Siebentes Kapitel

Das Christentum

Wer so den sozialen Utopismus als ein bedeutsames Element in dem Christentum der römischen Kaiserzeit anerkennt, braucht doch noch lange nicht mit der materialistischen Geschichtstheorie des Marxismus anzunehmen, daß das Christentum ursprünglich eine rein proletarische, d.h. lediglich auf den Klassenkampf und auf die Besserung der ökonomischen Lage gerichtete Bewegung gewesen sei.1 Die religiösen Grundgedanken des Christentums waren gewiß keine bloße Spiegelung sozialer Verhältnisse ins Transzendente, keine ideologische Umhüllung des ökonomischen, d.h. kommunistischen Sinnes der Klassenbewegung des jüdischen Proletariats. Auch war die »frohe Botschaft« des Evangeliums gewiß nicht nur ein proletarisches, d.h. von echt proletarischem Massenempfinden diktiertes Programm, das »die Grundsätze der neuen proletarischen Organisation enthielt«, wie es der Parteitheoretiker der deutschen Sozialdemokratie seinen Gläubigen verkündet.2 Vielmehr wurzelt die Idee der Erlösung und die Botschaft von dem Anbruch einer neuen Weltperiode unter dem »Königtum Gottes«, die Jesus der jüdischen Volksmythologie entnahm, in jener tiefgehenden, seit Jahrhunderten bei den Völkern des Orients und besonders bei den Juden verbreiteten Erlösungssehnsucht, der die gegenwärtige Welt so sehr der Herrschaft einer finsteren widergöttlichen Macht ausgeliefert erschien, daß man eine »Rettung« nur noch von einem wunderbaren, übernatürlichen Eingriff, von einem Erlösergott oder himmlischen Heiland erhoffte.3

Allein so entschieden in dieser phantastischen Ideologie die mythischreligiöse Denk- und Gefühlsweise des Orients zum Ausdruck kommt, so einseitig wäre es doch, die Erlösungssehnsucht und sämtliche Erlösungsreligionen, die sie erzeugt hat, einzig und allein aus religiösen Motiven[464] zu erklären. In der Erlösungssehnsucht und dem Heilandsglauben spiegelt sich ja zugleich eine Stimmung wider, die an der Welt, wie sie nun einmal ist, verzweifelt; eine Hoffnungslosigkeit, die sich nicht allein aus der allgemein menschlichen Auflehnung gegen die Vernunftwidrigkeit einer Weltordnung erklärt, in der es, wie Hiob klagt, den Gottlosen gut und den Gerechten schlecht geht, sondern ganz wesentlich auch aus dem Druck, mit dem der Absolutismus im Staat und der Plutokratismus in der Gesellschaft auf den Massen lastete und jeden Gedanken an durchgreifende Änderungen auf dem Boden des Bestehenden aussichtslos erscheinen ließ. Wie hätte da der »Erlöser« für die Niedrigen und Armen stets nur ein religiöses Ideal sein können und nicht auch ein Befreier aus Not und Elend, aus den Disharmonien des Lebens?

In der Tat ist schon in der alttestamentlichen Predigt vom seligen Gottesreich diese Richtung auf das Soziale deutlich zu erkennen. Die Prophetie ist eine einzige furchtbare Anklage gegen die Mächtigen und Reichen, die »den Raub von den Armen in ihren Häusern haben,4 die das Volk zertreten und die Elenden zermalmen,5 die ein Haus an das andere ziehen und einen Acker zum andern bringen, bis daß sie allein das Land besitzen.«6 Eine ausbeuterische Klassenwirtschaft, der auf der andern Seite eine ebenfalls schon in der prophetischen Literatur stark hervortretende antikapitalistische Stimmung entspricht, für die der Name des Reichen an sich schon einen gehässigen Klang hat.7

Hat doch Jesaja kein Wort der Mißbilligung für den Jubel, mit dem nach seiner Ansicht die Elenden und Armen die Wegführung der Besitzenden in Feindesland begrüßen würden!8 Daher ist auch die Katastrophe des Staates, die der Prophet verkündet, für ihn in erster Linie eine Katastrophe der Besitzenden. Er weidet sich förmlich an dem Gedanken, wie »die Vornehmen Israels hungern und seine Prasser vor Durst verschmachten werden«,9 wie »die großen und feinen Häuser öde stehen«10 und »die Stadt von den Füßen der Armen und den Tritten der Geringen zertreten wird«.11 Es ist eine radikale Ausgleichung aller Unterschiede.12 Wie der Herr die hohen Zedern des Libanon herabstürzt,[465] so wird er die Tarsisschiffe (d.h. die nach dem Silberland gehenden großen Kauffahrteischiffe) der Reichen vernichten.13 Er wird über alles Stolze und Hohe und über alles Erhabene hinwegschreiten, auf daß es erniedrigt werde.14 Mit ingrimmiger Freude wird ausgemalt, wie es bei dieser allgemeinen Herunternivellierung der vornehmen Damenwelt ergehen wird, die in prunkvollen Toiletten in den Straßen Jerusalems einherstolziert:


»Der Herr wird die Scheitel der Töchter Zions kahl machen ... und wird ihr Geschmeide abreißen, die prächtigen Fußspangen und die Stirnbänder ... und die Armketten und die Kopfschleier ..., die Schrittkettchen und die Prachtgürtel und die Riechfläschchen ..., die Fingerringe und die Nasenringe, die Feierkleider ..., die Spiegel und die feinen Linnen und die Turbane usw.«15


Nicht minder leidenschaftlich ist der Weheruf über die herrschende Klasse bei Ezechiel:


»Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weideten. – Die Milch aßet ihr und mit Wolle kleidetet ihr euch, das Gemästete schlachtetet ihr, aber die Schafe weidetet ihr nicht. – Und die Hirten sollen sich nicht fürder selbst weiden, sondern ich werde ihnen meine Schafe aus dem Rachen reißen, daß sie ihnen nicht mehr zum Fraße dienen. – Das Fette und Starke will ich vertilgen. – Ich will richten zwischen ... den Widdern und Böcken, ... zwischen fettem Lamm und magerem Lamm. Dieweil ihr mit Seite und Schulter weg drängtet und mit eueren Hörnern stießet all die schwachen [Tiere], bis ihr sie hinausgetrieben hattet, so will ich nun meinen Schafen helfen, daß sie nicht fürder zur Beute werden sollen.«16


»Empor mit dem Niedrigen und herunter mit dem Hohen«,17 das ist auch hier das Fazit der prophetischen Verheißung.

Der ideale Zukunftsstaat aber, den die Prophetie erhofft, in dem eitel Freude und Wonne herrscht, wird der vollendete Sozialstaat sein. Es ist ein Zustand harmonischer Gemeinschaft alles Lebenden, wie es Jesaja in dem idealen Traumbild vom Gottesreich so wunderlieblich geschildert hat: wo »der Wolf beim Lamme weidet und der Panther sich beim Böcklein lagert, wo Rind und Löwe beieinander weiden; ein kleiner Knabe führet sie«.18 – »Da wird mein Volk in Häusern des Friedens wohnen, in sicheren Wohnungen und in stolzer Ruhe.«19 – Und alle Völker werden, überwältigt von dem Anblick dieses herrlichen Friedensreiches, ihre Schwerter zu Hacken schmieden und ihre Speere zu Rebmessern und werden teilnehmen an der Erkenntnis, die allein solches Glück verbürgt.20 Dazu kommen verlockende Bilder, in denen sich das selige Brudervolk Jahves auch als ein Volk der wirtschaftlich Freien und[466] Gleichen darstellt. »Alle werden da eigene Häuser haben, Weinberge pflanzen und ihre Früchte genießen.«21 Oder, wie es Micha formuliert: »Es wird ein jeder unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum sitzen.«22 Und zwar sollen, wie es Ezechiel in seiner Idealschilderung des Zukunftsstaates verheißt, die Landanteile aller gleich und als »Erblos« unverlierbar sein.23 Der Traum Leo Tolstois!

Kein Wunder, daß bei dieser antiplutokratischen, um nicht zu sagen proletarischen Stimmung der Prophetie im Grunde nur noch die Kleinen und Niedrigen als Anwärter auf den Gottesstaat in Betracht kommen. »Jahve hat mich gesalbt« – heißt es bei Deuterojesaja –, um den Elenden frohe Botschaft zu bringen; er hat mich gesandt, die gebrochenen Herzens sind, zu verbinden.«24 In dem großen Zusammenbruch, der dem Heil vorausgeht, soll nach der Prophezeiung des Zephania von den Reichen überhaupt nichts übrig bleiben, sondern nur »demütiges und geringes Volk«.25 Denn »vernichtet ist die gesamte Kaufmannschaft (wörtlich: das gesamte Volk Kanaans), vertilgt sind alle, die sich mit Geld schleppen.«26 Die »Elenden im Lande« sind es, denen die Verheißung gilt und denen die Erlösung winkt.27 In der Tat und Wahrheit ein Evangelium der Armut!

Und diese Auffassung ist auch in der Folgezeit lebendig geblieben. »Die Elenden werden essen und satt werden«, heißt es bei dem Psalmisten,28 für den arm und fromm einerseits und reich und Sünder anderseits sozusagen identische Begriffe sind. Die Armen sind ihm die Erwählten, denen Gott Recht schaffen wird. Und nicht sehr lange vor der Zeit Jesu ist noch in einer apokalyptischen Schrift, die später bei den Christen in hohem Ansehen stand, ein Weheruf gegen die Reichen ergangen, ebenso leidenschaftlich wie der der Propheten.29

Das ist die Vorstellungswelt, die für Jesus von Nazareth göttliche Offenbarung war, und in der seine eigenen Träume von dem bevorstehenden Zusammenbruch und dem Kommen des Gottesreiches wurzelten. Es ist daher gewiß in seinem Sinne gedacht, wenn ihn das Lukasevangelium die Jünger glücklich preisen läßt, weil sie mit ihren Augen sehen würden, was die Propheten vergebens zu sehen wünschten30 und was ja auch – wie wir hinzufügen dürfen – das eigene Zukunftsideal dieser Proletarier war. Wie konnte da für ihn, der als Proletarier zu Proletariern redete, die Zukunftserwartung ausschließlich auf einen[467] ethisch-religiösen Idealzustand gerichtet sein, nachdem sein Gott selbst durch die Propheten verkündet hatte, daß die Güter der Erlösung eben nicht rein innerliche, sondern zugleich auch im eminenten Sinne soziale Güter sein würden?

In der Tat hat sich auch Jesus keineswegs bloß wegen ihrer größeren Empfänglichkeit für die Heilsbotschaft an die Armen gewendet. Der Mann, der das Wort gesprochen hat: »Kommt her zu mir, die ihr Mühe habt und Lasten tragt; ich will euch ein Aufatmen verschaffen«, – der hat Not und Elend in innerster Seele mitempfunden; wie denn auch das Evangelium von ihm sagt: »Da er die Massen sah, erbarmte es ihn ihrer, daß sie mißhandelt und preisgegeben waren wie Schafe, die keinen Hirten haben.« Es ist dieselbe Stimmung, aus der heraus Ezechiel geschrieben hat, dasselbe Bild, in dem sich hier wie dort die Not des Volkes darstellt. Kein Wunder, daß die frohe Botschaft, die Jesus diesen Massen brachte, mit psychologischer Notwendigkeit in demselben Sinn zugleich zu einem sozialen Evangelium wurde, wie in der Prophetie seiner alttestamentlichen Vorbilder,31 daß auch Jesus wie sie »auftrat als Messias des armen Mannes«.32 Oder ist es keine Klassenbotschaft, wenn Jesus den Jüngern des Johannes verkünden läßt: »Gehet hin und saget: den Armen wird das Evangelium gepredigt«?33 Und wurde nicht durch dies Evangelium die bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung an der Wurzel getroffen? Seit Jesus den Satan wie einen Blitz hatte vom Himmel fallen und die Dämonen vor seinem Wort hatte entweichen sehen, bestand für ihn kein Zweifel mehr, daß der erste Akt des großen Zusammenbruchsdramas bereits begonnen hatte, und daß noch seine eigenen Zeitgenossen »alles erfüllet« sehen würden. An den »Wundern«, zu denen er sich befähigt glaubte, erkannten er und die Seinen das Morgenrot der neuen Zeit.34 Was bedeuteten angesichts dieses ungeheuren Zusammenbruches alles Bestehenden wirtschaftliche Bedürfnisse und wirtschaftliches Zweckstreben? Hier galt nur noch eines: bereit zu sein für den großen Tag und die Seele innerlich frei zu machen von allem, was diese Bereitschaft gefährden konnte. Und Jesus zögerte[468] in der Tat nicht, in diesem Sinne Forderungen zu erheben, deren Radikalismus geradezu die Lebensbedingungen der Volkswirtschaft in Frage stellte. Warum für den morgenden Tag sorgen,35 wenn die Gottesherrschaft unmittelbar bevorstand?36 Warum da Schätze sammeln, die Motten und Rost fressen?37 Warum seine Scheunen vergrößern, um Vorräte für eine lange Zukunft zu haben?38

Es ist eine Anschauungsweise, die den Boden der Wirklichkeit völlig unter den Füßen verloren hat.39 Denn da nun einmal Herrschaft über die Materie, über die Sachenwelt allgemein menschliches Bedürfnis ist, so ist das rationelle wirtschaftliche Handeln und das spezifische Streben des wirtschaftenden Menschen naturgemäß auf Vermögenserzeugung gerichtet, ist »desire of wealth« und Befolgung des Sparprinzips, dem recht eigentlich die Absicht zugrunde liegt, bei der Verfolgung der Gegenwartszwecke stets zugleich Mittel für die unberechenbaren künftigen Zwecke und Bedürfnisse übrig zu behalten. Auch hier gilt das Wort »in Bereitschaft sein ist alles«.40 Eine Bereitschaft völlig unvereinbar mit der Bereitschaftsforderung der Botschaft vom Gotteskönigtum, die den wirtschaftlich rechnenden Menschen und sein Streben nach »Thesaurierung« verurteilte, weil »da, wo unser Schatz ist, auch unser Herz« sein müsse.41 Dieselbe unzulässige Verallgemeinerung, die später im Timotheosbrief wiederkehrt, wo schon das bloße »Reichwerdenwollen« (βούλεσϑαι πλουτεῖν) verworfen wird, weil es den Menschen in Versuchung und Sünde, in Verderben und Verdammnis führe, weshalb man sich begnügen solle, wenn man nur Nahrung und Kleidung habe!42

Als ob es nicht tief innerlich berechtigt und im Interesse der Kulturentwicklung der Menschheit durchaus notwendig wäre, daß der Mensch[469] über dieses Mindestmaß hinausstrebt und gerade nach dem entgegengesetzten Grundsatz handelt: superflu chose tant necessaire! Die für die Menschheit wertvollsten Leistungen, die geistigen Tätigkeiten höherer Art sind durch einen gewissen Wohlstand bedingt, der dem intellektuell Arbeitenden die Sorge für das tägliche Brot abnimmt. Eine Tatsache, die nur ein einseitig proletarischer, gegenüber dem Bildungsinteresse indifferenter Standpunkt43 und ein religiöser Optimismus ignorieren konnte, der die tägliche Nahrung allen, »die darum bitten«, ebenso gesichert glaubte wie den Vögeln unter dem Himmel.

Freilich ist auf der anderen Seite ebenso klar, daß der »Erwerbstrieb«, das Streben, mehr zu haben als andere, das als eine psychische Triebkraft ersten Ranges das ganze Wirtschaftsleben beherrscht,44 nicht vereinbar war mit der Selbstentäußerung, welche die vollkommene Bereitschaft der Seele für das Gottesreich forderte, und mit der absoluten Liebesgemeinschaft, welche alle »Kinder Gottes« gewissermaßen zu »einem Leib« verbinden sollte. Wer stets der Abrechnung vor dem kommenden Messias gewärtig ist, der zerreißt seine Schuldbücher; er leiht, daß er »nichts dafür hoffet«,45 er »gibt jedem, der ihn bittet«.46 Eine »sorglose königliche Freigebigkeit«,47 die dem einzelnen jede Ansammlung von Kapital auf die Dauer unmöglich machen würde. Wenn daher Hausrath von diesem »Messias des Proletariats« gesagt hat: »Er führte die Sache der Armen gegen die Reichen mit einer Entschiedenheit, die an Kommunismus streift,« so ist das eher zu wenig, als zu viel gesagt.48

Denn wer die letzten Konsequenzen dieses radikalen Liebesgebotes zieht, wie es z.B. das Hebräerevangelium tat,49 der darf selber nichts mehr besitzen, solange überhaupt noch ein Bruder darbt. Und in der Tat hat ja schon der ausgesprochen sozialistisch denkende Verfasser des Lukasevangeliums das, was bei Matthäus als die Leistung eines »vollkommenen« Christen bezeichnet wird:50 »Verkaufe, was du hast, und gib[470] es den Armen«, durch Jesus als allgemein verbindliche Liebespflicht verkündigen lassen;51 und es ist sehr wohl möglich, daß er hier Jesus nicht, wie man gewöhnlich annimmt, seine eigene Meinung untergeschoben hat. Denn in dem entsprechenden älteren Bericht bei Markus wird der Verkauf der Habe und die Verteilung des Erlöses unter die Armen dem Reichen geradezu als Bedingung für die Zulassung zum Gottesreich gesetzt,52 so daß seine Weigerung als ein förmlicher Verzicht auf dasselbe erscheint. Eine Ansicht, die offenbar auch den Gleichnissen von dem Schatz im Acker und von der Perle des Kaufmanns zugrunde liegt, deren Pointe eben die ist, daß der glückliche Finder alles verkauft, was er besitzt, um Acker und Perle zu gewinnen.53 Was konnte man auch angesichts des bevorstehenden Zusammenbruches Besseres tun, wenn man sich einen »Schatz im Himmel« sichern wollte, wie es Jesus bei Markus als Folge einer solchen Handlungsweise verspricht?54

Auch würde ein solcher Radikalismus durchaus dem leidenschaftlichen Eifer entsprechen, mit dem Jesus nach der Tradition bei Matthäus55 sein soziales Liebesgebot verkündet haben soll. Das Weltgericht, das er von dem Gotteskönigtum erwartet, erscheint hier nicht als ein Gericht über Glaubensmeinungen, sondern über das soziale Verhalten! Alle, die es versäumten, den Hungrigen zu speisen, den Durstigen zu tränken, den Fremdling zu herbergen, den Nackten zu kleiden, sollen verflucht sein und in das ewige (!) Feuer geworfen werden, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln, während die »Gerechten«, die der Liebespflicht genügten, das ewige Leben haben werden. Ewige Höllenpein für unsoziales Verhalten, wer möchte den Gedanken in seiner ganzen Furchtbarkeit ausdenken! Das Schlimmste, was ein proletarischer Fanatismus den Besitzenden jemals angetan, bedeutet nichts gegenüber der Furchtbarkeit dieser Drohung, die so recht der heißen Leidenschaftlichkeit entspricht, die dem Jesus des Evangeliums auch sonst – man denke z.B. an seine schroffe Absage gegen die eigene Mutter und die leiblichen Geschwister!56 – keineswegs ganz fremd ist.

Wenn nun aber die Predigt vom Gotteskönigtum und der von ihr[471] geforderte Liebeskommunismus von den Besitzenden den Verzicht auf rationelles, wirtschaftliches Handeln bedeutete, also Unmögliches von ihnen verlangte, so ist es begreiflich, daß diese Predigt gerade bei ihnen meist tauben Ohren begegnete. Dem Proletarier konnte ja eine Lehre leicht einleuchten, die die moralische Existenzberechtigung nicht nur des großen Wohlstandes, sondern jedes Wohlstandes überhaupt in Frage stellte. Wer aber etwas zu verlieren hatte und nicht die apokalyptische Illusionsfähigkeit besaß wie der Zimmermann von Nazareth, der konnte unmöglich sein Leben in dem Grade auf die Illusion stellen wie dieser.

Es war daher ganz folgerichtig gedacht, wenn sich Jesus angesichts dieser psychologischen Unmöglichkeit in wehmütigen Klagen erging, wie schwierig, wenn nicht unmöglich es sei, daß die, »die das Geld haben« (οἱ τὰ χρήματα ἔχοντες, also nicht bloß die »Reichen«!) in das Reich Gottes kommen.57 Von seinen Voraussetzungen aus war es in der Tat leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe;58 nur daß er freilich für ein subjektives Verschulden nahm, was bis zu einem gewissen Grade wenigstens eine objektive Unmöglichkeit war. Während die Besitzenden und Gebildeten mit Recht bezweifelten, daß er der Bringer des messianischen Reiches sei, meinte er, sie könnten das »Wort vom Gottkönigtum«59 eben nicht verstehen; und über ihre zum Teil doch sehr berechtigten und mit dem Liebeskommunismus unvereinbaren ökonomischen, sozialen, ja ethischen Interessen60 geht er ohne weiteres mit der Behauptung hinweg, daß bei ihnen die Sorge dieser Welt und die Betörung durch den »Reichtum« das Wort erstickt habe,61 daß hier das Wort unter die Dornen gesät sei und daher keine Frucht bringen könne.

So wie der Durchschnitt der Menschen ist, enthält ja die Klage Jesu über die Herzensverhärtung der Plutokratie in gewissem Sinne eine tiefe Wahrheit. Und es war eine Tat von welthistorischer Tragweite, daß sich hier aus den Tiefen des Volkes eine mächtige Stimme gegen die Anhäufung von Geld und Gut in den Händen einer macht- und genußgierigen Minderheit erhob und mit beispielloser Eindringlichkeit der[472] Welt die Lehre ins Gedächtnis zurückrief, daß alles Eigentum als ein zur Verwaltung anvertrautes Gut zu gelten habe, dessen Verwendung an sittliche Normen gebunden ist, daß der Besitz nicht der Wertmesser des Menschen sein darf, daß Besitz und Erwerb ihre Grenzen an der Wohlfahrt des ganzen Volkes finden müssen. Allein all das kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Kampf, den hier prophetische Begeisterung gegen den »Reichtum« führte, nach dem bekannten psychologischen Gesetz der spezifischen Übertreibung in der Negation viel zu weit ging und zu weit gehen mußte.

Der Standpunkt Jesu bedeutet eine grundsätzlich feindliche Stellung nicht bloß gegen den extremen Kapitalismus, sondern gegen den »seelenbetörenden« Wohlstand an sich, den man nach seiner Ansicht nicht erwerben kann, ohne an der Seele Schaden zu nehmen. »Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon«:62 ein Satz, der nicht bloß für diejenigen gilt, die ihr Herz an die materiellen Güter hängen, sondern für alle, die es nicht lassen können, im Gegensatz zu der »Gerechtigkeit Gottes«63 ökonomisch und daher auch »kapitalistisch« zu rechnen und »Schätze«, d.h. Kapital, zu sammeln.64 Daher entspricht es gewiß auch wieder ganz dem Sinn und Geist Jesu, wenn ihn Lukas von dem »ungerechten Mammon« oder dem »Mammon des Unrechtes« reden läßt.65 Denn vom Standpunkt des Liebeskommunismus aus liegt es im Wesen des Reichtums, auf den sein Besitzer nicht verzichtet, daß er an sich böse, d.h. »ungerecht«, ist.66 Und der dreifache Weheruf über die Reichen und »Satten«, den Lukas in seiner Version der Bergpredigt dem Heiland in den Mund legt,67 entspricht dieser Anschauungsweise durchaus.

Je schroffer sich aber diese ausgeprägt antikapitalistische Stimmung und einseitige Betrachtung der Dinge von unten her gegen die Besitzenden wandte, je weniger sie den Lebensbedingungen von Besitz und Bildung68 gerecht zu werden vermochte, um so entschiedener wurde die an sich religiöse Botschaft vom Reiche Gottes zugleich zu einem sozialen[473] Klassenevangelium. Eine Wendung, die ihren klassischen Ausdruck gefunden hat in dem Gleichnis des Lukasevangeliums von dem Mann, der ein großes Gastmahl bereitet, und als er von den zuerst Geladenen unter Berufung auf ihre Geschäfte lauter Absagen erhält,69 voll Ingrimms zu seinem Diener sagt: »Gehe aus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen und Krüppel und Lahmen und Blinden herein« – »Gehe aus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, auf daß mein Haus voll werde« – »Ich sage euch aber, daß jene Geladenen nimmer meine Gäste sein werden«.

Es liegt daher durchaus in der Richtungslinie dieser Auffassung und erklärt sich nicht bloß aus besonderen »ebjonitischen« Neigungen, wenn die leidenschaftliche Drohrede gegen die Reichen, die das Christentum mit dem Jakobusbrief in seine kanonischen Schriften aufgenommen hat, triumphierend ausruft: »Hat nicht Gott erwählt die Armen auf dieser Welt, die an Glauben reich sind und Erben des Reiches?«70 »Sind es nicht die Reichen, die Gewalt an euch üben und euren guten Namen verlästern, nach dem ihr genannt seid?« – »Wohlan nun ihr Reichen, weinet und heulet über euer Elend, das über euch kommen wird. Euer Reichtum ist vermodert und eure Gewänder sind Mottenfraß geworden.«71 – Mit unverhohlener Genugtuung erfüllt den Prediger der Gedanke, »daß der Reiche in seinem Grabe verwelken muß wie Gras und Blume«.72

Eine ähnliche Philippika gegen die Reichen, die »arm vor Gott« sind, richtet der Verfasser des sogen. »Hirten des Hermas«, ein Deklassierter, der, weil er arm ist und seitdem er arm geworden ist, sich als ein besonders Begnadigter fühlt.73 Er vergleicht die Kirche mit einem Turmbau und die Reichen mit runden Steinen, die erst behauen werden müssen, damit sie in den Bau der Kirche hineinpassen, d.h. der Reichtum, der sie betört, muß »beschnitten« werden.74 Eine Beschneidung, die soweit geht, daß der Verfasser von den Besitzenden geradezu verlangt, sie sollten, weil »in der Fremde weilend«, nicht mehr erwerben als das, was gerade für den Unterhalt ausreicht.75 »Euren Reichtum und all eure Bemühungen wendet auf solche Felder und Häuser, die ihr[474] von Gott empfangen habt, d.h. auf die Armen, Witwen und Waisen. Denn zu dem Zweck hat euch der Herr Reichtum verliehen, daß ihr solche Dienste leistet.76« Der Besitzende, der diese absolute Opferbereitschaft verweigert, verhält sich zum Armen wie die Ulme (ein unfruchtbares Holz!) zur Rebe, die allein Früchte trägt.77 Und diese Verbindung des Begriffes »reich« und »unfruchtbar« kehrt dann bei den Wortführern des Christentums immer wieder.78

Ja ein Eiferer wie Tertullian ist geradezu der Ansicht, Christus habe einen wahren »Abscheu gegen den Reichtum« (fastidium opulentiae) gelehrt. Eine Ansicht, die die Manichäer bis zu der Behauptung gesteigert haben, Reichtum, Gold und Silber gehörten dem Teufel! Nach Tertullian soll Jesus stets die Armen gerechtfertigt haben, während er die Reichen im voraus verdammt habe.79 Gott nennt er einen »Verächter der Reichen und Anwalt der Armen«.80 Denn »das Himmelreich gehört den Armen, nicht den Reichen«.81

Wird doch der Besitzende schon dann, wenn er etwa von einem Armen für ein Darlehen Zins nimmt, als »Menschenfeind« und Räuber hingestellt!82 Er handelt »gegen die Natur«, wenn er »Frucht von Erz und Gold, den unfruchtbaren Stoffen, sucht«.83 Die echt antike Lehre von der »Unfruchtbarkeit« des Geldes, in der das Christentum eine willkommene Stütze für seine eigene Wirtschaftsethik fand. Wer Zins nimmt, der ist nach Gregor von Nazianz ein »Ausbeuter der Not des Armen«. Er »sammelt, wo er nicht ausgestreut, und erntet, wo er nicht gesäet hat«.84 – »Zins nehmen« – sagt Basilius d. Gr. – »heißt meist nichts anderes, als aus dem Mißgeschick des Armen ein Vermögen sammeln. Man wünscht den Mitmenschen geradezu Not und Armut, um für sich daraus Gewinn zu ziehen.«85 Es ist, wie Ambrosius sagt, eine Plünderung unter dem Schein der Hilfe.86

[475] Dieselben Anklagen werden gegen den Handel erhoben. Ja Tertullian meint sogar, wenn die Habsucht nicht wäre, würde man des Handels überhaupt nicht bedürfen!87 Und andere verwerfen wenigstens jede Erwerbs- und Handelstätigkeit, deren Endziel »Bereicherung« und nicht bloß die Beschaffung des zum Lebensunterhalt Notwendigen ist.88 Was über dieses Maß hinausgeht, gehört von Rechts wegen den Armen. »Wenn du mehr hast, als du zu Nahrung und Kleidung bedarfst, so gib es weg und für so viel erachte dich als Schuldner,« sagt Hieronymus;89 und noch schärfer Augustin: »Wer Überflüssiges besitzt, usurpiert das Eigentum anderer.«90 – »Es ist an sich ein Unrecht, wenn man besitzt und ein anderer nicht, wenn man Überfluß hat und ein anderer Mangel.«91 Daher ist es nach der Ansicht des Johannes Chrysostomos gar nichts Großes, wenn man nur einen Teil seines Vermögens opfert.92 Denn eigentlich müßte man ja alles hergeben, was man erübrigen kann. »Der Reiche ist nur Verwalter der Gelder, die von Rechts wegen unter die Armen verteilt werden sollten. Die Reichen haben das Gut der Armen inne, selbst dann, wenn sie nur das väterliche Erbteil übernahmen.« Es ist Raub, wenn sie das Liebesgebot des Evangeliums nicht erfüllen.93 Vergleicht einen solchen Sünder doch Basilius geradezu mit einem Mann, der im Theater einen Platz eingenommen hat und nun alle später Eintretenden wegdrängt in der Meinung, daß das, was allen zum Gebrauche offensteht, ihm besonders angehöre!

»So nehmen die Reichen das, was gemeinsam ist, im voraus in Besitz und maßen es sich als Eigentum an, nur weil sie es früher erhielten.«94 »Bist du nicht ein Räuber, da du, was du zur Austeilung empfingst, dir als Eigentum anmaßest? Dem Hungrigen gehört das Brot, das du behältst, dem Nackten der Mantel, den du bewahrst, ... dem Dürftigen, das Silber, das du vergraben hältst. Daher tust du so vielen Menschen unrecht, so vielen du geben könntest.«95 – »Wir machen uns die Dinge zu eigen, die gemeinschaftlich sind; wir besitzen für uns allein das, was der Gesamtheit gehört.«96

Selbst die pflichtgemäße Fürsorge für Weib und Kind wird von[476] diesem Doktrinarismus beiseite geschoben. Man soll sein Vermögen, meint Cyprian, nicht für seine Erben aufbewahren, sondern durch Freigebigkeit gegenüber den Armen »Gott überantworten«; das sei die treueste Fürsorge für die Kinder, wenn man mehr auf ihr himmlisches als ihr irdisches Erbteil bedacht sei.97 Und Salvian bezeichnet es geradezu als eine Versündigung an dem Gebot Jesu, wenn man sein Vermögen noch nach dem Tod in Kindern und Verwandten besitzen wolle!98 Ein religiöser Aberwitz, der Familie, Eigentum und Erbrecht schwer gefährdet und in der Tat über viele Familien Leid und Kummer gebracht hat Es ist daher bei aller Verschiedenheit der Ausgangspunkte gar nicht so unberechtigt, wenn man diese Angriffe christlicher Kirchenväter auf das Erbrecht mit der in Lasalles »System der erworbenen Rechte« ausgesprochenen Ansicht verglichen hat, daß unser Erbrecht ein einziges großes Mißverständnis sei.99

Auch ist es angesichts solcher Verirrungen kein Wunder, wenn die Kritik des Besitzes und der Besitzenden immer wieder zu dem Ergebnis kommt, das Johannes Chrysostomos im Hinblick auf den »Mammon des Unrechts« bei Lukas in die Worte zusammengefaßt hat: »Ohne Ungerechtigkeit kann man nicht reich werden«; und »es ist unmöglich, unmöglich ist es, in Ehren reich zu sein«.100 »Der Reiche ist entweder ungerecht oder eines Ungerechten Erbe« lautet eine Lieblingssentenz des Hieronymus, die er damit begründet, daß aller Reichtum durch Ungerechtigkeit gewonnen wird, weil er ein Raub an anderen ist!101 Die Ansammlung von Kapital sei nur möglich zum Schaden und Unglück anderer!102

Der Satz »dives aut iniquus aut iniqui heres« hat für uns noch eine besondere Bedeutung, weil ihn Hieronymus als weitverbreitete Zeitansicht (vulgata sententia) und zugleich als einen Ausspruch der heidnischen Sozialphilosophie bezeichnet, dem er wegen seiner tiefen »Wahrheit« vollinhaltlich zustimmt.103 Wir sehen nämlich auch hier wieder, daß sich mit den religiösen Motiven der antikapitalistischen Anschauung der christlichen Wortführer doch auch noch andere, soziale Beweggründe[477] verbanden, wie sie sich ja bei der zunehmenden plutokratisch-proletarischen Spaltung der Kaiserzeit ganz von selbst aufdrängen mußten. Wenn auch durch den Cäsarenstaat das republikanische Ausbeutungssystem im allgemeinen beseitigt worden war und die lange Friedensära einen mächtigen wirtschaftlichen Aufschwung ermöglicht hatte, so hat das doch auf die Dauer zu einer befriedigenden Gestaltung der sozialen Verhältnisse nicht geführt. Denn der Cäsarismus hat weder das Massenelend in den Städten beseitigen, noch das weitere Umsichgreifen des Latifundienwesens auf dem Lande104 und die zunehmende Proletarisierung des Bauernstandes verhindern können. Im Gegenteil! Je schwieriger sich seit dem 3. Jahrhundert die Lage des Staates gestaltete, je mehr der wirtschaftliche Verfall um sich griff, um so mehr häufen sich die Klagen über den Pauperismus in Stadt und Land, über die blutsaugerische Ausbeutung der kleinen Pächter und Bauern durch die Gutsherrn und die Raubwirtschaft des Fiskus, über die Abwälzung der maßlos gesteigerten öffentlichen Lasten von den Mächtigen und Reichen auf die schwächeren Klassen, über die brutale Klassenjustiz, die den Vornehmen schonte und die »humiliores« mit barbarischer Grausamkeit verfolgte u. dgl. m. Und das Endergebnis ist eine vom Staat direkt geförderte kastenartige Erstarrung der Gesellschaft, die den Bauern an die Scholle fesselte und das ganze Arbeitsleben einem ungeheuren Zwangsorganismus unterwarf, in dem die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede geradezu ständische geworden sind. Eine Entwicklung, die nicht nur die soziale, sondern auch die moralische Kluft zwischen arm und reich stetig vertiefte und in Millionen von armen und verkümmernden Menschen stets das bittere Gefühl wachhielt, daß der Staat und die herrschenden Klassen ihrem Elend mehr oder minder teilnahmslos gegenüberstanden, ja es noch vermehrten, daß der Arme, wie es in dem bekannten Gesandtschaftsbericht des Priskus heißt, gegen den Reichen kein Recht fand und der Staat die Schwachen den Starken schutzlos preisgab.

Wer wollte bezweifeln, daß dieser ungeheure Druck von Plutokratie und Despotie, die mit tausend Polypenarmen zerstörend und lähmend in alle Verhältnisse des Volkslebens hineingriffen, an den leidenschaftlichen Anklagen der christlichen Schriftsteller gegen die »Reichen« einen wesentlichen Anteil hatte? Und sie haben das ja auch offen ausgesprochen. Von dem Mann, der im Anfang des 2. Jahrhunderts – vielleicht in[478] Rom – den Jakobusbrief schrieb, hat man mit Recht bemerkt, daß der Unterschied von arm und reich für ihn fast stärker war als der zwischen Christ und Nichtchrist.105 »Sind es nicht die Reichen,« ruft er den Armen zu, »die euch bedrücken, sind sie es nicht, die euch vor die Gerichte schleppen?«106 Es ist ein leidenschaftlicher Ruf nach Rache, den er im Namen der armen Arbeiter erhebt, denen die reichen Grundherrn ihren Lohn widerrechtlich vorenthielten, auf deren Kosten sie Schätze gesammelt hätten und deren Klage nun vor die Ohren des Herrn gekommen sei. Das »Wehe«, das sich aus diesem Brief gegen die Reichen emporringt, ist rein sozial und läuft aus in die Hoffnung auf den Tag der »Schlachtung«!107 Und so ziehen sich die heftigsten Klagen gegen den ausbeuterischen Kapitalismus wie ein roter Faden durch die christliche Literatur der folgenden Jahrhunderte. Die Kritik der herrschenden Gesellschaft, wie wir sie z.B. bei Laktanz,108 bei Basilius,109 bei Johannes Chrysostomos,110 bei Ambrosius,111 Salvian112 und vielen anderen finden, bleibt an Schärfe und rücksichtsloser Kühnheit hinter keiner sozialistischen Kritik zurück. Und wie für diese der bestehende Staat nur eine Organisation der Ausbeutung ist, so hat Salvian von seiner Zeit gesagt, daß die vom Staat übertragene Gewalt nur noch zur Plünderung der Armen da zu sein scheine.

Ist doch das Christentum selbst in seinem Kampf gegen den »Reichtum« immer wieder zu ausgesprochen sozialistischen Anschauungen gekommen, wenn auch die letzten Konsequenzen, zu denen die leidenschaftliche antikapitalistische Tendenz des Liebeskommunismus und die Empörung über Mammonismus und Massenelend mit psychologischer Notwendigkeit führen mußte, nicht immer klar und deutlich hervortreten.

In der Regel beschränken sich ja die Wortführer des Christentums auf die Bekämpfung des mammonistischen Geistes in den Herzen. Sie möchten das Massenelend durch eine großartige Entfaltung der christlichen Bruderliebe verringern, ohne sich in einen direkten Gegensatz gegen die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung zu setzen. Das verbot Jahrhunderte hindurch schon die eiserne Festigkeit dieser Ordnung113 und noch mehr der Umstand, daß seit dem Ende des 2. Jahrhunderts[479] das Christentum, das bis dahin ganz überwiegend eine Religion von Sklaven, Freigelassenen, Proletariern und Kleinbürgern gewesen war, infolge der gewaltigen Suggestivkraft der Christusmystik und der christlichen Heils- und Unsterblichkeitsgewißheit, sowie infolge der zunehmenden kritischen Wehrlosigkeit der gebildeten Oberschicht auch in den höheren Klassen zahlreichere Anhänger fand. Verhältnisse, die es nur zu begreiflich erscheinen lassen, daß uns in derselben Literatur, die sonst den »Reichtum« in Grund und Boden verdammt, immer wieder Äußerungen begegnen, die die schroffsten Sätze abschwächen und mildern und sich mit einem leidlichen Kompromiß zwischen den idealen Forderungen und den Widerständen des realen Lebens begnügen. Ein Schwanken, das in gewisser Hinsicht an den heutigen Gegensatz zwischen doktrinärem Sozialismus und Revisionismus erinnert, nur daß sich damals der Zwiespalt immer von neuem im Denken der einzelnen wiederholte.

Allein all das kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß man auf dem Boden dieses antiken Christentums, wenn man seine Grundgedanken folgerichtig zu Ende dachte, mit einer gewissen psychologischen Notwendigkeit zu einer prinzipiellen Negation des kapitalistischen Wirtschaftssystems kommen mußte. Wir sehen das recht deutlich an Hieronymus. Während er sich im allgemeinen mit einer scharfen Kritik der plutokratischen Entartung und der Forderung des rechten Gebrauches des Eigentums begnügt, kommt in dem genannten Satz von dem »dives iniquus« eine Anschauungsweise zum Durchbruch, die ihn geradezu als Geistesverwandten des philosophischen Sozialismus eines Plato, der Stoa u.a. erscheinen läßt, den er ja auch ausdrücklich als Zeugen für sich anruft. Denn der Reichtum wird hier nicht etwa bloß deshalb als ein »Raub« an andern verurteilt, weil er den Mitmenschen die Liebespflicht versagt, sondern weil er stets auf Betrug und Ausbeutung beruht,114 weil der Gewinn des einen immer einen Verlust für den andern bedeuten soll.115 Daher ist es die Lüge, die den Reichtum erzeugt, während die Wahrheit »die Mutter der Armut« ist!116 Eine Anschauung, die im Grunde[480] die ganze bisherige wirtschaftliche Aneignungsweise und die auf dem Wettbewerb beruhende Güterverteilung der bestehenden Gesellschaft negiert und nur in einer Welt ihre Befriedigung finden könnte, in der es überhaupt keine »Ausbeutung« durchs Kapital und keine ökonomische Abhängigkeit vom Kapital gäbe, sondern völlige ökonomische Gleichheit und Gemeinschaft.117

Ist doch der Gedanke der Gleichheit und Gemeinschaft der Kinder Gottes schon sehr frühe auch auf das ökonomische Gebiet übertragen worden! Als der Wanderprediger und Teppichmacher Paulus von der korinthischen Gemeinde materielle Opfer für die christlichen Proletarier Jerusalems forderte, tat er dies im Namen der Gleichheit, die alle Gläubigen zu »Gliedern eines Leibes« macht.118 Eine Einheit, die eben auf der Voraussetzung beruht, daß alle Glieder in gleicher Weise füreinander sorgen. Der Überschuß der einen soll sich in das Genughaben aller verwandeln. Wie Gott selbst das Werk der Ausgleichung in die Hand nimmt, indem er die dürftigeren Glieder durch größere Ehre entschädigt,119 so ist es für Paulus eine einfache Konsequenz des Prinzips der »Gleichheit«, daß der Mehrbesitz der einen zur Abhilfe des Mangels der anderen verwendet werde.120 Und zwar wird diese Ausgleichung des Mißverhältnisses in der Verteilung der irdischen Güter von Paulus sehr bezeichnenderweise unter Berufung auf jene alttestamentliche Literatur gepredigt, in der ja das Ideal einer Ausgleichung der sozialen Mißverhältnisse eine so bedeutsame Rolle gespielt hat.121 Ein Ideal, wie es Paulus in der berühmten Erzählung vom Mannasegen verwirklicht fand: »Die Kinder Israel sammelten, der eine viel, der andere wenig. Aber da man es mit dem Gomer maß, so hatten nicht viel, die mehr gesammelt hatten, und nicht weniger, die wenig gesammelt hatten. Ein jeder hatte gesammelt, soviel er für sich essen mochte.«122 Ein Mythus, in dem in der Tat eine Anschauungsweise zum Ausdruck kommt, deren soziales Ideal eine gewisse Gleichmäßigkeit des Besitzes war.123

[481] Und diese Gleichheits- und Gemeinschaftsidee macht sich in der christlichen Literatur immer wieder von neuem geltend. So hat z.B. noch Clemens von Alexandria (um die Wende des 2. und 3. Jahrhunderts) gesagt:


»Gott hat die Menschen zu brüderlicher Gemeinschaft erschaffen, indem er zuerst seinen Sohn hingab und den Logos verlieh als Gemeingut für alle, alles gewährend, für alle. Alles ist also gemeinsam, und die Reichen sollen nicht mehr haben wollen als die andern ... Gott hat uns das Recht des Genusses gegeben, aber nur bis zur Grenze der Notwendigkeit, und seinem Willen nach muß der Genuß gemeinsam sein.«124


So äußert sich ein Mann, der sich sonst mit der Wirklichkeit möglichst abzufinden suchte und eine eigene Schrift geschrieben hat,125 um auch dem Reichen einige Aussicht auf Zulassung zum Gottesreich zu eröffnen! »Die Sorge für die Armen«, sagt Basilius, »verzehrt den Reichtum. Wer den Nächsten wie sich selber liebt, besitzt nicht mehr als der Nächste. Wenn man daher Vermögen hat, so kommt dies daher, daß man den eigenen Genuß höher stellt als den Vorteil der Masse.«126

Aus dem Doktrinarismus dieser ganzen Anschauungsweise erklärt es sich auch, daß man sich von den Wirkungen eines wahrhaft »gerechten« Verhaltens der Besitzenden die übertriebensten Vorstellungen machte, die dem metaphysischen Optimismus in bezug auf das »Königtum Gottes« wenig nachgaben. So sagt Basilius: »Wenn jeder von dem, was zum Gebrauch für alle da ist, nur soviel für sich nähme, als für den Unterhaltsbedarf genügt, so gäbe es überhaupt keine Reichen und keine Armen!«127 Und ähnlich meint Johannes Chrysostomos: »Wenn die Besitzenden Antiochias die Armen, die Nahrung und Kleidung brauchen, unter sich verteilen und entsprechend unterstützen wollten, so würde das genügen, um aller Not ein Ende zu machen. Es gäbe keine Armut mehr!«128 Das alte Lied, dem wir ja im antiken Sozialismus immer wieder begegnet sind. Ist es da zu verwundern, daß auch die christliche Phantasie nicht bei der ökonomischen Ausgleichung durch einen liberalen Eigentumsgebrauch stehen blieb, sondern die idealste Verwirklichung ihres religiösen Gemeinschaftsprinzips in der Gemeinsamkeit[482] des Besitzes selbst fand, wie sie ja von Plato längst als Allheilmittel gegen die Macht der Selbstsucht proklamiert worden war?

Wie der Neupythagoreismus unter dem Einfluß des platonischen Staatsideals aus dem Orden des Pythagoras den Idealtypus eines religiösen Vereins gemacht hatte, innerhalb dessen in Theorie und Praxis der Kommunismus geherrscht haben sollte, so hat schon die Apostelgeschichte die Urzeit des Christentums als eine Epoche vollkommener und allgemeiner Gütergemeinschaft gefeiert. Die Urgemeinde in Jerusalem ist für sie eine erweiterte Hausgemeinschaft, darin alle »mit Freuden und einfältigen Herzens zusammenlebten«129 und deren Mitglieder »alles gemein« hatten, weil jeder alles, was er besaß, verkauft und den Erlös der Gemeinschaft übergeben habe,130 so daß »keiner unter ihnen war, der Mangel litt«.131 Die Erfüllung des alttestamentlichen Wortes »Es soll kein Darbender unter euch sein«.132 Es ist die panegyrische Schilderung eines gesellschaftlichen Idealzustandes, wie er eben dem Verfasser der Apostelgeschichte vom Standpunkt eines radikalen religiösen Sozialismus aus als Mustertypus einer vollkommenen Christengemeinde vor Augen stand. Eine Utopie, hinter der, wie schon aus den inneren Widersprüchen des Berichtes klar hervorgeht, selbst der enthusiastische, aber durchaus freiwillige Liebeskommunismus der Urgemeinde mehr oder minder weit zurückblieb, die aber doch für die Folgezeit eine große prinzipielle Bedeutung gewonnen hat. Denn, wenn auch – abgesehen von einzelnen kommunistischen Sekten, wie z.B. dem Geheimbund des Alexandriners Karpokrates und den sogenannten Apostolikern133 – keine christliche Gemeinde den Versuch gemacht hat, diese Utopie in die Wirklichkeit umzusetzen, so hat sie doch als Idealtypus christlicher Vollkommenheit in der christlichen Literatur stets eine bedeutsame Rolle gespielt.134

[483] Noch im 3. Jahrhundert sagt Cyprian von dieser paradiesischen Urzeit des Christentums:


»Es herrschte unter ihnen kein Unterschied und sie hielten keines ihrer Güter für ihr Eigentum, sondern alles war ihnen gemein. Das heißt: Nach himmlischem Gesetz die Gleichheit Gottes des Vaters nachahmen. Denn alles, was Gottes ist, ist in unserer Benützung gemeinschaftlich, und keiner ist von seinen Wohltaten und Gaben ausgeschlossen, so daß das ganze Menschengeschlecht die göttliche Güte und Freigebigkeit in gleicher Weise genießen darf. So leuchtet allen in gleicher Weise der Tag, strahlt die Sonne, feuchtet der Regen ... und gemeinsam ist der Sterne und des Mondes Glanz. Wer auf Erden nach diesem Urbild der Gleichheit sein Einkommen mit den Brüdern teilt, der ahmt Gott den Vater nach.«135


In demselben Sinne bezeichnet noch viel später Johannes Chrysostomos (seit 397 Patriarch von Konstantinopel) die Gemeinde der ersten Christen als ein Gemeinwesen nach Art der Engel (πολιτεία ἀγγελική), weil sie nichts ihr eigen nannten.


»Da wurde die Wurzel der Übel ausgerottet, ... das Geld warfen sie weg, ... nicht war vorhanden das kalte Wort Mein und Dein. Darum war Frohsinn bei Tisch. Denn die Wohlhabenden wurden durch die Hingabe ihres Besitzes nicht arm, weil sie aus dem Gemeingut erhielten, wessen sie bedurften. Die Armen aber hatten aufgehört, arm zu sein. Wie viel größer würde bei reich und arm die Lebensfreude sein, wenn wir diesen Zustand wiederherstellen wollten!«136


Ja der Patriarch hat sich dem Zauber dieses Gedankens so ganz gefangen gegeben, daß er allen Ernstes die Frage aufwirft, ob das, was nach seiner Ansicht und nach dem Zeugnis der Schrift damals möglich war, nicht auch jetzt wieder zur Wirklichkeit werden könnte. Der »duftige Lichtglanz, der sich in der Schrift über die Urgemeinde ergießt«,137 überstrahle eben auch für ihn die Angaben des Berichtes, die mit dem angeblichen vollkommenen Kommunismus unvereinbar sind. Anderseits fühlte er sich in dieser Hoffnung bestärkt durch die Erwägunng, daß das, was die ersten Christen in heiliger Begeisterung verwirklicht hatten, ja eigentlich das Naturgemäße, von Gott von Anfang an Gewollte sei.

So heißt es in der 12. Homilie über den ersten Brief an Timotheos:

»Sag mir, woher stammt dein Reichtum? Du verdankst ihn einem anderen? Und dieser andere, wem verdankt der ihn? Seinem Großvater, sagt man, seinem Vater. Wirst du nun, im Stammbaum weit zurückgehend, den Beweis liefern können, daß dieser Besitz auf gerechtem Wege erworben ist? Das kannst du nicht. Im Gegenteil,[484] der Anfang, die Wurzel desselben liegt notwendigerweise in irgendeinem Unrecht. Warum? Weil Gott von Anbeginn nicht den einen reich, den anderen arm erschaffen und keine Ausnahme gemacht hat, indem er dem einen den Weg zu Goldschätzen zeigte und den anderen hinderte, solche aufzuspüren, sondern allen dieselbe Erde zum Besitze überlassen hat. Wenn also diese ein Gemeingut aller ist, woher hast dann du so und so viel Tagwerk davon, dein Nachbar aber keine Scholle Land? »Mein Vater hat es mir vererbt«, antwortet man. Von wem hat es denn dieser geerbt? »Von seinem Vorfahren.« Aber man kommt jedenfalls zu einem Anfang, wenn man zurückgeht. Jakob war reich, aber sein Besitz war Arbeitslohn. Der Reichtum muß gerecht erworben sein, es darf kein Raub daran kleben. Freilich, du bist nicht verantwortlich für das, was dein geiziger Vater zusammengescharrt hat. Du besitzest zwar die Frucht des Raubes, aber der Räuber warst nicht du! Aber zugegeben, daß auch dein Vater keinen Raub beging, sondern daß sein Reichtum irgendwo aus dem Boden gequollen ist, wie steht es dann? Macht das den Reichtum zu einem Gute? Durchaus nicht. »Aber etwas Schlechtes ist er auch nicht«, sagst du. Ist man nicht geizig, teilt man den Dürftigen mit, so ist er nichts Schlechtes; ist das nicht der Fall, so ist er schlecht und ein gefährlich Ding. »Ja, erwidert man, wenn einer nichts Böses tut, so ist er nicht böse, auch wenn er nichts Gutes tut.« Ganz recht. Heißt das aber nicht etwas Böses tun, wenn einer für sich allein über alles Herr sein, wenn er Gemeinsames allein genießen will? Oder ist nicht die Erde und alles, was darin ist, Eigentum Gottes? Wenn also all unser Besitz Gott gehört, so gehört er auch unseren Mitbrüdern im Dienste Gottes. Was Gott dem Herrn gehört, ist alles Gemeingut. Oder sehen wir nicht, daß es auch in einem großen Hauswesen so gehalten wird? Zum Beispiel alle bekommen das gleiche Quantum Brot. Es kommt ja aus den Vorräten des Herrn. Das Haus des Herrn steht allen offen. Auch alles königliche Eigentum ist Gemeingut, und Städte, Marktplätze, Arkaden gehören allen zusammen, alle partizipieren wir daran. Man betrachte einmal den Haushalt Gottes! Er hat gewisse Dinge zu einem Gemeingut gemacht, damit er das Menschengeschlecht damit beschäme, z.B. Luft, Sonne, Wasser, Erde, Himmel, Licht, Sterne, – das verteilt er alles gleichmäßig wie unter Brüder. Allen schuf er dieselben Augen, denselben Körper, dieselbe Seele; es ist bei allen dasselbe Gebilde. Von der Erde, von einem einzigen Manne ließ er alles stammen, allen wies er uns dasselbe Haus an. Aber alles das half nichts bei uns. Er hat auch andere Dinge zum Gemeingut gemacht, z.B. Bäder, Städte, Plätze, Promenaden. Und man beachte, wie es bei solchem Gemeingut keinen Hader gibt, sondern alles geht friedlich her. Sowie aber einer etwas an sich zu ziehen sucht und es zu seinem Privateigentum macht, dann geht der Streit an, gleich als wäre die Natur selbst darüber empört, daß, während Gott uns durch alle möglichen Mittel friedlich beisammenhalten will, wir es auf eine Trennung voneinander absehen, auf Aneignung von Sondergut, daß wir das »Mein und Dein« aussprechen, dieses frostige Wort. Von da ab beginnt der Kampf, von da ab die Niederträchtigkeit. Wo aber dieses Wort nicht ist, da entsteht kein Kampf und kein Streit. Also die Gütergemeinschaft ist mehr die adäquate Form unseres Lebens als der Privatbesitz, und sie ist naturgemäß. Warum streitet niemand vor Gericht um den Marktplatz? Nicht darum, weil er Gemeingut aller ist?[485] Über Häuser dagegen oder über Geld sehen wir ewige Verhandlungen vor Gericht. Was wir notwendig haben, das liegt alles da zum gemeinsamen Gebrauch; wir aber beobachten diesen Kommunismus nicht einmal in den kleinsten Dingen. Darum hat Gott uns jene notwendigen Dinge als Gemeingut gegeben, damit wir daran lernen, auch die anderen Dinge in kommunistischer Weise zu besitzen. Aber wir lassen uns auch auf diesem Wege nicht belehren.«


So verschlingt sich bei dem Patriarchen die Romantik des urapostolischen Paradieses mit der des Menschheitsparadieses und zugleich berührt er sich aufs engste mit der sozialistischen Romantik der Dichtung, Philosophie und Historie des Heidentums. Denn was ist dieses kommunistische Paradies des Christentums anders, als das goldene Zeitalter, das Reich des Kronos und Saturn, der Naturzustand der Stoa?

Auch sonst tritt diese Ideenverwandtschaft zwischen heidnischer und christlicher Sozialromantik deutlich hervor. So erklärt z.B. Clemens von Alexandria: »Von Natur aus ist das Privateigentum ein Unrecht« (ἀδικία).138 Und für Gregor von Nazianz sind Armut und Reichtum und der Gegensatz von frei und unfrei lediglich Krankheitserscheinungen,139 die sich erst mit der Sünde in die Welt eingeschlichen haben:


»Im Anfang, in der Wonne des Paradieses, war es nicht so. Hier waren die Früchte der Erde allen gemeinsam. Seitdem aber Neid und Zwietracht waltet und die arglistige Herrschaft der Schlange, die durch die Lockungen der Lust verführt und die Starken gegen die Schwachen aufstachelt, ist die Gleichheit des Geschlechtes in die Verschiedenheit der Namen gespalten und Habsucht hat den Adel der Natur zerschnitten, indem sie sogar das Gesetz zur Förderung der Herrschaft herbeizog. So ist an Stelle der ursprünglichen Freiheit der Natur und der ursprünglichen Gleichstellung (ἰσονομία) durch das Gesetz des Schöpfers das Gesetz der Mächtigen getreten.«140


Eine bittere Absage an die bestehende Ordnung der Dinge, wenn dieselbe auch als unvermeidliches Ergebnis menschlicher Schwäche hingenommen wird.

Denselben Standpunkt vertritt auch Cyrill von Alexandria († 444). »Reich und arm«, meint er, »treten in gleicher Weise ins Leben. Derselbe Himmel, dasselbe Licht ist allen gemeinsam. Die Natur und der Schöpfer kennen keine Unterschiede; sie sind Erfindungen menschlicher Habgier.«141 Und so wird der christliche Liebeskommunismus immer wieder von neuem mit dem Rechte der Natur motiviert, die, wie Ambrosius sich ausdrückt, »alles gemeinschaftlich für alle ausgeströmt hat«. »Die Natur«, sagt er, »hat das gemeinsame Anrecht aller geschaffen; erst die Usurpation der einzelnen hat ein Privatrecht hervorgerufen,142[486] erst die Habgier hat den Besitz geteilt.«143 Denn »die Natur kennt keine Reichen«.144 Eben mit diesem naturrechtlichen Anspruch aller motiviert er es, wenn er den Reichen, die »in wahnsinniger Begier allein auf Erden wohnen wollten«, den Satz entgegenhält: »Nicht von deinem Eigentum schenkst du den Armen, sondern du gibst ihm von dem seinigen zurück.«145 »Du schuldest ihm eine Beteiligung an deinem Recht.«146 Daher ist auch der Kapitalzins verwerflich. »Denn wie magst du Zins fordern von dem, mit dem du alles gemein haben sollst?«147

Nun hat man ja wohl instinktiv gefühlt, daß diese Verirrungen eines naiven und ungeschulten ökonomischen Denkens und eines religiösen Radikalismus zu ganz unhaltbaren Konsequenzen führen mußten.148 Und es fehlt daher nicht an Stimmen, die – schon im Interesse der Apologetik – den sozialistischen Utopismus abzuschwächen suchten. Ich erinnere an die Art und Weise, wie sich Laktanz mit dem platonischen Idealstaat und mit der Schilderung des goldenen Zeitalters bei Vergil149 abzufinden sucht. Er erhebt Bedenken gegen die platonische Gütergemeinschaft, weil sie die Wertung der individuellen Leistung nach dem Verdienst unmöglich machen und die Tugend der Mäßigung und Enthaltsamkeit untergraben würde.150 Und von Vergil meint er, er habe sich nur so kommunistisch ausgedrückt, damit wir erkennen, wie freigebig die Menschen jenes glücklichen Zeitalters waren!151 – Aber ganz hat doch auch er sich dem Zauber der sozialistischen Romantik nicht zu entziehen vermocht. Er gibt Plato zu, daß sein Kommunismus, abgesehen von der Frauengemeinschaft, erträglich und möglich sei, wenn die Menschen weise wären und das Geld verachten würden! Und ebenso gibt er Vergil zu, daß »Gott die Erde allen gemeinsam gab, daß alle ein gemeinsames Leben führen sollten und keinem das fehlen sollte, was allen wüchse«. Also doch wieder ein goldenes Zeitalter, in welchem das Genughaben aller verwirklicht war, weil die Menschen damals, wie Laktanz naiverweise annimmt, die Feldfrucht nicht hinter Schloß und Riegel legten, sondern die Armen zur gemeinschaftlichen Nutzung des Ertrages[487] ihrer eigenen Arbeit zuließen! Und grundsätzlich hat ja auch er den reinen Kommunismus nicht aufgegeben. Er hat ihn nur, wie wir sehen werden, in die Zukunft verlegt.

Kein Wunder, daß leidenschaftliche und phantasievolle Köpfe wie Johannes Chrysostomos zuletzt doch noch der Illusion erlagen, nachdem einmal die Wahrheit gefunden und die natürlichen von Gott gewollten Gemeinschaftsbedingungen klar erkannt seien, sei eine Neugestaltung der Gesellschaft möglich, wenn nur die Menschen die Wahrheit annehmen wollten. Ist es doch so weit gekommen, daß er das sozialistische Evangelium in der Kirche predigte! Offenbar unter dem Einfluß des platonischen Bildes von den zwei Staaten führte er einmal seiner großstädtischen Hörerschaft in Antiochia im Geiste zwei Städte vor, eine Stadt der Reichen und eine Stadt der Armen.152 In der ersteren gibt es keine Künstler und Baumeister, keine Zimmerleute, Schuster, Bäcker, Schmiede usw.; in der letzteren dagegen keinen Reichtum an Silber und Gold u. dgl., hier bedarf es nur körperlicher Kräfte, harter Arbeitshände, kunstfertiger Finger. Damit besitzt sie das, was das Leben erhält, so daß die Bewohner der Stadt der Reichen gezwungen sind, an die Armen zu appellieren, wenn sie wirtschaftlich bestehen wollen. – Eine ausgeprägt tendenziöse Auffassung, für die der Gegensatz von »reich und arm« ohne weiteres mit dem von Kapital und Arbeit zusammenfällt. Die Reichen sind nichts als faule Drohnen, die Armen die Repräsentanten der Arbeit, die allein den Bestand der Gesellschaft erhält! Eine Anschauungsweise, die lebhaft an den Satz des kommunistischen Manifestes von 1847 erinnert: »Die in der bürgerlichen Gesellschaft arbeiten, erwerben nicht, und die erwerben, arbeiten nicht.«153 Und wie das Manifest den Weg zeigen zu können glaubt, auf dem dieser Gegensatz überwunden werden könne, so hat auch Chrysostomos später als Patriarch von Konstantinopel an die Tausende, die sich um die Kanzel des redegewaltigen Priesters scharten, den begeisterten Ruf zur Begründung einer sozialen und ökonomischen Gemeinschaft ergehen lassen, die sie aus der Nacht des kapitalistischen Elends zum sonnenbeglänzten Paradies des Sozialismus, zum »Himmel auf Erden« emporführen sollte. Er verlangte von ihnen nichts Geringeres als die Rückkehr zu dem angeblichen radikalen Kommunismus der christlichen Urgemeinde und er gab dabei von den Zuständen, die er sich von einer solchen Umwälzung versprach, eine Schilderung, deren kühner Optimismus hinter den Phantasien eines Bebel nicht zurückbleibt.


[488] »Ich habe gesagt, alle möchten das Ihre verkaufen und in eins zusammenwerfen und niemand verschlechtere sich, sei er reich oder arm. Wie viel Gold, glaubst du, würde zusammenkommen? Ich schätze (denn auch dies kann nicht mit Gewißheit gesagt werden), wenn jeglicher und jegliche all ihr Geld herausgäben, wenn sie ihre Ländereien, ihren Besitz, ihre Häuser – ich erwähne nicht ihre Sklaven, denn es gab damals keine, sondern die welche hatten, gaben ihnen die Freiheit – hergeben würden, so würde etwa eine Million Pfund Gold zusammenkommen, vielleicht aber auch das Doppelte oder Dreifache ... Wie groß aber ist die Zahl der Armen? Ich schätze sie auf nicht mehr als 50000. Wie viel aber wäre nötig, um sie täglich zu nähren? Wenn man sie an gemeinsamem Tisch gemeinsam speiste, würde gewiß die Ausgabe keine allzu große sein. Was nun, fragst du, würden wir tun, nachdem wir diese Reichtümer verbraucht hätten? Du glaubst also, sie könnten jemals verbraucht werden? als ob die Gnade Gottes nicht tausendfach fruchtbringender wäre! als ob die Gnade Gottes nicht aufs reichlichste ausgegossen werden würde! Und wie? Würden wir nicht so die Erde in einen Himmel verwandeln? Wenn dies bei drei- oder fünftausend der glänzende Erfolg war, und keiner unter ihnen sich über Armut beklagt hat, um wie viel glänzender wäre es, wenn es einer so großen Menge zuteil würde? Und wer von den Draußenstehenden, der nicht etwas beisteuerte? Damit ich aber zeige, daß der zerstreute Besitz mehr Kosten macht und die Ursache der Armut sei, wollen wir annehmen, da sei ein Haus, worin zehn Kinder und Frau und Mann; jene sei mit Wolleweben beschäftigt, dieser bringe Vorrat von draußen herbei; sage mir, werden die Genannten mehr brauchen, wenn sie in einem Hause gemeinsam oder wenn jedes für sich lebt? Es ist klar, daß sie mehr brauchen, wenn jedes für sich. Denn wenn sie zerstreut leben, sind für die zehn Kinder zehn Häuser, zehn Tische, zehn Diener nötig und in ähnlicher Weise das Zehnfache an dem, was sonst nötig ist. Wie ist es aber da, wo jemand eine große Zahl von Dienern hat? Haben da nicht alle nur einen Tisch, um an dem Aufwand zu sparen? Denn die Teilung hat stets eine Schmälerung zur Folge, die Eintracht und das Zusammenleben eine Mehrung. So lebt man heute in den Klöstern, wie ehemals die Gläubigen lebten. Wer ist dabei Hungers gestorben? Wem ist nicht reichliche Nahrung geworden? Jetzt aber fürchten sich die Menschen hiervor mehr wie davor, in ein unermeßliches Meer zu fallen. Hätten wir aber einmal einen Versuch in dieser Sache gemacht, so würden wir uns weit mutiger an sie machen. Wie groß, glaubst du, würde der Vorteil sein? Wenn damals, als kaum einer gläubig war, sondern nur drei- oder fünftausend, da die gesamte übrige Welt feindlich war, da man von nirgends Hilfe erhoffen konnte, die Gläubigen die Sache so herzhaft angepackt haben, um wie viel größer würde der Erfolg heute sein, da infolge der Gnade Gottes der ganze Erdkreis voll von Gläubigen ist? Wer würde noch Heide bleiben? Nach meiner Meinung keiner; so sehr würden wir alle an uns herangezogen und uns versöhnt haben. Übrigens, wenn wir auf diesem Wege vorwärts schreiten, hoffe ich bei Gott, daß sich so die Zukunft gestalten wird. Gehorchet mir nur, und wir werden allmählich die Sache gut machen, und wenn Gott das Leben gibt, so hoffe ich, daß wir schnell ein solches Gemeinwesen herbeiführen werden.«154[489]


Ein Traum, der wohl sehr bald wieder verflog, als sich der kühne Prediger mit seiner rücksichtslosen Kritik der Korruption der hauptstädtischen Gesellschaft und des Luxus der Frauenwelt die unversöhnliche Feindschaft der Kaiserin Eudoxia zuzog und – seines Bischofsstuhles entsetzt – ins Exil gehen mußte. Es ist ihm mit dieser sozialistischen Utopie gewiß ebenso ergangen wie einst in Antiochia, wo er sich durch sein sanguinisches Temperament zu ähnlichen idealen Anforderungen an seine Hörer hatte hinreißen lassen, dann aber bei nüchternerer Erwägung hatte zugeben müssen: »Ich weiß nicht, wie ich dazu gekommen bin, eine so hohe Vollkommenheit von Menschen zu fordern, die schon viel zu tun meinen, wenn sie von ihrem Vermögen auch nur ein wenig als Almosen geben. Darum sollen meine Worte nur den Vollkommenen gelten. Den minder Vollkommenen aber sage ich: »Teilt den Armen von eueren Gütern mit.«155

Freilich kann diese Abschwächung so wenig wie die zahlreichen anderen Abschwächungen des sozialen Ideals, denen wir in der christlichen Literatur begegnen, über die Bedeutung der Tatsache hinwegtäuschen, daß dieses Ideal der wirtschaftlichen Ausgleichung und der Vergesellschaftung der Güter, wie es noch im 4. Jahrhundert ein Bischof aus der sagenhaften Glanzzeit des Christentums in die nüchterne Wirklichkeit verpflanzen wollte, seinem innersten Wesen nach ein revolutionäres war. Revolutionär war es schon in dem Sinn, wie es Chrysostomos auffaßte, da er ja das individualistisch-kapitalistische Wirtschaftssystem grundsätzlich umgestalten wollte, und noch mehr in dem Sinn, wie es Jahrhunderte hindurch in der Phantasie so vieler Christen lebte, die den »Himmel auf Erden«, den sich der Patriarch von dieser Hinüberführung der kapitalistischen in die sozialistische Gesellschaft versprach, keineswegs auf so friedlichem Wege, sondern nur von Umsturz und Gewalt erhofften.

Es ist schwer, sich von der inneren Auflehnung dieser christlichen Sklaven, Proletarier und Kleinbürger gegen den heidnischen Cäsarenstaat eine Vorstellung zu machen. Aber es läßt doch einen tiefen Blick in ihr seelisches Leben tun, daß sie ein Buch, in welchem der wilde Haß und Rachedurst gegen das Bestehende wahre Orgien feiert, die sogenannte »Offenbarung Johannis«, zu einem ihrer heiligen Bücher gemacht haben. Wie viele von ihnen mögen sich an den furchtbaren[490] Bildern des nahen Zusammenbruches aufgerichtet haben, in denen ihnen die Zerstörung des verhaßten Roms geweissagt wurde, dessen verödete Stätte binnen kurzem unreine Vögel, unreine Geister und Teufel zu ihrem Quartier machen würden! Wie mögen sie sich an dem Triumphgesang der Engel über den Fall des großen »Babylon« berauscht haben, an dem schmachvollen Tod der »großen Buhlerin im Scharlachgewand«, an dem schrecklichen Mahl der Vögel des Himmels, die das Fleisch der Kaiser und Könige und ihrer Heere fressen, wenn sie vom Zorngericht Gottes erschlagen die weiten Ebenen decken! Es ist der große Tag der »Schlachtung« (ἡμέρα σφαγῆς), für den sich nach dem Jakobusbrief die Reichen dieser Erde mästen,156 und auf den das Evangelium des Lukas die Christen mit dem Trostwort verweist: »Gott sollte nicht die Rache für seine Auserwählten heraufführen, die zu ihm schreien Tag und Tag? Ich sage euch, er wird sie rächen in Kürze.«157 Und an diesem Rachewerk werden nach der Apokalypse die Christen selbst sich eifrig beteiligen, wenn ihnen der Herr die Macht über die Heiden gegeben hat. Der Christ soll »sie weiden mit eiserner Rute und wie eines Töpfers Gefäße soll er sie zerschmeißen«.158

Diese leidenschaftliche Empörung richtet sich nun aber, wie der Weheruf des Jakobus über die Reichen beweist, keineswegs bloß gegen den Staat der Cäsaren, sondern ganz wesentlich auch gegen das plutokratische Rom, gegen all den Prunk und Glanz des Reichtums, den die ungeheure Konzentration der Güter einer Welt in diesem Rom aufgehäuft hatte. Selbst in der Johannesapokalypse, die sonst förmlich aufgeht in dem Gedanken der Rache für das Blut der Märtyrer und für die Abgötterei des Cäsarenkultus, ist diese antiplutokratische Tendenz deutlich erkennbar. Unter den Gründen, warum die Stadt Rom schon in nächster Zeit in einer gewaltigen Feuersbrunst untergehen werde, nennt der Engel Gottes dem Propheten auch den, daß die Kaufleute der Erde von ihrer gewaltigen Hoffart reich geworden seien.159 Und in derselben Apokalypse kann sich eine andere göttliche Stimme nicht genug tun im grimmigen Hohn über diese »Kaufleute der Erde«, die da »heulen und trauern werden, weil niemand mehr ihre Ware kauft,160 über die »Händler, die von dem Glanz und Flitter, der jetzt verloren ist, reich[491] geworden«1610 und nun »in einer Stunde all diesen Reichtum verödet« sehen, über all die Steuerleute und Küstenfahrer und Schiffsleute, die angesichts der rauchenden Brandstätte Roms »Staub auf ihre Köpfe streuen und unter Heulen und Klagen Wehe rufen über die große Stadt«, in der »reich geworden sind die Schiffsherrn durch ihren Wohlstand«.162 Ein Hohn, der noch gesteigert wird dadurch, daß der römischen Handelswelt ein langes Register der Waren vorgeführt wird, die ihren Reichtum begründet haben und die ihr jetzt unter den Händen zerronnen sind: Gold, Silber, Edelstein, Perlen, Linnenzeug, Purpur, Seide, Scharlachstoff, all das Thujaholz, die Geräte alle von Elfenbein, die von kostbaren Hölzern, von Erz, Eisen, Marmor, auch Zimt, Amonsalbe, Räucherwerk, Myrrhe, Weihrauch, Wein, Öl, feines Mehl, Weizen, Hornvieh, Schiffe, Pferde, Wagen und Knechte und Menschenseelen (Sklaven).

Indem aber so der Welt des römischen Kapitalismus und ihrem Staat das Todesurteil gesprochen wird, wird ihr gleichzeitig eine andere gegenübergestellt, die herrliche Zukunft des messianischen Staates,163 der sich über den Trümmern des römischen Reiches erheben wird und dessen Bewohnern die Güter dieser Welt164 zufallen werden.165 Nicht mehr nach Rom, sondern nach dem neuen Jerusalem, das die Johannesapokalypse vom Himmel herabkommen sieht auf die Erde, »wird man die Herrlichkeit und die Schätze der Erde hineinbringen«.166 Die Nationen werden in ihrem Lichte wandeln und die Könige der Erde bringen ihre Herrlichkeit zu ihr.167 Erfüllt ist die Prophezeiung des Jesaja, daß die Kinder Gottes »die Güter der Heiden essen«168 und »Milch von den Heiden saugen werden«.169

Gleichzeitig wird der Glanz der Gottesstadt, in der sich die Gläubigen von aller Welt her sammeln werden, in der Apokalypse in einem[492] Ton geschildert, der durchaus auf die kindliche Phantasie und die naiven Märchenträume einer armen und ungebildeten Masse gestimmt ist. Die Gottesstadt hat einen Umfang von 12000 Stadien, die Mauern haben eine Höhe von 144 Ellen und sind erbaut aus Jaspis. Die Stadt aber und ihre Straßen sind von purem Gold, wie reines Glas, und die Grundsteine der Mauern bildet je ein besonderer Edelstein, der erste Jaspis, der zweite Saphir, ein anderer Smaragd usw. Die zwölf Tore, jedes von einem Engel bewacht, werden durch je eine Riesenperle gebildet. Mitten in der Straße aber und auf beiden Seiten des »Stromes des Lebenswassers«, der vom Throne Gottes her zur Stadt fließt, stehen die Unsterblichkeit verleihende Lebensbäume, die in jedem Monat zwölferlei Frucht tragen.170 Eine Unerschöpflichkeit der erneuten und befreiten Natur, die in den christlichen Zukunftsphantasien mit denselben glühenden Farben ausgemalt wird wie in den jüdischen.

Hat man sich doch nicht gescheut, eine solche phantastische Schilderung Jesus selbst in den Mund zu legen und ihr damit den Charakter absoluter Wahrheit zu vindizieren! Insoferne ja allerdings mit einer gewissen subjektiven Berechtigung, als für die Christen das apokalyptische Bild der Gottesstadt eine Offenbarung Gottes war, woraus sich für sie mit logischer Folgerichtigkeit ergab, daß auch der Mensch gewordene Gott die Gottesstadt nicht wesentlich anders schildern konnte, als in seiner Offenbarung an Johannes. So hat noch gegen Ende des 2. Jahrhunderts der heilige Irenaeus, Bischof von Lyon, gutgläubig als eine Prophezeiung Jesu wiederholt:171


»Es werden Tage kommen, in denen Weinstöcke wachsen werden, jeder mit 10000 Ästen und an jedem Ast 10000 Zweige und an einem Zweig 10000 Schößlinge und an jedem Schößling 10000 Trauben und an jeder Traube 10000 Beeren und jede Beere wird beim Ausdrücken 25 Metreten (à zirka 40 Liter, also jede Beere 1000 Liter) Wein geben. Und wenn einer der Heiligen eine von diesen Trauben ergreift, so wird eine andere rufen: »Ich bin besser, nimm mich und preise durch mich den Herrn.« Desgleichen wird auch ein Weizenkorn 10000 Ähren erzeugen und jede Ähre 10000 Körner und jedes Korn zehn Pfund weißen reinen Mehles.172 Und dementsprechend wird auch der Ertrag der übrigen Baumfrüchte, Samen und Kräuter sein. Und alle Tiere, welche diese von der Erde empfangenen Speisen genießen, werden friedlich und zutraulich zueinander sein und völlig untertan dem Menschen.«


Wer das nicht glaubt, was doch Papias, »ein Mann der alten Zeit«, von Johannes, dem Jünger Jesu, selbst gehört habe, der ist nach dem[493] Urteil des Bischofs ein Ungläubiger, wie Judas der Verräter, dessen Zweifel an dieser üppigen Herrlichkeit des Gottesreiches Jesus selbst mit den Worten zurückgewiesen habe: »Sehen werden es, die dann kommen werden.« Haben doch schon die Propheten dasselbe geweissagt: Jesaja173 und Jeremia, dem Irenäos die Verheißung entnimmt:

»Und sie werden kommen und frohlocken auf dem Berge Zion und werden kommen zu [den Gaben] der Güte Jahves, zum Getreide und zum Most und zum Öl und zu den jungen Schafen und Rindern, und daß ihre Seele einem [wohl] bewässerten Garten gleiche und sie ferner nicht mehr dahinschmachten. Alsdann wird sich die Jungfrau am Reigen erfreuen und Jünglinge und Greise zumal, und ich will ihre Trauer in Wonne wandeln und sie trösten und fröhlich machen nach ihrem Kummer. Und ich will die Seelen der Priester mit Fett laben und mein Volk soll sich sättigen an [den Gaben] meiner Güte – ist der Spruch Jahves.«174


Daher bedarf es auch in diesem Wunderland keiner Arbeit mehr. Denn seine Bewohner »werden ja für sich haben einen Tisch bereitet von Gott, der sie labt mit allen Speisen«,175 ganz so wie es sich auch die jüdische Zukunftserwartung vorstellte, daß in diesem zur Wonne geschaffenen Reich176 die »Schnitter nicht ermüden werden bei der Arbeit«177 und »den Gerechten von Gott ein großes Freudenmahl bereitet ist«.178

Aber auch noch in viel späterer Zeit hat ein anderer Kirchenvater, Laktantius (Anfang des 4. Jahrhunderts), den Gläubigen die Herrlichkeit des messianischen Reiches in derselben sinnlichen Weise geschildert wie Irenaeus. Die Erde wird da nach seiner Ansicht jede Frucht in üppiger Fülle ohne menschliche Arbeit hervorbringen. »Honig wird von den Felsen triefen«, in den Bächen fließt der Wein und Milch in den Flüssen«,179 so daß allen ein Leben in der Fülle der Güter (eine[494] »vita copiosissima«180) beschieden ist, ohne daß sie zu arbeiten brauchen! Das selige Wunschland, das einst die Poeten dem Griechenvolk auf der komischen Bühne vorgeführt hatten, ist hier zu neuem Leben erwacht und zu einem Bestandteil des göttlichen Weltplans erhoben! Das Massenideal der Freiheit von dem Zwange der Arbeit und der schrankenlosen Befriedigung aller Bedürfnisse des Lebens. Es ist das Glück der größten Zahl, d.h. das Glück, wie es die Masse versteht und wie es naturgemäß auch die christliche Masse von ihrem Erlösergott erwartete.

Sind doch selbst Höhergebildete, wie man eben an Irenaeus und Laktantius recht deutlich sieht, keineswegs gegen die Gefahr gefeit, der reinen Phantastik zu verfallen, wenn sie sich einmal in solche vulgäre Zukunftsträume verstricken lassen. Man denke an die modernen Parallelerscheinungen zu diesen priesterlichen Utopisten, an Fourier, der die Erde mit dienstfertigen Antilöwen bevölkerte und das Salzwasser des Ozeans in süße Limonade verwandelt sah, ja sogar den Menschen der Zukunft eine Größe von drei Metern prophezeite; oder an Godwin, der es fertig brachte, den Menschen die körperliche Unsterblichkeit zu verheißen, ganz so, wie es die Christen der römischen Kaiserzeit von ihrem Zukunftsstaat erhofften!

Auch ist die Vorstellung von diesem christlichen Zukunftsstaat gewiß durch sozialistische Masseninstinkte stark beeinflußt worden. Das Genughaben aller und die gemeinschaftliche Beteiligung aller an allen Lebensgütern, die Beseitigung aller sozialen und ökonomischen Gegensätze verwirklicht neben der religiösen Gemeinschaftsidee zugleich ein ausgesprochen soziales Ideal. Wie schon nach Philo der messianischen Ära diejenigen gewürdigt werden, die sich bereits jetzt zu einer kommunistischen Lebenspraxis entschließen,181 so hat der »in der Nachfolge der jüdischen Sibylle dichtende« christliche Verfasser einer Idealschilderung des Gottesreiches den kommunistischen Charakter desselben verherrlicht. Da wird »die Erde gleich für alle sein, das Leben gemeinsam und der Reichtum überflüssig sein, es gibt keinen Bettler und keinen Reichen mehr, keinen Herrn und keinen Knecht, keine Großen und keine Kleinen, keine Könige und keine Obern, sondern alle sind gleich.«182[495] Ebenso hat Laktanz gerade die Gemeinschaft des Lebens und der Güter betont, durch die hier gemäß dem ursprünglichen Willen Gottes die Erde wirklich zu einem Gemeingut wird.183

Daher konnten sich auch die Christen mit Recht darauf berufen, daß ihr Zukunftsstaat in vollendeter Weise die Gemeinschaft aller Güter verwirklichen werde, die nach griechisch-römischer Ansicht dereinst im goldenen Zeitalter des Kronos und Saturn bestand, aber unwiederbringlich verloren sein sollte.184 Die Dichter, die das goldene Zeitalter besangen, haben nach der Ansicht des Laktantius nur darin geirrt, daß sie dasselbe in die Vergangenheit verlegten. Er meint, sie hätten nur die Weissagungen der Propheten mißverstanden, die in der Ekstase der Visionen die zukünftigen Dinge als etwas bereits Vollendetes erschauten und demgemäß darstellten, wodurch sie die Meinung erweckten, daß die von ihnen geschilderten Zustände der Vergangenheit angehörten!

Aber wenn auch dieses Ideal der Dichter unter der Herrschaft eines Menschen niemals realisiert gewesen sein kann, so werde es doch in dem Moment, wo die Gottesherrschaft auf Erden beginnt, zur vollen schönen Wirklichkeit werden. Da sieht Laktantius das goldene Geschlecht aufblühen, das nach der berühmten von den Christen als Prophezeiung auf Christus gedeuteten Weissagung der vierten Ekloge Vergils185 der an der großen Wende der Zeiten erwartete Göttersproß heraufführen sollte.


»Da wird der Schiffer vom Meere weichen und keine befrachtete Fichte wird mehr dem Warenaustausch dienen. Man bedarf nicht mehr der Hacke auf der Feldflur, noch der Hippe im Weinberg, und vom Joche löst die Stiere der stämmige Pflüger. Denn alles allüberall gewährt freiwillig die Erde.«


Und Laktantius vergißt nicht hinzuzufügen, daß der Poet sein Wissen von der Sibylle habe: ein höchst bedeutungsvoller Zusatz, durch den das dichterische Ideal kommunistischer Leidlosigkeit geradezu kanonisiert wird, da ja für die Christen die Sibylle Trägerin göttlicher Offenbarung war.

Wenn diese sozialistische Auffassung der Gottesherrschaft unter den literarischen Vertretern des Christentums eine so verbreitete war, daß Laktantius meint, ein Buch würde nicht hinreichen, die Zeugnisse der vielen zu sammeln, die übereinstimmend Gleiches darüber gesagt,186 wie[496] mag da erst die faszinierende Idee von dem kommunistischen Paradies auf Erden die Phantasie der gedrückten und notleidenden Massen beherrscht haben!

Ein demokratischer Kollektivismus, d.h. die Vergesellschaftung aller Lebensgüter als Endziel und der gewaltsame Umsturz durch ein Wunder von oben als Weg zum Ziel, das war ein Programm, das neben dem Heil der Seele und der Unsterblichkeitshoffnung in der größten Massenbewegung, die die Welt jemals gesehen, gewiß als eine treibende Kraft ersten Ranges gewirkt hat. »Wenn eine Lehre die Menschen hinreißt,« sagt Taine, »so liegt das an den Versprechungen, die sie ihnen macht.« Und wann sind je der Menschheit glänzendere Versprechungen gemacht worden als den christlichen Massen der Kaiserzeit, die unzweideutige Verheißungen ihrer heiligen Schriften mit der kühnen Hoffnung erfüllt hatten, den »Himmel auf Erden« womöglich noch selbst zu erleben?

Welche massenpsychologischen Kräfte neben der Wunderkraft der Christusmystik die kommunistische Gottesreichsidee entfesselt hat, zeigt allein die Tatsache, daß die Masse der Kleinen und Niedrigen diese große Volkshoffnung Jahrhunderte hindurch gegen alle Versuche der Umdeutung und Vergeistigung zäh verteidigt hat, durch welche in der späteren Kaiserzeit die philosophische Theologie und die aristokratisch gewordene Kirche den ihr unbequemen Chiliasmus beiseite zu schieben suchte.187 In Ägypten z.B. hat sich noch im 3. Jahrhundert eine Reihe christlicher Gemeinden des Distrikts Arsinoe auf das leidenschaftlichste gegen die Bestrebungen des Bischofs Dionys von Alexandria gewehrt, dem armen Volk diese beglückende Illusion zu nehmen!188 Diese »einfältigen Brüder«, wie der Bischof sie nennt, wollten es sich nicht nehmen lassen, »kleinliche, hinfällige und den gegenwärtigen ähnliche[497] Dinge im Reiche Gottes zu hoffen«,189 so daß es zum Schisma und zum Abfall ganzer Gemeinden kam. Hat doch ihr geistlicher Führer, der Bischof Nepos, damals noch ein eigenes Buch zur Verteidigung des christlichen Utopismus geschrieben, das den Gegnern auf der Synode, auf der man »drei Tage ununterbrochen vom Morgengrauen bis zum Abend« über die große Frage debattierte, wie »ein Schild und eine unübersteigbare Mauer« entgegengehalten wurde. Und im Abendland sind ja die chiliastischen Hoffnungen noch weit über das 3. Jahrhundert hinaus lebendig geblieben.190

Hatte doch die Masse ein unwiderlegliches Zeugnis am Evangelium, nach dem der Heiland selbst, ebenso wie sie, an den gemeinsamen Genuß leiblicher Güter im seligen Zukunftsreich und an eine »Erneuerung« (Palingenesie!) der irdischen Schöpfung geglaubt191 und den Seinen verheißen hatte, daß er mit ihnen »von dem Gewächs des Weinstocks neu trinken werde im Königtum Gottes«,192 d.h. daß man auch hier essen und trinken und sich freuen und als Mensch, nicht als Geist leben werde.193 Mit vollem Fug und Recht durfte der einfache schriftgläubige Mann die Frage aufwerfen und mit Irenaeus194 bejahen: »Warum sollte der Gott, den wir hier um das Brot bitten, uns im Gottesreich weniger Trank und Speise bescheren?« Und wie auf das Evangelium, so konnte sich das christliche Volk auf die Apokalypse des Johannes berufen, die jedem, der »die Worte der Weissagung dieses Buches gehört«, so energisch bedeutete: »Wenn einer etwas zusetzt, dem wird Gott zusetzen die Plagen, die in diesem Buche beschrieben sind; und einer wegnimmt von den Worten des Buches dieser Weissagung, dem wird Gott wegnehmen seinen Anteil am Holze des Lebens und an der heiligen Stadt, die in diesem Buche beschrieben sind.«195

Die »philosophisch« gewordenen Theologen hätten ja diese Offenbarung am liebsten verworfen, deren Prophezeiung des Unterganges Roms so gar nicht mit der Tatsache eines christlich gewordenen Roms übereinstimmte. Sie schoben ihr unbekümmert um die Drohung des[498] Propheten einen »geheimen Sinn« unter, wie eben der genannte Dionys.196 Der einfache Mann aber dachte naturgemäß anders. Er ließ sich nicht so leichten Kaufes gerade die volkstümlichsten Verheißungen wegdisputieren, die nun einmal die Schrift als echtes jüdisch-hellenistisches Volksbuch enthielt. Für ihn hatte die goldstrahlende Märchenstadt mit ihren Unsterblichkeit und üppigsten Fruchtsegen spendenden Lebensbäumen dieselbe Realität wie für den Propheten, der ihn im Falle des geringsten Zweifels mit dem Ausschluß von dieser Wonnestadt und zudem noch mit furchtbaren Strafen bedrohte.

Und warum hätte er auch nicht jene Verheißungen der Schrift begierig aufnehmen sollen, die den Mühseligen und Beladenen die »Rettung« aus aller Not und Qual des gegenwärtigen Daseins und die denkbar glänzendste Verwirklichung des Rechtes auf die Lebensgüter verbürgten, das ihnen bis zu einem gewissen Grade wenigstens schon in der Gegenwart die Predigt des christlichen Liebeskommunismus zusprach, aber gegenüber der »Gottlosigkeit« und »Ungerechtigkeit« des »Mammons« nicht entfernt in dem Maße realisieren konnte, wie es dem Wünschen und Sehnen so vieler entsprochen hätte?

Mit dem religiösen Gedanken und mit der Weltverneinung verband sich hier eben ganz naturgemäß eine kindlich naive Weltbejahung, eine Sehnsucht nach Glück, nach Freude, nach Freiheit, die lebhaft an die Phantasien der armen Schneiderseele erinnert, in denen der unausrottbare Wille zu leben, und zwar glücklich zu leben, einen ganz ähnlichen apokalyptischen Ausdruck gefunden hat wie bei den Christen der römischen Kaiserzeit. Auch ihnen wäre es aus innerster Seele gesprochen gewesen, was Weitling, der im »Evangelium eines armen Sünders« ja ausdrücklich die urchristliche Gütergemeinschaft als sein Ideal verkündet, in seinen »Garantien der Harmonie und Freiheit« gesagt hat: »Frei wollen wir werden wie die Vögel des Himmels, sorgenlos in heitern Zügen und süßer Harmonie durchs Leben ziehen wie sie.« Auch ihr Sinn ging dahin, endlich »Subjekt in Staat und Gesellschaft zu werden, da sie sich bisher nur als Objekt fühlen durften«.197 Was waren die lockenden Bilder vom göttlichen Zukunftsstaat, den ihnen Propheten, Sibyllen und so viele ihrer eigenen Führer verkündeten, anders als »Hymnen aufs Glück«, die die Kinder Gottes »aus der Öde des Alltagslebens hinüberführten in den sonnigen Himmel erträumter Freude, erträumter Glückseligkeit,[499] in einen Himmel, der hier auf Erden liegt, und der hinter dem Fegfeuer der kapitalistischen Welt sich auftut«?198 Hier wurden Töne angeschlagen, die – so verschieden auch der Geist der Verfasser – in gewissem Sinne doch an die wundervollen Heineschen Strophen erinnern, von denen man mit Recht gesagt hat, daß sie gleichsam die Quintessenz aller sozialistischen Heilslehren enthalten:


»Ein neues Lied, ein besseres Lied,

O Freunde, will ich euch dichten.

Wir wollen hier auf Erden schon

Das Himmelreich errichten.


Wir wollen auf Erden glücklich sein

Und wollen nicht mehr darben,

Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,

Was fleißige Hände erwarben.


Es wächst hienieden Brot genug

Für alle Menschenkinder,

Auch Rosen und Myrthen, Schönheit und Lust

Und Zuckererbsen nicht minder.


Ja Zuckererbsen für jedermann,

Sobald die Schoten platzen.«


Das ist das Zukunftsland, wo die »erneute Erde ungehindert dient den Gerechten«,199 wie es noch nach Irenaeus und Laktantius den Kindern Gottes als »Erbteil« verheißen ist,200 die »jetzt hier kein Erbe haben, aber einst erhalten werden«,201 wenn – wie es ihnen in der Petrusapokalypse Christus selbst versprach202 – »Gott kommen wird zu seinen Gläubigen, zu den Hungernden und Dürstenden und Leidtragenden«.[500]

Und dieses Erbe bedeutete für sie wohl ein wohlerworbenes Recht, eine Ausgleichung der Härten und Widersprüche des gegenwärtigen Lebens durch den Erlöserkönig, eine Umkehrung irdischer Lebenslose und Machtverhältnisse, bei deren Verteilung sie selbst so oft zu kurz gekommen waren. Die Erniedrigung wird zur Staffel der Erhöhung.203


»Weil wir dulden, werden wir mitherrschen.«204 – »Die Welt soll von euch gerichtet werden.«205 – »Seht an, liebe Brüder, eueren Beruf: Nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle sind berufen, sondern, was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählet, damit er die Weisen zuschanden mache. Und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählet, damit er zuschanden mache, was stark ist.«206 – »Das Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählet, und das da nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist.« – Und so »werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein«.207


So hieß es in der Schrift; und die Prediger des kommunistischen Gottesstaates haben diesen Gedanken der Ausgleichung ungescheut auch auf das wirtschaftliche und soziale Gebiet angewandt. Die gerechte Ausgleichung ist für sie nicht bloß der Lohn für das in der Verfolgung erlittene Glaubensmartyrium, sondern auch für das Martyrium der Not und wirtschaftlichen Verkümmerung.


»Es ist gerecht,« – sagt Irenaeus – »daß sie in der nämlichen Schöpfung, der sie gearbeitet und Bedrängnis erlitten haben, auf alle Arten geprüft im Dulden, auch die Früchte ihrer Geduld empfangen, und in der nämlichen Schöpfung, in der sie getötet wurden, wegen ihrer Liebe zu Gott auch lebendig gemacht werden, und in der nämlichen Schöpfung, in der sie Knechtschaft erduldet haben, auch herrschen.«208


»Die ganze Welt mit all ihren Schätzen gehört den Gläubigen, den Ungläubigen auch nicht ein Heller,« – so hatte man schon in jüdischen Kreisen gedacht;209 und es entsprach nur der Gleichung: reich und gottlos, arm und fromm, daß man christlicherseits diesen Grundsatz auch gegenüber der »Ungerechtigkeit« (iniquitas) der »schlechten« Reichen geltend machte, die »das Geld in schlechter Weise besitzen«, die man[501] eben nur so lange dulden müsse, bis »die Frommen, denen von Rechts wegen alles gehört, zu der Stadt gelangen, wo ihr ewiges Erbteil sich befindet, wo alle Bewohner in Wahrheit ihr Eigentum besitzen«.210

Ließ sich doch für das Prinzip der Ausgleichung der irdischen Lebenslagen ebenfalls die Schrift als Zeugin anführen! Im Lukasevangelium wird dem Jesuskind geweissagt, daß es die Zeit heraufführen werde, in der Gott


»Die Mächtigen vom Throne stürzt und die Armen erhöhet,

Hungernde mit Gütern füllt und die Reichen leer wegschickt,«211


d.h. die Erlösung kommt zu den Armen, und zwar eben deshalb, weil sie arm sind, – und, wie wir hinzufügen dürfen, weil man ohne »Ungerechtigkeit«, d.h. ohne Verletzung der radikalen Liebespflicht, überhaupt nicht reich sein kann. Und derselbe Gedanke kehrt wieder in den berühmten von Lukas oder seiner Vorlage Jesus selbst in den Mund gelegten Seligpreisungen:


»Heil euch Armen; denn euer ist das Königtum Gottes.

Heil euch Hungernden; denn ihr sollt voll werden.

Heil euch Weinenden; denn ihr sollt lachen.«212


In der Tat ein echtes und rechtes Evangelium der Armen, dem auf der andern Seite ein dreifacher Weheruf über die Reichen entspricht:


»Weh euch, ihr Reichen; denn ihr habt eueren Trost dahin.

Weh euch, die ihr voll seid; denn euch wird hungern.

Weh euch, die ihr hier lachet, denn ihr werdet weinen und heulen.«213


Und dieses Reichenlos wird noch besonders eindringlich veranschaulicht in dem Gleichnis von dem reichen Mann und dem armen Lazarus, dessen Schwerpunkt ja auch in der so schroff wie möglich formulierten Erklärung liegt, daß derjenige, der in diesem Leben Gutes empfangen hat, dafür in jenem Peinigung, wer aber Böses empfangen hat, Tröstung zu erwarten habe!214

Man denkt bei dieser grundsätzlichen Verwerfung des Reichtums unwillkürlich an das Bild von den zwei Nationen, die durch eine unüberbrückbare Kluft voneinander getrennt sind. Und so kann man von diesem Evangelium der Armut sehr wohl sagen: Indem es den Armen die Hauptrolle auf der Weltenbühne zuschrieb, lieferte es dem antiken[502] Proletariat, soweit es von dem Glauben an den christlichen Zukunftsstaat erfüllt war, gewissermaßen sein Dogma, sein Stichwort und gab ihm damit das in der Sphäre des Absolutismus mehr oder minder erstickte Bewußtsein seiner selbst zurück, den Glauben an sich und seine Zukunft. Wie müssen auf die Masse Worte gewirkt haben wie die:


»Ihr wisset, daß die weltlichen Fürsten herrschen; und die Mächtigen unter ihnen haben Gewalt. Aber also soll es unter euch nicht sein; sondern wer will groß werden unter euch, der soll euer Diener sein;215 und so jemand will der Erste sein, der soll der Letzte sein vor allen und aller Knecht.«216


Die revolutionäre Ideologie des Gotteskönigtums zog in dem Proletarier und Kleinbürger vielfach ein Klassenbewußtsein groß, das eigentlich nur ihn und seine Schicksalsgenossen als das wahre Volk Gottes, als die zur Herrlichkeit seines Reiches Berufenen gelten ließ.

»Wenn man uns als Arme verspottet« – sagt Minucius Felix –, »so ist das gerade unser Ruhm.«217 Und die Aufforderung des Jakobusbriefes,218 »der Bruder, der niedrig ist, rühme sich seiner Höhe«, fand bei vielen einen Widerhall, der noch ganz andere Gefühle auslöste als die vom Evangelium geforderte Demut. In einer christlichen Schrift »über die Verkehrtheiten der Zeit« wird ausdrücklich der »hochmütige Arme« als Typus solcher Verkehrtheit bezeichnet. Es sei lächerlich, wenn der vom Elend zu Boden gedrückte Proletarier hochmütig sei. Wer »sich überhebt, gehe der Seligkeit der Armut verlustig«.219 Denn mehr noch als die Armut (also doch auch diese!) gebe die Demut Anspruch aufs Gottesreich. Die Armen werden daher eindringlich ermahnt, sich selbst zu prüfen und nicht in hoffärtiger Aufgeblasenheit auf das herabzusehen, was ihnen unerreichbar ist.220 Und nicht minder scharf wendet sich Clemens von Alexandria in der Schrift über die »Rettung« der Reichen gegen die offenbar recht zahlreichen Christen, die sich gegen jene voll Dreistigkeit und Stolz erhöhen.221 Augustin vollends sieht sich immer wieder von neuem genötigt, dieser »Überhebung« eines ausgesprochen klassenkämpferisch gestimmten Proletariates entgegenzutreten.[503] »Verachte nicht« – sagt er – »die barmherzigen Reichen, die demütigen Reichen, um es kurz zu sagen, verachte nicht die armen Reichen. O Armer, sei auch du arm, d.h. demütig.«222 Gleichzeitig mahnt er die Besitzenden, die gereizte Stimmung der Massen nicht zu ignorieren, sondern sie durch Wohltun zu mildern, damit sich nicht die Kluft zwischen arm und reich noch mehr vertiefe und dem Klassenhaß neue Nahrung zugeführt werde.223

Aber wie hätte man damals inmitten der ungeheuren Krisis einer verfallenden Welt die Geister wieder loswerden können, die man selbst beschworen hatte? Nicht umsonst hatte man Jahrhunderte hindurch den Massen eine radikale Gleichheitsidee und den Abscheu gegen den »Reichtum« gepredigt. Nicht umsonst hatte man immer wieder von neuem ihre Phantasie mit den lockenden Bildern eines kommenden Paradieses erfüllt und den gewaltsamen Umsturz als einzigen Ausweg aus der Wüste proklamiert.224 War da zu erwarten, daß diese hoffnungsloser Proletarisierung verfallenen Massen den idealen Glückstraum von einem Reich der Gerechtigkeit und Gleichheit auf Erden ebenso bereitwillig über Bord werfen würden, wie es die zu Macht und Reichtum und zum Bund mit dem Absolutismus emporgestiegene Kirche tat? Den Priestern konnte es nur erwünscht sein, daß dasselbe Rom, das nach ihrer eigenen heiligen Schrift noch im Laufe der römischen Kaiserzeit vom Erdboden verschwinden und eine Stätte von unreinen Vögeln und Teufeln werden sollte, ein hierarchisches Machtzentrum und eine neue Zwingburg der Völker wurde, von der aus man in der Tat, wie es die Apokalypse für das Gotteskönigtum verhieß, die Heiden und »Ungläubigen« »mit eiserner Rute weiden durfte«. Sie konnten sogar für ihre Kirche den ungeheuerlichen Anspruch erheben, selbst der irdische Gottesstaat zu sein, und das von Jesus für diese Erde verheißene Königtum Gottes gegen den klaren Wortlaut der Schrift in die Wolken des Himmels verweisen.225 Aber nicht ebenso leicht wurde es[504] ihnen, das proletarische Ideal, das sich nun einmal seit der frohen Botschaft des Evangeliums mit der Gottesreichsidee verband, aus den Herzen zu reißen. Hier war der Massenwille und die Autorität der Schrift stärker als der Priesterwille.

Nachdem man solange im Glauben an die Reichsbotschaft einem Phantom nachgejagt und die große Volkshoffnung immer wieder hatte vertagen müssen, gab es in den christlichen Massen leidenschaftliche Gemüter genug, die es satt hatten, auf die große Zukunft mit träumender Seele zu harren, und allen Ernstes die Frage aufwarfen, ob man denn nicht, wenn nun einmal das kommunistische Gottesreich nicht kommen wollte, durch eigene Kraft einen Zustand der Gerechtigkeit, Gleichheit und Zufriedenheit auf Erden herbeiführen könne: statt der Katastrophe von oben durch den Umsturz von unten! Und dieser Übergang von der Utopie zur Praxis lag ja in der Zeit Augustins nahe genug.

Das in seinen Grundfesten erschütterte römische Reich ging rettungslos der Auflösung entgegen. Die Bande staatlicher und gesellschaftlicher Ordnung begannen sich zu lockern, und in ganzen Provinzen – man denke an die Bagauda in Gallien und die Circumcellionen226 in Afrika! – erhoben sich die geknechteten und ausgebeuteten Massen in offener Rebellion gegen die Tyrannei des Staates und der herrschenden Klassen. Ist es da – angesichts der Ideen, die das Christentum in die Masse geworfen hatte – zu verwundern, daß in dem christlichen Proletariat, das in diese revolutionäre Bewegung hineingezogen wurde, vielfach geradezu kommunistische und sozialistische Umsturzideen zutage traten?227

Die armen christlichen Bauern, Proletarier und Sklaven Afrikas, die die zerrüttenden Glaubenskämpfe zwischen den sogenannten Rechtgläubigen und den Donatisten im Bunde mit letzteren zu einer allgemeinen Empörung benützten, erhoben auf Grund des christlichen Gleichheitsprinzips dieselben radikalen Forderungen, wie einst die attischen Feldarbeiter in der Zeit Solons. Sie wollten von einer Ungleichheit überhaupt nichts mehr wissen; die Standesunterschiede sollten fallen und reich und arm in allem gleich werden!228 Vergebens predigte[505] ihnen Augustin, der Reichtum sei nicht so beglückend, wie man wohl glaube. Die Armen hätten mit den Reichen nicht die Welt, nicht die Häuser, sondern nur den Himmel und das Sonnenlicht gemein. Sie sollten sich mit dem Notwendigen begnügen und nicht mehr begehren.229 Der Arme schlafe ruhig und sorgenfrei auf der Erde, während der Reiche von Sorgen gequält werde.230

Was bedeutete diese schwächliche Logik gegen den fanatischen Glauben an den gottgewollten Urzustand der Gleichheit, gegen das stürmische Begehren leidenschaftlich erregter Massen, mit dem so lange verheißenen Himmel auf Erden,231 mit dem man dem Proletariat der »simplices et rudes« sein Dogma und sein Stichwort gegeben, nun endlich einmal ernst zu machen?

Hier tritt uns mit einem Male in dem zerfallenden Cäsarenstaat der Mustertypus einer proletarischen Revolution entgegen, das Massenmachtbewußtsein und der »dumpfe Massenschritt« der Proletarierbataillone, vor denen die bürgerliche Gesellschaft in ihren Grundfesten erzitterte. Mordend und raubend, brennend und sengend durchzogen die Rebellen das Land. Die Kolonnen fielen über die Landeigentümer her, die Sklaven über ihre Herren und die Besitzenden wurden von den Führern der »Heiligen«, wie sie sich nannten, mit furchtbaren Drohbriefen überschwemmt, die sie zwangen, ihren Schuldnern alle Verpflichtungen zu erlassen, wenn sie sich nicht schweren Mißhandlungen aussetzen oder ihre Häuser in Brand gesteckt sehen wollten. Um das neue Zeitalter der Gleichheit recht sinnenfällig vor Augen zu führen, zwangen die Banden, wenn sie z.B. einer Sänfte begegneten, die Insassen, die Rolle der Träger zu übernehmen; und die Sklaven und Hörigen nötigten ihre Herren, an ihrer Stelle die schwere Arbeit zu verrichten. Sie banden sie an die Räder der Mühlen, während sie selbst sich gütlich taten, wie sie denn überhaupt alles, was eßbar und trinkbar war, zum Gemeingut machten.232 »Die Wallfahrten zu den Gräbern der Heiligen verwandelten sich in Feldzüge gegen die Reichen.«233 Mit einem Schlag trat jetzt all die verborgene Sehnsucht zutage, die sich in diesem Proletariat von einer Generation zur andern vererbt hatte. Der »glühende Wunsch der[506] Gedrückten, Armen und Sklaven«, den man treffend in die Worte Tertullians zusammengefaßt hat:234 »Volumus non diutius servire, optamus maturius regnare!«235 Sie fühlten sich als Vollstrecker des göttlichen Gerichtes über die Reichen, von dem man seit den Tagen Jesu so unermüdlich, so vieles in Schrift und Wort gepredigt hatte.

Freilich zeigte sich auch hier wieder, wie zu jeder anderen Zeit, daß eine Diktatur des Proletariats auf die Dauer unmöglich ist und eine wirkliche Befreiung von menschlicher Erniedrigung und menschlichem Elend niemals bringen kann. Selbst der Glaubensfanatismus christlicher Proletarier hätte die ehernen Klammern, die nun einmal die auf der Ungleichheit aufgebaute Gesellschaftsordnung zusammenhalten, nicht zu zerbrechen vermocht, auch wenn der unterwühlte Bau des römischen Staates nicht unter den Fäusten der Barbaren zusammengebrochen wäre.

Wie hätte sich aber die menschliche Illusionsfähigkeit jemals mit einem solchen Ergebnis begnügt! Sie ist auch nach der blutigen Niederwerfung der afrikanischen Gleichheitsfanatiker in gewissen christlichen Kreisen so mächtig gewesen, daß noch am Anfang des 5. Jahrhunderts ein christlicher Autor mit leidenschaftlicher Energie die Ideen eines radikalen christlichen Sozialismus verkündet hat, in einer Schrift, die von eminentem geschichtlichen Interesse ist, weil sie mit rücksichtsloser Schärfe eine theologische Exegese bekämpft, die den aus dem Neuen Testament eben doch nie ganz auszumerzenden sozialen Radikalismus möglichst abzuschwächen und zu verschleiern sucht, und weil sie noch einmal deutlich erkennen läßt, wie dieser Radikalismus mit einer gewissen psychologischen Notwendigkeit zur grundsätzlichen sozialen Verneinung führen mußte.236

Die merkwürdige Schrift, die, wie damals so viele andere, vom Reichtum handelt,237 weist vor allem darauf hin, daß der Weheruf des Evangeliums über die Reichen sich auf alle ohne Unterschied, nicht bloß auf die »schlechten« Reichen bezieht, daß nach dem Worte Jesu vom Kamel und Nadelöhr der Eingang eines Reichen ins Gottesreich unmöglich sei, daß das von der heiligen Schrift bezeugte kommunistische Verhalten der ersten christlichen Gemeinde und das Vorbild Jesu selbst alle Christen für alle Zeiten zu gleichem Tun verpflichte.238 Daher verlangt[507] er kategorisch von allen Besitzenden, daß sie sich ihres Eigentums zugunsten aller entäußern, und er begründet diese Forderung zugleich in der uns bereits bekannten Weise mit dem Naturrecht. Im Naturgesetz wurzeln die Ideen der Gerechtigkeit und Gleichheit, mit denen nach seiner Ansicht der Unterschied von arm und reich unvereinbar ist. Der gerechte Gott hat uns den gemeinsamen Besitz von Licht und Luft und die Gleichheit im Besitz der übernatürlichen Güter gegeben und er hat eben damit kundgetan, daß er auch die Gleichheit und Gemeinsamkeit alles irdischen Besitzes will.239 Die bestehende Ungleichheit ist daher lediglich ein Produkt des Unrechtes, der Anmaßung und Usurpation. Wenn wir die allein richtige, d.h. dem Gesetze Gottes und der Natur entsprechende Gesellschaftsordnung hätten, würde niemand mehr haben, als notwendig ist.

Das ist die Zauberformel, von deren Verwirklichung der Verfasser die Wiederherstellung der natürlichen Harmonie des Gesellschaftslebens und damit auch das Glück und Genughaben aller erhofft. Denn, »wenn niemand mehr hat, als nötig ist, so werden, was nötig ist, alle haben. Man beseitige die Reichen und es gibt keinen Armen mehr! Denn wenige Reiche sind die Ursache von vielen Armen«,240 d.h. es bedarf nur eines herzhaften Entschlusses, um das kommunistische Zukunftsreich zur Wirklichkeit zu machen, das die Gesellschaft auf ihre »natürliche« Basis stellen würde.

Der alte Irrwahn, der uns in der Geschichte des Sozialismus immer wieder von neuem begegnet, daß Glück und Leid des Menschengeschlechtes im wesentlichen bedingt ist durch die äußere Ordnung des menschlichen Lebens. Nur weil diese Ordnung so unvollkommen ist, ist Elend und Not noch nicht überwunden. »Schafft eine neue Ordnung und ihr werdet Wunder erleben«,241 dieser Glaube ist das Erbe, das der antike Sozialismus allem späteren hinterlassen hat. Es ist derselbe Glaube, der die chiliastischen Schwärmer des Mittelalters und später die münsterschen Wiedertäufer beherrscht hat, durch die das kommunistische Gottesreich auf Erden zu grauenvoller Wirklichkeit geworden ist. Derselbe Glaube, der noch heute in zahllosen Menschenherzen kaum weniger lebendig ist, als einst in der römischen Kaiserzeit die Hoffnung der Christen auf das »Königtum Gottes« – die größte Massenillusion der Weltgeschichte![508]


Quelle:
Robert von Pöhlmann: Geschichte der sozialen Frage und des Sozialismus in der antiken Welt, München 31925, Bd. 2.
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