Beinkleider

[55] Beinkleider. Die alten Germanen entbehrten noch, abgesehen von der ohne Zweifel auch bei ihnen vorhandenen Hüftbedeckung, dem bruoch, der eigentlichen Beinbekleidung; vom König der Langobarden, Adeloald, wird erzählt, dass er zuerst Hosen getragen habe und dass die Langobarden fortan gerade diese Bekleidung, hosis genannt, vor allem schätzten. Dieses Wort bezeichnet die enganliegende Bedeckung des Unterschenkels, gegenüber der Hüftbedeckung, ahd. pruoch, und ist durch die germanischen, romanischen und keltischen Sprachen verbreitet; seine ursprüngliche Bedeutung und die eigentliche Heimat ist dunkel. Die Annahme der Hosen durch die Langobarden ist aber Nachahmung römischer Bekleidungsweise. Die Hosen hatten die Gestalt von Kreuzbinden, welche je nach dem höhern Range an Höhe und künstlicher Windung zunehmen. Karl d. Gr. trug linnene Unterhosen, darüber Beinkleider mit Binde; das Volk überhaupt kleidete sich entweder ebenso, oder es trug nach byzantinischer Art lange Strümpfe in der Weise der Tricots bis zur Mitte der Oberschenkel, wo sie mit Schnürriemen an den Bruch angeheftet wurden, oder ähnliche weite Beinkleider, wie die heutigen sind, welche auch den Unterleib umschlossen. Immer erstreckte sich das Beinkleid unterwärts entweder über den ganzen Fuss, oder die Zehen blieben unbekleidet. Die weite pumphosenartige Beinbekleidung war Tracht der Ärmern. Die Tricots oder Langstrümpfe waren von Wolle oder Seide, stets nur gewoben und buntfarbig, entweder eintönig, meist rot, oder durch einzelne Streifen und Linien verziert, oder beide Beinlängen verschieden gefärbt. In den hohen Ständen verschwand allmählich der Bruch ganz, man trug hier bloss noch eng anliegende Tricots, die oben an dem Hüftgürtel befestigt wurden. Mit dem Auftreten des französischen Kleidergeschmackes vom Beginn des 14. Jahrhunderts an, der sich durch das Prinzip eng anliegender Kleider kennzeichnet, wurde die enge Langhose womöglich noch enger, so dass Schamkapseln, franz. braquettes, deutsch Latz, nötig wurden; auch das war französisch, dass man die Beinlinge entweder über dem Knie trennte und beide Teile durch Nesteln und Bänder verband, oder über die ganzen Hosen noch eigene Oberschenkelhosen in verschiedener Färbung und Verzierungsweise zog. Im 16. Jahrhundert machte sich in Deutschland wie in den übrigen Ländern Europas ein Wandel zu bequemerer Tracht hin geltend. Oberkleider und Beinkleider wurden weit. Diese Bekleidungsart ging von[55] der jugendlichen freien Bürgerschaft und den Söldnern aus. Das lange Beinkleid wurde zuerst vor den Knieen ausgeschnitten oder geschlitzt, dann unter den Hüften und längs den Schenkeln zerschnitten. Der Schutz vor der Witterung wie der öffentliche Anstand verlangte aber, dass man die Schlitze mit Zeug unterlegte. Weiter ging es an die enge Oberschenkelhose, die ebenfalls zerschnitten und bis zu den Knieen verlängert wurde, bloss die Unterschenkelhose blieb eng, die Oberschenkelhose zerschlitzte man teils zu verschiedenen Figuren, teils zu verschieden breiten, senkrechten oder wagerechten Streifen; die Figuren waren Dreiecke, Vierecke, Sechsecke, Kreuze, Sterne, Blumen, Blätter, überall in den buntesten Farben verziert und die beiden Beinlängen wie früher oft ganz verschieden geschnitten und gefärbt. Gegen diese zerschnittenen Hosen vornehmlich wendete sich überall die Sittenpolizei, einzelne Reformationsmandate verboten sie, ebenso die Reichstage von Augsburg in den J. 1530 u. 1548. In einer vom Rat zu St. Gallen im Jahre 1527 erlassenen Ordnung heisst es: Es ist ufgesetzt und verordnet, dass alle burger und inwoner, so zerhowen oder abgehowen hosen oder wamesser habend, dieselben zerhownen hosen und wamesser widerumb zuosamen negen sollen lassen und hinfur kain zerhowen hosen noch wamesser tragen sollend an 3 pfd. denar zuo buoss von jedem mal, so dick (oft) das beschicht Man sol och weder hie noch anderswa kain zerhowne klaider machen lassen und mag man die schnider darumb aiden. Dessglichen sol och kain schnider kainem burger ain so groben und wuosten latz an die hosen, sunder hinfur zimlich machen, an dieselben buoss. Dr. Andreas Musculus, Professor zu Frankfurt, gab im J. 1556 eine von ihm gehaltene Predigt im Druck heraus: Vom zerlöcherten, Zucht- und Ehrvergessenen pludrigten Hosenteufel, Vermahnung und Warnung. Die Sache wurde aber eher ärger; während man den untern Stoff durch die Menge der Schlitze bis jetzt nur leichthin hervorgezogen hatte, vereinfachte man jetzt die Schlitze nach Zahl und Gestaltungsweise, erweiterte sie ansehnlich und bauschte die untern Stoffe aus ihnen in möglichster Breite heraus, so dass sie überall sackartig, flatternd herabhingen. Das war die eigentliche Pluderhose; sie soll 1553 im Lager des Kurfürsten Moritz von Braunschweig vor Magdeburg entstanden sein. Die Landsknechte trugen sie so, dass die Schlappen bis zu den Knöcheln herabhingen und für den Unterstoff bis 40 Ellen Tuch verwendet wurde. Mit dem Erlöschen des freien Söldnertums erlosch endlich diese Tracht, am längsten währte sie in der Schweiz. Selbstverständlich nahmen nicht alle Stände an dieser Verzerrung Anteil, doch kam die Pluderhose auch bei Studenten, Bürgern, Adligen, Handwerksgesellen vor, während andere Kreise die älteren Formen des Beinkleides beibehalten hatten. Seidene gestrickte Hosen oder eigentliche Tricots, die aus England oder Frankreich kamen, gab es in Deutschland seit dem Ende des 16. Jahrhunderts. In derselben Periode fing man in Deutschland an, dem versteiften spanischen oder spanisch-französischen Hosengeschmack zu huldigen. Selten trug man jedoch die glatten oder mit Bandstreifen dicht überzogenen, völlig straff ausgepolsterten Rundwülste; zumeist fanden die aus breiten Bändern mit lockerer Unterfütterung bestehenden kurzen Hosen Eingang, nächstdem aber die von den Hüften bis zu den Knieen sich verjüngende ausgepolsterte Pumphose als auch die völlig faltenlose, unten durchaus offene Kniehose. Im 17. Jahrhundert kam mit dem Stutzertum die französische Unterrock-Hose[56] auf, als Umschluss der Oberschenkelhose, nahezu weibischer Natur, durchgängig der Länge nach mehrfach gefältelt. Bloss die Landbevölkerung und die für sich abgeschlossneren alten Reichs- und Handelsstädte behielten Reste des altherkömmlich Bestehenden, während an den Höfen und in den höhern Ständen, besonders dem Beamtenstand, der französische Geschmack regierte, bis mehr und mehr eine allgemeine Ausgleichung der europäischen Moden eintrat. Weiss, Kostümkunde. Müller und Mothes, Wörterbuch, Artikel Beinkleider.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 55-57.
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