Balder

[44] Balder, eine germanische männliche Gottheit, auch Phol, Vol genannt, ein Gott der Jahresfülle im Sommer, altnordisch Baldur. Er ist der Sohn Odhins und der Frigg, der Gott der Frömmigkeit und Unschuld. Er ist so licht und lieblich von Antlitz, dass weithin heller Glanz von ihm ausstrahlt, Leib und Haare von reinster Schönheit. Niemand vermochte ihn je zu tadeln, so weise und milde ist er und zugleich der beredteste der Asen. Aber die besondere Eigenschaft wohnt ihm bei, dass seine Urteilssprüche niemals gehalten werden können. In seinem himmlischen Wohnsitz Breidhahlik wird nichts Unreines geduldet. Sein Weib ist die treue Nanna, d.h. die Kühne. B. wurde überall im Norden verehrt. In Norwegen hatte er einen weitberühmten Tempel, Baldrshagi, Baldersgehege, eine eingehegte Friedstätte, die niemand schädigen durfte. Die Sage von seinem Tode ist eng mit der germanischen Mythe vom Weltuntergang verbunden; B. war erschreckt über seine Träume, dass seinem Leben und damit allen Göttern Gefahr drohe; da hielten diese Rat und beschlossen, ihm Sicherheit gegen alle Gefahr zu erwirken. So nahm Frigg Eide von Feuer und Wasser, von Eisen und Erzen, Steinen und Erden, von Bäumen, Krankheiten und Giften, dazu von allen vierfüssigen Tieren, Vögeln u. Würmern, dass sie Balders schonen wollten, – nur von einer Staude, östlich von Walhalla, Mistiltein genannt, als zu jung, nahm er keinen Eid. Als die Götter nun mit Balder, der mitten im Kreise vor ihnen stand, Kurzweil trieben und nach ihm schossen, hieben und Steine warfen, ohne dass es ihm schadete, verdross es Loki. Er erfuhr von jener Staude, riss sie aus und gab sie Hother, dem blinden Bruder Balders. Hother nahm den Mistelzweig und schoss damit nach Balder auf Lokis listigen Rat. Balder, davon getroffen, sank tot zur Erde. Als das die Götter sahen, standen sie alle sprachlos, und aus Schmerz vergassen sie ihn aufzuheben. Dann begannen sie so heftig zu weinen, dass keiner dem anderen seinen Schmerz klagen konnte. Als sie sich erholt, brachten sie Balders Leiche auf Hringhorn, das grösste aller Schiffe; es aber vom Strande zu stossen, um die Leiche zu verbrennen, gelang ihnen nicht, bis ein Riesenweib, aus Jötunheim herbeigerufen, das Schiff im ersten Anfassen weit vorwärts stiess, dass Feuer aus den Walzen fuhr und die Länder zitterten. Bei diesem Anblick brach Nanna vor Jammer das Herz, dass sie starb. Da ward auch sie auf den Scheiterhaufen gelegt und Feuer darunter angezündet, auch Balders Hengst, vollkommen geschirrt, zum Scheiterhaufen geführt. Balder wird als das Licht in seiner Herrschaft gedeutet, sein Tod als Neige des Lichts. Sein Bruder Hother, als das Dunkel des Winters, ist lichtlos; seine einzige Waffe, die an ihm haftet, ist ein Symbol des düsteren Winters. Die Mistel, die im Winter wächst und reift, die darum auch das Licht nicht zu fördern scheint, ist allein für Balder nicht in Pflicht genommen. Vgl. Grimm und Simrock, Manhardt, Götterlehre, 253.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 44.
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