Medericus, S. (1)

[388] 1S. Medericus, Abb. (29. Aug.). Dieser Heilige (frz. Merry) starb ungefähr im J. 700 und ist (nach den Boll.) gleich geehrt wegen seines abgetödteten Lebens wie wegen seiner Wunder. Er wurde in einem der Stadt Autun (Edua) zugehörigen Dorfe von sehr vornehmen Eltern geboren. Als er dreizehn Jahre alt war, brachten ihn dieselben nach Vorschrift der damals geltenden Kirchendisciplin öffentlich und feierlich (regulariter ac solemniter) in das Kloster des hl. Martinus zu Autun (S. Martinus Eduensis). Die Eltern waren nämlich überzeugt, daß nur wer dem Weltleben entsagt und die Ruhe des Klosters aufgesucht habe, seinen Geist geraden Wegs auf Gott hinzulenken vermöge.191 Der [388] Knabe betrat diesen Weg und schritt täglich mehr auf demselben voran. Als er die Mannesjahre erreicht hatte, war er auch geistig ein Mann geworden. Keiner that es ihm in der Strenge der Abtödtungen, des Fastens und der Selbstpeinigung zuvor. Man wählte ihn zum Abte, obwohl er dieses Amt auf jede Weise zu vermeiden beflissen war. Auch in der Stadt und ihrer Umgebung verbreitete sich sein Ruf, ja es fing an die Sage zu gehen, daß dem Heiligen die Kraft der Wunder verliehen sei. Ein Mönch, der von schweren Anfechtungen bedrängt war, legte den Gürtel des Heiligen um und wurde befreit. Ebenso ein anderer, der ein von dem Heiligen gesegnetes Brod genossen hatte. Aber er selbst unterlag bald darauf der Versuchung. Er floh eines Tags in die Einsamkeit, um dort für sich zu leben. Ein Befehl seines Oberhirten war nöthig, ihn zu vermögen, den Bitten der Klostergemeinde zu entsprechen und wieder zurückzukehren. Man nannte den Ort, wo er sich verborgen hielt, später die Zelle des hl. Medericus. Nun hielt er in seinem Berufe aus. Eine Wallfahrt nach Paris darf nicht als eine neue Entweichung aus dem Kloster angesehen werden. Er erkrankte auf dem Wege und kehrte im Kloster Champcaur (in monasterio Campellis, in Campellanensi coenobio) ein, wo er längere Zeit blieb. Später scheint er, weil man seines Rathes und seiner Hilfe bedurfte, sich öfter auf Reisen begeben zu haben. Er wurde bald auch Patron der Gefangenen. Zu Melun befreite er eine große Zahl. An einem andern Ort befahl er geradezu zwei Diebe, vielleicht in zu strenger Hast gehaltene, frei zu lassen. Vermuthlich unterstanden dieselben der Gerichtsbarkeit seines Klosters, denn ein anderer Richter hätte einen solchen Befehl des Abtes kaum beachtet. Als er in den letzten Jahren seines Lebens noch einmal nach Paris ging, zogen ungezähmte Thiere seinen Wagen. In einer Vorstadt daselbst lebte er zuletzt (vgl. Butler XII. 224) mit seinem Freunde und Gesinnungsgenossen Fradulf (St. Frou, 22. Apr.) als Recluse nahe bei einer dem hl. Petrus geweihten Kirche. Die fromme Sage hat seine letzten Lebensjahre sichtlich umschleiert, um den ehrwürdigen Mann noch ehrwürdiger zu machen. Deßhalb lesen wir in der alten, von den Boll. herausgegebenen Vita die schönen Worte: »Es ist nutzlos, die Heiligen zu ehren, die Heiligkeit aber zu mißachten, denn nicht den Heiligen gebührt der Vorrang vor der Heiligkeit, sondern der Heiligkeit vor den Heiligen.« Seinen Tod soll er vorausgesagt haben; er erfolgte zu Paris am 29. August um d.J. 700. Auch das Mart. Rom. gedenkt unsers Heiligen. Seine Reliquien befinden sich zu Paris. Er wird als Einsiedler abgebildet. (VI. 518).


Quelle:
Vollständiges Heiligen-Lexikon, Band 4. Augsburg 1875, S. 388-389.
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