Vorrücken der Nachtgleichen

[646] Vorrücken der Nachtgleichen, Präcession, heißt in der Astronomie die allmälig rückwärts gehende Bewegung der Nachtgleichenpunkte, d.h. der zwei Punkte, in denen Aequator u. Ekliptik [646] sich schneiden, welche Bewegung dadurch entsteht, daß der Aequator sich allmälig von Osten nach Westen bewegt, während die Ekliptik ihre Lage beibehält. Diese Bewegung des Aequators selber aber ist begründet durch die sphäroidische Gestalt der Erde und die dadurch bewirkte ungleiche Anziehung der Sonne u. des Mondes auf dieselbe. Da nämlich die Erde um den Aequator herum mehr Masse hat als an den Polen, so wirkt die Anziehung der Sonne stärker auf die Aequatorgegend als auf die übrigen Theile der Erde, bewirkt dadurch eine drehende Bewegung der Erdachse um die Achse der Ekliptik und so das westl. V. d. N. – Diese Beobachtung machte zuerst der griech. Astronom Hipparchus in Alexandrien um 130 v. Chr., indem er bei Vergleichung seiner Beobachtungen mit denen von Timocharis 150 Jahre früher angestellten fand, daß die Sonne zu seiner Zeit im Anfange des Frühlings nicht mehr bei denselben Sternen stand wie früher, sondern bei andern westlicher liegenden, so daß der Frühlingspunkt in der Ekliptik von Osten nach Westen fortgerückt schien. Spätere Beobachtungen haben dies vollkommen bestätigt und gezeigt, daß das V. d. N. in 72 Jahren einen Grad betrage, also in 1 Jahre ungefähr 50 Secunden. Zur völligen Umlaufung des ganzen Kreises sind gegen 25800 Jahre erforderlich, welche Zeitperiode man das große od. platonische Jahr nennt. Eine Folge des V. sd. N. ist eine stetige Veränderung der Lage der Erdachse u. somit auch der Himmelspole, ferner der Unterschied zwischen dem tropischen und siderischen Jahr (s. Jahr).

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 646-647.
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