Vicelinus, S.

[673] S. Vicelinus (Wicelinus), Ep. Conf. (22. al 12. Dec.). Dieser hl. Bischof war zu Hameln (Querhameln) an der Weser von wenig bemittelten, aber gottesfürchtigen Eltern (Helm. I. 43: magis virtute quam censu consplenis) geboren und besuchte daselbst die Schule des Chorherrenstifts St. Bonifaz. Wegen frühen Ablebens seiner Eltern wäre er auf abschüssige Bahnen gerathen, wenn nicht die Gräfin von Eberstein (Everstein) ihn auf ihr Schloß genommen hätte, damit er ihren Söhnen im Lateinischen Unterricht ertheile. Wegen seiner noch mangelhaften Kenntnisse von dem eifersüchtig gewordenen Hofgeistlichen beschämt, entwich er von da heimlich nach Paderborn an die dortige blühende Domschule, wo sich der gelehrte Scholasticus Hartmann (Hermann) seiner wie des eigenen Sohnes annahm. Hier bewies der Jüngling einen Lerneifer, dem seine Kräfte kaum gewachsen waren, erhielt aber nicht bloß eine gute wissenschaftliche Bildung, sondern auch eine gute Anleitung zum gottgefälligen Leben. Er wählte sich den hl. Bischof Nicolaus zum Vorbilde und Patron. Als Seelenführer und Beichtvater stand ihm der Pfarrer Ludolf von Feule, sein Oheim, an der Seite. Als dieser starb, kam er als Lehrer und Vorsteher an die Domschule von Bremen, wo er sich durch übermäßige Strenge gegen jede Art sittlicher Unordnung hervorthat, so daß viele Schüler aus Bremen entflohen, aber vom Erzbischof Friedrich I. (gest. 1123) sehr geliebt wurde. Im J. 1122 ging er (Helmold. I. 45.) in Begleitung seines Lieblingsschülers Thetmar (Thietmar) nach Laon, um seine theologische Bildung zu vervollständigen, wurde aber hier durch das Beispiel des hl. Norbertus, welcher damals in der Nähe den Grund zu seinem Orden legte, zugleich zu einem strengen Leben angeleitet. Er fing an, ein Cilicium zu tragen und sich des Fleischessens gänzlich zu enthalten. Vielleicht wäre er jetzt schon Prämonstratenser geworden, wenn er nicht durch ausdrückliche Versprechungen zur Rückkehr nach Bremen verpflichtet gewesen wäre. Als aber der heil. Norbertus Erzbischof von Magdeburg geworden war, ließ er sich in dessen Orden aufnehmen, und empfing aus seinen Händen die bisher demüthig verschobene Priesterweihe und kehrte mit dem Vorsatze, fortan als Missionär der Völker jenseits der Elbe wirken zu wollen, nach Bremen zurück. Er wurde (vgl. Acta S. S. Mart. I. 653) vom Erzbischofe Adalbero I. mit zwei Genossen, dem Hildesheimer Priester Rudolf und dem Verdener Domherrn Ludolf, nach Holstein gesendet. Mehr als ein halbes Jahrh. war der christliche Name erloschen, als der hl. Vicelinus die Mission wieder aufnahm. Anfänglich schien sein Unternehmen an der Gleichgiltigkeit und Feindseligkeit der Bevölkerung durchaus zu scheitern, weßhalb er sich nach einigen vergeblichen Versuchen im Innern des Landes hart an der Grenze des Wendenlandes, im Lande Faldern (Faldera) zu Wippenthorp (-dorf) festsetzte, hier eine Pfarrei gründete und anfing, regelmäßigen Gottesdienst zu halten. Hier stand nämlich aus früherer Zeit noch eine alte hölzerne Kapelle, die älteste des Landes. Seinen wiederholten Streifzügen in's heidnische Land setzte sich der Aberglaube, besonders die abgöttische Verehrung der Haine und Quellen, starr entgegen. Aber je weniger menschliche Kraft hier etwas auszurichten vermochte, desto größer wurde sein Gottvertrauen, sein apostolischer Muth, und desto brünstiger sein Flehen, daß Gott diesem armen Volke zur Erkenntnisß und Liebe Jesu Christi verhelfen und die Thüre des Heiles aufthun möge. Seine vielen Predigten, besonders die von der Größe und Majestät Gottes, von den Freuden des Himmels und den Belohnungen der Gerechten bei der Auferstehung der Todten, gewannen ihm allmählich die Herzen der Bevölkerung, mehr aber noch wirkte sein und seiner Mitbrüder heiliges Leben. Altlübeck konnte wieder erdaut und mit christlichen Sachsen bevölkert werden. Der heil. Vicelinus weihte hier die erste neu erbaute [673] Kirche. Außerdem baute Kaiser Lothar, welcher mit einem Heere in Norddeutschland stand, und von dem Heiligen in Bardewik besucht und um Schutz für die Mission angegangen ward, zum Schutze der jungen Kirche im J. 1134 auf seinen Rath das Castell Aelberg wieder auf, welches von jetzt an Siegeberg genannt wurde. Auch hier wurde eine christliche Ansiedelung gegründet. Wippenthorp bekam als Prämonstratenserkloster, zu welchem nun, da Männer aus den ältesten Geschlechtern in großer Zahl eintraten (cum monasterium recens exstructum viris nobilissimis abundaret), auch Höhergestellte und Reiche Vermächtnisse machten, den Namen Neumünster (novum monasterium). Es wurde auch hier die Regel des heil. Augustinus befolgt, die Kirche wurde unter den Schutz der heil. Jungfrau gestellt. Aber der unerwartete Tod des Kaisers auf seinem Rückzuge von Italien im J. 1137 und die Kämpfe zwischen Heinrich dem Stolzen von Bayern und Albrecht dem Bären, wegen der Belehnung mit dem Herzogthum Sachsen, ermuthigten die Wenden zu neuer Empörung. Der Wendische Häuptling Pribislaus richtete den ersten Angriff auf Siegeberg; das Schloß hielt sich, der Ort aber, der am Fuße des Berges entstanden war, nebst dem nen gestifteten Kloster wurde zerstört und verbrannt. Der Prämonstratenserpriester Volker wurde erstochen, die übrigen Klosterbrüder entkamen mit Noth nach Neumünster. Auch die Gegend von Faldern wurde vielfach beunruhiget und der hl. Vicelinus kam wiederholt in große Bedrängniß. Er mußte viele Unbilden ertragen, viele hinterlistige Anfälle aushalten, oft in Todesgefahr von einem Versteck in's andere fliehen. Dennoch war er und blieb er die feste Burg, in welcher seine Getreuen, Geistliche und Laien, Zuflucht und Hilfe fanden. Er waltete (W. W. K.-L. XI. 671) als geistlicher Vater über die um ihn Versammelten, er trieb Teufel aus und heilte Kranke. (Helm. I. 56.) Erst nach dem J. 1140 wurde das Land um Siegeberg wieder christlich; das Kloster Hagerestorp (jetzt Högelsdorf) wurde gegründet und als erster Vorsteher dieser Stiftung der Prämonstratenser Volkward verordnet. Auch an andern günstig gelegenen Orten wurden auf Betreiben des Heiligen Kirchen erbaut und mit Priestern aus Neumünster versehen. Namentlich aufgeführt werden die Kirchen zu Aldenburg, Sarov, Plunen u. a. Aber noch immer konnte der Heilige sich seines Werkes nicht in Ruhe freuen. Der Obotritenkönig Niclot nahm am Johannisfeste des J. 1138 neuerdings die Stadt Lübeck; 300 Deutsche, darunter auch der Priester Rudolf2 wurden erschlagen. Jetzt kam ein Kreuzzug gegen die Wenden zu Stande, welcher jedoch keine sonderlichen Erfolge hatte. Dazu kam noch ein Einfall der Dänen unter Svend, bei welchem Oldenburg und die vor Siegeber gelegene Stadt neuerdings verbrannt wurden. Erst nach einer schweren Hungersnoth, in welcher sich der hl. Vicelinus wiederum als Vater der Armen und Bedrängten erwies, wurde Frieden im Lande. Im J. 1149 erhielt der Heilige das seit 84 Jahren unbesetzt gebliebene Bisthum Oldenburg. Am 9. Oct. des genannten Jahres ertheilte ihm Erzbischof Hartwig I. die Bischofsweihe, doch behielt er (Jensen II. 62.) die Neumünster'sche Propstei bei, übergab aber die Verwaltung seinem Freunde, dem Prior Ebbo. Heinrich der Löwe wollte ihn als Bischof so lange nicht anerkennen, bis er nicht von ihm die Investitur erlangt hätte. Erst durch die äußerste Noth gezwungen fügte sich der Heilige seinem Willen. Seine Wirksamkeit war so groß und nachhaltig, daß er den Namen: Apostel der Wagrier und Holsaten (Holsteiner) erhalten hat. Die Biographie sagt: Nach Verrichtung seines Gebetes war er unermüdlich, die rohen Bewohner zu sammeln, ihnen das Evangelium zu verkündigen, sie in den Geheimnissen des Glaubens zu unterrichten und die wilden Gemüther durch die christlichen Sitten zu sänftigen, und zugleich seine Mitarbeiter, denen oft der Muth sinken wollte, zur Geduld und Beharrlichkeit zu ermahnen. Aber schon im J. 1152 wurde er zu Neumünster vom Schlage gerührt, so daß er ohne Schmerzen weder sitzen, noch liegen, ja nicht einmal sprechen konnte, und blieb fortwährend krank bis zu seinem am 12. Dec. 1154 erfolgten Tode. So lange es möglich war ließ er sich zur Kirche tragen, wo er so brünstig betete, daß alle, die ihn sahen, in Thränen zerflossen. Sein Apostolat führte er 30 Jahre lang, das bischöfliche [674] Amt hatte er 5 Jahre und 9 Monate verwaltet. Er wurde alsbald durch zahlreiche Wunder verherrlichet, und daher als Heiliger verehrt. Alle Hagiologen geben ihm diesen Titel. Seine Gebeine wurden im J. 1332, als die neue Kirche zu Bordesholm, wohin das Kloster verlegt worden war, eingeweiht wurde, gleichfalls dahin übertragen, und vor dem Hochaltare mit der Inschrift beigesetzt:


