Orendel

[749] Orendel heisst eine byzantinisch-palästinische Dichtung des 12. Jahrhunderts, deren Verfasser, wahrscheinlich ein fahrender Spielmann, unbekannt ist. Sie verbindet mit der eigentlichen Orendelsage die Sage vom ungenähten Rock Christi. Das Gedicht beginnt mit Erzählung der seltsamen Schicksale des grauen Rockes Christi; Maria hat ihn gesponnen, die hl. Helene gewirkt. Christus hat darin die heiligen vierzig Tage gefastet; nach seinem Tode verlangt ein alter Jude von Herodes den Rock zum Lohne 23jährigen Dienstes. Der Jude wäscht ihn am Brunnen und breitet ihn an der Sonne, aber des Heilandes rosenfarbnes Blut bleibt daran. Da befahl Herodes den Rock fortzuschaffen, in einem steinernen Sarg wird er ins Meer versenkt: doch eine Sirene bricht den Sarg auf, der Rock schwimmt ans Ufer, wo ihn ein armer Waller als Gabe Gottes aufhebt; das rosenfarbne Blut, das dem Waschen widersteht, verrät ihm das Geheimnis; und sich unwürdig wähnend den heiligen Rock zu tragen, wirft er ihn wieder in die Flut. Ein Wal kommt, verschlingt ihn und trägt ihn mehrere Jahre im Magen, bis er dem Helden des Gedichtes zu teil wird.

Orendel ist der Sohn des Königs Eigel zu Trier an der Mosel. Als er zu seinen Jahren gekommen, soll er um eine ferne überm Meer wohnende Jungfrau werben, Breide mit Namen, der das heilige Grab und viel Heidenschaft dient. Mit freiwillig ihm folgenden Gefährten fährt er Mosel- und Rheinabwärts auf einer Flotte ins Meer: in der Nähe des gelobten Landes aber versenkt ein Sturm alle Schiffe, Orendel allein wird nackt ans Land getrieben. Hier tritt er in die Dienste eines Fischers und fängt bei seinem ersten Fang unter anderen jenen Wal, in dessen Magen der Rock gefunden wird. Orendel kauft diesen um dreissig Goldpfennige, welche ihm Maria durch den Engel Gabriel gesendet hat, zieht in dem Rock zum heiligen Grabe, besteht für die schöne Breide viele und ungeheure Kämpfe gegen die Heidenschaft und vermählt sich mit Breide, doch so, dass nach Geheiss eines Engels immer ein Schwert zwischen ihnen liegt. Sein Name ist der graue Rock. Nach vielen seltsamen Thaten und Wundern entsetzt er seinen Vater zu Trier von der Belagerung eines heidnischen Heeres, tauft die Heiden, die sich ihm unterworfen haben und lässt den grauen Rock auf den Befehl eines Engels hin zu Trier zurück. Noch befreit er das in die Gewalt der Heiden gefallene heilige Grab, in dessen Dienste er mit seiner Gattin lebt, bis die Engel ihre Seelen hinführen.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 749.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika