Scharfsinn

[522] Scharfsinn (sagacitas) nennt man diejenige Kraft des Geistes, welche die einzelnen Vorstellungen deutlich zu unterscheiden, die Teile und Merkmale eines Begriffs klar zu denken und bis zu ihren letzten Zusammenhängen, Ursachen, Gründen und Zwecken zu verfolgen vermag. Ein Begriff ist um so vollkommener, je bestimmter sein Inhalt zum Bewußtsein kommt und je schärfer er sich von allem, was nicht dazu gehört, absondert. Jenes ist seine Deutlichkeit, dies seine Klarheit. Auf der Deutlichkeit der Begriffe beruht also vor allem der Scharfsinn. Doch hat der Scharfsinn es im besondern nur mit den abstrakten und spekulativen Begriffen zu tun. Er beruht auf Anlage, kann aber durch Schulung gesteigert werden. Ohne ihn ist keine wissenschaftliche Erkenntnis möglich, wenn er auch allein keine wissenschaftliche Leistung zustande bringen kann. Von eminentem Scharfsinn waren Aristoteles, Newton und Kant.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 522.
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