Ossa pii Patris hic condita sunt Vicelini.

Zu Deutsch:


Vicelinus', des frommen Vaters, Gebeine hier ruhen.

Auch ein Glasgemälde verherrlichte daselbst sein Andenken. Das Kloster wurde vom Kieler Magistrate seit dem J. 1528 unablässig zum Abfalle vom kathol. Glauben gedrängt, hielt sich aber bis zum J. 1566. Da der Protestantismus eine angemessene Verehrung der heiligen Reliquien des Landesapostels lange Zeit unmöglich machte, so wurden dieselben, wie uns geschrieben wird, im ersten Viertel dieses Jahrh. von einem kathol. Fürsten erbeten, aber nicht hergegeben. Nur seine Geburtsstadt Hameln hat in neuester Zeit sein glorreiches Andenken theilweise wieder geehrt. Die kleine dort bestehende katholische Gemeinde ließ beim Neubau ihrer Kirche im J. 1874 eine Glocke gießen, an welcher sein Bild prangt. Gewöhnlich trägt er in der Rechten eine Kirche, die er auf dem linken Arme ruhen läßt16.


Quelle:
Vollständiges Heiligen-Lexikon, Band 5. Augsburg 1882, S. 673-675.
Lizenz:
Faksimiles:
673 | 674 | 675
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Liebelei. Schauspiel in drei Akten

Liebelei. Schauspiel in drei Akten

Die beiden betuchten Wiener Studenten Theodor und Fritz hegen klare Absichten, als sie mit Mizi und Christine einen Abend bei Kerzenlicht und Klaviermusik inszenieren. »Der Augenblich ist die einzige Ewigkeit, die wir verstehen können, die einzige, die uns gehört.« Das 1895 uraufgeführte Schauspiel ist Schnitzlers erster und größter Bühnenerfolg.

50 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon