Herthvs

[1261] HERTHVS, i, eine Gottheit der alten Deutschen, welche nichts anders als die Erde war, deren Benennung vor Alters durch einen Hauchlaut ausgedrucket wurde, und die Römer nur nach ihrer Art endigten. Boxhorn. ad Tac. Germ. c. 40. Sie verehreten solche als ihre Mutter [1261] und glaubeten von ihr, daß sie sich der menschlichen Dinge annähme, und über die Völker waltete. Tacit. l. c. Ihr Dienst war auch bey allen nordischen Völkern üblich, ob sie gleich unter denselben mancherley Namen führete. Ol. Rudbeck. Atlant. P. II. c. 6. de Geolatria. Son derlich hat man eine Art dieses Dienstes für besonders merkwürdig gehalten. Auf einem Eylande des Oceans war ein heiliger Wald und in demselben ein geweiheter mit einer Decke behangener Wagen, welchen niemand als der Priester anrühren durfte. Wenn dieser merkete, daß die Göttinn in ihrem Heilig thume zugegen war, so ließ er sie mit vorgespanneten Kühen herumfahren und folgete ihr mit großer Ehrerbiethung. Alsdann waren allgemeine Freudentage, und an allen Orten, wo sie hinkam, wurde eine große Feyer angestellet. Man führete so lange keinen Krieg, ergriff keine Waffen, zog kein Schwert, sondern lebete in Friede und Ruhe, bis die Göttinn wieder in ihren Tempel, oder vielmehr Hayn, gebracht worden. Wenn das geschehen war, so wurde der Wagen nebst den Decken und die Göttinn selbst, wie man sagete, in einem abgelegenen See gewaschen. Dieser Dienst wurde durch Leibeigene verrichtet, welche selbst gleich von diesem See verschlungen wurden. Daher entstund ein geheimes Schrecken und eine heilige Unwissenheit, was doch das wohl seyn möchte, daß nur diejenigen sehen dürften, die sogleich umkommen sollten. Tacit. l. c. Man hat das Eyland zu bestimmen gesuchet, auf welchem dieser Dienst vorgegangen. Einige haben die Insel Rügen im balthischen Meere dafür angegeben. Cluver. Germ. ant. p. 134. Andere haben Scandinavien dazu genommen und die Zeit der Feyer in den Julius gesetzet. Rudbeck. l. c. P. I. c. 24. Noch andere haben den cimbrischen Chersonesus darunter verstanden. Anchersen vallis Herthæ Deæ p. 20. Am wahrscheinlichsten aber ist es wohl, wenn man die Insel Heiligeland dafür hält. Pellout. Hist. des Celtes. T. II p. 144. Man sah den Gott Theut oder das höchste Wesen [1262] gleichsam als ihren Gemahl an, mit dem sie sich vereiniget hatte, die Menschen und andere Geschöpfe hervor zu bringen. Id. L. III. ch. VI. §. 16. p. 115. Daher hat man sie denn für die Berecynthia oder Cybele gehalten und ihren Wagen oder die vorher erzählte Feyerlichkeit noch auf einer gallischen Münze abgebildet zu seyn geglaubet. Mart. Relig. des Gaul. L. IV. ch. 10. p. 33. T. II.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 1261-1263.
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