Heilige Tiere. Beschneidung

[154] Von dem in manchen andern Religionen so stark hervortretenden Tierkult finden sich bei den Semiten kaum Spuren341. Allerdings haben die Israeliten den Jahwe in Gestalt eines Stieres verehrt, und in alten Dichtungen heißt er der Stier Jakobs342. Im Reiche Israel ist dann die Darstellung Jahwes als Stier ganz herrschend geworden343. Das kann nicht aus der Wüste mitgebracht, sondern wird aus den kana'anaeischen Kulten übernommen sein. Nachweisbar freilich ist ein solches Stierbild hier [154] nirgends344, und der übrigen semitischen Welt ist eine Darstellung der Götter in Tiergestalt völlig fremd; denn daß der Gewittergott Hadad nach kleinasiatischem Vorbild auf dem Rücken eines Stieres steht und andere Götter auf anderen Tieren thronen, ist etwas ganz anderes, und ebenso daß bei den Phoenikern Astarte wie die ägyptischen Göttinnen einen Kopfschmuck mit Kuhhörnern trägt345. So darf man vielleicht vermuten, daß das Tierbild auch hier nur der Träger des Gottes selbst sein sollte, der dann auf seinem Rücken in derselben Weise unsichtbar thronen konnte wie auf der Lade Jahwes. Andere Gottesbilder, wie das von 'Ophra oder das Ephod Davids haben ihn wohl sicher in Menschengestalt dargestellt.

Dagegen gelten in der ganzen westseimtischen Welt zwei Tiergattungen als heilig und unverletzlich: die Tauben und die Fische346. In ihnen wirkt eine geheimnisvolle göttliche Macht, und sie sind eng verbunden mit der großen Göttin des Naturlebens Atargatis (Derketo); an ihren Kultstätten gab es daher überall heilige Fischteiche347. In Askalon wird diese Göttin [155] als Weib mit Fischschwanz gebildet; indessen diese Darstellung findet sich sonst nirgends348 und mag daher eine Erfindung der Philister sein. Überhaupt aber erscheint es recht fraglich, ob diese Anschauungen semitischen Ursprungs sind. Die Verbindung der Taube mit der Göttin des Geschlechtslebens findet sich ebenso auf Cypern und Kreta und weiter bei den Griechen, gehört also dem gesamten Ostbecken des Mittelmeeres an. Die Heiligkeit der Fische aber mag, worauf auch ihre Verbindung mit Atargatis hinweist, der älteren kleinasiatischen Bevölkerung angehören, so gut wie ihr Gegenstück, die Verabscheuung des Schweins, dessen Fleisch daher nicht gegessen werden darf349. Solche Anschauungen und Sitten haben mit der Religion garnichts zu tun; sie haben sich, wie alle Speisegebote und wie die Vorschriften über Tracht des Haares und Bartes oder die Kleidung, überall auf Erden, auch bei uns, aus zufälligen Anlässen und Empfindungen gebildet und werden dann als herkömmlich befolgt und wie alle Sitten von der Gottheit sanktioniert und gefordert. Nach dem Grunde fragt man kaum je, und wenn einmal ein solcher gegeben wird, wie beim Schwein, daß der Gott Attis oder Adonis durch einen Eber getötet sei, so ist das deutlich ganz sekundär. Nicht anders verhält es sich mit der Beschneidung der Knaben, die von Ägypten zu den Phoenikern und Israeliten gekommen ist und von diesen als ein unverstandener, aber von der Tradition geforderter Brauch geübt [156] wird350. Eine Erklärung dafür haben sie so wenig zu geben vermocht wie die Ägypter und wie später der Islam; es genügt völlig, daß der Unbeschnittene als unrein, die Beschneidung daher als Abzeichen der Stammgenossen gilt.

In derselben Weise haben sich die heiligen Fischteiche mehrfach in Syrien erhalten, so bei Tripolis und bei Edessa. Die Heiligkeit der Tauben wirkt bekanntlich in der Legende von der Taufe Jesu nach und ist sowohl in unsere Anschauungen wie in die der islamischen Welt übergegangen. Aber gerade die Pflege der Tauben in Kirchen und Moscheen beweist, wie wenig dabei von einem Tierkult geredet werden darf.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/2, S. 154-157.
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