerdana, eine nationale Armee. Dagegen werden die Fremdtruppen ebenso wie in der Amarnazeit in weitem Umfang als Besatzungstruppen verwendet. Daß das auch unter den Ramessiden der Fall war, zeigt ein Vorfall, der in einem Literaturwerk dieser Zeit als ein aus dem Leben gegriffenes Beispiel angeführt wird828: ein Schreiber, d.h. ein höherer Beamter, wird beauftragt, »zur Bekämpfung der Rebellen, die Na'aruna heißen« – das ist das kana'anaeische Wort für die Jungmannschaft (נערים), das dann Ramses II. im Chetiterkrieg [430] für ein von ihm gebildetes Elitekorps verwendet –, eine Truppe nach Phoenikien zu führen, die aus 1900 Mann (Ägyptern) sowie 520 Šerdana, 1600 Kahak und (100) Mašauaša – zwei libyschen Stämmen, von denen der erste schon unter Amenophis I. (o. S. 81), der andere, aus dem fernen Westen, hier zum erstenmal erscheint – und 880 Negern besteht, im ganzen 5000 ohne die Offiziere. Nach diesem Schema werden wir uns die Garnisonen, die in die phoenikischen und palaestinensischen Festungen gelegt wurden, wohl durchweg gebildet zu denken haben.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 427-431.
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