Perzeption

[426] Perzeption (lat. perceptio = Aufnahme, Erfassung) heißt zunächst die sinnliche Wahrnehmung und dann auch in erweiterter Bedeutung die bewußte Vorstellung. In der ersten Bedeutung[426] ist der Begriff klar zuerst innerhalb des englischen Empirismus und Sensualismus im 17. und 18. Jahrh. geprägt worden. Bei Leibniz (1646-1716) verschiebt und trübt sich der Begriff der Rezeption unter dem Einflusse der Metaphysik. Nach Leibniz besteht die Wirklichkeit aus Monaden (âmes). Jede Monade, so auch die menschliche Seele, ist ein Spiegel des Universums. Aber keine Monade erleidet äußere Einwirkungen, und es kann ihr keine Vorstellung von außen zukommen. Die Quelle der Vorstellungen der Seele liegt vielmehr in ihr selbst. Die sinnliche Wahrnehmung ist für Leibniz daher nicht ein Gegensatz zum Denken, sondern nur die unvollkommenere verworrene Vorstufe des Denkens. Leibniz macht demgemäß die Perzeption zur Vorstellung, zum inneren Zustand der Monade. Er scheidet dabei zwischen kleineren Perzeptionen (petites perceptions), die die unbewußten (insensiblen) Elemente anderer Vorstellungen sind und den zusammengesetzteren bewußten (remarquables) Perzeptionen, die aus jenen entstehen. Der Perzeption (der sinnlichen Vorstellung) stellt er die Apperzeption entgegen. Jene ist der einzelne vorübergehende Zustand der Monade, diese der Eintritt der Rezeption in das Selbstbewußtsein und das über den Zustand nachdenkende Bewußtsein der Seele. Kant (1724-1804) verändert weiter den Begriff der Perzeption. Sie ist ihm eine Art der Vorstellung (repraesentatio), und zwar ist sie die Vorstellung mit Bewußtsein. Die Perzeption kann sich entweder auf das Subjekt beziehen und heißt dann Empfindung, oder sie ist eine objektive Perzeption und heißt dann Erkenntnis (cognitio). Die Erkenntnis ist entweder unmittelbar und einzeln und heißt dann Anschauung (intuitus), oder sie ist allgemein und mittelbar und heißt dann Begriff (conceptus) (Kr. d. r. V. S. 320). Der Perzeption ist bei Kaut die Apperzeption, und zwar die empirische als das Bewußtsein des jedesmaligen Zustandes und die transscendentale als das Selbstbewußtsein überhaupt (ich denke) entgegengesetzt. Herbart (1776-1841) schied zwischen der Perzeption, der sinnlichen Aufnahme und der Apperzeption der Aneignung und Verarbeitung der neuaufzunehmenden Vorstellungen durch die älteren untereinander verbundenen und ausgeglichenen Vorstellungsgruppen. Wundt (geb. 1832) vergleicht das Bewußtsein einem inneren Sehen und scheidet zwischen Blickfeld und Blickpunkt des Bewußtseins. Die in einem bestimmten [427] Momente gegenwärtigen Vorstellungen befinden sich im inneren Blickfelde, diejenigen, denen die Aufmerksamkeit zugekehrt ist, im inneren Blickpunkt des Bewußtseins. Der Eintritt einer Vorstellung in das innere Blickfeld heißt Perzeption, der Eintritt in den Blickpunkt Apperzeption (Wundt, Grundz. d. phys. Psych. II, S. 235 ff.). Im allgemeinen Sprachgebrauch heißt Perzeption jetzt sinnliche Aufnahme, sinnliche Wahrnehmung, also das, was Kant als Anschauung (intuitus) bezeichnete.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 426-428.
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